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Vom Leben und Sterben „in Gottes Hand“

Eine systematisch-theologische Untersuchung der kirchlichen Äußerungen in der Sterbehilfedebatte, das Leben sei uns nicht frei verfügbar und Gott allein sei Herr über Leben und Tod

©2013 Studienarbeit 35 Seiten

Zusammenfassung

Schon lange ist die Debatte um die Sterbehilfe in den deutschen Medien, Universitäten und der Literatur entbrannt. Das vorliegende Werk nun ist ein wichtiger und aktueller Beitrag zur präsenten Diskussion der Sterbehilfe innerhalb Deutschlands und der theologischen Landschaft. Es behandelt und diskutiert dabei die gemeinsame Erklärung und Stellungnahme der Evangelischen Kirche in Deutschland - mit erstaunlicher Prägnanz und Einsicht. Durch die fachliche Güte und kontrovers-spannende Argumentation ist dieses Werk Anlass zur Verleihung des Helmut-Thielcke-Preises 2014 an die Autorin Anna Böllert gewesen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


3
Tod machen."
19
, verknüpfen sie die Unverfügbarkeit des Lebens und die Herrschaft
Gottes über Leben und Tod als Argument gegen die aktive Sterbehilfe.
Unter der Voraussetzung einer infausten Prognose
20
, einer Situation unerträglichen
körperlichen Leidens
21
und dem Ausschöpfen jeglicher palliativer, therapeutischer und
zwischenmenschlicher Zuwendung stellt sich allerdings die Frage, inwiefern ein über
ein längeren Zeitraum wiederholt bekräftigter Wunsch, dem Leiden ein Ende zu
bereiten, tatsächlich mit der begrenzten Verfügung des Menschen über sein Leben
abgewiesen werden kann. Im Wissen um eine Vielzahl diskussionsfähiger Argumente
für und gegen die aktive Sterbehilfe, deren Entfaltung den Rahmen dieser Arbeit
allerdings sprengen würde, soll daher zunächst das theologische Spannungsfeld
zwischen menschlicher Autonomie und vermeintlich gottgegebenem Todeszeitpunkt,
zwischen der Bitte um Tötung und dem Dienst am Nächsten, zwischen dem Leben als
Geschenk und Gott als dem Souverän durch eine Auseinandersetzung mit der
Unverfügbarkeit des Lebens und der Herrschaft Gottes über Leben und Tod bestritten
werden.
Ziel der vorliegenden Proseminararbeit ist daher die systematischtheologische
Reflektion der kirchlichen Position in der Sterbehilfedebatte unter besonderer
Berücksichtigung dieser beiden Argumente, die ich im Kontext darstellen und auf
anthropologische Implikationen, Unklarheiten und Begründungszusammenhänge
untersuchen möchte. Dem voran wird eine kritische Auslotung der geeigneten Begriffe
gestellt, deren Ziel es ebenso ist, implizite Thesen oder Tendenzen aufzuspüren und in
Bezug zur eigentlichen Aussage zu stellen. Von entscheidender Bedeutung wird am
Ende die Frage sein, inwiefern divergierende Lebensund Glaubensinterpretationen,
die beispielsweise in der Bezeichnung Gottes als Freund, dem Leben als Geschenk und
dem Menschen als selbstbestimmtes Subjekt anklingen, überhaupt eine eindeutige,
ablehnende Position der aktiven Sterbehilfe gegenüber nach sich ziehen können.
19
Kirchen, Gott ist ein Freund des Lebens, S. 42.
20
Gemeint ist eine irreversible, das Leben des Patienten schwer beeinflussende Krankheit, die in
absehbarer Zeit zum Tod führt.
21
Vgl. Kreß, Medizinische Ethik, S. 77. Kreß verweist hier, insbesondere bei Tumorpatienten, auf
,,extreme Grenzfälle", in denen auch eine intensive Schmerztherapie keine oder nur minimale Besserung
erzielt.

