Mehr als Mitarbeiterbindung - Organisationales Commitment in der IT-Beratung: Theoretische Grundlagen, Handlungsfelder und Ansatzpunkte
©2014
Masterarbeit
75 Seiten
Zusammenfassung
IT-Beratung ist häufig vor allem eines: Arbeit in Entgrenzung. IT-Berater arbeiten meist fern des eigenen Zuhauses und oft mit hoher Arbeitsintensität. Sie erbringen wissensintensive Dienstleistungen für andere Unternehmen und stehen dabei im Fokus des Leistungserstellungsprozesses. Ihre Fähigkeiten sowie ihr Engagement determinieren die Qualität der Ergebnisse und damit den Unternehmenserfolg. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung und des zu beobachtenden Wertewandels gewinnt das Thema Mitarbeiterbindung daher auch für Unternehmen der IT-Beratung immer mehr an Bedeutung. Organisationales Commitment geht dabei aber über den Aspekt der reinen Bindung durch Anreizsysteme hinaus. Es gilt auch als Dimension nicht-struktureller Führung, das Verhalten und die Handlungen der Mitarbeiter in den IT-Projekten auf die Unternehmensziele auszu-richten. Dieses Buch zeigt auf, wie wichtig Commitment dabei gerade für (IT-)Beratungsunternehmen ist. Dazu werden, nach einem theoretischen Zugang zum Konstrukt des organisationalen Commitments und der Beschreibung dieser besonderen Branche, die Vorteile hohen Commitments aufgezeigt und handlungspraktische Empfehlungen für die Ebenen ‚Organisation‘, ‚Führung‘ und ‚Projekttätigkeit‘ speziell für Beratungsunternehmen erarbeitet.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
IV
A
BBILDUNGSVERZEICHNIS
Abbildung 1: Commitmentkomponenten. ... 10
Abbildung 2: Auswirkungen von Commitment. ... 34
Abbildung 3: Einflussvariablen zur Gestaltung emotionalen Commitments. ... 40
1
1.
E
INLEITUNG
1.1 H
INTERGRUND
,,Commitment wird als psychologische Ausrichtung und Festlegung auf ein Bezugsob-
jekt im Sinne einer Selbstbindung verstanden, das mit einer erhöhten Einsatzbereit-
schaft und Bindung von Individuen einhergeht."
1
Mowday, Porter und Steers, die
Pioniere der Commitmentforschung
2
zählen folgende drei zentrale Merkmale für
Commitment bezogen auf die Organisation auf:
Akzeptanz der Werte und Ziele der Organisation,
erhöhte Bereitschaft, sich für die Organisation und ihre Ziele zu engagieren sowie
starker Wunsch, in der Organisation zu verbleiben.
3
Mitarbeiter
4
mit hohem organisationalen Commitment fühlen sich ihren Arbeitsauf-
gaben und ihrem Unternehmen verpflichtet. Sie sind loyal, produktiv, empfehlen die
Produkte oder Dienstleistungen des Unternehmens weiter und beeinflussen die
Geschäftsentwicklung positiv. Mitarbeiter mit geringem organisationalen Commitment
zeigen dagegen oftmals eine bewusste Leistungszurückhaltung, geringe Kooperations-
bereitschaft sowie eine hohe Fluktuationsneigung. In Anbetracht der zunehmenden
Shareholder-Value-Politik der Unternehmen, die Mitarbeiterinteressen allzu oft ver-
nachlässigt, kann die heute anzutreffende geringe emotionale Bindungsbereitschaft,
mit ihren weitreichenden Konsequenzen, sowie geringes Engagement nicht ver-
wundern.
5
Organisationales Commitment ist aber insofern für die Branche der IT-Be-
ratung, der ,,Leitbranche entgrenzter Arbeit"
6
, von unternehmenspraktischem Interesse,
da sie strukturell auf die verantwortungsvolle Selbstorganisation ihrer Mitarbeiter
ausgerichtet ist. Fernab von Kontroll- und Weisungsstrukturen des Unternehmens ver-
richten IT-Berater i. d. R. ihre Beratungstätigkeit in Kundenunternehmen, dabei können
Handlungs- und Entscheidungsspielräume im Sinne der Ziele und Werte der Organi-
sation oder aber opportunistisch, im eigenen Interesse, genutzt werden. Commitment
gilt hier als ein Aspekt nicht-struktureller Führung, quasi als Substitut für personalisierte
1
Gauger (2000), S. 55.
2
vgl. Schommers (2010), S. 5.
3
vgl. ebd.
4
Überwiegend werden geschlechtsneutrale Formulierungen verwendet. Wo aus Gründen der Lesbarkeit
und Übersichtlichkeit der männliche Begriff (z. B. Mitarbeiter oder Berater) benutzt wird, sind immer auch
Frauen gemeint.
5
vgl. Schommers (2010), S. 6f.; vgl. Wiendieck (2008) zit. n. Schommers. In diesem Zusammenhang
werden in der Literatur auch häufig die Studien des Beratungsunternehmens Gallup und hier insb. der
,,Gallup Employee Engagement Index" herangezogen. Der Engagement Index misst einmal jährlich die
Ausprägung der emotionalen organisationalen Bindung von Arbeitnehmern in Deutschland. Siehe auch
http://www.gallup.com/strategicconsulting/158162/gallup-engagement-index.aspx.
6
Eichmann (2004); ausführlich siehe hierzu Kapitel 3.2.
2
Mitarbeiterführung
7
, das Verhalten und die Handlungen der Mitarbeiter in den IT-Pro-
jekten auf die Ziele des Unternehmens auszurichten.
Einen weiteren Grund für die Auseinandersetzung mit organisationalem Commitment in
der IT-Beratung liefert die ressourcenorientierte Sichtweise: IT-Beratungen erbringen
wissensintensive Dienstleistungen für andere Unternehmen oder Institutionen und
dabei stehen die Berater im Fokus des Leistungserstellungsprozesses und ihre
Fähigkeiten, ihr Können und ihr Engagement determinieren die Qualität der Ergebnisse
und damit auch den Unternehmenserfolg.
Für IT-Beratungen gilt daher wie für andere Teilbranchen der wissensintensiven
Dienstleistung auch, dass Gewinnung und Bindung der sogenannten ,,besten Köpfe"
einen ganz erheblichen Wettbewerbsvorteil darstellt. Oder wie Scott die Charakteristika
entsprechender Beratungsfirmen
8
zusammenfasst: ,,Their assets walk out of the front
door every evening."
