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Das Förderinstrument "Wirtschaftsdienliche Maßnahmen" (EFRE - WDM) im Mehrebenensystem der Europäischen Union in der Förderperiode 2007 bis 2013

Eine vergleichende Studie von zwei Bezirklichen Bündnissen für Wirtschaft und Arbeit in Berlin

©2014 Masterarbeit 73 Seiten

Zusammenfassung

Nach einer theoretischen Einführung in die Materie liegt der Fokus der Untersuchung vor allem auf den Kommunen als der staatsrechtlich vierten Ebene im deutschen Rechtssystem. Als übergeordnetes Ziel soll die Funktionsweise des Mehrebenensystems mit dem Fokus auf die Kommunen erklärt werden. Handelt es sich beim MLG um eine neue Erfindung? Warum und wann wurde sie nötig? Dabei stellt sich die Frage, welche Akteure im System der Europäischen Union für die verschiedenen Phasen vom Agenda-Setting, der Policy-Formulation bis hin zur Implementation der Strukturfonds verantwortlich sind und wie die Kommunen in die verschiedenen Phasen miteingebunden sind. Auf diese und weitere Fragen gibt das vorliegende Buch Antworten.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Abkürzungsverzeichnis
· UEA = Unterentwicklungsachse
· WDM = Wirtschaftsdienliche Maßnahmen
· ZGS = Zwischengeschaltete Stelle
iv

1
Einleitung
1 Einleitung
Das Interesse und die Inspiration zu meiner Arbeit basiert auf mehreren Ursachen. Es
begann mit der Versetzung innerhalb der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie
und Forschung des Landes Berlin vom Referat ,,Internationale Beziehungen (II F)" in
das Referat ,,Europäische Strukturfondsförderung (IV C)" im September 2012. Im Zuge
meiner bisherigen Tätigkeit im Bereich Außenwirtschaft hatte ich mich nur marginal mit
Strukturfonds auseinandergesetzt. Da ich mich jedoch mittendrin in meinem Studium
,,Europäisches Verwaltungsmanagement" befand, hatte ich die theoretische Basis, mich
mit dem Thema der Strukturfonds auseinanderzusetzen.
Einen guten theoretischen Ansatz bildeten dabei für mich die allgemeine Verordnung
und die EFRE-Verordnung der Förderperiode 2007 bis 2013. Doch nach der sehr theoreti-
schen Lektüre blieben mehr Fragen als Antworten offen. Von meinen Vorgesetzten wurde
mir deutlich gemacht, dass es etwa ein Jahr dauern würde, um sich mit dem Thema
Strukturfonds vertraut zu machen.
Bereits bei der Einarbeitung kamen mir einige Aktionen mehr vertraut als andere vor.
Der Aktion ,,Wirtschaftsdienliche Maßnahmen" kam mein besonderes Interesse entgegen.
Es hieß immer, WDM sei die einzige Möglichkeit der Berliner Bezirke im EFRE-Bereich
EU-Gelder zu erhalten. So interessierte ich mich sehr, wer im Bezirk für diese finanziell
gering ausgestattete EFRE-Aktion verantwortlich ist, wofür die EU-Gelder im Bezirk
ausgegeben werden und wie die Implementation der WDM-Projekte im Bezirk vonstatten
geht.
Aufbauend auf meinem Interesse für WDM entstanden weitere Bereiche, die in diesem
Zusammenhang eine vertiefende Untersuchung notwendig machten. So rückte der Bezirk
als Partner nicht nur als die für die Ausführung zuständige Verwaltungseinheit in den
Vordergrund, sondern es stellten sich die Fragen, welche Einflussmöglichkeiten der Bezirk
bzw. die kommunale Ebene auf europäischer Ebene haben und wie die einzelnen Ebenen
im europäischen Mehrebenensystem miteinander agieren.
Diesem Thema widme ich mich im zweiten Kapitel. Zu Beginn wird dabei der theore-
tische Ansatz des Begriffes ,,Governance" und in seiner Weiterentwicklung ,,Multi-Level-
Governance" analysiert.
1
Benz, Kohler-Koch, Marks und Hooghe, um nur einige Wissen-
schaftler und Wissenschaftlerinnen zu nennen, versuchen in ihren jeweiligen Untersuchung-
en, auf die näher eingegangen wird, eine Definition für MLG zu finden. So können sie nur
anhand bestimmter Merkmale feststellen, ob MLG vorliegt oder nicht. Benz merkt jedoch
1
In der vorliegenden Arbeit werden nur die Begriffe ,,Governance" und ,,Multi-Level Governance"
dargestellt und untersucht. Obwohl Benz in seinem ,,Handbuch Governance. Theoretische
Grundlagen und empirische Anwendungsfelder" mehrere Modi von Governance darstellt und
analysiert, werden hier weitere Modi von Governance nicht näher untersucht.
1