4
2. Vorbemerkungen
2.1 Die Begriffsdiskussion
Die erste Positionierung, die beim Einstieg in eine Debatte zu beziehen ist, betrifft die
Wahl der Fachtermini, mit denen fortan gearbeitet werden soll. Markus Zimmermann
Acklin gelingt, indem er die ,,Verständigung über das mit dem Euthanasiebegriff
umschriebene und konnotierte Themenfeld"
22
als einen ,,mit vielen Stolpersteinen
gepflastert[en]"
23
Weg beschreibt, ein treffendes Abbild der konfusen Situation, die
sich jedem auf der Suche nach geeigneten Termini durch die Sprachlandschaft
Irrendem bietet. Um Missverständnisse und Unklarheiten zu vermeiden, soll hier durch
eine begründete Auswahl eine verständliche Grundlage in dieser komplexen und
begriffsüberladenen Thematik geliefert werden.
24
Die Relevanz dieses Unterfangens
wird deutlich, wenn die Diskussion um die richtigen Definitionen und Begriffe neben
ihrem deskriptivhermeneutischen Charakter auch als ,,Spiegelbild der ethisch
normativen Meinungsverschiedenheiten"
25
verstanden wird.
Nach einer kurzen, auf die Historie fokussierten Betrachtung des Euthanasiebegriffs,
der sich trotz seines nationalsozialistischen Missbrauchs und der Definitionsfülle
großer Beliebtheit erfreut
26
, soll der Fokus auf die populärste Bezeichnung, nämlich
Sterbehilfe, sowie eine vom Nationalen Ethikrat empfohlene, terminologische Lösung
gerichtet werden. Im Zuge dieser Auseinandersetzung wird der Gegenstand aller
Beschreibungsversuche, nämlich die Frage nach dem menschlich und medizinisch
Möglichen und ethisch Gebotenen im Umgang mit Sterbenden, einleitend vorgestellt.
2.2 Euthanasie
Schon im antiken Ursprung wurde der Begriff ,,Euthanasie" nicht eindeutig, sondern
von verschiedenen Autoren als Bezeichnung verschiedener Phänomene genutzt und
22
ZimmermannAcklin, Markus, Euthanasie. Freiburg / Freiburg [Breisgau] / Wien 1997, S. 91
23
Ebenda.
24
Einen Überblick über die Vielzahl an Bezeichnungen bietet Michael Fries, Vgl. Frieß, Michael, ,Komm
süßer Tod`. Stuttgart 2008, S. 36f.
25
ZimmermannAcklin, Euthanasie, S. 92.
26
Vor allem im Titel vieler Bücher, die sich mit der Sterbehilfe auseinandersetzen, fällt das Wort
,,Euthanasie", so zumindest meine Wahrnehmung, vgl. das Literaturverzeichnis.

5
unterlag keiner eindeutigen Definition, wenn er beispielsweise statt dem
schmerzfreien natürlichen Tod, der vermutlich eigentlich intendierten Bedeutung
27
,
den ,,ehrenhaften Tod im Kampf" beschrieb
28
. Weder ,,in medizinischem Kontext"
29
,
betont Udo Benzhöfer, ,,etwa in bezug auf die Handlung eines Arztes"
30
noch zur
Bezeichnung einer ,,Beihilfe zur Selbsttötung oder Tötung auf Verlangen"
31
sei der
Begriff gebraucht worden. Die nächste beachtenswerte Erwähnung findet sich bei
Francis Bacon, der sich für die Linderung der Qual Todkranker und die Erleichterung
des Sterbens durch Ärzte aussprach
32
und dessen Idee im 18. Und 19. Jahrhundert
aufgegriffen und diskutiert wurde.
33
Die ,,bewußte Beschleunigung des Sterbens durch
den Arzt"
34
stieß aber weiterhin auf entschiedene Ablehnung.
Als die Nationalsozialisten den Mord an insgesamt etwa 300.000 Menschen, deren
Leben aufgrund von Krankheit oder Behinderung für ,,lebensunwert" befunden
wurde
35
, als Euthanasie beschrieben, führten sie den Euthanasiebegriff vollends ad
absurdum, indem die Entscheidung über den Kopf eines anderen, das Gegenteil des
unabdingbaren Freiwilligkeitskriteriums, zum definierenden Aspekt des Begriffs wurde.
Basierend auf einer anderen Intention, einem anderen Menschenbild, anderen Werten
und einer anderen Ausgangslage wird heute eine neue Debatte geführt, die den
Sterbenden als ihr Subjekt wertschätzt und nicht zu ihrem Objekt degradiert und daher
nach neuen, möglichst unverbrauchten Begriffen verlangen sollte.
2.3 Sterbehilfe und die Vorschläge des Ethikrats
Nachdem sich die Wahl des Euthanasiebegriffes als ein Stolperstein entpuppt hat, folgt
nun die Auseinandersetzung mit zwei weiteren Versuchen, möglichst debatten
27
Vgl. Benzhöfer, Udo, Der gute Tod?, München 1998, S. 15.
28
Benzhöfer, Der gute Tod, S. 22. Für eine ausführliche Darstellung der antiken Definitionsfacetten siehe
a.a.O., S. 1522.
29
Benzhöfer, Der gute Tod, S. 22.
30
Ebenda.
31
Ebenda.
32
Vgl. a.a.O., S. 68f.
33
Siehe hierzu a.a.O., S. 7076.
34
A.a.O., S. 76.
35
Vgl. Faulstich, Heinz, Die Zahl der ,Euthanasie`Opfer, in: Frewer, Andreas / Eickhoff, Clemens (Hgg.),
,Euthanasie` und die aktuelle SterbehilfeDebatte. Frankfurt am Main / New York 2000, S. 227f.

