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Die Rezeption von Community Organizing in der BRD

©2014 Bachelorarbeit 55 Seiten

Zusammenfassung

„Bürger benötigen, um als zivilgesellschaftliche Akteure Einfluss nehmen zu können, vor allem die Fähigkeit zu einem bewussten Vollzug kollektiver Entscheidungen.“ (Fehren 2008)
Haben Bauer und Szynka mit der These Recht, dass der Umgang mit Community Organizing und der Umgang mit Alinskys Schriften innerhalb der BRD als Nicht-Rezeption aufzufassen ist?
Die vorliegend Literaturarbeit setzt sich mit Community Organizing in der Bundesrepublik Deutschland auseinander. Der Fokus wurde auf die historische Entwicklung, konkret auf die Rezeption beziehungsweise Nicht-Rezeption von CO innerhalb der BRD, gelegt, wobei der Verlauf einer etwaigen Rezeption beziehungsweise Nicht-Rezeption mit dem Ziel nachgezeichnet wird, um die These von Bauer und Szynka, der Umgang mit CO (und der Umgang mit Alinskys Schriften) innerhalb der BRD sei als Nicht-Rezeption aufzufassen, auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen. Unterstützend wird die CO Fort- und Weiterbildung (Training) als Indikator einer etwaigen Rezeption beziehungsweise Nicht-Rezeption und somit Implementierung beziehungsweise Nicht-Implementierung von CO innerhalb der BRD näher betrachtet.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


1.2.2 Methodik & Grundprinzipien

Der methodische Ablauf von CO lässt sich in Persönliche Gespräche (one on one), Versammlung, Machtanalyse und Recherche (research), Aktion (action) und Reflektion und Organisationsaufbau, also in vier Phasen einteilen. Im Folgenden werden die vier Phasen kurz skizziert, wobei die Besonderheiten einer abweichenden Form, die des Broad-based Community Organizing (BbCO) (vorwiegend bei DICO (Deutsche Institut für Community Organizing), IAF (Industrial Aeras Foundation) zu verorten) nur kurz in dem nachfolgenden Abschnitt (1.2.6) erwähnt wird. (vgl. Müller, Szynka 2014, S. 18 / Schraml 2010, S. 88)

Persönliche Gespräche (one on one)

Wie one on one schon vermuten lässt, beginnt CO mit Eins-zu-Eins Gesprächen, welche von unterschiedlicher Länge sein können, sich jedoch im Rahmen von dreißig bis sechzig Minuten bewegen sollten. Der Gesprächsaufbau gliedert sich hierbei in Einstieg, Kennenlernen, Erfragen von Sorgen und Wünschen und Ausklang, wobei das aktive Zuhören der Organizer*innen von zentraler Rolle ist. Das Gespräch sollte im Nachhinein schriftlich festgehalten werden, sodass später auf die Informationen zurückgegriffen werden kann. (vgl. Müller, Szynka 2014, S. 18)

Zu Begründen ist die Art des Vorgehens in der ersten Phase damit, dass die Grundziele jener Phase sind, Menschen zu aktivieren, Beziehungen zu knüpfen, Vertrauen aufzubauen und die (gemeinsamen) Interessen der Menschen zu ergründen. Nützlich ist hierbei auch, die Talente und Wertvorstellungen des Gegenübers in Erfahrung zu bringen. Beziehungen und Eigeninteresse lassen Menschen aktiv werden, so Müller und Szynka. (vgl. Müller, Szynka 2014, S. 18) Schraml führt die Motivationsgründe und somit das aktiv werden jedoch weiter aus, wobei sie sechs Gründe unterteilt: (1) problemorientierte Gründe, welche der Bewältigung eigener oder gesellschaftlicher Missstände entspringen, (2) altruistische Gründe, welche dem Gemeinwohl dienen und nicht selten Pflichtcharakter haben, (3) gemeinschaftsbezogene Gründe, welche dem sozialen Kontaktaufbau dienen, (4) gestaltungsorientierte Gründe, welche durch den Anspruch einer aktiven Partizipation und Mitbestimmung geprägt sind, (5) entwicklungsorientierte Gründe, welche sich auf die eigene Entwicklung, das eigenen Vorankommen beziehen und als letzter Grund können hierbei (6) (christlich-)religiöse Motive aufgeführt werden. (vgl. Schraml 2010, S. 90 – 94)

Alinsky´s Persönlichkeitstheorie (Motivationstheorie) selbst, sei an die vier Wünsche von Thomas These angelehnt, somit dem Wunsch nach Sicherheit, neuem Erleben, Erwiderung und Anerkennung. Jenen liege die individuelle Motivationsstruktur zugrunde. (vgl. Stövesand 2013, S. 50)

Versammlung, Machtanalyse und Recherche (research)

Haben sich in der ersten Phase gemeinsame Interessen der Menschen herauskristallisiert, so werden jene Menschen in der zweiten Phase zu einem Zusammentreffen (meeting) zusammengebracht, um eine Kerngruppe heraus zu filtern und somit den nächsten Schritt einleiten zu können, die Machtanalyse. Ein target zu finden, welches die gesamte Community Organization trägt, welches der Community Organization genau das geben kann was sie will, die Reflektion, ob die Macht der Gruppe ausreicht, um das gewünschte (realistische) Ergebnis in einem realistischen Zeitfenster zu erreichen, sind die Ziele in diesem Prozess. Die Beachtung soll auch darauf gerichtet werden, ob das Ziel dazu beiträgt, den Kreis der Verbündeten zu erweitern und die Mitglieder der Organisation zu trainieren (Nachhaltigkeit). (vgl. Müller, Szynka 2014, S. 19)

Wissen ist Macht, so auch beim nächsten Schritt, dem Schritt der Nachforschung. Der Sachverhalt, die Zielperson (Zielinstitution) und mögliche Verbündete werden im Weiteren analysiert, wobei folgende Fragestellungen zu beantworten sind:

Wer ist sonst noch vom Problem betroffen? Welche Ressourcen stehen zur Verfügung und was wird noch benötigt? (Kontext: Finanzierung) Welche Beziehungsstrukturen und Hintergründe hat das Ziel? In welchem Verantwortungsgeflecht ist das Ziel verwoben und welche Macht (welche Verbündeten) kann das Ziel akquirieren (Widerstandsanalyse)? Wie sieht der geschichtliche Hintergrund des Problems aus und können sich daraus Lösungsansätze entwickeln lassen? Gibt es ähnliche (bereits gelöste) Problemlagen, aus welchen Gewinnbringendes abgeschöpft werden kann? (vgl. Müller, Szynka 2014, S. 19)