1
Einleitung
an, dass der Begriff in der Politikwissenschaft zumindest noch nicht definiert sei.
2
Aus die-
sem Grund werden verschiedene unterschiedliche Interpretationen von MLG dargestellt
und anhand des Politikfeldes der Kohäsionspolitik beschrieben sowie analysiert.
Seit der Gründung des Europäischen Sozialfonds (ESF) 1957 über die Schaffung des
Europäischen Fonds für Regionalentwicklung (EFRE) 1975 bis zur Einheitlichen Europäi-
schen Akte (EEA) 1988 kann das System in Europa als Zwei-Ebenen-Verhältnis zwischen
der supranationalen und der nationalen Ebene gesehen werden. Dieses interdependente
Verhältnis sollte mit dem Beschluss der Kommission 1988 enden, welcher in der Einsetzung
des aus 42 Mitgliedern bestehenden Beirats der regionalen und lokalen Gebietskörperschaf-
ten mündete.
3
Dieser, wie sein Nachfolger 1992, der Ausschuss der Regionen (AdR), hat
jedoch nur eine beratende Funktion. Inwieweit die Regionen im Mehrebenensystem Ein-
fluss nehmen, wird später näher erläutert. Es kann vorgreifend konstatiert werden, dass
aus der Ebene mit zwei Akteuren im Laufe der Zeit ein System mit drei Ebenen wurde.
Meine Untersuchung legt jedoch nicht den Fokus auf diese drei Ebenen, sondern auf
die ,,Vierte Ebene". Obwohl Juristen den Kommunen den Status einer staatsrechtlichen
vierten Ebene im deutschen Rechtssystem verweigern, ist sie doch in der Politikwissen-
schaft etabliert. So erkennt die Kommission bereits 2001 im White Paper
4
zum Thema
European Governance die Notwendigkeit einer größeren Mitwirkung der regionalen und
lokalen Regierungen und der Zivilgesellschaft an.
5
Die Kommunen, in Berlin die Bezirke, sind für die Ausführung der EFRE-Aktion
,,WDM" verantwortlich. Obwohl sie eine große Verantwortung tragen, hat es den An-
schein, dass sie auf europäischer Bühne nicht wahrgenommen werden und nicht mitent-
scheiden können. Es soll untersucht werden, welches Mitspracherecht die Kommunen im
Europäischen System haben und welche Organe sie vertreten. Als übergeordnetes Ziel
soll die Funktionsweise des Mehrebenensystems mit dem Fokus auf die Kommunen er-
klärt werden. Handelt es sich beim MLG um eine neue Erfindung? Warum und wann
wurde sie nötig? Dabei stellt sich die Frage, welche Akteure im System der Europäischen
Union für die verschiedenen Phasen vom Agenda-Setting, der Policy-Formulation bis hin
zur Implementation der Strukturfonds verantwortlich sind und wie die Kommunen in die
verschiedenen Phasen miteingebunden sind.
2
vgl. Benz, Arthur: Multilevel Governance ­ Governance in Mehrebenensystemen, in: Benz,
Arthur/Dose, Nicolai (Hrsg.): Governance ­ Regieren in komplexen Regelsystemen. Eine Ein-
führung, 2. Auflage, Wiesbaden 2010, S. 116.
3
vgl. Münch, Claudia: Emanzipation der lokalen Ebene? Kommunen auf dem Weg nach Europa,
Wiesbaden 2006, S. 88.
4
Europäische Kommission: European Governance. A White Paper, COM (2001) 428 final, Brüs-
sel 2001.
5
vgl. Münch, S. 4.
2

1
Einleitung
Im dritten Kapitel wird die Geschichte des EFRE in Berlin einer näheren Betrachtung
unterzogen. Dabei ist weder beabsichtigt, die bisherige EFRE-Förderung in Berlin einer
Evaluierung zu unterziehen noch den Sinn der Strukturfonds in Berlin zu hinterfragen.
Die Entwicklung des EFRE über fünf Förderperioden
6
soll im Fokus stehen.
7
Der Fall der Berliner Mauer 1989 sowie der darauf folgende Beitritt der Deutschen
Demokratischen Republik zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik
Deutschland markierten nicht nur einen historischen Wendepunkt im Zusammenleben
der Bevölkerung, sondern sie machten auch eine Neustrukturierung der Kohäsionsfonds
notwendig.
Berlin wurde ein Sonderstatus innerhalb der Bundesrepublik zuteil. Neben den fünf
neuen Bundesländern, die allesamt den Ziel-1-Status erhielten, fielen die ehemaligen Ost-
berliner Bezirke und West-Staaken 1991 ebenfalls unter diesen Status. Die ehemaligen
Westberliner Bezirke wurden Ziel 2 zugeordnet. Diese Unterteilung der verschiedenen
Zielgebiete sollte bis 2006 anhalten.
Es ist eine kurze Übersicht über die Entwicklung der Strukturfonds anhand der EFRE-
Aktion ,,Wirtschaftsnahe Infrastruktur" für das Ziel-1-Gebiet im Zeitraum von 1991 bis
1999 beabsichtigt. Diese bildet einen der Schwerpunkte der Strukturfondsförderung in
Berlin seit Beginn der 1990er Jahre.
Aufgrund des bereits länger zurückliegenden Zeitraums der Förderperioden 1991 bis
1993 und 1994 bis 1999 ist es nur möglich, noch nicht vernichtete Unterlagen auszuwerten.
Diese öffentlichen Dokumente sind bei der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie
und Forschung des Landes Berlin archiviert. Für die Darstellung der Strukturfonds in der
Förderperiode 1991 bis 1993 wird auf die Evaluierung des Ziel-1-Gebietes
8
(Ostberlin)
zurückgegriffen. Für die Betrachtung der Förderperiode 1994 bis 1999 liegt das OP des
Ziel-1-Gebietes sowie die Ex-Post-Evaluierung von Ziel 1 und 2 vor.
WDM wurde erstmals in der Förderperiode 2000 bis 2006 im Jahr 2002 eingeführt. Die
Entwicklung der Aktion soll bei der weiteren Betrachtung der Strukturfonds im Vorder-
6
Diese fünf Förderperioden unterteilen sich zeitlich in folgende Zeiträume: 1991 bis 1993, 1994
bis 1999, 2000 bis 2006, 2007 bis 2013 und 2014 bis 2020.
7
Es ist hier nicht beabsichtigt, den gesamten Fonds darzustellen. Es wird sich in den Förder-
perioden 1991 bis 1993 und 1994 bis 1999 auf die Aktion ,,Wirtschaftsnahe Infrastruktur"
konzentriert. In den Förderperioden 2000 bis 2006, 2007 bis 2013 und 2014 bis 2020 wird die
Aktion ,,Wirtschaftsdienliche Maßnahmen" im Fokus stehen.
8
Ziel 1 ist ein ,,regionalisiertes" Ziel, indem es auf bestimmte Gebietseinheiten der Ebe-
ne NUTS II der von Eurostat entwickelten Klassifikation der Gebietseinheiten für
die Statistik Anwendung findet. Von diesen geografischen Gebieten sind nur solche
im Rahmen von Ziel 1 förderfähig, deren Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt (BIP) we-
niger als 75 Prozent des Gemeinschaftsdurchschnitts beträgt. vgl. Europäische Union:
http://europa.eu/legislation_summaries/regional_policy/provisions_and_instruments/g24
203_de.htm, abgerufen am 20.12.2013.
3

