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Migration von hochqualifizierten InderInnen: Brain Drain/Gain. Interessenslagen seitens der staatlichen AkteurInnen Indiens

©2012 Bachelorarbeit 65 Seiten

Zusammenfassung

Wissen, Experten, Fachkräfte, Hochqualifizierte – obwohl die Arbeitslosigkeit in den westlichen Industriestaaten ansteigt, sind sie so gefragt wie nie zuvor. Hochqualifizierte gelten als treibende Kräfte für Innovation und dynamisches Wirtschaften. Neben China und Japan gilt Indien als bedeutendes Herkunftsland von hochqualifizierten Arbeitskräften. Obwohl die Abwanderung einen direkten Verlust von gut ausgebildeten Arbeitskräften für Indien bedeutet, unterbinden politische Maßnahmen das Abwandern von Hochqualifizierten nicht. Warum aber haben die staatlichen AkteurInnen Indiens ein Interesse an den migratorischen Bewegungen der hochqualifizierten InderInnen und schränken deren Abwanderung nicht ein? Eingebettet in theoretische Konzepte rund um Migration, brain drain und brain gain, zielt das Buch darauf ab, dieser Frage basierend auf einer empirischen Analyse von staatlichen AkteurInnen Indiens nachzugehen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


2
( vgl. Lowell/Findlay 2001: 1f.; 6ff.)
Diametral entgegengesetzt zu obiger Ansicht verhält sich die Wahrnehmung, dass auch das
Sendeland von den Migrationsprozessen profitieren kann. Durch Aufrechterhaltung der
Kontakte zu den AuswanderInnen, (kurze) Forschungs- und Arbeitsaufenthalte im Sendeland
nach der Auswanderung, Rückmigration, Investitionen und Rücküberweisungen, etc. könne
auch das Sendeland Nutzen aus der Emigration von Hochqualifizierten und der scientific
diaspora/ highly skilled diaspora
1
ziehen. ( vgl. Lowell/Findlay 2001: 1f.; 6ff.)
Indien ist, ebenso wie China und Japan, eine globale Größe der Zurverfügungstellung von
hochqualifizierten Arbeitskräften und stimmt hinsichtlich öffentlicher und politischer
Wahrnehmung und policies weitgehend mit der zweiten eben beschriebenen Perspektive
überein. Indien setzt demnach kaum restriktive Maßnahmen bezugnehmend auf die
Abwanderung von hochqualifizierten Arbeitskräften, obwohl die Abwanderung einen direkten
Verlust von gut ausgebildeten Arbeitskräften für Indien bedeutet. Durch die Abwesenheit von
restriktiven politischen Maßnahmen hinsichtlich der Abwanderung von Hochqualifizierten
lässt sich darauf schließen, dass die diversen staatlichen AkteurInnen Indiens ein Interesse
daran zu verfolgen scheinen, Hochqualifizierte ins Ausland zu entsenden, sowie Kontakte zu
den EmigrantInnen aufrecht zu erhalten. Warum aber haben die staatlichen AkteurInnen
Indiens ein Interesse an den migratorischen Bewegungen der hochqualifizierten InderInnen
und schränken deren Abwanderung nicht ein? Das Ziel dieser Arbeit ist es eben jene Frage,
basierend auf einer Analyse von Publikationen und Reden diverser staatlicher AkteurInnen
Indiens, unter Rückgriff auf theoretische Konzepte zu diskutieren.
1.2. Gliederung der Arbeit
Da die migratorischen Bewegungen von Hochqualifizierten transnationale Netzwerke
aufspannen und im Rahmen der vorteilhaften Auswirkungen von Hochqualifiziertenmigration
häufig auf das Konzept der scientific diasporas zurückgegriffen wird, werden eben jene