Bei dieser Analyse sollte auf Erfahrungen der Gruppe (als Expert*innen ihrer eigenen Lebenswelt) zurückgegriffen werden. (vgl. Müller, Szynka 2014, S. 19)

Aktion (action)

Endziel bei der Phase der Aktion ist es, das Ziel dazu zu bewegen, an einem öffentlichen Treffen teilzunehmen und zu bewirken, dass das Ziel Verhandlungen eingeht und Zugeständnisse macht. Ist die Macht der Gruppe nicht groß genug (wird sie vom Ziel nicht ernst genug genommen) und das Ziel lehnt eine Zusammenkunft ab, so sollte der Druck schrittweise erhöht werden. Dies kann über kleinere Aktionen erfolgen. Kreativität und Spaß an den Aktionen sind Schlüsselbegriffe, denn je größer die Aufmerksamkeit desto größer wird der Druck auf das Ziel. Von Provokation (erzeugt unüberlegtes Handeln des Zieles) bis hin zum zivilen Ungehorsam ist alles denkbar. Jedoch sind Respekt vor der Zielperson und unabdingbare Kooperationsbereitschaft der Gruppe absolute Grundprinzipien beim Prozess. (vgl. Müller, Szynka 2014, S. 19 f.)

In Anbetracht dessen, dass (im Gegenteil zu den Zielen) Gruppenmitglieder oftmals keine hinreichenden Erfahrungen bezüglich öffentlichen Treffen haben, ist es ratsam, vorher Rollenspiele und dergleichen zu üben, sodass –und auch dies ist ein Grundprinzip- das Zepter bei öffentlichen Treffen stets in der Hand der Community Organization verbleibt. (vgl. Müller, Szynka 2014, S. 19 f.)

„Reaktion ist Aktion. An fraglichen Reaktionen der Zielpersonen wird ersichtlich, dass die Macht der Organisation wächst“ (Müller, Szynka 2014, S. 20)

Reflektion und Organisationsaufbau

Die in Phase zwei erwähnte, realistische Zielsetzung soll die Garantie für den Erfolg erhöhen, Erfolge verzeichnen lassen und resignierte Menschen aktivieren, was wiederrum zu einer Stärkung der gesamten Organisation führt. So ist es als letzten Schritt wichtig, den Gesamtprozess auszuwerten und aus dem Geschehenen für die nächste Runde (mit eventuell „höheren“ Zielen) zu lernen. (vgl. Müller, Szynka 2014, S. 20)

Pluralität ist ein wichtiges Schlüsselwort, wenn es um die Arbeit mit CO geht, sodass Wert darauf gelegt werden sollte, dass ein möglichst breites Spektrum an Akteur*innen (unterschiedlichster Glaubensrichtungen etc.) in den CO Prozess eingebunden werden und der Sozialraum somit möglichst breit repräsentiert wird. (vgl. Schraml 2010, S. 89)

1.2.3 Konfliktorientierung?

„Conflict is the essential core of a free and open society” (Szynka 2006 S. 234, zit. n. Alinsky 1971, S. 62)

CO ist eine konfliktorientierte Methode, welche auf Grundlage von Machtausgleich die Demokratie und Zivilgesellschaft beleben und stärken soll, so Müller und Szynka 2014. Laut jenen sollte dies jedoch nicht mit aggressivem oder destruktivem Handeln gleichgesetzt werden. Die Aggressivität und Destruktivität von CO wird (in der Fachwelt) jedoch oft kritisch angenommen. (vgl. Müller, Szynka 2014, S. 17 ff.) In Szynkas 2006 veröffentlichtem Werk jedoch schrieb er selbst erst:

„Die bisherige Rezeption von Alinskys Ansatz als „agressive“ oder „konfliktorientierte Methode“ ist insofern unrichtig (vgl. Müller 1971, Müller 1982). Alinsky ist nicht an Konflikten „orientiert“ sondern daran, durch Konflikte gleichberechtigte Verhandlungen und konkrete Verbesserungen zu erzielen. Er sieht Konflikte als notwendige Durchgangsstadien an, die er – im Unterschied zu vielen seiner Zeitgenossen – allerdings zu vermeiden sucht.“ (Szynka 2006, S. 236)

Bei Betrachtungen der Wurzeln Alinskys lassen sich die Ursprünge seines Konfliktbegriffs in der jüdischen Tradition auffinden. In jener ist der Konflikt positiv bewertet und steht vielmehr für eine argumentative Auseinandersetzung und Konstruktivität, welche der Wahrheitsfindung diene. (vgl. Szynka 2006, S. 232)

Von disruptiven Taktiken (hier als destruktiv aufgefasst) sprachen auch Fronczek und Lensing (1991) hinsichtlich Alinskys Konzepten (welche durch die Rezipient*innen in die radikaldemokratische GWA (Gemeinwesenarbeit) einsortiert wurden). (vgl. Fronczek, Lensing 1991, S. 18)

1993 schrieben Bitzan und Klöck:

„(…) wird das Handlungsprinzip Konfliktorientierung oft falsch bzw. unangemessen verkürzt als „aggressive“ Form der Gemeinwesenarbeit verstanden. Die unzulängliche begriffliche Einführung wirkt bis heute in der ambivalenten Bewertung von Konflikten und Konfliktstrategien nach.“ (Bitzan, Klöck 1993, S. 82)

Zugleich erinnerten, verwiesen diese an/auf die Grundintentionen konfliktorientierter Konzepte u.a. von Alinsky. (vgl. Bitzan, Klöck 1993, S. 82)

Landhäußer sortierte in ihrem Werk Alinskys Vorgehensweise 2009 klar in aggressive, konfliktorientierte GWA ein, benannte dies (im Fließtext des Werkes) nicht konkret, sah aber zumindest parallelen:

„Hierbei werden Parallelen zu Alinsky erkennbar (…) zur Erlangung derselben wird mit disruptiven Taktiken versucht, gesellschaftliche Macht umzuverteilen und die kapitalistische Gesellschaftsordnung dezidiert zu beseitigen.“ (Landhäußer 2009, S. 66)

