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Kulturelle Vielfalt im Alter: Sind Einrichtungen in Deutschland vorbereitet?

©2013 Bachelorarbeit 62 Seiten

Zusammenfassung

Interkulturelle Kompetenz und interkulturelle Öffnung von sozialen Diensten sind inzwischen zu relevanten Themen in der Sozialen Arbeit angewachsen. Diese beziehen sich allerdings größtenteils auf Kinder, Jugendliche, junge Erwachsenen und allenfalls auf Erwachsene im erwerbstätigen Alter. Die Zielgruppe, die scheinbar unbeachtet bleibt, sind Senioren mit Migrationshintergrund.
In dieser Arbeit werden die Bedürfnisse älterer Migranten in Deutschland behandelt. Dies geschieht mithilfe der Ansätze der Interkulturellen Kompetenz, der Transkulturellen Pflege und der Kultursensiblen Sterbebegleitung. In diesem Zusammenhang wurden Experteninterviews geführt, in denen Leitungspersonen von Alteneinrichtungen nach ihrer Vorstellung und der Umsetzung dieser Ansätze befragt wurden.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


3.3 Erwerb Interkulturelle Kompetenz

Es gibt nach Freise viele Möglichkeiten Interkulturelle Kompetenz zu erwerben. Zum einen sind dies speziell für diesen Zweck organisierte Seminare. In diesen wird Interkulturelle Kompetenz trainiert und geübt, das kann beispielsweise mit Rollenspielen geschehen. Des Weiteren bietet es sich an, an internationalen Begegnungen und internationalem Austausch teilzunehmen. Begünstigend für den Erwerb wirken Auslandsaufenthalte (Freise 2005, S. 158f). Waters betont die Notwendigkeit von Austausch in Seminaren zur interkulturellen Kompetenz. Im optimalen Fall besteht ein solches Seminar aus Teilnehmern von Mehrheits- und Minderheitskultur, wobei die Gruppenarbeit im Vordergrund stehen sollte. Mehrheits- & Minderheitskultur bedeutet, dass Einheimische und Migranten an diesem Seminar teilnehmen. Dadurch besteht die Möglichkeit, den Umgang mit verschiedenen Standpunkten zu erlernen und diese zu berücksichtigen. Weiterhin werden verschiedene Kommunikationsformen der unterschiedlichen Kulturen erlernt bzw. werden die Teilnehmer darauf sensibilisiert. In diesem Konzept zur Aneignung von Interkultureller Kompetenz, geht es somit nicht nur um pure Wissensaneignung, sondern vielmehr auch darum, seine sozialen Kompetenzen auszubauen (vgl. Waters 1990, S. 369f).

Gröschke geht zwar davon aus, dass man sich Interkulturelle Kompetenz aneignen kann, allerdings ist dieses Aneignen als immer fortschreitender und nie endender Lernprozess anzusehen, der sich durchaus einmal zeitweise anhalten könnte.

Dabei werden von ihm zwei Entwicklungsansätze genannt. Der eigenschaftsorientierte Ansatz stützt sich darauf die kognitive, affektive und konative Ebene zu verknüpfen. In der kognitiven Ebene sollen den Lernenden die fremdkulturellen sowohl auch die eigenen kulturellen Einordnungsprozesse und die Wahrnehmung klar werden.

Die affektive Ebene will ein Interesse bei den Lernenden wecken. Um die eigenen Handlungen in Bezug auf die Interkulturalität zu erweitern, setzt die Verhaltensebene an (Gröschke 2009, S. 45–48).

3.4 Interkulturelle Kompetenz in der Sozialen Arbeit

Interkulturelle Kompetenz in der Sozialen Arbeit kann nach Freise keinem bestimmten Handlungsbereich zugeordnet werden, weil Interkulturelle Kompetenz generell in jedem Bereich notwendig ist. Man kommt in der Sozialen Arbeit immer in die Situation, mit Menschen mit einem anderen kulturellen Hintergrund zu arbeiten (Freise 2005, S. 19).

Ein oft bestehendes Problem ist hierbei, dass es sogar spezielle Dienste für Migranten gibt, diese allerdings nur für die typischen Probleme, die nur Migranten betreffen, bestehen. Diese Dienste haben dann keine Kapazitäten und Kenntnisse was das komplette vielfältige Feld der Sozialen Arbeit betrifft. Bei anderen Problemlagen wird auf Regeldienste verwiesen, die aber nach Freise meist nicht auf Migranten vorbereitet sind (Freise 2005, S. 107).

