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Kunsthandwerk der Wikinger

©2013 Bachelorarbeit 125 Seiten

Zusammenfassung

Die Wikinger befuhren im 8. bis 11. Jahrhundert nicht nur den gesamten Ostseeraum und die Meere bis nach Island, Grönland und Neufundland, sondern auch das Mittelmeer und die Flüsse des Ostens bis ins Schwarze Meer. Allerdings darf man sich die Wikinger nicht nur als plündernde und brandschatzende Krieger vorstellen, wie es heutzutage leider gern getan wird, sondern auch als Siedler, Händler und Handwerker. Eine der bedeutendsten kulturellen Leistungen war sicherlich das Kunsthandwerk, welches, v.a. durch die verschiedenen Tierfiguren, der frühmittelalterlichen Kunst im Einflussbereich der Skandinavier eine ganz charakteristische und unverwechselbare Ausprägung verlieh. Es folgen detaillierte Angaben zur Forschungsgeschichte, den Bildträgern, den einzelnen wikingerzeitlichen Kunststilen und deren Beeinflussung, der ikonographischen Bedeutung und den fertigungstechnischen Grundlagen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


4 Kunststile der Wikingerzeit

Aus dem Bereich der wikingerzeitlichen Kunst bildet die Ornamentik das Rückrat der kunsthistorischen Untersuchungen. Besonders bedeutsam ist die Tierornamentik, deren durchgängige Tradition eine ausgezeichnete Quelle für die skandinavische Stilentwicklung zwischen etwa 750 und 1200 darstellt[1]. Namensgebend für die einzelnen Kunststile aus der Zeit der Wikinger waren südskandinavischen Fundorte der Gegenstände, welche die jeweils deutlichsten stilistischen Ausprägungen aufwiesen. Grundlagen für die Einteilung waren die Detailausführungen der Motive und die unterschiedlichen Ausgestaltungen der Tierfiguren, die sich im Laufe der Zeit stark gewandelt haben. Die zeitliche Eingrenzung und Abfolge der einzelnen Kunststile resultierte aus Fundvergesellschaftungen von Gräbern und münzführenden Depots, stratigraphischen Fundlagen von Siedlungen, sowie Verknüpfungen mit historisch überlieferten Personen und Ereignissen[2]. Allerdings bleiben die Fundgruppen nicht dieselben für die ganze Epoche, da die spätheidnische Wikingerkunst Skandinaviens gleichsam wie der Rest einer untergehenden Welt in das christlich-mittelalterliche Kunstschaffen des übrigen Europas hineinragt.

So ging die Bestattungssitte, dass Verstorbene in ihrer Festtagstracht und mit einigen Beigaben beigesetzt wurden, durch den ansteigenden christlichen Einfluss in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts schrittweise zurück, wohingegen die Schatzfunde erst ab etwa 925 aufgetreten sind und die Anzahl solcher Depots während des 10. Jahrhunderts mit einem Höhepunkt im 11. Jahrhundert gewachsen ist[3].

Mit Hilfe der Dendrochronologie in der Tierstilforschung, deren Möglichkeiten im Jahr 2001 von M. Müller-Wille dargestellt wurden, konnte die Richtigkeit der ermittelten Zeitstellung und folglich die Abfolge der Tierstile bestätigt werden[4].

4.1 Broastil

Der früheste wikingerzeitliche Kunststil wurde benannt nach dem Fund von Broa auf der Ostseeinsel Gotland und datiert in die zweite Hälfte des 8. Jahrhundert. In Broa wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts bei Bauarbeiten ein Männergrab aus der frühen Wikingerzeit ergraben, das mit 22 vergoldeten Bronzebeschlägen, die vermutlich zum Zaumzeug eines Pferdes gehörten, ausgesprochen reich ausgestattet war.

Ein großer Teil dieser Zaumzeugbeschläge war mit bandförmig- und medaillonartig gestalteten Tieren mit an – und abschwellendem Körper verziert, die charakteristisch für den entsprechenden Kunststil werden sollten (Abb. 41)[5]. Bei den dargestellten Tiergestalten handelte es sich um einen etwas abgewandelten Tierstil III, der durch einen leichten fremden Einfluss von irischer Seite her, die kennzeichnenden Stilelemente bildete[6]. Ein bekanntes Beispiel für diese Tierfiguren ist der Vierfüßler mit Vogelkopf auf dem Zaumzeugbeschlag aus Broa (Abb. 42). Der Hals der Tiergestalt ist von Triquetra-Knoten durchbrochen und vom Körper gehen gekreuzte und gefesselte Vorderbeine mit dreizehigen Füßen ab. Der bandförmig ausgestaltete Körper endet in gekreuzten Hinterbeinen mit drei langen Klauen bzw. Zehen. Das runde Auge der Gestalt ist deutlich vergrößert und der Schnabel ist geöffnet[7]. Die Körper der Broa-Tiere können von einzelnen Löchern durchbohrt sein, die an der Kante aufbrechen und dann als einfache Knoten weiter ausgebildet werden. Diese Knoten können wiederrum zu gekreuzten Vorderbeinen mit der Fortführung in Krallen oder gebogene Daumen ausgestaltet sein.

In den späteren wikingischen Kunststilen des Jelling- und Mammenstil wurden gewöhnlich zwei oder drei dieser Krallen ohne ersichtlichen Grund mit Flechtmuster-Bändern verbunden[8]. Die langgezogenen Gliedmaßen sind in großen Schlaufen miteinander und mit dem Körper verschlungen. Die Tiere haben einen relativ kleinen, vogelartigen Kopf, sind halbnaturalistisch dargestellt und zeichnen sich durch ein flaches Relief oder eingravierte Linien aus[9].

Neben der gerade vorgestellten Tierfigur wurden auch Vogeldarstellungen im Broastil konzipiert. Ein Broa-Vogel auf einem bronzenen und vergoldeten Zaumzeug stammt aus dem namensgebenden Fundplatz Broa (Abb. 43). Im Körper des Vogels ist ein Loch, durch welches sich ein vom Schwanz kommender Haken spiralförmig hindurch windet. Während der Flügel durch diese Spirale läuft und dabei ein drittes Loch im Körper herstellt, ist der Fuß als eine kleine, rudimentäre Adlerklaue geformt. Bei dieser spezifischen Gestaltung der Durchlochung einzelner Körperteile ist ein charakteristisches Element des Salin Stil III und somit eine skandinavische Entwicklung[10]. Das Herausragende an dem Fund aus Broa ist allerdings, dass auf einem Teil der Beschläge ein neues Motiv in der skandinavischen Kunst auftritt, denn schon zu Beginn des 9. Jahrhunderts wurde dieser ganz in der Fläche lebende Stil durch den kraftvollen Greiftierstil ersetzt, der sich besonders durch die vollplastischen Ausführungen der Tierfiguren vom Broastil absetzte. Charakteristisch für die Gestaltung des Greiftieres ist die betonte Zweiteilung des Körpers, bei der Vorder- und Hinterleib nur durch eine stegartige Taille miteinander verbunden sind. Des Weiteren greifen die Tiere, mit den vom Körper abgespreizten Gliedmaßen, in sich selbst, ein benachbartes Tier oder den Rahmen. Im Gegensatz zu dem bis dahin angewandten flachen Relief wurde, in Verbindung mit der Ausgestaltung des Greiftieres, eine plastische Darstellung vorherrschend. In vielen Fällen ist das Bildfeld von einer kreuzförmigen Figur in vier Felder unterteilt, in denen sich jeweils ein Greiftier befindet[11]. Die Greiftierdarstellungen auf einem Zaumzeugbeschlag aus Broa (Abb. 44) sind jedoch nur eine reduzierte Vorläuferversion und werden als Bindeglied zwischen dem Salin Stil III und dem Borrestil gesehen[12]. Die Idee bzw. das Aufkommen des Greiftiermotives und etwaige Einflüsse aus anderen Kunststilen werden in einem extra Kapitel ausführlich behandelt und analysiert.

Der Broastil verinnerlichte demnach drei unterschiedliche Tierdarstellungen: die bandförmigen Tiere des Broastils, halbnaturalistische Tiere und Vögel eines Typs, wie er von fränkischen Manuskripten und Beschlägen bekannt ist und schließlich Greiftiere.

4.2 Osebergstil

Namensgebend für die neue Kunstrichtung im 9. Jahrhundert waren die Schnitzereien der reichen Grabbeigaben des Königinnengrabes von Oseberg in Norwegen. Die prachtvoll ausgestattete Bestattung wurde 1904 unter einem Hügel am westlichen Ufer des Oslofjords entdeckt. Der Hügel enthielt ein Wikingerschiff in sehr gutem Erhaltungszustand und eine Grabkammer mit den zerstreuten Skelettresten zweier Frauen[13].

Nach schiffsbautechnischen Berechnungen im Jahr 1999 wies das Schiff eine Länge von 21, 64 m auf (Abb. 45)[14]. Man vermutet, dass es sich bei einer der beiden Leichen um eine Fürstin gehandelt haben muss, der diese prunkvolle Bestattung galt. Beim zweiten Skelett wird es sich vermutlich um ein freiwilliges Opfer der Dienerin gehandelt haben, wie es nach dem Bericht eines arabischen Reisenden, später, im frühen 10. Jahrhundert, noch von den schwedischen Wikingern durchgeführt wurde[15]. Die optimalen Erhaltungsbedingungen resultierten aus dem überwiegend aus Ton aufgebauten Hügel. Aufgrund der guten Holzerhaltung konnte dendrochronologisch ermittelt werden, dass das Schiff zwischen 815 und 820 gebaut und die Grabkammer, also die ganze Bestattung, 834 angelegt wurde[16].

Der Großteil der Grabausstattung befand sich im Vorderschiff und beinhaltete unter anderem reich verzierte Wagen, drei Prachtschlitten (Abb. 46), drei reich mit Schnitzwerk verzierte Schlittendeichseln, zwei Truhen, drei Betten (Abb. 47), ein Zelt und hinter der Grabkammer, also auf dem Achterschiff, eine vollständige Kücheneinrichtung[17].

Die kunsthistorischen Aspekte des Fundes sind eine einzigartige Quelle für die weitere skandinavische Kunstentwicklung. Erstmals tritt uns die ganze Größe und Fülle dieser phantastischen Kunst in der Beginnstufe der Wikingerzeit entgegen und das Ergebnis einer in sich geschlossenen und rasch fortschreitenden Entwicklung, deren einzelne Stilphasen sich genau verfolgen lassen[18].

