Offenbarung wider Wirklichkeit? Empirische, konstruktivistische und hermeneutische Ansätze zum Verhältnis von Offenbarung und theologischer Wissenschaft
©2014
Masterarbeit
74 Seiten
Zusammenfassung
Anhand neurowissenschaftlicher, sprachanalytischer, subjektivitätstheoretischer und theologischer Einsichten untersucht der Autor wie Offenbarung und Wirklichkeitsverständnis zusammengedacht werden können. Unter Berücksichtigung von Ingolf U. Dalferths Werk der „Radikalen Theologie“ und Einsichten aus Konstruktivismus und hermeneutischer Religionsphilosophie widmet sich der Autor zugleich einem Grundlagenproblem der Theologie: ihre Berufung auf Offenbarung. Für die Theologie als Wissenschaft ist Offenbarung ein zweischneidiges Schwert. Denn woran in dieser Welt lässt es sich festmachen, dass die Welt mit Gott zu tun hat? Versucht man eine mögliche Wirklichkeit Gottes aus der Welt abzuleiten, also den Weg der Gottesbeweise zu gehen, wird man schnell ernüchtert sein müssen. Dennoch kann Offenbarung als fundamentale, gar schicksalhafte Unterbrechung der Wirklichkeit beschrieben werden, welche Auswirkung auf die ganze Welt- und Selbstbetrachtung des Menschen hat. Dies führt zu einer delikaten Frage. Ist dies allein der Deutung beizumessen, gewissermaßen abhängig von der religiösen Musikalität der Person, oder bringt das Widerfahrnis von Offenbarung einen Bedeutungsgehalt schon mit? Handelt es sich bei Offenbarung nur um die religiöse Deutung einer Empfindung oder um Gottes Weg in die Welt?
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
2
Selbstbetrachtung hat. Und hier taucht die delikate Frage wieder auf. Ist dies allein der
Deutung beizumessen, gewissermaßen abhängig von der religiösen Musikalität, oder bringt
das Widerfahrnis von Offenbarung einen Bedeutungsgehalt schon mit? Handelt es sich bei
Offenbarung nun um ein Wissen von Gott oder um die religiöse Deutung einer Empfindung?
Das ist auch Thema in Literatur, Kunst und Sprachphilosophie. Hier wird ebenfalls auf das
Konzept einer bedeutungsvollen Realität zurückgegriffen, die außerhalb des menschlichen
Zugriffs liegt und sich zeigen
5
muss. Mehr noch es kann gar Gott für unverzichtbar erklärt
werden, wenn es um Sinn und Bedeutung von Sprache überhaupt geht.
,,Die These lautete, daß jede logisch stimmige Auffassung dessen, was Sprache ist und wie
Sprache funktioniert, daß jede logische stimmige Erklärung des Vermögens der menschlichen
Sprache, Sinn und Gefühl zu vermitteln, letztlich auf der Annahme einer Gegenwart Gottes be
ruhen muß".
6
Auch naturwissenschaftliche Vertreter wie Albert Einstein, dessen Relativitätstheorie für
viele Menschen selbst eine Offenbarung war, nutzen den Begriff, wenn sie ihrem Erstaunen
über die Natur Ausdruck verleihen wollen.
,,Religiosität liegt im verzückten Staunen über die Harmonie der Naturgesetzlichkeit, in der
sich eine so überlegene Vernunft offenbart, dass alles Sinnvolle menschlichen Denkens und
Anordnens dagegen ein gänzlich nichtiger Abglanz ist."
7
Aber vielleicht entpuppt sich gerade hier, in diesem ,,natürlichen Ahnvermögen", in dieser
,,vagen Ohnmacht"
8
eine Chance? Vermag Offenbarung aufgrund ihrer theologischen
Irreduzibilität, ihres kritischen Potentials im Durchstreichen alles menschlichen Erkenntnis
vermögens, das ja ohnehin mit fundamentalen Voraussetzungsproblemen zu kämpfen hat
eine wissenschaftliche Berechtigung haben?
,,Es gibt [...] eine akademische Existenznot, die natürlich mit der des Menschen überhaupt
letztlich eine und dieselbe ist. Gerade die echte Wissenschaft ist bekanntlich ihrer Sache nicht
sicher, und zwar nicht nur da und dort, sondern im Grunde, in den letzten Voraussetzungen
nicht sicher. Jede einzelne Wissenschaft kennt sehr genau das Minus, das vor ihrer Klammer
steht, von dem dann mit jener gedämpften Stimme geredet zu werden pflegt, die verrät, dass
5
,,Die Bedeutung, die existenziellen Seinsweisen von Kunst, Musik und Literatur sind wirksam innerhalb der
Erfahrung unserer Begegnung mit >>dem anderen<<." Steiner, Gegenwart, 184; siehe auch Wittgenstein:
,,Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies zeigt sich, es ist das Mystische", Ludwig Wittgenstein, Tractatus
logicophilosophicus, 6.522
6
Steiner, Gegenwart, 13
7
Einstein, Mein Weltbild, 37
8
Welker, Schöpfung und Wirklichkeit, 51
3
es hier freilich um den Nagel geht, an dem Alles hänge, aber auch um das Fragezeichen, das
unvermeidlich hinter das im übrigen methodisch aufgebaute Ganze zu setzen sei."
9
Oder ist das ,,der letztlich vergebliche Versuch, Religion und Theologie vor dem Zusam
menbruch zu retten"
10
?
So angefochten, so anschlussfähig, so diffus ist der Begriff er meint ,,in schwindelerregen
der Inflation alles nur Mögliche im Umkreis von Religion, Existenzerfahrung und Theologie"
11
auch hier ist die ,,Vielfalt längst irreversibel geworden".
12
Es soll daher einleitend eine Auswahl von Perspektiven (naturwissenschaftlich, sprachlich,
philosophisch und theologisch) helfen, vorläufige
Einsichten mit Blick auf folgende Fragen zu
finden: Lassen sich Offenbarung und Materie zusammen denken? Wie wird Offenbarung
erlebt und beschrieben? Welche Auswirkung hat sie auf das Selbstverständnis? Was ist ein
theologischverantwortbarer Gehalt von Offenbarung?
Ich setze also bei den gegenwärtig (wissenschaftlich) ,salonfähigeren` Denkmodellen an, um
mich alsdann zu den sich (konsequent) theologisch verstehenden Ansätzen vorzuarbeiten.
