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Wer überwacht die Wächter? Möglichkeit und Effizienz der Kontrolle des Verfassungsschutzes durch Judikative und Exekutive

©2014 Bachelorarbeit 64 Seiten

Zusammenfassung

Der Verfassungsschutz soll die freiheitlich demokratische Grundordnung schützen und die Gegner unseres Staates überwachen. Vor dem Hintergrund des Versagens der Sicherheitsbehörden im Hinblick auf die NSU-Mordserie geht es um Konsequenzen für den Verfassungsschutz. Der Verfassungsschutz, einer von drei Nachrichtendiensten in Deutschland, soll durch Rechtssprechung sowie Regierung und Verwaltung kontrolliert werden. Der Autor stellt dar, welche Möglichkeiten der Kontrolle es gibt und wie effizient sie sind. Aktuelle Änderungen der Kontrolle und Überwachung des Verfassungsschutzes durch Parlamente und Behörden werden dargestellt und bewertet. Außerdem werden verwaltungsprozessrechtliche Fragen des Geheimnisschutzes wie das „in-camera-Verfahren“ und rechtswissenschaftliche Aspekte der Überwachung aufgeführt.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


3
Einleitung
Daten von 532.685 Personen sind beim Landesamt für Verfassungsschutz
Nordrhein-Westfalen in der sogenannten Amtsdatei gespeichert. Davon sind
498.598 wegen gesetzlicher Sicherheitsprüfungen in einer Datei des Verfas-
sungsschutzes erfasst, 268.778 sind Bestandteil des nachrichtendienstlichen
Informationssystem NADIS.
1
Es ist eine gewaltige Zahl von Menschen, die
allein von einer Behörde im Bundesland Nordrhein-Westfalen in Augen-
schein genommen und überprüft wird. Diese Zahlen lassen die Frage nach
einer Legitimation sowie Art und Weise für ein solches Handeln aufkom-
men. Welchen Kontrollen unterliegen diese Überwacher, die als Verfas-
sungsschutz anscheinend einen besonderen Auftrag haben?
A) Der Verfassungsschutz
Der Verfassungsschutz gehört zur staatlichen Macht in der Bundesrepublik
Deutschland, dem durch das Grundgesetz eine besondere Aufgabe und
Funktion zugewiesen wird. In einer rechtstaatlichen Demokratie muss staat-
liche Macht der Kontrolle unterliegen.
2
Auf welche Weise und wie effizient
die Kontrolle beim Verfassungsschutz durch Judikative und Exekutive mög-
lich ist, das thematisiert diese Arbeit.
3
I) Staatsaufgabe Verfassungsschutz
Der Verfassungsschutz ist in der Bundesrepublik Deutschland Staatsaufga-
be.
4
Das Grundgesetz formuliert in Art. 87 I 2 GG diese Staatsaufgabe, die
das Bundesverfassungsgericht als Verfassungsauftrag bezeichnet, und legt
gleichzeitig in Art. 73 I Ziffer 10 Var. b GG eine Aufgabenbeschreibung
und Zuordnung fest.
5
In der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des
Bundes angesiedelt wird der Verfassungsschutz als Schutz der freiheitlich
demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit der Län-
1
Antwort der Landesregierung NRW auf die Kleine Anfrage des Landtagsabgeordneten
Frank Herrmann (Piraten) vom 20. März 2014, Landtag Nordrhein-Westfalen, Drs.
16/5119. Die erfassten Daten werden seit 2005 fünf Jahre lang gespeichert und danach
gelöscht.
2
Ernst-Wolfgang Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, S. 297.
3
Die Kontrolle durch die Legislative war Thema einer Seminararbeit des Verfassers.
4
Peter Badura, Legitimation des Verfassungsschutzes, S.27, in: Bundesamt für Verfas-
sungsschutz, Verfassungsschutz in der Demokratie; BVerfGE 30, 1, 20.
5
Theodor Maunz/Günter Dürig, Grundgesetz, Ibler, Art. 87, Rn. 140; Grundgesetz, BGBl
S. 1, zuletzt geändert am 11. Juli 2012, BGBl. I S. 1478.

4
der definiert.
6
Aufgrund dieses Grundgesetz-Auftrages wurde per Gesetz am
27. September 1950 das Bundesamt für Verfassungsschutz ins Leben geru-
fen.
7
Dazu entstanden elf Landesämter für Verfassungsschutz. Seit der Wie-
dervereinigung 1990 stieg ihre Zahl mit den neuen Bundesländern auf 16.
Das erste Landesamt für Verfassungsschutz, damals noch unter der Be-
zeichnung ,,Informationsstelle", entstand im Juni 1949 in Nordrhein-
Westfalen. Acht Bundesländer haben den Verfassungsschutz (wie der Bund)
als Oberbehörde eingerichtet, acht Länder haben den Verfassungsschutz als
eigene Abteilung in den jeweiligen Innenressorts installiert.
8
Zu unterschei-
den ist der Verfassungsschutz als Staatsaufgabe vom Staatsschutz, obwohl
oftmals die Begriffe Verfassungsschutz und Staatsschutz synonym ge-
braucht werden. Staatsschutz umfasst den Schutz des gesamten Staates
durch Polizei und Ordnungsbehörden vor politischer Kriminalität und
staatsgefährdenden Angriffen, während Verfassungsschutz den Schutz der
Verfassung und der damit verbundenen Ordnungsprinzipien meint.
9
Der
Verfassungsschutz hat die freiheitlich-demokratische Grundordnung, Be-
stand und Sicherheit des Bundes und der Länder zu sichern.
10
Diese Tätig-
keit des Verfassungsschutzes zur Erfüllung seiner Aufgabe lässt sich in vier
Bereiche aufteilen: Beschaffung von Informationen, Sammlung, Auswer-
tung und deren Weitergabe.
11
1. Einordnung des Verfassungsschutzes in das Staats- und Rechtsgefüge
der Bundesrepublik Deutschland
Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) ­ einer von drei Nachrichten-
diensten in der Bundesrepublik Deutschland
12
­ ist als Bundesbehörde auch
für die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder zum Schutz der Verfas-
6
Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des
Verfassungsschutzes (BVerfSchG), § 4 Abs. 2, BGBl. I S. 2954, 2970, zuletzt geändert am
20. Juni 2013, BGBl. I S. 1602; P. Badura, Legitimation des Verfassungsschutzes, S. 28;
Udo Wittmoser, Landesämter für Verfassungsschutz, S. 44.
7
BVerfSchG, § 4 Abs.2.
8
Wolfgang Buschfort, Geheime Hüter der Verfassung, S. 52; U. Wittmoser, a.a.O., S. 28ff.;
Alexander Hirsch, Die Kontrolle der Nachrichtendienste; S. 29ff.
9
Hartmut Maurer, Staatsrecht I. § 23, Rn. 1-4; BVerfSchG § 20 I 2; GVG §§ 74a, 120;
BVerfGE 100, 313; W. Joecks/K. Miebach, Münchener Kommentar zum StGB, Lam-
pe/Hegmann, Bd. 3, Vorbemerkung zu §§ 93ff., Rn. 24-26.
10
P. Badura, a.a.O., S. 35.
11
Wolfgang Schatzschneider, Ermittlungstätigkeit der Ämter für Verfassungsschutz und
Grundrechte, S. 57.
12
Neben dem BfV sind das der Bundesnachrichtendienst (BND) und der Militärische Ab-
schirmdienst (MAD).

