Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP): Auswirkungen auf die globale Handelsordnung
Zusammenfassung
Die Welthandelsorganisation steht nach jahrelangem Stillstand am Scheideweg. Denn zwischenstaatliche Freihandelsabkommen haben sich längst als ein sehr erfolgreiches Modell zur Förderung der Außenwirtschaft erwiesen und sind mittlerweile ein wichtiger Bestandteil der Außenhandelspolitik vieler Nationen. Folglich wird schon länger über die möglichen Wechselwirkungen zwischen der regionalen und der globalen Liberalisierung von Märkten debattiert. Jedoch gehen die Meinungen der Experten, ob die regionale Liberalisierung einen Baustein oder eher einen Stolperstein für eine globale Handelsordnung darstellt, weit auseinander. Die transatlantischen Integrationsbemühungen zwischen den USA und der EU heizen diese Diskussion aufgrund der nie da gewesenen Größenordnung zusätzlich an.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
B. Grundlagen des Freihandels
3 Theorien des internationalen Handels
Auf den folgenden Seiten wird die Entwicklung der Außenhandelstheorie anhand von drei populären ökonomischen Modellen aufgezeigt. Obwohl die Entstehung dieser Modelle auf die Zeit der klassischen bzw. neoklassischen Wirtschaftstheorien zurückgeht und die Komplexität des Welthandels in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen hat, sind sie noch immer die elementaren Bausteine, um ein grundlegendes Verständnis des internationalen Handels aufzubauen.[1] Anschließend sollen die daraus resultierenden Wohlfahrtseffekte beleuchtet werden.
3.1 Absoluter Kostenvorteil
Mit seinem Modell des absoluten Kostenvorteils legte der schottische Nationalökonom Adam Smith 1776 im Rahmen der Veröffentlichung seines Hauptwerkes „ An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations “ den Grundstein der klassischen Außenhandelstheorie. Seine Überlegungen richteten sich gegen das zu jener Zeit überwiegend praktizierte wirtschaftliche Konzept des Merkantilismus, das in erster Linie auf Exportüberschüsse abzielte. Dieses Konzept ließ Staaten auf der einen Seite Exporte aktiv fördern, auf der anderen Seite versuchten sie den inländischen Markt jedoch mittels Einfuhrzöllen vor Importen zu schützen.
Smith‘ Theorie thematisiert somit erstmals, dass durch internationale Arbeitsteilung, sprich Außenhandel, jedes beteiligte Land enorm profitieren könne. Hierfür müsse sich jedes Land in der Produktion genau auf die Güter spezialisieren, die es absolut kostengünstiger als die Handelspartner herstellen kann. Diese könne man, vereinfacht dargestellt, im Gegenzug gegen ausländische Produkte eintauschen, welche aufgrund von absoluten Kostennachteilen im Inland nicht mehr produziert würden.[2]
Ein absoluter Kostenvorteil kann verschiedene Ursprünge haben: Er entsteht beispielsweise durch höhere Arbeitsproduktivität (z.B. durch umfangreiche Erfahrungen und spezielle Fähigkeiten), aber auch durch bessere Ausstattung mit eigenen Produktionsfaktoren sowie die Größenvorteile einzelner Produktionen.[3]
3.2 Komparativer Kostenvorteil
Doch inwieweit kann ein Land sich am Außenhandel beteiligen, das aufgrund von niedriger Arbeitsproduktivität und/oder geringer Faktorausstattung in allen Belangen einen absoluten Kostennachteil aufweist?
Auf Basis dieser Problemstellung hat der englische Ökonom David Ricardo im Rahmen seines Klassikers „The Principles of Political Economy and Taxation“ (1817) eine Erweiterung der Theorie Smith‘ entwickelt: den sogenannten komparativen Kostenvorteil.