3
Konzepte und Begrifflichkeiten im Rahmen des Theorieteils skizziert und diskutiert.
Ebenfalls wird die Frage geklärt, welche Personen(-gruppen) als hochqualifizierte
Arbeitskräfte gelten, wodurch definitorische Belange hinsichtlich Hochqualifizierten
(-migration) Eingang in den theoretischen Teil finden werden. Darüber hinaus wird die
Debatte rund um einen brain gain oder brain drain und seinen möglichen Umkehreffekten
(reverse effects/reverse brain drain) mittels Bezugnahme auf wissenschaftliche Literatur
erläutert.
Im Anschluss daran folgt das zweite Hauptkapitel, welches sich der Forschungsmethode - in
jenem speziellen Fall der qualitativen Inhaltsinterpretation mittels der Grounded Theory nach
Anselm Strauss und Barney Glaser - widmet. Neben der methodischen Vorgehensweise finden
die Forschungsfrage, Literaturauswahl, Gütekriterien der empirischen Forschung, sowie
Reflexionen über Vorannahmen und verwendete Begrifflichkeiten Eingang in den
Methodenteil der hiesigen Arbeit. Ziel jenes Kapitels ist es den Forschungsprozess zu
skizzieren und intersubjektive Nachvollziehbarkeit zu gewährleisten.
Die analytische Auseinandersetzung im Zuge des abschließenden empirischen Teils der Arbeit
diskutiert folgende Forschungsfrage: Welche Interessen verfolgen die staatlichen AkteurInnen
Indiens an den migratorischen Bewegungen hochqualifizierter indischer Arbeitskräfte?
Darüber hinaus werden im Zuge der Analyse jene Sektoren erfasst, in welchen brain
exchange/circulation von Hochqualifizierten als wünschenswert oder aber nicht
erstrebenswert gilt. Der Anspruch des empirischen Teils liegt darin, die Ergebnisse der
qualitativen Analyse systematisch darzulegen und sie mit Hilfe der theoretischen Konzepte
und Begrifflichkeiten zu kontextualisieren.

4
2. Theoretischer Teil
2.1. Migrationsforschung: Vom Containerdenken zu grenzüberschreitenden
Wirklichkeiten
Nebst geschaffenen grenzüberschreitenden Räumen und transnationalen Aktivitäten von
MigrantInnen werden Nationalstaaten und/oder das jeweilige Heimatland der MigrantInnen
nach wie vor häufig als Bezugspunkt für migratorische Bewegungen festgemacht. (vgl. Pries
2000: 76f.) Die Kategorie ,,Staat" bleibt etwa in der Unterscheidung von Sendeland und
Empfängerland im Zuge jener Arbeit, als auch im Rahmen einer Vielzahl an
wissenschaftlichen Beiträgen im Zuge der Migrationsforschung, aufrechterhalten. Da in der
Analyse sowohl die transnationale, als auch die nationale Ebene eine Rolle spielt, soll
anfänglich eine Auseinandersetzung mit jenen Ansätzen der Migrationsforschung stehen,
welche sich einerseits mit den grenzüberschreitenden und andererseits den nationalstaatlichen
Kategorien in der Migrationsforschung befassen.
Ludger Pries und Regina Römhild treffen eine Unterscheidung zwischen klassischer
Migrationsforschung und neuerer Migrationsforschung. Als klassische Migrationsforschung
verstehen sie die Zeitperiode ab dem 18. Jahrhundert, eingebettet in den sich ausdehnenden
Nationalismus. (Pries 2000: 76f.; Pries 2011: 8; Römhild 2011: 35f.) Eben jener
Nationalismus zeichnet sich dadurch aus, dass sich Menschen ,,mehr oder weniger eindeutig
und dauerhaft jeweils einem nationalstaatlichen ,Container` zu[...]ordnen [lassen]." (Pries
2011: 8) Klassische Migrationsforschung beschäftigt sich deswegen auch mit Fragen, die das
nationalstaatliche Denken in ,,Containern" in die Analyse miteinbeziehen. Hierbei handelt es
sich zum Beispiel um Fragestellungen bezüglich der Auswirkungen von Mobilität und
Migration auf Sende- und Herkunftsländer und Migrationsmotivationen von Menschen,
welche von einem nationalstaatlichen ,,Container" in einen anderen migrieren. (vgl. Pries
2000: 76)

