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Förderung des entdeckenden Lernens durch den Einsatz dynamischer Geometrie-Software: Am Beispiel des Themas "Umkreis von Dreiecken"

©2010 Bachelorarbeit 47 Seiten

Zusammenfassung

Im Mittelpunkt des Buches steht die Frage, inwieweit das entdeckende Lernen durch den Einsatz einer dynamischen Geometrie-Software (DGS) am Beispiel des Themas "Umkreis von Dreiecken" in der Jahrgangsstufe 7 gefördert werden kann. Beginnend mit einer theoretischen Einführung zu den Begriffen des entdeckenden Lernens und dynamischer Geometrie-Softwares werden zunächst die entscheidenden Grundlagen gelegt. Im anschließenden praktischen Teil werden die durchgeführte Studie in einer siebten Klasse mit Blick auf die Grundintention und Ziele des zu behandelnden Themas der Geometrie konkretisiert und das Untersuchungsinteresse anhand von zentralen Fragestellungen erörtert. In der Analyse der Unterrichtsstunden und einer anschließenden kritischen Betrachtung wird die Konzentration auf dem entdeckenden Lernen mittels der DGS liegen und zu den zentralen Fragestellungen - beispielsweise inwieweit eine Geometrie-Software Hilfe leisten kann, die Fähigkeit zum Lösen geometrischer Fragestellungen zu fördern - Stellung genommen. Ebenso werden Vor- und Nachteile des Einsatzes einer DGS thematisiert.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


3.2. Sachanalyse

3.2.1. Ziele des Geometrieunterrichts

Holland (1988: 7f.) beschreibt vier Bereiche des Geometrieunterrichts in der Sekundarstufe I, von denen in dieser Studie die zwei folgenden herausgegriffen und an denen fundamentale und wichtige Ziele des Geometrieunterrichts dargestellt werden:

- Geometrie als Lehre vom Anschauungsraum
- Geometrie als Übungsfeld für Problemlösen

Dem ersten Bereich liegen vorrangig Inhaltsziele zugrunde, bei denen es um die Aneignung von Grundbegriffen aus der Geometrie und deren Anwendung geht. Darüber hinaus sollen zeichnerische Fertigkeiten gefördert und geometrische Zusammenhänge erfasst werden, die für den weiteren Erwerb geometrischer Inhalte bedeutsam sind. Den Stellenwert der Prozessziele, zu denen das selbständige Entdecken mathematischer Beziehungen gehört, unterstreicht Holland folgendermaßen: „Nur ein Unterricht, welcher den Schülern Gelegenheit gibt, geometrische Sätze und deren Allgemeingültigkeit weitgehend selber zu entdecken, trägt der Forderung nach integrierter Kenntnis geometrischer Zusammenhänge Rechnung.“ (Holland, 1988: 8). „Integrierte Kenntnis“ bedingt laut Holland, dass neu zu lernende Begriffe und Sätze an bereits erworbene Kenntnisse angeknüpft und diese miteinander in Beziehung gebracht werden sollen. Die Relevanz im Mathematikunterricht beläuft sich damit nicht nur auf ein Endergebnis, sondern der Prozess des Wissenserwerbes sollte prädominieren, um somit eine Nachhaltigkeit der Lernergebnisse zu ermöglichen. Gleichermaßen konkretisiert Bruner diesen Sachverhalt präzise: „Wissen ist kein Produkt, sondern ein Prozess“ (zit. nach Weigand, 1997: 6). Unter dem Aspekt „Übungsfeld für Problemlösen“ besteht das Hauptziel des Geometrieunterrichts sowohl darin, die Schüler zu ermuntern, Strategien zum Problemlösen zu finden, als auch darin, diese Fähigkeit des Lösens von Konstruktionsproblemen zu fördern. Um Ansätze zum Problemlösen zu entwickeln, können heuristische Verfahren oder Methoden hilfreich sein. Hierzu zählen unter anderem das Weglassen einer Bedingung, das Vorwärts- und Rückwärtsarbeiten und das Analogisieren (vgl. Leuders, 2003: 133f.).