Eine aktuelle Auseinandersetzung mit der Thematik durch Troxler wurde resümierend wie folgt festgehalten:

„Es wird eine radikaldemokratische, konfliktorientierte Gemeinwesenarbeit beschrieben (…) die auf Selbstorganisation und Emanzipation basiert und als Handlungsziel die kommunale Versöhnung unterschiedlicher Kräfte anstrebt. Konflikte werden darin als Mittel einer emanzipatorischen Praxis betrachtet. (…) Im Weiteren wird die Praxis als „offensive Sozialpädagogik“ umschrieben (…) Unbewältigte und unthematisierte Konflikte schränken ein und erregen Angst. Wo Menschen in einem Konflikt lernunfähig geworden sind, gelingt die Herstellung einer Selbstachtung nur, wenn sie selber die Ohnmacht verursachenden Konflikte nicht länger erleiden, sondern aktiv angehen. (…) Die/der Einzelne kann eigene soziale Ohnmacht nur im Verein mit anderen, getragen von einer Gruppe aufheben. (…) So soll das Gemeinwesen in die Lage versetzt werden, eine Strategie der Schlichtung und des Ausgleichs zu entwickeln, um von der Revolte über den Kampf und eigene Gegenentwürfe zu Kooperation vorzustoßen.“ (Troxler 2013, S. 63)

Konfliktorientierung – bedeutet dies, dass sich CO daran orientiert, wo Konflikte vorliegen und jene aufgreift? Die unterschiedlichen Auffassungen zusammenfassend, so kann eine Einigung wohl zumindest darauf getroffen werden, dass sich nicht geeinigt wurde. Es obliegt den Leser*innen darüber zu resümieren, ob da, wo CO ansetzt nicht schon Konflikte und/oder auch Aggressionen vorliegen, welche lediglich aufgegriffen, bearbeitet und letzten Endes abgeschafft werden (sollen). Das der Konflikt dabei im Zentrum liegt, scheint daher nur logisch. Es gilt bestehendes methodisch zu kanalisieren, den Status Quo zu verdeutlichen und in konstruktive Bahnen zu lenken. Konstruktivität hängt dabei zumindest von zwei Seiten (die ein solcher Konflikt nun einmal in sich vereinnahmt) ab.

„Drohungen ersparen oft tatsächliche Aktionen und wirken abschreckender als die Aktion selbst.“ (vgl. Müller, Szynka 2014 S. 17 f./ Szynka 2006, S. 238 ff.)

Gelungenes CO könnte auch als gelungene, neu entstandene, diplomatische Beziehung zwischen Parteien verstanden werden, wobei eine Basis auf gleicher Augenhöhe (eine herzustellende Machtbalance) wohl eine notwendige Verhandlungsgrundlage darstellen sollten. Es bleibt die Frage nach der Henne und dem Ei.

1.2.4 Konflikttheorie

Nach Alinsky werden Konflikte nicht vermieden, sondern entschieden und speziell im CO sollten sie dramatisiert und inszeniert werden. (vgl. Szynka 2006, S. 234 ff.)

Alinsky unterscheidet nach zweierlei Konfliktarten. Auf der einen Seite steht der überlegte, rationale und somit berechnende, auf der anderen Seite der gefühlsmäßig spontane Konflikt. Erstere Form ist gekennzeichnet durch eine detaillierte Situationsanalyse der Konfliktparteien, wodurch eine Vorhersagbarkeit entsteht. Konfliktsituationen müssen personalisiert werden. Das heißt, dass der Konflikt konkrete Namen (Herr XY, Leiter des Wohnungsamtes etc.) tragen muss, da ein Kampf gegen anonyme Kräfte (das Wohnungsamt, die Partei, der Staat etc.) nicht möglich sei. (vgl. Szynka 2006, S. 234 ff.)

Eine notwendige Situations- und Machtanalyse beinhaltet die Auseinandersetzung mit den Gegner*innen (also die, die „Ja“ oder „Nein“ sagen können) hinsichtlich seiner Motivation, wobei Wertentscheidungen der Gegner*innen besonders zu beachten sind. Abgewogen werden soll, ob der Konflikt gewonnen werden kann, wobei die Analyse von Kosten und Nutzen, also die Frage nach dem Wert, nicht unbeachtete bleiben soll. Besonders beim rationalen, überlegten Konflikt kann und sollte aufgrund der relativen Vorhersagbarkeit eine breite Anzahl an „Was wäre wenn?“ Fragen durchgespielt werden, sodass klar wird, welche Entwicklungsrichtung entstehen könnte und welche Intensität, welche Dauer der Auseinandersetzung notwendig sind. (vgl. Szynka 2006, S. 234 ff.)

Die Dramatisierung beinhaltet die Charakterisierung der Gegner*innen und die Verteilung von Rollen unter den Akteur*innen, welche durch Rollenspiele einstudiert werden, um folglich in der vorher möglichst breiten und mit allen Mitteln aufgestellten Öffentlichkeit (Bühne) abgehandelt zu werden. Die potentielle Macht der Gruppe (und Öffentlichkeit) soll dargestellt, die Anerkennung durch die Gegner*innen somit erzeugt und eine Verhandlung auf (zumindest) gleicher Augenhöhe ermöglicht werden. (vgl. Szynka 2006, S. 234 ff.)

Die Gruppe sei angehalten, den Gegner*innen immer die Möglichkeit der Verhaltensänderung zu geben und sie somit sogar als Verbündete gewinnen zu können, denn ein ehemaliger Gegner kann der beste Verbündete sein. (vgl. Szynka 2006, S.234 ff.)

1.2.5 Konflikttaktiken

Die Konflikttaktiken nach Alinsky werden im Folgenden kurz erwähnt, um die im Kapitel 1.2.2 erwähnten Methodiken und Grundprinzipien mit dem Grundlegendsten zu ergänzen, einen Einstieg in die Thematik zu erleichtern und das Gesamtbild abzurunden.