Ricardo bezieht sich in seinem Modell ausschließlich auf den Produktionsfaktor Arbeit, d.h. auf die unterschiedliche Arbeitsproduktivität der beteiligten Länder. Anders als der absolute, ergibt sich der komparative Kostenvorteil eines Gutes aus den Opportunitätskosten. Ein Land sollte sich demnach auf das Produkt beschränken, bei dem es die niedrigsten Opportunitätskosten aufweist. Anhand dieser Kosten lassen sich für die Produktion verschiedener Güter Arbeitskoeffizienten errechnen, welche die relative Produktivität ausdrücken.[4] Das heißt, auch wenn ein Land über einen absoluten Vorteil bei der Produktion sämtlicher Güter verfügt, sollte es sich dennoch auf die Güter mit der relativ höchsten Produktivität, sprich dem größten komparativen Kostenvorteil, konzentrieren. So wird der Produktionsfaktor Arbeit am effizientesten genutzt.[5]
3.3 Faktorproportionentheorie
Um den Außenhandel noch realistischer betrachten zu können, beleuchteten die beiden schwedischen Ökonomen Eli Heckscher und Bertil Ohlin Anfang des 19. Jahrhunderts in ihrer weit verbreiteten Faktorproportionentheorie neben der Arbeitsproduktivität auch Produktionsfaktoren wie Land, Kapital und Boden.[6]
Sie stellten die These auf, dass auch bei international identischer Arbeitsproduktivität komparative Kostenunterschiede vorhanden seien. Dies sei das Resultat der unterschiedlichen Faktorausstattung, genauer gesagt des Zusammenhangs zwischen den verfügbaren Ressourcen und dem technologischen Entwicklungsstand der jeweiligen Länder. Betrachtet man also die vorhandenen Produktionsfaktoren eines Staates, werden ein oder evtl. mehrere Faktoren relativ gesehen überwiegen. Ist ein Land also mit einem Faktor relativ gut ausgestattet, sollte es sich auf die Güter konzentrieren, für deren Produktion der entsprechende Faktor besonders intensiv Verwendung findet.
Beispielsweise ist Thailand mit relativ mehr Arbeit als Kapital ausgestattet, während es sich im Falle Deutschlands genau umgekehrt verhält. Infolgedessen wäre es sinnvoll, wenn Thailand sich auf arbeitsintensive Güter wie Textilien spezialisiert, wohingegen Deutschland eher kapitalintensive Güterproduktionen wie z.B. die Automobilindustrie fokussieren sollte.[7]
3.4 Wohlfahrtseffekte des Außenhandels
Schon Smith hat seinerzeit erkannt, dass man durch internationale Arbeitsteilung einen Wohlfahrtseffekt hervorrufen kann, woraufhin Ricardo und Heckscher/Ohlin seine Ideen weiterentwickelten und so grundlegende Richtlinien für einen funktionierenden Außenhandel schufen.
Durch die spezielle Ausrichtung ihrer Güterherstellung können Länder mittels Massenproduktion ihre gegebenen Produktionsfaktoren effizienter nutzen und so ihre produzierte Gütermenge erhöhen, die sie wiederum zusätzlich auf den Märkten ihrer Handelspartner absetzen können. So wird ein internationaler Wettbewerb erzeugt, welcher die Produktivität steigert, den technischen Fortschritt beschleunigt und so die Preise senkt. Mit der dadurch wachsenden Kaufkraft geht für den Konsumenten eine Wohlfahrtssteigerung einher.[8]
Die oben angeführten erwarteten Effekte sind allerdings an eine wichtige Voraussetzung geknüpft. Für den reibungslosen Ablauf der internationalen Arbeitsteilung und den Anreiz grenzübergreifenden Handels ist es wichtig, dass bestehende Handelsbarrieren zwischen den beteiligten Ländern, gemäß des Freihandelsprinzips idealerweise komplett, aufgehoben werden. Denn Handelsbarrieren wie z.B. Einfuhrzölle oder Exportsubventionen verzerren die erzielten Preisvorteile bzw. -nachteile und somit den internationalen Wettbewerb.[9]
4 Definition von Freihandelsabkommen
Um dem idealisierten Zustand des Freihandels näherzukommen, basiert das heutige Welthandelssystem auf einem wachsenden Geflecht aus internationalen Verträgen, den sogenannten Freihandelsabkommen.[10]