Nach Hinz-Rommel herrscht eine Isolierung zwischen Interkulturelle Öffnung und interkultureller Kompetenz, alle Einrichtungen die nicht sowieso schwerpunktmäßig mit Ausländern konfrontiert sind, bleiben außen vor. Um dies zu lösen, wird darauf vertraut, im Falle von der Notwendigkeit, auf spezielle Dienste zu verweisen, oder sich konkret an diese zu wenden, was allerdings eher zu einer weiteren Abspaltung führt. Dadurch wird nur noch unterstützt, dass in Einrichtungen keine interkulturelle Kompetenz vorhanden ist (vgl. Hinz-Rommel 1995, S. 14).

Mecheril geht konkret darauf ein, was Interkulturelles Handeln im Allgemeinen in der Sozialen Arbeit bedeutet und kommt dabei zu dem Schluss, dass in der Regel eine, der Mehrheitsgesellschaft angehörende, in professioneller Funktion tätige, Person mit Klienten arbeitet, die einer Minderheit in der kulturellen Gesellschaft gehören. Als Beispiel wird hier eine Beratungsstelle genannt, die von deutschen Mitarbeitern geführt wird und von einer Person mit anderem kulturellen Hintergrund aufgesucht wird.

Es wird kritisiert, dass sich Angebote einer Schulung für interkulturelle Kompetenz nur an Angehörige der Mehrheitsgesellschaft richten, und auch interkulturelle Arbeit von Menschen der kulturellen Minderheit nicht anerkannt wird. Mercheril führt dazu zwei Überlegungen an, warum dies der Fall ist. Auf der einen Seite könnte es sein, dass es für unsere Gesellschaft immer noch abwegig sein könnte, dass jemand, der als Einwanderer selbst Hilfe benötigt hat, inzwischen ein Professionell Handelnder geworden sein könnte. Der zweite Grund für fehlende Schulungsangebote für Migranten, könnte auch die Annahme sein, dass diese Menschen bereits über Interkulturelle Kompetenz besitzen. Da diese ohnehin in einem interkulturellen Umfeld aufgewachsen und hineingewachsen sind, wird erwartet, dass sie sich von selbst Interkulturelle Kompetenz angeeignet haben. Hierbei muss aber natürlich beachtet werden, dass dies zwar wertvolle Erfahrungen mit der Herausbildung derartiger Kompetenzen sein können, dass es allerdings beim Herausbilden einer Professionalisierung nicht nur um persönliche Erfahrungen gehen kann (Mecheril 2008, S. 16-19).

Nach Leenen, Wolf und Rainer wurde erkannt, dass ein großer Bedarf für interkulturelle Öffnung für soziale Organisationen besteht. Allerdings wird dies oft als nicht näher bestimmte Forderung definiert, was eine Umsetzung erschwert und keine Überprüfung zulässt. Das Ziel der interkulturellen Öffnung kann nur mithilfe einer gut geplanten Personalentwicklung funktionieren. Es ist notwendig, dass ein Unternehmen als Ganzes und in den einzelnen Bereichen des Unternehmens analysiert wird, wo Bedarf besteht und wo so gearbeitet wird, dass fremde Kulturen ausgegrenzt werden. Nach Veränderungen, die anschließend vorgenommen werden müssen, muss anschließend auch reflektiert werden, ob die gewünschten Maßnahmen das gewünschte Ziel erreicht haben. Das neue Wissen muss auch weiterentwickelt und weitergegeben werden, dies kann mithilfe regelmäßiger Teambesprechungen oder kollegialen Fallbesprechungen geschehen (Leenen Wolf Rainer et al. 2008, S. 114ff).

Auch Hinz-Rommel weist darauf hin, dass vor allem Ziele festgelegt werden müssen, um die Umsetzung von interkultureller Kompetenz zu ermöglichen, ein offenes Leitbild bringt hierbei wenig Hilfe. Vielmehr müssen eindeutig feststellbare Messgrößen entstehen, um diese auch überprüfen zu können. Diese Überprüfung erfordert weiterhin ein Qualitätsmanagement (vgl. Hinz-Rommel 1998, S. 15).