5
sung zuständig.
13
Als Inlandsnachrichtendienst ist er für die Spionageab-
wehr verantwortlich, kann Informationen und personenbezogene Daten
sammeln und auswerten. Er darf sogenannte nachrichtendienstliche Mittel
wie Observation, Einsatz von Vertrauenspersonen (V-Leute), Einsatz von
verdeckten Ermittlern, heimliches Abhören ohne technische Mittel, verdeck-
tes Ermitteln, heimliches Beobachten, Bildaufzeichnungen, Verwendung
von Legenden, Tarnpapieren und Tarnkennzeichen, heimliches Beobachten
und sonstiges Aufklären des Internets sowie Überwachungen des Telefon-,
Brief- und Fernmeldeverkehrs nach Maßgabe des Artikel 10-Gesetzes ­ G
10 zur heimlichen Informationsbeschaffung anwenden.
14
Das Amt hat keine
Polizeibefugnis und ist komplett von der Polizei zu trennen. Dieses Tren-
nungsgebot wurde von den Alliierten ausdrücklich im sogenannten Polizei-
brief vom 14. April 1949 vorgegeben.
15
2. Rechtliche Grundlagen des Verfassungsschutzes
Der Verfassungsschutz fußt auf grundgesetzlichen und einfachgesetzlichen
Normen. Rechtliche Grundlagen für die Tätigkeit des Bundesamtes für Ver-
fassungsschutz sind neben Art. 87 I 2 GG (Staatsaufgabe) und Art. 73 I Zif-
fer 10 Var. b GG (Zuordnung) die Verfassungsschutztrias des Grundgeset-
zes (Art. 9 II, Art. 18, Art. 21 II GG) und das Bundesverfassungsschutzge-
setz (BVerfSchG).
16
Ebenso zählen das Gesetz über die parlamentarische
Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes (PKGr-Gesetz), das
Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Ar-
tikel 10-Gesetz ­ G 10) sowie das Sicherheitsüberprüfungsgesetz (SÜG) zu
den rechtlichen Grundlagen für das BfV.
17
Für die Landesämter für Verfas-
sungsschutz (LfV) gibt es entsprechende Gesetze in den Bundesländern.
18
13
T. Maunz/G. Dürig, Grundgesetz, Ibler, Art. 87, Rn. 135ff.; Peter Badura, Staatsrecht. S.
716; Bernadette Droste, Handbuch des Verfassungsschutzrechts, S. 51ff.; Christoph Gröpl,
Die Nachrichtendienste im Regelwerk, S. 56ff.
14
BVerfSchG §§ 8ff.; B. Droste, a.a.O., S. 225.
15
BVerfSchG § 8 III 1; B. Droste, a.a.O., S. 13ff; T. Maunz/G. Dürig, a.a.O., Rn. 143;
Chri-stoph Gusy, Das verfassungsrechtliche Trennungsgebot von Polizei und Nachrichten-
dien-sten, ZRP 1987, S. 45ff.; Kay Nehm, Das nachrichtendienstliche Trennungsgebot und
die neue Sicherheitsarchitektur, NJW 2004, S. 3289f.
16
Hartmut Maurer, Staatsrecht I, § 23, Rn. 6-10; Frederik Roggan/Martin Kutscha, Hand-
buch zum Recht der Inneren Sicherheit, S. 62; BVerfSchG, BGBl. I S. 2954, 2970.
17
PKGrG, BGBl. I S. 2346; Artikel 10-Gesetz ­ G 10, BGBl. I S. 1254; SÜG, BGBl. I 867.
18
Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG), GVBl 1997, S. 70, zuletzt geändert am
24. Juni 2013, S. 373; Gesetz über den Verfassungsschutz in Baden-Württemberg (LVSG)
vom 5. Dezember 2005, GBl. 2006, 1; Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin (VSG
Bln) vom 25. Juni 2001, GVBl. S. 305, zuletzt geändert am 1. Dezember 2010, GVBl., S.