5
Neuere Migrationsforschung beschäftigt sich im Gegensatz zu der klassischen
Migrationsforschung mit grenzüberschreitenden Formen der Migration und den somit
entstehenden transnationalen Wirklichkeiten. Diese Wirklichkeiten und grenzüberschreitenden
Räume umfassen vielfältige Kanäle und Beziehungsmuster und resultieren in einem
,,pluridimensionalen Mehrebenensystem". (Pries 2011: 16) ,,Supranationale, globale, inter-
nationale, re-nationalisierte, glokale, diasporische und transnationale Beziehungen bestehen
nebeneinander und sind ineinander verwoben." (ebd.) Römhild betont darüber hinaus, dass
transnationale Räume und Mobilität in sozialen, ökonomischen und kulturellen Räumen,
welche sich über Grenzen hinweg aufspannen, heutzutage die Wirklichkeit von einer Vielzahl
von Menschen darstellen. Duale/multiple Identitäten entstehen und Assimilation in dem
jeweiligen Empfängerland wird als Konzept angezweifelt, denn man könne mit mehr als einer
Heimat leben, so Römhild. (Römhild 2011: 35f.) In neueren Ausprägungen der
Migrationsforschung gehe es vor allem darum die starren Konzepte und ,,Container", welche
Menschen nach Herkunftsort sortieren, zu überwinden. Das Denken in transnationalen
Räumen bricht somit mit Kategorien von ,,fremd" und ,,einheimisch", ,,Inland" und
,,Ausland", ,,Heimatland" und Gastland", usw. (ebd.)
Wie bereits eingangs erwähnt fließen beide Aspekte ­ sowohl die transnationalen und
diasporischen Aspekte von Migration, als auch die aufrechterhaltenen Geltungsbereiche des
Nationalstaates Indiens ­ in die analytische Auseinandersetzung ein. Demzufolge sei
angemerkt, dass sich diese Arbeit an der Konstruktion von Wahrnehmungen von Migration
beteiligt, indem gewisse Klassifikationen wie ,,Sendeland" und
,,Empfängerland" übernommen werden, was auf eine zumindest partielle nationalstaatliche
Sichtweise schließen lässt. (vgl. Reinprecht/Weiss 2011: 16) Das Denken in
nationalstaatlichen Kategorien soll jedoch nicht unbemerkt geschehen und kritisch reflektiert
und mitgedacht werden.
Auf die transnationalen Aspekte, welche in die Forschungsfrage miteinfließen, wird nun im

6
nächsten Kapitel genauer eingegangen.
2.2. Diaspora und transnationale Netzwerke
Wie im vorigen Kapitel bereits dargelegt beschäftigen sich neuere Strömungen der
Migrationsforschung mit transnationalen und grenzüberschreitenden Räumen, welche unter
anderem durch Migrationsbewegungen entstehen. Auch hinsichtlich der Migration von
Hochqualifizierten entstehen transnationale Räume und diasporische Netzwerke. Scientific
diasporas und transnationale Kanäle werden einerseits dazu genützt, um persönliche und
geschäftliche Kontakte zu pflegen und aufrechtzuerhalten. ( vgl. Mahroum et. al. 2006: 29ff.;
Vertovec 2002: 5ff.; Séguin et. al. 2006: 81f.) Andererseits stellen jene Kanäle und
grenzüberschreitenden Verflechtungsbeziehungen im Rahmen der sogenannten Diaspora-
Option eine Möglichkeit für Sendeländer von hochqualifizierten MigrantInnen dar, um von
dem erworbenen Wissen und Kapital der Hochqualifizierten im Ausland zu profitieren. Die
Diaspora-Option zeichnet sich dadurch aus, dass durch Einflechtung politischer Institutionen
in jene Hochqualifiziertennetzwerke auf die Kanäle und deren Transaktionen in Form von
Wissen oder Kapital zugegriffen werden kann. Die Vernetzung und Einbindung in jene
Kanäle kann mittels verschiedener Mechanismen, wie zum Beispiel Online-Netzwerken,
Forschungskongressen, etc. erfolgen und positive sozioökonomische Effekte für die
Sendeländer generieren. (vgl. Meyer/Wattiaux 2006: 15f.; Mahroum et. al. 2006: 32ff.; Brown
2002: 170ff.)
Transnationale Netzwerke schaffen grenzüberschreitende Wirklichkeiten. (vgl. Kapitel 2.1.)
Pries skizziert sie als ,,idealtypische Internationalisierungsform", deren Charakteristika darin
besteht einen Raum über nationalstaatliche Territorien aufzuspannen ohne einen fixen
Bezugspunkt ­ wie etwa ein gemeinsames Herkunftsland ­ aufzuweisen. (Pries 2011: 16)
Steven Vertovec weist auf die Herausbildung von transnationalen Netzwerken im Rahmen der
Hochqualifiziertenmigration hin und beschreibt einen Prozess der Entgrenzung.