Das Schiff und dessen Verzierungen wurde von H. Schetelig bereits ausführlich in der vom norwegischen Staat herausgegebenen Gesamtpublikation vorgestellt[19]. Die Ausschnitte der verzierten Teile des Vorderstevens zeigen deutlich zwei unterschiedliche Stile (Abb. 48). Auf der einen Seite setzen sich die im Profil dargestellten, langschmalen, bandförmigen Tiere mit großem Kopf und Auge des Broastils fort, auf der anderen Seite handelt es sich bei den en face dargestellten, kompakten Vierfüßer mit gegliederten Körperteilen und menschenartigem Kopf eine Weiterentwicklung des Greiftierstils[20]. Die einzelnen Hüftpartien haben sich zu unregelmäßig geformten Platten entwickelt, die in der Regel sehr deutlich von den Hüften im eigentlichen Sinn getrennt sind und die Stilisierung ist weiter fortgeschritten[21]. Außerdem sind die Gestalten nicht verschlungen, sondern isoliert übereinander geordnet[22]. Die Neuerungen sind überwiegend formaler Art. So werden zum Beispiel Motive gleicher Größe und gleichen kompositorischen Wertes zusammen angeordnet, wobei offene Schlaufen vermieden werden. Ein weiteres Charakteristikum ist die Plastizität des Ornaments, durch dessen gestuftes Relief man verschiedene Licht- und Schatteneindrücke zu erzielen versuchte[23]. Daraus lässt sich schließen, dass der Osebergstil die Motive des Broastils fortsetzte und die Neuerungen durch die überwiegende oder ausschließliche Verwendung von Greiftieren in flächendeckenden Kompositionen charakterisiert wurden[24]. Besonders deutlich sieht man diese Stilmischung in der Holzschnitzerei der Hintersteven des Oseberg Schiffes (Abb. 48). Die Ornamentik besteht aus einem zusammenhängenden Fries von gleichartig gestalteten Tierfiguren, die der Komposition, durch eine regelmäßige Wiederholung des gleichen Musters, etwas Rhythmisches verleiht. Die en profil dargestellten Köpfe, die langen und elegant gewundene Hälse, sowie die Auflösung der Füße in Schlingen sind eindeutige Charakteristika für den Broastil, während die abnorm entwickelten Hüftpartien als eine Folge der Einwirkung karolingischer Stilelemente aufzufassen sind[25]. Die Ornamentik am Wagen unterscheidet sich in kleinen Einzelheiten vom übrigen Schnitzwerk des Osebergfundes, scheint aber von ein und demselben Handwerker gefertigt worden zu sein (Abb. 49). Dargestellt sind überwiegend Tierfiguren verschiedenster Art und einzelne Menschendarstellungen.

Dabei handelt es sich um kleine erzählende Szenen, wie zum Beispiel die eines Mannes im Kampf mit Schlangen, die ihn von allen Seiten umgeben. Auf diese Art der narrativen Darstellungsweise wird im Kapitel der ikonographischen Bedeutung im Detail eingegangen. Im Gegensatz dazu sind die verzierten Teile des Schlittens mit rein ornamentalem Schnitzwerk verziert und die Eckpfosten des Schlittenkastens sind mit plastisch ausgestalteten Tierköpfen versehen. Besonders bedeutsam ist die Tatsache, dass einzelne Teile durch verschiedene Farben hervorgehoben wurden, was anhand von erhalten gebliebenen Farbresten belegt ist[26]. Des Weiteren wurden in der Grabkammer zwei reich verzierte Tierkopfpfosten gefunden, die vermutlich keinem praktischen, sondern kultischem Zweck dienten. Der akademische Tierkopfpfosten (Abb. 50) stellt eine Übergangsphase zweier unterschiedlicher Stile dar[27]. Statt der aufgelösten Hüften, den in Schlingen gezogenen Leibern und eines anmutigen Linienspiels treten auf diesem einzigartigen Objektträger abnorm ausgebildete Hüftpartien, allgemein plumpe und massive Formen ohne Verschnörkselungen in Form eines Schwanzes oder Nackenschopfes auf[28]. Ausgestaltet wurde die Gesamtform des Kopfes, mit aufgerissenem Maul, großen Augen, tief sitzenden Ohren und einer Schnauze mit Schachbrettmuster, die stilisierte Haare andeuten sollten. Die aufgezählten Formen wollen als Einzelelemente gesehen werden und sind von einer Konturlinie umrissen. Der Hinterkopf des Tierkopfpfostens wurde als reines Ornament im Broastil konzipiert und bildet eine stilisierte Mähne ab (Abb. 51)[29]. Die Wangen- und Nackenpartie (Abb. 52) zieren in flachem Relief jeweils zwei miteinander verschlungene Paare von bandförmigen Tiere des Broastils: Von den vogelartigen Köpfen gehen Nackenschöpfe aus, die in Hüftspiralen und Extremitäten mit flossenartigen Füßen enden[30].

Die schon mehrmals angesprochen und behandelte Stilmischung erreichte ihren Höhepunkt in den Schöpfungen des barocken Tierkopfpfostens (Abb. 53). Während mehrere einzelne, knotenförmig zusammengerollte, Tierfiguren die Schnauze des Drachens bilden, formen andere Greiftiere, die zu einem etwas lockeren fließenden Geschlinge verflochten sind, die Ohren[31]. Der an manchen Stellen durchbrochen gearbeitete Tierkopfpfosten ist in plastischem Relief ausgeführt und man hat den Eindruck, dass die Ornamentik ab dem Hals des Drachen aus einer Reihe ovaler Medaillons zusammengesetzt wurde.

Die Medaillons allerdings sind kein reines Zierwerk, sondern sind aus zwei gekrümmten Tieren bzw. verschlungenen Greiftieren, die mit den Köpfen im Profil, langen Nackenschöpfen und aus den karolingischen Stilelementen beeinflusste Füße und Hüftpartien dargestellt sind, gebildet worden. Dabei schließen die beiden Tierfiguren zwei kleine Tiergestalten ein, die eine ähnliche Ausformung der Körper, Hüften und Füße aufweisen. Allerdings besitzen die zwei kleineren Tiere einen gemeinsamen Kopf von kreisrunder Form, der gerade aufwärts blickt. Die Ornamentik auf dem Tierkopfpfosten des Barockmeisters besteht somit aus vier zusammengefügten Tiermotiven[32].

Abgesehen von der ornamentalen Gestaltung des Osbergfundes wurde der Osebergstil auf kleinen in Massenproduktion gefertigten Metallgegenständen, hauptsächlich ovalen Schalenspangen, angewandt. H. Fuglesang suggerierte in seinem Bericht im Jahr 1996 Einflüsse aus dem angelsächsischen Bereich[33].

4.3 Borrestil

Ein weiterer wikingerzeitlicher Kunststil ist der Borrestil, der seine Blütezeit von ca. 875 bis 950 hatte[34] und damit in die letzte Periode des ausgeprägten Heidentums fällt[35]. Allgemein geht die Forschung davon aus, dass der Borrestil, vor allem in Form der typischen Tierdarstellung mit katzenartigem Kopf en face, auf die im Anschluss im Detail eingegangen wird, eine eigene Ziergruppe darstellt, die sich vom Osebergstil absetzt, zugleich aber gemeinsame Züge aufweist, die sich in der starken Gliederung und kräftigen Modellierung der Körperpartie, der en face-Darstellung und der Greifpose zeigen[36].

Dieser Stil erhielt seinen Namen nach dem Hügelgräberfeld von Borre am Ufer des Oslofjords. Einer der Hügel enthielt ebenso wie in Oseberg ein Schiffsgrab, welches 1952 bei Sandbauarbeiten entdeckt wurde[37]. Das etwa 17m lange Schiff war offenbar nicht mit einer Grabkammer ausgestattet. Des Weiteren fand man unter anderem Beigaben wie einen hölzernen Männerstuhl mit Metallbeschlägen, der mit Flechtknoten und stilisierten Tierfiguren verziert war, Teile der Zaumzeuggarnitur aus vergoldeter Bronze (Abb. 54) in unterschiedlicher Form, wie z.B. Lederriemen mit Darstellungen des charakteristischen Borretieres en face in Durchbruchstechnik, mehrere quadratische und rhombische Beschläge mit einem Tier en profil und/oder Ringgeflecht und Riemenkreuzungs- und Riemenendbeschläge mit Tierköpfen en face und Ringgeflecht, und fragmentarische Eisengegenstände[38].

Die Figuren des Borrestils verkörpern ein weiterentwickeltes Stadium des Greiftiermotives, haben allerdings schlankere Gliedmaßen und scheinen den Betrachter frontal anzusehen oder sind als rückwärts blickende Tierfiguren dargestellt. Das Tier hat einen dreieckigen Kopf mit plastischer Nase, kugeligen Augen, hochgestellten Ohren und vier Extremitäten mit Maschette und dreizehigen Tatzen, die in einen das Tier umgebenden Rahmen oder den eigenen Körper greifen können. Die Figuren unterliegen also einer symmetrischen Anordnung. Oberkörper und Hinterleib des Tieres werden von einer schmalen, bogenförmigen Taille voneinander getrennt und sind in der Regel geperlt[39]. Besonders hervorzuheben ist das charakteristische geometrische Flechtband des Borrestils, das eine skandinavische und völlig eigenständige Umgestaltung europäischer Flechtbandmotive darstellt, und auf diese eine Zeitstufe begrenzt zu sein schien[40].

Als ältester Beleg für ein im Borrestil verziertes Schmuckstück führt Wilson den Anhänger aus dem Hortfund von Hon (Abb. 55) auf, der vermutlich im zweiten Drittel des 9. Jahrhunderts niedergelegt wurde. Obwohl diese kleine Darstellung aufgrund ihrer Schenkelbildungen eher an Parallelen aus dem Broa- und Osebergstil denken lässt, erinnern einige Details, wie etwa der symmetrische Haarschopf, die verschränkten Extremitäten und die Greifpose an die charakteristischen Elemente eines Borretieres.

Detailliert veranschaulicht wird das Borretier auf einer Schnalle aus Birka (Abb. 56), in zahlreichen Varianten auf Anhängern in geschlossener oder durchbrochener Form und allgemein überwiegend auf Metallarbeiten des Zaum- und Reitzeuges, sowie des Gürtel- und Fibelschmucks. Das prächtige Borretier aus Birka hat einen dreieckigen Kopf, einen zweiseitigen Haarschopf, einen bandartigen Hals- und Mittelteil, gegliederte Schenkelpartien, Kugelgelenke und Extremitäten, die sich verschränken bzw. zu den Haarschöpfen führen. Die einzelnen Partien lassen sich deutlich voneinander unterscheiden, sind glatt gearbeitet oder mit Perl- und Stichreihen und Punkten verziert.

