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Doping im Hochleistungssport: Möglichkeiten und Grenzen der Dopingbekämpfung durch die Förderung von Fair Play Werten

©2013 Bachelorarbeit 46 Seiten

Zusammenfassung

Während Doping in der Sport- und Verhaltensökonomie bereits Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher Arbeiten war und der Bestand von Abhandlungen insbesondere über moralische, ethische, psychologische und medizinische Aspekte des Dopings praktisch unüberschaubar ist, wurde die Bedeutung von Fair Play Werten im Rahmen dieser Problematik von der Wissenschaft bislang vernachlässigt. Dabei könnte der Nachweis eines Zusammenhangs zwischen der Ausprägung von Fair Play Werten und der Dopingverbreitung wichtige Erkenntnisse für die Dopingprävention liefern.
Die vorliegende Abhandlung geht nach einer allgemeinen Darstellung der Dopingproblematik sowie der Bemühungen zur aktiven Förderung von Fair Play Werten von einem verhaltensökonomischen 2 Spieler Doping Modell und dessen Erweiterung um Fair Play Werte aus. Die maßgeblichen Charakter-Parameter der Sportler und deren Bedeutung für einen dopingfreien Hochleistungssport werden einer eingehenden Analyse unterzogen. Dabei wird auf die kritische Mindestausprägung der Charakter-Parameter, die diesbezüglichen Auswirkungen von im Hochleistungssport typischerweise anzutreffenden Mehrspielerwettkämpfen und die Erosion von Fair Play Werten durch eine weite Dopingverbreitung eingegangen.
Die Untersuchung zeigt, dass Fair Play Werte für einen dopingfreien Hochleistungssport unverzichtbar sind und ihre aktive Förderung daher zu begrüßen ist. Indes werden auch die Grenzen dieser präventiven Form der Dopingbekämpfung aufgezeigt und eine Optimierung der bestehenden Sanktionsmechanismen angeregt.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


2.3 Förderung von Fair Play Werten als Mittel der Dopingbekämpfung

Die klassische Dopingbekämpfung kennt zwei wesentliche Parameter. Zum einen die Entdeckungswahrscheinlichkeit, welche wesentlich durch Häufigkeit und Qualität der Kontrollen bestimmt wird. Zum anderen das drohende Strafmaß im Falle einer Dopingüberführung.

Was die Entdeckungswahrscheinlichkeit angeht, so haben die Olympischen Spiele in London 2012 das schärfte Kontrollregime aller Zeiten erlebt. Von den knapp 10500 teilnehmenden Athleten wurden insgesamt 6250 Dopingproben genommen. Jeder Medaillengewinner und insgesamt annähernd 50% der teilnehmenden Athleten wurden auf über 240 verbotene Substanzen geprüft. Das Kontrollteam bestand aus über 1000 Personen und das Labor wurde während der Spiele 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche betrieben (Inside Sport 2013). Diese Zahlen wirken zunächst beeindruckend. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Entdeckungswahrscheinlichkeit bei den Olympischen Spielen damit keinesfalls auch nur annähernd bei 50% lag. Dopingkontrollen haben mehrere Schwachstellen. Verbotene Substanzen können aufgrund von Messfehlern oder Messungenauigkeiten unentdeckt bleiben. Es gibt zudem Methoden, die die Nachweisbarkeit der Substanzen im Körper des Athleten verschleiern. Und nicht zuletzt ist der Kampf gegen Doping ein Katz und Maus Spiel, bei dem die dopenden Sportler durch die Entwicklung bis dato unbekannter oder nicht nachweisbarer Substanzen immer einen Schritt voraus sind. Per definitionem des Dopings kann schließlich eine nicht auf der Liste stehende, aber den auf der Liste stehenden Substanzen in ihrer Wirkung gleich kommende Substanz, nicht als Doping gewertet werden.

Was die Strafen angeht, so wurde auch hier über die Jahre eine deutliche Verschärfung vorgenommen. Monetäre Strafen wurden mit zeitlich befristeten Sperren kombiniert und bei wiederholtem Verstoß gegen Anti-Doping Bestimmungen droht inzwischen eine lebenslange Sperre. Rückzahlungen von Sponsorengeldern waren bislang hingegen unüblich. Diese Tatsache ist nicht unbedeutend, da eine Vielzahl von Athleten durch Sponsorenverträge inzwischen weit mehr als durch Preisgelder verdient. Im Zuge der Dopingaffäre um Lance Armstrong ist aber nun auch bei den Sponsoren und der Justiz ein Umdenken zu erkennen.[1] Dennoch waren die Strafdrohungen bislang nicht ausreichend um Sportler effektiv vom Dopingmissbrauch abzuhalten. Die mittlerweile astronomisch hohen Siegprämien und Sponsorengelder dürften für eine Vielzahl von Sportlern bislang das Risiko wert gewesen sein.