6
II) Der Verfassungsschutz als Akteur im Kampf gegen Extremismus
Durch den Kampf gegen Terrorismus und Extremismus aufgrund neu ent-
standener Bedrohungsszenarien (etwa Islamismus) steht der Verfassungs-
schutz als staatlicher Akteur vor neuen Herausforderungen durch Auswei-
tung der Angriffsmöglichkeiten und -ziele sowie der Radikalität der An-
schläge und Vorgehensweisen.
19
Dabei entstehen rechtliche Konfliktlinien
durch Anwendung technischer und elektronischer Überwachungsinstrumen-
te zwischen einer gesellschaftlich gewollten Veränderung zu mehr Offenheit
und Transparenz auf der einen Seite und den durch erhöhte globale Sicher-
heitsrisiken wie Terrorismus und organisierte Kriminalität notwendigen,
intensiven Eingriffen durch staatliches Handeln in die Grundrechte der Bür-
ger andererseits.
20
Es werden etwa durch die Schaffung neuer sicherheitspo-
litischer Instrumente wie dem Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum
(GTAZ) weitere Anforderungen an die Kontrolle des Verfassungsschutzes
gestellt. So wird durch die erweiterten Kompetenzen des Verfassungsschut-
zes im Rahmen der Terrorismusbekämpfung eine Aufweichung des Tren-
nungsgebotes zwischen Nachrichtendiensten und Polizei befürchtet.
21
534; Gesetz über den Verfassungsschutz im Land Brandenburg (BbgVerfSchG) vom 5.
April 1993, GVBl.I 93, Nr. 04, S.78, zuletzt geändert am 24. Mai 2004, GVBl.I/04, Nr. 09,
S.214; Gesetz über den Verfassungsschutz im Lande Bremen (BremVerfSchG) vom
17. Dezember 2013, Brem.GBl. S. 769; Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz (Hmb-
VerfSchG) vom 7. März.1995, HmbGVBl. S. 96, zuletzt geändert am 19. Juni 2013,
HmbGVBl. S. 293; Gesetz über das Landesamt für Verfassungsschutz Hessen (VerfSchG),
vom 19. Dezember 1990, GVBl. I S. 753, zuletzt geändert am 27. Juni 2013, GVBl. S. 444;
Gesetz über den Verfassungsschutz im Lande Mecklenburg-Vorpommern (LVerfSchG M-
V) vom 11. Juli 2001, GVOBl. M-V 2001, 261, zuletzt geändert am 2. Juli 2013, GVOBl.
M-V S. 434; Gesetz über den Verfassungsschutz im Lande Niedersachsen (NVerfSchG )
vom 6. Mai 2009, Nds. GVBl. S. 154, zuletzt geändert am 19. Juni 2013, Nds. GVBl. Nr.
10/2013, S. 158; Gesetz über den Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen (VSG NRW)
vom 20. Dezember 1994, GV. NW. 1995 S. 28, zuletzt geändert am 21. Juni 2013; GV.
NRW. S. 367; Landesverfassungsschutzgesetz Rheinland-Pfalz (LVerfSchG) vom 6. Juli
1998, GVBl 1998, 184, zuletzt geändert am 20.12.2011, GVBl. S. 427; Saarländisches
Verfassungsschutzgesetz (SVerfSchG) vom 24. März 1993, Amtsblatt 1993, S. 296, zuletzt
geändert am 26. Oktober 2010, Amtsbl. I S.1406; Gesetz über den Verfassungsschutz im
Freistaat Sachsen (SächsVSG) vom 16. Oktober 1992, SächsGVBl. S. 459, zuletzt geändert
am 17. Dezember 2013, SächsGVBl. S. 890; Gesetz über den Verfassungsschutz im Land
Sachsen-Anhalt (VerfSchG-LSA) vom 6. April 2006, GVBl. LSA 2006, 236; Gesetz über
den Verfassungsschutz im Lande Schleswig-Holstein (LVerfSchG) vom 23. März 1991,
GVOBl. 1991, 203, zuletzt geändert am 21. Juni 2013, GVOBl. S. 254; Thüringer Verfas-
sungsschutzgesetz (ThürVSG) vom 30. Juli 2012, GVBl. 2012, 346.
19
Nikolas Dörr/Till Zimmermann, Die Nachrichtendienste der Bundesrepublik Deutsch-
land, S. 41; Johannes Saurer, Die Ausweitung sicherheitspolitischer Regelungsansprüche
im Kontext der Terrorismusbekämpfung, NVwZ 2005, S. 275f.
20
Wolfgang Krieger, Geschichte der Geheimdienste, S. 340.
21
Martin Kutscha, Die Antinomie des Verfassungsschutzes, NVwZ 2013, S. 325; Frederik
Roggan/Nils Bergemann, Die ,,neue Sicherheitsarchitektur" der Bundesrepublik Deutsch-
land, NJW 2007, S. 876f; Niclas-Frederic Weisser, Das Gemeinsame Terrorismusabwehr-
zentrum /GTAZ), NVwZ 2011, S. 142f.

7
III) Die Legitimation der Kontrolle durch Judikative und Exekutive
Die Legitimation der Kontrolle des Verfassungsschutzes wird zwar nicht
konkret im Grundgesetz festgeschrieben, erwächst aber aus dem Grundsatz
der Gewaltenteilung als gegenseitige Kontrolle von Legislative, Judikative
und Exekutive.
22
Das Bundesverfassungsgericht hat als Kern der Gewalten-
teilung ,,die wechselseitige Begrenzung und Kontrolle staatlicher Macht"
bestimmt.
23
Als weitere Rechtsgründe für die Kontrolle bestehen mehrere
Erklärungsansätze, darunter etwa die Demokratie- und Rechtsstaatsprinzi-
pien des Grundgesetzes.
24
Dieser Kontrolle wird für die Bundesrepublik
Deutschland sogar der Rang als Verfassungsprinzip zugestanden und auch
als Prinzip wechselseitiger Machtbegrenzung gesehen.
25
Im System der
Gewaltenteilung und der gegenseitigen Kontrolle steht die Aufsicht durch
Exekutive und Judikative allerdings im Gegensatz zur politischen Kontrolle
durch die Legislative.
26
Als besondere Aufgabe der Kontrolle wird das Ent-
gegenwirken der ,,Selbstherrlichkeit der vollziehenden Gewalt" gesehen.
27
Es gibt aber auch die Auffassung, dass die Kontrolle eines Nachrichten-
dienstes keiner Begründung bedürfe, sondern nur dann eine Legitimation
erfolgen müsste, wenn eine Kontrolle nicht stattfindet.
28
B) Die Kontrolle des Verfassungsschutzes durch die Judikative
Die Judikative ­ auch dritte Gewalt genannt ­ ist als Rechtssprechung deut-
lich von den beiden anderen Gewalten getrennt.
29
Die rechtssprechende
Gewalt wird von unabhängigen Richtern vollzogen und durch Gerichte aus-
geübt, die somit eine besondere organisatorische Einheit der staatlichen
Gewalt darstellen.
30
22
P. Badura, Staatsrecht, S. 364ff.; Christoph Degenhart, Staatsrecht I, S. 116; A. Hirsch,
Die Kontrolle der Nachrichtendienste, S. 59; Andreas Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den
Richter, S. 45.
23
BVerfGE 30, 1, 28.
24
Dominic Hörauf, Die demokratische Kontrolle des Bundesnachrichtendienstes, S. 52.
25
Karl-Ulrich Meyn, Kontrolle als Verfassungsprinzip, S. 183ff; A. Voßkuhle, Rechtsschutz
gegen Richter, S. 258.
26
Heinrich Amadeus Wolff, Der nachrichtendienstliche Geheimnisschutz und die parlamen-
tarische Kontrolle, JZ 4/2010, S. 175.
27
BVerfGE 10, 264, 267.
28
Christoph Gusy, Parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste im demokratischen
Rechtsstaat, S. 37f.
29
Klaus Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, § 20 IV 5c.
30
Helge Sodan (Hrsg.), Grundgesetz, Leisner, Art. 20, Rn. 32; ders., a.a.O., Art. 92, Rn.
1ff.

