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Das Ende der Visco-Kupplung als Allradantriebskonzept: Untersuchung zur rückläufigen Verwendung der Visco-Transmission in Neufahrzeugen

©2013 Bachelorarbeit 49 Seiten

Zusammenfassung

Diese Arbeit erforscht die Gründe für die stark rückläufige Verwendung der „Visco-Transmission“ als kostengünstiges Allradantriebssystem im PKW-Bereich und deren weitgehender Ersatz durch regelbare Lamellen-Kupplungen. Als Hauptgrund wurde die weitgehende Unverträglichkeit von elektronischen Stabilitätsprogrammen (ESP) mit dem selbstregelenden System der Visco-Kupplung identifiziert. Ältere elektronische „Helfer“ wie das Anti-Blockier-System (ABS) sind hingegen mit der Visco-Transmission ohne Zusatzaufwand kombinierbar. Technisch gibt es mehrere Lösungsmöglichkeiten um das einfache System der Visco-Kupplung mit einem ESP-System kompatibel zu machen. Allerdings ist hier eine geregelte Lamellen-Kupplung technisch einfacher, kosteneffizienter und bietet mehr Möglichkeiten zur externen Beeinflussung. Somit ist durch die bestehende ESP-Pflicht für neu zugelassene PKWs ein Verschwinden der Visco-Transmission für den europäischen Automarkt zu erwarten.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


1 Einleitung

Diese Arbeit behandelt schwerpunktmäßig die „Entdeckung“ der Visco-Kupplung als billiges 4WD-Nachrüstallrad-Konzept (Hang-On-System) in den frühen 1980er Jahren. Visco-Kupplungen und deren Arbeitsprinzip waren zu diesem Zeitpunkt bereits seit längerem bekannt und wurden beispielsweise als selbstregelnde Kühlerlüfter v.a. im Nutzfahrzeugbereich eingesetzt. Im Antriebsstrang von Kraftfahrzeugen wurde die Visco-Kupplung bis dahin nur parallel zu Ausgleichs-Differentialen als so genannten „Visco-Sperre“ benutzt. Hierbei verhindert die Visco-Kupplung bei auftretender Differenzdrehzahl zwischen den Rädern den prinzipiell sinnvollen Drehzahlausgleich im Differential um z.B. bei winterlichen Verhältnissen ein Fortkommen zu gewährleisten.

Die Volkswagen AG setzte im Zuge des Allrad-Booms 1984 die Visco-Kupplung erstmalig zur direkten Kraftübertragung zwischen den Achsen ein und ersparte sich somit nicht nur ein teures Mitten-Differential sondern auch noch dessen mechanische Sperre. Nur durch dieses einfache Konzept der „Visco-Transmission“ war es möglich die Vorteile des Allradantriebs auch in der „Golf-Klasse“ zu einem marktgerechten Preis anbieten zu können. Das System fand schließlich viele Nachahmer und blieb nicht nur auf das untere Marktsegment beschränkt. Wenige Teile und das weiche Eingriffsverhalten der Visco-Kupplung aufgrund des hydrodynamischen Prinzips erlauben die Realisierung eines Allradsystems mit wenig Zusatzgewicht, weshalb auch Sportwagenhersteller jenes „All-In“ Konzept wählten.

1.1 Geschichte

Als erstes Allrad-Fahrzeug in der Ära der Automobile gilt ausgerechnet ein Elektroauto. Der traditionsreiche, österreichische Hofwagen-Fabrikant Lohner war zur Jahrhundertwende auf die junge Automobil-Bewegung aufgesprungen und hatte dafür einen damals 25-jährigen Techniker der Elektrofabrik Egger abgeworben. Der junge Mann hielt nämlich ein Patent auf eine besondere Anordnung von Elektromotoren bei Automobilen: Um sämtliche Probleme der mechanischen Kraftübertragung zu umgehen integrierte dieser die Elektromotoren nämlich kurzerhand direkt in die Antriebsräder. In der Standardversion leisteten die elektrischen Radnabenmotoren jeweils 2,5 PS und trieben die Vorderräder an. Mit dieser Innovation avancierte der junge Mann namens Ferdinand Porsche zum Star der aufstrebenden Automobilbranche und wurde nebenbei auch noch auf der Weltausstellung von 1900 in Paris prämiert. Die Idee zum Allradantrieb wurde allerdings eher nebenbei geboren:

