Werthaltungen der Führungskräfte in Nonprofit Joint Ventures: Eine empirische Studie
©2013
Masterarbeit
100 Seiten
Zusammenfassung
Dieses Buch zeigt auf, welche Rolle die Werthaltungen von Führungskräften in einer Organisation allgemein, aber insbesondere in einem Nonprofit Joint Venture spielen. Es ist eine empirische Studie, die darauf abzielt, Einflussfaktoren und Auswirkungen der Werthaltungen von Führungskräften zu untersuchen, um danach Handlungsempfehlungen für die Organisationsleitung abzuleiten, die zur Steigerung des Joint-Venture-Erfolgs führen.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
IV
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
Aufl.
Auflage
bzw.
beziehungsweise
d. h.
das heißt
et al.
et alii
Hrsg.
Herausgeber
NPO
Nonprofit-Organisation
o. Ä.
oder Ähnliches
PO
Profit-Organisation
Prof.
Professor
u. a.
unter anderem
S.
Seite
vgl.
vergleiche
z. B.
zum Beispiel
zugl.
zugleich
1
1 EINLEITUNG
1.1 Motivation
Jede Organisation, die am Markt bestehen will, ganz gleich, ob es sich hierbei
um eine Profit-Organisation (PO) oder eine Nonprofit-Organisation (NPO)
handelt, muss Kundenerwartungen erfüllen. Zwar besteht zwischen PO und
NPO ein Unterschied in der Gewinnverteilung, denn letztere dürfen keine
Gewinne oder Überschüsse an Eigentümer oder Mitglieder ausschütten die
Ausrichtung an Kundenerwartungen und die Festigung der eigenen Marktposi-
tion durch Schaffung von Wettbewerbsvorteilen ist jedoch beiden Organisati-
onsformen gemein.
In einer durch Krisen und immer dynamischer werdenden Märkten geprägten
Zeit können Werte einer Organisation enorme Wettbewerbsvorteile schaffen.
Organisationswerte, wie z. B. Vertrauen und Nachhaltigkeit, können auf
Kunden anziehend wirken, weil sie die Hoffnung auf eine positive Verände-
rung der Organisation und unserer Gesellschaft allgemein wecken.
Maßgeblich für das Wertesystem einer Organisation sind insbesondere die
Werthaltungen seiner Führungskräfte, also derjenigen Personen, die Ent-
scheidungsmacht und Führungsverantwortung in der Organisation haben und
dadurch seine langfristige, strategische Ausrichtung vorgeben. Somit spielen
ihre Werthaltungen nicht nur für ihr eigenes Handeln eine wichtige Rolle,
sondern insbesondere auch für das Handeln ihrer Mitarbeiter.
1.2 Problem
In einer globalisierten Welt mit inter- und multikulturellen Organisationen
können Führungskräfte und Mitarbeiter einer Organisation aus verschiedenen
Ländern mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Wertesystemen stammen.
Das kann das Akzeptieren und das Leben gemeinsamer Organisationswerte
erschweren, wenn sich z. B. die Organisationswerte und die persönlichen
Werten des Mitarbeiters gegenseitig ausschließen, also unvereinbar sind.
Diese ohnehin große Herausforderung spitzt sich in der Organisationsform
des Joint Venture weiter zu. Denn hierbei handelt es sich um ein rechtlich
selbständiges Unternehmen zweier oder mehrerer Partnerorganisationen mit
Kapitalbeteiligung, wobei die Partner gemeinsam Führungsfunktionen im Joint
Venture wahrnehmen. Somit können neben den unterschiedlichen gesell-
schaftlichen Wertesystemen der einzelnen Organisationsmitglieder auch die
2
unterschiedlichen Wertesysteme der einzelnen Partnerorganisationen des
Joint Venture eine Herausforderung bilden.
Trotz dieser Problematik sehen viele Organisationen gerade vor dem
Hintergrund der zunehmenden Globalisierung in Joint Ventures die Chance,
ihre Marktposition zu stärken. Durch die Kombination des eigenen Know-hows
mit dem der Partnerorganisation wollen sie Synergieeffekte realisieren und
sich damit Wettbewerbsvorteile sichern. Diesen Chancen stehen allerdings
Risiken gegenüber. So scheinen Joint Ventures generell zur Instabilität zu
neigen, denn sie weisen oft eine begrenzte Lebensdauer auf. Allein die
Tatsache, dass es sich bei den Partnern eines Joint Venture oft um Wettbe-
werber handelt, birgt Konfliktpotenzial in sich. Darüber hinaus treten neben
einem hohen Koordinationsaufwand und Know-how-Verlust häufig auch
interkulturelle Probleme auf.
Letztere sind insbesondere im Hinblick auf die Werte der Organisation und die
Werthaltungen der Führungskräfte von großer Bedeutung. Dabei ist wesent-
lich, welche Kulturen (sowohl Kulturkreise als auch Unternehmens- bzw.
Organisationskulturen) im Joint Venture vertreten sind, somit auch aus
welchen Ländern die Kooperationspartner stammen und in welchem Land das
Joint Venture angesiedelt ist.
Bei NPOs kommt für die Führung erschwerend hinzu, dass oft neben Ange-
stellten der Organisation auch Ehrenamtliche tätig sind, die trotz unentgeltli-
cher Tätigkeit an die Organisation gebunden werden sollen. Darüber hinaus
sind NPOs oft in Bereichen wie z. B. Kultur-, Bildungs-, Gesundheits- und
Sozialwesen tätig. Sie dienen also gemeinnützigen wissenschaftlichen,
sozialen oder kulturellen Zielen ihrer Mitglieder und müssen dies intern und
insbesondere extern kommunizieren. Dabei kommunizieren die NPOs ihren
Mitgliedern die Motive ihrer spezifischen Leistungserbringung oft in Verbin-
dung mit vertretenen Organisationswerten. Dies könnte den Organisations-
werten, und somit auch den Werten der Führungskräfte, in einer NPO mög-
licherweise eine größere Rolle als in einer PO verleihen.
1.3 Ziel und Gliederung der Arbeit
Ziel der vorliegenden empirischen Arbeit ist es, Einflussfaktoren und Auswir-
kungen von Werthaltungen der Führungskräfte in Nonprofit Joint Ventures zu
ermitteln, um für die Organisationsleitung Handlungsempfehlungen abzuleiten,
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die den Erfolg des Joint Venture sichern, also die Sicherung seiner Position
am Markt.
Hierfür gliedert sich die Arbeit in folgende drei Forschungsfragen:
Forschungsfrage 1: Welche Werthaltungen der Führungskräfte gibt es
laut Literatur a) in einer Organisation allgemein und b) speziell in einem
Nonprofit Joint Venture und welche Einflussfaktoren sowie Auswir-
kungen haben diese Werthaltungen?