Diese unbefriedigende Situation war ein Hauptgrund für die der Dopingbekämpfung verschriebenen Verbände und Institutionen zum Überdenken der bisherigen Strategie.

Im Zentrum der neuen Anti-Doping Strategie steht nun neben weiterer Optimierung und Koordinierung der Kontrollen die Prävention und damit Aufklärung der Athleten (vgl. World Anti-Doping Agency 2009). Im Rahmen der Prävention nimmt die Förderung von Fair Play Werten einen zentralen Platz ein.

So ist die WADA inzwischen auf allen großen Sportevents mit ihrem Outreach Program vertreten, dessen Ziel darin liegt, Athleten und Betreuer sowie Gefolge über Doping zu informieren und in der „Say NO! to Doping“ Kampagne zu vereinen.[2] Um künftige Sportlergenerationen möglichst frühzeitig im Fair Play Gedanken zu erziehen wurde das Programm um „The Play True Generation“ ergänzt.[3] Dieses an Sportler unter 18 Jahren gerichtete Programm soll jungen Athleten eine Plattform bieten, auf der sie ihr Engagement für den Gedanken des Fair Play demonstrieren und mehr über dopingfreien Sport lernen können. Die WADA ist ausweislich der Programmzielsetzung davon überzeugt, dass diese Anti-Doping Community maßgeblich zu dem Ziel dopingfreier Wettkämpfe beitragen kann, indem sie das Interesse und die Aufmerksamkeit der jungen Sportler gewinnt und ihnen vermittelt, dass sie mit der Entscheidung über einen Dopingverzicht nicht allein stehen.

Seitens der UNESCO (2006) heißt es, dass neben den Bemühungen zur Durchsetzung und Beachtung der Anti-Doping Konvention ein neuartiges Anti-Doping Programm eingeführt wurde, welches insbesondere Bildung und Kompetenzvermittlung beinhaltet. Dazu vertritt die UNESCO die Auffassung, dass Fair Pay Werte, wenn sie effektiv anerzogen werden, nachhaltige Auswirkungen auf den Kampf gegen Doping im Sport haben werden. Auch von der IAAF (2012) heißt es mittlerweile, dass die Dopingprävention durch Bildung und Erziehung - insbesondere im Hinblick auf junge Sportler - Priorität genießt. Auf nationaler Ebene verkündet die NADA auf ihrer Website die Abkehr von einem reinen Kontrollwesen: „Mindestens genauso wichtig wie ein repressives Vorgehen sind Maßnahmen im präventiven Bereich. Diese umfassen sowohl die Information als auch die Motivation und die Stärkung von Kompetenzen“ (Nationale Anti Doping Agentur 2013). Auszugsweise heißt es aus der Verfassung der NADA unter III. Stiftungszweck: „Zweck der Stiftung ist die Förderung des Sports. Sie möchte das Fair-Play im Sport durch geeignete pädagogische, soziale, medizinische, wissenschaftliche und sportliche Maßnahmen fördern, insbesondere […] 5. durch die Erstellung und Verbreitung von Aufklärungs- und Erziehungsmaterial zur Problematik des Dopings im Sport“ (ebd.).

Wie vorstehende Beispiele verdeutlichen, wird inzwischen der Förderung von Fair Play Werten im Rahmen der Dopingbekämpfung seitens der mit der Bekämpfung befassten Institutionen zentrale Bedeutung zugeschrieben. Mit Blick auf die lange Geschichte einer durch ein reines Kontrollwesen geprägten repressiven Anti-Doping Politik und der durch die jüngsten Dopingskandale gerade in den letzten Jahren gereiften Erkenntnis der offensichtlichen Aussichtslosigkeit dieser Politik, könnte in der Verlagerung zu gezielterer Prävention so etwas wie der berüchtigte Griff nach dem letzten Strohhalm zu sehen sein. Vielleicht kann ein grundlegendes Umdenken der Athleten hin zu einem moralischeren Verständnis von Sport und Fair Play in Zukunft aber tatsächlich einen großen Beitrag dazu leisten, Doping aus dem Sport zu verbannen. Dazu ist es erforderlich, nachzuvollziehen, welche Anreize die Sportler zu einer Entscheidung zum Doping oder Dopingverzicht bewegen und wie sich diese Entscheidung möglicherweise durch Fair Play Werte in Richtung Dopingverzicht leiten lässt.