- Macht ist das, was jemand hat oder was das Ziel glaubt, dass man es hätte.
- Im eigenen Erfahrungsbereich verbleiben und den des Zieles verlassen.
- Die Gegner*innen in die Lage bringen, nach den eigenen Grenzen leben zu müssen.
- Das Ziel (mittels Spott) zu falschem Verhalten verführen und seine Schwächen aufdecken.
- Die Aktion ist die Reaktion des Zieles. Zornige Reaktion des gereizten Zieles stärkt die Organisation.
- Ständige (Spaß machende) Aktionen sind unabdingbar, um den Druck nicht nachzulassen und das Ziel zu Fehlreaktionen zu verleiten.
- Drohungen ersparen oft tatsächliche Aktionen und wirken abschreckender als die Aktion selbst.
- Ein Ziel suchen, dieses personalisieren und schließlich fokussieren. (Anonyme Verwaltungen, Konzerne, Systeme (…) anzugreifen ist sinnlos und uneffektiv.)

(vgl. Müller, Szynka 2014 S. 17 f./ Szynka 2006, S. 238 ff.)

Weiter durch Szynka 2006 aufgeführt und detaillierter an den Ursprungstexten Alinskys angelehnt, gilt es zudem, dass eine Taktik dann eine gute ist, wenn sie Operationen beinhaltet, welche ermöglichen, konstanten Druck auf das Ziel auszuüben, wobei die Gruppe mit dem was sie hat, das tun soll, was sie kann. Der konstante, unnachgiebige Druck auf das Ziel lässt das Negative ins Gegenteil umschlagen, wobei der Preis eines erfolgreichen Angriffs, eine konstruktive Alternative sei. (vgl. Szynka 2006, S. 238 f.)

1.2.6 Broad-based Community Organizing

Broad-based Community Organizing kann vereinfacht als Organisation (auch) von Organisationen verstanden werden und versucht somit, wie der Name schon sagt, auf einer breiteren Basis aufzubauen. (vgl. Fehren 2008, S. 168 f.)

Der Übergang von dem in einem vorherigen Kapitel (Kapitel 1.2) bereits skizzierten CO und dem BbCO ist fließend, da schon Alinsky institutionalisierte (bereits organisierte) Akteur*innen nicht ausschloss, jedoch Individuen des CO beteiligt gesehen haben wollte. (Besonders das IAF legt den Schwerpunkt auf bereits organisierte Akteur*innen) (vgl. Fehren 2008, S. 168 f.)

Die Einführung von BbCO in den 1980er Jahren sei darin begründet gewesen, dass nachbarschaftliche Community als Territorium und hinsichtlich der Mitgliederstruktur zu eng und eine Flexibilisierung des CO notwendig geworden sei, so Fehren. (vgl. Fehren 2008, S. 170)

Bei solch einem Aufbau mittels bereits organisierten Akteur*innen besteht beispielsweise eine erhöhte Gefahr der instabilen Finanzierung und somit ist das Gelingen der gesamten Organisation im Raum gefährdet, da die finanzielle Unabhängigkeit jener Akteur*innen nicht so gegeben sein muss, wie es bei Individuen (Privatpersonen) angenommen wird.

1.3 CO und die Rezeption

Im vorliegenden Kapitel werden zunächst die Wurzeln von CO aufgegriffen, um dann in vier Rezeptionswellen die Rezeption von CO seit 1945 bis hin in die Gegenwart nachzuzeichnen.

Die erste Welle erstreckt sich dabei von den ersten Kontextualisierungen von CO und der BRD um 1945 bis in das Jahr 1967, dem Beginn der zweiten Rezeptionswelle. Jene zweite Welle zieht sich bis in das Jahr 1993 und wird an dieser Stelle durch die dritte Welle abgelöst. In dieser Arbeit wird dann die dritte Welle nicht bis in die Gegenwart angenommen, sondern vielmehr im Jahre 2004 unterbrochen und in die vierte Welle, dem Status Quo übergeführt.

1.3.1 Die Wurzeln von CO

Bei der Suche nach den Wurzeln von CO ist der Name Saul D. Alinsky unumgänglich. Er wurde am 9. Januar 1909 in Chicago als Sohn orthodox jüdischer, aus Russland stammender, Einwanderer geboren und gilt unumstritten als Begründer von CO. Nach einem Studium in Soziologie und Kriminologie stellte er sich die Frage, wie der traditionellen Nachbarschaftsarbeit in den Stadteilen von Chicago ein wissenschaftlich begründbares Modell der sozialen Arbeit entgegengesetzt werden könnte. Hieraus resultierend brauchte er eine handlungsfähige Allianz aus wichtigen Organisationen und Vereinen im Chicagoer Stadtteil Back oft he Yards zustande, welche sich erfolgreich um den Ausbau der Sozialen Infrastruktur im Stadtteil bemühte. Sein Erfolg, die organisierende Vorgehensweise und die daraus entstandene Methodik (Strategie des organizing), seine spektakulären Aktionen und die damit einhergehende eigene Bereitschaft selbst Gefängnisaufenthalte auf sich zu nehmen, verschafften ihm, seiner Arbeit und der auf einem wissenschaftlichem Fundament entstandenen Methodik des CO breite Anerkennung und Popularität. In Frustration über die wissenschaftliche Anerkennung seiner Arbeit, besonders hinsichtlich der kriminologischen, wechselte Alinsky später aus dem wissenschaftlichen Kontext in einen politischen und begann sich mehr und mehr für den Aufbau von Bürger*innenorganisationen zu engagieren. Zudem macht er den amerikanischen Radikalismus zu seinem politischen Programm. Er arbeitet eine Zeit lang an Biographien seiner politischen Vorbilder. Weitergehend verschreibt er sich, den Traditionsbruch zwischen den Radikalen der 30er / 40er Jahre, der flower-power Generation und der Studentenbewegung zu schließen (was zur Veröffentlichung von Rules for Radicals führte). Er ersuchte, die amerikanische Rassendiskriminierung einzudämmen und unterstütze Bürger*innenrechtsbewegungen. Weitergehend arbeitete er als Organizer für den Gewerkschaftsverband Congress of Industrial Organizations, initiierte den Back oft he YardsNeigborhood Council, baute die Industrial Area Foundation (wo er exucitive director war), die Organisation The Woodlawn Organization, sowie die Organisation Freedom, Independence, God, Honour, Today auf. Saul D. Alinsky stirbt infolge eines Herzinfarktes am 12. Juni 1972 in California. (vgl. FOCO o.J., S. 8/Szynka 2006, S. 9 ff., S. 151 ff)

Zu Alinskys Erbe lässt sich nicht nur die Entstehung der bis heute bestehenden Industrial Area Foundation (Modern Industrial Area Foundation) und somit 65 lokal entstandener Bürger*innenplattformen zählen, welche unter anderem am Bau von über 3000 Häusern in Brooklyn und 1000 Wohneinheiten in der Süd-Bronx beteiligt waren, sondern auch Projekte, welche die Schulqualität erhöhten, die Existenzsicherung für Arbeitnehmer*innen und deren Familien durch die Verabschiedung von Gesetzen zu Lohnerhöhungen gewährleisten, Maßnahmen zur Berufsqualifizierung einführten. Auch das bewirken einer Krankenversicherung für über 555 000 Menschen, die vorher nicht versichert waren kann hier zum Erbe gezählt werden. (vgl. Penta 2007, S. 40 f.)