„Um die Forderung des englischen Rennfahrers E.W. Hart nach mehr Leistung und damit höherer Geschwindigkeit seines Elektro-Fahrzeuges zu erfüllen, griff der junge Ingenieur bei Lohner zu einem Trick: Er montierte Radnabenmotoren an den Vorder- und den Hinterrädern und verdoppelte so die Leistung des Fahrzeuges auf immerhin 10 PS.“[1]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1 – Lohner Porsche Allrad, Baujahr 1901[2]

Nach heutigen Maßstäben kann man sicherlich nicht von einem Rennwagen sprechen, außerdem mussten die vier Motoren mit ihren 10 PS das Gewicht der Batterien von über 1800 Kilogramm stemmen. Trotzdem reichte die Motorleistung für eine Maximalgeschwindigkeit von 60 km/h. Ein frontgetriebenes Exemplar dieser elektrisierenden Epoche hat die Zeit im Technischen Museum Wien überdauert, und kann dort bestaunt werden.[3]

Spätere allradgetriebene Entwicklungen entstanden vor allem auf der Basis militärischer Forderungen in der Zeit um den Zweiten Weltkrieg. Zu nennen ist hier wiederum eine Konstruktion von Ferdinand Porsche: Der Schwimmwagen (Typ 166) und eine Spezialversion des KdF-Wagens (Typ 87) der nach dem Krieg als VW-Käfer bekannt werden sollte und das Versprechen der nationalen Massenmobilisierung verspätet einlöste.[4] 1940 erfolgte die Ausschreibung der US-Armee für einen leichten Geländewagen mit Vierradantrieb, die Willys Overland mit dem GPW für sich entscheiden konnte. Im Jargon der Soldaten wurde aus dem „GeePee“ schließlich der Jeep, der als Urvater aller heutigen Geländewagen angesehen wird.[5] Der Name Jeep hat zudem den Gattungsbegriff der leichten Geländefahrzeuge geprägt und wird somit weltweit als Synonym verwendet.

Die zivile Weiterentwicklung der Allradfahrzeuge setzt sich mit dem englischen Land-Rover fort, der auf dem Chassis eines Jeeps entstand und im Busch des afrikanischen Kolonialreichs seinen idealen Einsatzzweck fand. Die Idee des einfachen und robusten Geländewagens wurde von Toyota (Land Cruiser), International Harvester (Scout 80), Ford (Bronco) und schließlich General Motors (Chevrolet Blazer) aufgegriffen. Der Range Rover begründete 1970 das Marktsegment des Luxus-Geländewagens, auf den Mercedes-Benz im Jahr 1979 dank einer Kooperation mit Steyr-Daimler-Puch mit dem G-Modell antwortete. Bei Steyr-Daimler-Puch hatte man bereits seit Ende der 50er Jahre mit dem Kleingeländewagen Puch Haflinger und dem darauf folgenden Puch Pinzgauer Erfahrungen im Bereich des Allradantriebs sammeln können. Diese Geländewagen-Modelle bildeten aber in Summe eine extrem kleine Marktnische und spielten auf dem Pkw-Markt prozentual eine unbedeutende Nebenrolle. Solange beim Allradantrieb der streng rationale Zugang und damit die Nützlichkeit im Vordergrund stand, hielt sich die Nachfrage in Grenzen.[6] Dies änderte sich erst entscheidend als über den Ralleysport ein emotionaler Zugang zum (überlegenen) Allradantrieb gefunden wurde. Der Allradantrieb war jetzt nicht „nur“ von Nutzen sondern schlichtweg „besser“.