Freise stellt als besonders vernachlässigten Bereich der Interkulturellen Sozialen Arbeit den Altenbereich an. Es trifft die Einrichtungen scheinbar unterwartet, dass viele Migranten wider eigener Erwartungen aus verschiedenen Gründen in Deutschland geblieben sind und hier auf das Alter zugehen (Freise 2005, S. 19f).

Von Migranten wird in Deutschland Integration verlangt, wobei dies selten definiert oder konkret zu fassen ist und eher mit Assimilation verwechselt wird. Diese Anforderungen setzen sich weiter fort und machen auch im Alter nicht Halt. Es werden Anforderungen von den Alteneinrichtungen an die älteren Migranten gestellt, die nach Zeman nicht immer erfüllt werden können (Zeman 2002, S. 9).

Außerdem besteht die Erklärungsmöglichkeit, dass der Bedarf bei Migranten nicht so hoch eingestuft wird, so wurde im Experteninterview mit einem Heimleiter in Regensburg erwähnt:

„Man hat eigentlich im Pflegeheim, weniger jetzt so, Ausländer. Meistens wären es jetzt so Türken oder Moslems, also, ich mein jetzt, die jetzt eine andere Kultur haben. Also wenn Sie jetzt einen Polen haben, das ist ja dann wie ein Deutscher. Und, man hat ja, aus westlichen Ländern keine Alten, sagen wir mal, wenn dann aus osteuropäischen Ländern, die Aussiedler, praktisch. Das sind ja die Klassischen, die jetzt alt werden. Die so in den 90er Jahren gekommen sind, mit 50, 60 und jetzt dann.. Aber da gibt es ja nicht,.. Das sind ja Deutsche, diese Aussiedler. Da gibt es ja nicht so große Besonderheiten. Außer die bei jedem Menschen sind. Und so Türken.. Wir haben auch schon mal einen Türken gehabt, einen jüngeren sogar. Aber der war jetzt, sagen wir mal, einkultiviert. Da war da jetzt nichts Spezielles dann.“ (Exp. 2, S. 1)

4 Ältere Migranten in Deutschland

Im Kapitel ältere Migranten in Deutschland muss vorweggenommen werden, dass die Neigung besteht in diesem Bereich eine Vermischung von Begrifflichkeiten vorzunehmen. So wird auch vom Bundesministerium für Familien, Senioren und Frauen und Jugend bemerkt: „Die zunehmende Komplexität der Migrantenbevölkerung wird auch durch die Vielfalt der Termini deutlich. Angefangen vom antiquiert und euphemistisch klingenden „Gastarbeiter“ bis zum allumfassenden Begriff „Personen mit Migrationshintergrund“ werden die Benennungen „Ausländer“, „Migrant“, „Einwanderer“, „Personen ausländischer Herkunft“, „ausländische Mitbürger“, sowie „erste und nachfolgende Migrantengenerationen“ sorglos vermengt, obwohl es sich dabei stets um eine andere Grundgesamtheit handelt.“ (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2005, S. 398)

Daher sei hier gesagt, dass im Folgenden der Begriff Migrant verwendet wird, ohne dass dies einen Zusammenhang mit dem Aufenthaltsstatus hat.

Allerdings bestehen nach Angaben des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend nur verlässliche statistische Angaben über Menschen mit ausländischer Staatsbürgerschaft, da diese vom Ausländerzentralregister erfasst werden. Die Datenlage, außerhalb dieser sehr eingegrenzten Gruppe, gestaltet sich ansonsten schwierig. Sie lässt kaum zu, die Wirklichkeit und Entwicklungen abzubilden. Außerdem ist die Datenlage innerhalb der verschiedenen Herkunftsländer ungleich verteilt und bei einigen wenigen bestehen mehr Kenntnisse als bei den anderen. Außerdem fehlen Daten von illegal Lebenden in Deutschland (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2005, S. 398ff).

Wenn man explizit, wie Zeman, den Zeitraum von 1950 bis 1997 betrachten will, kann man erkennen, dass hier ungefähr 30 Mio. Zuwanderungen und 21 Mio. Abwanderung in Deutschland stattfanden. Zu den Zuwanderern gehörten 25 Mio. Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit, unter den Abgewanderten waren dies 17 Mio (Zeman 2002, S. 1).