1
Einleitung
grund stehen. Dies umfasst den Zeitraum von 2000 bis 2020. Die größtmögliche Auswer-
tung bietet dabei die Förderperiode 2000 bis 2006. Für diesen Zeitraum kann auf das
EPPD Ziel 2
9
in seiner Schlussfassung
10
, die Schlussfassung des OP
11
für Ziel 1
12
, die
Halbzeitevaluation von Ziel 1 und Ziel 2 vom 15. November 2003 und auf die Endberichte
der Halbzeitbewertung von Ziel 1 und Ziel 2 vom 25. November 2005 zurückgegriffen wer-
den. Für die Förderperiode 2007 bis 2013, bei der noch keine abschließende Bewertung
vorliegt, wird neben der Halbzeitbewertung vom 21. Mai 2012 ebenfalls auf das OP ohne
etwaige Änderungsverfahren zurückgegriffen.
Da die EFRE-Verwaltungsbehörde des Landes und ihre Partner die Fortführung der
Aktion ,,WDM" für die Förderperiode 2014 bis 2020 anstreben, ist wiederum ein kurzer
Abschnitt über die weitere Entwicklung von WDM beabsichtigt. Dabei wird auf den Vor-
schlag der EFRE-Verwaltungsbehörde für das Operationelle Programm 2014 bis 2020, der
die Struktur des OP und die Auswahl der EFRE-finanzierten Instrumente enthält, Bezug
genommen.
Im dritten Abschnitt des Kapitels wird außerdem die Struktur der bei der Ausführung
von WDM maßgeblichen Verantwortlichkeiten auf Landes-, Bezirks- und Dienstleister-
ebene kurz umrissen dargestellt.
Im letzten Abschnitt wird auf die Rolle und Aufgaben der Bezirklichen Bündnisse für
Wirtschaft und Arbeit eingegangen. Dabei wird die Rolle des Gremiums einzeln und im
Förderantragsverfahren für WDM erfasst. Außerdem ist beabsichtigt, die anderen verant-
wortlichen Gremien näher zu untersuchen. Zum Abschluss des Kapitels wird die Rolle der
BBWA sowie die Rollen der anderen an WDM beteiligten Partner kritisch hinterfragt.
Im vierten Kapitel werden anhand von zwei Bezirken die jeweiligen Förderprojekte dar-
gestellt. Bei den beiden Bezirken handelt es sich zum einen um den Westberliner Bezirk
Tempelhof-Schöneberg und zum anderen um den Ostberliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf.
Der Fokus auf diese beiden Bezirke wurde gelegt, um sowohl den Kontrast zwischen Ost
und West als auch den Unterschied zwischen einem Bezirk mit einer durchschnittlich ho-
hen Nutzung von WDM-Mitteln und einem Bezirk mit durchschnittlich niedriger Nutzung
von WDM-Mitteln zu zeigen.
9
vgl. Europäische Union: http://europa.eu/legislation_summaries/regional_policy/provisions_
and_instruments/g24206_de.htm, abgerufen am 20.12.2013.
10
Eingereicht bei der Europäischen Kommission am 14. Mai 2007.
11
EPPD werden im Rahmen von Ziel 1 dann verwendet, wenn sich die programmierten Mit-
tel auf weniger als 1 Mrd. Euro belaufen. Ein EPPD ist ein einziges Dokument, das
sowohl die in einem GFK enthaltenen Angaben als auch die Angaben eines OP ent-
hält, also die Schwerpunkte des Programms, eine zusammenfassende Beschreibung der
geplanten Maßnahmen sowie einen indikativen Finanzierungsplan. vgl. Europäische Uni-
on: http://europa.eu/legislation_summaries/regional_policy/provisions_and_instruments/
g24203_de.htm, abgerufen am 20.12.2013.
12
Eingereicht bei der Europäischen Kommission am 13. Mai 2008.
4

2
Das Mehrebenensystem der EU
Um die Wirkung der Nutzung von WDM-Mitteln sichtbar zu machen, ist beabsichtigt,
die materiellen Indikatoren darzustellen und näher zu analysieren. Neben der Darstellung
und Einordnung der Projekte ist beabsichtigt, die Öffentlichkeitsarbeit in den beiden
Bezirken einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Dabei sollen Gemeinsamkeiten und
Unterschiede festgestellt werden. Zum Schluss des Kapitels werden die beiden Bezirke
anhand der dargestellten und analysierten Informationen einander gegenübergestellt, um
Rückschlüsse auf die Förderung von Vorhaben in den beiden Bezirken ziehen zu können.
Im Schlusskapitel werden nochmals die Punkte der Untersuchung und deren Ergebnisse
dargestellt. Dabei wird ein Fazit zu den wichtigsten Aspekten gezogen.
2 Das Mehrebenensystem der EU
2.1 Multi-Level-Governance
Kohler-Koch befasst sich in ihrem Aufsatz ,,Governance in the European Union" schon
früh mit dem Begriff ,,Governance":
Governance draws attention to systems of regulation and the interdependent
interactions of private and public actors.
13
Dabei beschreibt Kohler-Koch, die wie Benz als Pionier der Governance-Forschung an-
gesehen werden kann, die wichtigste Eigenschaft von Governance. Die Beziehungen von
privaten und öffentlichen Akteuren zieht sich, ob nun direkt oder indirekt, durch die
jeweiligen Beschreibungen von Governance in der wissenschaftlichen Forschung.
Benz definiert fünf Merkmale, durch die sich Governance in Mehrebenensystemen be-
schreiben lässt.
14
Dabei wird auf den zweiten Aspekt besonderer Wert gelegt, der de-
ckungsgleich mit Kohler-Kochs Beschreibung ist.
1. Interdependenzen zwischen Ebenen, die aus externen Effekten und Vertei-
lungskonflikten resultieren können
2. das Zusammenwirken öffentlicher und privater Akteure (Regierungen, Ver-
waltungen, Verbände, Experten)
3. institutionalisierte Regelsysteme innerhalb von Ebenen, in denen die Akteu-
re der Multilevel Governance handeln (insbesondere Festlegung von Vetorech-
ten, Parteienwettbewerb, Verhandlungen, exit-Möglichkeiten von Mitgliedern)
13
Kohler-Koch, Beate: German Governance Research. Advanced but Mono-Disciplinary, in:
Kohler-Koch, Beate/Larat, Fabrice (Hrsg.): European Multi-Level Governance. Contrasting
Images in National Research, Northampton/Massachusetts/USA 2009, S. 65.
14
vgl. Benz, Arthur: Multilevel Governance ­ Governance in Mehrebenensystemen, S. 121.
5