Diese beiden aufeinander aufbauenden, von Holland aufgezeigten, Bereiche beschreibt Henn (1994: 5f.) unter Einbeziehung des Aspektes des Computereinsatzes als zwei Handlungsebenen. Auf der nichtcomputerunterstützten Ebene erlernen die Schüler grundlegende Begriffe und Konstruktionsschritte mit den herkömmlichen Methoden der Zirkel- und Linealkonstruktion. Sobald diese Grundkonstruktionen von den Schülern erfasst wurden und ihre reinen Durchführungen keinen Erfolg im Lernprozess mehr ergeben, können diese Grundkenntnisse dann auf der zweiten Ebene vom Computer als Bausteine genutzt werden. Somit können sich die Schüler auf das Problemlösen und das Entdecken und Finden geometrischer Zusammenhänge konzentrieren, welches mit der Nutzung des Zugmodus und der Ortslinienfunktion begünstigt wird. Dadurch kann der Schwerpunkt auf die Prozessziele gelegt werden.

3.2.2. Curriculare Einordnung des Themas

Das Thema „Umkreis von Dreiecken“ wird in die Thematik „Besondere Linien und Punkte im Dreieck“ eingeordnet und gehört somit in das Gebiet der geometrischen Konstruktionen. Laut des brandenburgischen Rahmenlehrplans von 2008 umfasst die grundlegende allgemeine Bildung der Doppeljahrgangsstufe 7/8 das Konstruieren besonderer Linien im spitzwinkligen Dreieck (Mittelsenkrechte, Winkelhalbierende, Höhe und Seitenhalbierende) und den Umkreis eines Dreiecks. Neben den grundlegenden Kenntnissen zur Konstruktion ist ein wesentlicher Bestandteil in der Geometrie das Erforschen geometrischer Zusammenhänge, welches insbesondere durch die Verwendung dynamischer Geometrie-Software unterstützt werden kann (vgl. RLP, 2008: 25). Diese entdeckten Eigenschaften und Beziehungen müssen dann verbalisiert und begründet werden.

Das Thema „Besondere Linien und Punkte im Dreieck“ wird üblicherweise mit der Schnittpunkteigenschaft der Mittelsenkrechten im Dreieck und dem daraus resultierenden Umkreis eines Dreiecks eingeleitet (vgl. Pohlmann; Stoye, 2002: 167, 171; Ulm, 2004: 11), welches das Thema der Untersuchung sein wird. Vorkenntnisse zu diesem Thema sind die allgemeinen Kenntnisse über Dreiecke wie die Winkelsumme und die Eigenschaften verschiedener Dreiecksgrundformen, die bei der Lage des Umkreismittelpunktes eine Rolle spielen. Teilweise ist die Mittelsenkrechte in der Grundschule bereits Gegenstand des Geometrieunterrichts.

3.3. Planung zur Durchführung der Studie

Vor der empirischen Studie zur Förderung des entdeckenden Lernens im Geometrieunterricht dient ein von den Schülern zu bearbeitender Fragebogen (vgl. Anhang 1) hauptsächlich der Einschätzung ihrer Vorkenntnisse. Als positiver Nebeneffekt fungiert er als Erinnerung für die Schüler an den Bereich der Geometrie. In der Auswertung konnte festgestellt werden, dass das Leistungsprofil der Klasse sehr heterogen ist. Es traten Probleme bei der Zuordnung unterschiedlicher Dreiecksgrundformen und grundlegender Begriffe auf, sodass diese am Anfang der Untersuchung kurz als Wiederholung besprochen wurden. Die Aufgabe 5, die der ersten Aufgabe in der Studie gleicht, konnte nicht richtig gelöst werden. Es gab verschiedene Lösungsansätze, von denen sich die Autorin erhofft, dass die Lerner diese mit Hilfe des Computers überdenken und zu einer Lösung führen können. Die Lösungsansätze der Schüler beruhten darauf, dass eine Mittelsenkrechte zur Strecke konstruiert und dann durch Probieren versucht wurde einen gleichen Abstand zu Punkt C zu finden. Ein anderer verbreiteter Gedanke war, mit dem Radius der Strecke jeweils einen Kreis um die drei Eckpunkte zu konstruieren, sodass der Schnittpunkt der Kreise den gesuchten Punkt darstelle. Da die Strecken und fast gleich lang waren, wurde die Hypothese, dass ein Schnittpunkt der Kreise existiere, von den Schülern aufgrund von zeichnerischer Ungenauigkeit für richtig gehalten.