Der Beginn des Allradantriebs in der automobilen Neuzeit ist untrennbar mit der Bezeichnung „Quattro“ verbunden. Aufgrund der Entwicklung des Bundeswehr-Geländewagens VW-Iltis durch die hundertprozentige VW-Tochter hatte man bei Audi dessen überraschend gutes Handling bei winterlichen Bedingungen registriert. Dies war die Initialzündung für einen Sportwagen mit Allradantrieb, den Audi Quattro, dessen überragenden Fahreigenschaften sich ab 1981 im Ralleysport zeigten und das Markenimage von Audi prägen sollte. Auf den Erfolg des Allradantriebs im Motorsport folgte der Verkaufserfolg, weshalb in den 80ern zahlreiche „4WD-Modelle“ auf der Basis von zweiradgetriebenen Basisfahrzeugen entstanden. Einer dieser frühen Modelle ist der VW T3 Syncro bei dem zum ersten Mal in Großserie eine Visco-Kupplung zur Drehmomentübertragung an die angebundene Vorderachse eingesetzt wurde. Mit der Entwicklung und auch der Produktion hatte man bei VW allerdings die Allrad-Spezialisten bei Steyr-Daimler-Puch in Graz beauftragt. Ein halbes Jahr nach dem Produktionsstart in Graz im Jahr 1984 folgte der VW Golf syncro bei dem mit dem gleichen Antriebskonzept die Hinterachse angebunden wurde.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2 – VW T3 Syncro in der Sahara[7]

1.2 Forschungsfrage

In dieser Arbeit wird der Frage nachgegangen wieso die „Visco-Transmission“ als Allrad-Antriebskonzept trotz der damaligen Marktdurchdringung heute weitgehend von der Bildfläche verschwunden ist und wieso in heutigen Allradfahrzeugen vorwiegend regelbare Lamellen-Kupplungen zum Einsatz kommen. Um diese Frage zu beantworten wurden v.a. Diplomarbeiten und Dissertationen zu diesem Themenkreis ausgewertet, da hier von Seiten der Fahrzeughersteller intensiv an unterschiedlichen Problemfällen gearbeitet wurde. Ergänzt wird die Analyse durch Berichte von Fahrzeugentwicklern über den aktuellen Stand der Technik in der Automobiltechnischen Zeitschrift (ATZ).

2 Allgemeines zur Visco-Kupplung

Bereits 1917 hat der Amerikaner P. Severy die Idee für eine Flüssigkeitskupplung geboren und zum Patent angemeldet.[8] Allerdings gab es zu dieser Zeit nur dickflüssige mineralische Öle, die für die Übertragung von Drehmomenten nur bedingt geeignet waren da sich einerseits bei Erwärmung ihre innere Viskosität stark verminderte und andererseits die Öle bei höheren Temperaturen Zersetzungserscheinungen zeigten. Dass die Idee grundsätzlich ihre Richtigkeit hatte, erwies sich erst mit der modernen Chemie, und der synthetischen Herstellbarkeit von Silikonölen. So wurde die Grundidee in den 70er Jahren von „Harry Ferguson Developments“ wieder aufgegriffen und die moderne Visco-Kupplung geboren. Zu Beginn wurde die Visco-Kupplung im Kraftfahrzeugbereich vor Allem als Wandlergruppe, Schwingungsdämpfer oder zum temperaturgesteuerten Antrieb von Kühlerlüftern benutzt. Anfang der 1980er Jahre fanden sich nach intensiver Entwicklungsarbeit neue Einsatzzwecke, wobei hier der zweite Anwendungsfall im Vordergrund steht:

- Differenzdrehzahlfühlende Differentialsperre (Visco-Sperre)
- Direkte Übertragungseinheit zwischen den Achsen (Visco-Kupplung)