2
Das Mehrebenensystem der EU
2.1
Multi-Level-Governance
4. Koordinationsformen und -mechanismen zwischen den Ebenen, die auf Ver-
handlungen oder Wettbewerb beruhen, wobei beide in den Schatten der Hier-
archie eingebettet sein können
5. die Art der Kopplung zwischen den internen und externen Governance-
mechanismen (lose oder eng), die darüber entscheidet, wie stark maßgebliche
Akteure in die jeweiligen Regelsysteme eingebunden sind
So kann zum ersten von Benz' Aspekten davon ausgegangen werden, dass sich eine, wie
von Scharpf formulierte, Politikverflechtungsfalle aus Verteilungskonflikten ergeben könn-
te (Abschnitt 2.1.), die, wie im dritten Punkt von Benz dargestellt, durch Vetospieler
beeinflusst werden kann (Abschnitt 2.2.). Das zweite der von Benz dargestellten Merkma-
le stellt den Hauptuntersuchungsgegenstand dieser wissenschaftlichen Arbeit dar. Jedoch
werden in dieser wissenschaftlichen Untersuchung die privaten Akteure nicht untersucht.
Das Zusammenwirken der vier Verwaltungsebenen steht im Mittelpunkt dieses Kapitels
(Abschnitt 2.2.).
Die ,,Offene Methode der Koordinierung" wird im Werk von Benz unter den neuen For-
men von Governance dargestellt. Diese ,,beruht auf der Idee, dass effektive Politik und
eine Annäherung mitgliedsstaatlicher Maßnahmen erreicht werden kann, wenn die rele-
vanten staatlichen und nicht-staatlichen Akteure in einen Prozess der Koordination und
gegenseitigen Beobachtung eingebunden werden."
15
Da jedoch Governance den Aspekt
der Verflechtung in den Mittelpunkt rückt, muss davon ausgegangen werden, dass es sich
bei der OMK eher um eine Koordinierungsform als um eine neue Form von Governance
handelt.
Obwohl Governance schon länger im wissenschaftlichen Fokus steht, hat erst Marks
Governance um den Zusatz ,,Multi-Level" erweitert. So benötigte er einen Ausdruck zur
Beschreibung der Regional- und Strukturpolitik Anfang der 1990er Jahre.
[Gary Marks] developed the concept of multi-level governance (MLG), which
is a ,,system of continuous negotiation among nested governments at several
territorial tiers".
16
Im Gegensatz zu Marks, der MLG im wesentlichen verallgemeinernd darstellt, beschreibt
das Konzept von Bache und Flinders die Verflechtung der Akteure im MLG präziser:
15
Jachtenfuchs, Markus/Kohler-Koch, Beate: Governance in der Europäischen Union, in: Benz,
Arthur/Dose, Nicolai (Hrsg.): Governance ­ Regieren in komplexen Regelsystemen. Eine Ein-
führung, 2. Auflage, Wiesbaden 2010, S. 79.
16
Kohler-Koch, Beate/Rittberger, Berthold: A Futile Quest for Coherence. The Many Frames
of EU Governance, in: Kohler-Koch, Beate/Larat, Fabrice (Hrsg.): European Multi-Level
Governance. Contrasting Images in National Research, Northampton/Massachusetts/USA
2009, S. 7.
6