9
Der Kampf um die ,,besten Köpfe" ist, angeheizt durch die demo-
grafische Entwicklung, in einigen Teilbereichen der Branche bereits zu einem ,,War for
Anybody" geworden. Fluktuationsrisiken und Abwanderungstendenzen treffen dabei
besonders kleine und mittelständische Beratungshäuser, das Gros der IT-Beratungen,
da hierdurch das Risiko besteht, Projekte nicht mehr adäquat besetzen zu können oder
gar an die größere Konkurrenz zu verlieren; so können Wachstumsziele nicht erreicht
werden. Aber gerade hier können auch Chancen bestehen, da sie weniger als große
Unternehmen durch Umwälzungen und Veränderungen
10
betroffen und eher in der
Lage sind, entsprechende Voraussetzungen und Bedingungen zu schaffen, die die
Bindung von Mitarbeitern fördern
11
, ,,wobei Bindung nicht als passives Dasein, sondern
als aktive, psychische, mentale und emotionale Beteiligung aller Mitarbeiter (...) an der
Realisierung der Unternehmensziele definiert werden kann."
12
Dabei stehen IT-Be-
ratungen vor der besonderen Herausforderung, die Distanz zum eigenen Unter-
nehmen, die die Identifikation mit und das Commitment zum Unternehmen erschwert,
durch geeignete Maßnahmen zu überbrücken.
Als von zentraler Bedeutung wird in der vorliegenden Arbeit eine Personalentwicklung
als ,,Enabler", im Sinne einer Impulsgeberin und ,,Befähigerin" betrachtet, die nicht nur
in einem abgegrenzten Teilgebiet agiert, sondern die mit einem erweiterten Ver-
7
vgl. Conrad/Trummer (2011), S. 62.
8
vgl. hierzu auch Kapitel
3.
9
Scott (2001) zit. n. Bürger (2005), S. 22.
10
Beispielhaft sei hier der Verkauf der Unternehmensberatungssparte von Pricewaterhouse Coopers an
IBM erwähnt.
11
vgl. Felfe (2008), S. 21.
12
Schommers (2010), S. 6.
3
ständnis die im Unternehmen vorhandenen Strukturen, Prozesse und Verfahren
gemeinsam mit Organisationsentwicklung, Unternehmensleitung und Führungskräften
zu einer Gesamtstrategie verwebt und hinsichtlich ihrer Commitmentförderung ge-
staltet. Commitment-Management nach diesem Verständnis beinhaltet daher auch
mehr als nur den Einsatz einzelner Maßnahmen in den verschiedenen Handlungs-
feldern, die eher einer Symptombekämpfung gleichen und maximal zu einer kurz-
fristigen Beeindruckung der Mitarbeiter führen
13
oder die sich im schlechtesten Falle
sogar gegenseitig behindern. Je weniger ,,fallweise" Maßnahmen oder Konzepte ange-
wendet werden und je mehr diese in der Unternehmenskultur verankert werden, desto
größer die Chance, dass sich organisationales Commitment entwickelt und über die
Zeit erhalten bleibt oder intensiviert.
14
Commitment-Management ist in diesem Sinne
als anspruchsvolle und facettenreiche Aufgabe innerhalb des unternehmerischen
Gesamtkontextes zu verstehen, die es dem Unternehmen ermöglicht, in Zeiten starken
Wettbewerbs, strategische Vorteile herauszuarbeiten und wahrzunehmen. Es geht um
mehr: Einerseits um das Gewinnen und, in dieser Arbeit v. a. thematisiert, das Halten
qualifizierter Berater und andererseits um das Erschließen von Leistungspotentialen,
denn
,,Mitarbeiter-Commitment ist dort am dringlichsten, wo es um Dienstleistungen und um
direkte zwischenmenschliche Beziehungen und Interaktion geht (...). Die besten Ergeb-
nisse werden erzielt bei besonders komplizierten Dienstleistungen und Bereitstellungs-
systemen. Je anspruchsvoller eine Dienstleistung, je wichtiger Kundenbindung und je
langfristiger eine Kundenbeziehung ist, desto wichtiger ist das Mitarbeiter-Commit-
ment."
15
1.2 P
ROBLEMSTELLUNG
,
Z
IELSETZUNG UND
A
UFBAU DER
A
RBEIT
Einerseits beschäftigen sich zahlreiche Forschungsarbeiten zum organisationalen
Commitment mit den Einflussgrößen, den Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen sowie
den organisations- und mitarbeiterbezogenen Auswirkungen der verschiedenen
Commitmentfokusse und -komponenten in der Arbeitswelt, bezogen auf verschiedene
Branchen und Tätigkeiten (z. B. Kreditinstitute
16
, öffentlicher Dienst
17
, Call Center oder
Leiharbeit
18
etc. ). Andererseits existiert im deutschsprachigen Raum, wenn auch in
geringem Umfang, durchaus wissenschaftliche Literatur, die die Arbeitssituation und
-bedingungen von Unternehmens- und, als eine Teilbranche, auch von IT-Beratungen
13
vgl. Karst/Segler/Gruber (2000), S. VI.
14
vgl. hierzu auch Schmid (2009), S. 30.
15
Karst/Segler/Gruber (2000), S. 15.
16
siehe hierzu Haase (1997).
17
siehe hierzu Ammon (2006).
18
siehe hierzu Felfe (2008).
4
beschreibt und diskutiert.
19
Insgesamt wird allerdings moniert, dass es sich bei der
Unternehmensberatung um eine wenig beforschte Dienstleistungsbranche handelt und
dies insbesondere bezogen auf arbeitspsychologische Aspekte. So resümiert Nissen
zum grundsätzlichen Stand der Beratungsforschung:
,,Der intensive wechselseitige Austausch zwischen Beratungspraxis und Beratungs-
forschung ist gegenwärtig mindestens im deutschen Sprachraum jedoch noch kaum
existent. Ob er in Zukunft zustande kommt, ist offen. Hierzu wäre unter anderem ein
Wandel im Selbstverständnis der Berater notwendig, das gegenwärtig eine Nachfrage
nach wissenschaftlicher Unterstützung seitens der Beratungspraxis verhindert. Wissen-
schaftliche Forschung zur Unternehmensberatung wird von Beratern oft als ,blutleer`
und überflüssig angesehen. Hier bedarf es noch einiger Überzeugungsarbeit und letzt-
lich eines nachweisbaren Mehrwerts solcher Forschung für die Beratungspraxis. Ge-
nauso ist manchmal noch an ,Berührungsängsten` und Vorurteilen der Wissenschaft
gegenüber der Beratungspraxis zu arbeiten."