Heute ist Alinksy eine Legende und hat, spätestens nach 1971 auch Spuren in der BRD hinterlassen. Beispielsweise beriefen sich Rezipient*innen bei Diskussionen über die sogenannte aggressive oder konfliktorientierte GWA in der BRD stets auf seine Arbeit.

1.3.2 Die erste Rezeptionswelle (1945 - 1967)

Erste Berührungspunkte zwischen CO und Deutschland konnten erstmals 1971 mit der Buchveröffentlichung Stadtplanung und Gemeinwesenarbeit unter der Überschrift Die Rolle informeller Führer beim Aufbau von Volksorganisationen, welcher aus Alinskys Veröffentlichung Reveille for Radicals stammt und durch C. W. Müller ins Deutsche übersetzt worden ist, ausgemacht werden, so Bauer und Fehren. (vgl. Bauer, Szynka 2004, S. 33/ Fehren 2008, S. 171 f.)

Stock hingegen sprach schon von nach 1945 stattgefundenen Versuchen, die amerikanischen Methoden der Gemeinschaftshilfe (darunter auch CO) in der BRD Publik zu machen, wobei eine tatsächliche Auseinandersetzung nicht verzeichnet werden konnte. Stock begründet die nicht stattgefundene Rezeption in dieser Zeit mit der Dominanz von Einzelfallhilfen sowie Case Work und der fehlenden Auseinandersetzung mit Gruppenarbeit in Deutschland im Allgemeinen. (vgl. Stock 2014, S. 32)

Nach Rothschuh sind die ersten Methodenanwendungen von CO in den 1970er Jahren zu verzeichnen, wobei durch Mohrlock et al. festgehalten wurde, dass die ersten literarischen Auseinandersetzungen mit CO, wenn auch nicht namentlich so benannt, im Jahre 1951 stattgefunden hätten. Hierbei wird die Veröffentlichung von Kraus H. im Jahre 1951 unter dem Namen Amerikanische Methoden der Gemeinschaftshilfe aufgeführt, da eine Evidenz mit der damals in den USA stattgefundenen Sozialarbeitsdiskussion um CO nachzuweisen sei. Ebenso erwähnen sie die Veröffentlichung von Lattke H. in den 50er Jahren. Konkret auf deutsche Verhältnisse sei in beiden Fällen jedoch nicht nennenswert eingegangen worden, wobei auch kein Aufkeimen einer Rezeption in Deutschland verzeichnet werden konnte. Bestätigt wird dies von Galuske, welcher von einer Methodendiskussion ohne besondere Resonanz sprach. (vgl. Galuske 2011, S. 101) Das damalige Verständnis von CO war innerhalb der SA vielmehr darauf ausgerichtet, dass CO ein koordinativ-planerisches Mittel zur Wohlfahrtpflege sei. Ob dieses Verständnis von CO für den amerikanischen und/oder deutschen Raum aufzufassen sei, wurde durch Mohrlock et al. nicht konkret benannt. An einer 1962 in Rio de Janeiro stattgefundene Konferenz (International Council on Social Welfare, ICSW), welche CO zum Schwerpunkt hatte, nahm auch eine bundesdeutsche Delegation teil, wobei durch jene verschiedene Ansätze für CO dargestellt worden sind. Die darauffolgende ICSW-Konferenz in Stuttgart, welche unter anderem CO als spezifische Interventionsstrategie für sozialökonomische Entwicklungsniveaus zum Thema hatte, lies ein breites Interesse an CO in Deutschland entstehen, so Mohrlok et al.. (Bereits zu diesem Zeitpunkt sei CO als GWA formal als Ausbildungsinhalt mit aufgenommen worden ohne einer Konkretisierung unterlegen zu haben.) Der Begriff der Gemeinwesenarbeit sei ab 1962 verwendet worden und begründet sich inhaltlich wohl nahezu ausnahmslos auf ausländische Praxis, wobei der Bezug auf deutsche Verhältnisse wohl erst im Jahre 1966 durch Vogel und Oel ausgemacht werden konnten. Jene versuchten, der bis dahin oberflächigen Rezeption von CO eine fundierte Grundlage, mittels der Übertragung auf deutsche Verhältnisse, zu verschaffen. Vogel und Oel verfassten zu diesem Zwecke sechs Aussagen, wobei in der vorliegenden Arbeit eine Auswahl jener wie folgt zusammenfassend getroffen worden ist: CO sei keine Methode der sozialen Arbeit, sondern vielmehr als Bürger*innenaktivität zu verstehen, die sich in vielen Lebensbereichen (Sozialarbeit, kirchlichem Leben, Gesundheits- und Schulwesen, Wirtschaftsleben etc.) wiederfinden lässt. Das Tätigkeitsfeld in welchem CO Anwendung findet, sollte -hinsichtlich der gesellschaftlichen Besonderheiten in der BRD- geprüft werden, sodass es nicht fälschlicher Weise in Tätigkeitsfelder eingeordnet wird, in denen andere Kräfte vorherrschend sind, sodass demzufolge die CO-Forschung in der BRD auf produktive Weise voran gebracht wird. Durch eine weiterführende, bis dato oberflächige Rezeption von CO in der BRD bestünde die Gefahr der Vereinnahmung von CO durch andere Kräfte der Gesellschaft. (Bezüglich der gesellschaftlichen Besonderheiten und den entsprechenden Tätigkeitsfeldern von CO zielen die Autoren vermutlich auf die Besonderheit der staatlichen Verwaltungshoheit hinsichtlich des Wohlfahrtsstaates BRD ab.) (vgl. Rothschuh M. 2013b, S. 6 / Mohrlock et al. 1993, S. 40 ff.)