8
I) Rechtsweggarantie und Bindung an Recht und Gesetz
,,Demokratie ist gewiss ein preisenswertes Gut, Rechtsstaat aber ist wie das
tägliche Brot, wie Wasser zum Trinken und wie Luft zum Atmen und das
Beste an der Demokratie gerade dieses, daß nur sie geeignet ist, den
Rechtsstaat zu sichern."
31
Knapp 15 Monate nach Ende des nationalsozia-
listischen Terrorregimes in Deutschland formulierte Gustav Radbruch in
diesem Satz prägnant die eminente Bedeutung des Rechtsschutzes, gleich-
sam als Auftrag für den Neuanfang Deutschlands. In Art. 19 IV GG wird
eine effektive Rechtsschutzgarantie als Grundrecht festgelegt. Danach steht
jedem, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, der
Rechtsweg offen.
32
Ebenso wesentlich ist die Bindung staatlicher Gewalt an
Recht und Gesetz gem. Art. 20 III GG.
33
Sie drückt den Grundsatz der Ge-
setzmäßigkeit der Verwaltung aus und sichert die Verwirklichung des
Rechtsstaats bei der Ausübung öffentlicher Gewalt.
34
Damit sind auch die
evidenten Grundlagen und Vorgaben zur Kontrolle des Verfassungsschutzes
durch die Judikative gegeben. Gerichte prüfen, ob die Rechte der von der
Tätigkeit einer Behörde betroffenen Bürger gewahrt werden.
35
1. Gesetzmäßigkeit und Rechtsschutz nach Art. 19 IV und 20 III GG
Das in der Literatur oft zitierte Wort vom ,,Schlussstein im Gewölbe des
Rechtsstaats"
36
macht deutlich, welche Bedeutung der Rechtsweggarantie
nach Art. 19 IV GG zukommt. Dieser Grundgesetz-Artikel beinhaltet eine
Rechtsweggarantie, die als Rechtsschutz- und Gerichtsweggarantie gegen-
über Akten der öffentlichen Gewalt durch die Exekutive verstanden wird.
37
Die Rechtsschutzgewährung wird als Staatsaufgabe von der Gerichtsbarkeit
gem. Art. 1 III GG als grundrechtsverpflichtetes Staatsorgan gewährleistet.
38
Art. 19 IV GG ist als subjektives Recht mit Grundrechtsstatus zu sehen.
39
31
Gustav Radbruch, Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht, Süddeutsche Juri-
sten-Zeitung, Jg. 1 (1946) Nr. 5, S. 108.
32
P. Badura, Staatsrecht, S. 764; T. Maunz/G. Dürig, Grundgesetz, Schmidt-Aßmann, Art.
19 Abs. 4, Rn. 1ff.
33
T. Maunz/G. Dürig, a.a.O., Herzog/Grzeszik, Art 20, Rn. 59ff.
34
P. Badura, a.a.O., S. 373f.
35
Christoph Gusy, Grundrechte und Verfassungsschutz, S. 85.
36
Richard Thoma, Über die Grundrechte im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutsch-
land, S. 9.
37
P. Badura, Staatsrecht, S. 764.
38
Klaus Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/2, S. 1429.
39
T. Maunz/G. Dürig, Grundgesetz, Schmidt-Aßmann, Art. 19 Abs. 4, Rn. 6-8; K. Stern,
a.a.O., S. 1438; Bodo Pieroth/Bernhard Schlink, Grundrechte, S. 279.

9
Diese Vorschrift stellt den verfassungsrechtlichen Vorrang der gerichtlichen
Kontrolle vor der reinen Selbstkontrolle der Verwaltung klar.
40
Der grund-
gesetzliche Anspruch auf effektiven Rechtsschutz gem. Art. 19 IV GG wird
als Rechtsschutz durch den Richter, nicht gegen den Richter definiert.
41
Würde man Art. 19 IV GG so verstehen, dass gegen jede gerichtliche Ent-
scheidung der Rechtsweg eröffnet sein müsste, würde ein unendlicher
Kreislauf von Entscheidungen und Überprüfungen ohne Chance auf Rechts-
sicherheit in Gang gesetzt.
42
Als problematisch wird gesehen, dass sich nach
der Fragestellung ,,sed quis custodiet ipsos custodes?" aus Art. 19 IV GG
kein verfassungsrechtlich abgesicherter Rechtsschutz gegen den Richter
ergibt.
43
Während Art. 19 IV GG den Zugang zum Verfahren sichert, zielt
Art. 103 I GG hingegen auf einen angemessenen Ablauf des Verfahrens.
44
Die Gerichtsbarkeit selbst dient dabei nicht nur dem Schutz der Grundrech-
te, sondern gehört gem. Art 1 III GG zu den grundrechtsverpflichteten
Staatsorganen. ,,Art. 19 IV GG garantiert nicht nur das formelle Recht und
die Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern auch die Effektivität des
Rechtsschutzes; der Bürger hat einen substantiellen Anspruch auf eine tat-
sächlich wirksame gerichtliche Kontrolle", formuliert das Bundesverfas-
sungsgericht im sogenannten Volkszählungsurteil.
45
Zu den wichtigsten Prinzipien der rechtsstaatlichen und demokratischen
Ordnung der Bundesrepublik Deutschland gehört der Grundsatz der Ge-
setzmäßigkeit.
46
Gesetzesvorrang und Gesetzesvorbehalt als Bestandteile
der Gesetzmäßigkeit legen fest, dass die Exekutive samt Verfassungsschutz
bei der Erfüllung ihrer Aufgaben ausnahmslos an das Gesetz gebunden ist
und Eingriffe der Ermächtigung durch das Gesetz bedürfen.
47
Art. 20 III GG
legt ebenso fest, dass die Rechtssprechung an ,,Gesetz und Recht" gebunden
ist.
48
Die Grundrechte verpflichten die öffentliche Gewalt, verfassungsrecht-
40
Friedhelm Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 1, Rn. 21.
41
T. Maunz/G. Dürig, a.a.O., Schmidt-Aßmann, Art. 19 Abs. 4, Rn. 17.
42
H. Sodan (Hrsg.), Grundgesetz, Sodan, Art. 19 IV, Rn. 28.; BVerfGE 49, 329, 340;
BVerfGE 76, 93, 98
43
A. Voßkuhle, Rechtsschutz gegen Richter, S. 341.
44
BVerfG, 1 PBvU 1/02 vom 30. April 2003.
45
BVerfGE 65, 1; BVerfGE 53, 115, 127f.
46
T. Maunz/G. Dürig, Grundgesetz, Herzog/Grzeszik, Art. 20, Rn. 72, 75; Katharina von
Schlieffen, Das Prinzip Rechtsstaat, S. 112f.; C. Degenhart, Staatsrecht I, S. 117ff.
47
P. Badura, Staatsrecht, S. 375; K. von Schlieffen, a.a.O., S. 104ff.; Michael Soiné, Zuläs-
sigkeit und Grenzen heimlicher Informationsbeschaffung, S. 85.
48
GG Art 20 III; P. Badura, a.a.O., S. 378.