3 Verhaltensökonomische Modellierung der Dopingproblematik

3.1 Das 2 Spieler Doping Modell von Haugen

Grundlage der verhaltensökonomischen Modellierung der Dopingproblematik durch Haugen (2004) ist ein einfaches 2x2 Spiel. Zwei risikoneutrale Spieler treten in einem Wettkampf mit jeweils zwei möglichen Strategien gegeneinander an. Die beiden möglichen Strategien lauten Doping (D) oder Dopingverzicht (DV). Beiden Spielern steht dasselbe Dopingmittel zur Verfügung, welches bei beiden Spielern als gleichermaßen wirksam angenommen wird. Die Strategiewahl, d.h. die Entscheidung darüber, ob der Wettkampf von dem jeweiligen Spieler unter Zuhilfenahme von Doping oder unter Verzicht auf Doping geführt wird, erfolgt bei beiden Spielern gleichzeitig und unabhängig voneinander. Die Entscheidung fällt vor dem Wettkampf und das Spiel ist nicht wiederholbar. Aufgrund der Einmaligkeit der Entscheidung werden etwaige Erfahrungswerte der Spieler hinsichtlich der Strategiewahl des Gegners ausgeblendet.

Während Haugen dem Modell die Annahme zugrunde legt, dass die einseitige Einnahme des Dopingmittels durch einen Spieler dazu führt, dass dieser den Wettkampf mit Gewissheit gewinnt, wird hier davon ausgegangen, dass die einseitige Einnahme lediglich zu einer Erhöhung der Gewinnwahrscheinlichkeit des dopenden Spielers führt. Diese Änderung des Modells von Haugen ist einerseits geeignet, auch den von Haugen formulierten Einzelfall gewisser Gewinnwahrscheinlichkeit zu umfassen, andererseits wird das Modell verallgemeinert und eignet sich formal besser für die Zwecke dieser Arbeit.

Unter diesen Annahmen beträgt die Gewinnwahrscheinlichkeit beider Spieler sowohl in einem Szenario beidseitigen Dopingverzichts als auch in einem Szenario beidseitigen Dopings p 1 = p 2 = ½. Im Falle einseitiger Dopingeinnahme gewinnt der dopende Spieler den Wettkampf mit der erhöhten Wahrscheinlichkeit p D = ½ + ∆p, während sich die Gewinnwahrscheinlichkeit des auf Doping verzichtenden Spielers entsprechend auf p DV = ½ - ∆p verringert.

Haugen definiert sodann die für beide Spieler identischen Nutzenfunktionen möglicher Wettkampfresultate. Für beide Spieler beträgt danach der tatsächliche Nutzen eines Sieges U i (S) = a mit a > 0. Der Nutzen einer Niederlage wird zu U i (N) = 0 normalisiert und die Kosten der Dopingüberführung betragen U i (Ü) = - c mit c > 0. Die Wahrscheinlichkeit der Dopingüberführung wird durch r mit r > 0 angegeben.

Zu beachten ist, dass das Modell davon ausgeht, dass sich die Kosten einer Überführung des Dopingmissbrauchs in c erschöpfen, während das durch a definierte Preisgeld für den erreichten Sieg dem Spieler in jedem Fall erhalten bleibt.

Entscheiden sich beide Spieler für die Strategie Dopingverzicht (DV), beträgt der erwartete Nutzen jeweils U 1 (DV / DV) = U 2 (DV / DV) = ½ U (S) = ½ a.

Wählen beide Spieler die Strategie Doping (D), so errechnet sich der erwartete Nutzen jeweils zu U 1 (D / D) = U 2 (D / D) = ½ U (S) + ½ U (N) + r U (Ü) = ½ arc.