7
Charakterisierend für jene Entgrenzung seien die diversen Beziehungen über Nationalstaaten
hinweg, die Aufrechterhaltung und Hybridität von Kontakten/Beziehungen, sowie sprachliche
Ausprägungen und kulturelle Räume ungeachtet der Sende- und Empfängerländer der
MigrantInnen, so Vertovec. (Vertovec 2002: 4ff.)
Die Tatsache, dass die hochqualifizierten EmigrantInnen indischen Ursprungs häufig
Netzwerke aufbauen, deren Drehpunkt die gemeinsame Identifikation mit dem Herkunftsland
darstellt, positioniert die wissenschaftlichen Netzwerke näher am Konzept der Diaspora.
(Meyer/Wattiaux 2006: 9) Das Herkunftsland formt somit den gemeinsamen Bezugspunkt
und vielmals auch eine Art steuerndes Zentrum. Darüber hinaus stellen sich Nationalstaaten
mit großer Anzahl an hochqualifizierter Arbeitskraft in zunehmendem Ausmaß die Frage, wie
das Herkunftsland von seiner intellectual/scientific diaspora profitieren kann, wenn restriktive
migrationspolitische Maßnahmen keine Option sind. Die eingangs erwähnte Diaspora-Option
versucht den direkten Abfluss von Humankapital - bedingt durch die Emigration von
Hochqualifizierten - zu kompensieren. Durch ein Aufrechterhalten der Kontakte und
Beziehungen zu den EmigrantInnen sollen unter anderem Innovationen und Humankapital im
Sendeland nutzbar gemacht werden. Das steigende Interesse an den Kanälen und
Beziehungen zwischen Sendeland und hochqualifizierten EmigrantInnen resultiert in einer
Vielzahl an wissenschaftlichen Publikationen zu jenem Themengebiet im Rahmen der
Intensivierung des akademischen Feldes der diaspora studies Ende des 20. Jahrhunderts
2
. (vgl.
Mahroum et. al. 2006: 25)
2
Für weiterführende Literatur zu scientific diasporas siehe:
Brown, Mercy (2002): Intellectual Diaspora Networks: their Viability as a Response to Highly Skilled Emigration. In: Fibbi,
Rosita; Meyer, Jean-Baptiste (Hg.): Diasporas, développments et mondialisations. Autrepart 22. Paris: Editions de l'Aube,
167-178.
Meyer, Jean-Baptiste; Brown, Mercy (1999): Scientific Diasporas: A New Approach to Brain Drain. Paris: UNESCO MOST
Discussion Paper Nr. 41.
Meyer, Jean-Baptiste; Wattiaux, Jean-Paul (2006): Diaspora Knowledge Networks: Vanishing Doubts and Increasing
Evidence. In: International Journal on Multicultural Societies. Transnational Knowledge Through Diaspora Networks, Jg. 8,
Nr. 1, 4-24.

8
2.3. Hochqualifiziertenmigration: Definitionen und normative
Betrachtungsweisen
Bevor die Auseinandersetzung mit Hochqualifiziertenmigration weiter voranschreitet, ist eine
definitorische Abklärung der Begrifflichkeit der sogenannten ,,Hochqualifizierten" längst
überfällig:
Unter den Begriff der hochqualifizierten Arbeitskräfte fallen Personen, welche eine tertiäre
Ausbildung abgeschlossen haben, demnach in Besitz eines tertiären Titels
3
sind und somit
mehr als zwölf Jahre in (Aus-)Bildungsinstitutionen verbracht haben oder aber über
umfassende, hochspezialisierte Arbeitserfahrung verfügen. Zu den Berufssparten, welche in
den Bereich der hochqualifizierten Arbeitskräfte fallen, werden vorrangig ArchitektInnen, IT-
SpezialistInnen, FinanzexpertInnen und ManagerInnen, IngenieurInnen, TechnikerInnen,
ForscherInnen, WissenschaftlerInnen, Lehrpersonal und ExpertInnen im Gesundheitsbereich
gezählt. (Vertovec 2002: 2; Lowell 2001b: 5)
Hochqualifiziertenmigration gilt als spezifische Form der Arbeitsmigration. Steven Vertovec
stellte sich die Frage, ob der Begriff ,,Migration" in Bezug auf hochqualifizierte Arbeitskräfte
ein passender ist. Heinz Fassmann definiert Migration als ,,dauerhafte oder zumindest
längerfristige Verlagerung des Lebensmittelpunktes, wobei jeweils unterschiedliche
territoriale Grenzen überschritten werden müssen." (Fassmann 2011: 64) Einige
ForscherInnen bevorzugen den Begriff der ,,Mobilität", denn Migration beinhalte ­ so
Vertovec ­ die Konnotation eines dauerhaften Auswanderns, wohingegen Mobilität auch
kurz- oder mittelfristige Auslandsaufenthalte im Ausland berücksichtige. (Vertovec 2002: 2f.)
Im Zuge jener Arbeit wird der Begriff der Migration bevorzugt, um kurzzeitige
Auslandsaufenthalte wie zum Beispiel Geschäftsreisen im Rahmen der Analyse
vernachlässigen zu können. Um die Mobilität der MigrantInnen herauszustreichen wird
zudem die Begrifflichkeit ,,migratorische Bewegungen" verwendet, was auf der Überzeugung
3
Unter tertiäre Ausbildungen fallen die ISCED Kategorien 5-7 (vgl. Khadria 2004b: 11)