20
Dies begründet nach Ansicht der Autorin auch das Defizit an aussagefähigen theore-
tischen und empirischen Untersuchungen zum organisationalen Commitment in der
Unternehmensberatung und hier im Speziellen der IT-Beratung. Ausgehend vom dar-
gestellten Hintergrund besteht daher das Ziel der vorliegenden Arbeit diese Lücke
zumindest theoretisch ein Stück weit zu schließen und eine Annäherung an mögliche
Handlungsfelder und Gestaltungsoptionen eines Commitment-Managements unter den
entgrenzten Bedingungen der IT-Beratung zu erreichen.
Dazu erfolgt im Anschluss an diese Einleitung in Kapitel 2, auf Basis einer Literatur-
analyse, die Darstellung der theoretischen Grundlagen organisationalen Commitments.
Hierzu wird zunächst der Begriff des (organisationalen) Commitments und dessen Ent-
wicklung ausgehend von zwei unterschiedlichen eindimensionalen Betrachtungs-
ebenen erläutert. Als Erweiterung dieser eindimensionalen Ansätze wird anschließend
das aktuell am weitesten verbreitete und vielen Forschungsarbeiten zugrunde liegende
Drei-Komponenten-Modell des Commitments von Meyer und Allen beschrieben und in
diesem Zusammenhang auch die unterschiedlichen Fokusse, auf die sich Commitment
beziehen kann. Das organisationale Commitment wird außerdem von dem sehr ähn-
lichen Konstrukt der organisationalen Identifikation abgegrenzt, wodurch das Ver-
ständnis von Commitment geschärft werden kann.
Kapitel 3 beschäftigt sich mit der IT-Beratung und deren Besonderheiten. Unter Hinzu-
ziehung der vorhandenen wissenschaftlichen Literatur sowie eigenen Beobachtungen
und Erfahrungen wird die IT-Beratung als wissensintensive Dienstleistung innerhalb
des Teilsegments der Unternehmensberatung verortet und sowohl Aufgaben und
19
siehe hierzu beispielhaft Daser (2009), Eichmann/Hofbauer (2008), Kratzer (2003).
20
Nissen (2007), S. 11.
5
Tätigkeiten als auch die konkrete Arbeitssituation von IT-Beratern, die die ,,Zielgruppe"
dieser Arbeit bilden, aufgezeigt.
Im vierten Kapitel erfolgt die theoretische Verzahnung der relevanten Ansätze und der
empirischen Befundlage mit dieser ,,besonderen" Branche und ihrer Mitarbeiter.
Zunächst werden hierfür verschiedene wissenschaftlich belegte Konsequenzen hohen
emotionalen Commitments für Unternehmen der IT-Beratung verdeutlicht; sie be-
gründen damit die Themenstellung. Die empirischen Ergebnisse zu den Antezedenzien
organisationalen Commitments bilden einen, nach Ansicht der Autorin plausiblen,
Bezugsrahmen für die Entwicklung möglicher Handlungsfelder und Ansatzpunkte (im
Sinne von Bindungsstrategien) für Beratungsunternehmen mit Fokus auf die emotio-
nale Komponente des organisationalen Commitments.
21
Dabei wurden v. a. diejenigen
Einflussfaktoren ausgewählt, die der Autorin für Beratungsunternehmen besonders
relevant erscheinen. Die Arbeit wird mit einer Schlussbetrachtung beendet.
21
zu den Komponenten siehe Kapitel 2.1.1.
6
2.
T
HEORETISCHE
G
RUNDLAGEN
2.1 B
EGRIFFLICHE UND KONZEPTIONELLE
G
RUNDLAGEN DES
ORGANISATIONALEN
C
OMMITMENTS
Für den englischen Begriff Commitment finden sich vielfältige Übersetzungen
22
: Ein-
satz, Engagement aber auch Verpflichtung, Hingabe und Bindung. Mit dem Terminus
Commitment wird eine, in hohem Maße bewusste, Entscheidung des Individuums für
eine nach außen sichtbare Bindung beschrieben
23
, z. B. bezogen auf eine Marke, ein
Produkt, aber auch zu einer Person, einer Gruppe usw.
Gauger nähert sich dem Begriff des Commitments u. a. aus einer etymologischen
Perspektive, dessen Wurzel im Lateinischen begründet ist:
,,Die transitive" Form ,committere` bedeutet hier, etwas ,zusammenfügen` oder ,verei-
nigen`, bspw. von Standpunkten oder Interessen. In der intransitiven Form, ,se commit-
tere`, bedeutet der Begriff ,sich getrauen` ,sich wagen` bzw. sich auf etwas einlassen."
24
Bezugnehmend auf die lateinische Wortwurzel bedeutet das englische ,,`to commit
somebody/oneself to` u. a., jemanden oder sich selbst auf etwas festzulegen bzw. sich
zu engagieren sowie jemanden oder sich für etwas zu verpflichten."
25
Mit dem Konstrukt des Commitments soll das ,,(Fort-)Bestehen von freiwilligen, nicht-
vertraglichen Bindungen von Individuen an arbeitsbezogene Einheiten"
26
, z. B. an das
Unternehmen, erklärt werden. Für van Dick steht organisationales Commitment
synonym für Organisationsbindung: Nach seinem Verständnis beschreibt es, inwieweit
sich Individuen ihrer Organisation oder Teilen der Organisation verbunden fühlen. Für
Moser handelt es sich beim organisationalen Commitment um eine strukturell bedingte
und/oder eine empfundene Bindung an eine Organisation.
27
Zahlreiche Veröffentlichungen zum Commitment beschäftigen sich dabei v. a. mit der
gefühlten Bindung, dem ,,psychologischen Band", zwischen Individuum und Organisation,
das zur Folge hat, dass sich Mitarbeiter dem Unternehmen verbunden und zugehörig
fühlen und dadurch im Unternehmen verbleiben möchten.