Der erste Abschnitt des Hauptteils (A) wirft den Blick darauf, wie Offenbarung und Wirklich
keitsverständnis zusammengedacht werden kann. Dabei wird Wirklichkeit verstanden als
Konstrukt menschlicher Wahrnehmung und Interpretation. Es gilt zu fragen: Wie korrelieren
Phänomene und Wirklichkeit und inwiefern kann Offenbarung als Phänomen gelten? Dazu
möchte ich auf den hermeneutischen Ansatz ,,Radikale Theologie" von Ingolf U.Dalferth
zurückgreifen, welcher sich hiermit umfassend beschäftigt hat. In der Behandlung analyti
scher Sprachphilosophie und traditioneller theologischer Denkfiguren nutzt Dalferth die
Möglichkeiten konstruktivistischer Perspektiven.
13
Die Auseinandersetzung um das Spezifi
kum des religiösen Weltzugangs gegenüber anderen konstruktiverschlossenen Weltzugän
gen wird so zur Mitte dieser Arbeit. Dabei sollen auch die eigentümliche Erschließungsfunk
tion und die relationalkommunikativen Dimensionen des Offenbarungsgeschehens in den
9
Barth, Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie, 106
10
Welker, Schöpfung und Wirklichkeit, 45; in Anschluss an Calvins Würdigung der natürlichen Offenbarung
beschreibt Welker, dass dies nicht mehr als ein ,,formaler Hinweis sein kann". Die Gefahr besteht wohl, den
Wunsch als Vater des Gedanken mit Gott als dem Vater zu verwechseln, denn selbst die ,,eifrigsten" Selbstdis
tanzierungstheologen ,,werden sich selbst nicht los.", a.a.O. 53
11
Eicher, Offenbarung, 21; auch in der Theologie wird der Begriff ,,äußerst variabel interpretiert", a.a.O. 58
12
Insbesondere Dalferth bespricht das Rationalitätsproblem der Theologie im Kontext pluralistischer Unüber
sichtlichkeit: ,,Die Vielfalt ist irreversibel geworden", Dalferth, Kombinatorische Theologie, 5
13
Vgl. Andreas Klein, welcher sich im ,,kritischen Gegenüber" mit der Theologie Dalferths auseinandersetzt, in:
Ders., Wahrheit, 409439
4
Blick genommen werden. Im wissenschaftstheoretisch orientierten zweiten Abschnitt des
Hauptteils (B) wird die Offenbarungsperspektive der Theologie im Spannungsfeld von
Empirismus und (radikalem) Konstruktivismus thematisiert.
5
Einleitungsteil: Perspektiven auf Offenbarung
i.
Offenbarung im Gehirn Ein einführender Exkurs
Der Ausganspunkt der Überlegungen soll gewissermaßen bei dem (gegenwärtig) naturwis
senschaftlichbestimmten Wissenschaftsparadigma ansetzen.
14
Verschiedene sich empirisch
verstehende Disziplinen wie die Neurobiologie haben das Phänomen der Religiosität zu
ihrem Untersuchungsgegenstand gemacht. Prinzipiell wird dabei eine (mutmaßlich) religiöse
Erfahrung in den Blick genommen und danach gesucht, wie diese Erfahrung mit den Struktu
ren des zentralen Nervensystems korreliert. So werden bspw. in der Neurobiologie mit
bildgebenden Verfahren
15
konkrete Hirnareale
16
benannt, die für das Religiöse im Menschen
zuständig sind. Das Gefühl einer göttlichen Gegenwart wird dabei häufig als Wahnvorstel
lung begriffen, die es seitens der Wissenschaft zu entlarven gilt.
17
Nur kurz sollen einige Schwierigkeiten genannt werden, um dann einen Ansatz vorzustellen,
der den folgenden theologischen Kritiken besser standhält: Es wird hier kaum geklärt, worin
sich spezifisch religiöse Erfahrungen von anderen (normalen) Erfahrungen absetzen.
18
Ein
kritisch konstruktives Problembewusstsein zum Phänomen des Religiösen wird nicht entfal
tet.
19
Ebenso bleibt die Frage unbeantwortet, inwiefern das Gehirn, wenn es der Evolution
ausgesetzt ist, solche fehlerhaften Prozesse entwickeln konnte. Im Folgenden soll aufgrund
der angedeuteten Defizite ein kurzer Bogen über die relativ junge Disziplin der Cognitive
Science of Religion (CSR) beschrieben werden.
20
14
In diesem Sinne folgen wir der Behauptung Ulrich Kutscheras aus dem Jahre 2008 ,,Nichts in den Geisteswis
senschaften ergibt einen Sinn außer im Lichte der Biologie", die dem schon 1973 erschienenen Artikel von Th.
Dobzhansky entlehnt ist: ,,Nothing in Biology makes sense, except in the light of evolution"
15
,,PET", ,,fMRT", ,,SPECT", ,,MEG", Petzoldt, Matthias G., Welchen Sinn hat es von Gott zu reden?, 130; diese
bildgebenden Verfahren werden dabei unkritisch als realitätsabbildende Medien akzeptiert, vgl. a.a.O., 133
16
Etwa der Schläfenlappen (Ramachandran) oder Scheitellappen (Newberg/D'Aquili), je nachdem ob man das
religiöse Empfinden eher im Emotionalen oder in der Fähigkeit zum Meditieren ansiedelt. A.a.O. 130131
17
Religiöses Empfinden ist ein Hirngespinst (Persinger) oder ein Gefühl der ,,Deafferenzierung" (Newberg).
A.a.O. 131
18
Vgl. Petzoldt, Gehirn, 21
19
Vgl. Petzoldt, Gehirn, 134139
20
Im Folgenden die Nennung einiger methodischer Grundentscheidungen der CSR:
,Counterintuitive concepts` (,,e.g. a dog that passes through solid objects") sind gegenüber ,normalen`
Repräsentationen (,,e.g. a brown dog") besser erinnerbar und haben daher einen Tradierungsvorteil. ,Or
ganisierte Religion` nutzt die bessere Memorierbarkeit kontraintuitiver Konzepte in ihren Narrativen und
Offenbarungsmythen aus. Vgl. Barret, Justin, L., Exploring the Natural Foundations of Religion, 30
,Hyperactive agency detection device` (HADD) im Anschluss an die Theory of Mind: Menschen haben eine
äußerst empfindliche Sensibilität dafür, der Natur Absichten zu unterstellen. Menschen hören Stimmen im
Wind, sehen überall Gesichter etc. Diese Sensibilität hat evolutionär einen hohen Wert. ,,Such a biased
perceptual device would have been quite adaptive in our evolutionary past, for the consequences of fail
6
Trotz des zentralen Bezugspunktes Gehirn
21
werden in der CSR vor allem die konstruktiven
Anteile und kognitive Vorgänge untersucht, die bei der Entstehung von Religiosität eine
maßgebliche Rolle spielen. Religion als eigenständiges Phänomen
22
wird abgelehnt, statt von
Religion wird von religiösen Vorstellungen (religious beliefs) gesprochen, die konsequent in
einem evolutionären Rahmenparadigma behandelt werden. Dies lässt zu, dass das Religiöse
als ganz natürliche, der Selektion unterworfene, kognitive Anpassungsleistung beschrieben
werden kann, die daher entweder eine selbstverständliche Daseinsberechtigung hat oder als
ein Neben und Abfallprodukt menschlicher Kognition überwunden werden muss.