Ähnliche Arbeiten im Borrestildekor wurden im Hort von Vårby gefunden, auf dessen qualitätsvollen Stücken Tierköpfe en face und en profil mit gerippten Körperpartien verbunden sind und ein Einzelstück die kennzeichnenden Elemente des Borrestils, in Form zweier antithetisch angeordneter bandförmiger Tiergestalten en profil in verschränkter bzw. greifender Position, aufweist.

Ein weiteres Beispiel sind zum einen die Kleeblattfibel aus Norwegen, deren Fundort leider nicht bekannt ist, mit der Darstellung von sechs Borretieren, die durch eine Greifpose unter- und miteinander verbunden sind (Abb. 57), die Fibel von Kvarberg (Abb. 58) mit dreieckigen Gesichtern, dessen Darstellung sich mit einer prächtigen Maske vergleichen lässt und zum anderen die Filigranarbeiten aus dem Hort von Vester Vedsted mit symmetrisch angeordneten Tierkopf- und Tierdarstellungen. Häufig ist die Darstellung auf den rundlichen Flächen von Kleeblattfibeln zu finden, da ihre Form willkommene Zierfelder boten. Allgemein geht man davon aus, dass der Borrestil, vor allem in Form der Tierdarstellung mit katzenartigem Kopf, eine eigene Tiergruppe dargestellt hat.

Der wikingerzeitliche Kunststil des Borrestils war weiträumig von Skandinavien, Island, den Britischen Inseln, Finnland, über das östliche Europa verbreitet und wurde wohl im Zeitraum vom späten 9. bis zum Anfang des 11. Jahrhundert gefertigt[41].

4.4 Jellingstil

Als Ausgangspunkt zur Betrachtung des Jellingstils widmen wir uns zu aller erst dem namensgebenden Fundort Jelling in Mitteljütland (Abb. 59). Der dänische Ort Jelling stellt mit zwei großen Hügeln, der dazwischen liegenden Kirche und zwei Runensteinen ein eindrucksvolles Bild dar. Der Nordhügel enthielt eine Grabkammer, die wohl für den um 958 verstorbenen dänischen König Gorm aus dem Geschlecht der Gormiden angelegt wurde. Dendrochronologisch wurde das Holz der Grabkammer auf 958-959 datiert. Die Kammer war allerdings alt gestört und der Tote wurde aus dem Grab entfernt.

Neben den Beigaben wie dem Fragment einer silbernen Platte oder eines Beckens, einem bronzevergoldeten Riemenzubehör und geschnitzten Möbelteilen mit Elementen des Mammenstils war der spektakulärste Fund ein kleiner Silberbecher mit Tierornamentik, der wichtige Merkmale der neuen Kunstrichtung erkennen lässt (Abb. 60)[42]. Der Becher ist silbervergoldet, nielliert und ausgestaltet mit einer leicht konischen Cuppa, einem knopfartigen Nodus und einem scheibenförmigen Fuß. Hergestellt wurde er vermutlich um 950 und in der Literatur überwiegt die Deutung eines christlichen Kelches oder eines profanen Trinkbechers.

Als Verzierungselemente des Jellingbechers dienen zwei langgezogene, bandförmige Tiere gleichbleibender Körperbreite, die symmetrisch in S-Form verflochten sind. Des Weiteren haben sie einen im Profil dargestellten Kopf mit rundem Auge, einer rankenförmigen Lippe bzw. Nasenlochspirale und einem langen Nackenschopf. Die Tierkörper können sich zu rundovalen Öffnungen aufspalten, die Hüften sind kaum angedeutet oder fehlen ganz und die gesamte Komposition ist von einer strengen Geometrie bestimmt[43]. Der Körper der Tiere ist innen mit Linien ausgestaltet und weist ein Mittelband auf, welches die gesamte Körperlänge durchläuft[44]. Auch bei der Grabung innerhalb der Steinkirche von Jelling kamen in einer Holzkammer, neben verstreuten Skelettresten eines Mannes, qualitätsvolle Schmuckstücke zum Vorschein, die durch ihre Riffelung der Körperpartien und der Ausformung der Tierköpfe kennzeichnende Details des Jellingstils aufwiesen[45].

Weitere charakteristische Beispiele für den Jellingstil des 10. Jahrhunderts sind eine gotländische Spange (Abb. 61), ein Beschlag von Björkö in Schweden (Abb. 62), ein Schwertgriff aus Norwegen (Abb. 63), sowie einige dänische Kummetbeschläge[46].

Man findet aber auch Objekte, die nicht mit dem klassischen Jellingtier verziert wurden, sondern noch Anklänge an das „brezelförmige“ Borretier aufweisen. In diesem Fall sind die Körper allerdings wesentlich langgestreckter und quergerippt.

Der Jellingstil fand sich vorwiegend auf Metallarbeiten aus dem Bereich der Schmuckgegenstände, aber auch aus dem Bereich der Tafel-, Gürtel-, Zaumzeug-, Waffen- und Jagdausstattung[47].

Hervorzuheben sind die Anhänger in Durchbruchs- und Vollgussarbeit, die das bandartige Tier mit einem nach hinten gewandten Kopf darstellen. Ein Verbreitungsschwerpunkt der Schmuckgegenstände lässt sich in West- und Ostskandinavien feststellen, allerdings sind darüber hinaus auch einzelne Exemplare in westlichen und östlichen Gebieten außerhalb Skandinaviens belegt.

Besonders qualitätsvolle Metallarbeiten sind vor allem aus dem dänischen Bereich bekannt, wie zum Beispiel die beiden Prachtschwerter von Busdorf bei Hedeby/Haithabu (Abb. 64), mit zwei sich jeweils umgekehrt umschlingenden Tieren, die S-förmig angeordnet sind(Abb. 65).

Die Vielfalt der zahlreichen Darstellungsmöglichkeiten von zoomorphen Tiergestalten kann am besten anhand einiger Fibeltypen dargestellt werden, die zugleich unterschiedliche Formen der Objektträger aufweisen: zungenförmige Fibeln (siehe Abb. 62), Kleeblattfibeln (Abb. 66), scheibenförmige (Abb. 67) und rechteckige Fibeln (Abb. 68) mit Filigranzier in Form von Tieren, mit bandartig dünnen Körpern, blasig verdickten Schenkelpartien und schließlich gotländische Dosenfibeln.

Die Verzierung im Jellingstil wurde während des gesamten 10. Jahrhunderts durchgeführt, wie uns sowohl Grab- als auch Hortfunde mit Münzen belegen. Der Jellingstil wurde somit synchron mit dem Borrestil verwendet, was des Weiteren durch Funde unterstrichen wird, in denen beide Tierstildarstellungen vertreten sind. In Verbindung mit der insularen Ausprägung des Jellingstils ist es unumgänglich nicht auf die Steinmetzarbeiten, wie Grabmäler und Steinkreuze des anglo-skandinavischen Kunstkreises hinzuweisen.

Viele dieser Steindenkmäler weisen in ihrer Ausgestaltung allerdings auf Elemente des Mammenstils hin, weshalb im nächsten Kapitel erst im Detail darauf eingegangen wird[48].

4.5 Mammenstil

Der Mammenstil erhielt seinen Namen 1931 von Lindqvist, der den Begriff für alle Objekte einführt, die sich stilistisch mit der Prunkaxt aus dem 970-971 angelegten Kammergrab bei Mammen im nördlichen Jütland in Verbindung bringen lassen. Eine detaillierte Unterscheidung zwischen Jelling- und Mammenstil lieferte allerdings erst D. M. Wilson im Jahr 1965 und ging dabei ausführlich auf die jeweiligen Charakteristika ein. Abgesehen von der Prunkaxt aus Mammen (Abb. 69), dem Jellingstein (Abb. 70) und den Schreinen von Bamberg (Abb. 71) und Cammin (Abb. 72), sind nur wenige im Mammenstil verzierte Gegenstände aus Gräbern und Horten bekannt[49]. Dieser Kunststil findet sich außerdem selten auf Metall, sondern häufiger auf Stein, Knochen oder Walrosselfenbein (Abb. 73).

Das charakteristische Motiv ist nun die Kombination halbnaturalistischer Tiere mit floraler Ornamentik. Die Tiere weisen sich durch ausgeprägte Hüftspiralen, bzw. allgemein durch einen breiteren Körper, stark betonte Augen und eine flächendeckende Perlzier aus[50].

Die Forschung spricht von einer konsequenten Fortführung des Motives des Jellingstils, allerdings ist im Mammenstil der Kopf des Tieres zurückgewandt und die Tierdarstellungen stehen symbolartig für sich.

So zieren die Tierseite der silbertauchierten und niellierten Prunkaxt aus Mammen eine menschliche Maske und ein Vierfüßler mit gepunktetem Körper, Doppelkonturen, einer Schenkelspirale am Vorderbein und ein eingerollter Fischschwanz. Des Weiteren schmückt ein Fabelwesen, welches sich darüber befindet, die Axt. Die Gegenseite ist mit floralem Flechtwerk und Ranken versehen, die sich über den ganzen Ornamentträger ausbreiten und durch Drehungen, Überschneidungen und Umkehrungen die Fläche ausfüllen[51].

Diese mit Punkten und einer doppelten Konturlinie versehenen Ranken entspringen spiralförmigen Ausgangspunkten und allgemein betrachtet haben die Motive einen floralen, strauchigen Charakter, was durch das Fehlen jeglicher Symmetrie der Bildkomposition, ein wesentliches Merkmal des Mammenstils, verdeutlicht (Abb. 74). Eine Interpretation ist zum Beispiel, dass es sich um die Darstellung eines mit einem langen, aufwendig verzierten Mantel bekleideten Mannes mit sorgfältig trappiertem Haar handelt.

Ein weiteres Example ist der Schrein aus Bamberg, der aus 16 Flachreliefs aus Walrosselfenbein und kupfervergoldeten Beschlägen hergestellt wurde. Die Beschläge wurden mit kennzeichnenden Motiven des Mammenstils, wie Vögel, Vierfüßler, Schlangen, anthropomorphen Masken und vegetabilen Mustern verziert (Abb. 75). In der Wahl der dargestellten Tiere zeigte sich bei den spätwikingerzeitlichen Tieren dahingegen eine Neuerung, dass die Tiere in ihrer Gattung nicht weiter unbestimmt waren. Eine Ursache war in großem Maße der zunehmende Einfluss der christlichen Lehre.