2
Das Mehrebenensystem der EU
2.1
Multi-Level-Governance
The concept of multi-level governance has been so widely adopted because it
raises important questions about the continuing importance of national states
and central governments, and focuses attention on other levels and other ac-
tors, including non-state actors, as well as on the many ways in which gover-
ning functions can be discharged by agencies other than central governments
itself.
17
Obwohl Marks auf der einen und Bache/Flinders auf der anderen Seite verschiedene
Aspekte von MLG beschreiben, sind ihre Aussagen hinsichtlich einer Verschiebung von
Entscheidungsprozessen von Zentralregierungen hin zu anderen Akteuren deckungsgleich.
Aus diesem Grund kann behauptet werden, dass im Mehrebenensystem Entscheidungen
nicht parallel auf verschiedenen Ebenen, sondern im ,,Policy-Making-Prozess" von oben
nach unten oder umgekehrt,
18
getroffen werden. Der Hauptgrund kann im Wunsch der
EU gesehen werden, die lokalen und regionalen Behörden sowie die nichtstaatlichen und
privaten Akteure bei den Strukturfonds miteinzubeziehen.
19
Diese Umverteilung von Macht und Kompetenzen
20
werden von Scharpf, auf den sich
Benz in ,,Politik in Mehrebenensystemen" bezieht, als Politikverflechtung umschrieben. So
definiert Scharpf das Politikmuster wie folgt:
Bei dem zwar einerseits die Entscheidungsautonomie der dezentralen Entschei-
dungseinheiten eingeschränkt sind, bei dem jedoch andererseits die umfassen-
den Entscheidungseinheiten (Länder, Bund, Europäische Gemeinschaft) nicht
gesamte Aufgabenkomplexe an sich zogen, sondern statt dessen direkte und
indirekte Einfluß- und Steuerungsinstrumente [sic] gegenüber den nach wie
vor entscheidungszuständigen lokalen und regionalen Entscheidungseinheiten
ausgebildet haben.
21
17
Bache, Ian/Flinders, Matthew: Themes and Issues in Multi-level Governance, in: Bache,
Ian/Flinders, Matthew (Hrsg.): Multi-level Governance, Oxford 2004, Vorwort.
18
Diese Sichtweise vertritt Heinelt. Er verweist darauf, dass speziell im EU-Netzwerk auch Ent-
scheidungen von unten nach oben vorkommen können. vgl. Heinelt, Hubert: Konzeptionelle
Überlegungen zur Entwicklung der Strukturfonds als kumulativer Politikprozess, in: Heinelt,
Hubert et. al. (Hrsg.): Die Entwicklung der EU-Strukturfonds als kumulativer Politikprozess,
Baden-Baden 2005, S. 43.
19
vgl. Conzelmann, Thomas: A New Mode of Governing? Multi-level Governance between Co-
operation and Conflict, in: Conzelmann, Thomas/Smith, Randall (Hrsg.): Multi-level Gover-
nance in the European Union: Taking Stock and Looking Ahead, Baden-Baden 2008,
S. 13.
20
vgl. Benz, Arthur: Multilevel Governance, in: Benz, Arthur et. al. (Hrsg.): Handbuch Gover-
nance. Theoretische Grundlagen und empirische Anwendungsfelder, Wiesbaden 2007,
S. 304.
21
Benz, Arthur: Theorien von Governance in Mehrebenensystemen, in: Benz, Arthur et. al.
(Hrsg.): Politik in Mehrebenensystemen, Wiesbaden 2009, S. 58.
7

2
Das Mehrebenensystem der EU
2.1
Multi-Level-Governance
So kann unterstellt werden, dass sich Blockaden über eine mehrfach überlappende Ent-
scheidungskette durch Vetos einzelner Ebenen ergeben können, die Scharpf als Politikver-
flechtungsfalle charakterisiert.
22
So wie Scharpf das Zweierverhältnis zwischen National-
staat und den Bundesländern umschreibt,
23
so lässt sich diese Logik auch auf das heutige
Verhältnis im europäischen Mehrebenensystem übertragen. Jedoch merkt Benz an, dass
,,die Erweiterung des Mehrebenensystems um eine zusätzliche Ebene die Wahrscheinlich-
keit von Blockaden nicht erhöhen muss".
24
Hooghe und Marks entwickelten das Konzept weiter und kamen auf eine Unterscheidung
von zwei Typen von MLG. Zusammengefasst lassen sich die Merkmale der beiden Typen
wie folgt darstellen:
25
Typ 1
Typ 2
General-purpose jurisdictions
Task-specific jurisdictions
Non-intersecting membership
Intersecting membership
Jurisdictions at a limited number of levels
No limit to the number of jurisdictional levels
System-wide architecture
Flexible design
Bei der Gegenüberstellung von beiden Typen lässt sich feststellen, dass die EU keiner
eindeutigen Logik folgt. Sie ist hauptsächlich Typ 1 zuzuordnen, jedoch lässt sie auch
Merkmale von Typ 2 erkennen. Das Hauptargument für die Zuordnung zu Typ 1 liefert
nach Hooghe und Marks die Delegation der Entscheidung auf die subnationale Ebene.
Dabei erläutern sie diese Überlappung wie folgt:
Once one reaches beyond the national state into the international area, one
finds very little Type I multi-level governance -- with one major exception: the
European Union. The European Union bundles together policy competencies
that in other parts of the world are handled by numerous, overlapping, and
functionally specific jurisdictions. [. . . ] However, some salient features of EU
architecture are consistent with Typ II multi-level governance.
26
22
ebd., S. 61.
23
ebd., S. 58.
24
Benz, Arthur: Varianten der Mehrebenenpolitik in der Europäischen Union: in: Benz, Arthur
et. al. (Hrsg.): Politik in Mehrebenensystemen, Wiesbaden 2009, S. 155.
25
Marks, Gary/Hooghe, Liesbet: Contrasting Visions of Multi-level Governance, in: Bache,
Ian/Flinders, Matthew (Hrsg.): Multi-level Governance, Oxford 2004, S. 17.
26
ebd., S. 23.
8

2
Das Mehrebenensystem der EU
2.1
Multi-Level-Governance
Heinelt und Knodt, die sich auf Hooghe und Marks beziehen, sprechen sogar von einer
Koexistenz beider Typen, die sich insbesondere bei der Reflexion der Strukturfonds be-
merkbar macht.
27
So bezieht sich Benz auf Typ 1 und beschreibt die Beziehung zwischen öffentlichen
und privaten Akteuren als Zusammenwirken. Conzelmann analysiert das Verhältnis der
Akteure zueinander ebenfalls treffend:
The EU is increasingly characterised by the delegation and diffusion of aut-
hority to sub-national and private actors, the use of ,,soft" (i. e. non-binding)
forms of regulation, and the emergence of networked forms of governing that
span several territorial levels or policy areas.
28
Obwohl Entscheidungen in einem Top-Down-Ansatz bzw. einem Bottom-Up-Ansatz ge-
troffen werden können, besteht kein klares Entscheidungsmuster. Insbesondere bei den
Strukturfonds werden die Entscheidungen horizontal und vertikal getroffen.
29
Dabei darf
jedoch nicht übersehen werden, dass gerade in der Kohäsionspolitik eine Koordinations-
struktur entstanden ist, die notwendig wurde, weil die supranationalen Akteure aufgrund
ihrer mangelnden Personalressourcen auf die Zuarbeiten der subnationalen und privaten
Akteure angewiesen waren und immer noch sind.
In ihrer Untersuchung stellen Getimis, Demetropoulou und Paraskevopoulos die Situa-
tion der beiden Entscheidungsdimensionen präzise dar:
The notion of ,,multi-level governance" (MLG) in the EU [. . . ] implies that
sub-regional, regional, national and supranational authorities interact with
each other in two ways: first, over different levels of government (vertical di-
mension); and second, with other relevant actors at the same level (horizontal
dimension).
30
Wo Heinelt und Knodt eher einen Ansatz der Überlappung der beiden Ebenen bei den
Strukturfonds sehen, gehen Bach und Flinders einen Schritt weiter. Sie kommen zum
Ergebnis, dass eine generelle Überlappung der vertikalen und horizontalen Dimension
beim MLG-Konzept, egal in welchem Politikbereich, vorkommt:
27
vgl. Heinelt, Hubert/Knodt, Michèle: Introduction: EU Policies in the European Multi-level
System, in: Heinelt, Hubert/Knodt, Michèle (Hrsg.): Policies within the EU Multi-level Sys-
tem. Instruments and Strategies of European Governance, Baden-Baden 2011, S. 9.
28
Conzelmann, S. 11.
29
vgl. Heinelt/Knodt, S. 8.
30
Getimis, Panagiotis/Demetropoulou, Leeda/Paraskevopoulos: Structural Funds and Institu-
tional Design: Policy Learning and Adaptation in Cohesion Countries, in: Conzelmann, Tho-
mas/Smith, Randall (Hrsg.): Multi-level Governance in the European Union: Taking Stock
and Looking Ahead, Baden-Baden 2008, S. 94.
9