28
Dabei, so meint Rimbach,
,,beschreibt das organisationspsychologische Konzept Commitment (...) weniger das Be-
stehen der Bindung an sich, sondern den damit einhergehenden psychologischen Zu-
stand des Individuums und dessen Verhaltensabsichten. Die Bindung ist nur bedingt be-
wusst gewählt. Vielmehr wird sie erlebt und ist nach außen nur eingeschränkt sichtbar."
29
22
vgl. http://www.dict.cc/englisch-deutsch/commitment.html (22.02.2014).
23
vgl. Rimbach (2011), S. 12.
24
Gauger (2000), S. 6f.
25
ebd., S. 7.
26
Rimbach (2011), S. 11; siehe auch Felfe (2008), S. 25.
27
vgl. vgl. Moser 1996, S. VII; vgl. van Dick (2004), S. 88.
28
vgl. Schommers (2010), S. 164; vgl. Felfe (2008), S. 25ff.; vgl. Weller (2003), S. 77.
29
Rimbach (2011), S. 12.
7
Es ist insgesamt festzustellen, dass sich, obwohl seit Langem Gegenstand sozial- und
organisationspsychologischer Forschung, noch keine einheitliche Definition zum
organisationalen Commitment etabliert hat. Den aktuellen heterogenen Definitionen
und Erklärungsansätzen liegen v. a. zwei Forschungstraditionen zu Grunde, mit nicht
unerheblichem Einfluss eben auf die begriffliche Ein- und Abgrenzung von Commit-
ment, dessen Operationalisierung, der Erklärung der Auswirkungen und Effekte sowie
der Ermittlung von Ansätzen zu dessen Förderung.
30
Diese zwei Ansätze diskutieren
die Entstehung und Aufrechterhaltung von Commitment aus jeweils unterschiedlichen
Perspektiven.
Der verhaltensbezogene Ansatz betrachtet Commitment als eine Bindung an bishe-
rige Handlungen und greift dabei auf Austauschtheorien, Kosten-Nutzen Theorien
sowie die Dissonanztheorie zurück: Verhalten trägt hier zur Entstehung von Ein-
stellungen bei. Als Grundlage zur Erklärung von Commitment werden in diesem Ansatz
irreversible Kosten (,,sunk costs") und ,,Seitenwetten" herangezogen.
31
So wird im
,,Seitenwetten-Ansatz", dessen bekanntester Vertreter Becker (1960) ist
32
, die Ent-
scheidung in der Organisation zu verbleiben, über die bereits getätigten Investitionen
erklärt: Der Mitarbeiter ,,wettet" dabei, dass sich seine Investitionen im Sinne von
Handlungen (wie z. B. dem Erlernen bestehender Regeln oder dem Aufbau sozialer
Beziehungen) positiv auswirken. Bisherige Investitionen gehen allerdings verloren,
wenn er die Organisation verlässt. Damit ist auch die eingegangene Wette verloren.
Diese Investitionen stellen somit Austrittsbarrieren dar. Es wird deutlich, dass nach
diesem Ansatz der Mitarbeiter mehr an seine eigenen Handlungen gebunden ist, als an
die Organisation.
33
Diese verhaltensbezogenen Ansätze besagen also, dass die
,,Stärke des Commitments aus einem Abwägen bisheriger Investitionen und Aufwände
und den zu erwartenden Kosten bzw. dem zu erwartendem Nutzen"
34
entsteht und
weniger aus den mit der Tätigkeit verbundenen Belohnungen. Als Beispiele für die
Kosten werden die Gefährdung bzw. der Verlust von Gehaltszulagen, betrieblicher
Rentenansprüche, zusätzliche Umzugskosten aber auch sehr organisationsspezifische
Fähigkeiten und Fertigkeiten u. ä. genannt. Moser betrachtet zusätzlich noch den Auf-
wand für die Bewahrung des Eindrucks: ,,Man versucht, den Eindruck, den man bei
anderen Personen erzeugt hat, konsistent zu erhalten"
35
, und Gauger erachtet für das
verhaltensbezogene Commitment nicht nur bisherige Investitionen, sondern auch
30
vgl. Vinke (2005), S. 9-20; vgl. Weller (2003), S. 77; vgl. Meyer/Allen (1997), S. 9.
31
vgl. Westphal (2011), S. 43; vgl. Felfe (2008), S. 29, S. 69.
32
vgl. Felfe (2008), S. 31.
33
vgl. Westphal (2011), S. 42f.; vgl. Bohl (2007), S. 13; vgl. Gauger (2000), S. 70.
34
Felfe (2008), S. 33.
35
Moser (1996), S. 3.
8
künftig erwartete Anreize, wie z. B. ein erwartetes höheres Gehalt durch einen
Karrieresprung, als relevant für die Herausbildung dieses Commitments. Hohes
Commitment ist hier dann zu erwarten, wenn die (empfundenen) Kosten den zu erwar-
tenden Nutzen entsprechend übersteigen.
36
Forschungsansätze, die Commitment aus einer einstellungsbezogenen Perspektive
betrachten, fokussieren auf den psychologischen Zustand, der Commitment konsti-
tuiert. Commitment wird hier als Einstellung oder als Gruppe von Verhaltensintentionen
definiert.
37
Eine Einstellung ist immer auf ein Objekt gerichtet und beinhaltet sowohl kognitive als
auch emotionale Komponenten, auf denen die Verhaltensintentionen und Verhaltens-
weisen basieren. Dabei wird davon ausgegangen, dass zwischen den Einstellungs-
komponenten und dem Verhalten häufig eine Kongruenz besteht. So führt Weller aus:
,,Wer positiv über ein Einstellungsobjekt denkt und diesem positive Gefühle ent-
gegenbringt (...), wird sich auch positiv gegenüber dem Objekt verhalten (...)".
38
Organisationales Commitment ausgehend von dieser Perspektive bedeutet v. a.