2.1 Aufbau einer Visco-Kupplung

Der Aufbau einer Visco-Kupplung ist dem einer Lamellen-Kupplung sehr ähnlich. In einem allseits geschlossenen zylinderförmigen Gehäuse sind zwei verschiedene Arten von dünnen Stahllamellen angeordnet. Die gelochten äußeren Lamellen (Außenlamellen) sind drehfest auf Keilbahnen angeordnet und so mit dem antreibenden Gehäuse verbunden. Die mit einer Außenverzahnung versehenen Hohlwelle mit den aufgesteckten inneren Lamellen (Innenlamellen) bildet den Abtriebsteil. Die Außen- und Innenlamellen sind axial frei verschiebbar und berühren sich während normalen Betriebszuständen nicht, so dass keine mechanische Reibung auftritt. Die Hohlwelle ist im Deckel und im Gehäuse gelagert, wobei das ganze System druckdicht abgeschlossen ist. Die abwechselnd angeordneten Außen- und Innen-Lamellen bilden ein Lamellenpaar, wobei die Außenlamelle gelocht und die Innenlamelle geschlitzt ist. Die optimale Form der Bohrungen und Schlitze wurde empirisch ermittelt.[9] Die Anzahl der Lamellenpaare und somit die Anzahl der Wirkflächen hat zusammen mit dem Durchmesser der Lamellen und der Spaltweite zwischen den Lamellen entscheidenden Einfluss auf das übertragbare Drehmoment.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3 – Schnittbild einer Visco-Kupplung[10]

Das freie Innenvolumen der Kupplung ist zu circa 90 % mit hochviskosem Silikonöl gefüllt, das die Kraftübertragung zwischen den Lamellen übernimmt. Dabei handelt es sich rein äußerlich um eine zähe, transparente und geruchlose Flüssigkeit, deren Konsistenz an Honig erinnert. Die Klassifizierung als „Öl“ ist für Silikonöle eher irreführend insofern dadurch gewissen Assoziationen einer Schmierfähigkeit hervorgerufen werden. Infolge schwacher zwischenmolekularer Kräfte ist die Tragfähigkeit eine Silikonöl-Wandfilms jedoch sehr gering, was sich insbesondere bei der Materialpaarung Stahl-Stahl bemerkbar macht. Peschke merkt dazu an:

„Für die Werkstoffkombination Stahl / Stahl besitzen Methylsilikonöle im Bereich der Grenzreibung keine Schmiereigenschaften.“[11]

2.2 Funktionsweise einer Visco-Kupplung

Die Visco-Kupplung ist einer Mehrscheiben-Axialkupplung im Aufbau sehr ähnlich, nur dass üblicherweise die Antriebsmomente über Scherkräfte eines Öls übertragen werden und nicht durch mechanische Reibung. Als Eingangsgröße für das übertragbare Antriebsmoment dient der Visco-Kupplung ausschließlich die variable Differenzdrehzahl zwischen den Achsen. Für das Übertragungsverhalten muss grundsätzlich zwischen zwei verschiedene Modi unterschieden werden. Prinzipiell durchläuft eine Visco-Kupplung zuerst den Viskose-Modus und kann bei fortdauernder Belastung anschließend in den so genannten Hump-Modus wechseln.

Viskose Modus:

Wenn Gehäuse und Hohlwelle und damit Außen- und Innenlamellen sich gleich schnell drehen und somit auch das sich zwischen den Lamellen befindende Silikonöl mit der gleichen Geschwindigkeit rotiert, ist das Silikonöl keinem viskosem Widerstand ausgesetzt. Daraus folgt, dass in diesem Zustand keine Reibung zwischen den einzelnen Lamellen und dadurch auch keine Reibungsverluste auftreten. Im praktischen Einsatz wird dieser Idealzustand nie erreicht, da bei einem Kraftfahrzeug während des Fahrbetriebes andauernd geringe Drehzahlunterschiede an den einzelnen Rädern (Reifenschlupf, Kurvenfahrten usw..) auftreten.