Einseitiges Doping führt nun dazu, dass der gedopte Spieler den Nutzen U D (D / DV) = (½ + ∆p) U (S) + r U (Ü) = ½ a + ∆p a – rc erwarten kann. Der nicht gedopte Spieler gewinnt den Wettkampf mit der verringerten Wahrscheinlichkeit p DV, was zu einen erwarteten Nutzen von U DV (DV / D) = (½ - ∆p) U (S) = ½ a - ∆pa führt.

Für die beiden Spieler mit zwei möglichen Strategien ergibt sich daraus die folgende Auszahlungsmatrix 1:

Abbildung 1: Auszahlungsmatrix 1

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Eine Analyse der Auszahlungsmatrix ergibt, dass beidseitiger Dopingverzicht aus kollektiver Sicht den pareto-optimalen Zustand darstellt, da ausgehend von diesem Zustand (1) kein Spieler besser gestellt werden kann, ohne dass (2) der andere Spieler zugleich schlechter gestellt würde. Der summierte Erwartungsnutzen beider Spieler ist bei diesem Zustand am höchsten, weil die den Erwartungsnutzen mindernde Komponente der Kosten einer Dopingüberführung (- rc) nicht zu berücksichtigen ist.

Offensichtlich können beide Spieler bei beidseitigem Dopingverzicht eine höhere Auszahlung erwarten als bei beidseitigem Doping (½ a > ½ arc). Abhängig von der Relation zwischen ∆pa und rc könnte zwar der dopende Spieler bei einseitigem Doping noch besser gestellt werden, wenn die Relation ½ a + ∆pa – rc > ½ a ó ∆pa > rc gilt. Für die weitere Modellbetrachtung soll zunächst die Gültigkeit der vorgenannten Relation angenommen werden. In der Realität dürfte bei Wettkämpfen im Leistungssport regelmäßig von einer solchen Relation auszugehen sein, da andernfalls auch der Erwartungsnutzen des einseitig dopenden Spielers geringer wäre als im Falle beidseitigen Dopingverzichts. Dann dürfte es das Problem des Dopings aber, wie Haugen (2004) zutreffend folgert,[4] mangels Anreizes überhaupt nicht geben. Unter Einhaltung vorgenannter Relation wäre der einseitig abweichende Spieler folglich tatsächlich besser gestellt.

In diesem Fall würde indes der andere Spieler wegen ½ a - ∆pa < ½ a schlechter gestellt, wodurch Bedingung (2) des Pareto-Kriteriums verletzt würde. Vor dem Hintergrund einer Optimierung des Kollektivnutzens sollten also beide Spieler die Strategie Dopingverzicht wählen.

Anders verhält es sich bei der für die Entscheidung eines jeden Spielers maßgeblichen individuellen Betrachtung. Bei nicht-kooperativen Spielen wie dem vorliegenden stellt das Nash-Gleichgewicht die optimale Kombination individueller Strategien dar. Ein Nash-Gleichgewicht liegt vor, wenn für keinen der Spieler ein einseitiger Anreiz zu einem Abweichen von dieser Strategie vorliegt. Ausgehend von der beidseitigen Strategie des Dopingverzichts (DV / DV) bietet sich in dem vorliegenden Spiel jedoch Anreiz zu einseitigem Abweichen.

Der dopende Spieler kann bei einseitigem Abweichen den Erwartungsnutzen DU (D / DV) = ½ a + ∆pa – rc anstelle von U (DV / DV) = ½ a realisieren. Unter Geltung der oben hergeleiteten Bedingung ∆pa > rc ist der erwartete Nutzen dann für den von der ursprünglichen Strategie des Dopingverzichts abweichenden Spieler größer. Das Strategiepaar (D / DV) stellt jedoch ebenso wenig ein Nash-Gleichgewicht dar, da annahmegemäß gilt ½ a – rc > ½ a - ∆pa und somit der nicht dopende Spieler Anreiz zu einem Abweichen von dieser Strategie hätte. Dies gilt entsprechend auch für das umgekehrte Strategiepaar (DV / D). Bei dem Strategiepaar (D / D) liegt indes erkennbar kein Anreiz zu einseitigem Abweichen vor. (D / D) stellt die wechselseitig optimale Strategie der Spieler und somit das einzige Nash-Gleichgewicht des Modells dar.