Zur Einführung von GeoGebra ist eine Unterrichtsstunde geplant. Nach einer kurzen Erläuterung des Programmaufbaus lernen die Schüler anhand einfacher Konstruktionsaufgaben (vgl. Anhang 2) die Software kennen und üben den Umgang mit dieser. Eine relativ starke Steuerung des Geschehens ist bei der Einführung nicht zu vermeiden, damit das Programm für die Studie weitgehend sicher beherrscht wird. Zudem kann eigenständiges Handeln erst auf der Basis gesicherter Grundfertigkeiten sinnvoll erreicht werden.

Die Doppelunterrichtsstunde der Studie unterteilt sich in verschiedene Phasen, die im Verlaufsplan erkenntlich sind (vgl. Anhang 3). Ziel der Unterrichtsstunden ist die Entdeckung, dass durch die Konstruktion des Schnittpunktes der Mittelsenkrechten in einem Dreieck ein Punkt gefunden werden kann, der den gleichen Abstand zu allen drei Eckpunkten hat und dass eine Invarianz der Schnittpunkteigenschaft existiert. Außerdem wird der daraus resultierende Umkreis eines Dreiecks thematisiert und begründet. Eine weitere Zielsetzung ist die Erkundung der Lage des Umkreismittelpunktes anhand einer zweiten Aufgabe (vgl. Anhang 5). Die Einstiegsaufgabe (vgl. Anhang 4) ist derartig gewählt, dass sie sich zum entdeckenden Lernen eignet (vgl. Kapitel 2.1.1.). Der konkrete Kontext dieser Einkleidung des geometrischen Problems soll ein besseres Verständnis der Aufgabenstellung ermöglichen und zu Lösungsideen verhelfen. Dadurch ist die Aufgabe für die Schüler leicht zugänglich und fördert die Offenheit gegenüber einer neuen problemorientierten Situation. Gleichzeitig muss die Vorgehensweise zur Lösung des Problems selbst entwickelt werden, da kein bekanntes Lösungsverfahren angewandt werden kann (Barriere). Neben den Entdeckungsphasen, denen genügend Zeit eingeräumt werden soll, um die Schüler kreativ werden zu lassen, sind auch Phasen der Ergebnispräsentation durch die Schüler, gemeinsamer Unterrichtsgespräche zur Begründung ihrer Hypothesen und der Ergebnissicherung in Form von Merksätzen notwendig. Dadurch wird die geforderte Abwechslung an computergestützten und nichtcomputergestützten Phasen teilweise gesichert[1] (vgl. Kapitel 3.1.1.). Zudem zeigt sich hierbei, dass die Lehrkraft in Entdeckungsprozesse in mancher Hinsicht eingreifen muss, um die Sicherung von Teilerfolgen zu garantieren.

Mit einem von den Schülern ausgefüllten Feedbackbogen (vgl. Anhang 6) sollen die Analyse und die Reflexion untermauert werden. Abschließend war geplant, dass die Schüler zwei Wochen nach der Untersuchung eine Aufgabe zum Umkreis von Dreiecken manuell lösen sollten, um die Nachhaltigkeit der Lernerfolge unter vorherigem Computereinsatz feststellen zu können. Aufgrund der zuvor beschriebenen Probleme zur Durchführung dieser Studie konnte diese Phase leider nicht stattfinden.

3.4. Untersuchungsinteresse und Erwartung

Anhand des Themas der geplanten Unterrichtsstunden soll der Schwerpunkt der Beobachtungen und der Analyse auf dem entdeckenden Lernen liegen. Damit soll der Entdeckungsprozess mit Hilfe der DGS GeoGebra und ein daraus resultierender, weitgehend selbsterarbeiteter Lösungsweg einer problemorientierten Aufgabe im Vordergrund stehen und nicht eine präzise Beweisführung. Allerdings bedarf es zumindest einer Begründung der Hypothesen über die entdeckten Zusammenhänge, um den Entdeckungsprozess abzuschließen.

Im Zentrum dieser Studie stehen die folgenden Fragestellungen, zu denen anhand der Analyse der Unterrichtsstunden in der anschließenden Reflexion Stellung genommen werden soll:

- Wie stellt sich die Herangehensweise an die Aufgabenstellungen in der veränderten Lernumgebung dar?
- Inwieweit kann eine dynamische Geometrie-Software Hilfe leisten, die Fähigkeit zum Lösen geometrischer Fragestellungen zu fördern?
- Wie vollziehen sich die Stufen der Kreativitätsmodelle des entdeckenden Lernens?
- In welchem Maß ist entdeckendes Lernen zu dem Thema „Umkreis von Dreiecken“ überhaupt möglich?