Freihandelsabkommen sind völkerrechtliche Verträge, die einen ersten Schritt zur wirtschaftlichen Integration zwischen Handelspartnern darstellen. Je nachdem wie viele Länder sich am Abkommen beteiligen, spricht man von multilateraler bzw. regionaler Integration. Als multilaterale Integration bezeichnet man die weltweite Liberalisierung im Rahmen der WTO-Verhandlungen (s. Kapitel 6), während die regionale Integration eine präferenzielle Liberalisierung zwischen einzelnen Handelspartnern darstellt (s. Kapitel 7).[11]
Das Ziel dieser Abkommen ist es, die wirtschaftliche Position der Vertragsstaaten durch den Abbau bestehender zwischenstaatlicher Handelshemmnisse zu verbessern. Hierbei kann man zwischen tarifären, wie z.B. Einfuhrzöllen oder Exportsubventionen, und nichttarifären Handelshemmnissen, z.B. in Form von Umwelt-, Sozial- und Arbeitsstandards oder Regelungen für Direktinvestitionen, unterscheiden. Beide Arten der Barrieren wirken sich auf die Höhe der Transaktionskosten eines Handels aus.[12]
5 Frühe geschichtliche Entwicklung des Freihandels
Wie schon in Kapitel 3.1 erwähnt, entstand die Idee des Freihandels gegen Ende des 18. bzw. Anfang des 19. Jahrhunderts als Gegenbewegung zum Merkantilismus. Angetrieben von der intellektuellen Inspiration der Handelstheorien von Smith und Ricardo und dem allmählichen Übergang vieler Staaten von der absolutistischen zur demokratischen Herrschaftsform fing das Bürgertum vielerorts an, nach internationalem Handel und dem damit verbundenen Wohlstandswachstum zu streben. Besonders die Industrialisierung machte es damals verschiedenen Ländern möglich, mittels Überflussproduktion einen Güteranteil für den grenzüberschreitenden Handel bereitzustellen.
Folglich bemühten sich die Länder darum, in bilateralen Handelsabkommen ihre Handelsbarrieren für gewünschte Importgüter abzubauen und im Gegenzug neue Märkte für ihre Exportgüter zu erschließen.[13] Diese Entwicklung kam jedoch, ausgelöst durch die Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre und schließlich durch den zweiten Weltkrieg, fast gänzlich zum Erliegen.[14]
Nach Ende des Krieges wurde die Liberalisierung anhand zwei verschiedener Modelle verfolgt, welche im Folgenden separat voneinander betrachtet werden: die globale bzw. multilaterale und die regionale Handelsliberalisierung.
6 Die multilaterale Handelsliberalisierung
Zuerst befasst sich die Arbeit mit der multilateralen Liberalisierung, die eine Vereinheitlichung und Strukturierung der nationalen Handelspolitiken zu einer globalen Handelsordnung anstrebt. Dieses Kapitel zeigt die institutionelle Entwicklung und die Instrumente, derer sich die zuständige Institution bedient, um eine weltweite Handelsstruktur aufzubauen.
6.1 General Agreement on Tariffs and Trade
Erst mit Ende des zweiten Weltkrieges bemühte sich ein Zusammenschluss von 23 Nationen um ein Regelwerk, das den internationalen Handel normieren und lenken sollte. Hieraus entstand 1947 das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen, kurz GATT (General Agreement on Tariffs and Trade), welches als erstes multilaterales Abkommen der Welthandelsgeschichte gilt. Zielsetzung des Regelwerks war es, durch die Senkung der Zollschranken den Welthandel für alle Mitgliedsstaaten in gleicherweise zugänglich zu machen. Aus diesem Grund beinhaltet das GATT-Abkommen zwei zentrale Nichtdiskriminierungsgebote:
1. Das Meistbegünstigungsgebot gibt vor, dass die von einem Land verhängten Zölle für jeden Handelspartner in gleichem Maße gelten. Es garantiert, dass keines der Mitgliedsländer durch individuell erhöhte Zölle diskriminiert wird.