9
basiert, dass MigrantInnen örtlich beweglich sind, darüber hinaus ein Teil von transnationalen
Netzwerken und nicht dauerhaft an das Empfängerland gebunden sind.
Um die Dimensionen der Hochqualifiziertenmigration zu verdeutlichen folgen an jener Stelle
einige quantitative Richtwerte, anhand derer die Ausmaße gegenwärtiger
Migrationsbewegungen von Hochqualifizierten veranschaulicht werden können: Rund 75%
der hochqualifizierten EmigrantInnen aus Asien und dem Pazifikraum stammen aus Korea,
China, Indien und den Philippinen. Im Jahr 1990 lebten beispielsweise zirka 350,000
hochqualifizierte Arbeitskräfte aus China im Ausland, was in jenem Fall lediglich 3% der
Bevölkerung mit tertiärem Abschluss ausmacht. Darüber hinaus waren laut einer Studie des
Jahres 1990 jeweils über 500,000 hochqualifizierte Arbeitskräfte aus den Herkunftsländern
Korea und Indien in OECD Staaten beschäftigt. (Lowell 2001b: 10ff.). Verluste von 10-30%
der Bevölkerung mit tertiärer Ausbildung, wie es zum Beispiel in Ghana, Iran, Jamaica, uvm.
der Fall ist, seien eine Herausforderung und stellen zum Teil eine signifikante
Beeinträchtigung für die jeweiligen Staaten dar. (Lowell 2001b: 9; 13) Lindsay Lowell betont
jedoch, dass es durchaus ökonomische Faktoren gebe, welche den Abfluss des Humankapitals
in das Ausland ausgleichen können. (ebd.)
Es wird geschätzt, dass sich rund 90% aller hochqualifizierten MigrantInnen in OECD
Staaten befinden und zahlenmäßig zirka 20 Millionen ausmachen. Dies entspricht einer
Zunahme von 70% zwischen den Jahren 1990 und 2000. (Beine/Docquier/Rapoport 2006: 3;
16)
Nachdem Definitionen, Begrifflichkeiten und quantitative Daten bezüglich
Hochqualifiziertenmigration zu dem Zweck der besseren Einschätzung der zahlenmäßigen
Ausmaße des Phänomens abgehandelt wurden, erfolgt abschließend eine Auseinandersetzung
bezüglich des normativen Aspektes von Hochqualifiziertenmigration. Beatriz Padilla äußert,
dass Migrationsbewegungen aufgrund von spezifischen ökonomischen Zyklen,

10
Arbeitsmarktsituationen, politischem Klima, usw. Modetrends angeheftet seien und unterteilt
Arbeitsmigration in zwei Kategorien: ,,los que tienen brazos y manos [...] y los que tienen
cerebro". (Padilla 2010: 270) Der gegenwärtige Modetrend bezugnehmend auf
Arbeitsmigration zeige sich darin, dass Erstere notwendig seien, während Letztere als
erwünscht gelten. Als ideale Migrationsform gelte jene der temporären Migration von
Hochqualifizierten. Diese Betrachtungsweise schlägt sich auch in den Migrationspolitiken
verschiedener Staaten nieder und wird von transnationalen AkteurInnen wie der OECD und
IMO propagiert. Je nach erachtetem ,,Wert" der MigrantInnen werden unterschiedliche
Aufnahmeverfahren in den jeweiligen Staaten verhängt. So ist es im EU-Raum für
hochqualifizierte MigrantInnen dank der ,,Blue Card" und ähnlichen länderspezifischen
Aufnahmekriterien einfacher als für geringer qualifizierte Arbeitskräfte eine Arbeits- und
Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten. (Padilla 2010: 270ff.) Dies spiegelt den von Padilla
genannten gegenwärtigen Migrationstrend wider, welcher temporäre Migration von
hochqualifizierten Arbeitskräften gegenüber gering qualifizierten ArbeiterInnen favorisiert.
Welche Konsequenzen die Migration von Hochqualifizierten letztendlich für die Sende- und
Empfängerländer mit sich bringt wird im Rahmen der Diskussion um einen brain drain oder
brain gain im folgenden Kapitel einführend beleuchtet.
2.4. Brain drain und brain gain
Um die Auswirkungen der Migration von Hochqualifizierten auf die Sende- und
Empfängerländer diskutieren zu können erläutert dieses Kapitel die Konzepte des brain
drains und brain gains und ähnliche Begrifflichkeiten. Mit Blick auf die Forschungsfrage ist
dies ein zentraler Pfeiler für die Analyse der Interessen der indischen AkteurInnen an den
Migrationstätigkeiten der indischen hochqualifizierten EmigrantInnen, denn in Indien wird
die Abwanderung von Hochqualifizierten scheinbar nicht als Verlust wahrgenommen.
Im Zuge der International Migration Papers der ILO definieren Lindsay Lowell und Allan