Forschungsfrage 2: Welche Werthaltungen der Führungskräfte sowie
Einflussfaktoren und Auswirkungen dieser Werthaltungen können in der
Praxis in einem deutschen Nonprofit Joint Venture beobachtet?
Forschungsfrage 3: Welche Handlungsempfehlungen zur Sicherung des
Organisationserfolgs lassen sich in Bezug auf Werthaltungen von Füh-
rungskräften für die Organisationsleitung eines Nonprofit Joint Venture
ableiten?
Nach der Einleitung (Kapitel 1) werden in Kapitel 2 zunächst die wichtigsten in
der vorliegenden Arbeit verwendeten Termini definiert und näher erläutert.
Ausgehend von den bisherigen Befunden in der Literatur werden dann in
Kapitel 3 wesentliche Herausforderungen an die Führung eines Nonprofit Joint
Venture erarbeitet, die im Zusammenhang mit Werten und Werthaltungen der
Führungskräfte stehen. Hier werden wichtige Soll- bzw. Zielgrößen in Bezug
auf die Werthaltungen von Führungskräften in einem Nonprofit Joint Venture
eruiert.
Nach dieser Festlegung der Ziele untersucht Kapitel 4, welche Kriterien erfüllt
sein müssen, damit Werthaltungen der Führungskräfte in der Organisation
effizient und effektiv genutzt werden können. Hier werden u. a. mögliche
Einflussfaktoren und Auswirkungen von Werthaltungen der Führungskräfte
evaluiert als mögliche Anhaltspunkte, um Optimierungsoptionen im Umgang
mit den Werthaltungen von Führungskräften in einem Unternehmen allgemein
und speziell in einem Nonprofit Joint Venture zu identifizieren.
Die aus den vorangegangenen Kapiteln gewonnenen Ergebnisse werden
daraufhin in Kapitel 5 um eine Fallstudie ergänzt. Ziel dieser Studie ist es, die
aus der Literaturanalyse gewonnenen Erkenntnisse um Beobachtungen aus
der Praxis zu ergänzen.
Schließlich werden in Kapitel 6 die wichtigsten Erkenntnisse der vorangegan-
genen Kapitel zusammengefasst und ein Ausblick für mögliche künftige Unter-
suchungen gegeben.
4
2
BEGRIFFLICHE UND KONZEPTIONELLE EINORDNUNG
Im Folgenden werden zentrale Begriffe der vorliegenden Arbeit näher be-
leuchtet. Ziel ist dabei, ein gemeinsames Verständnis der Begriffe zu erarbei-
ten und diese in Konzepte einzuordnen, die für die vorliegende Arbeit als
wesentlich erachtet werden.
2.1 Über Werte und Werthaltungen hin zur Unternehmenskultur
2.1.1 Werte
Für den Begriff Wert hat sich bisher keine allgemein gültige Definition durch-
gesetzt. Vielmehr existieren innerhalb der einzelnen wissenschaftlichen
Disziplinen parallel unterschiedliche Begriffsbestimmungen. (Vgl. Ihne/Krick-
hahn, 2012, S. 138.)
Neubauer bezeichnet Werte als ,,normative und moralische Anker, die das
Verhalten der Gruppenmitglieder in bestimmten Situationen leiten. Sie
beziehen sich auf das Verständnis von richtig und falsch, von dem, ,was sein
sollte' im Unterschied zu dem, ,was ist'." (Neubauer, 2009, S. 50.) Dabei
können wertfundierte Handlungsabsichten und tatsächliches Handeln stark
voneinander abweichen oder erst nach einer zeitlichen Verzögerung überein-
stimmen. (Vgl. Wunderer, 2011, S. 177.)
Um sowohl die kognitive als auch die emotionale und motivationale Facette
des Werts zum Ausdruck zu bringen, definiert Weibler Werte als Erlebnisakte:
,,Sie strukturieren die Wahrnehmung auf Basis von Relevanzordnungen und
ordnen die Welt durch wertkonformes Urteilen und Handeln." (Weibler, 2008,
S. 20.)
Werte können als Konstrukte betrachtet werden. Sie werden mit einem
sprachlichen Begriff bezeichnet, der allerdings unterschiedliche Interpreta-
tionen zulässt und daher wiederum durch sprachliche Begriffe näher erläutert
werden muss. Um ein Konstrukt zu erfassen wird in der empirischen Wissen-
schaft dessen Operationalisierung gefordert, also die Zuordnung beobachtba-
rer Verhaltensweisen, die die empirische Erfassung und die Messung seiner
Ausprägung ermöglichen. (Neubauer, 2009, S. 49.)
Die Weitergabe von Werten kann grundsätzlich auf zwei Arten erfolgen (vgl.
Neubauer, 2009, S. 49 50):
5
Induktiv, d. h. man formuliert einen konkreten Sachverhalt als Gebot bzw.
Verbot und führt für diesen Wert einen Begriff ein.
Deduktiv, d. h. es wird ein Wert-Begriff als abstrakte Norm eingeführt und
durch konkrete Beispiele interpretiert.
Evolutionär betrachtet, kann man Werte als ursprüngliche Absicherungen
funktionaler Erfordernisse definieren, die erst dann kulturell überformt wurden.
Denn wenn sich das Verhalten wegen realer Probleme verändert, können sich
im Laufe der Zeit auch die Werte verändern, wenn sie sich als dysfunktional
erweisen. (Vgl. Weibler, 2008, S. 26.)
Betrachtet man Werte innerhalb einer Organisation, so haben sie einen starken
Einfluss auf ,,die strukturelle und interaktive Gestaltung von Führungs- und
Kooperationsbeziehungen, -prozessen, -systemen und -instrumenten (...) sowie
die gegenseitigen Erwartungen und das Verhalten der Organisations-
mitglieder" (Wunderer, 2011, S. 180). Organisationen konstituieren sich ge-
nauso wie Personen und Gesellschaften im Wesentlichen durch Werte und
geben sich dadurch eine charakteristische Identität. Die Verbindung zwischen
diesen drei Einheiten mit ihren jeweiligen Werten ist eine notwendige Voraus-
setzung für das Funktionieren einer Gesellschaft, denn sie sichert Orientierung
und Verlässlichkeit sowie letztendlich Effizienz. (Vgl. Weibler, 2008, S. 11.)
2.1.2 Werthaltungen
Asendorpf versteht unter Werthaltungen ,,individuelle Besonderheiten in der
Bewertung wünschenswerter Ziele wie Freiheit versus Gleichheit oder in der
Bewertung von Handlungsdispositionen wie Ehrlichkeit versus Hilfsbereit-
schaft." (Asendorpf, 2004, S. 239.)