2
Das Mehrebenensystem der EU
2.1
Multi-Level-Governance
,,Multi-level" referred to the increased interdependence of governments ope-
rating at different territorial levels, while ,,governance" signalled the growing
interdependence between governments and non-governmental actors at various
territorial levels.
31
Bei der Analyse der sieben Schlüsselkritiken von Andrew Jordans,
32
die im folgenden
dargestellt werden, ergibt sich hingegen nur ein Rückschluss.
· multi-level governance is nothing new, but an amalgam of existing theories
· it provides a description of the European Union, but not a theory
· it overstates the autonomy of subnational actors (SNAs)
· it adopts a ,,top-down" view of SNAs
· it focuses on SNAs to the exclusion of other subnational actors
· it mistakes evidence of SNA mobilization at European level as evidence of
SNA influence
· it ignores the international level of interaction
Durch die dargestellten Charakteristika können daher, wie auch Conzelmann feststellt, im
Gegensatz zur Europäischen Union, die Strukturfonds eher Typ 2 zugeordnet werden.
33
Neben den wissenschaftlichen Untersuchungen und somit verschiedenen Schlussfolge-
rungen wird eine dritte Möglichkeit ausgeschlossen, der sich Heinelt widmet. Er beschreibt
das Verhältnis der Akteure als weder horizontal noch vertikal, sondern als ein System von
,,Loose Coupling":
Particularly on the EU structural funds, linkages between the different actors
and levels are not tightly horizontal and vertical, but rather loosely coupled.
Against this background a hypothesis could be put forward that governability
is a result of policy networks characterised by different aspects of loose coupling
between relatively autonomous actors.
34
Benz vertritt die gleiche Ansicht, wenn er ,,die Arenen der intergouvernementalen Ver-
handlungen, der Parlamente und der Sozialpartnerschaften [. . . ] nur lose miteinander ver-
31
Bache/Flinders, S. 3.
32
vgl. George, Stephen: Multi-level Governance and the European Union, in: Bache,
Ian/Flinders, Matthew (Hrsg.): Multi-level Governance, Oxford 2004, S. 107.
33
vgl. Conzelmann, S. 15.
34
Heinelt, Hubert: How to Achieve Governability in Multi-Level Policymaking: Lessons from the
EU Structural Funds and EU Environment Policy, in: Conzelmann, Thomas/Smith, Randall
(Hrsg.): Multi-level Governance in the European Union: Taking Stock and Looking Ahead,
Baden-Baden 2008, S. 61.
10

2
Das Mehrebenensystem der EU
2.2
Die Europäische Union der Vier Ebenen
bunden"
35
sieht. So können die institutionellen Strukturen der EU als ein lose gekoppeltes
Mehrebenensystem gesehen werden.
Bei der Analyse von MLG muss abschließend konstatiert werden, dass wie von Jordans
dargestellt, MLG keine neue Erfindung, sondern eine Mischung aus existierenden Theorien
ist. Es gibt nur Umschreibungen des Phänomens, bei der es sich um Weiterentwicklungen
des Begriffs handelt. Obwohl die supranationale Ebene Kompetenzen auf die subnationale
Ebene abgibt, entsteht der Eindruck, dass die Rolle der subnationalen Akteure als zu hoch
eingeschätzt wird.
Insbesondere bei den Strukturfonds wird eine Überlappung der Akteure und Kom-
petenzen im Rahmen von Governance durch ,,Loose Coupling" sichtbar. Diese unklaren
Verantwortungen und Hierarchien im EU-Entscheidungsnetzwerk machen das Konzept
aus diesem Grund schwer greifbar. Diese Meinung vertritt auch Benz, der präzise zusam-
menfasst, dass wir immer noch relativ wenig darüber wissen, unter welchen Bedingungen
Governance im Mehrebenensystem effektiv funktioniert.
36
2.2 Die Europäische Union der Vier Ebenen
Da, wie im vorigen Abschnitt dargestellt, die Ebenen im Mehrebenensystem der Euro-
päischen Union lose miteinander verbunden sind, wäre eine Untersuchung jeder einzelnen
Ebene wenig ergiebig. Zielführender scheint es, einige dieser losen Verbindungen zu unter-
suchen. Es gibt sozusagen keine Entscheidungshierarchie, sondern eine dezentrale Ent-
scheidungskette. So können die regionale und die kommunale Ebene als ebenso wichtig
wie die supranationale Ebene in die verschiedenen Politikprozesse eingeordnet werden.
Im folgenden Abschnitt werden anhand der politisch-administrativen Struktur des eu-
ropäischen Systems
37
die Verflechtungen zwischen den einzelnen Ebenen im Politikbereich
der Strukturfonds dargestellt und analysiert. Dabei werden die Rollen der supranationalen
und nationalen Ebene kurz umrissen. Die Untersuchung wird sich hauptsächlich auf die
Rolle der subnationalen Ebene konzentrieren, die zusammengefasst aus Regionen
38
und
Kommunen
39
besteht.
35
Benz, Arthur: Multilevel Governance ­ Governance in Mehrebenensystemen, S. 127.
36
ebd., S. 131.
37
Unter der politisch ­ administrativen Ebene der Europäischen Union wird die 1.) Supranatio-
nale Ebene ­ Europäische Union, 2.) Nationalstaatliche Ebene ­ Deutschland, 3.) Regionale
Ebene ­ Berlin und 4.) Kommunale Ebene ­ Berliner Bezirke verstanden.
38
Unter dem Begriff der Region ist im Rahmen der vorliegenden Arbeit und für den deutschen
Fall die Ebene der Bundesländer zu verstehen. Die europäische Definition der Regionen um-
fasst auch grenzüberschreitende Kooperationen benachbarter territorialer Gliederungen, die
jedoch nicht Thema dieser Untersuchung sind und daher nicht dargestellt werden.
39
Unter dem Begriff der kommunalen Ebene ist im Rahmen der vorliegenden Arbeit die Ebene
der Berliner Bezirke zu verstehen.
11