Im Folgenden soll die Erwartungshaltung bezüglich der zu entdeckenden Zusammenhänge beschrieben werden. Es wird davon ausgegangen, dass die meisten Schüler die Einstiegsaufgabe experimentell durch ein Probierverfahren bearbeiten, indem sie die Stadt Mettmann mit den drei anderen Städten verbinden und erkennen, dass die Abstände nicht gleich groß sind. Anschließend wird versucht werden, den gesuchten Punkt durch Verschieben mittels des Zugmodus zu finden. Erst durch den Hinweis zur heuristischen Strategie des Weglassens einer Bedingung wird der überwiegende Teil der Klasse die Entdeckung machen können, dass sich die Mittelsenkrechten des Dreiecks in einem Punkt schneiden, welcher den gleichen Abstand zu allen drei Eckpunkten hat. Dieses gilt es dann zu überprüfen. Durch das Verschieben einzelner Eckpunkte kann dann die Invarianz der Schnittpunkteigenschaft festgestellt werden. Im Hinblick auf den Umkreis kann durch dynamisches Verändern entdeckt werden, dass die Eckpunkte des Dreiecks stets mit dem Kreis inzidieren. Demzufolge kann die Hypothese gebildet werden, dass jedes Dreieck einen Umkreis besitzt. Bei der zweiten Aufgabe zur Lage des Umkreismittelpunktes wird erwartet, dass zumindest zwei Lagen dieses Mittelpunktes (innerhalb und außerhalb des Dreiecks) ermittelt werden, welche auf ihre Gesetzmäßigkeit im Zugmodus visuell geprüft werden sollen. Mit dem Tipp der Einzeichnung der Innenwinkel wird eine Basis für die Relation zwischen der Lage des Umkreismittelpunktes und der Dreiecksgrundform geschaffen, welche selbständig in Merksätzen festgehalten werden soll.

3.5. Analyse des Verlaufs der Unterrichtsstunden

3.5.1. Themenbereich: Entdeckendes Lernen

Im Folgenden sollen die durchgeführten Unterrichtsstunden bezüglich des entdeckenden Lernens untersucht werden. Die Auswertungen beruhen auf den Beobachtungen während des Unterrichtsgeschehens, auf den Mitschriften der Schüler, auf den Konstruktionsprotokollen der gespeicherten Dateien in GeoGebra sowie auf einer Videoaufnahme. Leider ist die Aufnahme qualitativ schlecht, sodass diese nur zur Unterstützung der Beobachtungen der Autorin dienen konnte und keine Videosequenzen als Beleg verwendbar waren. Ein Nachteil der Konstruktionsprotokolle liegt darin, dass diese die dynamischen Bewegungen, die die Schüler vollzogen haben, nicht wiedergeben. Demzufolge liegt der Fokus der Auswertung hauptsächlich auf den gemachten Beobachtungen und den Notizen der Schüler.

Bei der Einstiegsaufgabe konnte wie erwartet beobachtet werden, dass die meisten Schüler eine experimentelle Vorgehensweise wählten, indem sie die drei Eckpunkte des entstandenen Dreiecks mit dem Punkt D, der Stadt Mettmann, verbanden und mit Blick auf das Algebrafenster von GeoGebra feststellten, dass die drei Strecken nicht gleich lang waren und der Handysendemast somit nicht in Mettmann aufgestellt werden würde. Durch Verschieben des Punktes D im Zugmodus bestimmten die Lerner durch Probieren den ungefähren Standort des Mastes. Mittels dieses Verfahrens wurde vorläufig zwar nicht das Ziel erreicht, den gesuchten Punkt zu konstruieren; allerdings gelangten die Schüler durch das Probierverfahren zu dem Teilergebnis, dass die Befürchtungen der Stadt Mettmann nicht berechtigt sind, was sich motivierend auf die weitere Vorgehensweise auswirkte. Durch die Möglichkeit des freien Experimentierens verschafften sich die Schüler eine Grundlage zum Verständnis der Aufgabe und machten sich mit dem Geometrieprogramm vertraut. Andere Schüler versuchten ohne die oben beschriebene Phase direkt den gesuchten Punkt zu finden. Dabei konnten zwei verschiedene Ansätze beobachtet werden, die nacheinander beleuchtet werden sollen.