6
taugliche und eindeutige Begriffe zu finden, nämlich zum einen das Konzept des
Nationalen Ethikrats und zum anderen die oft verwendete Bezeichnung Sterbehilfe.
Für sich genommen kann Sterbehilfe zunächst grundlegend als das Verhalten von Arzt
oder Angehörigen einem unheilbar Kranken oder sterbenden Patienten gegenüber, das
sich an seinem Willen und Wohl als Handlungsmaxime orientiert
36
, beschrieben
werden. Erst durch ein vorangestelltes Adjektiv zur näheren Bestimmung erhält der
Begriff seine spezifischen Bedeutungen und deckt durch diese Mehrdimensionalität ein
breites Spektrum möglicher Verhaltensweisen ab, die sich teilweise erheblich von
einander unterscheiden. Im folgenden Abschnitt werden sie, in Orientierung an
Hartmut Kreß` Medizinischer Ethik, inhaltlich kurz erläutert. Die vom Nationalen Ethik
rat favorisierten Alternativen bauen hingegen auf der möglichst präzisen Beschreibung
der unterschiedlichen Situationen durch voneinander unabhängige Begriffe auf und
werden den Sterbehilfeformen gegenübergestellt, um so die zur Debatte stehenden
Möglichkeiten des Umgangs mit Sterbenden und die treffendsten Bezeichnungen
aufzuzeigen.
2.3.1 Reine Sterbehilfe
Die Grundversorgung des Patienten durch ,,Körperpflege, die Freihaltung der
Atemwege oder das Stillen von Hunger und Durstgefühlen"
37
, eine angemessene
Schmerzlinderung sowie zwischenmenschliche Zuwendung ist zur Ermöglichung eines
menschenwürdigen Sterbens ethisch und rechtlich geboten.
38
Der Nationale Ethikrat
spricht in diesem Fall von der ,,Sterbebegleitung"
39
und weitet in der Definition den
würdewahrenden Umgang auf eine seelsorgliche Begleitung des Sterbenden und der
Angehörigen, das Ernstnehmen von Ängsten und Wünschen und die Wahrung des
Willens aus.
40
Im Gegensatz zur Reinen Sterbehilfe, die sich aufgrund ihrer sprach
lichen Nähe zu den anderen Sterbehilfeformen von jeglicher Beeinflussung oder
36
Vgl. Kreß,
Medizinische Ethik, S. 243.
37
Kreß, Medizinische Ethik, S. 243.
38
Vgl. ebenda.
39
Nationaler Ethikrat (Hg.), Selbstbestimmung und Fürsorge am Lebensende, Berlin 2006. S. 53, URL:
http://www.ethikrat.org/dateien/pdf/Stellungnahme_Selbstbestimmung_und_Fuersorge
_am_Lebensende.pdf (07.03.2014).
40
Vgl. ebenda.

