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Übertragungsmöglichkeiten des Toyota Production System auf den Prozess der Kreditsachbearbeitung

©2005 Diplomarbeit 79 Seiten

Zusammenfassung

Zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit innerhalb der Bankenlandschaft sind Umstrukturierungen notwendig, jedoch existieren nur wenige Aussagen über die Art und Weise der nötigen Veränderungen. Im Gegensatz zu den Kreditinstituten selbst hat der Automobilkonzern Toyota die von den Banken formulierten Ziele bereits verwirklicht. Die Ursache dafür liegt im „Toyota Production System“. Die vorliegende Studie untersucht die Übertragbarkeit dieses Systems auf Dienstleistungsunternehmen und speziell den Prozess der Kreditsachbearbeitung. Dabei wird auf bankspezifische Probleme eingegangen und insbesondere zwischen Privat- und Firmenkundengeschäft unterschieden.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


IV
Abkürzungsverzeichnis
AP Arbeitsproduktivität
BaFin
Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht
BGB Bürgerliches
Gesetzbuch
CIR Cost-Income-Ratio
GL Gesamtleistung
h Arbeitsstunde
IMVP
International Motor Vehicle Programm
IuK
Information und Kommunikation
KVP Kontinuierlicher
Verbesserungsprozess
KredWG
Gesetz über das Kreditwesen
MaK
Mindestanforderungen an das Kreditgeschäft
MIT
Massachusetts Institute of Technology
TPS
Toyota Production System
TQM
Total Quality Management
VL Vorleistungen
VR Volks-
und
Raiffeisen
WS Wertschöpfung

1
1 Einleitung
Wie die relativ schlechten Kosten-Ertrags-Quoten und Eigenkapitalrenditen der
deutschen Kreditinstitute belegen, arbeiten die Banken im Vergleich zu den in-
ternationalen Konkurrenzinstituten ineffizient und unprofitabel.
1
Besonders das
Kreditgeschäft ­ als eines der Kerngeschäftsfelder von Banken ­ trägt mit sin-
kenden Margen und hohem Kostendruck mit zu dieser Entwicklung bei. Die Be-
strebungen im Bankengewerbe zielen folglich auf strukturelle Veränderungen im
Kreditprozess, welche die Produktivität erhöhen, die Kosten senken und die Qua-
lität nicht vernachlässigen.
2
Dass zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit innerhalb der Bankenlandschaft
Umstrukturierungen notwendig sind steht außer Frage, jedoch gibt es bis jetzt
wenige Aussagen über die Art und Weise, wie diese in der Praxis umgesetzt
werden können. Als ein möglicher Lösungsansatz erscheint der Blick auf einen
völlig anderen Wirtschaftszweig.
Im Gegensatz zu den Kreditinstituten hat der Automobilkonzern Toyota die von
den Banken formulierten Ziele bereits verwirklicht. Durch nachhaltig erfolgrei-
che Unternehmenskennzahlen dokumentiert, zählt der japanische Fahrzeugher-
steller zu den profitabelsten Automobilbauern der Welt und kann entgegen dem
negativen Branchentrend Rekordgewinne vermelden. Trotz gestiegener Roh-
stoffpreise und negativer Währungseffekte erzielte Toyota im abgelaufenen Ge-
schäftsjahr bei einem Umsatz von 136,7 Mrd. EUR einen Gewinn von 8,6 Mrd.
EUR. Die Aussagekraft der Zahlen wird verstärkt, wenn man vergleichsweise
das Ergebnis von Daimler-Chrysler betrachtet, das mit 142,0 Mrd. EUR zu 2,4
Mrd. EUR deutlich schlechter ausfällt. Darüber hinaus produzierte Toyota 10,3
Prozent mehr Fahrzeuge als im Vorjahr.
3
Gleichzeitig führen die Japaner regel-
mäßig die Liste von Automobilfirmen in einer Erhebung an, welche jährlich die
Kundenzufriedenheit deutscher Autofahrer mit ihrer Marke untersucht.
4
Als Ursache für den Erfolg Toyotas gilt das ,,Toyota Production System" (TPS).
Dabei handelt es sich um ein Produktionssystem, das bereits Industrieunterneh-
men anderer Branchen auf ihre Arbeitsabläufe übertragen.
1
Vgl. Moormann/Möbus (2004), S. 29.
2
Vgl. Krause (2003), S. 448; Petzel (2005), S. 91; Speek/Golembiewski (2004), S. 23.
3
Vgl. o.V. (2005), o. S.
4
Vgl. o.V. (2005), S. 18.

2
Ziel dieser Arbeit ist die Überprüfung, ob ein solcher Transfer auch auf Dienst-
leistungsunternehmen ­ wie es die Banken sind ­ möglich ist und wie diese
Übertragung speziell im Prozess der Kreditsachbearbeitung aussehen kann, um
die von den Banken ausgegebenen Ziele nach dem Erfolgsrezept des TPS zu rea-
lisieren.
Zunächst erfolgt in Kapitel 2 ein Abriss über die Geschichte der industriellen
Fertigung, um die Entstehung des TPS als ein neuartiges Organisationskonzept
nachvollziehen zu können. Im Anschluss daran werden in Abschnitt 3 die einzel-
nen Elemente und Regeln des TPS genannt und erläutert. Es wird aufgezeigt, wie
sie entstanden sind bzw. wie sie bis in die Gegenwart ihre Wirkung entfalten. In
Kapitel 4 erfolgt eine Darstellung des wirtschaftlichen Umfelds von Industrieun-
ternehmen und Banken sowie ein Erklärungsansatz, weshalb das TPS für beide
Branchen zur Lösung von Ertrags- und Kostenproblemen beitragen kann, und
welche Fehlinterpretation des Produktionssystems dabei vermieden werden
muss. Aufbauend auf einer Schilderung über die bisherigen Anwendungsversu-
che des TPS in Industrieunternehmen außerhalb des Toyotakonzerns wird die
Frage erörtert, warum es theoretisch möglich ist, ein für Sachgüter geschaffenes
System auf Dienstleistungen zu übertragen. Im fünften Teil der Arbeit werden
die Möglichkeiten einer praktischen Anwendung des TPS im Kreditgeschäft ­
insbesondere der Kreditsachbearbeitung ­ aufgezeigt. Darüber hinaus wird dar-
gelegt, wie die Unterschiede zwischen Privat- und Firmenkundengeschäft diesen
Transfer des TPS beeinflussen. Eine Betrachtung bankspezifischer Probleme,
welche die Übertragung des Produktionssystems auf die Kreditsachbearbeitung
mit sich bringt, beendet den Abschnitt. Die Arbeit schließt mit einem Fazit.