Auch vom Camminer Schrein sind verschiedene Tierabbildungen, besonders eine Vogeldarstellung auf dem Reliefplättchen überliefert. Der Vogel ist dabei im Profil dargestellt und seine Körperform beschreibt, dadurch, dass der Kopf mit geöffnetem Schnabel nach hinten gewandt ist und den hinteren Schwanzfedern nahe kommt, einen Kreis oder zumindest eine U-Form. Auffällig sind auch in diesem Beispiel die tropfenförmigen Augen, der Nackenschopf, welcher am Ende zu einer Palmette ausläuft, der raubvogelähnliche Schnabel, die große und breite Hüftspirale und die besonders aufgeprägte Befiederung am Schwanz[52].

Als Ursprungsgebiet des Mammenstils wird aufgrund der dort bestehenden hohen Anzahl an Steindenkmälern in den meisten Fällen Dänemark genannt, in Schweden findet sich der Stil überwiegend auf Runensteinen.

Grundlegende Daten zur zeitlichen Einordnung des Mammenstils liefert der Jellingstein, der über seine Inschrift hervorragende Erkenntnisse vom Beginn der Christianisierung Dänemarks preisgibt. Der Jellingstein ist ein Herrschermonument der Wikingerzeit, der von König Harald Gormson zwischen 960 und 985 errichtet wurde. Wie bereits erwähnt verweist die Inschrift auf historische Ereignisse und fängt auf der ersten Seite (Abb. 76) mit diesen Worten an: „König Harald ließ dieses Denkmal machen nach Gorm seinem Vater und Thyre seiner Mutter. Harald, der für sich Dänemark gewann.“. Der Rahmen zwischen den Zeilen wurde so konzipiert, dass er sich in freien Bandschlingen, die mit einem Schlangenkopf schließen, fortsetzt und den oberen Teil des Steines komplett ausfüllt. Die eigenen fürstlichen Taten wurden demnach mit emblematischen Bildern ausgeschmückt. Auf der Rückseite (Abb. 77) verweist die Inschrift „ganz und Norwegen“ auf die militärische und politische Eroberung, was durch die Illustration eines Vierfüßlers, der von einer Schlange umschlungen dargestellt ist, noch intensiviert wird. Auf der dritten Seite (Abb. 78) endet die Inschrift mit „und machte die Dänen zu Christen.“ Die geistige Eroberung der Dänen wurde durch die Darstellung einer Kreuzigungsszene versinnbildlicht[53]. Auf die ikonographische Bedeutung, beziehungsweise die Herkunft der einzelnen Motive, wird in einem anderen Kapitel näher eingegangen.

Die Runensteine können uns Aspekte über die Wikingerzeit vermitteln, die durch andere Quellen nur schwer oder gar nicht zu erschließen sind. So geben sie, über die zeitgeschichtlichen Erkenntnisse hinaus, Einblicke in die Sozialstruktur, die Gastlichkeit, den Wegebau, die Instandsetzung von Herbergen, die Rechte und Tätigkeiten der Frauen und die Wertevorstellungen nach denen die Menschen damals lebten[54].

4.6 Ringerikestil

Der spätwikingerzeitliche Kunststil hat seinen Namen nicht nach einem Fundplatz, sondern nach dem rötlichen Ringerikesandstein aus dem Oslofjord, der für einige der Gedenksteine verwendet wurde, die ab dem Mammenstil zu den wesentlichen Ornamentträgern werden.[55]

Der Kunststil setzt die meisten Motive des Mammenstils fort, wenn auch mit stilistischen Änderungen. Als zentrales und charakteristisches Motiv galt weiterhin ein großes vierbeiniges Tier, das von dünn auslaufender floraler Ornamentik umrahmt war (Abb. 79).

Die Pflanzenranken konnten sowohl als Ausschmückung, als auch als alleinige Verzierung zu großer Bedeutung gelangen. Der Ringerikestil war außerdem von einer axialen und symmetrischen Komposition bestimmt[56].

Typisch für diesen Kunststil ist der Gedenkstein von Vang (Abb. 80), der etwa um 1000-1050 errichtet wurde. Der 215 cm hohe Bildstein wurde mit einer Wellenranke und teils gefächerten und asymmetrischen länglichen Trieben mit eingerollter Spitze ausgestaltet. Eingebunden in die Ornamentik ist ein Kreuz. Darüber ist ein Löwe dargestellt, der zahlreiche Merkmale des Mammenstil aufweist[57]. Im Gegensatz zur floralen Ornamentik der Mammenaxt sind die Rankentriebe um einiges schmaler und kleiner als die Stämme und büschelartig, sowie asymmetrisch um diese gewunden und in ihrer Ausführung disziplinierter[58].

Zwei weitere Beispiele, die den Ringerikestil in seiner reichsten Form wiedergeben, sind der Wimpel aus dem norwegischen Heggen, der um 1000-1050 hergestellt wurde, und die Wetterfahne von Källunge aus Gotland. Der Wimpel aus Hegge (Abb. 81) besteht aus einer Kupferplatte und ist von einer vollplastischen Löwenfigur aus Messing gekrönt.

Die Platte zieren zwei Löwen und ein Adler, die sich gerade im Kampf mit einer Schlange befinden. Dabei steigt ein kleinerer Löwe vom Knie eines seiner Elternteile herab. Die Funktion des Wimpels ist umstritten bzw. unklar. In der Literatur wird er des Öfteren als Wetterfahne angesprochen und dass sie wahrscheinlich an den Vordersteven eines Wikingerschiffs befestigt war. Ein Beweis dafür könnte die Ritzzeichnung aus Mammen mit der Szene mehrerer Langboote darstellen, von denen ein Boot ein vergleichendes Motiv abbildet (Abb. 82). Bei der Wetterfahne aus Källunge (Abb. 83) handelt es sich um ein Vierteloval aus vergoldeter Bronze mit eingravierter Standarte. Eine vollplastisch ausgeformte Löwenfigur thront als Galeonsfigur auf der Wetterfahne und trägt die Verzierung in Form von Schlangen und Drachen[59]. Die Fahne zeigt auf der Schauseite A als Hauptmotiv ein vierbeiniges, großes Tier, das in der Literatur als Löwe bezeichnet wird. Um den Löwenhals windet sich eine Schlange in Form einer Acht und der Betrachter erhält den Eindruck, als ob sich die Köpfe der beiden Tiergestalten ineinander verbeißen würden.

Neben der Umschlingung mit einer Schlange wird der Körper des Löwen von einem Rankengeflecht eingenommen, dessen Enden durch die kennzeichnenden Rankentriebbüschel geformt werden. Diese Rankenbüschelornamentik zeigt große Parallelen zum Wimpel aus Heggen, wo sie den Schwanz, die Flügel und die Haarpracht des Löwen verzieren. Auf der anderen Seite B ist ein Vogelmotiv dargestellt, welches sich auf dem Bamberger Schrein, dem im Mammenstil verzierten Prunkkästchen, wiederfindet.

Eine weitere detaillierte Darstellung der Ringerikeornamentik findet sich des Weiteren auf einem Bildstein, der 1852 während Fundamentierungsarbeiten für ein Lagerhaus an der Südseite des Friedhofes der St.-Paul-Kathedrale in London gefunden wurde. Auf der Frontseite (Abb. 84) ist eine ähnliche Darstellung wie auf der Wetterfahne von Källunge abgebildet: Ein Löwe, der zurückblickt und von einem schlangenartigen Tier umschlungen wird. Das Motiv eines von einer Schlange umschlungenen Löwens kennen wir bereits vom großen Jellingstein. Die Ohren und der Schwanz des Löwen und der schlangenartige Körper sind wieder als die charakteristischen langen Ranken mit eingerollten Enden ausgebildet. Die schmale Linksseite der leicht trapezoiden Kalksteinplatte trägt eine Runeninschrift, die davon berichtet, dass Ginna und Toki diesen Stein errichten ließen[60].

In Skandinavien lassen sich außerdem mehrere Hortfunde, wie zum Beispiel der Hort von Espinge, dem Ringerikestil zuweisen. Darin enthalten war eine Brosche, die mit einem charakteristischen zurückblickenden, vierbeinigen Ringeriketier geschmückt war und ca. um 1050 n. Chr. niedergelegt wurde. Im Gegensatz zum darauffolgenden Urnesstil lässt sich der Ringerikestil relativ leicht chronologisch einordnen[61].

4.7 Urnesstil

Die letzte Stufe der Entwicklung wikingerzeitlicher Kunst hat seinen Namen nach den Schnitzereien an dem Portal der Stabkirche von Urnes in Westnorwegen[62] (Abb. 85). Aufgrund einer Umbauphase der Kirche in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts sind leider nur sehr wenige der, im Urnesstil verzierten, Planken der Kirche im Original überliefert. Erhalten geblieben sind noch das überaus prachtvoll verzierte Portal, zwei Planken aus der nördlichen Wand, der nordwestliche Eckpfosten sowie der Ost- und Westgiebel.

Anhand einer Ausgrabung im Jahre 1956 konnte nachgewiesen werden, dass man mit einem Vorgängerbau mit rechteckigem Grundriss und einem quadratischen Chor zu rechnen hat, dem die Forschung heute die, im Urnesstil, verzierten Planken zuordnet[63]. Anders als im Mammen- und Ringerikestil waren die Tierfiguren die wichtigsten Motive[64]. Die Schnitzereien der Stabkirche von Urnes waren noch weitgehend unbeeinflusst von der ersten christlichen Kunstrichtung, der Romanik, die zur damaligen Zeit immer mehr Einfluss geltend machte und bei der die Tierornamentik fortschreitend von der Pflanzenornamentik verdrängt wurde[65]. Dargestellt sind hoch aufgerichtete Tierfiguren mit einem schmalen, empor gereckten Kopf, mandelförmigen Augen mit scharfem Blick und einer aufgerollten Lippe mit spitzen Zähnen, in fließender Linienführung mit annähernd kreisförmigen Schlingen (Abb. 86)[66]. Ein graziler Löwe in eben dieser Ausführung steht im Vordergrund und der Rest des Musters wird durch einen zweitrangigen Vierfüßler, der im Profil mit nur einem sichtbaren Vorder- und Hinterbein dargestellt wird, gebildet. Hier und dort dient des Weiteren ein schlangenartiges Tier als spitzenzarter Raumfüller[67]. Neben dem reinen Tierstil erscheinen in den Verzierungen die Anfänge einer blühenden Akanthusornamentik, die aus der romanischen Kunst des Festlandes entlehnt ist[68]. Allerdings gibt es von A. Meehan eine andere Interpretation, der in der Vegetation Teile des Körpers, wie etwa die Mähne des Löwen, die dreilappige Quaste eines Schwanzes und die langzehigen Füße sieht.