23
Diese
Debatte kann hier nicht weiter ausgeführt werden.
24
In unserem Fall ist die theologische
Rezeption von Nancey Murphy
25
aufschlussreich. Die Inhaberin des Lehrstuhls für christliche
Philosophie am Fuller Theological Seminary betrachtet die Ergebnisse der Neurowissenschaft
als sehr anschlussfähig, auch und gerade für die Theologie. Sie stellt fest, dass die CSR die
derzeit adäquateste wissenschaftliche Erklärungskraft
26
zur Entstehung des Phänomens der
Religionen hat. Christlicher Theologie bleibe es nur übrig entweder die CSR zu widerlegen,
oder ihre Erklärungen zu akzeptieren und sie als gültige, hilfreiche Teilerklärung in theologi
sche Erklärungsmodelle einzubauen.
27
Für Letzteres plädiert Murphy. Zunächst einmal muss,
so fordert sie, das grundsätzliche Problem im Dialog zwischen (Natur) Wissenschaft und
Theologie überwunden werden. Göttliche Intervention als ,,special divine action" darf nicht
als ein die Naturgesetze verletzender Eingriff verstanden werden.
28
Dieses Problem lässt sich
umgehen, wenn man sich der Theorie der ,,quantum divine action"
29
anschließt, so wie
Murphy es in Anschluss an Russell versteht. Danach kann Gott die auf der Quantenebene
ing to detect an agent are potentially much graver than mistakenly detecting an agent that is not there."
Vgl. a.a.O. 31f
,Highly Costly commitment`: Ist eine nach außen schwer vorspielbare Verpflichtung (Opfer). Sie diszipli
niert die Individuen in der Gemeinschaft, welche dann wiederum Trost spenden kann. Das Opfer (Spende,
Kirchensteuer, ...) zeigt an, wie stark ich mich auf die gemeinsame Verpflichtung einlasse. So wie ein Pfau
demonstriert, dass er trotz seines aufwändigen und hinderlichen Gefieders ein Überlebenskünstler ist und
über enorme Kraftreserven verfügt, so geht auch der Mann jeden Sonntag in die Kirche, um bei einem
potentiellen Partner/Partnerin Vertrauen zu wecken. Die Gemeinschaft als Ganzes produziert den Überle
bensvorteil. Vgl. Atran / Norenzayan, Religion´s evolutionary landscape: Counterintuition, commitment,
compassion, communion, 27
21
Vgl. Boyer, Religious thought and behavior as byproducts of brain function, 119124
22
Vgl. Boyer, The fracture of an illusion: science and the dissolution of religion, 924
23
Vgl. Bloom, Religious Belief as an Evolutionary Accident, 118127
24
Eine Zusammenfassung bietet Barret, Cognitive Science of Religion: Looking Back, Looking Forward, 229239
25
Murphy, Cognitive Science and the Evolution of Religion in: Schloss/Murray (Hg.), The Believing Primate,
265277
26
Vgl. a.a.O. 266
27
Vgl. a.a.O. 265f
28
Vgl. a.a.O. 274
29
Ebd.
7
unbestimmt stattfindenden Ereignisse (events) beeinflussen, ohne dass Naturgesetze außer
Kraft gesetzt werden. Murphy kritisiert, dass die heutige Theologie stattdessen in einer Art
Vermeidungsstrategie auf einem unnötigen Dualismus beharrt, der die Kommunikation mit
Gott auf einer Ebene des Geistes behauptet. Sie plädiert für eine Absage an einen solchen
Dualismus und für die Einführung eines Verständnisses für die irreduzibelphysische Verfas
sung des Menschen.
30
Um eine Idee von Gott, ob nun spontan oder bewusst reflektierend im Sinn zu haben, bedarf
es eines komplexen neuronalen Zustands. Gott kann mit diesen Zuständen arbeiten, indem
er responsorisch auf Quantenebene eingreift und events so arrangiert, dass dies Effekte auf
unsere Gedanken, Vorstellungen und Gefühle hat.
31
Es werden dadurch im Gehirn, auf sehr
subtile Weise, entweder eher positive oder negative Impulse erzeugt.
32
Einen hermeneutischen Einschlag bekommt das Geschehen auch, weil die Verarbeitung der
Impulse von Sprache und Kultur abhängig ist und der Betroffene gegenüber diesem Einfluss
eine gewisse Sensitivität entwickelt haben muss.
33
Je höher entwickelt die religiöse Kultur ist
und je ausgeprägter der Umgang mit Symbolen ist,
34
umso anspruchsvollere Handlungen
kann das Subjekt für sich aus diesen Impulsen ableiten.
Kritik:
Gott im gegenwärtig hegemonialen materialistischnaturwissenschaftlichen Erklärungspara
digma über den Umweg unscharfer Quantenereignisse zu plausibilisieren suchen, ist beach
tenswert und vielversprechend. Ebenso ist es zu begrüßen, das Augenmerk auf eine Über
windung des Dualismus von Materie und Geist zu legen, der sich mit den Chancen einer
selbstrelativierenden Physik (Quantentheorie) ergibt, die um ihre Grenzen weiß. Dass Gottes
Wirken mit einer Korrelation auf neuronaler Ebene einhergeht, kann nicht abgestritten
werden.
35
Dass Gott mit seinen Geschöpfen kooperiert, ist eine wesentliche, christliche
Einsicht und dass dies auch auf der Quantenebene stattfinden kann, ist auch in gegenwärti
30
Vgl. ebd.
31
,,...I argue that God communicates with us by orchestrating events in our brains at the quantum level to
poduce subtle effects on our thoughts, imaginations, and emotions.", ebd.
32
Vgl. a.a.O. 275
33
Ebd.
34
Diese Betrachtung kommt religionspädagogischen Konzepten durchaus entgegen, wenn diese stark zu
machen versuchen, dass Menschen für religiöse Wahrnehmung entwickelt und sensibilisiert werden können.
35
Vgl. Petzoldt, Gehirn, 15f; ob jedoch Neurowissenschaft ,,einen besonderen Bezirk im Gehirn ausfindig
machen könnte", ist höchst fragwürdig. Ebd. 21
8
gen Diskursen denkbar.