Akzeptanz und Identifikation mit den Zielen und den Werten
39
der Organisation, frei-
williges besonderes Engagement bzw. Anstrengungsbereitschaft sowie den Wunsch in
der Organisation zu verbleiben, also eine geringe Fluktuationsneigung. Diese drei As-
pekte (Identifikation, Anstrengungsbereitschaft und geringe Fluktuationsneigung)
können, müssen aber nicht, positiv miteinander korrelieren: Für einen Zusammenhang
mit Anstrengungsbereitschaft und Fluktuationsneigung beispielsweise, stellt sich die
Frage nach dem Grund der geringen Fluktuationsneigung. Von einem Mitarbeiter, der
z. B. aufgrund der vielen Freizeit im Unternehmen bleiben möchte, ist nicht anzu-
nehmen, dass dieser eine besondere Anstrengungsbereitschaft zeigen wird.
40
Bei der Entwicklung des einstellungsbezogenen Commitments spielen Erfahrungen am
Arbeitsplatz und mit der Tätigkeit (z. B. Handlungsspielräume, Vorgesetztenverhalten,
rollenbezogene Charakteristika), die Wahrnehmung der Organisation sowie per-
sönliche Merkmale (z. B. Alter, Betriebszugehörigkeit, emotionale Stabilität) eine
Rolle.
41
Einen zentralen Aspekt stellt dabei die Befriedigung von Bedürfnissen vor dem
36
vgl. Gauger (2000), S. 96ff.
37
vgl. Weller (2003), S. 80. Dieser Ansatz geht maßgeblich auf Mowday, Porter und Steers zurück (vgl.
Felfe (2008), S. 27).
38
Weller (2003), S. 81.
39
,,Werte sind Überzeugungen, was eine Person als wünschenswert, richtig oder falsch ansieht (...). Die
Summe der gelebten Werte einer Person macht seine Persönlichkeit aus, die Summe der gelebten Werte
eines Unternehmens dessen Unternehmenskultur. Werte sind für den Einzelnen ebenso wie für ein
gesamtes Unternehmen fundamental und beeinflussen das Denken und Handeln so sehr wie kaum ein
anderes Konstrukt" (Loffing/Loffing (2010), S. 147).
40
vgl. Felfe (2008), S. 27; vgl. Ammon (2006), S. 4f.; vgl. Gauger (2000), S. 73.
41
vgl. Felfe (2008), S. 26; vgl. Weller (2003), S. 81.
9
Hintergrund individueller Werte, Einstellungen und Ziele dar. Kognitive Vergleichspro-
zesse (Soll-Ist-Vergleiche) können dann als Erklärungsmechanismen herangezogen
werden und Commitment entwickelt sich im Sinne einer Austauschbeziehung: Werden
die Bedürfnisse und Erwartungen der Mitarbeiter erfüllt, entsteht quasi als Gegen-
leistung Commitment.
42
Gauger betrachtet diese begriffliche Trennung in einstellungs- und verhaltensbe-
zogenes organisationales Commitment aufgrund von Rückkopplungseffekten als wenig
zweckmäßig. Sie führt dazu nachvollziehbar aus, dass Einstellungen als erlernte
Dispositionen dazu führen, in bestimmten Situationen auf eine bestimmte Weise zu
handeln. So kann z. B. eine hohe Identifikation mit den Zielen der Organisation zu
Commitment (Einstellung) führen und hierüber das Engagement (Verhalten) fördern.
Dieses Verhalten wiederum kann zu Konsequenzen im organisatorischen Umfeld füh-
ren (z. B. Lob des Vorgesetzten), deren Wahrnehmung als Erfahrung wiederum Ein-
fluss auf die bestehenden Einstellungen nehmen kann.
43
Und auch Rimbach betont,
dass Commitment sowohl primär einstellungsbedingte als auch teilweise verhaltensbe-
dingte Merkmale besitzt und somit von mehr als einer Größe abgeleitet werden kann:
,,Die psychologische Bindung geht über die Merkmale der simplen Verhaltenskonsistenz
und der einfachen Einstellung hinaus, denn die Bindung wird aktiv erlebt. Psycholo-
gische Zustände, die unterschiedlicher Natur sein können, wirken sich auf das Ver-
halten des Individuums aus. Das Verhalten wiederum wirkt sich über die Beeinflussung
von Umweltbedingungen indirekt auf die Commitment-Bildung aus."
44
Die Kritik an den stark auseinanderdriftenden Ansätzen der unterschiedlichen
Forschungsrichtungen in der Commitmentforschung führte zu einer Entwicklung mehr-
dimensionaler Commitmentkonzepte. Eines dieser Konzepte, das sowohl einstellungs-
und verhaltensbezogene Ansätze integriert, ist das sogenannte ,,Drei-Komponenten-
Modell" von Meyer und Allen.
45
Es hat in der Commitmentforschung breite Akzeptanz
und empirische Bestätigung erfahren.
46
Die psychologische Bindung basiert bei diesem
Commitmentkonstrukt auf drei Komponenten: Dem Wollen, Müssen und Sollen.
47
Mit-
arbeiter binden sich an ein Unternehmen, weil sie es aufgrund emotionaler Wünsche
und Empfindungen wollen, weil sie es aufgrund kalkulatorischer Überlegungen müssen
oder weil sie es aufgrund einer empfundenen Verpflichtung nach sollten.
48
Diese drei
Komponenten sollen im folgenden Kapitel weiter konkretisiert werden.
42
vgl. Westphal (2011), S. 42; vgl. Felfe (2008), S. 26.
43
vgl. Gauger (2000), S. 75ff.
44
Rimbach (2011), S. 15.
45
vgl. Meyer/Allen (1991) zit. n. Meyer/Allen (1997), S. 11; vgl. Weller (2003), S. 83. Weller (ebd.) benennt
weitere Konzeptionen, z. B. von Mayer/Schoorman (1992) und O'Reilly/Chatman (1986).
46
vgl. Rimbach (2011), S. 14; vgl. Weller (2003), S. 83.
47
vgl. Meyer/Allen (1997), S. 11.
48
vgl. Meyer /Allen (1991) zit. n. Rimbach (2011), S. 16.
10
2.1.1 D
AS
C
OMMITMENTMODELL VON
M
EYER UND
A
LLEN
,,Allen und Meyer (1990) erkannten aufgrund einer Literatur- und Forschungsanalyse,
dass OC [organisationales Commitment, C.S.] mehrdimensional zu erfassen ist (...)."