10
lich normierte Rechte und Freiheiten zu gewährleisten.
49
Die gerichtliche
Kontrolle stellt dabei eine Überprüfung am Maßstab und mit den Methoden
des Rechts dar. Kontrolle als Soll-Ist-Vergleich vollzieht sich als Rechtsan-
wendungskontrolle ,,im Dreiklang von Definition, Tatsachenfeststellung und
Subsumtion."
50
2. Problematik des Zugangs zum Rechtsweg bei Nachrichtendiensten
Ein möglicher Rechtsschutz gegen Aktivitäten eines Nachrichtendienstes,
hier gegen die Aktivitäten der Ämter für Verfassungsschutz, spielt sich auf
zwei Ebenen ab. Es gibt auf der einen Seite den gerichtlichen Rechtsschutz
der individuellen Kontrolle, der in das Rechtssystem eingebunden ist.
51
Die
zweite Ebene ist die des parlamentarischen Rechtsschutzes durch besondere
Kommissionen und Kontrollgremien wie die G 10-Kommission, die in die-
sen Ausführungen nicht näher behandelt werden.
52
Wer sich per Rechtsweg gegen einen Akt oder eine Maßnahme des Verfas-
sungsschutzes wehren will, muss erst einmal wissen, dass eine solche Maß-
nahme überhaupt stattgefunden hat!
53
Da die Tätigkeit eines Nachrichten-
dienstes in der Regel geheim ist und heimliches Handeln in der Natur des
Verfassungsschutzes liegt, erfahren betroffene Bürger oft nichts von einer
Überwachung.
54
Es könnte somit also sein, dass der grundgesetzlich garan-
tierte Rechtsschutz gem. Art. 19 IV GG gegen Akte der öffentlichen Gewalt
nur bedingt greift.
55
Einen guten Hinweis auf diese Problematik gibt der
Rechtsweg gegen G 10-Anordnungen, der erst nach Betroffenheitsmittei-
lung gem. § 13 Art. 10-Gesetz ­ G 10 möglich ist. Allerdings sind diese
Anordnungen nur eingeschränkt justiziabel, da die G 10-Kommission die
Mitteilung gem. § 12 I Art. 10-Gesetz ­ G 10 zurückstellen oder gar dauer-
haft verweigern kann. Im Jahr 2008 stellten etwa die Nachrichtendienste
384 Anträge auf teilweise oder gänzliche Zurückstellung. In 220 Fällen ge-
währte die G 10-Kommission eine zeitweilige, in 64 Fällen eine dauerhafte
49
Hans-Uwe Erichsen/Dirk Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, Badura, S. 493.
50
Eberhard Schmidt-Aßmann, Verwaltungskontrolle, S. 21.
51
Thorsten Kornblum, Rechtsschutz gegen geheimdienstliche Aktivitäten, S. 116.
52
Vgl. Fußnote 2 sowie A. Kirsch, Die Kontrolle der Nachrichtendienste und Erik Han-
salek, Die parlamentarische Kontrolle.
53
Christoph Gusy, Grundrechte und Verfassungsschutz, S. 87.
54
Hans-Jürgen Papier/Wolfgang Dürner, Streitbare Demokratie, S. 361.
55
Hans H. Rupp, Rechtsschutz und Verfassungsschutz, in: Bundesministerium des Innern,
Verfassungsschutz und Rechtsstaat S. 168.