Anschlussfähig ist diese Sicht z. B. für die schöpfungstheologische
Perspektive im Sinne einer creatio continua
36
.
Doch hier kommt nicht in den Blick, warum Gott überhaupt interveniert oder kooperiert
oder warum es des Rekurses auf Gott bedarf um menschliche Handlungen zu verstehen.
37
Schwieriger wird es daher auf einer personalen Wahrnehmungs und Verstehensebene.
Murphy scheint dieses Offenbarungsempfinden als ein intuitiv aufsteigendes Gewahrwerden
(Emergenz) von Impulsen zu verstehen. Da die Beeinflussung des Ereignisses aber vor dem
Gewahrwerden
38
stattfindet und auch nur hier stattfinden kann, wird es schwierig über
Gottes Handeln im Sinne einer Kooperation zu sprechen. Denn dann ist der Rezipient bereits
auf einer vorbewussten Ebene, wenn nicht umfassend determiniert, dann doch zumindest
sehr beeinflusst. Die Frage nach dem freien Willen wird so noch einmal neu gestellt.
39
Weitere Fragen tun sich auf: Was ist mit den von religiöser Bildung fernbleibenden Men
schen? Oder Menschen, die überhaupt eine gewisse Symbol und Deutungskompetenz nicht
entwickelt haben, wie könnten sie auf diese Impulse reagieren oder sie überhaupt wahr
nehmen? Die betroffenen Personen wären dann nicht sensibel genug und könnten Gott also
dementsprechend wenig zur Kooperation anbieten. Es ergibt sich ein zumindest für das
christliche Verständnis schwieriges Gottesbild.
40
(vgl. 3.3)
36
,,Gottes fortgesetzte aktive und schöpferische Beziehung zur Schöpfung ist zunächst dahingehend zu
bestimmen, daß Gott nicht fertige Gestalten im Dasein erhält, sondern das kosmische Geschehen, das
vielfältige Strukturen bis hin zu Lebewesen hervorzubringen in der Lage ist, offenhält und mit ihm in eine diese
Offenheit erhaltende Interaktion tritt. Insofern die von uns wahrgenommene Erfahrungswelt der makroskopi
schen Gegenstände auf einer basalen Ebene stochastischer Prozesse, unscharfer Bestimmungen und nichtloka
ler Zusammenhänge aufruht, ist diese Interaktion verborgen und zugleich in einer Form denkbar, die die
Konstanz und Symmetriegesetze und damit die weltliche Eigenständigkeit der Schöpfung bewahrt und doch
zugleich so die basalen Prozesse mitbestimmt, dass sie je auf die ihnen angemessene Weise mit ihnen
korreliert ist, ohne sie autoritär zu prädeterminieren. Gott kooperiert mit den Geschöpfen. Damit sind Akte
kreativer göttlicher Spontaneität denkbar, die ohne über die ihrerseits wieder objektive und statistisch
beschreibbare Offenheit der Prozesse hinaus empirisch greifbar werden zu können, denn sonst wären sie eben
keine spontanen Akte innerhalb des weltlichen Geschehenszusammenhangs in der Mitte zwischen reinem
Zufall und intentionaler deterministischer Lenkung anzusiedeln sind. Sie lassen kontingente Festlegungen der
kreatürlichen Wirklichkeit aus sich selbst heraus zu und gehen zugleich so auf sie ein, dass sie sie darin über
sich hinausführen, dass ihnen durch solche Festlegungen neue Möglichkeiten zukommen." Evers, Raum
Materie Zeit, 261f
37
Hier besteht die Gefahr in die Aporie einer Emergenzmetaphysik zu verfallen, auf die Dalferth aufmerksam
macht: ,,Gott und Welt werden objektivierend aufeinander bezogen und metaphysisch in einen einheitlichen
Emergenzrahmen eines vom Physikalischen über das Mentale bis zum Transzendenten reichenden Kontinuums
eingezeichnet, ohne sich über den Sinnhorizont dieses Versuchs Klarheit zu verschaffen"; Dalferth, Radikale
Theologie, 241
38
Vgl. Petzoldt, Gehirn, 38
39
Dies ist denn auch das Thema, auf das Murphy sich konzentriert: Murphy, Did my neurons make me do it?:
Philosophical and neurobiological perspectives on moral responsibility and free will, Oxford 2009
40
Es entsteht der Eindruck, dass religiös nicht empfängliche bzw. ungebildete Menschen dann gegen ihren
Willen oder völlig unbewusst determiniert werden.
9
Ein grundsätzliches Problem ist aber in der Natur der Sache selbst angelegt. Die Bindung
einer Aktion Gottes an nicht determinierbare Quantenzustände führt zu der Frage anhand
welcher Kriterien es denn entscheidbar sein kann,
ob es sich bei diesen Events um ausdrück
liche Intervention oder zufällige Ereignisse handelt. Ein actus divinus, ,,als eine von außen
kommende göttliche Tat"
41
, wäre also für uns völlig unzugänglich, wenn er sich entweder auf
ein unwahrnehmbares Geschehen beschränkt oder als ein metaphysisches Emergenzphä
nomen versteht.
42
Erst in der Interpretation des Geschehens als eine göttliche Intervention
kann dieses Ereignis lebensrelevante, orientierungsgebende Wirkung für den Betroffenen
haben. Damit sind wir aber letztlich auf der hermeneutischen Ebene angelangt. Offensicht
lich bleibt dem Subjekt nach wie vor nichts anderes übrig, als die besprochenen events für
sich zu bestimmen. Abschließend, mit Blick auf die o. g. neurobiologischen Unternehmun
gen, ist überhaupt festzustellen: Das Religiöse ist keine ,,Provinz"
43
im Gehirn, sondern eine
Bestimmung des ,,Gemüts"
44
und daher nicht etwa ein ,,Getto" im Kopf, sondern eine
bestimmte Form der Selbsterfahrung, ein Vorgang der das ,,Lebensganze" zu erschließen
versucht.
45
ii.
Sprache als Terrain von Offenbarung
Offenbarung muss also in irgendeiner Weise als Offenbarung wahrgenommen und erfahren
werden, um für den Betroffenen erkennbar und beschreibbar zu sein. Das wichtigste
Zeichensystem mit dessen Hilfe Erfahrungen zugänglich gemacht werden, ist die Sprache.
Um ein Geschehen zu verstehen muss es sprachlich expliziert werden können. Hält man sich
an den Wortsinn, dann kann man bei einem AhaErlebnis
46
(engl. eureka effect, wenn also
jemandem ein Licht aufgegangen ist oder wenn der Groschen gefallen ist, es einem wie
Schuppen von den Augen fällt ...) von Offenbarungen sprechen. Eine besondere
Konvention
die dabei erfüllt sein muss ist, dass das, was zuvor ,,unzugänglich", ,,verhüllt", ,,versteckt"
war, sich wie von selbst aufgedeckt, enthüllt oder gezeigt hat.
