Hochbegabung: Probleme von hochbegabten Kindern und Jugendlichen im sozialen Umfeld
©2004
Studienarbeit
31 Seiten
Zusammenfassung
Seit Jahrhunderten schon haben talentierte und begabte Menschen großen Anteil am Erkenntnisstand und Fortschritt unserer Gesellschaften. Ihre Fähigkeiten überragten und überragen die des „durchschnittlichen Normalbürgers“ um einiges. Mangelnde Aufklärung über die Phänomenologie der Hochbegabung und deren Konsequenzen haben jedoch als Folge, dass dem Anspruch auf bestmögliche Förderung der Fähigkeiten aller Menschen nicht Rechnung getragen wird. Nur profunde Kenntnisse darüber können gewährleisten, dass unsere Gesellschaft lernt, mit der Hochbegabung gebührend umzugehen. Die Untersuchung geht auf die Probleme und Schwierigkeiten der hochbegabten Kinder und Jugendlichen und den Einfluss des sozialen Umfeldes ein.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
4
benötige ich unter anderem auch Kenntnisse zu diesem prekärem Thema. Ich hoffe, damit
einen kleinen Beitrag zur Verbesserung der Lage und das Verständnis, welches Hochbe-
gabten entgegengebracht werden muss, leisten zu können.
5
2.
Begriffserklärung
Hochbegabung ist ein hypothetischer Konstruktbegriff, d. h. die Definitionen sind abhän-
gig von den jeweiligen theoretischen Bezugsbasen. Weit gefasst könnte man Begabung als
,,das Insgesamt personaler (kognitiv, motorisch) und soziokultureller Lern- und Leis-
tungsvoraussetzungen"
2
definieren. Hierbei ist die Begabungsentwicklung als ,,Interaktion
interner Anlagefaktoren und externer Sozialisationsfaktoren zu verstehen"
3
.
Eine allgemeine Definition des Konstrukts ,,Hochbegabung" gibt K. K. Urban:
Hochbegabt ist, wer in der Lage ist oder in die Lage versetzt werden kann, sich für ein
Informationsangebot auch aus einer Sicht hohen Niveaus zu interessieren, ihm zu fol-
gen, es zu verarbeiten und zu nutzen.
4
In der Begabungsforschung findet man unzählige Definitionen dieses Begriffes, welche
einerseits historisch betrachtet differieren sowie auch hinsichtlich ihrer Ansätze. In der
Vergangenheit wurden oftmals die Begriffe ,,Intelligenz", ,,Kreativität" und ,,Expertise"
mit dem Begriff der Hochbegabung synonymisch verwendet.
5
Dies deutet schon darauf
hin, dass der Begriff keineswegs präzise zu definieren ist.
Es besteht also Klärungsbedarf, wo sich Hochbegabung zum Beispiel von der Begabung
abgrenzt. Heutzutage finden wir in der psychologischen Forschung verschiedene Klassifi-
kationen für die Hochbegabung, von denen drei im folgenden von mir kurz erklärt werden
sollen.
,,Ex-post-facto-Definitionen":
Erwachsene oder Kinder, die etwas Außergewöhnliches leisten, werden als hochbegabt
bezeichnet.
,,IQ-Definition"
Personen, die einen Intelligenzquotienten von mehr als 130 haben, zählen zu den Hochbe-
gabten.
,,Prozentsatzdefinition"
2
Kurt A. Heller (Hrsg.), Hochbegabung im Kindes- und Jugendalter, Göttingen 1992, S. 19.
3
Ebenda.
4
H. Geuß, K. K. Urban, Hochbegabte Kinder, In: W. Wieczerkowski & H. zur Overeste (Hrsg.), Lehrbuch
der Entwicklungspsychologie, Band 3, Düsseldorf 1982, S. 93.
5
Vgl. Oxana L. Kovaltchouk, Hochbegabte Kinder und ihre Peer-Beziehungen, Regensburg 1998, S. 5.
6
Ein bestimmter Prozentsatz der Bevölkerung wird als hochbegabt eingestuft. Dabei kön-
nen Noten, Schulleistungstests sowie Intelligenztestwerte mit einbezogen werden.
6
All diese Definitionen schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern gehen teilweise in
einander über. Das Problem besteht darin, dass es noch keine allgemein anerkannte Defi-
nition für den Begriff gibt und sich deshalb die Forscher über die Begriffsdifferenzierung
uneinig sind.