Eine Zweiergruppe vermutete, dass der Punkt über die Konstruktion der Seitenhalbierenden zu finden sei. Ihre Begründung dafür lag darin, dass die Seitenhalbierende einer Strecke diese halbiert, sodass somit der entstandene Schnittpunkt zu den beiden Punkten A und B den gleichen Abstand habe. Die beiden Schüler durchliefen die Inkubationsphase nach Winter (vgl. Kapitel 2.1.2.), da sie im Gespräch miteinander verschiedene Ideen abwogen und sich nach ihrer Begründung für die beschriebene entschieden. Bei der Konstruktion aller drei Seitenhalbierenden entdeckten sie, dass sich diese in einem Punkt schnitten. Nach dieser kurzen Illuminationsphase prüften sie mit der Messfunktion, ob dieser Schnittpunkt zu allen drei Eckpunkten den gleichen Abstand hatte. Diese Form der Eigenkontrolle, welche ihnen im Vorfeld in der Einführung des Programms nahegelegt wurde, erklärt Brüning [u.a.] (2008: 19) im Prozess des selbständigen interaktiven Lernens für essentiell. In der von den beiden Schülern durchlaufenen Verifikationsphase stellten sie fest, dass ihre Lösung zwar nicht korrekt war (vgl. Anhang 7), ließen sich aber nicht entmutigen, sondern schienen noch motivierter, die richtige Lösung finden zu wollen, da sie der Meinung waren, kurz vor der Lösung des Problems gestanden zu haben. Daher kann behauptet werden, dass sie nach Durchlaufen der Phasen Winters bei der Inkubationsphase erneut einsetzten. An der Verfahrensweise dieser beiden Schüler zeigt sich, dass das Prozessziel des eigenständigen Denkens mit „Mut zur Hypothesenbildung“ (Weth, 1997: 83) durch den Einsatz einer DGS gefördert werden kann. Es sei außerdem daran erinnert, dass nach Weth (1997: 82) Erkenntnisse auch dann als nützlich und produktiv gelten, wenn sie für den Lerner subjektiv neu und für den zu lernenden Unterrichtsstoff hilfreich sind. Aufgrund dessen, dass die Idee der Schüler im Allgemeinen sehr gut war, kann ein Überdenken der Seitenhalbierenden im weiteren Entdeckungsprozess zur Lösung führen.

Eine weitere Zweiergruppe hatte den Ansatz, jeweils einen Kreis mit gleichem Radius um die drei Eckpunkte zu konstruieren. Ihre Erwartung, dass sich diese in einem Punkt schneiden würden, traf nicht ein.[2] Leider verwarfen sie ihre Idee nach kurzer Zeit, griffen diese allerdings bei der Nennung der heuristischen Hilfestellung sofort wieder auf.

Die Einstiegsphase hat zwar gezeigt, dass die Schüler verschiedene, konstruktive Ideen und Ansätze bei der Arbeit mit GeoGebra hervorbrachten. Jedoch schafften es nur zwei Schülerpärchen eigenständig, den gesuchten Punkt über die Mittelsenkrechten zu konstruieren. Es ist offensichtlich, dass für die Mehrheit der Schüler entdeckendes Lernen nicht allein mittels Computereinsatz vollzogen werden kann, sondern dass andere didaktische Faktoren mit einbezogen werden sollten. Aufgrund dessen bekamen die Schüler folgende strategische Hilfestellung: sie sollten überlegen, wo alle Punkte liegen, die zunächst von zwei gegebenen Orten den gleichen Abstand haben. Dabei handelt es sich um die heuristische Strategie des Weglassens einer Bedingung. In diesem Augenblick greift zwar die Lehrperson in den Entdeckungsprozess der Schüler ein und lenkt ihn somit in eine vorgegebene Richtung. Dieser Impuls ist jedoch in diesem Fall produktiv für das Entdecken durch die Schüler, weil sie bereits längere Zeit eigenständig gearbeitet und Teilerfolge erreicht haben. Ansonsten könnte im weiteren Verlauf das versuchte Experimentieren wenig Erfolg versprechen und die Motivation der Schüler würde sich verringern. In diesem Sinn ist die von der Lehrkraft gegebene Entdeckungshilfe zum Selbstfinden einer Lösung im gelenkten entdeckenden Lernen berechtigt (vgl. Kapitel 2.1.). Zudem wird eine wichtige heuristische Strategie bewusst gemacht und erlernt.