49
In einem ersten Schritt schlugen sie vor, organisationales Commitment als zweidimen-
sionales Konstrukt zu verstehen, das die Dimensionen ,,affektives Commitment" und
,,kalkulatorisches Commitment", entsprechend den eben beschriebenen Ansätzen, be-
inhaltet. In einem späteren Artikel wurde das Konstrukt um eine weitere Dimension,
dem ,,normativen Commitment", ergänzt.
50
Abbildung 1 fasst die einzelnen Komponenten, auf die im Folgenden eingegangen
wird, überblicksweise zusammen.
Abbildung 1: Commitmentkomponenten.
51
(1) Affektives Commitment - Wollen
Affektives Commitment (angelehnt an den einstellungsbezogenen Ansatz) ,,...refers to
the employee's emotional attachment to, identification with, and involvement in the
organization. Employees with a strong Affective Commitment continue employment
with the organization because they want to do so".
52
Beschrieben ist hier v. a. eine
positive innere Zuwendung und emotionale Bindung an das Unternehmen, die durch
49
Allen/Meyer (1990) zit. n. Ammon (2006), S. 5.
50
vgl. Felfe (2008), S. 36.
51
eigene Darstellung in Anlehnung an Gauger (2000), S. 136.
52
Meyer/Allen (1991), S. 67 zit. n. Westphal (2011), S. 51.
11
starke Akzeptanz und Identifikation mit den Zielen und Werten der Organisation, einer
hohen Einsatzbereitschaft sowie dem Wunsch in der Organisation zu verbleiben, ge-
kennzeichnet ist. Bei Individuen mit hohem affektiven Commitment ist die Verbunden-
heit v. a. über positive Gefühle wie z. B. Freude, Stolz und Loyalität charakterisiert
53
.
(2) Kalkulatorisches Commitment
54
- Müssen
Kalkulatorisches Commitment (angelehnt an den verhaltensbezogenen Ansatz)
...refers to an awareness of the costs associated with leaving the organization. Em-
ployees whose primary link to the organization is based on Continuance Commitment
remain because they need to do so".
55
Im Vordergrund dieser Commitmentdimension
stehen v. a. rationale Gründe, im Sinne von individuell wahrgenommenen Kosten, die
mit dem Verlassen des Unternehmens verbunden wären, z. B. durch Gehaltsverlust,
Wechsel des Wohnortes oder der Verlust sozialer Beziehungen. Anknüpfend an die
Seitenwetten-Theorie
56
sind für das kalkulatorische Commitment zwei Teilkompo-
nenten relevant: Die Bindung an das Unternehmen resultiert hier daraus, dass wenige
oder keine Alternativen vorhanden sind oder aber aufgrund des Verlustes von Vorteilen
und Investitionen, die ein Ausscheiden aus der Organisation zur Folge hätte.
57
Dabei
gehen die beiden Subkomponenten ,,wenig Alternativen" und ,,Verlust von Investi-
tionen" mit unterschiedlichen psychologischen Erlebnisqualitäten einher, die wiederum
unterschiedliche Verhaltenskonsequenzen erwarten lassen: Steht der Verlust von
Investitionen oder Vorteilen im Vordergrund, ist anzunehmen, dass die Erlebnisqualität
eher positiv ausfällt und der Mitarbeiter sich bemühen wird, diese nicht zu gefährden.
Bestehen keine oder wenig Alternativen, handelt es sich bei dem Arbeitsverhältnis also
eher um eine ,,Zwangssituation", die i. d. R. mit negativen Gefühlen wie Hilflosigkeit,
Unzufriedenheit, Kontrollverlust aber auch Stress verbunden ist. Hier wird die Bereit-
schaft, sich zu engagieren eher gering sein und die Wahrscheinlichkeit, dass be-
treffende Mitarbeiter das Unternehmen bei nächster Gelegenheit verlassen, ist relativ
hoch.
58
Eine stringente Trennung beider Subkomponenten erscheint in der Praxis aller-
53
vgl. Westphal (2011), S. 51; vgl. Felfe (2008), S. 27, S. 37; vgl. van Dick (2004), S. 3; vgl. Gauger
(2000), S. 80.
54
diese Form des Commitments wird auch fortsetzungsbezogenes (continuance) Commitment genannt
(vgl. Meyer/Allen (1997), S. 11).
55
Meyer/Allen (1991) zit. n. Westphal (2011), S. 52. Meyer/Allen verweisen darauf, dass ihr mehrdimen-
sionales Modell eher einstellungsorientiert ist. Das ursprünglich verhaltensbezogene kalkulatorische
Commitment wird hier als Ausdruck einer Einstellung gegenüber der Organisation verstanden, denn in den
Kosten-Nutzenbetrachtungen kommt eine subjektive, rationale Einstellung zum Ausdruck. Nicht die
tatsächlichen Kosten oder Nutzen sind relevant, sondern inwieweit diese im Erleben der Beziehung zur
Organisation eine Rolle spielen (vgl. Meyer/Allen/Topolnytksy 1998 zit. n. Felfe (2008), S. 37).
56
siehe Kapitel 2.1.
57
vgl. Westphal (2011), S. 52; vgl. Felfe (2008), S. 51; vgl. van Dick (2004), S. 4; vgl. Gauger (2000), S.
15; S. 80;
58
vgl. Felfe (2008), S. 51; vgl. van Dick (2004), S.19
12
dings nur schwer möglich, da es trotz vorhandener Job-Alternativen mit (allerdings)
schlechterer Bezahlung zu einer gefühlten Alternativlosigkeit kommen kann.
(3) Normatives Commitment - Sollen
Normatives Commitment "...reflects a feeling of obligation to continue employment.
Employees with a high level of Normative Commitment feel that they ought to remain
with the organization.
59
Die Bindung an das Unternehmen resultiert hier aus der Wahr-
nehmung einer normativen moralisch-ethischen Verpflichtung. Diese gefühlte Verpflich-
tung und die über familiäre und betriebliche Sozialisationsprozesse entstandenen
normativen Erwartungen begründen die Bindung an das Unternehmen im Sinne einer
Wiedergutmachung bzw. des Einlösens einer Schuld aufgrund erbrachter Leistungen
und Vorzüge durch das Unternehmen (z. B. Ausbildung, Training, Karriere).