7
Steuerung des Sterbeprozesses immer wieder abgrenzen muss, verdeutlicht der Begriff
,,Sterbebegleitung" treffend, dass die fürsorgliche Haltung, in der den Patienten
begegnet wird, den Kern dieser Begegnungen bildet und wird daher favorisiert.
2.3.2. Passive Sterbehilfe und indirekte Sterbehilfe
Die passive Sterbehilfe bezeichnet die Entscheidung, dem ,,Verzicht auf weitere
medizinische Maßnahmen und zusätzliche Behandlung"
41
oder dem Abbruch einer
laufenden Behandlung zur Wahrung der Würde des Sterbenden gegenüber einer nur
das Leid verlängernden, medizinischen Behandlung den Vorzug zu gegeben
42
, was der
Nationale Ethikrat ,,Sterbenlassen"
43
nennt. Problematisch an dieser Formulierung ist
die Assoziation des vollkommenen Therapieverzichts und der Abwendung, was un
zutreffend ist ­ an die Stelle der sich als nutzlos erweisenden, kurativ orientierten
Behandlung tritt vielmehr die Begleitung des Sterbenden, sodass nichtmehr die
Genesung, sondern das Wohlergehen des Patienten das Ziel ist, in dessen Rahmen
auch eine Schmerztherapie stattfinden kann.
44
Diese Hilfe greift der Nationale Ethikrat
unter ,,Therapien am Lebensende"
45
auf, ihrem Äquivalent zur indirekten Sterbehilfe.
Der terminologische Vorteil läge in der Fokussierung der beabsichtigten Handlung, das
beschleunigte Sterben sei nicht im Horizont der direkten oder indirekten Intention und
daher als Begriffsbestandteil irreführend.
46
Kreß bemerkt treffend, die Verwendung
des Therapiebegriffs sei insofern problematisch, als unter ihm ,,ja herkömmlich die
Heilung oder Heilbehandlung verstanden wird"
47
. Zudem rückt die indirekte
Sterbehilfe, die sich durch Inkaufnahme einer Lebensverkürzung durch hohe Schmerz
medikation
48
von der passiven Sterbehilfe unterscheidet, zunehmend in den Hinter
grund, da ,,durch die Fortschritte der Schmerzforschung [...] der unerwünschte Neben
effekt der Lebensverkürzung durchweg vermeidbar geworden ist."
49
Die Begriffe liegen
41
Kreß, Medizinische Ethik, S. 246.
42
Vgl. ebenda.
43
Nationaler Ethikrat, Stellungnahme, S. 54.
44
Vgl. Kreß, Medizinische Ethik, S. 247.
45
Nationaler Ethikrat, Stellungnahme, S. 54.
46
Vgl. ebenda.
47
Kreß,
Medizinische Ethik, S. 246.
48
Vgl. Kreß, Medizinsiche Ethik, S. 244.
49
Ebenda.