Mohrlok et al. fassten die Kritik von Vogel und Oel an den bisherigen Rezeptionsversuchen als wesentlichen Beitrag zur weiteren Theoriediskussion zusammen. Jene Theoriediskussion und die wirtschaftliche Depression um 1967/68 führten zu einem verstärkten Interesse an der GWA und der damit einhergehenden Diskussion um CO, da die relativ manifestierten Methoden der GWA, die Einzelfallhilfe und Gruppenarbeit, nicht mehr auszureichen schienen, sodass Ende der 1960er Jahre ein vorläufiger Höhepunkt der Rezeption erreicht wurde. (vgl. Mohrlock et al. 1993, S. 40 ff.) Die Rezeptionszeit bis circa 1970 kann nach Galuske als praktisch weitgehend erfolgslos bezeichnet werden, wobei er sich auf C. W. Müller berief, welcher von einer rein literarischen Rezeption sprach. (vgl. Galuske 2011, S. 102) Die Zeit ab 1967 kann nach Renner und Penta als zweite Rezeptionswelle aufgefasst werden und wird nun im folgenden Kapitel betrachtet. (vgl Renner, Penta 2014, S. 44)

1.3.3 Die zweite Rezeptionswelle (1967 – 1993)

Zu jener Zeit ab 1967 entstanden einzelne Projekte zur Obdachlosenhilfe in westdeutschen Städten Deutschland und zu Wohnkomplexen des sozialen Wohnungsbaus, welche unter der GWA (GWA - zu jenem Zeitpunkt erstmalige Erwähnungen als die dritte Methode der SA) eingeordnet wurden. Schnell sei man an die Grenzen der GWA gestoßen und der Ruf nach aggressiven/konfliktorientierten Konzepten der GWA sei laut geworden. Jenem Ruf beantwortete der Burckhardthaus – Verlag 1973 mit der übersetzten, deutschen Veröffentlichung von Die Stunde der Radikalen (Alinskys Schriften), sodass auch ein breiterer Leserkreis erreicht werden konnte, so Stock. (vgl. Stock 2014, S. 32 f.)

Mohrlok et al. meinten, dass die GWA bis Mitte der 70er theoretisch als eine strukturelle, politische, emanzipatorische Methode der institutionalisierten SA angesehen und sie als solche zu etablieren versucht wurde, wobei die Praxis dem mehrheitlich entgegenstand. Im damaligen Interesse der Kommunenverwaltungen lag jedoch auch die Nutzung der beschränkten Beteiligungsform als Frühwarnsystem. Zudem sollten kleine Zugeständnisse gemacht werden, sodass eine Bürger*innenbefriedigung gegeben war, ohne jedoch eine Veränderung der Gesamtstruktur zu riskieren. (vgl. Mohrlock et al. 1993, S. 40 ff.)

Für den Zeitraum der 70er Jahre, beziehungsweise bis hin zum Ende der 70er Jahre, kann im Allgemeinen gesagt werden, dass GWA als dritte Methode der SA betrachtet und CO gleichzeitig als Synonym für GWA gebraucht wurde. Die Einordnung verschiedenster Methoden in die GWA (und somit CO) lies somit keine konkrete Einigung bezüglich Begriffsdefinitionen stattfinden. Exemplarisch sei dies hier aufgezeigt:

„Community Organizing for social welfare gilt als eine der „grundlegenden Methoden“ der sozialen Arbeit. In der einfachsten Form wird sie praktiziert, wenn eine Gruppe von Bürgern einer Stadt sich zusammentut, um in planmäßiger Weise ein gemeinsames Bedürfnis zu befriedigen.“ (Galuske 2011, S. 102 zit. n. Lattke 1955, S. 29)

„Der Begriff Gemeinwesenarbeit … bezeichnet einen Prozess, in dessen Verlauf ein Gemeinwesen seine Bedürfnisse und Ziele feststellt (…) um die Bedürfnisse zu befriedigen, dass es also in dieser Richtung aktiv wird und dadurch die Haltung von Kooperationen und Zusammenarbeit und ihr tätiges Praktizieren fördert.“ (Galuske 2011, S. 103 zit. n. Ross 1968, S. 58)

„Gemeinwesenarbeit ist „die zusammenfassende Bezeichnung verschiedener, vor allem nationaler und im Laufe der Entwicklung der letzten Jahrzehnte unterschiedlicher Arbeitsformen, die auf Verbesserung der soziokulturellen Umgebung (…) Bevölkerungsgruppen (Gemeinwesen) gerichtet ist. (…) Es geht hierbei um eine Anpassung der Problemgruppe an die Umgebung (…)“ (Galuske 2011, S. 103 zit. n. Ludes 1977, S. 107)

In dem 1984 veröffentlichten Jahrbuch 1 Gemeinwesenarbeit (Beiträge zu einer Bestandsaufnahme) wurde durch Adams ein wohl erster Versuch (im Sinne der Öffentlichkeitswirksamkeit) der „Standortbestimmung“ von CO in Deutschland vorgenommen bzw. verschriftlicht. Grundlegend verweist Adams darauf, dass CO in der BRD anderen Rahmenbedingungen unterlag als beispielsweise in den USA. CO sei, (charakteristisch) ins Deutsche übersetzt, GWA oder auch die dritte Methode der Sozialarbeit und in der BRD Anfangs nahezu unbeachtet geblieben. Erst intensiver Widerstand gegen diese Entwicklung hätte dies geändert, so Adams. (vgl. Adams 1984, S. 93) Die Entwicklung der Nicht-Beachtung sei auch darauf zurückzuführen, dass zu jener Zeit der Platz für eventuelle CO Rezeptionen vielmehr durch Professionalisierungsbestrebungen der SA im Allgemeinen eingenommen wurde. (Mohrlok et. al. 1993, S. 43)

Adams greift die These von Vogel und Oel auf, dass GWA (und somit CO) in der BRD keinen Raum finden würde, da freie Bürger*innenaktivitäten, aufgrund der Blockierung durch die kommunalen Selbstverwaltungen und deren zugeschriebenen Allzuständigkeiten, kaum möglich seien. Treten dahingehend Leerräume auf, so würden sie mit neuen Zuständigkeitszuordnungen gefüllt werden. (vgl. Adams 1984, S. 93) Weiter kommentierte sie, dass es trotz des Widerstandes relativ rege Aktivitäten von CO in Deutschland gab, wobei diese wohl nicht von langer Dauer gewesen seien. Eigene Bemühungen die Aktivitäten zu dokumentieren, zu analysieren und zu publizieren sind wohl 1968 als auch 1973 durch Adams unternommen worden, wobei hier von einem Versuch gesprochen wurde. Eine genauere Einschätzung hinsichtlich einer „gelungenen“ Rezeption oder auch Nicht-Rezeption im konkreten Fall kann hierbei nicht gemacht werden. (vgl. Adams 1984, S. 93)