11
Findlay brain drain folgendermaßen: ,,A brain drain can occur if emigration of tertiary
educated persons for permanent or long stays abroad reaches significant levels and is not
offset by the `feedback` effects of remittances, technology transfer, investments, or
trade." (Lowell/Findlay 2001: 7) Daran anschließend halten sie fest, dass brain drain
Auswirkungen auf die Volkswirtschaften und das ökonomische Wachstum mit sich bringe.
Einerseits sei dies dem Verlust und Schwund von Humankapital, Innovation und Arbeitskraft
durch die Abwanderung der Hochqualifizierten geschuldet. Andererseits wurden für eben jene
hochqualifizierten Arbeitskräfte Investitionen im Sendeland für deren (Aus-) Bildung getätigt,
deren Ergebnisse und produziertes Humankapital nun im Empfänger- und nicht im Sendeland
fruchten, weswegen diese Investitionen als Einbuße für das Sendeland wahrgenommen
werden können. (ebd.)
Während das Sendeland Kapital ­ hier im Sinne von Wissen und Fähigkeiten (skills) ­ verliert,
gewinnt das Empfängerland jenes Kapital, welches vielerorts eine Schlüsselrolle im Bereich
Wissenschaft und Technik darstellt. In jenem gewinnbringenden Fall spricht man von brain
gain. (Séguin et. al. 2006: 79)
Das Phänomen rund um einen brain drain wird wissenschaftlich kontrovers diskutiert.
Während zahlreiche WissenschaftlerInnen betonen, dass aufgrund der steigenden Mobilität
von Hochqualifizierten die Sorgen rund um einen brain drain wieder hochleben würden,
betonen andere, dass ein brain drain durch sogenannte ,,Feedback"-Effekte und
,,erzeugte" Effekte auch für das Sendeland zu einer vorteilhaften Situation führen kann.
(Séguin et. al. 2006: 79; Lowell 2001b: 5; Lowell/Findlay 2001: 6ff.) Die direkten Effekte
eines brain drain zeigen sich darin, dass Humankapital abfließt, nicht mehr im Sendeland
verfügbar ist und somit für eben jenes einen Verlust darstellt. Jene direkten Effekte können
jedoch durch die ,,erzeugten" und ,,Feedback"-Effekte aufgewogen werden. (Lowell/Findlay
2001:7f.)
Unter ,,erzeugten" Effekten versteht man folgende Ereignissequenz: Die Aussicht auf