8
inhaltlich so dicht beieinander, dass eine Subsumierung unter dem Adjektiv ,,passiv",
wie Volker Eid es beobachtet
50
, in der Handlungstheorie wie in der praktischen Ver
wendung sinnvoll erscheint.
2.3.3 Aktive Sterbehilfe und ärztlich assistierter Suizid
Die ,,aktive Sterbehilfe" charakterisiert den explosiven Kern der Debatte und meint die
,,gewollte, gezielte[,] [...] direkte Tötung eines schwerstkranken oder sterbenden
Patienten durch den Arzt"
51
. Sie ist als einzige der hier aufgeführten Formen in
Deutschland strafrechtlich untersagt.
52
Die Umbenennung in ,,Tötung auf Verlangen"
53
,
die der Nationale Ethikrat vorschlägt, hebt den Willen des Sterbenden als un
umgänglichen Indikator zwar hervor, hat aber den großen Nachteil, weder die infauste
Diagnose, noch den Beginn der Sterbephase als Ausgangssituation klarzustellen,
weshalb der Bezeichnung als ,,aktive Sterbehilfe" der Vorrang gegeben wird.
Der assistierte Suizid bezeichnet ,,die Beihilfe des Arztes bei einem vom Patienten
selbst vollzogenen Suizid"
54
, deren nicht unproblematische Abgrenzung zur aktiven
Sterbehilfe man am besten anhand des Kriteriums der Tatherrschaft
55
vollziehen kann,
da der Patient in diesem Falle beispielsweise das ihm zur Verfügung gestellte, tödliche
Medikament selbst einnimmt. Während Kreß beide Formen für ,,vergleichbar"
56
hält,
beobachtet ZimmermannAcklin die unzureichende oder komplett fehlende Differen
zierung zwischen beiden Begriffen in der Fachliteratur, weist auf die Diskussion hin, ob
es in moralischer Sicht relevant sei, wer die Finalhandlung ausübt und führt seine
Überlegungen schließlich mit der Prämisse, ein entscheidender Unterschied sei bislang
nicht nachweisbar gewesen, fort.
57
Die Diskussion um die Untrennbarkeit oder not
wendige Unterscheidung und damit verbundene, moralische Wertung gewinnt an
50
Vgl. Eid, Volker, Geschichtliche Aspekte des Euthanasieproblems, in: Ders. (Hg.), Euthanasie oder Soll
man auf Verlangen töten? Mainz 1975, S. 23f.
51
Kreß, Medizinische Ethik, S. 245.
52
Vgl. Strafgesetzbuch, § 216 Tötung auf Verlangen, Gesetzesstand: 01.03.2014, URL:
http://dejure.org/gesetze/StGB/216.html (19.03.2014).
53
Nationaler Ethikrat,
Stellungnahme, S. 55.
54
Kreß, Medizinische Ethik, S. 245.
55
Vgl. a.a.O., S. 246.
56
Kreß, Medizinische Ethik, S. 245.
57
Vgl. ZimmermannAcklin, Euthanasie, S. 9597.

9
Brisanz, wenn man sich vor Augen führt, dass der ärztlich assistierte Suizid im Gegen
satz zur Tötung auf Verlangen straffrei ist.
58
Die Tatsache, dass aus kirchlicher Sicht,
deren Position ja diskutiert werden soll, beide Handlungen durch das Nachkommen
der Bitte um Lebensverkürzung verwerflich sind, lenkt den Blick zurück auf die
generellere Frage, inwiefern die Partizipation an einem mutwillig beschleunigten
Sterben, sei es unterstützend oder in aktiver Ausführung, mit der Herrschaft Gottes
und der Unverfügbarkeit des Lebens kollidiert. Hinsichtlich des ärztlich assistierten
Suizids sei zunächst festgehalten, dass er der aktiven Sterbehilfe am Nächsten kommt.
Er stellt quasi eine abgeschwächte Form ihrer da und klärt, was die Formulierung
angeht, wie die ,,Tötung auf Verlangen" ebenfalls nicht hinreichend über die schwere
Krankheit oder begonnene Sterbephase als Grundvoraussetzung auf.
58
Während der Suizid an sich und auch die Beihilfe, beispielsweise durch Beschaffung eines geeigneten
Medikaments, in Deutschland nicht strafbar ist, macht sich der Beteiligte jedoch nach Beginn des
Suizidversuchs der Unterlassenen Hilfeleistung schuldig, wenn er nicht interveniert (Vgl. Kreß,
Medizinische Ethik, S. 279).