Zeman geht aufgrund von Berechnungen des Bundesinnenministeriums davon aus, dass Ausländer über 60 Jahren eine immer größere Rolle in unserer Gesellschaft einnehmen werden. Er vermutet, ausgehend von 525000 ausländischen Menschen über 60 Jahre im Jahr 1999, dass sich deren Anzahl bis 2020 verdoppeln und bis 2030 dreimal so hoch sein wird. Dies würde bedeuten, dass diese Bevölkerungsgruppe im Jahre 2050 34 % der deutschen Gesamtbevölkerung einnehmen würde (Zeman 2002, S. 1–2).

Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend veröffentlicht 2005 die Zahl von 1,6 Mio. Ausländer über 50 Jahre, wobei, wie oben erwähnt, hier nur Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit erfasst werden, und viele Migranten, die sich in einer gleichen oder ähnlichen Situation befinden, hierbei ausgeschlossen sind (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2005, S. 402).

Umso erfreulicher ist es, wenn diese Erkenntnis auch in sozialen Einrichtungen bemerkt wird, so wurde beim Erwähnen der 1,6 Mio Ausländer über 50 Jahre in einem Experteninterview mit einer Altenheimleitung Einwände erhoben. Diese Heimleitung kritisiert, dass es viel mehr ältere Migranten gibt, die auch besondere Hilfe brauchen:

„Ja, wie gesagt, bei der Definition, bei der Zahl die Sie genannt haben, bin ich – ich hab Sie vor dem Interview schon darauf hingewiesen, denk ich, muss man bisschen auf die Definition „Migrationshintergrund“ schauen. Wir haben, gerade wenn man bedenkt, dass nach dem Krieg eine große Migrationswelle war, schon Menschen mit Migrationshintergrund, die, langfristig vorbei ist, oder langfristig her ist, und auf die man auch Obacht geben muss. Und gerade wenn man bedenkt, demenzielle Erkrankungen, da lässt kognitives Gedächtnis nach, und kognitive Leistungen, dann kommt so was schon wieder in den Vordergrund. Da muss man auch darauf eingegangen werden, und sowas darf eigentlich nicht vergessen werden. Von daher, ist die Zahl vielleicht etwas knapp bemessen, die Sie genannt haben.“ (Exp. 1, S. 2)

Im Gegensatz dazu steht die Erkenntnis nach Munzinger und Risel, dass in München nur 5 % der Altenheimbewohner einen Migrationshintergrund haben, da die hohe Einwohnerzahl von Migranten von den Alteneinrichtungen anscheinend noch nicht erkannt wurde. Die Einrichtungen wiederum reagieren darauf, dass es keine Nachfrage von dieser Bevölkerungsgruppe gäbe. Wiederum Migranten beklagen, dass zu wenig auf ihre Bedürfnisse eingegangen wird (Munzinger Risel 2013).

Nicht nur die Anzahl der älteren Migranten bleibt in sozialen Einrichtungen oft unerkannt, sondern auch wo sich diese aufhalten. In einem Interview mit einer Heimleitung in Regensburg mit Hinweis auf diese Zahlen entsteht der Eindruck, dass sich ältere Migranten nur in bestimmten Städten befinden:

„Wir merken das ja hier nicht, wissen Sie wo die alle sind? [..] In Berlin! Also in Großstädten so mehr. [..] Wir merken das jetzt eigentlich nicht so, nein. [..] Auch in Anfragen.. Ne. Merkt man auch nicht. Kaum. Aber ich glaub, das ist mehr so auf Großstädte bezogen. Gerade… Regensburg ist in dem Sinne ja eher eine Provinz, so eigentlich. […] Das sehen Sie ja eigentlich in Regensburg... Also die haben schon irgendwo ihre Moschee da unten… Aber in Regensburg ist ja das Stadtbild gar nicht so geprägt. Gehen Sie mal nach Berlin nach Kreuzberg, dann! Und hier in Regensburg.. Sehen Sie mal... Ab und zu sieht man schon, geh? Aber… Da haben wir selten mit zu tun. (Exp. 2, S. 3)