Da bei individueller Betrachtung lediglich das Strategiepaar (D / D) gewährleistet, dass kein Spieler seine Strategiewahl nachträglich zu bereuen hätte, sind die Spieler unter den getroffenen Annahmen faktisch zu der Strategiewahl Doping gezwungen, obwohl das Dopinggleichgewicht nach dem Pareto-Kriterium nicht als optimal zu klassifizieren ist. Das pareto-optimale Szenario beidseitigen Dopingverzichts ist von der Kooperation des Gegenspielers abhängig. Aus individueller Sicht ist die Strategiewahl Dopingverzicht jedoch dem Risiko reduzierter Gewinnwahrscheinlichkeit (p DV ≤ ½) ausgesetzt, sollte der Gegenspieler die Strategie Doping wählen. Die Strategiewahl Doping nimmt hingegen zwar Kosten für eine etwaige Dopingüberführung in Kauf, gewährleistet im Gegenzug aber eine Gewinnwahrscheinlichkeit von p D ≥ ½. Das Modell beschreibt damit die klassische Problematik eines Gefangenendilemmas.

3.2 Das 2 Spieler Fair Play Modell von Eber

3.2.1 Die Integration von Fair Play Werten

Eber (2008) übernimmt die Modellannahmen von Haugen in der vorstehend dargestellten Modifikation. Er nimmt ferner an, dass Sportler gemeinhin ein gewisses Maß von Fair Play Werten verinnerlicht haben. Dazu beruft er sich auf Bird und Wagner (1997), die zwar keine formale Analyse von Fair Play Werten durchgeführt, jedenfalls aber deren Existenz und Bedeutung herausgestellt haben. Auch Gerhardt (1993) kam zu dem Ergebnis, dass Fairness eine besondere sportliche Tugend des Athleten sei.

Die angenommenen Fair Play Werte äußerten sich laut Bird und Wagner in zwei Formen. Sportler empfänden eine Abneigung gegen unfaire Wettbewerbe und zwar sowohl in der Ausprägung einer unfairen Benachteiligung als auch eines unfairen Vorteils. Nach Eber soll dabei regelmäßig, aber nicht zwingend davon auszugehen sein, dass die Ausprägung der erstgenannten Form die Ausprägung der letztgenannten Form der Höhe nach übersteigt. Dabei ist zu beachten, dass anders als von den mit der Dopingbekämpfung befassten Institutionen vielfach verbreitet, Fairness nicht zwingend mit Dopingverzicht gleichzusetzen ist. In dem diesem Modell zugrunde liegenden Verständnis bedeutet Fairness lediglich Chancengleichheit. Unter der Annahme identisch talentierter Spieler ist ein Wettkampf bei beidseitigem Dopingverzicht fair. Ein Wettkampf unter beidseitiger Einnahme eines identischen Dopingmittels ist nach diesem Verständnis aber ebenso fair. Eine moralische Differenzierung dieser beiden „fairen“ Wettkämpfe erfolgt nicht.

Die formale Integration von Fair Play Werten in das Modell erfolgt über die Nutzenfunktion U i = (P i a – λrc) – α i max { Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten – P i, 0} aβ i max { P i – Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten, 0) a.

Dabei nimmt λ, wenn der entsprechende Spieler die Strategie Doping wählt, den Wert 1, wenn der Spieler die Strategie Dopingverzicht wählt, den Wert 0 an. Der erste Term der Gleichung entspricht den bekannten Erwartungswerten aus der obigen Auszahlungsmatrix 1 in Abhängigkeit von der jeweils angenommenen Gewinnwahrscheinlichkeit und den (objektiven) Kosten einer Dopingüberführung. Der zweite Term erfasst formal die subjektiv durch Verärgerung über die unfaire Benachteiligung empfundene Minderung des Erwartungsnutzens. Die subjektiv aufgrund von Schuldgefühlen über einen eigenen unfairen Vorteil empfundene Minderung des Erwartungsnutzens wird von Term 3 beschrieben. Der Klammerausdruck in Term 2 und Term 3 erfasst jeweils die Differenz zwischen natürlicher Gewinnwahrscheinlichkeit (Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten = ½) der Spieler und der tatsächlichen Gewinnwahrscheinlichkeit (P i) des jeweiligen Spielers bei einseitiger Dopingeinnahme.