2
Das Mehrebenensystem der EU
2.2
Die Europäische Union der Vier Ebenen
Die Europäische Union ist kein Staat. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts
ist sie ein Staatenverbund.
40
Scharpf beschreibt den Status der Union wie folgt:
The European Union is not, and cannot be, a unitary nation state; it can at
best be a multilevel political system in which national and subnational units
retain their legitimacy and political viability.
41
Problematisch wird die Aussage Scharpfs hinsichtlich der Zukunft der Europäischen Union
gesehen. Er bezweifelt, dass sich die EU zu einem einheitlichen Nationalstaat weiterent-
wickeln kann. Da diese Untersuchung jedoch den Fokus nicht auf die Finalität der Union
legt, wird dieser Aspekt nicht näher beleuchtet.
Wie Scharpf den Begriff ,,Politisches System" als Alternative zum Staatsbegriff sieht,
so befasst sich Nullmeier ebenfalls mit Begriffsalternativen. Der von ihm benutzte Begriff
,,Statehood" ist dann noch gegeben, ,,wenn der ,Staat` nicht mehr in seiner vollen Blüte
und Würde dastehen sollte, und andere Akteure und politische Einheiten hier und da
an seine Stelle treten."
42
Dieser Abschnitt wird sich also der zentralen Frage widmen, ob
andere Akteure oder politische Einheiten an die Stelle des Nationalstaates gerückt sind.
Das Verhältnis von supranationaler und nationaler Ebene wäre davon jedoch nicht
betroffen, da die Union kein Staat im eigentlichen Sinne ist. ,,Statehood" würde somit
eher das Verhältnis von nationaler zu seiner subnationalen Ebene betreffen. Man könnte
sogar zugespitzt formulieren, dass der Nationalstaat im Mehrebenensystem der EU den
Status eines Staates verliert und auf die Alternative von Staatlichkeit degradiert wird.
Diese Position sieht auch Conzelmann, der sich dabei auf Marks bezieht, ähnlich:
Gary Marks initially described this process as one of ,,decentralization of
decision-making to subnational levels of government as well as centralization
of new powers at the supranational level". Together, these created a ,,centrifu-
gal process in which decision-making is spun away from member states in two
directions", namely to the subnational as well as the supranational levels.
43
Bei der Feststellung von Marks stellt sich die Frage, ob hierunter auch die Kommunen
gefasst sind. Wenn Marks von einer Dezentralisierung des Entscheidungsprozesses auf die
subnationale Ebene verweist, wird davon ausgegangen, dass die deutschen Bundesländer
40
vgl.
,,Maastricht-Urteil"
des
Bundesverfassungsgerichtes
(BVerfGE
89,
155ff.),
http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv089155.html, abgerufen am 27.1.2014.
41
Scharpf, Fritz W.: Community and Autonomy. Institutions, Policies and Legitimacy, in: Mul-
tilevel Europe, Frankfurt am Main 2010, S. 75.
42
Nullmeier, Frank: Formen der Staatlichkeit. Zu einer Analytik politischer Einheiten, in: Dei-
telhoff, Nicole/Steffek, Jens (Hrsg:), in: Was bleibt vom Staat? Demokratie, Recht und Ver-
fassung im globalen Zeitalter, Frankfurt am Main 2009, S. 44.
43
Conzelmann, S. 13.
12