Zum damaligen Zeitpunkt, so Adams, sei die GWA kein eigenständiger Berufsauftrag, sondern vielmehr ein Arbeitsprinzip sozialen Handelns gewesen, welches ein Selbstverständnis für die Zusammenarbeit von Bürger*innenaktivitäten war. Mitte der 70er Jahre sei es durch Fehlplanungen auf Seiten von Stadtverwaltungen und den damit entstandenen, scheinbar unlösbaren Problemen (speziell im Wohnungsbau und dem vorhergegangenen, problembedingten Verlangen nach GWAler*innen) zum Stillstand in der Entwicklung der GWA gekommen und es bildeten sich vermehrt Bürger*inneninitiativen, wobei eine stetig wachsende, vereinsrechtliche Organisation damit einherging. Die in den frühen 80ern entstandenen Bürger*inneninitiativen unterschieden sich insofern, als dass sie es ablehnten in derartige Organisationsstrukturen überzugehen und sich damit von der organisierten Wohlfahrtspflege distanzierten. (vgl. Adams 1984, S. 94) Das damalige Wohlfahrtswesen und die entsprechende Institutionalisierung in der BRD, besonders die fehlende, heute wird sie wohl Niederschwelligkeit genannt, hielt Adams für sehr ausgeprägt. Sie sprach unter anderem das Wissen über Einrichtungen und zugleich das bewusste Ablehnen jener durch die Angebotsempfänger an. (vgl. Adams 1984, S. 104)

Adams meinte, dass freie (Aktions-) Gruppen, die auf religiösen Grundlagen arbeiteten, deshalb so beständig waren, da sie eine große „Ansteckungsgefahr“ in sich tragen würden und welche sich darin begründeten, dass eigentliche Feinde (Asoziale, Fremde etc.) durch das christliche Gebot der Feindesliebe geliebt wurden. (vgl. Adam 1984, S. 103) Denn es werden doch die bewundert, die auffordern, ihre Feinde zu lieben. Bewunderung sei hierbei als der Motor zur aktiven Teilnahme an freien (Aktions-) Gruppen erwähnt. Da dieses Gebot auch innerhalb der (Aktions-) Gruppen verfestigt sei, erklärt dabei die Stabilität jener in sich selbst. (vgl. Adams 1984, S. 105)

Adams sprach sich unter Beachtung vieler verschiedener Aspekte dafür aus, dass CO unverzichtbar sei. Das Mindestmaß an Organisation, welches freie Gruppen (und auch institutionalisierte Gruppen) bräuchten, die Notwendigkeit, dass es freie, private Helfer*innen­gruppen abseits von institutionalisierten geben, und die Entwicklung jener selbst zu Instituten verhindert werden müsse, wurden als zeitgemäße Argumente vorgebracht. (vgl. Adams 1984, S. 104) Weitergehend verstand Adams unter der Philosophie des Handelns, dass freie Gruppen eine verbindliche Grundverständigung bräuchten (welche durch CO´ler*innen realisiert werden sollte), um langfristig funktional zu bleiben. (vgl. Adams 1984, S. 105)

Dass niemand die Rolle der GWA allein spielen könne und dahingehend Unterstützung durch die Institutionen (beispielweise mittels der zur Verfügungsstellung von Mitarbeiter*innen) unbedingt benötigt würde, wurde weitergehend erwähnt. (Aktuelles CO verweist im Grunde implizit auf die bedingungslose -vor allem finanzielle- Unabhängigkeit von (staatlichen) Institutionen des Wohlfahrtswesens.) Im Zeitraum der Textentstehung sprich Adams davon, dass es schon von CO begleitete Aktionsgruppen geben würde, wobei eine genauere Bewertung, aufgrund der erst jungen geschichtlichen Entwicklung, noch nicht möglich sei. Adams mahnte gleichzeitig die fehlende wissenschaftliche Aufarbeitung sowie die unzureichende, grenzübergreifende Kommunikation zum Thema CO an. (vgl. Adams 1984, S. 105)

Auch 1985 mit der Veröffentlichung von Jahrbuch Gemeinwesenarbeit 2 (Neue soziale Bewegungen) wurde CO aufgegriffen, jedoch durch Kersting und Schmitt in den Kontext gewaltfreier Aktionen (sowie GWA) gesetzt und dahingehend untersucht, ob gewaltfreie Aktionen wirksam und somit brauchbar in der GWA seien. Als Grundlage dieser Auseinandersetzung standen, neben persönlichen, praktischen und theoretischen Erfahrungen der Autor*innen mit gewaltfreien Aktionen in der Friedensbewegung, auch an dieser Stelle „Grundlagenwerke“ von Alinsky (Leidenschaft für den Nächsten, Die Stunde der Radikalen) sowie Disruptive Taktiken in der GWA von Specht. (vgl. Kersting, Schmitt 1985, S. 102) Die Autoren selbst hielten bei ihrer Auseinandersetzung fest:

„Auf die Auseinandersetzung mit theoretisch-konzeptionellen Texten aus der Gemeinwesenarbeit, die sich bereits um eine Behandlung des Themas GWA und gewaltfreie Aktionen bemühen, haben wir weitestgehend verzichtet.“ (Kersting, Schmitt 1985, S. 102).

Hinsichtlich gewaltfreier Aktionen sprachen Kersting und Schmitt von einer Erschütterung der demokratischen Kultur und setzten dies in den Kontext mit den neuen sozialen Bewegungen jener Zeit. Bereits in den 60 Jahren sei es zu gewaltfreien Aktionen (Hausbesetzungen etc.) gekommen, wobei eine Phase der Akzeptanz in den 80er Jahren einsetzte, sodass gewaltfreie Aktionen zum akzeptierten Konfliktverhalten wurden. Damit jene Phase der Akzeptanz jedoch einsetzen konnte, war es notwendig, dass die Regierung in ihrer Glaubwürdigkeit und Legitimation beschädigt war und in diesem Zusammenhang keine bisherigen, legalen und vom System bereitgestellten Protestwege als relevant angesehen worden. (vgl. Kersting, Schmitt 1985, S. 103 f.)