3
2 Historische Entwicklung industrieller Produktionskonzepte
am Beispiel der Automobilindustrie
2.1 Von der handwerklichen Einzelfertigung zum
Taylorismus/Fordismus
Vor der Wende zum 19. Jahrhundert wurden Automobile in Einzelfertigung her-
gestellt. Ausgerichtet war dieses Konzept auf hochqualifizierte Arbeitskräfte aus
verschiedenen Bereichen, wie z.B. der Konstruktion, dem Maschinenbetrieb und
der Anpassung. Die Fertigung erfolgte mittels Allzweck-Werkzeugmaschinen in
kleinen und mittleren Werkstätten innerhalb einer Region, aber dennoch in de-
zentraler Organisation. Die Methodik der Arbeitserfüllung war nicht vorgegeben,
so dass der Vorteil der Einzelfertigung in ihrer Flexibilität lag, die es ermöglich-
te, individuell auf Kundenwünsche einzugehen und die Kundenbedürfnisse damit
exakt zu befriedigen. Die Produkte waren immer grundverschiedene Unikate.
Nachteile der Einzelfertigung bestanden in hohen Kosten, schwankender Produk-
tionsqualität, einem begrenzten Produktionsvolumen, einem geringen Degressi-
onspotenzial der Produktionskosten bei Herstellung mehrerer Fahrzeuge und dem
Mangel an neuen Technologien.
5
Um die Jahrhundertwende versuchte Frederick Winslow Taylor mit seiner Theo-
rie der ,Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung' die Schwächen der
handwerklichen Einzelfertigung zu überwinden. Seine Rationalisierungsbestre-
bungen setzten bei der Ressource der menschlichen Arbeitskraft an, die durch
Verringerung der Ausbildung und Steigerung der Produktivität billiger und aus-
tauschbar gemacht werden sollte. Die Grundsätze Taylors basieren auf den fol-
genden drei Prinzipien:
6
(1) Die Fertigkeiten des Arbeiters werden losgelöst vom Arbeitsprozess betrach-
tet.
(2) Planung und Ausführung des Arbeitsprozesses erfolgen getrennt voneinander.
(3) Der Arbeitsprozess und seine Ausführung werden durch das Management
kontrolliert.
Diese Prinzipien führten zur Trennung von Kopf- und Handarbeit und begründe-
ten Taylors Grundphilosophie der Arbeitsteilung.
7
Die Entscheidungsspielräume
5
Vgl. Kauper (1994), S. 3; Womack/Jones/Roos (1994), S. 25 ff.
6
Vgl. Bravermann (1980), S. 93 ff.
7
Vgl. Taylor (1995), S. 40.

4
wurden zum Management hin verlagert, welches die komplexen Arbeitsprozesse
in kleine, leicht erlernbare Arbeitsschritte zerlegte. Diese Prozess-Schritte wur-
den weisungsgerecht von verschiedenen Arbeitern unter Aufsicht ausgeführt,
ohne dass diese den Gesamtprozess kannten. Die Spezialisierung auf repetetive
Tätigkeiten sollte die Produktivität der Arbeitskräfte steigern. Taylor entwickelte
das Instrumentarium des Arbeitsstudiums, mit dem die Belastbarkeit von Ma-
schinen, Material und Mensch unter den unterschiedlichsten Bedingungen analy-
siert werden konnte. Mit den Organisationseinheiten an der Spitze und den ge-
ring qualifizierten Arbeitern in untergeordneter Position schaffte die Arbeitstei-
lung eine hierarchische Struktur in den Unternehmen, die durch verschiedene
Kontrollstufen weiter verstärkt wurde.
8
Durch den technologischen Fortschritt setzte der Automobilbauer Henry Ford die
theoretischen Kenntnisse Taylors mit seinem berühmten ,,Modell T" ab dem Jahr
1908 in die Praxis um. Mit Hilfe der Konstruktionsweise von vollständiger Aus-
tauschbarkeit und Passgenauigkeit der Bauteile, die nicht mehr nachbearbeitet
werden mussten, begründete er die standardisierte und mechanisierte Massenpro-
duktion. Zur Sicherstellung der Normeinhaltung der verwendeteten Teile, aber
auch wegen der besseren eigenen Produktionstechniken verzichtete er auf die
Dienste von Zulieferern. Indem Ford alle Vorprodukte (u.a. auch Rohmateria-
lien wie Kautschuk und Erz) selbst erstellte, hatte er nahezu alle Wertschöp-
fungsstufen in sein Unternehmen integriert. Wegen des einfachen Zusammen-
baus der Teile konnte Ford auf qualifizierte Arbeitskräfte verzichten. Die Mon-
tagearbeiter, welche seitdem zentral in Fabriken zusammengefasst wurden, voll-
zogen jeweils nur einen, sich ständig wiederholenden einfachen Arbeitsschritt
unter der Kontrolle eines ,Aufpassers auf Meisterebene'. Bestimmte Fehlerquo-
ten bei der Montage galten dabei als vertretbar. Noch bestehende Mängel wurden
bei einer abschließenden Qualitätskontrolle behoben. Ford entwickelte die Theo-
rie von Taylor weiter und führte das Fließband ein (Fließtechnik). Diese Innova-
tion erhöhte die Produktivität, weil die Arbeiter nicht mehr für verschiedene Ar-
beitsschritte zu dem jeweiligen Montagestand gehen mussten. Des Weiteren ließ
sich das Arbeitstempo durch die Laufgeschwindigkeit der technischen Neuerung
von außen vorgeben.
9
Das Massenproduktionssystem mit seinen Vorteilen in Gestalt der hohen Produk-
tionskapazität, der niedrigen Stückkosten, den Möglichkeiten der Kostendegres-
sion und der damit verbundenen Produktivitätssteigerung löste die handwerkliche
8
Vgl. Türk (1996), S. 54 f.
9
Vgl. Groth/Kammel (1993), S. 115 f.; Womack/Jones/Roos (1994), S. 30 ff.