2. Das zweite zentrale Gebot zielt auf die Nichtdiskriminierung von Gütern bestimmter Herkunft ab. Es soll die Gleichbehandlung von in- und ausländischen Produkten sicherstellen.[15]
Mit dieser Zielsetzung wurden bis zum Jahre 1994 acht sogenannte Welthandelsrunden einberufen, in denen sich die Vertreter zahlreicher Länder auf einen erheblichen Abbau der Zollschranken einigen und so das weltweite Handelsvolumen um etwa das 16-fache steigern konnten (s. Abbildung 1).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Zollabbau durch GATT-Abkommen[16]
Auch der Zuwachs an Mitgliedern zeigt, dass die Bedeutung des Außenhandels in den knapp 50 Jahren stark zugenommen hat. Während an der Gründungsrunde 1947 in Genf 23 Staaten teilnahmen, waren es von 1986-1994 in Uruguay schon 117 Teilnehmer.[17] Vielleicht ist auch dies einer der Gründe für den im Rahmen der Uruguay-Runde gefassten Entschluss, das eigentlich als provisorisches Regelwerk entwickelte GATT-Abkommen einem formellen und strukturellen Wandel zu unterziehen. Im Jahre 1995 wurden die bis dato vom GATT getragenen Aufgaben schließlich einer vollwertigen internationalen Organisation, der World Trade Organization, übertragen.[18]
6.2 World Trade Organization
So nahm die World Trade Organization (WTO), die heute bereits 159 Mitglieder umfasst (Stand: 15.06.2014), am 1. Januar 1995 in Genf, Schweiz, ihre Arbeit auf.[19]
Die Institutionalisierung des GATT-Sekretariats sollte dem globalen Regelwerk mehr Nachdruck verleihen. Die WTO überwacht vor allem die Einhaltung und die Umsetzung der beschlossenen Vertragsinhalte durch die Mitgliedsstaaten.[20] Des Weiteren nimmt sie die Rolle des Streitschlichters in handelspolitischen Streitigkeiten zwischen Ländern ein und erlaubt den Mitgliedsstaaten ihre Handelspartner bei Regelverstößen anzuklagen. Die WTO nimmt sich mittels eines Expertengremiums der Anklage an und fällt binnen maximal 15 Monaten ein Urteil. Die Welthandelsorganisation hat zwar nicht die nötige Durchsetzungskraft, um ihren Urteilen direkt Geltung zu verschaffen. Weigert sich jedoch ein für schuldig befundenes Land gemäß des Urteils seine Handelspolitik zu ändern, kann die WTO dem Klägerstaat die Befugnis erteilen, Vergeltungsmaßnahmen, wie z.B. Importbeschränkungen für Güter aus dem beschuldigten Staat, einzuleiten.[21]
Das primäre Ziel ist nach wie vor die Liberalisierung des Weltmarktes durch den Abbau von Zollschranken und anderen Handelshemmnissen. So wurden die Richtlinien des abgelösten GATT-Abkommens in nahezu unveränderter, jedoch aktualisierter Form ins Programm der neuen WTO übernommen. Zusätzlich wurden zwei weitere Abkommen beschlossen, um auf die in den Industrienationen fortschreitende Verlagerung der Güter- zu einer Dienstleistungsproduktion zu reagieren: Während das General Agreement on Trade in Services, kurz GATS, den Welthandel mit Dienstleistungen vereinheitlichen soll, konzentriert sich das Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights, kurz TRIPS, auf die internationale Anwendung geistigem Eigentums. Diese Abkommen bilden die drei Säulen der WTO und sind bindend für alle Mitglieder.
Wie schon während der Zeit des GATT-Abkommens sind die Ministerkonferenzen, auch Verhandlungsrunden genannt, noch immer das oberste Entscheidungsorgan. Seit der Gründung der WTO wurden neun weitere solcher Runden abgehalten, deren Fokus sich mehr und mehr auf die Integration der Entwicklungsländer in den Weltmarkt richtet.[22]
Jedoch ist es oft schwierig eine Einigung zu erzielen. Häufig scheitern bindende Vereinbarungen am Abstimmungsprinzip „one country - one vote“, das jedem Mitglied eine gleichgewichtete Stimme und ein Vetorecht verleiht. Demzufolge verfügt eine Nation wie Malta die gleiche Stimmkraft wie die gesamte Europäische Union und eine Entscheidung kann am Veto eines einzigen Mitglieds scheitern. Zusätzlich unterwerfen sich die WTO-Verhandlungen dem Grundsatz des „single undertaking“, welcher Beschlüsse zu einzelnen Verhandlungsgegenständen erst mit erfolgreicher Verhandlung der gesamten Agenda in Kraft treten lässt.[23]
Charakterisierend und beispielhaft für die Problematik der Entscheidungsfindung ist die im Jahre 2001 einberufene Doha-Runde, die das folgende Unterkapitel näher erläutert.
6.3 Doha-Runde
Im November 2001 wurde in Doha, Katar, die sogenannte Doha-Entwicklungsrunde eröffnet. Sie ist die vierte von der WTO einberufene Ministerkonferenz und wurde bis heute, trotz einem bis 2005 geplanten Verhandlungsende, noch immer nicht für abgeschlossen erklärt.