Werthaltungen formen unsere Identität und unser Handeln mit, also unser
intendiertes Verhalten. Indem man auf alt bewährte Werte zurückgreift und
diese als Orientierung und Begründung für Entscheidungen nutzt, wird das
Handeln entlastet und konsistent. (Vgl. Weibler, 2008, S. 24.) Werthaltungen
werden somit zum Navigationsinstrument bei intendiertem Verhalten. ,,Als
lebensweltlicher Kompass geben sie dem Handeln (...) nicht nur einen
Bezugspunkt im Ich, sondern verleihen ihm vor allem Richtung, Intensität und
Dauer." (Weibler, 2008, S. 24.)
Werthaltungen können auch als die Gesinnung oder die Willenshaltung des
Individuums definiert werden, die sich in Zielen, Aussagen oder Handlungen
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des Individuums äußert und darin ethisch-moralisch repräsentiert. (Vgl.
Weibler, 2008, S. 23.)
Wenn man also die inhaltliche Ausprägung von Werthaltungen eines Individu-
ums kennt, hat man einen geeigneten Maßstab, um seine Ziele, Aussagen
und Handlungen zu verstehen. Das Ergebnis von Aussagen und Handlungen
wirkt dabei auf die Werthaltungen zurück und kann diese beeinflussen. (Vgl.
Weibler, 2008, S. 24.)
Um einen maximalen Einfluss auf Werthaltungen auszuüben, muss man die
Kombinationen verschiedener Wirkrichtungen berücksichtigen:
,,(1) evidenzbasierte Überzeugungen (Kognition), (2) bewegende Empfin-
dungen (Gefühle/Emotionen) und (3) umsetzungsbezogene Erwartungen,
dass eine Handlung im Sinne der Werthaltung einem selbst möglich ist und
erwünschte Ergebnisse mit eben dieser Handlung verbunden sind (Motiva-
tion)." (Weibler, 2008, S. 81.) Darüber hinaus müssen strukturelle Rahmen-
bedingungen Einfluss auf die Werthaltungen ausüben sowie Referenz-
personen, die eben diese Werthaltungen haben. (Vgl. Weibler, 2008, S. 81.)
In einem Unternehmen bzw. einer Organisation prägen Werthaltungen sowie
Werte insbesondere folgende Aspekte:
1. die Mitarbeitererwartungen an das Unternehmen, dessen Führungsstil,
Arbeitsgestaltung, Anreizsysteme usw.,
2. die Ansprüche der Unternehmensleitung in Hinsicht auf das Verhalten und
die Leistung der Organisationsmitglieder,
3. die sogenannten Skripte, also die bereits in der Kindheit erworbenen und
meist unbewussten Lebensmottos,
4. das Leistungs- sowie Sozialverhalten der Organisationsmitglieder. (Vgl.
Wunderer, 2011, 180.)
2.1.3 Wertesysteme
Setzt man die präferierten Werte eines Individuums oder einer Organisation in
eine hierarchische Beziehung (horizontal und/oder vertikal) zueinander,
spricht man von einem Wertesystem. Werte sind innerhalb dieses Systems
sinnvoll miteinander verbunden. Dadurch werden Aussagen über die Rele-
vanz eines Wertes im Vergleich zu anderen Werten des Individuums oder der
Gesellschaft erst möglich. (Vgl. Weibler, 2008, S. 20.)
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2.1.4 Unternehmenskultur
Ausgehend vom symbolisch-interpretativen Ansatz der Organisationstheorie
existiert keine objektive Unternehmenswirklichkeit. (Vgl. Jung/Bruck/Quarg,
2007, S. 113.) Vielmehr entwickelt jedes Mitglied zunächst seine eigene,
subjektive Wirklichkeit, indem es das Unternehmensgeschehen kontinuierlich
interpretiert. Erst wenn die einzelnen Mitglieder interagieren, entsteht unbe-
wusst ein gemeinsames Interpretationsmuster der Unternehmenswirklichkeit,
die Unternehmenskultur. (Vgl. Jung/Bruck/Quarg, 2007, ebenda.)
Die Unternehmenskultur ,,repräsentiert nicht die wertespezifischen Sollvorgaben
der Unternehmensphilosophie, sondern den tatsächlichen Ist-Zustand des
Wertesystems". (Jung/Bruck/Quarg, 2007, S. 108.) Unternehmenskultur ist
somit die ,,Grundgesamtheit gemeinsamer Wert- und Normenvorstellungen
sowie geteilter Denk- und Verhaltensmuster (...), die die Entscheidungen (...)
und Aktivitäten der Organisationsmitglieder prägen". (Heinen/Dill, 1990, S. 17.)
2.2 Die Führungskraft im dynamischen Prozess ,,Führung"
2.2.1 Führung
Für den Begriff Führung gibt es in der Literatur viele unterschiedliche Definiti-
onen und Konzepte.
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Die meisten Definitionen stimmen darin überein, dass
Führung ein Prozess sozialer Einflussnahme ist. (Vgl. Jung/Bruck/Quarg,
2007, S. 182.) ,,Führung ist (...) Einwirkung von Menschen auf andere Men-
schen, um sie zu einer bestimmten Tätigkeit oder einem bestimmten Verhal-
ten zu veranlassen." (Jung/Bruck/Quarg, 2007, S. 182.) Dieser Prozess
erscheint dabei in allen sozialen Systemen, sei es z. B. in Unternehmen,
öffentlichen Verwaltungen oder in der Familie. (Vgl. Jung/Bruck/Quarg, 2007,
S. 183.)
Somit kann ,,Führung auch als Fremdbestimmung oder Steuerung und
Gestaltung des Handelns anderer Personen" betrachtet werden. Allerdings
kann nicht jede Einflussnahme oder Fremdbestimmung als Führung bezeich-
net werden, sondern nur diejenige Menschenführung, die mit folgenden
Merkmalen verknüpft ist (vgl. Jung/Bruck/Quarg, 2007, S. 182 - 183):
Zielbezug: Der Führer will das Verhalten des Geführten im Hinblick auf ein
bestimmtes Ziel beeinflussen. Die Ausrichtung auf ein bestimmtes Ziel hin
1
Eine Historie der Führungsforschung findet man z. B. bei Bonus. (Vgl. Bonus, 2009, S. 23 - 38.)
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ist Bedingung für die Herausbildung eines Führer-Gefolgschafts-Verhält-
nisses.
Gewinnung der Zielerreichungsenergie auf Seiten des Geführten: Mit
der Einflussnahme bewirkt der Führer, dass der Geführte zusätzliche An-
strengungen zur Erreichung des Zieles freisetzt.
Rückkoppelung: Die Einflussnahme durch den Führer ist immer auch
verbunden mit dem antizipierten bzw. aktuell wahrgenommenem Verhalten
des Geführten. D. h. der Führungsprozess ist durch wechselseitige soziale
Einflussnahme gekennzeichnet und ist somit ein interaktiver Prozess.