11
Zurückstellung der Mitteilung an den Betroffenen. Nur in 100 Fällen wur-
den die Mitteilungen genehmigt.
56
Aus dem Umstand heraus, keine Kenntnis zu haben, resultiert für den Ver-
waltungsrechtsweg beispielsweise daraus die Problemstellung, dass gem.
§ 42 II VwGO nur derjenige klagebefugt ist, der geltend macht, durch eine
staatliche Maßnahme in seinen Rechten verletzt worden zu sein.
57
Eine wei-
tere Problematik des Zugangs zum Rechtsweg bei Nachrichtendiensten
ergibt sich durch den möglichen Konflikt zwischen Geheimhaltungsinteres-
se des Verfassungsschutzes und Aufklärungsinteresse des Gerichtes. Denn
die gerichtliche Sachverhaltsaufklärung kann an Grenzen stoßen, die im
Verwaltungsprozessrecht anhand der prozessualen Informationsansprüche
und der besonderen Rechtsfigur des ,,in camera"-Verfahrens dargestellt
werden können.
58
Dazu wird mehr unter Kapitel III, Absatz 1 dieser Arbeit
ausgeführt. Als einen Sonderfall der Problematik des Zugangs zum Rechts-
weg bei Nachrichtendiensten gibt es sogar die Suspendierung des Rechts-
weges. Einen gesetzlichen Ausschluss des Rechtsweges gem. Art 19. IV GG
besteht durch § 13 des G 10-Gesetzes i.V.m. Art. 10 II GG und Art. 19 IV 3
GG. Der Gesetzgeber hat mit Informationspflichten gem. § 12 G 10-Gesetz
und Auskunftsanspruch gem. § 15 BVerfSchG auf die Grundrechtseingriffe
durch die in diesen Gesetzen begründeten Maßnahmen reagiert und damit
einen anderen Weg der Kontrolle des Verfassungsschutzes geboten.
59
Aus
diesem Grund ist der Auskunftsanspruch im Bereich der Kontrolle des Ver-
fassungsschutzes anzusiedeln.
60
Neben dem Verwaltungsrechtsweg besteht gerichtlicher Rechtsschutz durch Vor-
schriften des Zivil- sowie Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts.
61
Ebenso gibt es
spezialgesetzliche Ansprüche (§ 7 BDSG) oder Amtshaftungsansprüche.
62
56
Deutscher Bundestag, Drs. 16/11559, S. 6; D. Hörauf, Die demokratische Kontrolle des
Bundesnachrichtendienstes, S. 153.
57
C. Gusy, Grundrechte und Verfassungsschutz, S. 87; D. Hörauf, Die demokratische Kon-
trolle des Bundesnachrichtendienstes, S 351; Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), BGBl.
I S. 686, zuletzt geändert am 10. Oktober 2013, BGBL. I S. 3786.
58
C. Gusy, a.a.O., S. 110; Klaus Ferdinand Gärditz/Johannes Orth, Geheimnisschutz im
Verwaltungsprozess, S. 317ff.
59
C. Gusy, Grundrechte und Verfassungsschutz, S.90ff.
60
B. Droste, Handbuch des Verfassungsschutzrechts, S. 602f.
61
B. Droste, a.a.O., S. 602.
62
Monika Rose-Stahl, Recht der Nachrichtendienste, S. 166f; Bundesdatenschutzgesetz
(BDSG), BGBl. IS. 66, zuletzt geändert am 14. August 2009, BGBl. S. 2814.

12
II) Gerichtsverfahren mit Beteiligung des Verfassungsschutzes
Jedem, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird,
steht gem. Art. 19 IV GG der Rechtsweg offen.
63
Sind Bürger durch Maß-
nahmen der öffentlichen Gewalt, also durch Maßnahmen des Bundesamtes
oder der Landesämter für Verfassungsschutz betroffen, haben sie das Recht
bei Gericht zu klagen und die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen überprüfen
zu lassen. Ausführliche Aufstellungen, ob, wie und wie oft das Bundesamt
oder die Landesämter für Verfassungsschutz Beklagter, Beteiligter oder
Kläger, respektive auch Antragsteller, Dritter oder Antragsgegner in verwal-
tungs-, zivil- oder strafrechtlichen Verfahren war, gibt es nach Auskunft
verschiedener Ämter für Verfassungsschutz nicht.
64
Einzig das Landesamt
für Verfassungsschutz des Saarlands teilte mit, dass es in den vergangenen
15 Jahren in vier Fällen Beklagtenpartei in einem Gerichtsverfahren war.
65
Das Landesamt für Verfassungsschutz der Freien Hansestadt Bremen be-
richtete, dass gerichtliche Verfahren eher selten seien. Aktuell gebe es nur
eine Klage einer rechtsextremistisch beeinflussten Hooliganband.
66
Gegenstand gerichtlicher Überprüfung wird der Verfassungsschutz eben-
falls, wenn aufgrund seiner Informationen staatliche oder private Stellen
Maßnahmen gegen Bürger ergreifen, wie etwa bei Einstellungsgesprächen,
Anordnungen von Sicherheitsüberprüfungen oder andere gerichtliche Ver-
fahren. Dabei steht nicht so sehr die Kontrolle der Maßnahme des Verfas-
sungsschutzes im Vordergrund, sondern eher die Prüfung der Rechtmäßig-
keit von Maßnahmen anderer Behörden.
67
1. Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht
Als ,,Hüter der Verfassung"
68
kommt dem Bundesverfassungsgericht eine
ganz besondere Aufgabe innerhalb des Rechtssystems zu. Das Grundgesetz
macht die Vorgabe, dass alle staatliche Gewalt am Maßstab der Verfassung
durch das Instrument der Verfassungsbeschwerde gerichtlich überprüft wer-
63
Helge Sodan, Grundgesetz, Sodan, Art. 19, Rn. 27.
64
Korrespondenz des Verfassers mit dem Bundesamt und den Landesämtern für Verfas-
sungsschutz; Anfrage vom 23. Februar 2014 (unveröffentlicht).
65
Schreiben des Landesamtes für Verfassungsschutz Saarland vom 25. März 2014, AZ
Z/001-S-010001/2014 (unveröffentlicht).
66
Schreiben des Landesamtes für Verfassungsschutz Bremen vom 27. Februar 2014 (un-
veröffentlicht).
67
C. Gusy, Grundrechte und Verfassungsschutz, S. 108f., m.w.N.
68
BVerfGE 1, 184, 195.