Ein bedeutsames Fundstück, welches die Übergangsphase vom Ringerike- zum Urnesstil darstellt, ist die Silberschale von Lilla Valla in Gotland (Abb. 87). Darauf finden sich die Motive eingliedriger Tierkörper mit bandartig ausgeführten Schwänzen, deren rankenförmige Tierköpfe von einer birnenförmigen Schlinge voneinander abgegrenzt werden[69]. Dieses Prinzip unterlag einer einheitlichen Ausgestaltung: offene Achterschlaufen und ein System aus mehreren Schlaufen, die ineinander greifen, nur zwei Linienstärken und Köpfe und Füße, die zu langschmalen Enden vereinfacht sind[70].

Bei der Verzierung mit der Urnesornamentik kann man drei unterschiedliche Motive differenzieren: der stehende Vierfüßler, ein schlangenförmiges Tier mit jeweils einem Vorder- und einem Hinterbein und zu guter Letzt ein sehr dünnes, in sich gewundenes Band, welches in manchen Fällen in einem Tierkopf endet.

Das typische Element der Rankentriebbüschel im Ringerikestil fand im darauffolgenden Urnesstil keinerlei Verwendung mehr[71]. Der Kunststil wurde im 11. und 12. Jahrhundert zur Ausgestaltung mehrerer Kirchen angewandt, fand sich aber überwiegend auf Runensteinen (Abb. 88) und außerdem auf Metallarbeiten, unter denen vor allem Fibeln (Abb. 89) im Urnesstil verziert waren[72].

4.8 Übergang zur Romanik

Im 12. Jahrhundert wurde der letzte wikingerzeitliche Kunststil schließlich vollständig von der Romanik abgelöst. Der Übergang von der wikingerzeitlichen zur romanischen Kunst war allerdings weitaus fließender als vermutet. So wurde im Dekor die Tradition in dem Sinne fortgeführt, dass die Formsprache des Urnesstil mit romanischen Motiven, wie zum Beispiel der Akanthusranke, verbunden wurde. Allerdings beinhaltete die romanische Tierwelt unter anderem bei weitem mehr Motive als die der Wikingerzeit und einige der Tierdarstellungen wurden wohl symbolisch interpretiert[73].

Der romanische Einfluss in der Übergangsphase kommt sehr deutlich auf dem Schnitzwerk von Balthjosstad auf Island zum Ausdruck, dass in seinen einzelnen Tierfiguren eine unmittelbare Verknüpfung mit der Kunst des Mittelmeerraumes verrät. Das Motivrepertoire eines Drachens, der von einer Schlange umknotet wird, ist im Gegensatz dazu schon in den frühen Stilen der Wikinger bekannt.

Ein weiteres Beispiel hierfür ist der Bildteppich von Skog (Abb. 90), der in seiner schematischen Darstellungsweise noch sehr stark an den Stil der Oseberg-Schnitzereien erinnert. Um 1200 musste dann allerdings auch die spätnordische Übergangskunst der Romanik weichen, die ab 1100 von Süden her nach Skandinavien einzudringen begann. Damit hatte auch die mehrhundertjährige Sonderstellung der nordischen Gebiete ein Ende, denn durch den Übergang zur romanischen Kunst wurde Skandinavien ein Teilgebiet des mittelalterlich-abendländischen Kulturkreises[74].

Die Romanische Kunst selbst ist das Ergebnis einer Art Verschmelzung und eigenschöpflichen Umgestaltung der in der karolingischen und ottonischen Kunst rezipierten antiken, frühchristlichen und byzantinischen Kunstformen und wird als erster selbstständiger monumentaler Kunststil des christlichen Abendlandes gesehen. Hauptverbreitungsgebiete dieser Kunstrichtung lagen in den germanischen oder germanisch durchsetzten Ländern, wie Deutschland, Burgund, Frankreich und der Lombardei. Von besonderer Bedeutung für diese Kunstrichtung waren die wesentlichen Elemente der Baukunst, dessen starke Bindung an den Kirchenbau sich auch in der romanischen Plastik wiederspiegelt, und die Malerei. Des Weiteren wurden kunsthandwerklich herausragend gearbeitete Goldschmiedekünste und Emailarbeiten fortgesetzt. Nach seinen Anfängen in bereits karolingisch-ottonischer Zeit erfuhr der Bronzeguss zur Zeit der Romanik seine volle Entfaltung. Das spiegelte sich allerdings nicht nur in den Monumentalbauten, sondern auch in deren dekorativer Ausschmückung und Ausstattung, in Form von Leuchtern, Rauchfässern, Reliquiaren und deren plastischem Figurenschmuck, wieder. Neben der Glasmalerei, die im Laufe des 12. Jahrhunderts eine in Format, Farbgebung und Bildwirkung beachtliche Steigerung vorweisen konnte, waren die Elfenbeinschnitzerei und in besonderem Maße die Wirkerei von großer Bedeutung für die romanische Kunst[75].

An dieser Stelle soll ein weiteres, sehr bekanntes Kunstwerk der Romanik vorgestellt werden: der Wandteppich von Bayeux (Abb. 91), eine Stickarbeit die ca. in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts gefertigt wurde. Die Besonderheit dieses Bildteppichs ist die Tatsache, dass die Ornamentik neben angelsächsischen- auch skandinavische Züge, in Form wikingerzeitlicher Motivrepertoires, aufweist. Dargestellt ist eine szenische Geschichte, die von der Eroberung Englands durch den Normannenherzog Wilhelm den Eroberer berichtet. Der Wandteppich besteht aus acht Leinenbahnen ungleicher Länge, die insgesamt eine Größe von 0,50 m x 70 m messen. Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass am Ende ein nicht allzu großes Stück von etwa 3 m Länge nicht mehr vorhanden ist und dementsprechend der Schluss der Erzählung nicht rekonstruiert werden kann.

Die 58 historischen Bildfolgen werden im Hauptfries, dem größten Teil der Stoffbahn mit 33 cm Höhe, dargestellt, der oben und unten von je zwei 8 cm hohen, ornamentalen Randborten eingefasst ist. Die wichtigsten Geschehnisse werden auf dem Teppich in getrennten Szenen aneinandergereiht und durch eine lateinische Beischrift in Stilstich inhaltlich erfasst[76]. Neben der Erzählung im Hauptfries ist der Teppich von Bayeux in den Randborten mit zahlreichen Tieren, Pflanzen, Menschen und Fabelwesen verziert, die einmal durch schräg laufende Balken und gelegentlich durch stilisierte Zweige voneinander abgetrennt sind um einen ornamentalen Charakter zu erhalten. Diese Bordüren liefern Zusatzinformationen zum Hauptgeschehen des mittleren Frieses in Form von Nebengeschichten oder Hinweisen auf zukünftige Ereignisse. Insgesamt ist der Teppich in sieben verschiedenen Farben mit 762 Tieren, 623 Personen, 37 Gebäuden und 41 Schiffen und Booten verziert[77]. Die bereits erwähnten Einflüsse wikingischer Kunststile, in Form des Mammen-, Ringerike- und Urnesstils, sind zum Beispiel am Blattwerk und den Drachenköpfen auf den Steven der Langschiffe (Abb. 92) auszumachen. Des Weiteren ist das Motiv einer Tierfigur, wie zum Beispiel ein großer Vierfüßler oder ein Vogel mit zurück gewandtem Kopf (Abb. 93), welches sich aus älteren wikingerzeitlichen Tierstilen unter kontinental-ottonischen und spätangelsächsischem Einfluss entwickelte, bereits seit dem Jellingstil bekannt. Eine weitere Besonderheit des Wandteppichs von Bayeux ist seine Wichtigkeit als kulturhistorische Quelle zu vielen Aspekten des mittelalterlichen Lebens. Dazu zählen u.a. Schiffbau- und fahrt, Ackerbau, Architektur, Tracht, Schmuck, Jagdbräuche, Küche, Kampfweise und Ausrüstung normannischer und angelsächsischer Krieger und die Repräsentation der einzelnen Herrscher. Die Forschung geht davon aus, dass als Auftraggeber entweder Bischof Odo von Bayeux, der Halbbruder von Wilhelm dem Eroberer, oder Mathilde, Wilhelms Frau, in Frage kommen. Auch bei der Herstellung ist man sich noch nicht einig, aber die Mehrzahl der Forschungsmeinungen spricht sich für eine Anfertigung um 1066 n. Chr. im südenglischen Canterbury aus. Seine außerordentlich gute Erhaltung rührt daher, dass er nur am Reliquienfest acht Tage im Jahr im Kirchenschiff aufgehängt wurde und somit beinahe 500 Jahre lang unbeschadet Kriege, Katastrophen und Feuersbrünste überstehen konnte[78].

5 Einflüsse

Die verschiedenen Einflüsse und allgemein die Entstehung der wikingerzeitlichen Kunststile ist ein in der Forschung lang debattiertes Thema. Um diese Einflüsse verschiedener Kunststile aufeinander visuell etwas klarer zu veranschaulichen, wird sich in dieser Arbeit auf die Skizze von Frau Pesch (Abb. 94) in ihrem Beitrag „Magie, Macht und Mythen – Bildkunst von den Germanen zu den Wikingern“ in der 6. Ausgabe der Zeitschrift „Archäologie in Deutschland“ im Jahr 2012, bezogen. Um den Rahmen nicht zu sprengen wird auf einige Stilphasen, die nur sekundär etwas mit der Entwicklung der Kunststile der Wikinger zu tun hatten, nur in sehr geringem Maße eingegangen.

5.1 germanische Tierornamentik

Der Beginn der Tierornamentik wird mit einer politisch sehr bewegten und instabilen Zeit in Verbindung gebracht, die sich durch allgemeine Auflösungserscheinungen in den ehemaligen Nordprovinzen des Imperium Romanum kennzeichnet. Römische Kunsthandwerker, die in dieser Zeit den Unterdrückungen des spätrömischen Zwangsstaates entflohen konnten, ließen sich bei verschiedenen germanischen Völkern nieder und überlieferten dabei die spätantike Tierornamentik der römischen Militärgürtel (Abb. 95). Neben floralen Elementen sind es vor allem Löwen, Raubvögel, Pferd, Eber, Schlange und die unterschiedlichsten Arten von Seewesen, die Eingang in die germanische Welt fanden und dort die Weiterentwicklung der Tierornamentik ausgelöst haben, die bis in das 8. und 9. Jahrhundert anhielt[79]. Der Untergang des weströmischen Reiches sollte dabei tiefgreifende Veränderungen für die Kunstentwicklung in Skandinavien haben, denn dadurch, dass kein römischer Kultureinfluss mehr herrschte, wurde die Ausbildung eines selbstständigen nordischen Tierstils im Laufe der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts begünstigt. Von großer Bedeutung für die nordische Entwicklung war die Reliefverzierung in Form von geradlinigem Kerbschnitt, Kantenornamentik und Tierornamentik, die von den römischen Provinzen am Rhein her über Hannover nach Skandinavien gelangt war[80]. Des Weiteren verlagerten sich die Zentren der neuen Tierornamentik im Anschluss an die Wanderungen der Angeln und Sachsen nach England weiter nach Norden, wie Dänemark, den dänischen Inseln, Südschweden und Südwestnorwegen und bildeten dort den sog. Nydamstil. Dieser wird charakterisiert durch tiefe geometrische Pflanzenornamentik (Abb. 96), wie Spiralranken, Palmetten, Astragale und an den Rändern der dekorierten Gegenstände sitzende, halbplastisch ausgestaltete, kauernde Vierfüßler und Seewesen, die noch sehr stark an den römischen Formenschatz erinnern, sich aber durch weniger scharfen Naturalismus und eine mehr mechanische und schablonenmäßige Zusammensetzung der verschiedenen Körperteile auszeichnen[81].