Durch diese Hilfestellung konnte bei einigen Schülern der Weg in die entdeckende Phase begünstigt werden. Dieses zeigte sich darin, dass sie die Mittelsenkrechten konstruierten und entdeckten, dass sich diese in einem Punkt schnitten. Die zuvor für die Schüler nicht lösbare Aufgabe aus dem Fragebogen, die der Einstiegsaufgabe gleicht, konnte mittels einer heuristischen Strategie und dem Einsatz des Computers bewältigt werden. Bei der Präsentation der Entdeckungen durch eine Gruppe wurde aufgrund einiger Schülerreaktionen klar, dass diese Schritte nicht für alle Schüler nachvollziehbar waren. Dieses Problem soll jedoch erst in Kapitel 3.5.2. kritisch betrachtet werden. Durch eine Überprüfung der Abstände von dem neu konstruierten Punkt zu den drei Eckpunkten mittels der Messfunktion im Algebrafenster „bewies“[3] die Schülerin, dass an dem über die Mittelsenkrechten konstruierten Punkt der Handysendemast aufgestellt werden müsste. Anhand der Idee zur Konstruktion der Mittelsenkrechten wird deutlich, dass Computerprogramme nicht das Denken der Schüler übernehmen, sondern dass das traditionelle Wissen weiterhin eine wichtige Rolle spielt.

Mit einer von der Lehrperson gestellten Frage, die die Hinführung auf den Umkreis intendierte, wurde dieser thematisiert und von den Schülern anschließend konstruiert. Unter Benutzung des Zugmodus sollte herausgefunden werden, wie sich diese Konstruktion bei anderen Dreiecken verhält und wie dieser Zusammenhang zu begründen ist. Das Ziel ist eine Verallgemeinerung, bei der im Entdeckungsprozess eine Vermutung über geometrische Zusammenhänge geäußert werden soll. Die Möglichkeit des beliebigen Variierens der geometrischen Konstruktion brachte verschiedenen Schülergruppen in der entdeckenden Phase eine für sie subjektiv neue Erkenntnis. Sie stellten eine Invarianz der Schnittpunkteigenschaft der Mittelsenkrechten fest, bei der die Abstände zu den Eckpunkten im Verhältnis zueinander gleich groß blieben. Durch diese Feststellung, welche die Lerner in ihren Notizen verbalisierten und festhielten (vgl. Anhang 8), absolvierten sie die entwickelnde Phase nach Weth. Hier wird Folgendes deutlich, was bereits Weigand (1997: 6) als didaktische Überlegung zum Einsatz des Computers darlegte: „Geometrische Sätze ergeben sich […] als Invarianzaussagen bzgl. des Variationsmodus. Dadurch ergibt sich insbesondere die Möglichkeit der induktiven Satzfindung, d.h. das Aufstellen von Vermutungen über geometrische Zusammenhänge“. Mit den Beobachtungen der Schüler war ein Ansatz zur Satzfindung des Umkreises eines Dreiecks vorhanden, der später gemeinsam im Klassenverband als Merksatz zur Sicherung des neuerworbenen Wissens festgehalten wurde. Mit dieser durch den Zugmodus entdeckten Invarianz wurden einige Schüler für ein weiteres Prozessziel sensibilisiert, wodurch ein erster Schritt zur „Schulung auf das mathematisch Interessante“ (Weth, 1997: 83) bewirkt werden konnte. Allerdings ist das genannte Prozessziel wesentlich einfacher zu fördern, wenn dieses für manche Schüler oftmals nicht besondere Phänomen mit kontrastierenden in Beziehung gesetzt wird. Auf diesen Aspekt wird in Kapitel 3.5.2. näher eingegangen.