Asymmetrie der Einflussbeziehungen
Obwohl Führung ein interaktiver Prozess ist, ist sie bei der Einflussnahme
durch ein Mehrgewicht auf Seiten des Führers gekennzeichnet sowie
durch das Verzichten des Geführten auf die Freiheit der Wahl in Bezug auf
das eigene Verhalten.
Unmittelbarkeit der Beziehung
Führung setzt überwiegend, wenn auch nicht immer,
2
einen direkten Kon-
takt zwischen Führer und Geführten voraus. Die Einflussnahme durch den
Führer erfolgt also unmittelbar, und nicht über Dritte.
Informationelle Kommunikation
Die Einflussnahme durch den Führer erfolgt durch offene und nicht durch
verdeckte Übertragung von Informationen, so dass die Fremdbestimmung
für den Geführten erkennbar wird und individuell zugewiesen werden
kann.
Führung kann als eine zweidimensionale Konzeption verstanden werden und
findet entweder durch Menschen (direkte Führung) oder aber durch Struktur
(indirekte Führung) statt. Die Geführten einer Organisation werden dabei von
beiden Führungsarten beeinflusst. Die direkte Führung wird unter Anwesen-
den, nämlich Führenden und Geführten, vollzogen und bezieht sich auf
konkrete Personen. Dagegen erfolgt die indirekte Führung anonymer und
unbemerkter durch zentrale Instanzen, wie die Organisations- und Personal-
leitung, und bezieht sich auf eine Personenmehrheit. (Vgl. Weibler, 2012, S.
97 und S. 101.)
Eine wesentliche Aufgabe dieser zentralen Instanzen ist dabei die Vorsteue-
rung der Führung durch die Führungspersonen. Dazu legen die Organisati-
ons- und Personalleitung bestimmte grundlegende Werte fest, insbesondere
2
Im Falle der indirekten Führung bzw. Führung durch Struktur (vgl. weiter unten) ist diese
Unmittelbarkeit nicht gegeben.
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Führungsgrundsätze, die in der Gesamtorganisation gelten sollen. (Vgl.
Weibler, 2012, S. 102.)
Die indirekte Führung vollzieht sich durch Führungsmedien, nämlich (vgl.
Weibler, 2012, S. 97 101):
1. Technologie, z. B. Zeiterfassungssysteme oder computerisierte Kunden-
aufträge,
2. Bürokratie, z. B. generelle Regeln, vordefinierte Verfahren und Formulare,
3. Differenzierung, d. h. durch eine statusbezogene Unterscheidung der
Mitarbeiter einer Organisation bzgl. verschiedener Kriterien, z. B. durch die
Hierarchisierung von Positionen,
4. Organisationskultur, d. h. durch die gemeinsamen Werte der Organisation,
die das Verhalten der Organisationsmitglieder beeinflussen bzw. führen.
Führung ist als ein relationales Konzept zu betrachten, in dem es um die
Beziehung von Personen geht. Die einzelnen Personen, sowohl Führer als
auch Geführter, nehmen das Verhalten des anderen wahr, beurteilen es und
wenden persönlich verfügbare Strategien und Theorien an, wie man den
anderen behandeln muss, um die eigenen Ziele zu erreichen. Dies gilt in
ähnlicher Form auch für Gruppen. Wie eine Person das Verhalten des
anderen wahrnimmt und beurteilt und welche Strategien man zur Erreichung
der eigenen Ziele beim anderen einsetzt, hängt insbesondere von den
Erfahrungen und Werthaltungen der jeweiligen Person ab, die wesentlich
kulturell determiniert sind. (Vgl. Neubauer, 2009, S. 48.)
Somit wird Führung zum dynamischen Prozess wechselseitiger Verhaltensbe-
einflussung, der durch mögliche Lernprozesse auf Seiten des Führers und des
Geführten einer kontinuierlichen Veränderung unterliegt. Führung ist also ein
transaktionaler Prozess, denn es sind Interaktionen, die Verhaltensänderun-
gen auf beiden Seiten auslösen können. (Vgl. Neubauer, 2009, ebenda.)
2.2.2 Führungskraft
Nach Jung/Bruck/Quarg sind Führungskräfte ,,Personen, die auf das Ausfüh-
rungshandeln von anderen Personen bezogenes Gestaltungs- und Lenkungs-
handeln als Aufgabe in Unternehmen übernehmen" (Jung/Bruck/Quarg, 2007,
S. 7). Durch diesen Tatbestand der Steuerung anderer Menschen und die
enorme Reichweite, die diese Steuerungsmaßnahmen haben können,
gewinnen ethische Aspekte, und insbesondere der Aspekt Verantwortung,
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eine elementare Rolle im Verhalten der Führungskräfte. (Vgl. Jung/Bruck/
Quarg, 2007, S. 7.)
Laut Hinterhuber gehören die Auswahl der richtigen Führungskräfte und deren
Entwicklung zu den bedeutendsten unternehmerischen Aufgaben. Denn
Führungskräfte müssen zwei wichtige Funktionen erfüllen: Leben der Organi-
sationswerte und Erreichen der Organisationsziele. (Vgl. Hinterhuber, 2009, S.
29.) Um diese Funktionen zu erfüllen, sollten Führungskräfte bestimmte
Fähigkeiten besitzen, die allerdings nicht in Form konstanter Eigenschaftslis-
ten verstanden werden sollten, die man bei der Personalauswahl verwendet.
Vielmehr sollten je nach Arbeitsumfeld entsprechende Schlüsselqualifikation
festgelegt werden, die allgemeine kognitive und sozial-emotionale Fähigkeiten
sowie das ethische Reflexionsvermögen umfassen. (Vgl. Weibler, 2012, S. 118.)
2.3 Die
Nonprofit-Organisation
2.3.1 Organisation
Der Begriff Organisation wird in der modernen Gesellschaft vorwiegend
definiert als ein Sozialsystem, das die klassische Form der zielgerichteten
Kooperation darstellt. (Vgl. Heimerl-Wagner/Simsa, 2001, S. 191 - 192.) Dabei
besteht nach der neueren Systemtheorie eine Organisation nicht aus Perso-
nen, sondern aus Entscheidungen, also aus dem Ausschluss anderer Mög-
lichkeiten. Welche Möglichkeiten ausgeschlossen werden, hängt dabei von
den Organisationsstrukturen (z. B. hierarchischen Beziehungen) und den
Entscheidungsprogrammen (z. B. Planungskonzepten) ab, die wiederum von
der Historie der Organisation geprägt sind. (Vgl. Heimerl-Wagner/Simsa, 2001,
ebenda.) Jede Entscheidung ist dabei abhängig von den Werten und Werthal-
tungen der entscheidenden Person. Somit gewinnen Werte und Werthaltun-
gen eine zentrale Rolle für den Fortbestand einer Organisation.