10
3. Hauptteil
3.1 Zur kirchlichen Argumentation
,,Gott ist ein Freund des Lebens", so lauten Titel und These einer ,,[g]emeinsame[n]
Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland [...], der Deutschen
Bischofskonferenz"
59
und weiterer Kirchen, die sich unter anderem mit der aktiven
Sterbehilfe auseinandersetzt. Ihr erklärtes Ziel ist es, sich gemeinsam aktuellen
Gefährdungen des Lebens durch ein theologisch fundiertes Plädoyer für Bewahrung
und Förderung des Lebens in den Weg zu stellen, wobei sie sich an Christen ebenso
wie an Nichtchristen richtet und in die Nachfolge zur Freundschaft mit dem Leben
ruft.
60
Von systematischtheologischer Relevanz ist die dort vollzogene Einbettung der
Überlegungen zur Sterbehilfe in eine umfassende Reflektion über die theologischen
Grundlagen der Gabe des Lebens, den Lebensraum Erde und zur Würde. Hierdurch ist
die Stellungnahme in einem größeren christlichen Aussagenkomplex verwurzelt und
steht damit in Bezug zu ihren theologischen Implikationen, beispielsweise hinsichtlich
der Würdedefinition und Grundüberzeugungen wie der Freundschaft Gottes mit dem
Leben. Die fortlaufende Aktualität der Erklärung erweist sich durch die Berufung auf
ihre Aussagen in späteren Veröffentlichungen
61
und vor allem die Übernahme
zentraler Passagen in die 1999 zum ersten Mal veröffentlichte, Christliche Patienten
vorsorge sowie in die Handreichung ,,Meine Zeit steht in Gottes Händen"
62
.
Nachdem ab dem 01.09.2011 durch einen Beschluss des Bundestages eine Änderung
im Betreuungsrecht in Kraft trat, die ,,die Voraussetzungen, die Bindungswirkung und
die Reichweite von Patientenverfügungen"
63
regelt, sah sich die EKD zu einer um
fassenden Neukonzeption ihrer Patientenvorsorge veranlasst, die neben der An
passung an die neue Gesetzeslage auch gleichzeitig die Glättung zentraler theolo
gischer Passagen innehat. Während sich nachfolgende Gegenüberstellung vorerst der
59
Kirchen, Gott ist ein Freund des Lebens, S. 3.
60
Vgl. a.a.O., S. 11.
61
Vgl. Kirchenamt der Evangelischen Kirche Deutschland (Hg.), Wenn Menschen sterben wollen,
Hannover 2008, S. 5, URL: http://www.ekd.de/download/ekd_texte_97.pdf (11.03.2014).
62
Vgl. EvangelischLutherischen Kirche in Bayern (Hg.), Meine Zeit steht in Gottes Händen, München
3
2010, URL: http://www.bayernevangelisch.de/www/download/patientenverfneu.pdf (11.03.2014).
Die genauen Passagen werden im nächsten Kapitel aufgezeigt.
63
Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland/ Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz
(Hgg.), Wichtiger Hinweis zur ,Christlichen Patientenvorsorge`, Hannover 2009, URL:
http://www.ekd.de/download/patientenverfuegungsformular_bis_2003.pdf (11.03.2014).

11
älteren Version bedient, werden die überarbeiteten Absätze an späterer Stelle als
Hinweis auf die aktuelle Positionsverschiebung in Richtung eines reflektierten, dis
kussionsfähigen Beitrags eingeflochten. Gerade für das Verständnis einer solchen
Entwicklung ist jedoch die Erarbeitung der nun revidierten Ausgangslage hilfreich.
Ich werde zunächst eine besonders prägnante Passage aus ,,Gott ist ein Freund des
Lebens", die die Kernaussagen zur Ablehnung der aktiven Sterbehilfe bündelt, sowie
die entsprechenden Parallelstellen aus der Patientenvorsorge in den Mittelpunkt
stellen und mithilfe dieser die Position der Kirchen skizzieren, sowie ihre Leitmotive
entfalten.
3.1.1 Darlegung der kirchlichen Position
64
Eine nahezu identische Passage findet sich auch in: ELBK, Gottes Hände, S.16. ,,Menschen können und
dürfen nicht über Wert und Unwert menschlichen Lebens urteilen. Jeder Mensch verdankt sein Leben
und seine Würde Gott."
65
Wörtlich übernommen, ebenda: ,,Weil Gott allein Herr über Leben und Tod ist, sind Leben und
Menschenwürde geschützt." Im Gegensatz zur Christlichen Patientenvorsorge ist der Satz dort aber
nicht gefettet.
Gott ist ein Freund des Lebens
Christliche Patientenverfügung 2003
[1]
,,Das Leben ist uns nicht frei verfügbar.
[2]
[a]
[b]
,,Keiner hat über den Wert oder
Unwert eines anderen menschlichen
Lebens zu befinden ­ selbst nicht
über das eigene.
Dies entzieht sich auch schlicht
unserer Kenntnis:
Genausowenig haben wir ein Recht,
über den Wert oder Unwert eines
menschlichen Lebens zu befinden.
Jeder Mensch hat seine Würde, seinen
Wert und sein Lebensrecht von Gott
her.
64
[3] Denn jeder ist ungleich mehr und
anderes, als er von sich weiß. Keiner
lebt nur für sich; und was einer für
andere bedeutet, das wird er nie
genau wissen.
Jeder Mensch ist ungleich mehr und
anders, als er von sich selbst weiß. Kein
Mensch lebt nur für sich und kann genau
wissen, was er für andere bedeutet.
[4]
Weil Gott allein Herr über Leben und
Tod
ist,
sind
Leben
und
Menschenwürde geschützt.
65