2
Das Mehrebenensystem der EU
2.2
Die Europäische Union der Vier Ebenen
damit gemeint sind und nicht die deutschen Kommunen, die ,,nur" den rechtlichen Status
von den Bundesländern untergeordneten Gebietskörperschaften haben.
44
Die Zweierbeziehung zwischen der supranationalen und nationalen Ebene besteht be-
reits seit Gründung der Montanunion. Die Europäische Union und ihre jetzt 28 Mit-
gliedsstaaten bilden sozusagen das Grundgerüst Europas. Dieses besondere Zusammen-
spiel kommt für Nullmeier der Begrifflichkeit ,,Staat" sehr nahe.
45
Im Laufe des Integrationsprozesses gab der Nationalstaat mehr und mehr Kompeten-
zen an die supranationale Ebene ab. Benz drückt die Stellung der supranationalen und
nationalen Ebene präzise aus:
Zwar sind die Mitgliedstaaten und die supranationalen EU-Institutionen nach
wie vor die wichtigsten Akteure. Es ist aber nicht zu übersehen, dass sowohl
die Zahl als auch die Vielfalt der in den Policy-Prozess involvierten Akteure
stark zugenommen hat.
46
Dabei ist die Rolle der Europäischen Union mehr als deutlich. Sie drückt sich durch den
Prozess von ,,Rule-Making" aus. Die Stellung der nationalen Ebene ist hingegen nicht
so klar formuliert. Macht sich im Mehrebenensystem der Nationalstaat überflüssig, oder
wird er überhaupt noch gebraucht? Unter anderem sehen Marks und Nielsen die Rolle
der Mitgliedsstaaten als wichtig an, aber nicht mehr so wichtig, als dass diese in den
Entscheidungszyklus eingebunden wären.
States are not an exlusive link between domestic politics and intergoverne-
mental bargaining in the EU.
47
Dabei unterschlagen sie eine wichtige Rolle der Mitgliedsstaaten. Der Mitgliedsstaat ist
immer noch der wichtigste Ansprechpartner für die Institutionen der Europäischen Union.
Der gesamte Prozess der Strukturfondsförderung unterliegt dem Partnerschaftsprinzip
zwischen der Europäischen Union und dem Mitgliedsstaat. Jedoch werden die Regionen
und Wirtschafts- sowie Sozialpartner miteinbezogen. In der Partnerschaftsvereinbarung
sind die Kooperation und Aufgabenverteilung zwischen den beiden Ebenen geregelt.
48
44
vgl. Münch, S. 81.
45
Wenn die Rechtssetzung nicht von einem nationalstaatlichen Monopolisten, sondern durch
ein koordiniertes Duopol von Europäischer Union und eines in seinen Kompetenzen einge-
schränkten Nationalstaat ausgeübt wird, wird man dem Zusammenspiel beider durchaus noch
die Begrifflichkeit ,,Staat" zuweisen können. vgl. Nullmeier, S. 46.
46
Jachtenfuchs, Markus/Kohler-Koch, Beate:, S. 83.
47
Marks, Gary et al.: Competencies, Cracks and Conflicts: Regional Mobilization in the European
Union, in: Marks, Gary et. al. (Hrsg.): Governance in the European Union, London 1996, S.
41.
48
vgl. Münch, S. 156.
13

2
Das Mehrebenensystem der EU
2.2
Die Europäische Union der Vier Ebenen
Kopp-Malek und Lackowska beschreiben in ihrer Untersuchung das Policy-Making an-
hand der Strukturfonds. Dabei stellen sie in verkürzter Form das sehr komplexe Verhält-
nis der verschiedenen Akteure in den verschiedenen Zyklen des Prozesses dar. Obwohl
die Europäische Kommission das alleinige Recht für eine rechtliche Initiative besitzt, sind
verschiedene Akteure, wie Lobbygruppen oder nationale Experten, in den Prozess des
Agenda-Settings (Phase 1) bereits integriert. In der Phase der Policy-Formulation (Pha-
se 2) geht die Initiative von der Kommission aus, wie im Vertrag über die Arbeitsweise
der Europäischen Union beschrieben.
49
Obwohl davon ausgegangen werden kann, dass die
subnationalen Akteure schon während des Agenda-Settings auf die Initiative der Kom-
mission Einfluss nehmen möchten, müssen im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens der
Ausschuss der Regionen
50
sowie der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss
51
an-
gehört werden. Ihre Stellungnahmen sind jedoch nicht bindend. Für die Implementation
(Phase 3) der Strukturfonds ist die subnationale Ebene zuständig.
52
Auffällig bei der Betrachtung der drei Phasen ist die Involvierung der europäischen
Institutionen und der subnationalen Ebene. Von der nationalen Ebene ist kaum die Rede.
So beschreibt Scharpf die drei wichtigsten Funktionen der nationalen Ebene.
Central government rules in a multilevel system may serve three functions:
redistribution of resources among constituent units, co-ordination for the pre-
vention of negative external effects and for the achievement of collective goods,
and co-ordination for the better achievement of private goods.
53
Es erweckt den Anschein, dass andere Akteure und politische Einheiten anstelle des Natio-
nalstaates im Bereich der Strukturfonds beim Policy-Prozess in den Vordergrund gerückt
sind und sich der Nationalstaat damit überflüssig gemacht hat.
Cohesion policy provides a direct nexus between subnational and supranatio-
nal actors. This clearly alters the traditional ,,gatekeeping" role of national
governments between domestic and European politics.
54
49
vgl. Art. 289 AEUV, in: Geiger, Rudolf/Khan, Daniel-Erasmus/Kotzur, Markus: EUV/AEUV.
Vertrag über die Europäische Union und Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen
Kommission ­ Kommentar, 5. Auflage, München 2010, S. 865ff.
50
vgl. Art. 305 ­ 307 AEUV, S. 894ff.
51
vgl. Art. 301 ­ 304 AEUV, S. 890ff.
52
vgl. Kopp-Malek, Tanja/Lackowska, Marta: Structural Funds, in: Heinelt, Hubert/Knodt,
Michèle (Hrsg.): Policies within the EU Multi-level System. Instruments and Strategies of
European Governance, Baden-Baden 2011, S. 162ff.
53
Scharpf, S. 75.
54
Hooghe, Liesbet: Introduction. Reconciling EU-Wide Policy and National Diversity, in: Hoo-
ghe, Liesbet (Hrsg.): Cohesion Policy and European Integration. Building Multi-Level Go-
vernance, Oxford 1996, S. 7.
14

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2014
ISBN (eBook)
9783958208292
ISBN (Paperback)
9783958203297
Dateigröße
863 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin
Erscheinungsdatum
2015 (Oktober)
Note
1,7
Schlagworte
förderinstrument wirtschaftsdienliche maßnahmen efre mehrebenensystem europäischen union förderperiode eine studie bezirklichen bündnissen wirtschaft arbeit berlin
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Titel: Das Förderinstrument "Wirtschaftsdienliche Maßnahmen" (EFRE - WDM) im Mehrebenensystem der Europäischen Union in der Förderperiode 2007 bis 2013
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