13
den kann.
69
Vor dem Bundesverfassungsgericht und den Verfassungsgerich-
ten der Länder können Maßnahmen des Bundesamtes und der Landesämter
angegriffen werden. Eine Möglichkeit besteht in der Organklage nach Art.
93 I Nr. 1 GG i.V.m. §§ 13 Nr. 5, 63ff. BVerfGG, die allerdings nur wenige
berechtige Antragsteller einleiten können, da die Zahl der Organe ­ wie bei-
spielsweise Bundestag oder Bundesregierung ­ sehr begrenzt ist. Jedermann
kann aber mit einer individuellen Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 I Nr.
4a GG i.V.m. §§ 13 Nr. 8a, 90 BVerfGG Klage erheben mit der Rüge einer
spezifischen Grundrechtsverletzung, wobei in der Regel nach Ausschöpfung
des Rechtsweges ein Urteil der letzten Instanz Gegenstand des Verfahrens
ist.
70
Ein Beispiel ist das Organstreitverfahren ,,Fall Ramelow", wobei in
diesem Verfahren die Frage zu klären war, ob die Beobachtung von Abge-
ordneten durch das Bundesamt für Verfassungsschutz mit dem Grundgesetz
vereinbar ist.
71
Der frühere Bundestagsabgeordnete und jetzige Abgeordnete
des Thüringer Landtags, Bodo Ramelow, war wie andere Mitglieder seiner
Partei Die Linke, vom Verfassungsschutz beobachtet worden. Das Bundes-
verfassungsgericht stellte fest, dass durch die Beobachtung eines Abgeord-
neten durch Behörden des Verfassungsschutzes ein unzulässiger Eingriff in
das freie Mandat gemäß Art. 38 I 2 GG vorliegt.
72
Ein weiteres Beispiel ist das erste NPD-Verbotsverfahren, das 2003 vor dem
Bundesverfassungsgericht scheiterte. Grund für das Scheitern war ein Ver-
fahrenshindernis, das in der möglichen Einflussnahme zahlreicher V-Leute
des Bundesamtes sowie einiger Landesämter für Verfassungsschutz auf die
Willensbildung in den Führungsebenen der NPD gesehen wurde. Eine sol-
che Beobachtungspraxis unmittelbar vor und während eines Verbotsverfah-
rens widerspreche rechtsstaatlichen Prinzipien.
73
Ein für die Fragestellung nach der Kontrolle des Verfassungsschutzes
grundlegendes Urteil ist das sogenannte Abhörurteil vom 15. Dezember
1970.
74
In einer Verfassungsbeschwerde wurde die Verfassungsmäßigkeit
von Art. 10 II 2 GG festgestellt, welcher die Möglichkeit einer einfachge-
setzlichen Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses be-
69
H. Sodan, Grundgesetz, Haratsch, Art. 93 GG, Rn. 2.
70
P. Badura, Staatsrecht, S. 133.
71
BVerfG, 2 BvR 2436/10 vom 17. September 2013; NVwZ 2013, 1468.
72
BVerfG, 2 BvR 2436/10 vom 17. September 2013; NVwZ 2013, 1468.
73
BVerfGE 107, 339, 365.
74
BVerfGE 30, 1.

14
inhaltet. Allerdings wurde bei diesem Urteil des Bundesverfassungsgerichts
erstmals eine abweichende Meinung von drei Richtern als Sondervotum
dargestellt.
75
Die Richter Hans Georg Rupp, Gregor Geller und Fabian von
Schlabrendorff stellten fest, dass der neu eingefügte Absatz im Artikel 10
nicht mit der Ewigkeitsklausel des Grundgesetztes, Art. 79 III GG, verein-
bar sei. ,,Es ist ein Widerspruch in sich selbst, wenn man zum Schutz der
Verfassung unveräußerliche Grundsätze der Verfassung preisgibt."
76
2. Verwaltungsprozessrecht und Nachrichtendienste
Grundsätzlich ist gegen das Handeln des Bundesamtes- und der Landesäm-
ter für Verfassungsschutz der Verwaltungsrechtsweg gegeben.
77
Die verwal-
tungsgerichtliche Generalklausel gem. § 40 VwGO erfüllt die Rechtsschutz-
garantie des Art. 19 IV GG dadurch, dass der Verwaltungsrechtsweg in al-
len öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art er-
öffnet ist, solange es keine auf- oder abdrängende Zuweisung an andere Ge-
richte gibt.
78
Aufgabe des Verwaltungsgerichtes ist es, das Handeln der
Verwaltung an den rechtlich vorgegebenen Handlungsgrundlagen zu mes-
sen.
79
Die statthafte Klageart ergibt sich gem. § 88 VwGO aus dem Begeh-
ren des Klägers.
80
Stellen etwa eine begehrte Auskunft oder eine angegriffe-
ne Maßnahme des Verfassungsschutzes einen Verwaltungsakt gem. § 35
VwVfG dar, kommen Anfechtungs- oder zumeist Verpflichtungsklage nach
§ 42 I VwGO als statthafte Klageart in Betracht.
81
Im Gegensatz zu den
heimlichen Maßnahmen des Verfassungsschutzes ist eine Auskunft ein
Verwaltungsakt. Ein etwaiger negativer Bescheid ist dann das nach außen
sichtbare Ergebnis.
82
Da es sich zumeist bei Maßnahmen des Verfassungsschutzes um schlichtes
hoheitliches Handeln bzw. um Realakte handelt, kann die Rechtswidrigkeit
in einer Feststellungsklage geltend gemacht oder mit einer Leistungsklage
75
Klaus Schlaich/Stefan Korioth (Hrsg.), Das Bundesverfassungsgericht, Korioth, 2. Teil,
Rn. 51-53.
76
BVerfGE 30, 1, Rn. 123-156.
77
A. Hirsch, Die Kontrolle der Nachrichtendienste, S. 125.
78
F. Kopp/W. Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, § 40.
79
P. Badura, Staatsrecht, S. 766; F. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 1 Rn. 1, 4-6.
80
F. Kopp/W. Schenke, a.a.O., § 88.
81
T. Kornblum, Rechtsschutz gegen geheimdienstliche Aktivitäten, S. 319; Verwaltungs-
verfahrensgesetz (VwVfG), BGBl. I S. 102, zuletzt geändert am 25. Juli 2013, BGBl. I S.
2749.
82
T. Kornblum, a.a.O., S. 320.