2.3.2 Nonprofit-Bereich
Organisationen im Nonprofit-Bereich, also NPOs, ,,sind Organisationen, die
(...) einem gesellschaftlich als sinnvoll und notwendig anerkannten Leistungs-
auftrag folgen und dabei nicht in erster Linie vom Ziel der Gewinngenerierung
geleitet werden" (Drucker; Ben-Ner, McFarlan in Helmig/Boenigk, 2012, S. 5).
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Ein charakteristisches Merkmal von NPOs ist ihre Intermediarität. Typischer-
weise stehen sie nämlich an der Schnittstelle unterschiedlicher Teilsysteme,
wie z. B. dem rechtlichen, politischen oder wirtschaftlichen System, die jeweils
unterschiedliche Codes zur Kommunikation haben. Dies stellt die NPOs vor
der Herausforderung, mit parallel existierenden Codes kommunizieren zu
müssen, wenn sie anschlussfähig bleiben wollen.
Ein weiteres Charakteristikum für NPOs ist ihre hochgradige Sinnorientierung.
Sie ,,sind oft einer mit normativem Anspruch auftretenden Gründungsidee und
damit bestimmten Werten und auch einer organisationsspezifischen Moral
verbunden" (Eckardstein/Simsa in Mayerhofer, 2001, S. 157).
NPOs können unterschiedliche Kooperationspartner haben, wobei die je-
weilige Beziehungsgestaltung davon abhängt, ob es um Wirtschafts- oder
Verwaltungsorganisationen, Massenmedien usw. handelt. (Vgl. Heimerl-
Wagner/Simsa, 2001, S. 187.)
Vetter stellt fest, dass ein Fehlverhalten in einer NPO zu schwerwiegenden
Folgen in Bezug auf ihre Glaubwürdigkeit und ihre Ressourcenausstattung
führen kann. (Vgl. Vetter, 2012, S. 292.) Allerdings haben Organisationen die
Möglichkeit, durch proaktives und verantwortungsvolles Handeln negative
Konsequenzen größtenteils zu neutralisieren. (Vgl. Vetter, 2012, ebenda.)
2.4 Die Netzwerkorganisation ,,Joint Venture"
2.4.1 Netzwerke
In der Literatur werden Netzwerke oft auch als Interessensgemeinschaft
bezeichnet, denn sie bedienen sich des Prinzips der Reziprozität, also des
gegenseitigen Austauschs, um gemeinsame Interessen der Netzwerkpartner
abzudecken. (Vgl. Dülfer/Jöstingmeier, 2008, S. 465.)
Hinsichtlich ihrer Inhalte und Zielsetzungen kann man drei Formen von
Netzwerken unterscheiden (vgl. Heimerl-Wagner/Simsa, 2001, S. 199):
1. strategische Netzwerke: Kooperationen mit dem Ziel, neue Zielgruppen-
segmente zu erschließen, die sich also auf Primärprozesse der Organisa-
tion beziehen,
2. funktionale Netzwerke: Kooperationen, die sich auf spezielle betriebliche
Teilfunktionen (wie z. B. Vertrieb oder IT) konzentrieren, die sich also auf
Sekundärprozesse beziehen,
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3. regionale Netzwerke: Kooperationen, die durch Konzentration auf ein
geografisches Gebiet auf eine möglichst umfassende Versorgung der Ziel-
gruppe abzielt.
Interorganisationale Netzwerke stellen einen speziellen Führungskontext dar,
der durch gängige Vorstellungen von Führung nicht erfasst werden kann. (Vgl.
Weibler, 2012, S. 592.) Im Sinne von vernetzten Organisationen, wie z. B.
strategischen Netzwerken, Allianzen oder Joint Ventures, sind Netzwerke
Koordinations- und Organisationsformen, die zwar viel versprechende Vorteile
in Bezug auf Sicherung von Wettbewerbsvorteilen bieten, aber noch nicht
ausreichend erforscht sind. (Vgl. Weibler, 2012, S. 584.)
2.4.2 Joint
Venture
Der Begriff Joint Venture ist nur schwer abgrenzbar und wird in der Literatur
für unterschiedliche Formen der Kooperation zweier oder mehrerer Unter-
nehmen oder Organisationen verwendet. (Vgl. Fett/Spiering, 2010, S. 1.)
Im tatsächlichen Wirtschaftsleben kann das Joint Venture viele Erscheinungs-
formen annehmen, die nach unterschiedlichen Kriterien definiert bzw. differen-
ziert werden können (vgl. Wächtershäuser in Fett/Spiering, 2010, S. 5):
Grad der rechtlichen Selbständigkeit,
Dauer des geplanten Vorhabens,
operative
Ausrichtung,
Gestaltung des Beitrags der Kooperationspartner,
Organisationsform,
Art und Maß der Kooperation sowie
gemeinsames Auftreten nach außen.
Aus juristischer Sicht spricht man allerdings nur dann von einem Joint Venture,
wenn zwei oder mehrere rechtlich selbständige und wirtschaftlich unab-
hängige Unternehmen bzw. Organisationen eine gesonderte Gesellschaft
gründen, in der sie ihre gemeinschaftlichen Interessen zusammenführen und
in der sie gemeinsam die Steuerung verantworten. In diesem Fall spricht man
von einem Equity Joint Venture. (Vgl. Fett/Spiering, 2010, S. 6.)
Durch die Errichtung einer Gesellschaft mit eigenständiger Recht- und
Organisationsform entsteht eine selbständige Einheit, die einen eigenen
Marktauftritt, ein eigenes wirtschaftliches Umfeld sowie eigene Verträge zu
Dritten haben kann. Die Strukturen dieser Gesellschaft, die eine Umsetzung
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der von den Kooperationspartnern gewünschten Strategie ermöglichen,
werden im Joint Venture Vertrag definiert. (Vgl. Fett/Spiering, 2010, S. 8.)
Neben der Form des Equity Joint Venture gibt es auch die des Contractual
Joint Venture, wobei dieser Begriff in der Literatur sehr unterschiedlich und oft
unklar definiert wird. Den Begriff Contractual Joint Venture kann man dabei
weit fassen und hierunter alle Formen vertraglicher Kooperation zweier oder
mehrerer Unternehmen oder Organisationen verstehen, die über den Joint-
Venture-Vertrag hinaus keine Gründung einer gesonderten Organisation ver-
einbaren. (Vgl. Fett/Spiering, 2010, S. 6.)
Durch das Vorhandensein mehrerer Kooperationspartner, die teilweise
Wettbewerber sind, sowie unterschiedlicher Interessen innerhalb des Gesamt-
systems wird das Joint Venture zum komplexen Gebilde. Ein guter Joint-
Venture-Vertrag muss dabei die Eigenheiten sowie die Dynamik dieses
Beziehungsgeflechts berücksichtigen, indem er z. B. weitsichtige Regelungen
für die praktische Umsetzung in Bezug auf Entscheidungsfindung, Konfliktlö-
sung und Finanzierung definiert. Er muss eine Basis liefern, die die Interessen
der einzelnen Partner bei der praktischen Umsetzung der Joint-Venture-
Führung ausbalanciert. (Vgl. Fett/Spiering, 2010, S. 9.)