Nach Özcan und Seifert stammt die Hälfte der in Deutschland lebenden Migranten aus Ländern, in denen aufgrund des Arbeitskräftemangels für Deutschland geworben wurde. Dazu gehören Italien, Griechenland, Türkei, Spanien, Portugal und das ehemalige Jugoslawien. In der Planung dieser Maßnahme, die mithilfe von Anwerbeverträgen durchgeführt wurde, wurde allerdings nicht bedacht, dass die sogenannten "Gastarbeiter" ihren Aufenthalt dauerhaft nach Deutschland verlagern könnten. Spätestens mit dem gesetzlich zugesicherten Familiennachzug manifestierte sich immer mehr, dass diese auch bis zum Rentenalter und auch danach in Deutschland bleiben würden. Nachdem 1937 der Anwerbestopp beschlossen wurde, beginnt spätestens jetzt die Zeit in dem Gastarbeiter auch das Rentenalter erreichen und ihren Ruhestand auch in Deutschland verbringen möchten (Özcan Seifert 2006, S. 14ff).

Zu dem Zeitpunkt, als die Arbeitsmigration aus den verschiedenen Mittelmeerstaaten nach Westeuropa begann, rechnete niemand damit, dass tatsächlich eine so große Anzahl in Deutschland bleiben würde. Auch die Gastarbeiter selbst sahen in der Beschäftigung lediglich eine gute Möglichkeit Geld zu verdienen und dieses dann im Heimatland nutzen zu können. Die Rückkehr wurde allerdings von vielen immer wieder verschoben, letztendlich bis ins Rentenalter (Kauth-Kokshoorn 1998, S. 17f).

Der größte Teil der Migranten in Deutschland wird von Gastarbeitern und deren Familien gebildet. Eine weitere Gruppe stellen Flüchtlinge und Asylbewerber dar, die teilweise schon vor 30 Jahren nach Deutschland gekommen sind. Oft werden die Menschen außer Acht gelesen, die innerhalb des 2. Weltkrieges als Kriegsgefangene nach Deutschland gekommen sind. Zusätzlich wohnen noch Migranten aus west- und nordeuropäischen Staaten in Deutschland, welche in angrenzenden Bundländern leben. Weiterhin gibt es auch noch Migranten aus Nordamerika und Großbritannien, bei denen es sich oft um stationierte ausländische Streitkräfte handelt, die nach ihrer Dienstzeit nicht ihn ihr Heimatland zurückgegangen sind. (Kauth-Kokshoorn 1998, S. 19).

Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend weist allerdings darauf hin, dass die Heterogenität dieser Gruppen nicht nur auf die Herkunft der Migranten begründet liegt. Auch zu beachten sind die jeweilige Aufenthaltsdauer, die Beweggründe nach Deutschland zu kommen, religiöse Ansichten, und auch ethische Hintergründe (Bundesministerium für Familie, Senioren Frauen und Jugend 2005, S. 391).

4.1 Bezug zur Heimat

Während sich Wanderarbeiter an der Kultur ihrer Herkunft orientieren, beginnt nach Tan, anschließend die Orientierung an der erlebten Kultur, was sich letztendlich zu einem Blickfeld von beiden Kulturen entwickelt. Weiterhin verschiebt sich der Rückkehrwunsch immer weiter in die Zukunft, vieles was anschließend wieder im Heimatland verwirklicht werden sollte, wird im Einwanderungsland verwirklicht. Dabei ist davon auszugehen, dass der Rückkehrwunsch zwar weiterhin besteht, aber die konkrete Umsetzung und Planung nicht stattfindet. Hierbei wird von einer "Rückkehrillusion" gesprochen (Tan 1998, S. 78f).

Kauth-Kokshoorn nennt das Phänomen des "Zurückfallens in die Ethnizität" und beschreibt dieses als Phänomen, dass bei jedem älteren Menschen jeglicher Herkunft zu beobachten ist. Das Zurückfallen in die Ethnizität beinhaltet das Zurückbesinnen auf die eigenen "primären Sozialisationsgradienten", welche sich durch die früheren Traditionen und Bräuche der ursprünglichen Heimat begründen. Die Heimat wird eher idealisiert, und die Veränderungen, die sich seit dem Verlassen des Landes ereignet haben, außer Acht gelassen (Kauth-Kokshoorn 1998, S. 16).