5
Einzelfertigung im Automobilbau ab.
10
Da der Bildungsstand in der Bevölkerung
allgemein niedrig war, kehrte Ford den Nachteil der Niedrigqualifikation in ei-
nen produktiven Vorteil um, so dass das neue System als revolutionär galt und
wenig später branchenübergreifend in Amerika und danach in Europa angewen-
det wurde. Auch wenn durch die größer werdenden Firmen immer aufwändigere
und schwieriger zu beherrschende Steuerungsfunktionen vonnöten waren und die
komplexer werdenden Produkte eine kosten- und zeitintensive Nachbearbeitung
bei Fertigungsende erforderten, dominierte die arbeitsteilige Massenfertigung bis
in die siebziger Jahre hinein, ohne dass ihr Grundgedanke hinterfragt wurde.
11
2.2 Grenzen der traditionellen Produktionsmethoden
Mit den aufkommenden Änderungen auf den weltweiten Wirtschaftsmärkten, die
im Folgenden genannt werden, zeigten sich gegen Ende des 20. Jahrhunderts die
Schwächen des Arbeitsorganisationstyps von Taylor bzw. Ford:
· Die Globalisierung der Märkte, die Industrialisierung in Niedriglohnländern
und die erhöhte Markttransparenz durch internetbasierten Datenaustausch
führten weltweit zu einem intensiveren Wettbewerb zwischen den Industrieun-
ternehmen und damit zu einem größer werdenden Kostendruck.
· Die Kunden waren nicht länger eine homogene Käuferschaft, sondern wünsch-
ten individuelle Produkte von besserer Qualität bei höherem Serviceanspruch.
· Technologische Entwicklungen ­ vor allem im Bereich der Informations- und
Kommunikations-Technologie (IuK-Technologie) ­ führten zu neuen Organi-
sationsformen, Produktionsverfahren und Produkten, so dass sich Produktle-
benszyklen zunehmend verkürzten.
· Veränderungen der gesellschaftlichen Werteorientierung und ein gesteigertes
Anspruchsdenken standen in Konflikt zur monotonen Arbeitsverrichtung der
Montagearbeiter.
Es wurde deutlich, dass das tayloristisch-fordistisch geprägte Produktionssystem
ideal für die Massenfertigung war, aber unter den neuen Bedingungen an seine
Grenzen stieß. So waren die Produktlebenszyklen zu kurz, um die Degressionsef-
fekte über notwendige hohe Stückzahlen zu nutzen, die Organisationsstrukturen
10
Vgl. Kretschmer (2005), S. 86.
11
Vgl. Kauper (1994), S. 4 f.; Pfeiffer/Weiss (1994), S. 35.

6
zu komplex, um sie flexibel zu gestalten und die Rüstzeiten für einen Serien-
wechsel bei kleinen Stückzahlen zu langwierig.
12
2.3 Lösungsansätze durch ein neuartiges Produktionssystem
Ein Ansatz zur Lösung der Probleme zeichnete sich im Jahre 1990 mit der Veröf-
fentlichung einer Studie des ,,Massachusetts Institute of Technology" (MIT) ab.
Es handelte sich um eine vergleichende Studie, des auf über fünf Jahre angeleg-
ten ,,International Motor Vehicle Programm (IMVP)", in welchem 55 Wissen-
schaftler 90 Montagewerke der Automobilindustrie in 15 Ländern der Erde auf
ihre Leistungsfähigkeiten hin untersuchten. Die Studie umfasste beinahe die
Hälfte der weltweiten Auto-Montagekapazität und wurde von zahlreichen Auto-
mobilkonzernen und Regierungen verschiedener Staaten unterstützt, so dass sie
repräsentativen Charakter hatte.
13
Die Studie offenbarte erhebliche Differenzen
in der Leistungsfähigkeit japanischer Automobilfirmen gegenüber der amerikani-
schen und europäischen Fahrzeugindustrie. Die Automobilproduzenten aus
Fernost konnten durch eine andersartige Organisationsform bessere Markterfolge
erzielen. Als Grund dafür wurde ein in Japan verwendetes, neues Produktions-
system genannt.
14
Das MIT titulierte dieses Fertigungssystem als ,,Lean Produc-
tion" (schlanke Produktion), weil die Verschwendung von Material, Personalein-
satz, Kosten und Zeit reduziert wurde.
15
Die auf Daten der MIT-Studie basieren-
de Abbildung 1 veranschaulicht an vier Kategorien markante Unterschiede zwi-
schen den japanischen, amerikanischen und europäischen Fahrzeugherstellern
der damaligen Zeit.
12
Vgl. Betsch/Thomas (2005), S. 59 f.; Türk (1996), S. 55.
13
Vgl. Womack/Jones/Roos (1994), S. 10 ff., 297 ff.
14
Vgl. Kauper (1994), S. 2.
15
Vgl. Türk (1996), S. 57.