Sobald Außen- und Innenlamellen sich unterschiedlich schnell drehen, versucht das durch Adhäsion direkt an den Lamellen haftende Silikonöl den divergenten Geschwindigkeitsvektoren zu folgen. Dadurch entsteht in den Molekülen des Silikonöl infolge der Kohäsion eine innere Reibung, die versucht die Differenzdrehzahl zwischen den Lamellen wieder aufzuheben. Dabei unterliegt das Silikonöl an den Bohrungen und Schlitzen der sich gegeneinander drehenden Lamellen zusätzlichen Scherkräften.

Da Silikonöle strukturviskose Flüssigkeiten sind bei denen mit wachsendem Schergefälle die Viskosität sinkt, ergibt sich ein degressives Übertragungsverhalten für das Antriebsmoment.[12] Das übertragbare Moment ist dabei im Wesentlichen von der momentanen Viskosität des Silikonöls und der Geometrie des Lamellenpakets abhängig. Die Viskosität ergibt sich wiederum aus der Basis-Viskosität, der Temperatur und der Scherrate.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4 – Momentenverlauf bei unterschiedlicher Umgebungstemperatur[13]

Hump-Modus:

Im Hump-Modus arbeitet die Visco-Kupplung in einem Bereich der Mischreibung, da neben der Flüssigkeitsreibung auch mechanische Reibung vorliegt. Durch die innere Reibung wird Bewegungsenergie in Wärme umgewandelt, wodurch sich das Silikonöl ausdehnt. Dessen Wärmeausdehnung ist im verwendeten Temperaturbereich (ca. 170°C) sehr hoch und beträgt circa das Vierfache von Aluminium.

Wärmeausdehnungskoeffizient

Silikonöl: α= 95-100 x 10-6 K[14]

Aluminium: α= 23 x 10-6 K[15]

Da der Innenraum der Visco-Kupplung hermetisch abgeschlossen ist, steigt somit der Innendruck infolge der Ausdehnung des Silikonöls sehr rasch an. Dabei bedingt vor Allem der Füllgrad der Visco-Kupplung (z.B. 90 %) die Schnelligkeit des Druckanstiegs. Bei bestehender Differenzdrehzahl wird die enthaltene Luft somit immer stärker komprimiert und geht mit den Silikonöl in Lösung. Ab einer bestimmten Schwell-Temperatur wird somit ein effektiver Füllgrad von 100 % erreicht. In diesem Zustand ist die Luft vollständig im Silikonöl gelöst. Der Innendruck steigt nun sprunghaft an und würde bei einer weiteren Energiezufuhr zur Zerstörung der Visco-Kupplung führen, da diese auf einen maximalen Innendruck von circa 100 bar ausgelegt ist.[16] Hier kommt die Visco-Kupplung in den Hump-Modus:

Bedingt durch eine destabilisierte Strömung liegt in der Visco-Kupplung eine inhomogene Druckverteilung vor. Dadurch entstehen unterschiedliche Lamellenspalte. Werden die Spalte zu eng, dann reißt der Silikonfilm und es kommt zur Berührung einzelner Lamellen und somit zur mechanischen Reibung. Aufgrund dessen erhöht sich schlagartig das übertragene Drehmoment wodurch die Differenzdrehzahl in der Visco-Kupplung rasch sinkt. In Folge der geringeren Reibungsverluste sinkt auch die Temperatur und somit der Innendruck. Die Strömung stabilisiert sich wieder, und die Kupplung wechselt wieder in den Viskose-Modus. Der Übergang zwischen den beiden Modi sollte sehr rasch erfolgen, weshalb die Visco-Kupplung wärmetechnisch optimiert werden muss. Der Hump-Modus ist keinesfalls als Dauerzustand gedacht, sondern nur für kurzzeitige Extremsituationen zur momentanen Traktionserhöhung und ist gleichzeitig ein konstruktionsbedingter Selbstschutz der Kupplung vor Überhitzung durch Überbeanspruchung.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5 – Humpverlauf Visco-Kupplung[17]

2.3 Charakteristische Kennlinie einer Visco-Kupplung

Bei geringen Drehzahldifferenzen wird nur ein sehr geringes Drehmoment übertragen. Dadurch ist der Ausgleich der An- und Abtriebswelle bei Kurvenfahrten als auch beim Rangieren und Einparken sichergestellt. Bei zunehmenden Schlupf (z.B. eisglatte Fahrbahn) zeigt sich eine gänzlich andere Übertragungscharakteristik, indem sich für den/die FahrerIn schnell (Zehntelsekundenbereich) und stufenlos das übertragenen Moment erhöht. Die Leistungsverzweigung erfolgt also automatisch ohne manuelle Eingriffe.