Schmidt stellt in einem Online-Artikel ein oft vorkommendes Beispiel vor. Hierbei geht es um einen türkischen Mann, der eigentlich genug gespart gehabt hätte um seine Ursprungsträume in der Türkei zu verwirklichen. Dadurch, dass die Kinder noch zur Schule gingen und er diese nicht aus ihrer gewohnten Umgebung reißen wollte, hat er den passenden Zeitpunkt einer Ausreise verpasst. Im Nachhinein sieht er dies als großen Fehler, denn er macht die harte Arbeit in Deutschland dafür verantwortlich, dass er körperlich schwer angeschlagen ist (Schmidt 2006).

Der Wunsch in das Heimatland zurückzukehren, gilt auch nach dem Rentenalter. In einer sozial-empirischen Studie, die 1998 in Hamburg mit 1292 Befragten durchgeführt wurde, gaben die meisten der Interviewpartner an, am liebsten in der Heimat beerdigt zu werden. Dies waren 83,3 % der Befragten, die sich aus Türken (95 % für die Bestattung in der Heimat), aus Jugoslawen (91 %), Italiener (77,2 %), Polen (52,2 %) und Iraner (47,4 %) zusammensetzen (Kauth-Kokshoorn 1998, S. 65).

4.2 Spezielle Bedürfnisse dieser Zielgruppe

Wenn es um Integration von Menschen mit Migrationshintergrund geht, richtet sich diese, nach Zeman, zum großen Teil an Jugendliche und Menschen im jungen Alter. Dies hat zur Folge, dass der steigende Bedarf, der sich im altenpolitischen Bereich zeigt, übersehen wird. Dies zieht mit sich, dass vermeidbare Integrationsbarrieren für Senioren mit Migrationshintergrund entstehen, und somit eine In-Anspruchnahme von sozialen Diensten von diesem Klientel verhindert wird. (Zeman 2002, S. 2)

Da in Deutschland Menschen mit vielen kulturellen Hintergründen leben, die Angebote aus dem sozialen Sektor brauchen, ist es eine absolute Notwendigkeit die Frage zu stellen, wie man optimal auf deren Bedürfnisse eingehen kann. (Seibold 2005, S. 691)

Während in der Altenpolitik ältere Migranten zu einer neuen Zielgruppe aufsteigen, werden diese, nach Zeman, in der eigentlichen Praxis der Altenhilfe noch wenig bemerkt. Diese Zielgruppe wird eher unterschätzt oder auch ignoriert. Fachliche Personen, die das Thema mehr in den Vordergrund rücken wollen, stehen vor dem Problem, dabei nicht nur die Defizite herauszustellen und eine Stigmatisierung zu verursachen. Sondern auch wenn derartige Forderungen durchaus berechtigt sind, muss dabei beachtet werden, dass keine Klientelisierung entsteht. Denn abgesehen von einem Migrationshintergrund herrscht eine große Heterogenität und diese individuellen Unterschiede sollten nicht vereinheitlicht werden. Die kulturellen Eigenheiten sind sehr verschieden und nicht zu vergessen sind auch Charaktereigenschaften und ganz eigene persönliche Bedürfnisse (Zeman 2002, S. 13).

Dass ältere Migranten in Alteneinrichtungen als spezielles Thema oft ignoriert werden, bestätigt auch eine Heimleitung aus Regensburg im Interview:

„Entscheidend ist, dass er eine Pflegestufe hat und dass er zahlen kann, oder dass die Finanzierung gewährleistet ist. Und dass eine gewisse... also dass er keine infektiöse Krankheiten hat, er also nicht ansteckend ist, also keine Ausschlusskriterien. Von daher ist mir dann egal, wer kommt, und dann muss man immer noch jeden Einzelnen individuell sehen. Und ich seh das jetzt nicht so kulturell. Ob das jetzt ein Türke ist, oder ich mein… Wir haben jetzt schon ab und zu schon so Türkische gehabt, die auch gar nicht... Jetzt haben wir gerade auch eine, die ist aus, schon länger, aus ja mehr so dem Ziegeuner-Milieu, so aus Tschechien, die jetzt eigentlich kein Deutsch versteht, oder selber auch nicht, fast kein Deutsch spricht, na gut, sie hat halt eine Tochter, die Deutsch spricht. Und da geht man auf sie individuell ein, wie man halt auf jeden anderen individuell eingeht dann. (Exp. 2, S. 2)