7
Produktivität
(in Std./Auto)
Qualität
(Montagefehler in %)
Teamarbeit
(in %)
Vorschläge
pro
Mitarbeiter
60,0
82,3
97,0
Japanische Werke
Amerikanische Werke
Europäische Werke
16,8
25,1
36,2
61,6
0,4
0,4
69,3
17,3
0,6
100
80
90
60
70
50
10
20
30
40
Abb. 1: Kennzahlen von Automobilwerken im Jahr 1989 (MIT Studie)
16
Die ersten beiden Säulenblöcke lassen erkennen, dass die japanischen Werke
durch die Vermeidung von Verschwendung nicht nur in der Lage waren, effi-
zienter zu arbeiten, sondern es war ihnen gleichzeitig möglich, eine höhere Qua-
lität zu erzeugen. Die letzten beiden Säulenblöcke geben Aufschluss über die
hohe Bedeutung der Teamarbeit und das auf den Mitarbeitern basierende Vor-
schlagswesen innerhalb der Lean Production. Dies sind beides Eigenschaften, die
in Kontrast zur monotonen Arbeit nach Anweisung in der Massenfertigung ste-
hen.
Die Ergebnisse des IMVP belegten, dass mit Hilfe der Lean Production und der
daraus folgenden Effekte (Reduzierung der Verschwendung, Produktivitäts- und
Qualitätssteigerung) das produktionstechnische ,,magische Dreieck", bestehend
aus ,,Qualität", ,,Kosten" und ,,Zeit", aufgelöst werden kann. Während amerika-
nische und europäische Massenproduzenten noch in ,,Entweder-Oder"-
Kategorien dachten, gelang den Anwendern des neuartigen Produktionssystems
ein ,,Sowohl-als Auch", wobei zusätzlich noch die Mitarbeiterzufriedenheit ein-
bezogen werden konnte.
17
Entwickelt, aber von der Allgemeinheit noch nicht wahrgenommen, wurde dieses
japanische mitarbeiter- und kundenorientierte System bereits in der Zeit nach
dem zweiten Weltkrieg. Sein Ursprung liegt in der Toyota Motor Corporation,
16
Quelle: In Anlehnung an: Müller (1994), S. 2.

8
weshalb es auch das ,,Toyota Production System" genannt wird.
18
Der geistige
Vater des TPS ist Taiichi Ohno, der damalige Betriebsingineur von Toyota. In
der Literatur wird als dritter Begriff für das Produktionssystem der des ,,Toyo-
tismus"
19
verwendet.
20
Die Klangähnlichkeit mit den Begriffen des ,,Tayloris-
mus" und ,,Fordismus" impliziert, dass es sich bei dem TPS um eine Weiterent-
wicklung handelt, bei der die Vorteile der Massenproduktion (Kostendegression
bei hoher Stückzahl und Fließtechnik) mit denen der handwerklichen Einzelferti-
gung (Kundennähe, weniger monotone Arbeitsabläufe) kombiniert werden, um
die sich im Laufe der Zeit herausgebildeten Schwächen abzulösen.
21
Das funda-
mentale Prinzip der prozessorientierten fließenden Fertigung wird im TPS beibe-
halten, so dass das Fließband als Hilfsmittel bis heute in den Werkshallen des
Toyota-Konzerns benutzt wird.
22
Die Grundgedanken des TPS wurden in Zeiten knapper Ressourcen nach dem
zweiten Weltkrieg entwickelt, in der jede Form der Verschwendung vermieden
werden musste.
23
Wie die folgenden Abschnitte 3.1.1 bis 3.1.4 zeigen, wurde das
System nicht wie die Theorie Taylors von Beginn an als Ganzes geplant, sondern
die Elemente entstanden überwiegend als Einzellösungen abgegrenzter Problem-
bereiche.
24
17
Vgl. Graf (1996), S. 79 f.
18
Vgl. Kauper (1994), S. 5.
19
Vgl. Müller (1994), S. 9.
20
In dieser Arbeit werden die drei Begriffe ,,TPS", ,,Lean Production" und ,,Toyotismus" synonym ver-
wendet. In der Literatur gibt es unterschiedliche Ansichten darüber, ob die beiden Begriffe ,,TPS"
und ,,Lean Production" das Gleiche meinen. Während Womack/Jones/Roos (1994, S. 52) dieser An-
sicht sind und auch auf der deutschen Übersetzung des Werkes von TPS-Gründer Ohno (1993, Buch-
einband) dieser als der ,,Begründer der Lean Production" tituliert wird, sieht Rudolph (1996, S. 41)
Differenzen zwischen den Begriffen.
21
Vgl. Groth/Kammel (1993), S. 115.
22
Vgl. Osterloh/Frost (1997), S. 110.
23
Vgl. Rudolph (1996a), S. 41.
24
Vgl. Müller (1994), S. 7.