60
Meyer/Allen betonen mit ihrem integrativen Ansatz, dass das psychologische Band,
das ein Individuum mit einer Organisation verbindet, nicht nur unterschiedlich stark,
sondern auch von unterschiedlicher Qualität sein kann und sie führen aus, dass Indivi-
duen alle drei Dimensionen in variabler Ausprägung erleben können.
61
Die Beziehungen zwischen den drei Komponenten weisen ein vergleichsweise konsis-
tentes Bild auf. So fällt z. B. der Zusammenhang zwischen affektivem und kalkula-
torischem Commitment gering aus und belegt damit die Ansicht, dass es sich bei
beiden um eher unabhängige Beziehungsqualitäten handelt. Dennoch können Mitar-
beiter mit hohem affektiven Commitment auch tendenziell kalkulatorisches Commit-
ment aufweisen, da sich die beiden Komponenten nicht ausschließen und zu einer
hohen emotionalen Bindung durchaus rationale Bindungsgründe hinzukommen
können. Der Zusammenhang zwischen affektivem und normativem Commitment stellt
sich deutlicher und ,,ausgeglichener" dar. Hier spielen gemeinsame Werte und Normen
eine Rolle. Systematische Zusammenhänge zeigen sich laut Felfe außerdem zwischen
normativem und kalkulatorischem Commitment, was nach seiner Ansicht mit der extrin-
sischen Motivation erklärt werden kann, die beiden Komponenten zugrunde liegt. Da-
mit Maßnahmen nicht ,,am Bedarf vorbei" geplant und implementiert werden und In-
vestitionen verpuffen, empfiehlt es sich, bei der Gestaltung von Maßnahmen zur Förde-
rung von Commitment zu eruieren, welche Kombinationen von Commitment, im Sinne
von Commitmentprofilen, im Unternehmen vorherrschen und als Grundlage für eine
Strategieentwicklung heranzuziehen.
62
59
Meyer/Allen (1991) zit. n. Westphal (2011), S. 52.
60
vgl. Westphal (2011), S. 52; vgl. van Dick (2004), S. 3; vgl. Gauger (2000), S. 81.
61
vgl. Rimbach (2011), S. 16; vgl. Felfe (2008), S. 37; vgl. Ammon (2006), S. 5.
62
vgl. Felfe (2008), S. 39, S. 50f.
13
Für Unternehmen ist insbesondere die affektive Form des Commitments relevant, da
diese die stärksten Zusammenhänge mit solchen Einstellungen und Verhaltensweisen
zeigt, die für die Effektivität des Unternehmens von zentraler Bedeutung sind, z. B.
Leistung, Extra-Rollenverhalten, Kündigungsabsicht.
63
Auch normatives Commitment
weist diese Zusammenhänge auf, allerdings in einem schwächeren Ausmaß. Im
Hinblick auf kalkulatorisches Commitment ist festzustellen, dass dieses nicht oder so-
gar negativ mit den oben genannten Kriterien korreliert.
64
Die vorliegende Arbeit fokussiert v. a. auf solche Ansatzpunkte, die gemäß der empi-
rischen Befundlage besonders geeignet sind, die affektive Form des organisationalen
Commitments zu beeinflussen.
2.1.2 M
ULTIPLES
C
OMMITMENT
Commitment ist, das verdeutlichen die bisherigen Ausführungen, immer zielgerichtet:
Es bezieht sich nicht auf eine ,,monolithische, undifferenzierte Einheit."
65
Organisa-
tionen als abstrakte Gebilde, bestehen aus unterschiedlichen Einheiten, mit ihren je-
weiligen Zielen und Werten, die mit denen der Organisation in- oder kompatibel sein
können. Demzufolge kann nach Ansicht Reichers Commitment am Besten verstanden
werden als ,,collection of multiple commitments to various groups that comprise the
organization."
66
Weitere Bezugsobjekte für Commitment sind z. B. die Abteilung, die
Arbeitsgruppe, die Führungskraft
67
, aber auch der eigene Beruf oder die Tätigkeit, die
Beschäftigungsform oder die Karriere.
68
Ist die Distanz zum Unternehmen groß, kann dies dazu führen, dass z. B. die Bezie-
hung zum eigenen Team in den Vordergrund rückt. Personen, die ein hohes Commit-
ment gegenüber ihrem Team aufweisen, identifizieren sich mit der Leistung sowie den
Zielen des Teams, sind stolz Teil des Teams zu sein, fühlen sich emotional mit diesem
verbunden und es ist ihnen wichtig, auch weiterhin in dieser Gruppe zu sein. Hoher
Gruppenzusammenhalt und hohes Team-Commitment können dazu führen, dass das
ganze Team oder ein Großteil davon das Unternehmen gemeinsam verlässt.
69
63
siehe hierzu auch die Ausführungen in Kapitel 4.1.
64
vgl. Schommers (2010), S. 178ff.; vgl. Felfe (2008), S. 113-123.
65
vgl. Reichers (1985) zit. n. Meyer/Allen (1997), S. 17.
66
ebd.
67
vgl. Rimbach (2011), S. 13; vgl. Schommers (2010), S. 175; vgl. Felfe (2008), S. 41.
68
vgl. Felfe (2008), S. 41-47.
69
vgl. Felfe (2008), S. 43f. Dies war v. a. in der ,,Boomzeit" der IT-Beratung (um die Jahrtausendwende)
nach eigenen Erfahrungen nicht selten (und ist auch heute noch aktuell, wenn auch in abgeschwächtem
Maße): Zum Teil wechselten ganze Abteilungen von einem Beratungshaus in ein anderes oder gründeten
eigene Unternehmen.
14
Personen mit hohem Commitment gegenüber dem Beruf oder der Tätigkeit sind stark
daran interessiert, ihren Beruf oder ihre Tätigkeit auch in Zukunft ausüben zu können,
da sich die eigenen Bedürfnisse und Wertvorstellungen durch den Beruf oder die Tätig-
keit verwirklichen lassen. Der Beruf oder die Tätigkeit sind dann ein wesentlicher
Bestandteil der Identität und ein Wechsel in ein anderes Berufsfeld ist kaum vorstell-
bar, wohl aber ein Wechsel in eine andere Organisation.
70
Die einzelnen Fokusse können sich dabei ergänzen und voneinander abhängen, es
können aber auch Konflikte zwischen den unterschiedlichen Formen des Commitments
entstehen.