Besonders deutlich sieht man diese Ausführungen auf der Kopfplatte der Fibel aus Lunde (Abb. 97) und der Bügelfibel aus dem Hol-Fund (Abb. 98). Auf der Kopfplatte sind die Tiergestalten, nämlich zwei antithetisch angeordnete kauernde Vierfüßler mit zurückgewandtem Kopf und zwei gleichfalls antithetisch gruppierte, aber mit den Kiefern sich berührende Vierfüßler, getreu nach spätrömischer Tradition in rundplastischem Relief ausgestaltet.

Auf der Bügelfibel wurde die linke Seite des Fußplattenfeldes mit dem Motiv mehrerer Tiere, die zum Teil als wolfsartige Vierfüßler mit geöffnetem Maul und scharfen Zähnen gestaltet sind, in flachem Relief verziert. Ein anschauliches Beispiel eines Seewesens findet man auf der Fußplatte der schon erwähnten Fibel aus Lunde (Abb. 99). An den Seitenflächen befinden sich zwei Raubvogelköpfe und darauf folgen zwei Tiere mit einem relativ großen Kopf, der mit einem kräftigen Raumvogelschnabel ausgestaltet ist. Der bandförmige Körper des Tieres rollt sich nach hinten ein und besitzt ein am Boden liegendes Vorderbein mit zwei Zehen. Es handelt sich also um ein Seewesen, das im vorderen Abschnitt als ein Vierfüßler mit Raubvogelkopf dargestellt ist[82].

Zum Ende des Nydamstils um ca. 480-500 n. Chr. verteilten sich die, zuvor auf den Rand beschränkten, Tiere auf der gesamten Fläche und kennzeichneten den Übergang zum Salin Stil I, der sich durch eine flächendeckende Ausgestaltung mit Hilfe von Konturlinien auszeichnet[83], wie etwa auf der Fibel von Vedstrup aus Dänemark (Abb. 100)[84].

Die inhaltliche Deutung der Tierornamentik ist mit all ihren Entwicklungsschritten und verschiedenen Varianten in besonderem Maße durch die Arbeiten von B. Salins bekannt geworden, der namensgebend für die germanischen Tierstile wurde.

Die Loslösung der Tierornamentik von den provinzialrömischen Vorläufern, der Übergang von Randverzierung zu flächendeckenden Kompositionen, war jedoch von einer Auflösung und Degeneration der Motive begleitet[85]. Außerdem veränderte sich im Tierstil I das Formenrepertoire dahingegen, dass Seewesen zugunsten von kauernden, zoologisch kaum bestimmbaren Vierfüßlern und Tier-Mensch-Mischwesen von der dekorativen Ausgestaltung verschwanden. Dabei konnten verschiedene Motive, wie etwa zwei gleichartige Tiere Rücken an Rücken, oder in vielfältiger Weise zusammengestellte, scheinbar sinnlos komponierte Tierdetails auf den verzierten Gegenständen Platz finden[86]. Die Leiber der Tierfiguren wirken verhältnismäßig massiv, sind oft quergerippt, in Brustkorb und Weichenpartie unterteilt und behalten die stereotype Birnenform der Hüftpartie[87].

Das Motivrepertoire und die Ausgestaltung im frühen Salin Stil I ist besonders gut anhand der Fibel aus Gummersmark in Dänemark auszumachen (Abb. 101).

Die in kauernder Position dargestellte Tierfigur befindet sich am unteren Rand der Fußplatte und besitzt einen besonders großen Kopf mit deutlich charakterisierter Haarpartie, einem spitzen Ohr und spitzovalem Auge. Aus dem Mund des Tieres ragt eine schmale Zunge heraus, die zu drei Rundeln am unteren Ende der Fibel läuft, der Schwanz ist eingerollt und die Hüftpartie, genauer gesagt die Vorder- und Hinterschenkel, sind birnenförmig ausgeführt und von je einer Konturlinie umschlossen[88]. Im Laufe von Stil I kam es zu einer Auflösung der Tierornamentik durch die zunehmende Stilisierung, die zur Folge hatte, dass die Leiber in fast fadenschmale Bänder umgewandelt und S-förmig gebogen dargestellt wurden. Sie hoben unter anderem die Hälse empor, wandten den Kopf nach hinten und die Kiefer haben nicht selten um den eignen Leib gebissen[89].

Besonders bedeutsam für die Kunstgeschichte war die schnelle Ausbreitung im Mittelrheingebiet, im alemannischen Raum, Thüringen, Südostengland und Südosteuropa, welche durch lokale Nachahmungen, begünstigt wurde.

Im letzten Drittel des 6. Jahrhunderts tauchte eine vollkommen neue Ästhetik in der Tierornamentik und damit Salin Stil II auf. Voraussetzung für die, auf symmetrischer Flechtbandbasis komponierte Tierornamentik, was das Vordringen der ursprünglich mediterranen Flechtbänder, welche der starren additiven Ornamentik einen rhythmischen Touch verlieh. In Skandinavien entwickelte sich der Still II zu immer komplizierteren Formen, die dann um 700 in den Salin Stil III übergingen[90]. Die Entwicklung des neuen Salin Stil II verlief auf skandinavischem Gebiet nicht völlig kontinuierlich, sondern ist vielmehr auf dem Festland und unter Einflüssen seitens der Bandornamentik vor sich gegangen.

Die Hüftpartien, die Darstellung der Füße und allgemein die Körperform der Tierfiguren weisen direkte Entwicklungen aus dem älteren Stil auf, wohingegen die Wellen-, Band- und Wirbelmotive fremde Einschläge postulieren. Eine Analyse des Formenspektrums wird durch eine Vielzahl an Variationsmöglichkeiten, die auf starke kontinentalgermanische Einflüsse gründen, erheblich erschwert. Trotz dieser starken Variationen in Technik, Motivbehandlung und Komposition haben wir es hier mit einem sehr einheitlichen Stil zu tun, der sowohl in der nordischen Entwicklung wie in den Germanenkulturen am Rhein und in Süddeutschland, bei den Burgundern in der Schweiz, bei den Langobarden in Italien und teilweise auch bei den Angelsachsen in England vorkam.

Repräsentativ für die Kontinuität der Entwicklung ist vielmehr die Tierornamentik, durch den vollständigen Vierfüßler, dessen Motiv schon ab der provinzialrömischen Kunst fassbar ist. Ein besonderes Exemplar ist eine Prachtgürtelschnalle des frühen 7. Jahrhunderts aus Sutton Hoo (Abb. 102) mit Flechtbandornamentik und den spezifischen Tierdarstellungen des Salin Stil II. Weitere Beispiele für diese Ausgestaltung findet man auf verschiedenen Brakteaten (Abb. 103). Die dort dargestellten Tiere weisen sich vor allem durch eine stark abgeknickte oder S-förmig gebogene Rückenpartie und einem gelegentlich angebrachten Hörnerschmuck aus[91].

Der aus Salin Stil II entstandene Salin Stil III bezeichnet eine rein nordische Schöpfung, die kaum Entsprechungen auf dem Festland hat. Allerdings traten trotzdem in der, im Laufe der Entwicklung aufkommenden, Medailloneinteilung fremde Einflüsse auf und, in einzelnen Fällen, ist eine Anlehnung an irische Vorbilder festzustellen.

Charakteristisch für den Stil III war eine zunehmende Stilisierung, wodurch die Tierfiguren in lang gebogene Schlingen gestreckt, die Köpfe, Hüftpartien und Füße allmählich aufgelöst und letztendlich bis zur Unkenntlichkeit umgewandelt wurden. Die beiden Körperhälften, die zuvor geschieden waren, verband nun eine schmale Brücke und die Füße gingen direkt vom Körper aus (Abb. 104). Während sich unklare und knäulig verworrene Kompositionen gewöhnlich schmiegsam der Größe und Form der Schmuckfläche anpassten, breiteten sich die Tierfiguren auf großen und geräumigen Flächen aus, wodurch die Ornamentik klarer und luftiger gewirkt hat und einen deutlichen Hintergrund, der nur sehr selten in der nordischen Tierornamentik vorkam, erhielt[92].

Von allen germanischen Kunstkreisen des Frühmittelalters hielt der heidnische Norden am längsten an der Tierstilornamentik fest, denn auch beim Kunsthandwerk der Wikinger waren es wiederrum Tierstile, die vom 9. bis ins 12. Jahrhundert das Erbe der absterbenden merowingischen Tierornamentik antraten. Allerdings knüpften die ersten beiden Tierstile der Wikingerzeit entwicklungsgeschichtlich nicht direkt an die nordische Tierornamentik des 6. bis 8. Jahrhunderts an[93]. Da jedoch der Salin Stil III auf das wikingische Kunsthandwerk mit seinem Formenspektrum und der typischen Ausgestaltung einwirkte, der sich wiederrum aus Salin Stil I und II entwickelte, wurden auch diese kurz vorgestellt.