12
Die Grundlage bildet das Verständnis des menschlichen Lebens als etwas Gott
gegebenes
69
, weshalb dem Menschen ein indiskutabler Wert zukäme, der sein Leben
in doppelter Hinsicht schützenswert mache: zum einen vor einem fremden Werturteil
[2a] nach subjektiven Kriterien
70
, zum anderen wird dem Menschen an mehreren
Stellen auch die selbstreflexive Bewertung des eigenen Lebens unter dem Verweis auf
einen außerhalb unserer Kenntnis liegenden Mehrwert abgesprochen [2b und 3]. Auch
in Kranken, Alten und Behinderten stecke ein Segen für andere
71
, weshalb wir unseren
eigenen Wert zwar erahnen, aber nie ganz ergründen könnten
72
. Jedes Leben sei vor
66
Kirchen, Gott ist ein Freund des Lebens, S. 107.
67
Eine nahezu identische Passage findet sich auch in: ELBK, Gottes Hände, S. 16: ,,Daher muss klar
gesagt werden: Das aktive Töten eines Menschen kann nicht als Tat aus Liebe oder Mitleid gerechtfertigt
werden."
68
Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland / Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz
(Hgg.), Christliche Patientenverfügung mit Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung, Hannover 1999
/ 2003, URL: http://www.ekd.de/download/patientenverfuegungsformular_bis_2003.pdf (19.03.2014).
69
Kirchen, Gott ist ein Freund des Lebens, S. 16.
70
Vgl. a.a.O., S. 41.
71
Vgl. a.a.O., S. 48.
72
Vgl. a.a.O., S. 41.
[5] Im Glauben daran, daß Gott das
Leben jedes Menschen will, ist jeder
mit seinem Leben, wie immer es
beschaffen ist, unentbehrlich.
Im Glauben an den Gott des Lebens
wissen wir, daß jeder Mensch mit
seinem Leben -- wie immer es
beschaffen ist -- unentbehrlich ist.
[6] Ohne solche Anerkennung der
Würde des anderen und ohne diese
prinzipielle
Einräumung
seines
Lebensrechts ist überhaupt kein
Zusammenleben von Menschen
möglich, wäre überhaupt kein Recht
und keine Liebe.
Ohne solche Anerkennung der Würde
und des Lebensrechtes jedes Menschen
wäre
kein
Zusammenleben
der
Menschen möglich. Es gäbe kein Recht
und keine Liebe.
[...]
[7] Daraus folgt: Das Töten eines
anderen Menschen kann unter
keinen Umständen eine Tat der
Liebe, des Mitleids mit dem
anderen, sein, denn es vernichtet
die Basis der Liebe."
66
Darum muß eindeutig und klar gesagt
werden: Das Töten eines Menschen
kann niemals eine Tat der Liebe oder des
Mitleids sein, denn es vernichtet die
Basis der Liebe und des Vertrauens.
67
[8]
Weil wir nicht selbst frei über unser
Leben und schon gar nicht über das
Leben anderer verfügen, lehnen wir jede
aktive Beendigung des Lebens ab."
68

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2013
ISBN (eBook)
9783958208520
ISBN (Paperback)
9783958203525
Dateigröße
347 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Hamburg
Erscheinungsdatum
2015 (Oktober)
Note
1
Schlagworte
leben sterben gottes hand eine untersuchung äußerungen sterbehilfedebatte gott herr
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