47
Insbesondere sprachanalyti
41
Quenstedt in: Pöhlmann, Dogmatik, 44
42
Vgl. Dalferth, Radikale Theologie, 240241
43
Schleiermacher, Über die Religion (1799), 37
44
Vgl. hier a.a.O. 128
45
Vgl. Ebeling, Wort und Glaube, 87
46
Vgl. Herms, Offenbarung und Glaube, 176
47
Vgl. Härle, Dogmatik, 81f
10
sche Akzente setzte Iam T. Ramsey mit dem Begriff der ,,disclosure situation".
48
Er stellte
fest, dass deskriptive Sprache nicht ausreicht um Offenbarungserlebnisse zu deuten. Es muss
daher auf metaphorische und metaphysische Sprache zurückgegriffen werden. Sprache wird
hier aber nicht nur angewandt, um derartige Situationen zu beschreiben oder zu verstehen,
sondern gar um Offenbarung zu provozieren.
Religiöse Rede bedient sich dieser Eigenschaft von Sprache, so Ramsey, um disclosure
situations hervorzurufen, mittels eines religiösen Sprachspiels bis ,,hin zu der Situation, in
der es (so hoffen wir) >>dämmert<<, indem nämlich eine Situation entsteht, in der wir das
Wort >>Gott<< gebrauchen dürfen."
49
Demnach ist religiöse Sprache in erster Linie keine
Wirklichkeitsbeschreibung, sondern sie will Wirklichkeit ermöglichen, das heißt, sie möchte
gewisse Situationen hervorrufen, in denen ,,Gott als der alles Beobachtbare Übersteigende
[...] geahnt"
50
werden kann. Um z. B. gegenüber Gott in ein Beziehungsgeschehen einzutre
ten, nutzt religiöse Sprache auf der lokutionären Ebene die ,,Vater"Metapher: ,,Gott ist mein
Vater".
51
Die illokutionäre Kraft übersteigt dies noch um einiges.
Unter diesem Aspekt ist die
Ermöglichungsbedingung der Rede zum Ausdruck gebracht: Demnach hat Gott die Situation,
in welcher sich der Mensch als Kind Gottes versteht, mittels eines schöpferischen Sprachge
schehens überhaupt erst geschaffen, sodass der Gläubige angemessen antworten kann.
Ramsey scheint die religiöse Sprachwirkung eher unter dem Aspekt dieses Verhaltens zu
betrachten
52
und nicht so sehr unter performativen Aspekten, wie es bspw. später von
Austin verfolgt wurde. In diesem Zusammenhang lässt sich auch die besondere Wirkung
eines christlichen Kommunikationsgeschehens in den Blick nehmen. Die sprechakttheoreti
sche Perspektive Austins ist vom Leipziger evangelischsystematischen Theologen Matthias
Petzoldt theologisch aufbereitet worden.
Darauf soll noch eingegangen werden. (S. u. 3.3)
48
Eine deutsche Entsprechung ist schwierig. ,,Wörtlich heißt es >>Erschließung<<, aber es gehört dazu noch das
Überraschende des >>Aufblitzens<<", de Pater, Theologische Sprachlogik, 14, Anm. 8; inhaltlich auch mit
Intuition oder Einsicht gleichzusetzen, A.a.O. 15
49
A.a.O. 25
50
Ebd.
51
A.a.O. 175
52
Vgl. de Pater, 174f
11
Kritik:
Theologisch fruchtbar sind diese Einsichten, weil im Geschehnis der Offenbarung dem
Menschen etwas Unerwartetes und Überraschendes aufgeht, das sich außerhalb seines
Zugriffes befunden hat, also prinzipiell nicht mit Mitteln des Kalküls hätte eingeholt werden
können. Dies schafft Anknüpfungspunkte für eine komplexe theologische Kategorie, die auch
einer alltagsverständlichen Sprache zugänglich ist,
53
es macht Aspekte von Offenbarung auch
für nichtreligiöse Menschen kommunikabel. Dazu lassen sich anschauliche Erklärungen
heranziehen. Wie etwa mit Wittgenstein, welcher mithilfe von Kippbildern (z.B. Hasen
EntenKopf) Perspektivwechsel veranschaulicht, die bei ihrer Betrachtung im Verstehen
ausgelöst werden können. Jeder Mensch hat in seiner Wahrnehmung blinde Flecken, so dass
neue Aspekte plötzlich und jederzeit auftauchen können. Die Aspektwahrnehmung liegt
auch in unserer Grammatik begründet. Wer einen Hasen noch nie gesehen hat, demzufolge
keinen Begriff von ihm hat, der wird ihn im Kippbild nicht erkennen.
54
Diese Art von Vorgängen ist also direkt an Bedingungen wie das Sprachvermögen und die
symbolische Kompetenz des Subjekts geknüpft. Damit ist deutlich, so die sprachanalytische
Perspektive, warum nicht jeder Mensch ein bestimmtes Ereignis als Handeln Gottes ver
steht. Wer nicht in bestimmten religiösen Traditionen steht, wer keinen Begriff von Gott
oder ein ,falsches` Verständnis von ihm hat, der wird keine religiöse Erfahrung machen
können. Theologie kann, so u. a. die Auffassung Ramseys, wie oben beschrieben in eine
Sprache einführen, die eine komplexere Wirklichkeit wahrnehmen lässt oder Erfahrung für
religiöse Deutung zu öffnen weiß. Die andere Seite der Medaille muss dann aber auch
berücksichtigt werden. Bietet sich nicht jedes triviale Empfinden von Erstaunen, Verwunde
rung oder Überraschung an, irgendwie Offenbarung zu sein? Und hat nicht auch das
Wunschdenken hier doch einen erheblichen Anteil?
,,Die Unfreiwilligkeit des Bildes, des Gleichnisses ist das Merkwürdigste; man hat keinen Be
griff mehr, was Bild, was Gleichniss ist, Alles bietet sich als der nächste, der richtigste, der ein
fachste Ausdruck. Es scheint wirklich, um an ein Wort Zarathustra's zu erinnern, als ob die
Dinge selber herankämen und sich zum Gleichnisse anböten. [...] hier kommen alle Dinge lieb
kosend zu deiner Rede und schmeicheln dir: denn sie wollen auf deinem Rücken reiten."