9
3 Das Toyota Production System
3.1 Entstehungsgeschichte und Elemente des klassischen Toyota
Production System
3.1.1 Produktion kleinerer Losgrößen
In der Massenproduktion wurden für die Herstellung von Teilen verschiedene
Stahlpressen verwendet, die darauf ausgerichtet waren, große Stückzahlen zu
produzieren. Toyotas möglicher Absatz beschränkte sich hingegen auf nur weni-
ge Fahrzeuge, und das Finanzbudget zwang Ohno dazu, ein Automobil mit nur
einer Presse herstellen zu können. Diese Umstände veranlassten ihn, die Werk-
zeuge regelmäßig zu wechseln, um so alle benötigten Press-Stahl-Teile für ein
Automobil an dieser einen Presse herstellen zu können. Auch Modellwechsel
ließen sich trotz der beschränkten Mittel mit dieser Methode problemlos bewerk-
stelligen. Die Werkzeugwechsel konnten durch sich stetig verbessernde Techni-
ken von den Arbeitern selbst in immer kürzeren Rüstzeiten vollzogen werden, so
dass keine weiteren Spezialisten benötigt wurden. Entgegen einer Hauptannahme
der Massenproduktion von sinkenden Stückkosten bei ausschließlich wachsen-
dem Produktionsvolumen, stellte Ohno fest, dass auf Grund fehlender Lagerbe-
stände und eine direkt möglichen Qualitätskontrolle bzw. direkten Qualitätser-
zeugung, die Stückkosten bei kleineren Losgrößen geringer ausfielen als bei sehr
großen. Durch die direkte Qualitätskontrolle von Arbeitern bei der Fertigung
konnte auf eine solche Kontrolle, wie sie noch bei Ford am Ende der Fertigung
durchgeführt wurde, verzichtet werden, so dass die hierarchischen Strukturen
abflachten. Deshalb konnten Personal, Zeit, Arbeitsfläche und Kosten gespart
werden. Allerdings erforderte diese Arbeitsweise im Gegensatz zur Arbeitstei-
lung qualifizierte und engagierte Arbeiter. Wie Kapitel 3.1.2 zeigt, nutzte Toyo-
ta die Gegebenheiten der damaligen Zeit dazu, das Bedürfnis nach diesen Ar-
beitskräften zu stillen.
25
3.1.2 Mitarbeiterorientierung und kontinuierlicher
Verbesserungsprozess
Trotz wirtschaftlicher Krise um das Jahr 1946 waren japanische Firmeneigner
durch gewerkschaftlichen Druck in der Möglichkeit Arbeiter zu entlassen stark
eingeschränkt. Toyota schloss daraufhin einen Kompromiss, der neben teilweisen
Entlassungen eine Beschäftigung auf Lebenszeit für die restlichen Mitarbeiter
25
Vgl. Kauper (1994), S. 6; Womack/Jones/Roos (1994), S. 56 ff.

10
vorsah. Diese Vereinbarung mit strenger Koppelung der Entlohnung an die Be-
triebszugehörigkeit machte die Arbeiter aus betriebswirtschaftlicher Sicht zu ei-
nem Fixkostenblock mit langer Abschreibungsdauer. Ein legitimes Ziel von Oh-
no war es infolgedessen, aus dem Humankapital den größtmöglichen Nutzen zu
ziehen. Da für ihn sowohl die körperlichen als auch die geistigen Fähigkeiten der
Arbeiter wertvoll waren, kam es zur Aufhebung der Trennung von Kopf- und
Handarbeit. Die Verantwortung und Motivation der Mitarbeiter wurde erhöht,
indem sie ­ im Gegensatz zur klassischen Massenproduktion ­ in den gesamten
Produktionsprozess eingebunden waren. Dazu bildete Toyota Teams aus, die
aufgefordert wurden, in einem kollektiven Prozess (Qualitätszirkel) eine kontinu-
ierliche Verbesserung für die Prozesse des gesamten Arbeitsablaufes zu finden,
um damit die Verschwendung zu minimieren und die Konzentration auf die ei-
gentliche Wertschöpfung zu lenken.
26
Insbesondere galt es, den Anteil der wert-
schöpfenden Arbeit an den Arbeitsbewegungen zu maximieren (Abbildung 2),
indem man ,unnütze Bewegungen' (z.B. überflüssige Transporte durch Umla-
den) und ,Arbeit ohne Mehrwert' (z.B. Suche nach Werkstücken) vermied.
27
Unter ,wertschöpfender Arbeit' wurden schließlich nur Arbeiten verstanden, die
zur Veränderungen von Gestalt oder Charakter eines Produktes führten.
28
Arbeits-
bewegungen
unnütze
Bewegungen
Arbeit
Arbeit ohne
Mehrwert
wertschöpfende
Arbeit
Abb. 2: Inhalt von Arbeitsbewegungen nach Ohno
29
26
Vgl. Kauper (1994), S. 6 f.; Womack/Jones/Roos (1994), S. 61.
Vgl. Abbildung 1 (Kapitel 2 . 3 ): Die letzten beiden Säulenblöcke belegen zahlenmäßig die dominie-
rende Rolle der Teamarbeit b z w . durch die Anzahl der Mitarbeitervorschläge, das erfolgreiche Abru-
fen des geistigen Mitarbeiter-Potenzials.
Der kontinuierliche Verbesserungsprozess (KVP) von Produkten, Verfahren und Arbeitsbedingungen
auf allen Unternehmensebenen wird in der Literatur auch unter dem Ausdruck ,,KAIZEN"
(kai=Wandel; zen=das Gute) als Basisphilosophie des japanischen Erfolges bezeichnet.
(Vgl. Hentze/Kammel (1992), S. 634 f.; Womack/Jones/Roos (1994), S. 61.)
27
Vgl. Rudolph (1996b), S. 198.
28
Vgl. Ohno (1993), S. 86.
29
Quelle: Rudolph (1996b), S. 198.