4.3 Wenige ältere Migranten in deutschen Alteneinrichtung

Es entsteht nach Kauth-Kokshoorn der Eindruck, dass der Großteil der Migranten aus ländlich traditionell geprägten Regionen kommt, was zur Folge hat, dass sich deren traditionell orientiertes Wertesystem oft am deutschen Wertesystem stößt. Dies beginnt bereits damit, dass in Deutschland dem Alter nicht in dem Maße Respekt entgegengebracht wird, wie es in der Heimat der Migranten normal gewesen wäre. Auch in der engen Familie haben die Kinder und Enkelkinder meist in größerem Umfang die deutsche Kultur übernommen, was oft im Gegensatz dazu steht, die Eltern zuhause zu versorgen und zu pflegen. Während im Heimatland meist keine professionellen Institutionen zur Altenhilfe und Altenpflege bereit stehen, schaffen es die Menschen in Deutschland, aufgrund der äußeren Umstände, kaum die Angehörigen angemessen zuhause zu versorgen.

Ein Generationenkonflikt entsteht auch dadurch, dass sie die Rolle als Familienoberhaupt, die sie angenommen haben im Alter zu besetzen, den Älteren in Deutschland nicht zugestanden wird. Die Familienangehörigen gehen nach Kauth-Kokshoorn auch ihre eigenen Wege und stellen sich auch notfalls gegen die Eltern (Kauth-Kokshoorn 1998, S. 16f).

Auch bei deutschen Senioren besteht der Wunsch, möglichst lange zuhause zu wohnen und dort von Familienangehörigen gepflegt zu werden. Generell besteht bei Senioren mit Migrationshintergrund nicht nur dieser Wunsch, sondern es bestehen besondere Zugangsschwierigkeiten zur Altenhilfe. Dies liegt zum einen daran, dass die Altenhilfe im Moment auf die besonderen Problemlagen nicht vorbereitet ist, und auf der anderen Seite die Migranten gar nicht über die Möglichkeiten der Angebote Bescheid wissen (Zeman 2002, S. 18f).

Kauth-Kokshoorn führt als einen Grund für das Fernbleiben von älteren Migranten von stationären Einrichtungen der Altenhilfe die Bekanntheit derartiger Einrichtungen an, will aber auch grundsätzlich nicht das Bedürfnis der Senioren vernachlässigen, die nicht in einem Altenheim wohnen wollen. Auch viele deutsche Senioren wollen nicht in einem Altenheim wohnen, doch der Anteil unter denjenigen mit Migrationshintergrund ist noch größer. In einer empirischen Forschung 1998 in Hamburg lehnten 58 % kategorisch ab in ein Altenheim zu ziehen (Kauth-Kokshoorn 1998, S. 123ff).

Auch Anderson stellt klar, dass viele Migranten durchaus angeben, dass sie Hilfe bei der Pflege ihrer Angehörigen bräuchten, aber ihnen schlichtweg das Wissen über die Versorgungsstruktur fehlt. Auch das Recht auf eine Finanzierung mithilfe des Pflegegeldes gibt es oft nicht, und wenn doch, wird darin meist eine Gefahr für den Aufenthaltsstatus gesehen (Anderson 2008, S. 70f).

Im Experteninterview mit einer Gründerin eines kultursensiblen ambulanten Pflegedienstes, berichtet auch diese von den Schwierigkeiten, überhaupt Kontakt aufzunehmen:

„Wie gesagt, das muss sich jetzt erst mal herumsprechen, dass es so einen Pflegedienst gibt, der sich auf so was spezialisiert, der sagt Okay, wir nehmen das in unsere Pflicht, und es muss allgemein erst von diesen Menschen akzeptiert werden, da die meisten ja doch im Familienverband gepflegt werden. Die kommen schlecht rein, in das Angebot, aber wenn sie dann erst mal den Fuß drin haben, und sie haben sich mit jemanden unterhalten, und sie kriegen das richtig erklärt... Aber es ist extrem schwer. Keine leichte Aufgabe, die man sich da auferlegt. Denn oftmals ist die Barriere ja schon gar kein Deutsch verstehen, und wenn ich jetzt kein Türkisch, Arabisch oder slawische oder wie auch immer spreche, dann brauche ich ja schon den jeweiligen Dolmetscher dazu. Und der muss dann erklären, wie läuft die Pflege ab, was ist möglich, was ist nicht möglich, und wenn sie das einmal richtig erklärt kriegen, dann sind sie auch bereit sich pflegen zu lassen.“ (Exp. 4, S. 1)