7
Ein weiterer Gesichtspunkt der Unterscheidung durch die verschiedenen Forscher ist die
Intelligenz. D. h. es gibt zum Einen die ,,intellektuelle Begabung"
8
und zum anderen die
,,nicht intellektuelle Begabung"
9
. Man kann sagen, dass ,,moderne Intelligenztheorien be-
reichsspezifische Konzeptionen"
10
bevorzugen. So unterscheidet Gardner demnach fol-
gende ,,skill" spezifische intellektuelle Kompetenzen:
sprachliche Intelligenz
logisch-mathematische Intelligenz
räumliche Intelligenz
musikalische Intelligenz
intrapersonale Intelligenz
interpersonale Intelligenz.
11
Heller legte sich darauf fest, Hochbegabung allgemein als ,,mehrdimensional"
12
zu be-
trachten und stuft es als ,,personale und soziale Voraussetzung für Leistungsexzellenz"
13
ein. Neben der intellektuellen Begabung, die zumeist im Vordergrund der Betrachtung von
Intelligenzforschung und förderung steht, gibt es noch vier weitere Begabungsfelder: den
,,kreativen, sozialen, musikalischen und [...] psychomotorischen Bereich"
14
. Diese Berei-
che werden natürlich beeinflusst durch diverse Faktoren der Umwelt und der Individuen
selbst. Auf diese möchte ich hier jedoch nicht näher eingehen.
6
Vgl. Annette Tettenborn, Familien mit hochbegabten Kindern, Münster 1996, S. 1.
7
Vgl. Kovaltchouk, S. 4.
8
Vgl. Tettenborn, S. 2.
9
Ebenda.
10
Kovaltchouk, S. 5.
11
Vgl. Kovaltchouk, S. 5-6.
12
Heller, S. 18.
13
Ebenda
14
Ebenda, S. 20.
7
Die Uneinigkeit über die Definitionen des Begriffes Hochbegabung hat dazu geführt, dass
sich in der Vergangenheit mehrere Konzepte/Modelle entwickelt haben, die sich diesem
Konstrukt annähern. Diese Modelle sollen darstellen, welche Umweltfaktoren die Bega-
bungsentfaltung beeinflussen.
8
3.
Merkmale Hochbegabter
,,Der Osterhase kann Eier legen. Er ist doch ein Säugetier!" Björn, 3 Jahre
15
,,Selbst das Licht braucht länger als ein Menschenleben, um ins nächste Sonnensystem
zu kommen. Wenn es dort Menschen gäbe, würden wir sie nie treffen können!" Thomy, 4
Jahre
16
Schon im Säuglingsalter können sich erste Hinweise auf Hochbegabung zeigen, bei-
spielsweise wenn der Säugling wenig schläft, lärmempfindlich und sehr sensibel reagiert.
Auch wenn Kinder sich auffällig früh für Buchstaben und Zahlen interessieren, sich mit
intellektuellen Problemen befassen und viele wissenschaftliche Fragen stellen, können
dies Indikatoren für eine besondere Begabung sein. Es gibt allerdings kein typisches Ver-
halten, aus dem sich Hochbegabung ableiten ließe. Daher ist Hochbegabung selbst für
Eltern oft schwer zu erkennen. Jedoch sollte man das Auftreten einiger Merkmale für
Hochbegabung nicht immer überbewerten und in jedem Anzeichen eine Hochbegabung
sehen.
Trotz der Unterschiede der einzelnen Individuen lassen sich in der Literatur doch immer
wieder Hinweise auf charakteristische Gemeinsamkeiten besonders begabter Kinder fin-
den, zumindest was den Bereich der intellektuellen, geistigen Leistung betrifft. Besonders
begabte Kinder, die in ihrer frühen Kindheit und Vorschulzeit unter anregenden und för-
dernden Umweltbedingungen aufgewachsen sind, lassen sich in Bezug auf vorwiegend
kognitiv bestimmte Merkmale zu Beginn der Schulzeit wie folgt beschreiben. In der Regel
sind dies:
ausgesprochen frühe komplexe und flüssige Sprache
frühes Interesse an Buchstaben und Zahlen
viele unterschiedliche Interessen
hohe Auffassungsgabe, extrem hohe Denkgeschwindigkeit
enorme Ausdauer und Konzentration beim Bearbeiten von Aufgaben
divergentes Denken
Sensibilität
15
http://www.tirol-php.highway.telekom.at
16
Ebenda.
9
ausgeprägtes Explorationsverhalten
Ideenreichtum, Phantasie und Kreativität
gern unabhängig arbeitend
leidenschaftliches Planen und Organisieren
ausgeprägter Sinn für Humor
Perfektionismus
Beschäftigung mit ,,Erwachsenenthemen"
hohes Moral- und Gerechtigkeitsbewusstsein.