15
durchgesetzt werden.
83
Diese Klagearten sind die häufigsten Verfahrensar-
ten, bei denen die Ämter für Verfassungsschutz beteiligt sind, da aufgrund
der Natur des behördlichen Handelns die eigentlich häufigsten Verfahrens-
arten vor Verwaltungsgerichten wie die Verpflichtungsklage kaum zum
Tragen kommen.
84
Ein typisches Beispiel dafür ist ein Verfahren vor dem
Oberverwaltungsgericht Münster, in der die Feststellung begehrt wird, dass
der Geheimschutzbeauftragte des Bundesamtes für Verfassungsschutz dem
Kläger die Ermächtigung zum Zugang zu Verschlusssachen rechtswidrig
entzogen habe.
85
Einem Mitarbeiter des BfV war der Zugang zu Verschluss-
sachen entzogen worden, nachdem die Möglichkeit bestand, dass dienstliche
Informationen des Mitarbeiters seinem Schwager mitgeteilt und bei krimi-
nellen Handlungen benutzt würden. Als Beispiel für eine eher seltene Ver-
pflichtungsklage kann ein Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Göttingen
genannt werden, in dem das Niedersächsische Landesamt für Verfassungs-
schutz verpflichtet werden sollte, bestimmte Daten einer Person zu löschen.
Der Kläger, ein Journalist aus Göttingen, wollte wissen, welche Daten beim
Niedersächsischen Landesamt für Verfassungsschutz über ihn gespeichert
seien. Die Angaben der Behörden umfassten mehrere Teilnahmen an De-
monstrationen und die Mitarbeitet bei einem Stadtradio. Dazu gab es weite-
re Daten, die aber mit einer Sperrerklärung versehen waren. Das Gericht
folgte dem Antrag, die bekannten Daten zu löschen. Die Informationen mit
Sperrvermerk blieben bestehen.
86
3. Auskunftsanspruch gem. § 15 BVerfSchG bzw. Landesregelungen
Grundlagen für Gerichtsverfahren sind auch die Informationsansprüche, die
in den Verfassungsschutzgesetzen des Bundes und der Länder bzw. in den
Datenschutzgesetzen festgelegt sind.
87
Das Recht auf Auskunftserteilung
wird als Versuch des Gesetzgebers gesehen, grundrechtlich fundierte Aus-
kunftsansprüche und berechtigte Geheimhaltungsinteressen des Verfas-
83
B. Droste, Handbuch des Verfassungsschutzrechts, S. 602; M. Rose-Stahl, Recht der
Nachrichtendienste, S. 166.
84
T. Kornblum, a.a.O., S. 319f.
85
OVG Münster, Beschluss vom 20. Juni 2007, 1 A 992/06; NVwZ 2008, S. 341.
86
VG Göttingen, Urteil vom 6. November 2013, 1 A 246/11; BeckRS, 2013, 58002.
87
Als Beispiel für viele: BVerfSchG § 15, Bundesdatenschutzgesetz (BDSG), § 19, BGBl.
I S. 66, zuletzt geändert am 14. August 2009, BGBl. I S. 2814; C. Gusy, Grundrechte und
Verfassungsschutz, S. 91.

16
sungsschutzes zum Ausgleich zu bringen.
88
Der allgemeine datenschutz-
rechtliche Auskunftsanspruch nach § 19 BDSG kommt aber neben § 15
BVerfSchG nicht in Betracht, da seine Anwendung durch § 27 BVerfSchG
ausgeschlossen wird.
89
Die Einordnung der in den Bundes- und Landesverfassungsschutzgesetzen
normierten Auskunftsansprüche in die Kontrollthematik erfährt dadurch ihre
weitere Berechtigung, dass sich das Auskunftsersuchen in der Praxis wie die
Kontrolle einer nachrichtendienstlichen Tätigkeit auswirkt und nicht selten
zur Einschaltung des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die In-
formationsfreiheit führt oder eine gerichtliche Kontrolle nach sich zieht.
90
Sowohl die Auskunftserteilung als auch ihre Versagung werden auch des-
halb als Verwaltungsakt nach § 35 VwVfG gesehen, da durch das Begehren
eines Bürgers nach Auskunft ein hoheitliches Rechtsverhältnis mit Außen-
wirkung entstanden ist.
91
Ein Beispiel für ein solches Auskunftsbegehren
mit anschließender gerichtlicher Kontrolle ist ein Verfahren vor dem Ober-
verwaltungsgericht Bremen, in dem ein Bürger beim Landesamt für Verfas-
sungsschutz Bremen beantragte, ihm eine Auskunft über die zu seiner Per-
son gespeicherten Daten im Zusammenhang mit einem Vorfall während des
Besuchs des damaligen CDU-Generalsekretärs Heiner Geißler im Dezember
1977 zu geben. Das Begehren wurde abgelehnt, der eingelegte Widerspruch
blieb erfolglos. Er wollte dann vor Gericht ­ ebenfalls erfolglos ­ die Ver-
pflichtung zum Erlass eines Verwaltungsakts gem. § 42 I VwGO errei-
chen.
92
4. Informationspflicht gem. § 12 G-10 Gesetz
Überwachungs- und Abhörmaßnahmen durch Ämter des Verfassungsschut-
zes geben ebenfalls Anlass für eine gerichtliche Kontrolle.
93
Gem. § 12 G-
10 Gesetz ­ G 10 sind Beschränkungsmaßnahmen des Brief-, Post- und
Fernmeldegeheimnisses nach Abschluss den Betroffenen mitzuteilen.
94
Die
88
Fabian Scheffczyk/Heinrich Amadeus Wolff, Recht auf Auskunftserteilung, S. 1319.
89
T. Kornblum, Rechtsschutz gegen geheimdienstliche Aktivitäten, S. 137.
90
B. Droste, Handbuch des Verfassungsschutzrechts, S. 602f.
91
Hans-Ulrich Evers, Rechtsschutz und Verfassungsschutz, S. 110ff.; B. Droste, a.a.O., S.
603.
92
OVG Bremen, Urteil vom 26. Oktober 1982, 1 BA 15/81; NVwZ 1983, S. 358.
93
T. Kornblum, Rechtsschutz gegen geheimdienstliche Aktivitäten, S. 65; C. Gusy, Grund-
rechte und Verfassungsschutz, S. 89f.
94
Art. 10-Gesetz ­ G 10, § 12.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2014
ISBN (eBook)
9783958208803
ISBN (Paperback)
9783958203808
Dateigröße
4 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
FernUniversität Hagen
Erscheinungsdatum
2015 (Oktober)
Note
1
Schlagworte
wächter möglichkeit effizienz kontrolle verfassungsschutzes judikative exekutive
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Titel: Wer überwacht die Wächter? Möglichkeit und Effizienz der Kontrolle des Verfassungsschutzes durch Judikative und Exekutive
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