Wählen beide Spieler dieselbe Strategie, so beträgt die tatsächliche Gewinnwahrscheinlichkeit beider Spieler unverändert P i = ½ und es liegt keine unfaire Beeinflussung des Wettbewerbes vor. Die Ausdrücke in Term 2 und Term 3 nehmen den Wert Null an. Es bleibt somit bei den bereits aus obiger Auszahlungsmatrix 1 bekannten Erwartungswerten. In den beiden verbleibenden Szenarien gemischter Strategien schlägt sich jeweils bei dem nicht dopenden Spieler der den Erwartungsnutzen mindernde Term 2 und bei dem dopenden Spieler der den Erwartungsnutzen mindernde Term 3 nieder. Dabei stellen α und β Gewichtungs-Parameter dar. Sie sind gewissermaßen als Charakter-Parameter zu verstehen, die verdeutlichen, wie sehr dem betreffenden Sportler ein unfairer Nachteil (α) aufgrund von Verärgerung oder ein unfairer Vorteil (β) aufgrund von Schuldgefühlen widerstrebt. Aus Gründen der Vereinfachung wird von der Unabhängigkeit der Charakter-Parameter, der Relation α i ≥ β i mit 0 ≤ β i < 1 sowie einer identischer Ausprägung der α und β Werte (α1 = α2 = α; β1 = β2 = β) beider Spieler ausgegangen.

Der Erwartungsnutzen beider Spieler im Falle beidseitigen Dopings bestimmt sich weiterhin zu U i (D / D) = ½ arc. Im Falle beidseitigen Dopingverzichts gilt ebenfalls weiterhin jeweils U i (DV / DV) = ½ a. Im Falle gemischter Strategien vermindert sich für den nicht dopenden und damit unfair benachteiligten Spieler der Erwartungsnutzen durch das Vorhandensein von Fair Play Werten (Verärgerung) um den Term 2 und ergibt sich folglich zu UDV (DV / D) = ½ a – ∆pa - α∆pa. Der Erwartungsnutzen des dopenden und damit einseitig bevorteilten Spielers mindert sich durch das Vorhandensein von Fair Play Werten (Schuldgefühle) um den Term 3 und ergibt sich folglich zu UD (D / DV) = ½ a + ∆pa - rc – β ∆pa. Wegen β < 1 kann die durch Schuldgefühle bedingte Minderung des Erwartungsnutzens bei starker Ausprägung des Schuldparameters β maximal gerade den Betrag neutralisieren, um den sich der Erwartungsnutzen durch das einseitige Doping unberücksichtigt der drohenden Strafe vergrößert. Es resultiert für das um Fair Play Werte erweiterte Dopingspiel nachfolgende Auszahlungsmatrix 2:

Abbildung 2: Auszahlungsmatrix 2

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Unter Geltung der Bedingung ∆pa > rc stellt (D / D) das einzige Gleichgewicht des Modells ohne Fair Play Werte dar. Der erwartete Nutzen des einseitigen Dopings ist im Modell ohne Fair Play Werte höher als derjenige bei beidseitigem Dopingverzicht, weshalb ein Anreiz zu einseitigem Abweichen von der Strategie (DV / DV) besteht. Durch die Einführung von Fair Play Werten kann es an dieser Stelle jedoch zu einer Veränderung kommen, da der erwartete Nutzen einseitigen Dopings durch Term 3 verringert wird.

Soweit die nunmehr erforderliche Bedingung ½ a + ∆pa - rcβ ∆pa > ½ a erfüllt ist, stellt Doping individuell weiterhin die dominante Strategie dar, sodass sich durch die Einführung von (schwachen) Fair-Play Werten nichts daran ändert, dass das Strategiepaar (D / D) das einzige Nash-Gleichgewicht des Modells darstellt.

Bei hohem Gewichtungsfaktor β, also einem starken Fair Play Verständnis der Sportler in der Form des Schuldparameters kann es aber jedoch kommen, dass nunmehr ½ a + ∆pa - rcβ ∆pa ≤ ½ a gilt.

Auflösen nach β ergibt, dass dies dann der Fall ist, wenn gilt β ≥ Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten.

Ein diese Bedingung erfüllender β Wert führt folglich dazu, dass bei individueller Betrachtung Doping nicht mehr in allen Fällen die optimale Antwortstrategie des Spielers und damit die dominante Strategie des Modells darstellt.