Die sich dabei ergebenden Kennlinie gibt den Verlauf des übertragenen Drehmoments als Funktion der Temperatur, und somit indirekt der Differenzdrehzahl, an. Die typische Kennlinie einer Visco-Kupplung kann dafür grob in drei Bereiche unterteilt werden:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 6 – Bereiche der Kennlinie[18]

Bereich I:

Ohne Differenzdrehzahl sind Silikonöl und Luft zwei streng voneinander getrennte Phasen. Erst mit steigender Differenzdrehzahl kommt es zur Durchmischung, wobei die entstehenden Luftblasen als „Störstellen“ mit verminderter Scherfestigkeit wirken. Durch die steigende Anzahl von Luftbläschen vermindert sich gleichzeitig das übertragbare Drehmoment.

Bereich II:

Durch die steigende Temperatur sinkt die Viskosität des Silikonöls. Dieser Vorgang wird durch das abnehmende Luftvolumen und der dadurch abnehmenden Störstellen teilweise eingebremst. Bei reinem Silikonöl (ohne gelöster Luft) wäre die Viskositäts-Verminderung noch deutlicher.

Bereich III:

Durch den inhomogenen Druckanstieg kommt es schlagartig zum mechanischen Kontakt der Lamellen und somit zur Festkörperreibung, die mit steigendem Innendruck immer mehr zunimmt. Die Temperatur, bei der der Hump-Modus eintritt ist wesentlich vom Füllgrad der Visco-Kupplung abhängig.

3 Allradkonzepte

3.1 Drehzahlausgleich

Beim Befahren von Kurven laufen nicht nur die Räder einer Achse auf unterschiedlich großen Spurkreisen, sondern auch Vorder- und Hinterachse rotieren mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Daraus folgt, dass jedes Rad und jede Achse mit unterschiedlichen Drehzahlen rotiert. Die Vorderräder rollen schneller auf den größeren, roten Spurkreisen, die Hinterräder langsamer auf den kleineren schwarzen. Die Drehzahldifferenzen beim Kurvenfahren müssen bei formschlüssiger Koppelung der Antriebselemente Differenziale ausgleichen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 7 – Drehzahlunterschiede der Räder bei Kurvenfahrt[19]

Beim idealen Allradantrieb arbeitet ein Mittendifferenzial (bzw. Längsdifferential) zum Drehzahlausgleich zwischen Vorder- und Hinterachse und zwei Differentiale in den beiden Achsen. Dabei ist das Kegelraddifferenzial die am weitesten verbreitete Bauform, bei dem standardmäßig das Gehäuse angetrieben wird. Im Gehäuse sitzen die horizontal liegenden Ausgleichskegelräder, die das Drehmoment wie Waagebalken an die vertikal liegenden Abtriebskegelräder weiterleiten. Die Abtriebskegelräder treiben dann entweder die einzelnen Räder einer Achse an (Achsdifferential), oder aber die Vorder- und Hinterachse (Längsdifferential).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 8 – Kegelraddifferential mit Antriebswelle[20]

Prinzipbedingt findet der Drehzahlausgleich zwischen den Achsen bzw. den einzelnen Rädern auch dann statt, wenn er unerwünscht ist. So z.B.: im Gelände oder auf der eisigen Winterfahrbahn. Dabei dreht immer das Rad mit dem geringsten Haftwert durch und der Vortrieb bricht zusammen. Am schlimmsten ist natürlich wenn bei einer Geländefahrt ein Rad frei in der Luft hängt. Für den anspruchsvolleren Einsatz muss ein solches Allrad-System daher zwingend mit Traktionshilfen kombiniert werden, welche die Funktion der Differenziale im Bedarfsfall kurzzeitig unterbinden. Zum Vergleich der unterschiedlichen Sperrsysteme wird häufig der so genannte „Sperrwert S“ in Prozent angegeben:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Formel 1 – Sperrwert[21]

[...]