17
Die Abwesenheit eines oder mehrerer der zusammengetragenen Merkmale und Verhal-
tensweisen schließt aber nicht zwangsläufig aus, dass das Kind besonders begabt ist.
18
Es
sind nur einige mögliche Indikatoren, die wiederholt beobachtet wurden.
Bei Kindern mit überdurchschnittlichen intellektuellen Fähigkeiten ist eine fragende, kriti-
sche Grundhaltung besonders oft anzutreffen.. Damit verbunden ist dann auch eine sehr
selbstkritische Grundhaltung. Unter den Eindrücken mangelnder Anerkennung wird das
Selbstbild hinterfragt und beginnt oft erheblich zu leiden. Daher gehört eine Stärkung des
Selbstbewusstseins zu einer der nötigsten Maßnahmen für diese Kinder.
19
17
Vgl. J. T. Webb, E. A. Meckstroth, S. S. Tolan, Hochbegabte Kinder, ihre Eltern, ihre Lehrer Ein Ratge-
ber, Göttingen 1998, S. 60 und http://www.dghk.de/nordbayern/che_inh.htm
18
Vgl. U. Schaarschmidt, Wie lässt sich intellektuelle Begabung im Vorschulalter erkennen? Vorstellung
eines diagnostischen Ansatzes. In: K. K. Urban (Hrsg.), Begabung entwickeln, erkennen und fördern, Han-
nover 1995, S. 126ff.
19
http://www.dghk.de/nordbayern/che_inh.htm
10
4.
Interessen und Motivation
Neben kognitiven und nicht-kognitiven Begabungsmerkmalen weisen hochbegabte Kinder
und Jugendliche natürlich auch soziale Merkmale auf. Das bedeutet, sie legen ein be-
stimmtes Verhalten an den Tag, welches genau wie bei allen anderen Menschen, mehr
oder minder von der Umwelt beeinflusst wird. Darüber hinaus haben sie natürlich auch die
Fähigkeit, ihre Umwelt zu beeinflussen. Sie entwickeln im Laufe ihrer Entwicklung eige-
ne Interessen.
Nun stellt sich die Frage: Haben hochbegabte Kinder dieselben Interessen wie die anderen
Kinder ihres Alters? Gibt es Interessen, die hochbegabungsspezifisch sind?
Es heißt, intellektuell besonders befähigte Kinder haben häufig andere Interessen, einen
verstärkten Wunsch nach Selbststeuerung, erhöhte emotionale oder soziale Sensibilität
oder Wissensdurst in speziellen Fachgebieten. Solche Kinder zeigen einen ausgeprägten
Explorationsdrang, sie wenden sich aktiv ihrer direkten Umwelt zu, handeln, untersuchen,
experimentieren und entdecken. Sie legen eine immense Neugier und ein Erkenntnisstre-
ben an den Tag und fordern, wenn nötig, Unterstützung und Rat an. Des weiteren bewei-
sen sie eine erstaunliche Ausdauer bei der Beschäftigung mit ihren selbstgewählten The-
men und Tätigkeiten und können sich dabei selbst motivieren. Sie sind dann mit ihrer gan-
zen Persönlichkeit dabei und haben Freude an ihrem Tun.
20
Schiefele beschäftigte sich 1986 näher mit den Interessen der Hochbegabten und den dar-
aus resultierenden Konsequenzen. Er definierte Interessen als ,,spezifische Personen-
Gegenstands-Beziehungen, d. h. Orientierungen in Bezug auf verschiedene Bereiche, de-
nen sich eine Person aus eigener Initiative zuwendet"
21
.
Seiner Meinung nach ziehen Interessen die folgende Kette nach sich: Interessen verursa-
chen, dass ein hochbegabter Mensch den Wunsch entwickelt, sich anzustrengen. Als Kon-
sequenz seiner Anstrengung kommt es dann zu einem Leistungsverhalten, weil er erfolg-
reich ist. Wenn ein Interesse stark genug ist, dann befähigt es einen Menschen, diesem
nachzugehen, ohne dabei die Meinungen und Wertvorstellungen seiner Umwelt zu beach-
ten. Dennoch sind soziale Aspekte notwendig, um Interessen aufrecht zu erhalten und wei-
20
Ebenda.
21
Heller, S. 245.
11
ter zu entwickeln. Es bedarf also Anerkennung von außen und auch eines eigenen Gefühls
der Selbstverwirklichung.
22
Die Freizeitgestaltung dieser Menschen baut sich unter anderem auf deren Interessen auf.