Joint Ventures funktionieren nur dann, wenn die Beziehung der Gesellschafter
auf gegenseitigem Vertrauen basiert und unternehmerische Entscheidungen
auch dann mitgetragen werden, wenn sie einen Kooperationspartner ver-
meintlich besser stellen. Denn oft kann es im Verlauf zu einer tatsächlichen
oder aber auch nur vermuteten Schieflage der Kooperationsbeziehung
kommen, mit der die Beteiligten umgehen müssen. (Vgl. Schulte/Pohl, 2012,
S. 5.)
Ob ein Joint Venture erfolgreich ist, sollte dabei am Erreichungsgrad der für
die jeweilige Organisation definierten Ziele gemessen werden. (Vgl. Koch,
2007, S. 72.) Je klarer die Ziele des Joint Venture schon zu Beginn der
Kooperationsbeziehung von den beteiligten Organisationen gemeinsam defi-
niert werden, umso leichter fällt später die Überprüfung des Zielerreichungs-
grads. Die schriftliche Fixierung der Ziele scheint hierbei für die spätere Nach-
vollziehbarkeit unabdingbar.
14
3 WERTEBEZOGENE
HERAUSFORDERUNGEN FÜR DIE
FÜHRUNGSKRÄFTE EINES NONPROFIT JOINT VENTURE
Im Folgenden werden aktuelle Herausforderungen für eine Führungskraft
dargestellt, die im Bezug zu ihren Werten und Werthaltungen stehen. Dabei
werden diese Herausforderungen insbesondere im Hinblick auf Nonprofit
Organisationen bzw. Joint Ventures betrachtet.
3.1 Wertedefinition und -wandel im Wechselspiel mit der Umwelt
Die Definition von Werten und deren Wandel steht immer im Zusammenhang mit
dem Wechselspiel zwischen Umwelt und Person. Der rasante Wandel unserer
Zeit im wirtschaftlichen, politischen, gesellschaftlichen und technischen Bereich
spiegelt sich auch in den Geschäftsfeldern einer Organisation wider sowohl bei
POs als auch bei NPOs. Führungskräfte stehen dabei vor der Herausforderung,
die Balance zwischen einerseits der Innovationskraft und Flexibilität der Organisa-
tion sowie andererseits ihrer Stabilität und Effizienz sicherzustellen.
Darüber hinaus zeichnen sich in einer modernen, globalisierten Gesellschaft die
Situationen, in denen Führungskräfte agieren müssen, durch eine hohe Kom-
plexität aus. Führungskräfte stehen also zunächst vor zwei Herausforderungen:
Zeitmangel und Situationskomplexität. (Vgl. Jung/Bruck/ Quarg, 2007, S. 545 -
548.) Bei Netzwerkorganisationen wird die Situationskomplexität durch das in
Kapitel 2.4.2 beschriebene Vorhandensein mehrerer Kooperationspartner und
unterschiedlicher Interessen innerhalb des Gesamtsystems verstärkt.
Dabei kommt hinzu, dass das hohe Wohlstandsniveau, das der Großteil der
Erwerbsbevölkerung erreicht hat, Motivierungsprozesse aus dem materiellen
Bereich uninteressant macht und vermehrt in den immateriellen Bereich
verschiebt. Somit stehen Führungskräfte heute vor der Herausforderung, die
individuellen Werte und Wertesysteme eines Mitarbeiters zu erkennen, um
dementsprechend Anreize zu setzen. (Vgl. Jung/Bruck/Quarg, 2007, ebenda.)
In der heutigen Gesellschaft scheinen also Zeit, einfache Lösungen (als
Gegenmittel zur Situationskomplexität) und Kommunikation (z. B. zur Evaluie-
rung der Werte seiner Mitarbeiter) für eine Führungskraft an Wert zu gewinnen.
Ob diese Werte in der aktuellen Unternehmenswelt tatsächlich für eine
Führungskraft Bedeutung haben und wo sie sich genau im Wertesystem der
Führungskraft befinden (d. h. welchen persönlichen Stellenwert sie für diese
Führungskraft haben), muss allerdings in der Praxis eruiert werden.
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Werte und Werthaltungen von Personen können die Umwelt verändern.
Veränderungen in der Umwelt können wiederum einen Wandel der Werte mit
sich bringen, wenn (wie weiter oben schon erwähnt) diese als dysfunktional
zur gegebenen aktuellen Situation empfunden werden. Das Wissen um dieses
Wechselspiel zwischen Mensch und Umwelt ist Grundvoraussetzung für eine
gute Führungskraft.
3.2 Werte-Kongruenz und -Ergänzung bei der obersten Leitung
Bürgisser sieht das Verhältnis zwischen Vorstand und Geschäftsführer als ein
strukturelles Grundproblem bei NPO und zielt in ihrer Studie darauf ab, einen
Beitrag zur besseren Zusammenarbeit dieser zwei Parteien zu leisten. (Vgl.
Bürgisser, 2012, S. 283.)
Dabei kommt sie zum Ergebnis, dass unter-
schiedliche Wertvorstellungen in NPOs zu den zentralen Ursachen für
Konflikte in der Zusammenarbeit von Vorstand und Geschäftsführer sind. (Vgl.
Bürgisser, 2012, ebenda.)
Sie schreibt: ,,Die organisationalen Werte einer
NPO kommen in ihrer Mission zum Ausdruck, die insbesondere vom Vorstand
und vom Geschäftsführer mitgetragen werden. Dabei ist es von zentraler
Relevanz, dass Vorstand und Geschäftsführer ähnlicher Auffassung über
diese Werte sind, da diese ihr Handeln und Verhalten maßgeblich beeinflus-
sen." (Bürgisser, 2012, S. 275 276.)
Daher ist es wichtig, bei der Rekrutierung darauf zu achten, welche organisa-
tionalen Wertvorstellungen der Kandidat mitbringt und ob diese zur jeweiligen
Organisation passen. (Vgl. Bürgisser, 2012, S. 275 und S. 280.) Allerdings
sollte an dieser Stelle betont werden, dass die Ähnlichkeit der Wertvorstellun-
gen, da sie nicht statisch sind und sie sich ständig verändern können, nicht
nur in der Phase der Rekrutierung betrachtet werden sollten, sondern dia-
chron über den gesamten Zeitraum der Zusammenarbeit zwischen Vorstand
und Geschäftsführer.
Über die Ähnlichkeit der organisationalen Wertvorstellungen hinaus sollten
Vorstand und Geschäftsführer Persönlichkeitsmerkmale aufweisen, die zu den
Merkmalen der jeweils anderen Partei passen, d. h. zu diesen kongruent
3
sind.