11
Neben den überflüssigen Bewegungen identifizierte Ohno weitere Arten der Ver-
schwendung in Form von Überproduktion, hohen Lagerbeständen, Wartezeiten,
indirekten Transportwegen und der Herstellung fehlerhafter Produkte.
30
3.1.3 Kooperation im Team und
Einführung eines Qualitätssicherungssystems
Das Anforderungsprofil an die Arbeiter stieg noch weiter, als um 1949 im Zuge
einer gesunkenen Nachfrage die Auslastung der Maschinen nicht mehr gegeben
und in Folge dessen nur ein Teil derer in Betrieb war. Um die Laufzeit der redu-
zierten Anzahl von betriebsbereiten Maschinen zu erhöhen und die Produktivität
zu steigern, wurden die Arbeiter befähigt, mehrere Maschinen gleichzeitig zu
bedienen.
31
Eine regelmäßige ,,Job-Rotation"
32
gewährleistete, dass alle Team-
mitglieder in die Arbeitsschritte anderer Mitarbeiter der Gruppe eingewiesen
wurden. Während der laufenden Produktion konnte das erworbene übergreifende
Wissen genutzt werden, einen Kollegen zu unterstützen, der einen Mangel ent-
deckt hatte, aber diesen nicht eigenständig beheben konnte. Das Signal zur An-
forderung von Hilfe erfolgte durch eine blinkende Tafel (Andon-Tafel). Die
schon in Abschnitt 3.1.1 angesprochene laufende Qualitätskontrolle wurde zu
einem regelrechten ,,Qualitätssicherungssystem"
33
ausgebaut, das Qualität von
Anfang an garantieren sollte. Ein Produktionsfehler war laut Ohno nicht nur so-
fort zu beseitigen, sondern es war auch notwendig, dessen Ursache zu ergründen
und zu eliminieren. Die blinkende Andon-Tafel und die damit verbundene An-
forderung von fremder Hilfe wurde dem verursachenden Arbeiter nicht als
Schwäche angelastet, sondern machte die Stärke des Produktionssystems aus, in
dem Unregelmäßigkeiten des Prozessablaufs direkt offengelegt wurden. Für den
Fall, dass ein Mangel weder vom einzelnen Arbeiter noch mit Hilfe des Teams
während der laufenden Produktion beseitigt werden konnte, waren die Arbeiter
dazu berechtigt bzw. verpflichtet das Fließband zu stoppen, um so zu verhin-
dern, dass fehlerhafte Leistungen innerhalb der Wertschöpfungskette weiter-
transportiert wurden, sich multiplizierten und am Ende schwerer behoben werden
konnten, als bei sofortiger Vermeidung.
34
Die Übernahme von direkter Verant-
wortung durch die Mitarbeiter reduzierte die Fehlerproduktion. Ohno konnte
30
Vgl. Ohno (1993), S. 45 f.
31
Vgl. Rudolph (1996b), S. 190.
32
Vgl. Rudolph (1996b), S. 199.
33
In der westlichen Welt wird das ,,Qualitätssicherungssystem" mit dem Begriff ,,Total Quality Mana-
gement" (TQM) bezeichnet. Vgl. Kommer (1993), S. 140.
34
Vgl. Bösenberg (1993), S. 71; Spear/Bowen (1999), S. 101.

12
durch die direkte Erzeugung von Qualität ein Problem des Fordismus beseitigen,
das in nachlassender Arbeitssorgfalt der Mitarbeiter bestand, die auf das Entde-
cken von Fehlern durch die Nachkontrolle vertrauten. Dieser Miss-Stand ließ
sich in der damaligen arbeitsteiligen Produktionswirtschaft auch nicht durch
Sanktionen beheben, da sie gleichbedeutend mit noch mehr Kontrollen waren
und eine verhängnisvolle Spirale in Gang gesetzt hätten.
35
Mit zunehmender
technologischer Entwicklung führte Toyota später ergänzend die ,autonome Au-
tomation' ein. Bei diesem Prinzip wurde durch ein Zusatzgerät menschliche In-
telligenz auf eine Maschine übertragen, die fortan dazu in der Lage war, anorma-
le Situationen zu erkennen und bei fehlerhafter Produktion selbstständig zu stop-
pen.
36
Neben der Job Rotation innerhalb der Teams erfolgte auch ein Wissensaustausch
der einzelnen Arbeitsteams untereinander. So wurde die Bildung von isoliert ne-
beneinander arbeitenden ,operativen Inseln' vermieden, die zwar den Teilvor-
gang optimal beherrschen, denen aber das Verständnis für den Gesamtzusam-
menhang des Prozess fehlt. Der Prozess konnte durch die Kenntnisse der Zu-
sammenhänge deutlich effizienter gestaltet werden.
37
Maßnahmen wie die Job-Rotation, die aktive Einbindung der Mitarbeiter in den
Produktionsprozess sowie deren Übernahme von Verantwortung brachten nicht
nur dem Arbeitgeber Vorteile, sondern waren auch für die Arbeitnehmer von
Nutzen. So wurde das Arbeitsumfeld im Gegensatz zum Taylorismus der Mono-
tonie enthoben, die Weitergabe von Kenntnissen und Fertigkeiten wurde forciert,
durch häufigere Gespräche untereinander verbesserte sich das Betriebsklima und
auf Grund ihrer vielseitigen Kenntnisse konnten die Mitarbeiter Probleme schnel-
ler identifizieren bzw. Verbesserungsvorschläge machen, was wiederum die ei-
gene Arbeitssituation erleichterte.
38
3.1.4 Just-in-time und Kanban
Wegen finanzieller Schwierigkeiten und auf Verlangen der Banken sollte Toyota
im Jahre 1950 nur die Menge produzieren, die von Händlern bestellt wurde. Auf
der Suche nach einem unternehmensinternen System, das die überhöhten Bestän-
de weiter verringern konnte und seinem Bestreben nach der Reduzierung von
35
Vgl. Müller/Guigas (1995), S. 59.
36
Vgl. Ohno (1993), S. 32 f.
37
Vgl. Petzel (2005), S. 83.
38
Vgl. Rudolph (1996b), S. 199.