Aber auch die Mitarbeit im Unterricht und dementsprechend die Leistung im Unterricht
sowie die Vorstellung von der Zukunft haben eine enge Verbindung zu den Interessen des
Einzelnen. Bei Hochbegabten entwickeln sich die Interessen auch wieder begabungsspezi-
fisch und sind dementsprechend kategorisierbar. Es wurde außerdem herausgefunden, dass
die Interessen stark geschlechtsspezifisch sind. Doch entgegen den weit verbreiteten Vor-
urteilen, sind hochbegabte Kinder und Jugendliche keineswegs Fachidioten, sondern ha-
ben eher ein breit angelegtes Interesse. Erst mit steigendem Alter fokussiert sich deren
Interesse auf engere Gebiete.
23
Noch im Vorschulalter erfolgen Selbstcharakterisierung wie: ,,ich brenne vor Lernbegier-
de!"
24
. Dennoch bedeutet das nicht, dass diese Übermotivation weiterhin anhält. Viele
hochbegabte Kinder verlieren im Laufe ihrer Entwicklung das Potential der intrinsischen
Motivation. Zu häufige Kritik und übersteigerte Erwartungen können Ursachen des Moti-
vationsverlustes sein. In solch einem Fall sollten die Alarmglocken schlagen und dem
Kind und den Ursachen des Defizits mehr Beachtung geschenkt werden.
25
22
Vgl. Heller, S. 245f.
23
Vgl. Heller, S. 246ff.
24
J. T. Webb, S. 75.
25
Vgl. J. T. Webb, S. 75ff
12
5.
Das soziale Umfeld und dessen Einfluss auf die
Persönlichkeitsentwicklung Hochbegabter
Wie bei allen Menschen ist das soziale Umfeld für die hochbegabten Kinder und Jugendli-
chen von enormer Bedeutung. Zwischenmenschliche Beziehungen beeinflussen die Ent-
wicklung eines Kindes positiv oder negativ.
Den Neid der anderen bekam auch die neunjährige Martina zu spüren. Andere Kinder
machten sie wegen ihrer Hochbegabung zur Außenseiterin. Sie fiel negativ auf, weil sie
besonders redegewandt war, ein ausgezeichnetes Gedächtnis hatte und sehr gut logisch
denken konnte. Auch Martina fühlte sich in der Schule bald im Normalunterricht unterfor-
dert. Sie wurde laut, schwierig, depressiv und dann sehr einsam. (...) Martina wurde iso-
liert und verlor jeglichen Lebensmut. Sie erkannte, dass sie so sein wollte wie die anderen,
und es doch nicht ist.
26
An diesem Beispiel lässt sich schon erkennen, welche Wirkung die Hochbegabung hat und
welche Konsequenzen diese nach sich ziehen kann.
Kovaltchouk spricht in diesem Zusammenhang von der ,,psychischen Gesundheit"
27
, die
auch ich für überaus wichtig empfinde. Ein Mensch ist psychisch gesund, wenn sein sozia-
les Umfeld zu seinem Wohlergehen beiträgt bzw. dieses aufrechterhält.
28
Meiner Meinung
nach muss dies nicht gleichzeitig absolute Anpassung bedeuten, sondern es geht grund-
sätzlich um ein gegenseitiges Unterstützen, Geben und Nehmen. Psychisches Wohlbefin-
den hat zum Einen etwas mit dem eigenen Umgang mit der Umwelt zu tun, zum Anderen
auch mit dem Verhalten der Umwelt dem Individuum gegenüber sowie mit der Selbstver-
wirklichung. Es muss also jedem Individuum die Möglichkeit gegeben werden, sich selbst
zu finden, sich bezüglich der eigenen Interessen zu entwickeln und sich dabei des Rück-
halts durch das soziale Umfeld sicher zu sein.
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Personen, die sich zu weit von der Gesellschaft entfernen, indem sie jegliche Anpassung
verweigern, werden höchstwahrscheinlich irgendwann in ihrem Leben den Punkt errei-
chen, an dem sie ihr seelisches Gleichgewicht verlieren und sich vollkommen isolieren.
26
http://tv.orf.at/report/sendungen/990615/990615_4.htm
27
Kovaltchouk, S. 24.
28
Vgl. Kovaltchouk, S. 16f.
29
Vgl. Kovaltchouk, S. 18ff.
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Erstausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2004
- ISBN (eBook)
- 9783958208698
- ISBN (Paperback)
- 9783958203693
- Dateigröße
- 3.2 MB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Universität Potsdam
- Erscheinungsdatum
- 2015 (Oktober)
- Note
- 1
- Schlagworte
- hochbegabung probleme kindern jugendlichen umfeld