Diese Entdeckung der Invarianz wurde erst durch die Option des Variierens im Zugmodus möglich, welche an einer statischen Konstruktion nicht hätte realisiert werden können. Gleichermaßen erweist sich das Programm für die Schüler bei der Konstruktion des Umkreises als sehr sinnvoll, da auf der manuellen Art und Weise die drei Punkte aufgrund zeichnerischer Ungenauigkeit oftmals nicht alle auf dem Kreis liegen. In diesem Fall fehlt eine wichtige Grundlage, um entdeckendes Lernen überhaupt erst zu ermöglichen. Die Eigenschaft, dass jedes Dreieck einen Umkreis besitzt, schien für viele Schüler keine besondere Bedeutung zu haben. Dieses Problem soll ebenfalls in Kapitel 3.5.2. noch einmal aufgegriffen werden.

Bei der zweiten Aufgabe, deren Ziel die Entdeckung der Lage des Umkreismittelpunktes ist, konnte die Mehrheit der Lerner die drei verschiedenen Möglichkeiten herausfinden und diese selbständig in Merksätzen festhalten. Durch die erneute Konstruktion des Umkreismittelpunktes konnte das neuerworbene Wissen aus der ersten Aufgabe noch einmal gefestigt werden. Mittels der Verwendung des Zugmodus verschafften sich alle Schüler einen experimentellen Zugang zu dem zu erforschenden Sachverhalt. Das Experimentieren zeigte sich zunächst bei allen Schülern in einem unbedachten Ziehen der Eckpunkte, wodurch sich die Konstruktion und somit der Umkreismittelpunkt sehr schnell bewegten. Demzufolge konnten von einigen Schülern keine neuen Vermutungen geäußert werden, sondern nur die bereits erkannte Feststellung, dass die Schnittpunkteigenschaft invariant blieb. Im Gegensatz zu anderen Lernern musste diesen die Hilfestellung gegeben werden, den Eckpunkt der Figur langsamer zu bewegen, um besser beobachten zu können. Wenigen Schülern musste eine weitere Stütze gegeben werden, die Lage des Punktes bezüglich des Dreiecks zu betrachten. Diese erste Phase zeigt eindeutig das von Sträßer beschriebene „tastende Ziehen“ (vgl. Kapitel 2.2.1.), da die Vorgehensweise der Schüler durch die schnelle Bewegung unkontrolliert zu sein schien und sie keine relevanten Hypothesen äußern konnten. Durch die Tipps, die ungefähr die Hälfte der Schüler nicht benötigte, gewannen sie zunächst die allgemeine Erkenntnis, dass der Umkreismittelpunkt sowohl innerhalb als auch außerhalb des Dreiecks liegen kann. Dieser Augenblick der Illumination, wie er von Winter bezeichnet wird, welche der entdeckenden Phase nach Weth gleicht, ist, wie zuvor erwähnt, wissenschaftlich schwierig zu untersuchen, weil in den Gedanken des Lerners intuitiv eine Idee entsteht, die eine subjektive Neuentdeckung hervorruft. Dass diese Phase der Illumination eingetreten ist, kann nur an dem Ergebnis in den Mitschriften nachvollzogen werden (vgl. Anhang 9). Mithilfe der Einzeichnung der Innenwinkel konnten Hypothesen gebildet werden, unter welchen Bedingungen der Umkreismittelpunkt außerhalb oder innerhalb des Dreiecks liegen könnte. Ihre Vermutungen bestätigten die Schüler, indem sie mithilfe des Zugmodus eine hohe Anzahl verschiedener Beispiele hinsichtlich ihrer Hypothesen untersuchten. Anhand dieser visuellen Grundlage konnte eine Gesetzmäßigkeit gefunden und schließlich bestätigt werden. Es war eindeutig zu beobachten, dass die Lerner nach einer geäußerten Vermutung den Zugmodus sehr bedacht und kontrolliert benutzten, welches auf die Phase des „bestätigenden Ziehens“ (vgl. Kapitel 2.2.1.) hinweist. Den dritten Fall entdeckten viele Schüler erst, nachdem der Hinweis gegeben wurde, dass es insgesamt drei Fälle gibt. Die entwickelnde Phase nach dem Modell Weths hat in dem Moment stattgefunden, in dem die Lerner ihre für sich bestätigten Vermutungen in Form von Merksätzen in ihr Arbeitsheft geschrieben und somit ihre Entdeckungen der vorherigen Phase gesichert haben (vgl. Anhang 10). Mit dem letzten Fall, dass in einem rechtwinkligen Dreieck der Mittelpunkt auf der Hypotenuse liegt, ist eine Ausgangslage für eine spätere Bearbeitung des Satz des Thales geschaffen.