Kurz und systematisch bearbeiteten die Autor*innen die Inhalte von Trainings im Kontext gewaltfreier Aktionen, setzten sich mit den Begrifflichkeiten Gewalt und Gewaltfreiheit, gewaltfreie Aktion und die dazugehörigen Bedingungen als auch die eskalierenden Methoden jener auseinander. Übergehend in die Bedeutung von Bezugsgruppen und einem kurzen Exkurs in die Praxis, mündete ihre Arbeit dann in die Gewaltfreie Aktion in der Gemeinwesenarbeit. (vgl. Kersting, Schmitt 1985, S.104 ff.) (Hierbei wird darauf verwiesen, dass CO zu dieser Zeit nach wie vor unmittelbar mit Gemeinwesenarbeit verbunden bzw. teils sogar als Synonym gebraucht wurde.)

Gewaltfreie Aktionen sahen Kersting und Schmitt als Chance für und als relevante, zeitgemäße Elemente innerhalb der GWA, wobei sie auf eine bereits bestehende, erfolgreiche Verknüpfung jener Elemente innerhalb der USA hinwiesen. Sie merkten an, dass innerhalb der Verortung von GWA und CO und dem entsprechenden Kontext keine nennenswerten Diskussionen mehr stattgefunden hätten. Dies sei aber aufgrund der sich in den letzten Jahren veränderten Kultur und der oben benannten Phase der Akzeptanz neu aufzugreifen gewesen. Besonders für die damaligen, neuen Rahmenbedingungen der GWA (z.B. „Quartiersmanagement“) sei die etablierte Soziale Arbeit nicht mehr hinreichend gewappnet gewesen. Professionelle GWAler*innen wären zunehmend entpolitisiert (doppeltes Mandat) und somit mehr und mehr handlungsunfähig geworden, sodass der Trend vielmehr in Richtung GWA außerhalb der Profession (Selbsthilfegruppen, Bürgerinitiativen etc.) gegangen wäre. (vgl. Kersting, Schmitt 1985, S. 110 ff.) Oelschlägel spricht hingegen 1986 von einer Politisierung seit Anfang der 60er Jahre besonders im Bereich der GWA, wobei nicht klar formuliert ist, ob er dies bis hin in die damalige Gegenwart meinte. (vgl. Oelschlägel 1986, S. 11) (Die Stellung der GWA sahen Kersting und Schmitt im Kontext behördlicher Sozialpolitik, welche von staatlichen Befriedigungsinteressen geprägt gewesen wäre.) Durch die Autor*innen wurde ebenso das im Kapitel 1.3.2 angesprochene Thema der entstehenden Organisationsstrukturen (vereinsrechtliche Organisation etc.) erwähnt und die somit mittels gewaltfreien Aktionen entstehenden Bezugsgruppen, die damit einhergehenden „kleinen Netze“ sowie die Verbindung von Politik und Alltag, als Chance wahrgenommen worden. Besonders für einen Weg vorbei am Staat wurde plädiert, wobei jener allerdings nicht aus seiner Verantwortung entlassen werden sollte. Bereits zu jener Zeit sprachen sich die Autor*innen für basisnahe Finanzierungsformen (welche in dieser Arbeit als institutionell „unabhängige“ Finanzierungsformen aufgefasst werden) und den damit einhergehenden Aufbau staatsferner Strukturen innerhalb der GWA aus und schlugen aus diesem Gesamtkontext heraus die Verknüpfung von CO und gewaltfreien Aktionen innerhalb der GWA vor. (vgl. Kersting, Schmitt 1985, S. 110 ff.)

Im 1986 veröffentlichten Jahrbuch Gemeinwesenarbeit (Stadt- und Regionalplanung) meinte Oelschlägel, „Das Konzept des Community Organizing habe „den Gedanken der Stadt- und Regionalplanung zum Kern gemacht, in dem sich alle anderen Begriffsmomente miteinander verbinden.““. (Oelschlägel 1986, zit. n. Vogel, Oel 1966 S. 45) CO und Community Development[1] sei ein Resultat der Rezeption jener Begrifflichkeiten in den USA gewesen, wobei der Anteil von Stadt- und Regionalplanung hinsichtlich der GWA in Deutschland stark vernachlässigt worden seien. Weiter stellte er fest, dass die GWA der SA als Dritte Methode zugeordnet und somit pädagogisiert worden sei. Er sah diese Entwicklung als eine verhängnisvolle an, da dadurch die eigentliche Entwicklung der GWA nicht stattfinden konnte und somit ein Aufblühen der GWA nicht möglich gewesen sei. (vgl. Oelschlägel 1986, S. 11) Zum gleichen Zeitpunkt hielt Greshake fest, dass sich in den innerdeutschen Grenzen die Bezeichnung GWA für CO durchgesetzt hat, wobei jedoch zum damaligen Zeitpunkt viele Aussagen nebeneinander standen und somit eine klare Klassifizierung nicht möglich gewesen sei. (vgl. Greshake 1986, S. 269)

Das im Jahre 1987 veröffentliche Jahrbuch 4 Gemeinwesenarbeit (Frauen) lässt keine Auseinandersetzung mit CO erkennen. (vgl. Rösgen et al. (Hrsg.) 1987)

Erst mit der Buchveröffentlichung von Mohrlok et al. im Jahre 1993 wird nach Renner und Penta der Beginn der dritten Rezeptionswelle eingeleitet, welche nun im nächsten Kapitel aufgegriffen werden soll. (vgl Renner, Penta 2014, S. 44)

[...]


[1] Community Development wird als CO, speziell als CO unter landwirtschaftlichen Bedingungen verstanden, liegt Anfang des 19ten Jahrhunderts in den USA begründet und wird für die vorliegende Arbeit, somit die entsprechende Auseinandersetzung, als nicht relevant erachtet.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Erscheinungsjahr
2014
ISBN (PDF)
9783958207806
ISBN (Paperback)
9783958202801
Dateigröße
908 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Hochschule Fulda
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1,7
Schlagworte
Bürgerplattform Alinksky Gemeinwesenarbeit FOCO soziale Bewegung
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Titel: Die Rezeption von Community Organizing in der BRD
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