Ein Hauptgegenstand der Verhandlungen ist neben den üblichen Bemühungen um freiere Märkte, wie der Name schon andeutet, die stärkere Integration der Entwicklungsländer in den Welthandel.[24]
Doch bereits bei der Erstellung der Verhandlungsagenda kam es zu ersten Meinungsverschiedenheiten. Die bevorzugten Verhandlungsinhalte der Industrienationen bezogen sich größtenteils auf die sogenannten WTOPlus-Themen, welche z.B. den verbesserten Schutz von Direktinvestitionen und die weitere Öffnung der Märkte für wissens- sowie kapitalintensive Güter und Dienstleistungen beinhalten. Außerdem setzten sie sich für einen stärkeren Schutz geistiger Eigentumsrechte ein. Die Vertreter der Entwicklungs- bzw. Schwellenländer, welche etwa zwei Drittel der gesamten WTO-Mitgliedstaaten ausmachen, bestanden jedoch, angeführt von Indien, Brasilien und China, auf erhebliche Zugeständnisse der Industrienationen im Bereich der arbeitsintensiven Güter. Gemeint sind hiermit im Allgemeinen die Eliminierung der Importzölle bzw. –quoten im Textilbereich und vor allem der stark wettbewerbsverzerrenden Exportsubventionen der Vereinigten Staaten und der EU im Agrarsektor.
Erstmals gelingt es den Entwicklungs- bzw. Schwellenländern ihren Interessen Nachdruck zu verleihen und ihr wachsendes ökonomisches Gewicht zu demonstrieren.[25]
Einen Teilerfolg konnte die WTO im Dezember 2013 mit dem Abschluss des sogenannten Bali-Pakets verzeichnen, dem ersten Abschluss seit der Gründung der Organisation überhaupt. Durch die Außerkraftsetzung des „single undertaking“-Grundsatzes gelang es den Mitgliedsstaaten im Bereich der Vereinfachung der bürokratischen Handelsabwicklung einen kleinen, aber realen Erfolg zu verbuchen. Da immer noch kein Konsens in den primären Verhandlungsthemen der Doha-Runde gefunden wurde, ist der Abschluss des Bali-Pakets kein Meilenstein, jedoch ein Lebenszeichen der WTO.[26]
Der zeitnahe und vor allem für alle Seiten zufriedenstellende Abschluss der multilateralen Verhandlungen wird hingegen als immer unwahrscheinlicher angesehen, weshalb sich die politischen Entscheidungsträger verstärkt auf die regionale Handelsliberalisierung konzentrieren.[27]
7 Die regionale Handelsliberalisierung
Neben den Bestrebungen der WTO den Welthandel möglichst breit und einheitlich zu liberalisieren, bemühen sich einzelne Staaten auch untereinander ihre außenwirtschaftliche Integration mittels sogenannter Präferenzabkommen auf regionaler Ebene und auszudehnen und zu vertiefen. Die Abkommen sind jedoch nicht immer von gleicher Beschaffenheit.