In Abwesenheit von Fair Play Werten oder bei lediglich schwachen Fair Play Werten stellt Doping die optimale Strategie jedes Spielers unabhängig von der Strategiewahl des Gegenspielers dar. Gilt indes β ≥ Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten, so ist Doping nur dann die optimale Antwortstrategie, wenn der Gegenspieler ebenfalls diese Strategie wählt. Wählt der Gegenspieler hingegen Dopingverzicht, so lautet die optimale Antwortstrategie ebenfalls Dopingverzicht.

In beiden Fällen identischer Strategiewahl liegt kein Anreiz für einseitiges Abweichen vor. Dies folgt für (DV / DV) bereits aus vorstehender für die betrachteten Fälle geltender Bedingung ½ a + ∆pa - rcβ ∆pa ≤ ½ a. Für (D / D) wurde bereits oben zu Auszahlungsmatrix 1 die Bedingung ∆pa > rc definiert. Damit gilt unabhängig von der Ausprägung von α in jedem Fall auch die Relation ½ arc > ½ a - ∆pa - α∆pa. In der Folge bestehen unter den vorgenannten Bedingungen anstelle eines einzigen Nash-Gleichgewichts in der Form des pareto-inferioren Dopinggleichgewichts nun die zwei Nash-Gleichgewichte (D / D) und (DV / DV). Betrachtet man die Erwartungsnutzen beider Gleichgewichte, so stellt sich das Strategiepaar (DV / DV) als auszahlungs-dominant und damit pareto-optimal oder effizient dar (½ a > ½ arc). Es würde nahe liegen, dass die Spieler aus diesem Grund das Strategiepaar (DV / DV) vorziehen. Dass es vor diesem Hintergrund dennoch zu einem (D / D) Gleichgewicht kommen kann, ist nur dann erklärbar, wenn dieses Gleichgewicht risikodominant ist.

Um den Nachweis der Risikodominanz des (D / D) Gleichgewichts zu führen, sind die Standardabweichungen der Nutzenverluste bei jeweils einseitigem Abweichen von dem (D / D) Gleichgewicht und dem (DV / DV) Gleichgewicht miteinander zu vergleichen, wobei sich im Fall des (D / D) Gleichgewichts die höhere Standardabweichung aufweisen müsste. Die Standardabweichung für das Dopinggleichgewicht bestimmt sich zu v ² (D / D) = [ U (D / D) – U (DV / D)]² = [½ a - rc – ½ a + ∆pa + α∆pa ]². Entsprechend lässt sich die Standardabweichung für das Gleichgewicht des Dopingverzichts berechnen zu v ² (DV / DV) = [ U (DV / DV) – U (D / DV)]² = [½ a – ½ a - ∆pa + rc + β ∆pa ]².

Es müsste gelten v ² (D / D) > v ² (DV / DV).

Da beide Nutzenverluste positive Werte annehmen müssen, ist es ausreichend, wenn die Bedingung ½ a - rc – ½ a + ∆pa + α∆pa > ½ a – ½ a - ∆pa + rc + β ∆pa erfüllt ist.

Umstellen der Ungleichung ergibt 2 ∆pa + α∆pa - β ∆pa > 2 rc.

Ausklammern von ∆pa und Auflösen nach r ergibt r < Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten= Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten.

Für alle Fälle unter den bereits definierten Bedingungen ∆pa > rc und αβ ≥ Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten müsste somit r < Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten erfüllt sein.

Für α = β folgt Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten = Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten=Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten.

Wegen αβ gilt Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten ≥ Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten.

Aus der definierten Bedingung ∆pa > rc folgt r < Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten.

Damit ist für alle für die Betrachtung relevanten Fälle die für die Risikodominanz des Dopinggleichgewichts erforderliche Bedingung r < Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten bewiesen.

Für das Verhalten der Spieler bedeutet dies, dass unter den vorgenannten Bedingungen kein Gefangenendilemma mehr vorliegt und das pareto-optimale Gleichgewicht unter Dopingverzicht auch bei individueller Betrachtung erreicht werden kann. Der Wettkampf nimmt nun die Form eines symmetrischen Zweipersonenspiels mit je zwei Strategien an, bei dem die Interessenkoordination der Spieler das zentrale Problem darstellt. Dieses Koordinationsspiel ist auch als Stag Hunt Game oder Hirschjagd/Hasenjagd bekannt. In solchen Spielen haben beide Nash-Gleichgewichte Vor- und Nachteile für jeden Spieler.