13
Verschwendung gerecht wurde, entwarf Ohno das bis heute populäre Just-in-
time-Prinzip.
39
Bei diesem Prinzip der fertigungssynchronen Anlieferung wurden Materialbe-
stände und somit Kapitalbindung minimiert, weil für die Produktion benötigte
Teile zur rechten Zeit am Montageband eintrafen.
40
Voraussetzung für die Um-
setzung war eine größtmögliche Produktionsnivellierung. Die Umsetzung des
Just-in-time-Konzepts erfolgte mit Hilfe der Kanban-Produktionssteuerung.
41
Den Kern des Kanban-Systems bildet die Gestaltung des Fertigungsbereiches in
immer zwei technologisch aufeinanderfolgende Regelkreise, die jeweils aus einer
Produktionsstelle, die Material verbraucht (Senke) und einer Stelle, die Material
herstellt (Quelle) bestehen. Eine vorgelagerte Produktionsstufe darf erst dann
Ware herstellen, wenn eine nachgelagerte Stufe diese anfragt. Das Nachfragesig-
nal erfolgt durch ein Kanban; ein japanischer Begriff, der ins Deutsche übersetzt
,,Karte" bzw. ,,Schild" bedeutet.
42
Verbunden mit einem Transportwagen dient
es als Kommunikationsmittel der Just-in-time-Fertigung. Kanbans informieren
entweder über die Auftragserteilung (Produktionsauftrags-Kanban) oder die Teile
und Materialien im Wagen (Transport-Kanban).
43
Das System funktioniert nach
einem Hol-Prinzip, bei dem der Materialfluss vorwärts (von der Quelle zur Sen-
ke) und der Informationsfluss rückwärts (von der Senke zur Quelle) gerichtet ist.
Ein Arbeiter der Senke gibt durch das Zurückbringen des leeren Transportwa-
gens die Information zur Herstellung weiterer Teile und nimmt dabei einen vol-
len Wagen mit.
44
Da der Inhalt der Transportwagen mit einer bestimmten kleine-
ren Anzahl genau festgelegt ist, steuern sich die Regelkreise selbst.
45
Abbildung
3 zeigt anhand der Darstellung eines Regelkreises das Ablaufschema in der Ge-
samtschau.
39
Vgl. Rudolph (1996b), S. 190 ff.
40
Vgl. Rudolph (1996b), S. 190 ff.
41
Vgl. Ohno (1993), S. 61.
42
Vgl. Geiger/Hering/Kummer (2003), S. 15 f.
43
Vgl. Ohno (1993), S. 154.
44
Vgl. Geiger/Hering/Kummer (2003), S. 12.
45
Vgl. Ohno (1993), S. 70.

14
Quelle
(Produktions-
stufe i)
Senke
(Produktions-
stufe i+1)
Transport-Kanban
mit Teile- und Materialidentifikation
(voller Transportwagen)
Produktionsauftrags-Kanban
mit Auftragserteilung
(leerer Transportwagen)
Informationsfluss
Materialfluss
Abb. 3: Regelkreislaufmodell der Kanban-Steuerung zwischen zwei Produktionsstellen
46
Es dauerte mehrere Jahre, bis Ohno 1962 das System gegen anfängliche Wider-
stände in der ganzen Toyota Corporation eingeführt hatte.
47
Kanban war nicht
einfach in die Praxis umzusetzen, da weder Lagerbestände noch Puffer an Teilen
zwischen den einzelnen Arbeitsteams vorgesehen waren. Kritiker stellten deswe-
gen das Funktionieren in Frage. Ohno sah aber gerade in den fehlenden Sicher-
heitsnetzen die Stärke seines Systems. Jeder Arbeiter legte zwangsläufig Wert
auf einen störungsfreien Produktionsprozess. Die jeweiligen Produktionsstufen
,,sahen sich gegenseitig als Kunden an"
48
und waren bemüht, rechtzeitig qualita-
tiv gute Ware zu liefern, womit die Elemente der Kapitel 3.1.2 und 3.1.3 erneut
aufgegriffen werden.
49
3.1.5 Zuliefererintegration
Im Laufe der Jahre richtete Ohno seinen Blick über die eigenen Unternehmens-
grenzen hinaus. Im Gegensatz zu Ford ließ er Teile bei Zulieferern fertigen und
bezog diese sogar aktiv in den Produktionsprozess von Toyota ein. Indem er die
bisher dargestellten Elemente auf die Zulieferfirmen übertrug und so auch deren
geistigen Fähigkeiten nutzen konnte, eröffneten sich ihm neben einem erweiter-
ten Problemlösungs- und Kreativitätspotenzial ebenso neue Kosten- und Quali-
tätsperspektiven. Aufgabe der Zulieferer war es, neben der reinen Ware auch
Entwicklungsleistungen zu liefern. Vor einer Auftragserteilung hatte der Zuliefe-
46
Quelle: Eigene Darstellung.
47
Vgl. Ohno (1993), S. 62 ff.
48
Kieser (1995), S. 40.
49
Vgl. Womack/Jones/Roos (1994), S. 68.