7.1 Formen regionaler Integration
Anhand der Intensität und Integrationstiefe der Abkommen lassen sich verschiedene Formen der regionalen Integration unterscheiden, von denen die bedeutungsvollsten im Folgenden kurz dargestellt werden. Mit zunehmender Komplementarität der Wirtschaftsstrukturen der verhandelnden Staaten kann sich ein regionales Abkommen stark auf die Handelspolitik auswirken und bis zur Zentralisierung der gesamten Wirtschaftspolitik führen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Merkmale regionaler Integrationsformen im Überblick[28]
Die Vertragsform mit der geringsten Integrationstiefe ist das Präferenzabkommen. Diese Form des Abkommens räumt den beteiligten Staaten beim gegenseitigen Handel bestimmter Produkte gewisse Handelspräferenzen, meist in Form von Zollsenkungen oder der Erhöhung von Importquoten, ein. Präferenzverträge dieser Art sind in den meisten Fällen reziproker, also wechselseitiger, Natur, jedoch können sie in bestimmten Fällen, meist bei Abkommen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, auch eine einseitige, handelspolitische Vorzugsbehandlung beinhalten. Weitet man den präferenziellen Abbau von Handelshemmnissen auf (nahezu) alle Produktkategorien aus, spricht man von einer Freihandelszone. Ein interessantes Beispiel für eine Freihandelszone ist das NAFTA-Abkommen in Nordamerika (vgl. Kapitel 7.5).[29]
Bei einer Zollunion wird zusätzlich Einfluss auf die Außenhandels- bzw. Zollpolitik der Vertragsstaaten genommen. Die Zollpolitik wird in dem Fall für alle Mitgliedsstaaten komplett angeglichen, sodass für Importe aus Drittstaaten die gleichen Bedingungen gelten. Ein bedeutendes Beispiel hierfür ist die Mercosur-Zollunion in Südamerika (vgl. Kapitel 7.5).[30]
Die höchste Form der Integration findet man bei den Wirtschafts- und Währungsunionen. Sie weisen, neben den Merkmalen der Zollunion, eine besonders hohe Produktionsfaktormobilität, eine harmonisierte Wirtschaftspolitik, gemeinsame Organe bzw. Institutionen und, im Falle der Währungsunion, sogar eine gemeinsame Währung auf. Die bekanntesten Beispiele einer Wirtschaftsunion sind die Europäische Union und das ASEAN-Abkommen in Asien, während die Europäische Währungsunion die größte ihrer Art verkörpert (vgl. Kapitel 7.5).[31]
7.2 Legitimation der Präferenzabkommen
Schon die Bezeichnung verrät, dass diese Abkommen den globalen präferenzfreien Handel, sprich das Meistbegünstigungsprinzip des GATT-Abkommens, boykottieren. Dennoch tritt bei dieser Art von Diskriminierung eine Ausnahmeregelung durch Artikel XXIV des GATT in Kraft, da durch Präferenzabkommen letztendlich Handelsbarrieren abgebaut werden und die Liberalisierung grundsätzlich fortschreitet. Solange die Zölle für Drittländer nicht steigen, gesteht die WTO den Staaten diese Möglichkeit der regionalen Integration zu.[32]
Außerdem existiert seit der Tokio-Runde 1979 eine Ermächtigungsklausel, die Entwicklungsländern eine Vorzugsbehandlung durch regionale Integration gewährt. Ein Großteil der heute bestehenden Abkommen stützt sich jedoch auf die zuerst genannte Regelung.[33]
7.3 Motive für regionale Integration
Regionale Integration bietet den Staaten eine Menge Anreize. Der Wichtigste dürfte auch hierbei der wirtschaftliche Aspekt sein, der bei Handelsschaffung (s. Kapitel 7.4) eine Reihe wohlfahrtssteigernder Effekte mit sich bringen kann (s. Kapitel 3.4).
Außerdem ist es besonders für kleinere Staaten aufgrund der fortschreitenden Außerkraftsetzung des Meistbegünstigungsprinzips wichtig, den Zugang zu den großen Märkten nicht zu verlieren und sich durch gezielte Verträge die Chance auf einen Ausbau des Außenhandels zu sichern.
Neben den wirtschaftlichen Interessen werden auch geopolitische Absichten verfolgt. So werden durch Handelsabkommen politische Beziehungen vertieft und eine kollektive Stärke suggeriert, die beispielsweise in den multilateralen Verhandlungen der WTO eine Festigung der Verhandlungsposition zur Folge hat.[34]
Ein weiterer wichtiger Grund ist die Ineffektivität der WTO-Ministerkonferenzen. Im kleineren Kreise meist homogener Volkswirtschaften lässt sich sehr viel schneller, kostengünstiger und in einem höheren Maß an Komplexität eine Übereinkunft finden. Somit sind regionale Abkommen oft reizvoller als der langwierige multilaterale Weg.[35]
7.4 Statische Effekte regionaler Integration
Regionale Handelsabkommen sind jedoch nicht zwangsläufig mit höheren Wohlfahrtserlösen verbunden. Neben dem Begriff der Handelsschaffung prägte Jacob Viner in seiner 1950 erschienenen Abhandlung „The Customs Union Issue“ auch den Begriff der Handelsumlenkung. Er charakterisiert sie als zwei statische Effekte, die die Auswirkungen regionaler Handelsbeziehungen beeinflussen.[36]
Das mit regionalen Abkommen verfolgte Ziel ist natürlich die Handelsschaffung, die mit der stärkeren Integration bestimmter Wirtschaftsräume einhergeht.[37] Die Arbeitsteilung zwischen den Vertragsstaaten wird weiter spezialisiert und so bestehende Handels- und Preisverzerrungen abgebaut. In dieser Form treten jene wohlfahrtssteigernden Effekte ein, die bereits in Kapitel 3.4 aufgeführt wurden.