Innerhalb eines großen Angebotes generell, gibt es nur wenige die sich auf kultursensible Pflege spezialisiert haben. Diese sind oft bereits überfordert, durch den Andrang der daraus resultiert. Von den vielen anderen Altenpflegediensten wird eine Ausrichtung darauf wohl eher nicht als lukrativ angesehen, es wird auf eine Investition für besondere Fortbildungen etc. verzichtet. (Anderson 2008, S. 73)

Hierbei führt die Gründerin eines kultursensiblen Pflegedienstes allerdings eine leichte positive Entwicklung an:

„Fakt ist, dass das in Deutschland jetzt nicht mehr so eine Marktlücke ist, dass man sagen kann, also es ist noch eine Marktlücke sicherlich. Weil es noch nicht so viele machen. Aber es ist immer mehr verbreitet. Also es gibt in München hier im Raum, gibt es das schon, kultursensible Pflege, aber noch nicht so verbreitet. Und auch die Einrichtungen gehen mehr und mehr darauf ein. Also man merkt das an den Einrichtungen, die nehmen immer mehr Rücksicht darauf.“ (Exp. 4, S. 2)

Allerdings scheint nach Munzel und Risel diese Entwicklung noch zu langsam vorranzugehen und noch nicht bei den Migranten angekommen zu sein. Gerade in München Defizite aufgezeigten und gestützt durch Interviews kamen Vorwürfe, dass sich darum zu wenig gekümmert wird. Nach Munzel und Risel wird sich darauf verlassen, dass die Migranten ihren Lebensabend in der Heimat verbringen möchten (Munzel; Risel 2013).

Das bestätigt auch eine Aussage eines Interviewpartners, der keinen Bedarf an kultursensibler Pflege sieht:

„Gut, habe ich jetzt schon die, aber, das ist kein Thema mit dem man sich, beschäftigt, sag ich jetzt mal. Also das ist ein akademisches Thema. [..] Das ist in der Altenpflege in dem Sinne… also wie gesagt, jemand der jetzt vielleicht gerade ein Faible dafür hat, … Weil natürlich haben wir viele kultursensible Bereiche, gerade bei den Mitarbeitern dann. Aber dann würde ich es nicht als Kultursensible Pflege, dann ist das für mich ein Mitarbeiterbereich.“ (Exp. 2, S. 1)

Die kulturellen Unterschiede die im Altenheimalltag auftauchen können, sind vielfältig. Hierbei soll aber von Anfang an gesagt sein, dass diese Unterschiede zwar bestehen können, aber nicht müssen. Jeder Mensch lebt nicht nur seine Glaubensrichtung unterschiedlich aus, es ist weiterhin die Frage, in wie weit der ausländische Heimbewohner die deutsche Kultur bereits übernommen hat. Davon abgesehen muss auch im Hinterkopf behalten werden, dass Migranten, genauso wenig wie deutsche Heimbewohner, eine homogene Gruppe darstellen (Seibold 2005, S. 689).

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Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2013
ISBN (PDF)
9783958207134
ISBN (Paperback)
9783958202139
Dateigröße
1.5 MB
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
2,3
Schlagworte
Pflegealltag Pflege Sterbebegleitung transkulturelle Pflege Migrant

Autor

Julia Nefzger, B.A., wurde 1990 in Schrobenhausen geboren. Ihr Studium der Musik- und bewegungsorientierten Sozialen Arbeit wurde an der Technischen Hochschule 2013 abgeschlossen. Bereits während des Studiums durfte sie als Pflegediensthelferin und Praktikantin/ehrenamtliche Mitarbeiterin im Gerontopsychiatrischen Dienst umfassende praktische Erfahrungen sammeln. Seit 2013 (bis voraussichtlich 2015) absolviert sie den Master of Science in Gerontologie.
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