(Friedrich Nietzsche, Ecce Homo §3)
55
53
Vgl. Petzoldt, Offenbarung erleben und verstehen, 20
54
Vgl. Stosch, Offenbarung, 40f
55
Nietzsche, Ecce Homo, in: Werke in drei Bänden, II, 1132
12
Offensichtlich besteht die Gefahr, dass der Mensch ,,Allzumenschlichem"
56
aufsitzt. Wenn
sich letztlich alle Dinge anbieten um Offenbarungsempfindungen hervorzurufen, wenn dafür
unerheblich ist ob es ,,auf sinnliche oder übersinnliche, auf natürliche oder übernatürliche
Weise, im Wachzustand oder im Traum erfolgt"
57
, dann stellt sich die Frage, wie das spezi
fisch Religiöse des Begriffes angemessen zum Tragen kommt, ohne dabei zwangsläufig auf
Widervernünftiges abzuzielen.
58
iii.
Subjekt als Ort der Aneignung von Offenbarung
Wenn im letzten Punkt deutlich geworden ist, dass ein Offenbarungseffekt nicht qua
Entscheidung herbeigerufen werden kann, sondern primär passivischen Charakter hat, dann
stellt sich nun die Frage, welche Rolle dem reflektierenden Subjekt zugedacht ist und
inwiefern es interpretierend ins Geschehen eintritt. Denn Offenbarung benötigt grundsätz
lich ein Subjekt, dem dieses Erleben bewusst ist, sie benötigt einen aktiven Part bei der
Aneignung. Auf theologischer Seite ist dies in jüngerer Vergangenheit z. B. von dem Wiener
evangelischsystematischen Theologen Christian Danz aufgenommen worden. Offenbarung
ist ,,die religiöse Selbstbeschreibung des Glaubensaktes" und hat die reflexive Funktion, ,,die
Kontingenz des Geschehens des SichVerstehens des Menschen in einer religiösen Dimensi
on zu beschreiben"
59
. Unter diesem Blickpunkt ist Offenbarung ein Teil des religiösen
Bewusstseins und damit nicht mehr und nicht minder eine notwendige Vernunftoperation
60
der Selbst und Weltverortung des (religiösen) Subjekts. Sie hilft dabei auf etwas Unbeding
tes zu rekurrieren, das sich dem Subjekt bei der Selbstbewältigung immer wieder entzieht.
Dieses subjektivitätstheoretische Denken, welches die apriorischen Erkenntnisbedingungen
des Subjekts als Ausgangspunkt des religiösen Redens (seit Kant: die Bedingung der Möglich
keit) annimmt, beschreibt Offenbarung unter dem Aspekt ihres Transzendenzbezuges. Wenn
der (autonome) Verstand sich selbst bestimmen möchte, kann er in seiner Selbstkonstituie
56
Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches, in: Werke in drei Bänden, I, 435
57
Härle, Dogmatik, 82
58
Offenbarung ist zwar ,,supra rationem" aber nicht ,,contra rationem".
Vgl. Härle, Dogmatik, 82
59
Danz, Dogmatik, 63
60
Dies wird durch Kant gestützt, welcher die Offenbarung mit der Kategorie der Vernunft untrennbar
verbunden sieht: Offenbarung ist nur sinnvoll, wenn sie so gedeutet ist, ,,daß sie mit den allgemeinen prakti
schen Regeln einer reinen Vernunftreligion zusammenstimmt", Eisler, KantLexikon, 399
13
rung gewissermaßen nicht anders,
61
als ein Unbedingtes mitzudenken. Nur hier im unmittel
baren Selbstbewusstsein, im sich ,,schlechthin abhängig" fühlen
62
sind menschliches Sein
und unendliches (absolutes, unbedingtes) Sein, das von christlicher Seite mit Gott identifi
ziert wird, eins. Eine inhaltliche Bestimmung bekommt der Vorgang, erst in der (christlich)
religiösen Deutung. ,,Der Glaube klärt sich im Christusbild auf"
63
, wie Danz es ausdrückt. Das
Auftreten Jesu z. B. ist also nicht etwas schlechthin Übernatürliches das aus dem Geschichts
zusammenhang herausfällt, sondern Ausgangspunkt und Koordinate des Denkens. Letztlich
werden somit klassisch instruktionstheoretische
64
, aber auch kommunikationstheoretische
Offenbarungskonzepte überhaupt ,überwunden`. ,,Es gibt [...] keine Offenbarung überhaupt,
sondern immer nur das konkrete Geschehen des SichVerständlichWerdens des Menschen
in einer bestimmten Lebenssituation."
65
Die religiöse Weltsicht ist also nicht als Antwort auf
ein objektives Offenbarungsgeschehen zu verstehen, sondern resultiert aus der Bewälti
gungsnotwendigkeit der Kontingenz der eigenen Existenz. Dies wird von Ulrich Barth als
einem wichtigen Vertreter dieser theologischen Denkrichtung zugespitzt, wenn er Gott als
ein Projekt der Vernunft
66
beschreibt und feststellt, dass der Begriff Gott keine ,,Existenzbe
hauptung" braucht, er hat seinen Ort in der ,,allgemein[en] menschliche[n] Selbstdeutungs
kultur"
67
.
Gott wirkt als rein intensionales ,,Gebilde"
68
, das der Autonomie und Freiheit im Handeln
und Denken dient. Auf die eingangs gestellte Frage, warum Offenbarung nicht jeden trifft,
lässt sich dann wie folgt antworten: Zwar muss jedes Subjekt sich notwendigerweise über
steigen (transzendieren), um nicht in selbstreferentiellen Aporien bei der Selbstdeutung zu
enden. Aber dies wird eben nicht von jedem als religiöses Ergriffensein nachvollzogen,
61
An dieser Stelle ein kleiner sprachanalytischer Rückblick auf den Ansatz Ramseys, welcher die logische
Verwandtschaft in der Rede vom eigenen ,Ich` und in der Rede von ,Gott` verdeutlicht hat. Beides kann nicht
deskriptiv wiedergegeben werden. Beides (ich bin ich / Gott ist Liebe) ist nicht ohne Tautologien erklärbar. Vor
allem im Angesprochensein der Identität wird der Mensch in der Erklärung seiner selbst abbrechen müssen.
Letztlich kann er Antwort nur in einer (Selbst)disclosure geben. Vgl. Ramsey, Religious Language, 4253
62
Vgl. Schleiermacher, Glaubenslehre (1830/31), 32
63
Danz, Grundprobleme, 204
64
Im Sinne von ,,Offenbarung als Mitteilung übernatürlicher Erkenntnisse, als Instruktion übernatürlicher
Satzwahrheiten" Petzoldt, Offenbarung erleben und zu verstehen suchen, 17; vgl. auch Eicher, Offenbarung,
2527
65
Danz, Dogmatik, 63
66
Vgl. U. Barth, Gott als Projekt der Vernunft, Tübingen 2005
67
A.a.O.