5.2 Kulturaustausch und –beeinflussung mit fremden Ländern

Im Gegensatz zu den germanischen Tierstilen ist die Stilentwicklung der darauffolgenden Wikingerzeit unter starker fremder Beeinflussung von statten gegangen und zeigt ein mannigfaltiges und verwickeltes Bild, welches in der heutigen Forschung weiterhin diskutiert wird. Aber auch in ihrem künstlerischen Gehalt unterscheidet sich die wikingische von der nordischen Tierornamentik der vorangehenden Jahrhunderte. Eine Unterscheidung sieht man an der Flächenfüllung der Schmuckobjekte, die bei den nordischen Tierstilen nur um den Preis einer immer abstrakteren Stilisierung möglich war, ganz im Gegensatz zur Wikingerkunst, deren Tiergestalten auch bei weitgehender Stilisierung noch ein lebendig-organisches Dasein inne hatten. Des Weiteren haben sich die Tiermotive der nordischen Ornamentik gegen Ende der Entwicklung bereits sehr weit von einer zoomorphen Körperlichkeit entfernt, wohingegen der heutige Betrachter der Wikingerkunst ihren tierischen Charakter noch leicht erkennen kann. Jedoch bedarf es hier einer weit größeren künstlerischen Analyse, um diese viel naturhafteren Tiergestalten in den Dienst bestimmter ornamentaler Aufgaben zu stellen.

Während sich der germanische Norden in der Völkerwanderungs- und Merowingerzeit abseits und ohne großen Anteil an der europäischen Gesichte entwickelte, fällt die Zeit der Wikinger nun in einen Zeitraum, in dem der Norden über seine Grenzen vorbrach und durch Beutezüge und die Gründung von zahlreichen Tochterstaaten in die Geschichte Europas eingriff. Diese geistige Haltung der verschiedenen Zeitalter spiegelt sich auch in der Ausgestaltung der Schmuckstücke wieder. So wird zum einen die Überfeinerung des nordischen Tierstils III als Zeichen einer solch langandauernden Ruheperiode gesehen und zum anderen beschreibt die viel lebendigere und kraftvollere Wikingerkunst, die sich außerdem durch eine vielfältigere Gesamterscheinung auszeichnet, die Epoche wikingischer Expansionen[94].

Eine Ursache für die vielfältigen fremden Einflüsse sieht die Forschung in den Wikingerzügen, die sich über weite Teile Europas erstreckten und wodurch die nordische Bevölkerung in engen Kontakt mit den führenden Kulturvölkern kam.

5.2.1 Ostseehandel

So begünstigten die Expansionsbewegungen nach Osten hin durch Russland einen ausgeprägten Handel mit dem Süden, wie z. B. Byzanz und der arabischen Welt und die Ausbildung zahlreicher Handelszentren, hatten allerdings für die nordische Kunstilentwicklung wenig, bis keine große Bedeutung[95].

Besonders hervorzuheben ist der frühe Handelsknotenpunkt Haithabu, der in den zeitgenössischen fränkischen, angelsächsischen, altnordischen und arabischen Quellen belegt und gerühmt ist und der Hafenplatz in Birka. Haithabu war ein bedeutender Hauptumschlagplatz für den lebhaften Transitverkehr vom Rheinland nach Schweden, besonders für fränkische Waffen, Wein, rheinische Keramik- und Glasfabrikate, friesische Tuche und anglo-irischen Schmuck. Der Westen importierte aus den nordischen Gebieten vor allem Rohmaterialen, wie zum Beispiel Felle und Pelze, Walrosselfenbein und Speckstein aus Norwegen. Auch Birka hatte die Funktion als Verteilerzentrum inne und unterhielt rege Handelsverbindungen mit dem baltisch-russischen Raum und dem Vorderen Orient[96].

Der enge Kontakt mit Russland rührte daher, dass Jaroslaw der Weisse, Großfürst von Kiew und aus dem Geschlecht der Rurikiden, mit der Tochter des schwedischen Herrschers Olaf Schißkönig verheiratet und selbst Schwiegervater der Könige von Norwegen, Frankreich und Ungarn war. Das Christentum wurde in Russland durch Wladimir den Großen im Jahre 988 eingeführt, als dieser die byzantinische Prinzessin Anna zur Frau nahm. Im weiteren Verlauf verstärkte sich der Einfluss der byzantinischen Kunst, was sich besonders im Kunsthandwerk bemerkbar machte. Die vielfältigen Beziehungen Skandinaviens zum Byzantinischen Reich, erkennt man deutlich am Beginn der Runensteinzeit[97].

5.2.2 Wikinger in Großbritannien und Irland

Von weit größerer Bedeutung waren die Kontakte mit dem irischen und dem angelsächsischen Kulturkreis, welche die Tierornamentik radikal umgestalteten und die das nordische Kunsthandwerk, mit einer ihr bis dahin unbekannten Pflanzenornamentik, bekannt machten[98]. Bei der Ankunft der Wikinger waren die Britischen Inseln von zwei verschiedenen Bevölkerungstruppen besiedelt: den Kelten, die sich in Cornwell, Nordwestengland, Schottland und Irland lokalisieren ließen und den Angelsachsen im östlichen Teil Englands. Da deren Gebiete in eine Vielzahl von Kleinreichen unterteilt und zersplittert waren und fast immer miteinander in kriegerischen Auseinandersetzungen standen, waren sie ein lohnendes Ziel und eine leichte Beute für die Wikingerstreifzüge. Während die Anführer und deren Gefolgsleute weiter in die eroberten Gebiete vordrangen, gingen die einfachen nordischen Bauern genauso wie in ihrer Heimat dem Ackerbau, der Viehzucht und dem Fischfang nach. Die Skandinavier segelten vor allem nach Schottland zu den Schottischen Inseln und von dort nach Irland und nach Nordwestengland. Auch auf der Insel Man, die sich inmitten der irischen See zwischen Schottland, Irland, Wales und England befindet, sind zahlreiche skandinavischen Niederlassungen belegt, die eine keltisch-nordische Mischkultur hervorbrachten[99]. Das Motiv- und Formenspektrum wurde stets unter Abänderung und Neuinterpretation in die skandinavische Kunst aufgenommen[100].

5.2.3 Kontakte zwischen dem Fränkischen Reich und Skandinavien

Das wikingerzeitliche Formenrepertoire blieb zwar bei der Tierornamentik, aber an die Stelle ihres eigenen Ornamentgeschöpfes trat zum Beispiel der karolingische Löwe, der jedoch auch zerlegt und zu flächenfüllenden Mustern zusammengesetzt wurde[101].

Wie sehr das karolingische Reich Vorbild für den politisch stark zerteilten Norden der älteren Wikingerzeit gewesen ist, wird aus der norwegischen Reichseinigung unter Harald Schönhaar in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts ersichtlich. Die Gründung dieses ersten zentralen Königtums im Norden ist ohne das Reich Karls des Großen, welches die Ausbildung einer Zentralgewalt inne hatte, kaum denkbar[102].

In christianisierter Form findet man die Tierornamentik in der karolingischen Buchmalerei des 7. – 9. Jahrhunderts, wo sie Buchseiten mit prachtvoller Ornamentik füllt.

Bestes Beispiel ist der um 800, wahrscheinlich in Salzburg entstandene, Ältere Lindauer Buchdeckel (Abb. 105), dessen zahlreiche Motive sich in der skandinavischen Kunst wieder finden[103]. Beherrscht wird der Buchdeckel von einem großen Kreuzmotiv mit nach außen erweiterten Armen, das sog. „ crux ansata“, womit die Einteilung in vier gleichgroße Kreuzwickelfelder einhergeht[104].

Deutlich wird der Einfluss anhand der Grubenemailplaketten mit dem Motiv der antithetischen Tiere (Abb. 106 und 107), die sich über ihre geöffneten Kiefer und eine Überkreuzung der Beine berühren. Deren Form ist weitgehend bandartig aufgelöst, sodass nur die erhobenen Köpfe und die ovalen Augen klar erkennbar sind und die Tierkörper selbst laufen fadenförmig bis zur Schenkelspirale des Hinterbeines aus. Die Komposition schließt nach rechts und links mit einem ausgestreckten Krallenfuß ab. Ähnlichkeiten finden diese Tierdarstellungen im wikingischen Jellingstil, der sich durch langgezogene, bandförmige Tiere gleichbleibender Körperbreite auszeichnet.

Diesbezüglich bieten sich auch die, auf den Querarmen der „crux ansata“ befindlichen, langgestreckten, S-förmigen Tierfiguren mit zurückgelegtem Kopf an (Abb. 108 und 109)[105]. Im äußeren Feld der Querarme der „crux ansata“ ist eine Art „Zwitterwesen“ dargestellt, von dessen zentralen anthropomorphen Gesicht die Seitenansichten des Körpers eines langgestreckten Vierbeiners abgehen (Abb. 110). Auch diese Motive weisen die typischen Charakteristika, wie die kringelartige Schenkelspirale und die Krallenfüße, der langgestreckten, S-förmigen Vierbeiner der nebenstehenden Felder, auf.

G. Haseloff versuchte das Motiv des frontalen anthropomorphen Gesichtes mit der Erscheinung des Tassilokelchstils verbinden zu können, während J. Guilmain in den wiederkehrenden Elementen auf eine allgemeine Verbreitung in der nordischen Ornamentik verwies. Zwar ähnelt dieses Motiv der Darstellung auf den Vordersteven des Osebergschiffes in geringem Maße, doch gibt es weder im kontinentalen, noch in den nordischen Tierstilen konkrete Parallelen[106].

Am deutlichsten wird der Einfluss anhand der zwei kerbschnittverzierten Medaillons mit der Darstellung von Mischwesen (Abb. 111 und 112), am oberen und unteren Ende des senkrechten Armes der „crux ansata“ [107]. In Reliefverzierung dargestellt sind je zwei einander greifende geflügelte Tiermenschen mit frontalen bzw. im Profil gesehenen Köpfen mit anthropomorphen Zügen, langen Haarschöpfen, dünner Taille und birnenförmigen Schenkeln, die stark an das wikingerzeitliche Greiftiermotiv in Skandinavien erinnern lassen[108]. So findet sich das Greiftiermotiv bereits auf frühen ovalen Schalenfibeln der Berdalfibeltypen Petersen und Madsen (Abb. 113), deren Herstellung etwa gegen Ende des 8. Jahrhunderts in Ribe nachgewiesen ist, auf dem eher seltenen ovalen Schalenfibeltyp „Birka“ (Abb. 114), den Zwischenfeldern der frühen wikingerzeitlichen Dosenfibel (Abb. 115), sowie der Rückenknopffibel aus Gumbalda aus Gotland (Abb. 116).