12
Auswanderung - damit verbundene höhere Karrierechancen im Ausland und in vielen Fällen
bessere Bezahlung und Lebensqualität ­ steigert die Einschreibungsraten an Universitäten,
was bei tatsächlichem Studienantritt das Humankapital im Land ansteigen lässt. Jener Anstieg
an Humankapital und sein Vermögen einen brain drain zu kompensieren sind schwer messbar,
können aber dazu führen, dass sich offene Migrationspolitik hinsichtlich der Auswanderung
von Hochqualifizierten im Sendeland durch gesteigerten Bildungswunsch der BürgerInnen
bezahlt macht. (Lowell/Findlay 2001:7)
Nebst den ,,erzeugten" Effekten vermögen ,,Feedback"-Effekte die negativen Auswirkungen
des direkten brain drain zu kompensieren. Zu den Feedback-Effekten werden Technologie-
und Wissenstransfer, Diasporatransfers, Formen der Rückmigration und Rücküberweisungen
gezählt. (Lowell/Findlay 2001: 8ff.)
Rund um jenes Begriffspaar des brain drains und brain gains gruppieren sich vergleichbare
Konzepte
4
. Wird etwa von der Bipolarität, welche die Begriffe brain drain und brain gain
hervorbringen, Abstand genommen und der zirkuläre Charakter der Humankapitalflüsse
betont, spricht die wissenschaftliche Literatur u.a. von brain circulation und brain exchange.
Diese Konzepte distanzieren sich sprachlich von einer dichotomen Gegenüberstellung, und
lösen somit die negativen und positiven Konnotation hinsichtlich des brain drains und brain
gains, zumindest auf der sprachlichen Ebene, auf. (vgl. Lowell/Findlay 2001: 7f)
Lowell und Findlay definieren brain circulation folgendermaßen: ,,[L]ively return migration
of the native born [...] re-supplies the highly educated population in the sending country and,
to the degree that returned migrants are more productive, boosts source country
productivity." (Lowell/Findlay 2001: 8) Dies entspricht der Auffassung, dass hochqualifizierte
4
Für weitere Konzepte (brain waste, brain globalisation, brain export, brain bank, brain exodus, brain overflow,
usw.) siehe:
Lowell, B.Lindsay; Findlay, Allan (2001): Migration of Highly Skilled Persons from Developing Countries: Impact and
Policy Responses. International Migration Papers 44. Genf: International Migration Branch ILO.
Khadria, Binod (2002): Skilled Labour Migration from Developing Countries: Study on India. International Migration Papers
49. Genf: International Labour Organisation.

13
EmigrantInnen durch ihre Auslandstätigkeit und ­erfahrung ihr Humankapital vergrößern
können und ihm Wert hinzufügen (,value added`). (vgl. Meyer/Wattiaux 2006: 8)
Ein brain exchange findet dann statt, wenn der Abfluss von Humankapital durch die
Emigration von Hochqualifizierten durch einen vergleichbaren Zufluss von hochqualifizierten
Arbeitskräften kompensiert wird. (Lowell/Findlay 2001: 8)
Inwiefern sich die Wahrnehmung der Emigration von hochqualifizierter Arbeitskraft als brain
drain, brain bank, brain gain, etc. auf die Auswahl der politischen Maßnahmen hinsichtlich
Hochqualifiziertenmigration niederschlägt wird im folgenden Kapitel im Rahmen der Debatte
um einen nationalist und internationalist approach diskutiert.
2.5. Nationalist Approach und Internationalist Approach
Die Wahl der politischen Maßnahmen, die ein Nationalstaat in Hinblick auf die Migration von
Hochqualifizierten setzt, vermag dessen Betrachtungsweise bezüglich Migration und darüber
hinaus dessen länderspezifische Interessen widerzuspiegeln. Ob restriktive oder offene
Migrationspolitiken verfolgt werden ist kontextspezifisch und weist auf spezielle,
wesensgemäße Sichtweisen und Interessenslagen der jeweiligen Staaten hin. (vgl.
Reinprecht/Weiss 2011: 16f.) Da die Interessenslage der indischen staatlichen AkteurInnen
hinsichtlich der Migration von Hochqualifizierten im Zentrum der Analyse jener Arbeit steht,
schlägt dieses Kapitel eine Brücke zwischen spezifischen Perzeptionen von Migration sowie
deren korrespondierenden politischen Maßnahmen, wodurch ein zentraler theoretischer
Rahmen für die Analyse der Wahrnehmung von Hochqualifiziertenmigration und den
Interessen des indischen Staates an eben jener aufgespannt wird.
Mercy Brown befasst sich mit den Interrelationen zwischen Weltsicht/Wahrnehmung und
deren Auswirkung auf politische Maßnahmen angesichts der Migration von hochqualifizierten
Arbeitskräften. Brown führt zwei Ansätze an, wie Hochqualifiziertenmigration in Sende- und
Empfängerländern wahrgenommen werden kann und zeigt auf, welche politischen Folgen die