261f
68
A.a.O. 488
14
sondern kann durchaus auch als ganz ,normale` Lebenserfahrung begriffen werden, worauf
auch schon Schleiermacher hingewiesen hatte.
69
Kritik:
Es scheint unbefriedigend zu sein die Rede von Gott als eine religiösreflexive Selbst und
Weltdeutungskategorie zu betrachten, weil theologische Begriffe wie Gnade, Rechtfertigung,
Offenbarung und Erlösung nicht mehr Ausgangspunkt des theologischen Redens sind.
70
Auch
wird die subjektivitätstheoretische Legitimation der Gottesrede, welche die Bedingung der
Möglichkeit von Selbst, Welt und Gotterkenntnis apriori verortet, von einigen Kritikern als
der indirekte Versuch eines Gottesbeweises betrachtet. Nicht zuletzt von Karl Barth, welcher
hier die Fortentwicklung des cartesianischen Gottesbeweises witterte: ,,Ich denke also bin
ich" [wird hier zu] ,,Ich fühle mich irgendwie abhängig, also glaube ich"
71
.
Transzendentalphilosophische Subjektivitätstheorien rekurrieren alle in irgendeiner Weise
auf Fichte, welcher die Unmöglichkeit der Denkbarkeit Gottes proklamierte.
72
Immer dort
wo der Mensch einen Begriff hat, ,,hört es auf Gott zu seyn"
73
. Nietzsche hat dies souverän
fortgeführt als er ,,Gottes Tod als unsere Tat"
74
bestimmte, nämlich insofern er sich einen
Begriff von Gott macht und ihn damit notwendigerweise verfehlt. Wie kann aber ein nicht
,,existieren dürfender Gott" als Gott gedacht werden? Nietzsche hat aus diesem Wider
spruch des metaphysischen Gottesgedankens ,,die einzig mögliche Konsequenz gezogen. Er
sagt nicht mehr Gott, wenn er den Menschen in die von der Metaphysik Gott vorbehaltene
Hoheit erheben will, sondern er sagt ÜberMensch."
75
Ingolf U. Dalferth stellt dazu fest:
,,Ein Gott [...] der uns in seiner Transzendenz [...] ganz unzugänglich bleibt, ist lebenspraktisch
kaum relevanter als ein Gott, der nicht ist. So oder so müssen wir unter Bedingungen unaufhebba
rer Ungewissheit leben und uns im Umgang mit den Gegebenheiten unseres Lebens mit Wahr
scheinlichkeit und infinitesimalen Annäherungen an Wahrheit und Gewissheit begnügen".
76
69
,,Andernteils lehrt die Erfahrung aus unzähligen Lebensbeschreibungen frommer Menschen, daß wenn auch
Gemütserschütterungen in ihnen vorgegangen waren, welche sie zuversichtlich für den Augenblick der
Bekehrung hielten, sie doch nicht selten hernach wieder in solcher Leerheit und Ungewißheit versinken
konnten, daß der angenommene Wert jener Augenblicke ganz zweifelhaft erscheint, so daß auch in solchen
Fällen die Festigkeit des Herzens nur allmählich entsteht", Schleiermacher, Glaubenslehre (1830/31), 181
70
Vgl. Dalferth, Radikale Theologie, 253
71
Welker, Subjektivistischer Glaube als religiöse Falle, 143;vVgl. Karl Barth, KD I/1, 223f
72
Vgl. Jüngel, Geheimnis, 170187
73
A.a.O. 187
74
Ebd.
75
A.a.O. 202
76
Dalferth, Die Wirklichkeit des Möglichen, 337
15
Die Gefahr, den Glauben an Gott mit einer ,,subjektivitätstheoretisch begründeten Gewiss
heit"
77
gleichzusetzen, ist nicht ausgeräumt:
,,Sie [solche Versuche] wollen begründen und rechtfertigen, was sie im Leben des Glaubens
und der Religion in Frage gestellt sehen. Sie versuchen das, indem sie die überkommenen
Formen und geschichtlichen Ausprägungen religiösen Glaubens kritisieren, ihn unter Aus
scheidung und Umformung seiner für überholt gehaltenen mythischen und offenbarungstheo
logischen Inhalte und Darstellungsformen rational rekonstruieren und ihn so in philosophisch
begründete und wissenschaftlich vertretbare Gewissheit zu überprüfen suchen. Aber sie errei
chen das Gegenteil [...].Die Versuche [...] produzieren aufs Ganze gesehen gerade das, was sie
zu überwinden suchten: religiösen Skeptizismus, theistischen Agnostizismus und intellektuelle
Indifferenz in religiösen Fragen."
78
Wenn Gott sich, wie hier angemahnt, ohne Offenbarung nicht denken lässt bzw. so nur ein
irrelevantes philosophisches Konstrukt bleiben kann, dann soll nun in den Blick genommen
werden, was ein positiver Inhalt von Offenbarung sein kann, der nicht unter den Projekti
onsverdacht gerät. Wie lässt sich (christlich) theologisch verantwortbar von Gott reden? Um
mit Karl Barth zu sprechen: ,,Wir gehen dazu noch einmal auf den Anfang zurück: es geht
also um die Möglichkeit der Erkenntnis des Wortes Gottes"
79
, die zweifelsfrei und nicht ,,nur
mit schwankendem Gewissen, nur mit halber Sicherheit"
80
verantwortet werden kann. Wie
aber soll das gehen, wenn man sie in persönlichen Glaubenserfahrungen oder unter den
Gehalten des menschlichen Bewusstseins sucht? Denn es handelt sich hierbei schließlich
nicht nur um ,,das Prinzip einer Philosophie oder Weltanschauung", also um die ,,Möglichkeit
menschlicher Erkenntnis", sondern um die ,,Erkenntnis des Wortes Gottes."
81
iv.
Gott als Subjekt der Offenbarung
Diese besprochenen allgemeinen Versuche der Aneignung eines Begriffes von Offenbarung
sind nach Karl Barth, welcher wirkungsgeschichtlich wohl als die relevanteste Referenz für
Offenbarungstheologie gelten kann, eine ,,nicht notwendige, ambivalente, relative, esoteri
sche, kontingente, selbstvollziehbare, verfügbare, [...] immanente"
82
,,Selbstoffenbarung des
Seienden"
83
. Die Frage die sich damit in diesem Kapitel stellt ist, inwiefern es auch eine
77
A.a.O. 207f
78
Ebd.