71
Die Differenzierung unterschiedlicher Commitmentfokusse ermöglicht
einen genaueren Blick auf die komplexe multidimensionale Natur von Commitment, die
Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Bezugsobjekten, die jeweiligen Entstehungs-
bedingungen sowie deren Konsequenzen auf das Verhalten.
72
Die Diskussion um
unterschiedliche Richtungen von Commitment wird auch vor dem Hintergrund ein-
schneidender Veränderungen sowohl bei Organisationen (z. B. Umstrukturierungen)
als auch bezogen auf die Beschäftigungsformen (z. B. Zunahme von Leih- und Zeit-
arbeit) geführt, da diese Veränderungen dazu führen können, dass die meist übliche
Bindung an eine Organisation in Zukunft eine eher untergeordnete Rolle einnimmt.
73
Auch Allen/Meyer erweiterten ihre ,,Drei-Komponenten"-Konzeptualisierung auf andere
Bezugsobjekte und präzisieren:
"Affective, continuance, and normative commitment are psychological states that
characterize the person's relationship with the entity in question and have implications
for the decisions to remain involved with it."
74
Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass Beschäftigte innerhalb einer
Organisation grundsätzlich unterschiedlich ausgeprägtes Commitment gegenüber
unterschiedlichen arbeitsbezogenen Einheiten gleichzeitig zeigen können; damit ergibt
sich ein ,,Multifacettenmodell"
75
des organisationalen Commitments.
76
Gerade für die IT-Beratung als ,,Leitbranche entgrenzter Arbeit" mit ihren ,,eigensinnig"
ausnutzbaren Handlungsspielräumen erscheint es zweckmäßig, Commitment bezogen
auf die Organisation als Ganzes zu betrachten. Dabei dürfen jedoch die verschiedenen
Commitmentfokusse nicht außer Acht gelassen werden, da sie eine ,,durchaus hohe
Bedeutung für den Aufbau organisationalen Commitments haben und [somit] Ansatz-
70
vgl. Felfe (2008), S. 42f.
71
vgl. ebd., S. 52.
72
vgl. Schommers (2010), S. 175; vgl. Felfe (2008), S. 48f.; vgl. Meyer/Allen (1997), S. 21f.
73
Cooper-Hakim/Visweswaran (2005) zit. n. Felfe (2008), S. 41.
74
Meyer/Allen (1997), S. 93.
75
Franke/Felfe (2008), S. 136.
76
vgl. Felfe (2008), S. 42.
15
punkte eines Commitment-Managements darstellen."
77
Die Kenntnis über die
möglichen Bezugsobjekte ist dabei, genauso wie zu erstellende Commitmentprofile
sowohl für die Analyse der aktuellen Commitmentstrukturen im (IT-)Unternehmen als
auch für eine Ausgestaltung commitmentfördernder Handlungsfelder und Maßnahmen
von Bedeutung, nicht zuletzt, um etwaigen Dysfunktionalitäten in oder zwischen den
einzelnen unternehmensbezogenen Subeinheiten
78
entgegenzuwirken.
2.2 A
BGRENZUNG ZUM
K
ONZEPT DER ORGANISATIONALEN
I
DENTIFIKATION
Mit dem Konzept der organisationalen Identifikation existiert ein weiterer konzep-
tioneller Zugang, um die Bindung von Mitarbeitern zu Organisationen zu erklären.
Dabei ist zu konstatieren, dass sich beide Konzepte sehr ähnlich sind und in einigen
Aspekten überschneiden, denn beide Konzepte reflektieren die psychologische Verbin-
dung zwischen Individuum und Organisation.
79
Dies beginnt schon bei den jeweiligen
Definitionen. So wird in einigen Publikationen Identifikation als Teil des organisa-
tionalen Commitments
80
und in anderen wird Commitment als Teil der Identifikation
81
betrachtet. Mowday, Porter und Steers beispielsweise betrachten Identifikation als
definitorischen Bestandteil von Commitment.
82
Die Wirkbeziehung zwischen organi-
sationaler Identifikation und organisationalem Commitment wird dabei als ein Prozess
von Ursache und Wirkung beschrieben: Höheres Commitment kann dabei eine Folge
organisationaler Identifikation sein. Auch Meyer et al. schlagen vor, organisationale
Identifikation als grundlegenden Mechanismus und Ursache von Commitment anzu-
sehen
83
, da Identifikation mit den Zielen der Organisation zu einer veränderten Wahr-
nehmung und Einstellung führt: Diese Ziele werden als eigene Ziele wahrgenommen,
was wiederum die Bereitschaft erhöht, sich durch entsprechende Beiträge für diese
Ziele und den Unternehmenserfolg einzusetzen.
84
In diesem Zusammenhang sind
auch die Komponenten der organisationalen Identifikation zu betrachten, die analog
des Commitmentkonstrukts in der wissenschaftlichen Literatur diskutiert werden.
77
Gauger (2000), S. 69.
78
hier sind auch die für die IT-Beratung relevanten unterschiedlichen Projektorganisationen als
Subeinheiten gemeint.
79
vgl. Felfe (2008), S. 53, S. 67; vgl. van Knippenberg/Sleebos (2006) zit. n. Böhm (2008), S. 48.
80
vgl. Allen/Meyer (1990), Mowday/Steers/Porter (1979), O'Reilly/Chatman (1986) alle zit. n. Franke/Felfe
(2008), S. 136.
81
vgl. Bergami/Bagozzi (2000), Ellemers/Kortekaas/Ouwerkerk (1999) alle zit. n. Franke/Felfe (2008), S.
136.
82
siehe dazu auch ,,einstellungsbezogenes Commitment" Kapitel 2.1.
83
vgl. Meyer et al. (2004) zit. n. Böhm (2008), S. 127; vgl. Mael/Ashfort (2001) zit. n. Böhm (2008), S. 127.
84
vgl. Mael/Ashfort (1989) zit. n. Böhm (2008), S. 127; vgl. Böhm (2008), S. 127.
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Erstausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2014
- ISBN (eBook)
- 9783958209107
- ISBN (Paperback)
- 9783958204102
- Dateigröße
- 3.6 MB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau
- Erscheinungsdatum
- 2015 (Oktober)
- Note
- 1
- Schlagworte
- mehr mitarbeiterbindung organisationales commitment it-beratung theoretische grundlagen handlungsfelder ansatzpunkte