Insbesondere werden hier Offenheit für Erfahrungen, emotionale Stabilität und
Gewissenhaftigkeit genannt. (Vgl. Bürgisser, 2012, S. 276.)
3
Ob ein Persönlichkeitsmerkmal kongruent mit also passend zu den Persönlichkeits-
merkmalen der jeweils anderen Person ist, muss dabei fallspezifisch individuell betrachtet
werden. Denn je nach Merkmal können sowohl sehr ähnliche als auch sehr unterschiedliche
für eine gute Zusammenarbeit ausschlaggebend sein. (Vgl. Bürgisser, 2012, S. 276.)
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Auf Grund der Komplexität der Zusammenarbeit sowie der großen Interde-
pendenz ist es wichtig, dass der Vorstand bzw. der Geschäftsführer darauf
vertrauen kann, dass die jeweils andere Partei ihre Arbeit im Sinne der
Organisation bzw. der Zusammenarbeit erledigt. Neben gegenseitigem
Vertrauen in der Arbeit des Anderen stellen hier eine gute Kommunikation
zwischen den Parteien, Informationssymmetrie sowie Respekt für die Arbeit
des Anderen wichtige Faktoren dar. (Vgl. Bürgisser, 2012, S. 277 - 279.)
3.3 Dialogische
Führung zu geteilten Werten
Netzwerkorganisationen verbinden die beteiligten Unternehmen bzw. Organi-
sationen und somit verschiedene Kulturen. Somit ist es für die Führungskraft
einer Netzwerkorganisation von großer Bedeutung diese verschiedenen
Kulturen zu kennen. Die persönlichen Erwartungen, Interessen sowie Werthal-
tungen seiner Kooperationspartner müssen einer guten Führungskraft bekannt
sein. (Vgl. Krohn, 2011, S. 406.) Vor diesem Hintergrund gewinnt sowohl der
Dialog als auch die dialogische Führung eine bedeutende Rolle in Netzwerk-
organisationen. Betriebswirtschaftlich betrachtet ist die Hauptfunktion des
Dialogs in Netzwerken die ,,Herausbildung gemeinsam geteilter Wirklichkeits-
konstruktionen als Basis erfolgreicher Kooperation" (Krohn, 2011, S. 403).
Ein dialogisches Führungsverständnis basiert dabei auf der Annahme, dass
Führungskräfte und Geführte gleichberechtigte Wahrheitsquellen im Leis-
tungserstellungsprozess darstellen und kontinuierlich gemeinsam auf der
Suche nach neuem Wissen innerhalb einer lernenden Organisation sind.
Dadurch werden nicht nur zu hohe Erwartungen an die Führungskräfte
entkräftet, sondern die übrigen Mitarbeiter werden bewusst an Entscheidungs-
prozesse eingebunden. (Vgl. Krohn, 2011, S. 406 - 407.)
Bei multikulturellen Organisationen treffen Personen mit oft sehr unter-
schiedlichen Werthaltungen zusammen, was Missverständnisse und Konflikte
sehr wahrscheinlich macht. Deswegen sollte eine effiziente Führungskraft in
der Lage sein, zum einen Differenzen der individuellen Werthaltungen sowie
deren Auswirkungen zu erkennen und zum anderen Personen unterschied-
licher Werthaltungen so zu führen, dass eine gute Zusammenarbeit möglich
ist. (Vgl. Neubauer, 2009, S. 47 48.)
Hierbei sollte sich die Führungskraft bewusst sein, dass die Erfahrung eines
interkulturellen Kontakts immer eine sehr persönliche Erfahrung darstellt. (Vgl.
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Müller/Zvacek, 2008, S. 26.) Denn ,,an (kulturellen) Grenzen werden die
eigenen Überzeugungen, Prämissen und Erwartungen (...) sichtbar, spürbar,
erlebbar" (Müller/Zvacek, 2008, S. 26) insbesondere, wenn sie als prekär
empfunden werden oder als unangemessen, um die eigenen Ziele zu errei-
chen. Denn in diesen Fällen kommt es bei der Führungskraft zur Irritation der
eigenen Verhaltenserwartungen: ,,Die soziale Treffsicherheit um Dinge
angemessen voranzutreiben, anzusprechen, Personen zu motivieren scheint
massiv zu versagen." (Müller/Zvacek, 2008, S. 26.)
Die Führungskraft sollte fähig sein, dies zunächst zu erkennen, also festzu-
stellen: ,,Hier ist dieser Punkt anders." Das erfordert eine präzise Wahrneh-
mungsfähigkeit. Ebenso sollte die Führungskraft schnell hierfür relevante
Informationen beschaffen und analysieren können, um beantworten zu
können: ,,Warum ist dies hier anders und was resultiert für mich daraus?" Dies
erfordert die Fähigkeit, Netzwerke und Wissensdatenbanken aufzubauen und
zu pflegen, um sich bei Bedarf schnell Informationen zu beschaffen. Auch die
Analysefähigkeit ist an dieser Stelle relevant.
Darüber hinaus ist es von großer Bedeutung, 1) wie die Führungskraft diese
Wahrnehmungs- und Analysephase in dieser Irritationssituation selbst erlebt
und 2) wie sie während dessen von anderen erlebt wird. Eine gute Führungs-
kraft sollte zum einen andauernde Irritation sowie möglicherweise damit
verbundene Sprachlosigkeit aushalten und zum anderen mit eigenen Ohn-
machts- und Inkompetenzgefühlen konstruktiv umgehen. (Vgl. Müller/Zvacek,
2008, S. 26 - 27.)
3.4 Werthaltungen der Führungskräfte im Wettstreit um
Ehrenamtliche, finanzielle Mittel und Dienstleistungs-
empfänger
Die Führung einer NPO muss sich insbesondere folgenden Herausfor-
derungen stellen:
a) NPOs sind sachzieldominierte Organisationen mit mehreren oft konkurrie-
renden Zielebenen:
Formalziele,
wie
Kostendeckung
und Liquiditätssicherung,
Sachziele, wie die qualitativ hochwertige Erbringung einer bestimmten
Versorgungsdienstleistung,
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metaökonomische Ziele, wie etwa die Vermittlung einer bestimmten
Weltanschauung, welche die Sachziele mit Wertvorstellungen unter-
mauern.