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jeweiligen Perzeptionen und Interessenslagen mit sich bringen. (vgl. Brown 2002: 169ff.)
Historisch-nationalstaatlich geprägte Modelle von Einwanderung fasst Brown unter dem
nationalist approach
5
zusammen. Im Zuge jenes Ansatzes werden Migrationsflüsse von
Hochqualifizierten als positiv für die Empfängerländer und als nachteilig für die Sendeländer
wahrgenommen. Der nationalist approach konzeptualisiert die Abwanderung von
Hochqualifizierten als brain drain für das Sendeland und betont somit den Verlust des
Humankapitals und der Fähigkeiten, die mit den Emigrationsbewegungen für das Sendeland
einhergehen. Eine Auseinandersetzung mit möglichen ,,Feedback"-Effekten oder positiven,
kompensatorischen Rückflüssen durch Kanäle und Beziehungen zu der scientific/skilled
diaspora findet kaum einen Eingang in jenen Ansatz. (Brown 2002: 169ff.; Meyer/Brown
1999: 4ff.)
Mit diesen Sichtweisen, welche den nationalist approach charakterisieren, korrelieren
politische Maßnahmen, die Migration von den Sendeländern (häufig Entwicklungsländer) in
die Empfängerländer (häufig Industrieländer) erschweren sollen. Zu jenen politischen
Maßnahmen zählen restriktive Maßnahmen (restrictive policies), Generierung von Anreizen
(incentive policies/ retention) und kompensatorische Maßnahmen (compensatory policies/
reparation). (Brown 2002: 169)
Restriktive Maßnahmen schränken die Migration ein und erschweren die Mobilität von
Hochqualifizierten. Zu ihnen zählen zahlenmäßige bzw. auf bestimmte Personengruppen
beschränkte Aus-/Einreisegenehmigungen und temporäre Visa, welche dazu dienen sollen
Erfahrungen im Ausland zu sammeln um im Anschluss daran wieder rückzuwandern. Somit
gehen Humankapital und Fähigkeiten nur kurzfristig verloren und das Sendeland kann nach
Rückkehr der Hochqualifizierten von den neugewonnenen Fähigkeiten der MigrantInnen
profitieren. Zusammengefasst dienen sie dazu migratorische Bewegungen weitgehend
5
Aufgrund von ausschließlicher Verwendung des englischen Begriffes in der einschlägigen Fachliteratur und
mangels adäquater deutscher Übersetzungsmöglichkeit werden die Begriffe ,,nationalist approach" und
,,internationalist approach" im Folgenden in Englisch und Kleinschreibung angeführt.

15
einzudämmen und ein Abfließen von Humankapital somit aufzuhalten und einzuschränken.
(Brown 2002: 169; Lowell 2001a: 7f.)
Politische Maßnahmen zur Generierung von Anreizen dienen dazu, die Hochqualifizierten
zum Verbleib im eigenen Land anzuspornen oder EmigrantInnen zur Rückkehr zu bewegen
und stellen somit ein weiteres Maßnahmenpaket dar, welches einen brain drain in den
Sendeländern eindämmen soll. Zu den incentive policies zählen einerseits Maßnahmen, die
den Bildungssektor betreffen. Die Schul- und Wissenschaftslandschaft und
Forschungsbedingungen sollen qualitativ und quantitativ verbessert werden. Darüber hinaus
wird eine Stärkung der Institutionen im Bildungssektor angestrebt. Andererseits streben
incentive policies ein Vorantreiben der ökonomischen Entwicklung an, um Lebensqualität,
Arbeitsplätze und attraktive Löhne bieten zu können. Jene Maßnahmen greifen jedoch nicht
sofort und werden häufig erst mittel- bis langfristig wirksam. (vgl. Brown 2002: 169; Lowell
2001a: 16f.)
Kompensatorische politische Maßnahmen hinsichtlich Hochqualifiziertenmigration werden
zumeist als problematisch erachtet, da das Abfließen von Humankapital schwer in monetären
Einheiten gemessen werden kann. (Brown 2002: 169) Eine sogenannte ,,brain drain
tax" wurde in den 1970er Jahren entwickelt, aber wegen oben erwähnter Problematik nie
implementiert, da der Humankapitalverlust auch hinsichtlich Feedback-Effekten und
erzeugten Effekten beinahe unmessbar scheint. (Lowell/Findlay 2001: 2; 17ff.; Lowell 2001a:
11f.)
Während der nationalist approach auf jene Sichtweise zutrifft, welche
Hochqualifiziertenmigration als nachteilig für die Sendeländer konzeptualisiert, betont der
internationalist approach eine potentielle Gewinnsituation für Sende- und Empfängerländer.
In jenem Ansatz findet die Wahrnehmung einer kollektiven Natur der Wissensschaffung,
-übertragung und -anwendung Ausdruck. Die Migration von hochqualifizierten Arbeitskräften

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Erscheinungsjahr
2012
ISBN (eBook)
9783958208643
ISBN (Paperback)
9783958203648
Dateigröße
746 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Wien
Erscheinungsdatum
2015 (Oktober)
Note
1
Schlagworte
migration inderinnen brain drain/gain interessenslagen akteurinnen indiens
Produktsicherheit
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