15
rer einen Prototyp herzustellen, der von Toyota vorgegebene Rahmenbedingun-
gen erfüllen musste, wie beispielsweise beim Bau eines Bremssystems Vorgaben
über deren Größe und Leistungsstärke. Toyota machte keine Vorschriften dar-
über, aus welchem Material die Bremsen hergestellt werden oder wie sie funkti-
onieren sollten. Dies waren Konstruktionsentscheidungen des Zulieferers. Der
Aufbau dieses Zuliefersystems dauerte mehr als zwanzig Jahre, doch bis in die
Gegenwart ist es eine wichtige Säule der Lean Production.
50
Die Zulieferfirmen sind zwar weiterhin eigenständig, erscheinen aber wie ein
internes Fertigungsteam. So werden mit den Zulieferern auch Mitarbeiter ausge-
tauscht, deren Teile-Lieferungen erfolgen nach dem Just-in-time-Prinzip, und sie
werden dadurch automatisch in das Qualitätsdenken miteinbezogen. Die Ent-
scheidung über eine Zusammenarbeit ist jedoch keine im Sinne eines rein kosten-
fixierten ,make-or-buy', denn der dadurch entstehende Preisdruck und die oft-
mals kurzfristigen Bindungen würden die Anstrengungen zur Qualitätsverbesse-
rung einschränken und den Informationsaustausch zwischen den Parteien unter-
binden. Vielmehr soll eine über die reine Marktbeziehung hinausgehende und
langfristige Verbindung in einem Gebilde verketteter Unternehmen die Integrati-
on fördern und höchste Qualität zu niedrigen Kosten garantieren.
51
Um Kosten
für die Montage von Einzelteilen zu sparen, arbeitet Toyota ­ im Gegensatz zur
Konkurrenz ­ mit einer geringeren Anzahl von Zulieferern zusammen, die aber
statt einzelner Teile (Komponenten) bereits vormontierte Systeme liefern, so dass
die Endmontagearbeiten in den Werkhallen Toyotas weniger umfänglich sind.
Systeme entstehen bei der Zerlegung des Gesamtproduktes ,,Automobil" und
stellen ,einbaufähige und für die Endmontage geeignete Einheiten' (z.B. Mo-
tor/Kühlsystem, Hinterachse oder Bremssystem) dar, die von Direktlieferanten
bezogen werden. Komponenten entstehen wiederum bei der Zerlegung eines Sys-
tems und stellen ,einbaufähige und für die Systemmontage geeignete Einheiten'
dar.
52
Die Zulieferer werden entsprechend dem Gliederungsprinzip in funktiona-
len Stufen zu einer ,,Lieferantenpyramide"
53
organisiert: Die erste Stufe der Zu-
lieferer (Direktlieferanten) ist jeweils auf ein System spezialisiert, so dass die
Lieferanten nicht in direktem Wettbewerb untereinander stehen, sondern Infor-
mationen zur Prozessverbesserung austauschen können.
54
Die Direktlieferanten
bilden eine weitere Zulieferstufe unter sich, die aus Fertigungsspezialisten ohne
50
Vgl. Kauper (1994), S. 7; Womack/Jones/Roos (1994), S. 66.
51
Vgl. Kauper (1994), S. 7.
52
Vgl. Weigand (1999), 15 f.
53
Warnecke/Hüser (1992), S. 9.
54
Vgl. Kauper (1994), S. 7.

16
Konstruktionskenntnisse besteht, die Komponenten liefern und ebenfalls regel-
mäßig miteinander kommunizieren. Obwohl Toyota nur noch wenige der zu ver-
arbeitenden Teile im eigenen Haus herstellt, ist es auf diese Weise gelungen, die
Komplexität in den Lieferanten-Beziehungen zu minimieren. Stabilisiert werden
die Beziehungen zwischen Toyota und den Zulieferern durch Kapitalverflech-
tungen, die zwar opportunistische Strategien verhindern sollen, nicht aber das
freie Agieren am Markt mit anderen Auftraggebern. Toyota förderte sogar die
Zusammenarbeit der Zulieferer mit fremden Herstellern, um größere Ge-
winnspannen einzufahren.
55
3.2 Das Toyota Production System in der Gegenwart
Der Mangel an Kapital und die begrenzten Absatzmöglichkeiten gehören bei
Toyota mittlerweile der Vergangenheit an. Toyota ist gegenwärtig ein weltweit
tätiger Konzern, der im Ende März 2005 abgeschlossenen Geschäftsjahr den drit-
ten Rekordgewinn in Folge ausweisen konnte. Der japanische Automobilbauer
ist aktuell der zweitgrößte Autohersteller der Welt und will den amerikanischen
Konkurrenten General Motors schon bald durch eine Expansions-Strategie von
der Führungsposition verdrängen.
56
Diese gegenwärtigen Erfolge Toyotas werden nach wie vor auf das gleichnamige
Produktionssystem zurückgeführt. War es ursprünglich für die Fertigung kleiner
Stückzahlen unterschiedlicher Modelle auf dem begrenzten japanischen Markt
konzipiert, ist es auch den derzeitigen Anforderungen eines internationalen und
anspruchsvollen Massenmarktes gewachsen.
57
Im abgelaufenen Geschäftsjahr
2004/05 hat Toyota weltweit 7,4 Millionen Fahrzeuge abgesetzt.
58
Der Konzern
schafft es durch verbesserte Produktionstechnologien und standardisierte Einzel-
systeme (,,Plattformstrategie"
59
), die zwischen den Modellen ausgetauscht wer-
den können und dadurch zu hohen Innovationsraten führen, die Vorteile einer
standardisierten Massenproduktion mit den individuellen Kundenwünschen zu
vereinen.
60
Die in Kapitel 3.1 dargelegten Grundsätze und Elemente des TPS
werden dabei stets in ihrem Wesen beibehalten und unter Einbeziehung neuer
55
Vgl. Womack/Jones/Roos (1994), S. 64 ff.
56
Vgl. Weiler (2005a), S. 15.
57
Vgl. Ohno (1993), S. 65.
58
Vgl. Weiler (2005a), S. 15.
59
Betsch/Thomas (2005), S. 136.
60
Vgl. Krönung (1994), S. 328.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2005
ISBN (eBook)
9783958209022
ISBN (Paperback)
9783958204027
Dateigröße
3.4 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Siegen
Erscheinungsdatum
2015 (Oktober)
Note
1,3
Schlagworte
übertragungsmöglichkeiten toyota production system prozess kreditsachbearbeitung
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Titel: Übertragungsmöglichkeiten des Toyota Production System auf den Prozess der Kreditsachbearbeitung
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