Auch tritt die Greiftierornamentik unverändert in Kombinationen mit Still III-Tierfiguren, wie z.B. auf der Rückenknopffibel aus Broa, auf gotländischen Tierkopffibeln vom Typ Carlsson (Abb. 117) und natürlich auf dem Metallbeschlag aus dem Bootgrab aus Oseberg (Abb. 118), wo sich in ganz ähnlicher Weise zwei einander gegenüber angeordneter Greiffiguren an ihren seitlichen Haarschöpfen fassen, auf[109]. Auffallend ist an beiden Medaillons das Bandwerk, dass sich regellos um die Tierfiguren rankt und nach dem diese mit ihren Pfoten greifen. Diese Kombination des Tiermotives mit einem zusätzlichen Bandwerk ist in der skandinavischen Tierornamentik eher unüblich, hat jedoch einen klaren Bezug zum Tassilokelchstil mit seinen dreieckigen Verbreitungen im abstrakten Linienwerk. Die Darstellung kombiniert somit Grundzüge aus dem skandinavischen Greiftierstil, wie aber auch Einflüsse anderer Stile[110]. Da die Greiftierornamentik im wikingischen Skandinavien gegen Ende des 8. Jahrhunderts plötzlich und ohne erkennbare Vorläufer früherer oder zeitgenössischer Tierstile im Kunsthandwerk auftritt, wurden im Laufe der Forschungsgeschichte immer wieder neue Theorien zum Ursprung und der Entwicklung des Greiftierstils aufgestellt. Durch die relativ naturalistisch anmutende Greiftierdarstellung im abgerundeten Relief verknüpften schon etliche Forscher, u.a. Müller, Shetelig, Schotter und Åberg das Motiv mit karolingischen Vorbildern, insbesondere mit dem naturalistischen Löwenmotiv. Daneben wurde auch schon von vielen Forschern die mögliche Vorbildfunktion des Löwenmotives der frühen byzantinischen Kunst für die Entwicklung des nordischen Greiftierstils postuliert[111]. Im Gegensatz dazu glaubt S.H. Fuglesang, dass das Greiftiermotiv seinen Ursprung in dem englischen „inhabited scroll motif“ hat, da die Masken und Füße der Tiere aus der angelsächsischen Kunst, die als Prototyp angenommen werden, den Tierfiguren, deren Gliedmaßen in sich selbst, den Rahmen oder ein benachbartes Tier greifen, sehr ähneln[112]. Allerdings spielte in der nordischen Greiftierornamentik das typisch angelsächsische Rankenwerk keine besondere Rolle und die typischen Details, wie kompakte Körperform, große, greifende Klauen und ein bandförmiger Körpermittelteil generell in der angelsächsischen Kunst nicht nachzuweisen[113].

Ein weiterer Einfluss auf das Kunsthandwerk der Wikinger stammte von den Schwertgurtbeschlägen mit karolingischer Pflanzenornamentik (Abb. 119). Diese wurden nach ihrer Ankunft im Norden, v.a. als Raubgut und in Form diplomatischer Geschenke, um die Mitte des 9. Jahrhunderts in ihrer Funktion verändert und zu Spangen und Fibeln umgearbeitet. Zur gleichen Zeit setzte in Skandinavien eine umfassende Imitation der kontinentalen Formen ein. So ahmten Kleeblattfibeln dreiarmige kleeblattförmige Riemenverteiler nach und zungenförmige Fibeln imitierten längliche Riemenbeschläge mit U-förmigem Ende. Verschiedene Gussformen aus Haithabu belegen, dass dem Handels- und Handwerkzentrum an der Grenze zwischen dem Kontinent und Skandinavien eine wichtige Rolle beim Kulturtransfer zuzuschreiben ist[114].

Einen besonderen Einfluss auf die Entwicklung der wikingischen Kunststile hatte des Weiteren die insulare Kunst. Auf den insularen Tierstil kontinentaler Prägung, charakterisiert durch meist rückwärts blickende Tierfiguren, mit schmalem, band- und S-förmigem Körper, die in der Regel einen eigenartig ausgestalteten Kopf mit langen stangenartigen Kiefern und unterschiedlich vielen Vorder- und Hinterpfoten, die auffallend gespreizt dargestellt sind, besitzen, wurde bereits in Form des Älteren Lindauer Buchdeckels im Detail eingegangen. An dieser Stelle wird sich auf die Kombination christlicher und nordischer Symbolik beschränkt. Diesbezüglich wird in den meisten Fällen auf den großen Jellingstein (Abb. 120) verwiesen. In Form einer Christusdarstellung findet sich hier ein im Norden neues Motiv, eingebunden in die bereits im Borrestil verwendeten Schlaufen. Es fanden folglich, mit fortschreitender Christianisierung, zunehmend christliche Inhalte Eingang in die skandinavische Bildkunst[115].

Ein weiteres Beispiel hierfür ist das im 11. Jahrhundert bei Dynna, im norwegischen Hadeland, aufgestellte Dynnamonument, (Abb. 121) auf welchem das Motiv der Anbetung importiert worden ist. Der Stil des Monuments ist skandinavisch und hat die Ikonographie in hohem Maße beeinflusst. Es handelt sich um eine gemischte Komposition horizontaler und vertikaler Bildelemente und Motive in verschiedenen Größen. Ein in westeuropäischen Anbetungsdarstellungen vom 6. bis zum 12. Jahrhundert bekanntes Motiv war das Horn, welches einer der zwei dargestellten Könige bei sich trägt.

Abgebildet sind außerdem drei Reiter, die als die heiligen drei Könige tituliert werden, wie sie Maria im Stall, mit der Krippe in der Mitte, Geschenke darbringen[116].

[...]


[1] Fuglesang 1992, 176.

[2] Kleingärtner 2008, 277-278.

[3] Fuglesang 1992, 176-177.

[4] Kleingärtner 2008, 278.

[5] Maixner 2010, 78.

[6] Von Jenny 1943, 59.

[7] Meehan 2001, 37.

[8] Meehan 2001, 31.

[9] Maixner 2010, 78.

[10] Meehan 2001, 32.

[11] Maixner 2010, 78-79.

[12] Meehan 2001, 39.

[13] Maixner 2010, 80.

[14] Müller-Wille 2001, 218.

[15] Van Scheltema 1929, 8.

[16] Maixner 2010, 80.

[17] Van Scheltema 1929, 8-16.

[18] Ebd 34.

[19] Müller-Wille 2001, 218.

[20] Van Scheltema 1929, 56.

[21] Åberg 1913, 95-96.

[22] Van Scheltema 1929, 56.

[23] Maixner 2004, 20.

[24] Müller-Wille 2001, 223.

[25] Åberg 1913, 97-98.

[26] Sjøvold 1958, 35-39.

[27] Müller-Wille 2001, 218.

[28] Åberg 1913, 93.

[29] Van Scheltema 1929, 61-62.

[30] Müller-Wille 2001, 218.

[31] Von Jenny 1943, 60.

[32] Åberg 1913, 100-101.

[33] Maixner 2004, 20.

[34] Maixner 2010, 81.

[35] Wilson 2001, 150.

[36] Müller-Wille 1986, 163.

[37] Maixner 2010, 81.

[38] Müller-Wille 1986, 153-154.

[39] Maixner 2010, 81.

[40] Fuglesang 1992, 176-178.

[41] Müller-Wille 1986, 157-164.

[42] Maixner 2010, 82.

[43] Maixner 2004, 24.

[44] Meehan 2001, 58.

[45] Müller-Wille 1986, 165.

[46] Åberg 1913, 105-106.

[47] Maixner 2004, 24-25.

[48] Müller-Wille 1986, 165-174.

[49] Maixner 2004, 26.

[50] Maixner 2010, 83.

[51] Müller-Wille 2001, 237.

[52] Westphal 2004, 391-392

[53] Fuglesang 1986, 184-185.

[54] Page 1992, 164-165.

[55] Fuglesang 1992, 179.

[56] Maixner 2010, 84.

[57] Lemm 2012, 33.

[58] Westphal 2004, 389.

[59] Meehan 2001, 101.

[60] Westphal 2004, 389-391.

[61] Ebd 400-401.

[62] Maixner 2010, 85.

[63] Westphal 2004, 393.

[64] Fuglesang 1992, 179.

[65] Valebrokk/Thiis-Evensen 1994, 19-21.

[66] Maixner 2010, 85.

[67] Meehan 2001, 126-129.

[68] Von Jenny 1943, 61.

[69] Westphal 2004, 393-394.

[70] Fuglesang 1992, 179.

[71] Westphal 2004, 393.

[72] Maixner 2010, 85.

[73] Fuglesang 1992, 180-182.

[74] Von Jenny 1943, 62.

[75] Fuchs 1972, 559-564.

[76] Cetto 1974, 3-4.

[77] Land/Pandel 2009, 38.

[78] Ebd 38-39.

[79] Roth 1986, 135.

[80] Åberg 1913, 57-60.

[81] Roth 1986, 136.

[82] Haseloff 1986, 81-83.

[83] Roth 1986, 136.

[84] Haseloff 1986, 89.

[85] Åberg 1913, 64.

[86] Roth 1986, 136.

[87] Åberg 1913, 66.

[88] Haseloff 1986, 86.

[89] Åberg 1913, 66-68.

[90] Roth 1986, 135.

[91] Haseloff 1986, 111-112.

[92] Åberg 1913, 72- 89.

[93] Von Jenny, 1943, 58.

[94] Von Jenny 1943, 58-59.

[95] Åberg 1913, 91.

[96] Struve 1973, 27-28.

[97] Thålin 1973, 24.

[98] Åberg 1913, 92.

[99] Jansson 1973, 25.

[100] Kleingärtner 2008, 283.

[101] Forssman 1972, 372.

[102] Capelle 1986, 147-148.

[103] Maixner 2010, 79.

[104] Sander 2008, 145.

[105] Sander 2008, 28-30.

[106] Ebd 31-32.

[107] Ebd 69.

[108] Maixner 2010, 79.

[109] Sander 2008, 73-75.

[110] Ebd 72.

[111] Ebd 76-77.

[112] Wilson 2001, 144.

[113] Sander 2008, 78-79.

[114] Maixner 2010, 86-87.

[115] Lemm 2012, 34.

[116] Fuglesang 1986, 186.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Erscheinungsjahr
2013
ISBN (PDF)
9783958206922
ISBN (Paperback)
9783958201927
Dateigröße
34 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1
Schlagworte
Tierornamentik Kunststil Wikingerzeit Schiff Stabkirche Runenmonument

Autor

Nathalie Peter wurde 1990 in Nürnberg geboren. Ihr Studium der archäologischen Wissenschaften schloss die Autorin im Jahre 2013 mit dem akademischen Grad der Magistra Artium erfolgreich ab. Bereits während des Studiums sammelte die Autorin umfassende praktische Erfahrungen in der mittelalterlichen- und neuzeitlichen Forschung. Die Faszination und der Wille, diese in den meisten Fällen falsch eingeschätzte Bevölkerung, in einem anderen Licht dastehen zu lassen, motivierte die Autorin sich mit der Thematik des vorliegenden Buches zu befassen.
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Titel: Kunsthandwerk der Wikinger
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