79
Barth, KD I/1, 224
80
A.a.O. 226
81
A.a.O. 226
82
Eicher, Offenbarung, 172
83
Barth, Offenbarung, 4
16
,,unentbehrliche, eindeutig heilsame, absolute, allgemeine, notwendige [...] freie, endgültige,
(also jenseitige) Offenbarung"
84
gibt. Diese Offenbarung ist aber eine ,,ganz andere Offenba
rung"
85
und nicht vom Menschen vollziehbar. Sie lässt sich, so Barth, nur als Grenzfrage
fassen, es bleibt die via negationis zur Erkenntnis einer Grenze, ,,die Grenze dieses Ande
ren..., das genau dort anfängt, wo dieses Andere aufhört."
86
Offenbarung trifft, so die
klassisch gewordene Formel, ,,senkrecht von oben"
87
. Das was hier sichtbar wird, ist nicht
irgendein Wissen, das was offenbar wird, ist die ,,Enthüllung eines Verhüllten"
88
, ist Gott als
der ,,sich selbst Beschreibende"
89
Gott offenbart sich.
Wie aber kann dies verstanden werden? ,,Wir haben Offenbarung verstanden als Selbstof
fenbarung Gottes, d. h. als seine Offenbarung in Jesus Christus, also als das zu uns gespro
chene Wort, das uns im Zeugnis der heiligen Schrift gegeben ist."
90
Bultmann hat die Vorstellung der Selbstmitteilung Gottes ebenso aufgegriffen, aber unter
Berücksichtigung einer Erkenntnistheorie, die auch ,,die konkrete existenzielle Situation des
Redenden"
91
bedenkt. Er wendet ein, dass Offenbarung nicht als autoritative Wiederholung
einer ursprünglichen (Schrift)Offenbarung gelten kann, ,,will man von Gott reden, muss man
offenbar von sich selbst reden."
92
Gott ist demnach im Offenbarungsgeschehen nicht
unmittelbar verfügbar.
Denn Gott an sich zu begreifen ist unsinnig, über diesen Gott kann man gar nicht reden. Der
Gedanke Gottes besagt ja, ,,dass Gott der Allmächtige, d. h. die Alles bestimmende Wirklich
keit sei", dann kann es ,,einen Standpunkt außerhalb Gottes aber nicht geben"
93
.
Glauben und Verstehen müssen also zusammen kommen, wenn sich Gott in der Gestalt
eines durch ihn bestimmten, allumfassenden Wirklichkeitsverständnisses offenbart hat,
denn dann ist dies für den Betroffenen auch immer eine existenzielle Entscheidung.
94
,,Eben diese Notwendigkeit [...] dieses Übersetzungsverfahrens leuchtet"
95
aber Karl Barth in
seinem Versuch Bultmann zu verstehen nicht ein. Dies wäre eine Verletzung der Souveräni
84
Eicher, Offenbarung, 172
85
Barth, Offenbarung, 5
86
A.a.O. 6; vgl. Eicher, Offenbarung, 173
87
Barth, Der Römerbrief, 2. Aufl. (1922), 77
88
Barth, Offenbarung, 3
89
A.a.O. 8
90
A.a.O. 21
91
Bultmann, Welchen Sinn hat es von Gott zu reden?, 120
92
A.a.O. 122
93
Bultmann, Welchen Sinn hat es von Gott zu reden, 120
94
Vgl. Pöhlmann, Dogmatik, 93
95
Barth, Rudolf Bultmann. Ein Versuch, ihn zu verstehen, 16
17
tät Gottes, doch ,,Offenbarungswahrheit ist der freihandelnde Gott selber und ganz allein"
96
,
er bedarf keiner anthropologischen Vermittlungs und Verstehensbemühungen. ,,Nicht die
Gestalt offenbart, redet [...], sondern Gott in der Gestalt. Es entsteht also damit, daß Gott
Gestalt annimmt, kein Drittes zwischen Gott und Mensch."
97
Es gilt der Leitsatz Gott wird
nur durch Gott erkannt, es kann keinen anderen Erkenntnisweg geben.
98
Damit legt Barth die
Einsicht Kants, dass das Unbedingte/Unendliche im Bedingten/Endlichen nicht anzutreffen
ist, in seinem Sinne aus, wenn er in reformierter Tradition hervorbringt ,,finitum non capax
infiniti"
99
. Wann immer man aus sich selbst heraus Gott zu erkennen meint, hat man ihn
unendlich verfehlt.
Kritik:
An dieser Stelle können mannigfaltige Einsprüche geltend gemacht werden. Karl Barth hält
die Theologie in ,,einem subjektivistischen Zirkel gefangen"
100
, er immunisiert sich gegen alle
Kritik, verschanzt sich hinter einem blinden Dezisionismus
101
, produziert einen neo
orthodoxen Dogmatismus, ist überdies ,,nichtbiblisch"
102
. Ich möchte mich hier auf die
,,wirkungsgeschichtlich mächtige Etikettierung"
103
vom ,,Offenbarungspositivismus"
104
durch
Dietrich Bonhoeffer beschränken. Obwohl er ähnliche Kritik an der liberalen Theologie und
jedem ,,religiösen Apriori"
105
übte, so sah er auch schon sehr früh die Gefahren des Barth
schen Offenbarungsdenkens.
Im Beharren auf die Kantische Fragestellung verflüchtigt sich Offenbarung in reinem Trans
zendentalismus, dabei ,,handelt [es] sich doch in der Offenbarung nicht so sehr um die
Freiheit Gottes jenseits ihrer, d.h. um das ewige Beisichselbstbleiben und um die Aseität
Gottes, sondern vielmehr um das Aussichheraustreten Gottes in der Offenbarung"
106
. Gott
ist keine Randwelt oder Hinterwelt, sondern die Mitte unserer Welt, weswegen ,,weltlich"
107
von Gott geredet werden muss.
96
Barth, KD I/1, 15
97
A.a.O. 339
98
Vgl. a.a.O. 123
99
Barth, Die christliche Dogmatik im Entwurf, 188
100
Vgl. Petzoldt, Offenbarung erleben und verstehen, 19
101
Vgl. Eicher, Offenbarung, 232
102
Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, 312
103
Eicher, Offenbarung, 233
104
Vgl. Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, 306, 312
105
A.a.O. 305
106
Bonhoeffer, Akt und Sein, 85
107
Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, 306
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Erstausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2014
- ISBN (eBook)
- 9783958209053
- ISBN (Paperback)
- 9783958204058
- Dateigröße
- 1.2 MB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Universität Leipzig
- Erscheinungsdatum
- 2015 (Oktober)
- Note
- 1,1
- Schlagworte
- offenbarung wirklichkeit empirische ansätze verhältnis wissenschaft