Die Handelsumlenkung hingegen wirkt sich wohlfahrtsmindernd auf den globalen Handel aus.
Durch die Zollnachteile verlieren Drittländer ihre Kostenvorteile gegenüber den integrierten Ländern, die nun trotz ineffizienterer Produktionsmethoden kostengünstiger in die Märkte ihrer Handelspartner exportieren können. So entstehen Fehlallokationen von Ressourcen und eine Verzerrung des internationalen Wettbewerbs.
Auch die beteiligten Staaten bekommen die Folgen der verzerrten Arbeitsteilung zu spüren. Kostet ein bestimmtes Produkt beispielsweise in Drittstaat A inklusive Zollbelastung genauso viel wie in Partnerstaat B, folglich ohne oder geringerer Zollbelastung, ist die Kaufkraft der Konsumenten zwar unverändert, der Staat muss hingegen auf die Zolleinnahmen verzichten.
Überwiegen jedoch die handelsschaffenden die handelsumlenkenden Effekte, kann man eine Integration als positiv werten.[38]
[...]
[1] Vgl. Krugman et al. (2012, S. 50f)
[2] Vgl. Kutschker & Schmid (2010, S. 385)
[3] Vgl. Kutschker & Schmid (2010, S. 386)
[4] Vgl. Krugman et al. (2012, S. 58)
[5] Vgl. Krugman et al. (2012, S. 61f)
[6] Vgl. Krugman et al. (2012, S. 128f)
[7] Vgl. Schrüfer (2010, S. 249f)
[8] Vgl. Petersen (2012, S. 28f)
[9] Vgl. Krugman et al. (2012, S. 183f; 309ff)
[10] Vgl. Krugman et al. (2012, S. 330)
[11] Vgl. Gelbrich & Müller (2011, S. 465)
[12] Vgl. Baetge (2009, S. 400f)
[13] Vgl. Gelbrich & Müller (2011, S. 464)
[14] Vgl. Neumair et al. (2012, S. 25)
[15] Vgl. Gelbrich & Müller (2011, S. 16ff)
[16] Vgl. Brameier et al. (2009, S. 355)
[17] Vgl. Gelbrich & Müller (2011, S. 18)
[18] Vgl. Krugman et al. (2012, S. 334)
[19] Vgl. World Trade Organization
[20] Vgl. Haas (2006, S. 87)
[21] Vgl. Krugman et al. (2012, S. 334f)
[22] Vgl. Gelbrich & Müller (2011, S. 1580f)
[23] Vgl. Haas (2006, S. 88)
[24] Vgl. Neumair et al. (2012, S. 141f)
[25] Vgl. Gelbrich & Müller (2011, S. 291); Rittberger et al. (2009, S. 482f)
[26] Vgl. Felbermayr et al. (2014, S. 4ff)
[27] Vgl. Neumair et al. (2012, S. 142)
[28] Vgl. Haas (2006, S. 274)
[29] Vgl. Haas (2006, S. 269ff)
[30] Vgl. Haas (2006, S. 271f)
[31] Vgl. Haas (2006, S. 273ff)
[32] Vgl. Haas (2006, S. 269); Mühlich (2004, S. 22f)
[33] Vgl. Schüller & Thieme (2002, S. 376f)
[34] Vgl. Haas (2006, S. 265ff)
[35] Vgl. Baetge (2009, S. 401f)
[36] Vgl. Haas (2006, S. 275)
[37] Vgl. Gelbrich & Müller (2011, S. 585)
[38] Vgl. Haas (ed. 2006, S. 276)
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Erstausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2014
- ISBN (PDF)
- 9783958207462
- ISBN (Paperback)
- 9783958202467
- Dateigröße
- 1.1 MB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Fachhochschule Dortmund
- Erscheinungsdatum
- 2015 (Februar)
- Note
- 2
- Schlagworte
- regionale Integration Präfereanzabkommen mega regionals TAFTA WTO