Eine große Herausforderung besteht darin, die metaökonomischen Ziele
intern und extern nachvollziehbar zu kommunizieren. Oft scheitert die Or-
ganisation schon daran, aus ihrer meistens abstrakten Mission inter-
subjektiv nachprüfbare Ziele zu formulieren, und beschränkt sich des-
wegen meistens lediglich auf die Steuerung der Formalziele.
b) Eine weitere Herausforderung besteht darin, Ehrenamtliche
4
insbeson-
dere in Führungspositionen zum einen ausreichend weiterzubilden und
für die Ausführung ihrer Funktion zu qualifizieren und zum anderen lang-
fristig an die Organisation zu binden. Die Bindung dieser Ehrenamtlichen
erfolgt nicht über die Schaffung monetärer Anreize, sondern muss viel-
mehr als ein Ergebnis guter Führung betrachtet werden, die jene immate-
riellen Anreize geschaffen hat, die für den Ehrenamtlichen persönlich wich-
tig waren.
c) NPOs müssen sich bewusst sein, dass ihre Führungskräfte einer morali-
schen Haftung für Missmanagement unterliegen. Anders als bei POs, wo
Missmanagement lediglich die finanzielle Lage verschlechtert, können bei
NPOs nicht nur daraus resultierende finanzielle Restriktionen die Folge
sein, sondern auch eine direkte negative Beeinflussung der Lebensqualität
sowohl der Mitarbeiter als auch der Dienstleistungsempfänger.
d) Kennzeichnend für NPOs ist die eingeschränkte Kundensouveränität auf
Grund
der meistens vielschichtigen Anspruchsgruppen, wie z. B. Kostenträ-
ger, Nutzer,
des Angebots komplexer Vertrauensgüter sowie
des sogenannten sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses zwischen
Sozialleistungsträgern, Geldgebern und Leistungserbringer, das in vie-
len Handlungsbereichen ein Auseinanderfallen von Financier und
Dienstleistungsempfänger aufweist.
4
,,Unter Ehrenamtlichen (...) versteht man Personen, die für einen bestimmten Zeitraum (...) in
der Regel demokratisch (...) in ein Amt (z. B. Präsident, Vorstandsmitglied) gewählt (oder für
dieses bestellt) werden. Ihre Tätigkeit ist in der Regel unentgeltlich, obwohl sie die strate-
gische Verantwortung für die Nonprofit-Organisation beinhaltet." (Helmig/Boenigk, 2012, S.
101.)
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Eine gute Führungskraft muss diese eingeschränkte Kundensouveränität
kompensieren, und trotz dieser Schwierigkeiten den Kunden im Fokus
haben und seine Erwartungen erfüllen.
e) Gute Führung steigert den Unternehmens- bzw. Organisationswert. Dieser
lässt sich bei einer NPO in der Regel außerhalb der Organisation feststel-
len, wie z. B. in gestiegener Lebensqualität der Dienstleistungsempfänger,
verbesserten Gesundheits- und Umweltzuständen usw. Das bedeutet,
dass intersubjektiv nachprüfbare Kriterien und Ziele für den Organisati-
onswert definiert werden müssen, die ein Controlling ermöglichen. (Vgl.
Schuhen, 2009, S. 105 109.) Denn eine weitere große Herausforderung
für die Führungskräfte von NPOs stellt die immer häufigere Forderung
eines Nachweises für die Effizienz der Organisation dar. Zudem müssen,
wie bereits erwähnt, die oft breit gefächerten Anspruchsgruppen (z. B.
Kostenträger, Sponsoren, Politik, Öffentlichkeit) zielgerichtet und individu-
ell angesprochen werden. (Vgl. Schwien, 2009, S. 85.)
Sowohl die Forderung eines Effizienznachweises als auch die Erfordernis
einer individuellen Ansprache der Anspruchsgruppen verlangen nach ei-
nem Instrument, das den Führungskräften zur kontinuierlichen Steuerung
der Organisation dient. Dieses Steuerungssystem müsste in der Gesamt-
heit der Managementsysteme integriert sein und von allen Kooperations-
partnern getragen werden.
Wichtig ist hierbei, dass in einem Joint Venture den Kooperationspartnern
bewusst ist, dass dies ein gemeinsames Steuerungsinstrument ist und
nicht ein Instrument zur Kontrolle des Partners, durch das man fehlendes
Vertrauen signalisiert. Eberl/Kabst kommen nach ihrer empirischen Analy-
se zum Ergebnis, dass Vertrauen in Joint-Venture-Beziehungen zwar von
zentraler Bedeutung ist, dass aber ,,eine simple Gleichsetzung von Ver-
trauen und Kontrollreduzierung zu kurz greift" (Eberl/Kabst, 2005, S. 239).
Dass Vertrauen ein wesentlicher Aspekt in Joint-Venture-Beziehungen ist,
hängt mit deren Zielsetzung zusammen, nämlich mit der Generierung von
Synergien. Dieses Ziel ist eng geknüpft mit interorganisationalem Lernen,
das wiederum durch Vertrauen unterstützt bzw. verstärkt wird. (Vgl.
Eberl/Kabst, 2005, S. 265.) Nichtsdestotrotz kann aber Vertrauen ein ge-
meinsames Controllingsystem nicht ersetzen.
20
In Bezug auf die Werthaltungen von Führungskräften in einer NPO lässt sich
somit zusammenfassend Folgendes festhalten:
Die Werthaltungen der Führungskräfte sollten zur Erreichung der me-
taökonomischen Ziele beitragen und dürfen nicht konträr wirken.
Die Führungskraft sollte über Werthaltungen (z. B. Kommunikation)
verfügen, die funktional sind, um Werthaltungen anderer zu erkennen, und
dadurch z. B. die richtigen immateriellen Anreize für Mitarbeiter zu setzen.
Die Werthaltungen der Führungskräfte sollten kongruent zum Allgemein-
wohl der Gesellschaft sein, denn ansonsten könnte die Lebensqualität der
Mitarbeiter und Dienstleistungsempfänger negativ beeinflusst werden.
Optimal wäre es, wenn die Führungskräfte Werte, die im Zusammenhang
mit dem Allgemeinwohl stehen, in ihrem persönlichen Wertesystem sehr
weit oben haben.
Um dem Kunden bzw. dem Dienstleistungsempfänger die gewünschten
Produkte anbieten zu können, sollte die Führungskraft über Werthaltungen
verfügen, die eine Überwindung von Komplexität (z. B. der Anspruchs-
gruppen oder der Vertrauensgüter) unterstützen.
Die Führungskraft sollte über Werthaltungen verfügen, die den Aufbau von
Vertrauen fördern, um ein interorganisationales Lernen zu unterstützen.
Nur wenn diese Punkte erfüllt sind, kann die Führungskraft die oben genann-
ten Herausforderungen meistern und den Wettstreit um Ehrenamtliche, finan-
zielle Mittel und Dienstleistungsempfänger gewinnen.
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Erstausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2013
- ISBN (eBook)
- 9783958208537
- ISBN (Paperback)
- 9783958203532
- Dateigröße
- 4.6 MB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- FernUniversität Hagen
- Erscheinungsdatum
- 2015 (Oktober)
- Schlagworte
- werthaltungen führungskräfte nonprofit joint ventures eine studie