Wie die Wahl der Spieler zwischen auszahlungs-dominantem und risiko-dominantem Gleichgewicht erfolgt, ist bislang nicht abschließend geklärt.[5] Dieses Problem soll hier nicht vertieft werden.

Für die Zwecke dieser Arbeit ist es hingegen wichtig festzuhalten, dass durch die Integration von Fair Play Werten bei hinreichender Ausprägung selbiger ein (DV / DV) Gleichgewicht jedenfalls möglich wird. Damit führt die Integration von Fair Play Werten in der Modellbetrachtung im Hinblick insbesondere auf die Möglichkeit präventiver Dopingbekämpfung zu einer wesentlichen Verbesserung der Grundproblematik. Zum besseren Verständnis der genauen Wirkungszusammenhänge zwischen Fair Play Werten und der Strategieentscheidung folgt eine detaillierte Analyse der relevanten Parameter des Fair Play Modells.

[...]


[1] Gegen Lance Armstrong wurde inzwischen Strafantrag seitens des US-Justizministeriums gestellt. Armstrong soll Sponsorengelder in Millionenhöhe unter anderem an seinen ehemaligen Hauptsponsor, das staatliche Unternehmen US Postal zurückzahlen. Vgl. dazu die Meldung des Magazins stern vom 24.04.2013, abrufbar unter www.stern.de/sport/sponsorengelder-justizministerium-fordert-millionen-von-armstrong-2001721.html.

[2] Nähere Informationen zum Outreach Program der WADA finden sich unter www.wada-ama.org/en/Education-Awareness/Outreach-Program/.

[3] Nähere Informationen zum Play True Generation Program der WADA finden sich unter www.wada-ama.org/en/Education-Awareness/YOUTH-ZONE/Play-True-Generation/.

[4] Im ursprünglichen Modell von Haugen lautet die erforderliche Relation a > 2rc. Dies erklärt sich aus der Annahme Haugens, nach der ∆pa = ½ und damit p D = 1. Da in dieser Arbeit angenommen wird, dass gilt 0 ≤ ∆pa ≤ ½, wird die hier postulierte Bedingung in den meisten Einzelfällen strenger ausfallen als a > 2 rc.

[5] So ziehen Harsanyi und Selten (1988) die Auszahlungsdominanz der Risikodominanz vor (dieses Ergebnis wurde jedoch durch Haranyi (1995) relativiert), Carlsson und van Damme (1993) hingegen finden das genau entgegengesetzte Ergebnis. Letztlich zeigen empirische Studien von Cooper, DeJong, Forsythe und Ross (1994) die Abhängigkeit der Entscheidung von der Auszahlungsstruktur des Spiels.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Erscheinungsjahr
2013
ISBN (PDF)
9783958207516
ISBN (Paperback)
9783958202511
Dateigröße
3.7 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
FernUniversität Hagen
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1
Schlagworte
Verhaltensökonomie Sportökonomie Dopingprävention Dopingverbreitung Haugen Philipp Kynast
Produktsicherheit
BACHELOR + MASTER Publishing

Autor

Philipp Kynast wurde 1985 in Dinslaken geboren. Seit jeher sportbegeistert, war er in seiner Jugend ambitionierter Fußballspieler und Kapitän verschiedener Auswahlmannschaften. Nach dem Abitur leistete er den Zivildienst als Rettungsschwimmer und absolvierte währenddessen eine Ausbildung zum Fitnesstrainer. Anschließend studierte er Rechtswissenschaft an den Universitäten Düsseldorf, Münster und Barcelona sowie Wirtschaftswissenschaft an der FernUniversität in Hagen. Beides konnte er im Rahmen eines Masterstudienganges an der La Trobe University in Melbourne vertiefen. Seine Freizeit verbringt der Autor überwiegend mit sportlichen Aktivitäten. Während seines Studienaufenthaltes in Australien war die dortige Sportberichterstattung maßgeblich von einem Dopingskandal in der AFL geprägt. Mit der Bedeutung von Fair Play Werten für die Dopingbekämpfung befasste sich der Autor erstmalig im Rahmen eines Seminars zur Volkswirtschaftspolitik. Die dadurch eröffnete Möglichkeit, seine Sportbegeisterung mit dem Studium zu verbinden, motivierte ihn sodann zum Verfassen der diesem Buch zugrundeliegenden sport- und verhaltensökonomischen Abschlussarbeit.
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