[1] Jürgen Stockmar: Das große Buch der Allradtechnik, Stuttgart 2004, 13-14.

[2] http://www.auto-motor-und-sport.de/bilder/lohner-porsche-erstes-hybridauto-erstmals-allradantrieb-1939709.html [Zugriff 13.03.2013].

[3] http://www.technischesmuseum.at/objekt/elektrofahrzeug-lohner-porsche-1900 [Zugriff 13.03.2013].

[4] Vgl.: Hans Georg Mayer-Stein: Volkswagen: Militärfahrzeuge 1938-1948: KdF-Wagen, Kübelwagen und Schwimmwagen im Einsatz, Friedberg 1993, 29-30.

[5] Vgl.: Steve Zaloga, Hugh Johnson: Jeeps 1941-45, Oxford 2005, 12.

[6] Vgl.: Stockmar: Allradtechnik, 57.

[7] http://www.autobild.de/bilder/reportage-vw-bus-t3-syncro-17193.html [Zugriff 13.03.2013]

[8] Vgl.: Wolfgang Peschke: Die Wirkungsweise einer Visco-Kupplung und ihr Einfluss auf die Traktion eines Allradfahrzeugs, Dissertation Universität Hannover, 1989, 15.

[9] Vgl. Ebd., 39.

[10] http://dc430.4shared.com/doc/OY5rDBBO/preview.html [Zugriff 24.04.2013].

[11] Peschke: Visco-Kupplung, 25.

[12] Vgl.: Peschke: Visco-Kupplung, 32.

[13] Hans Hermann Braess, Ulrich Seiffert: Vieweg Handbuch Kraftfahrzeugtechnik, Wiesbaden 2003, 298.

[14] Peschke: Visco-Kupplung, 26.

[15] http://www.uni-protokolle.de/Lexikon/W%E4rmeausdehnungskoeffizient.html [Zugriff 24.04.2013]

[16] Vgl.: Peschke: Visco-Kupplung, 70.

[17] Braess, Seiffert: Kraftfahrzeugtechnik, 298.

[18] Hanspeter Mayer: Lebensdauer einer Viscokupplung unter vorgegebenen Betriebsbedingungen, Diplomarbeit TU Graz, 1990, 14.

[19] Stockmar: Allradtechnik, 85.

[20] http://www.nskeurope.de/cps/rde/xchg/eu_de/hs.xsl/kegelraddifferential-und-antriebswelle.html [Zugriff 25.04.2013]

[21] Braess, Seiffert: Kraftfahrzeugtechnik, 297.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Erscheinungsjahr
2013
ISBN (PDF)
9783958207530
ISBN (Paperback)
9783958202535
Dateigröße
2.7 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Fachhochschule Technikum Wien
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
2
Schlagworte
Syncro Viscomatic Haldex Torsen Silikonöl

Autor

Ing. Mag. Andreas Kern startete seine berufliche Karriere als Konstrukteur bei dem traditionsreichen Unternehmen Steyr-Daimler-Puch im Bereich der geländegängigen Spezialfahrzeuge. Auf lehrreiche Jahre der Praxis folgte die vertiefende Theorie im Rahmen eines Universitätsstudiums. Nicht zuletzt aufgrund seiner Liebe zu automobilem Kulturgut beschäftigte sich der Autor intensiv mit Technik- und Innovationsgeschichte. Insbesondere die Erforschung vergessener technischer Entwicklungen und deren möglichen Verbesserung nach dem heutigen Stand der Technik sind ihm dabei ein Anliegen.
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