An einem Beispiel der Schülernotizen ist zu erkennen, dass trotz der zahlreichen Beispiele stumpfwinkliger Dreiecke, die mittels des Zugmodus veranschaulicht werden konnten, die Hypothese noch nicht bewiesen zu sein scheint:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Durch den Gebrauch des Wortes „oft“ zeichnet sich ab, dass die visuelle Überprüfung unter Zuhilfenahme des Zugmodus für den Schüler insgesamt nicht ausreicht, sondern indirekt ein Beweis für notwendig gehalten wird. Dieser Beweis hat erstens nicht stattgefunden, da der Fokus dieser Arbeit auf dem Entdeckungsprozess liegt. Zweitens scheint ein Beweis dieses Sachverhaltes nach der Behandlung des Peripherie- und Zentriwinkelsatzes angemessen, da mit diesem Wissen der entdeckte Zusammenhang der Lage des Umkreismittelpunktes begründet werden kann.

Entdeckendes Lernen umfasst nach Niederdrenk-Felgner (1998: 41) neben den bisher thematisierten Aspekten, dass im Entdeckungsprozess Fragen selbst entwickelt werden und über die von der Lehrperson gestellten hinausgehen. Eine Schülerin, die von ihrer Lehrerin als mathematisch begabt eingestuft wird, ist zusätzlich diesen Weg gegangen, indem sie sich gefragt hat, was passieren wird, wenn die drei gewählten Orte nicht in der Form eines Dreiecks zueinander liegen, sondern sich auf einer Geraden befinden. Damit hat sie sich zwar von dem Thema „Umkreis von Dreiecken“ losgelöst, aber weitere interessante Untersuchungen bezüglich der eingekleideten Aufgabe angestellt. Sie hat dabei herausgefunden, dass sich die Mittelsenkrechten nicht mehr schneiden können, da sie parallel verlaufen und ein solcher Punkt, der von allen drei Punkten den gleichen Abstand hat, nicht mehr existent ist. Damit ist die Aufgabe unlösbar geworden. Mit dieser Vorgehensweise, die für das entdeckende Lernen wünschenswert ist, hat sie gezeigt, dass sie sich selbständig Zusammenhänge erklären konnte, die über das Thema und über die Erwartungen der Lehrperson hinausgingen. Zu dieser Entdeckung hat mit Sicherheit der konkrete Kontext beitragen, da die Schülerin davon ausgegangen ist, dass alle drei Personen Nachbarn sind, die nebeneinander wohnen. In dieser Hinsicht erweist sich, dass eingekleidete Aufgaben den Schülern helfen sich einen mathematischen Sachverhalt besser vorstellen und diesen bearbeiten zu können.

[...]


[1] Nichtcomputergestützte Phasen, in denen die herkömmlichen Methoden zur Konstruktion geschult werden, konnten im Rahmen dieser zeitlich begrenzten Studie nicht berücksichtigt werden.

[2] Der gleiche Ansatz tauchte in dem Fragebogen auf. Aufgrund zeichnerischer Ungenauigkeit erkannten diese Schüler einen Schnittpunkt (vgl. Kapitel 3.3.).

[3] Wortlaut der Schülerin; es handelt sich jedoch lediglich um eine Überprüfung.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2010
ISBN (PDF)
9783958207691
ISBN (Paperback)
9783958202696
Dateigröße
1.4 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Potsdam
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1,7
Schlagworte
DGS GeoGebra Zugmodus Geometrieunterricht Geometrie

Autor

Julia Engelhardt wurde 1986 in Gifhorn geboren. Ihr Lehramtsstudium an der Universität Potsdam schloss die Autorin im Jahre 2012 mit dem akademischen Grad Master of Education erfolgreich ab. In einem Seminar zum Computereinsatz im Mathematikunterricht entsprang die Idee zum Thema des Buches. Die Motivation der Autorin, sich dieser Thematik zu widmen, schöpfte sie daraus, dass es ihr am Herzen liegt in Zukunft im Mathematikunterricht nicht nur die händischen Fähigkeiten zu schulen, sondern auch den Umgang mit technischen Hilfsmitteln zu fördern, um den Schülern den Raum zu geben, selbst Zusammenhänge zu erkennen.
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