Pflicht eines Markenherstellers zur Belieferung von Online-Shops
©2008
Masterarbeit
63 Seiten
Zusammenfassung
Totgesagte leben länger. Nach dem Platzen der Dotcom-Blase um die Jahrtausendwende sahen viele das Ende der Internetgeschäftsmodelle gekommen. Für den Bereich der Markenprodukte musste dies nach der fulminanten Pleite des Fashion-„e-tailers“ boo.com im Jahre 2000 in besonderem Maße gelten. Doch der E-Commerce erfreut sich größerer Beliebtheit als jemals zuvor. Dabei hat auch die Bandbreite der angebotenen Güter zugenommen und sich diversifiziert. Lange Zeit bestimmten der Bücherkauf bei amazon.de, die Schnäppchenjagd bei ebay.de oder die Urlaubsbuchung bei expedia.de das Bild des E-Commerce. Mittlerweile haben jedoch auch im Internet das Angebot und die Nachfrage nach Marken- und Luxusgütern zugekommen. Die Hersteller sehen hierin jedoch oftmals eher eine Bedrohung ihrer Marke als eine Chance, neue Absatzkanäle zu etablieren. Insbesondere in das Visier der Hersteller sind dabei Internet-Shops geraten, die innerhalb eines selektiven Vertriebssystems agieren oder Zugang zu einem solchen System begehren. Die Hersteller fürchten um ihr Markenimage und die Shop-Betreiber um ihre Umsätze. Bei einer solchen Interessenkollision scheint der Gang zu den Gerichten unvermeidlich.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
4
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Wirtz, Markus M.: Anwendbarkeit von § 20 GWB auf selektive Ver-
triebssysteme nach Inkrafttreten der VO 1/2003 Anmerkung
zum Urteil des OLG München vom 6.12.2001 ,,Internetver-
trieb", WuW 2003, 1039
7
A.
Einführung
I.
Gegenstand der Arbeit
Totgesagte leben länger. Nach dem Platzen der Dotcom-Blase um die
Jahrtausendwende sahen viele das Ende der Internetgeschäftsmodelle
gekommen. Für den Bereich der Markenprodukte musste dies nach
der fulminanten Pleite des Fashion-,,e-tailers"
1
boo.com
2
im Jahre
2000 in besonderem Maße gelten. Doch der E-Commerce erfreut sich
größerer Beliebtheit als jemals zuvor. Dabei hat auch die Bandbreite
der angebotenen Güter zugenommen und sich diversifiziert. Lange
Zeit bestimmten der Bücherkauf bei amazon.de, die Schnäppchenjagd
bei ebay.de oder die Urlaubsbuchung bei expedia.de das Bild des E-
Commerce. Mittlerweile haben jedoch auch im Internet das Angebot
und die Nachfrage nach Marken- und Luxusgütern zugekommen
3
. Die
Hersteller sehen hierin jedoch oftmals eher eine Bedrohung ihrer
Marke als eine Chance, neue Absatzkanäle zu etablieren. Insbesondere
in das Visier der Hersteller sind dabei Internet-Shops geraten, die in-
nerhalb eines selektiven Vertriebssystems agieren oder Zugang zu
einem solchen System begehren. Die Hersteller fürchten um ihr Mar-
kenimage und die Shop-Betreiber um ihre Umsätze. Bei einer solchen
Interessenkollision scheint der Gang zu den Gerichten unvermeidlich.
Der BGH hat sich mit dieser Problematik in der Entscheidung Depot-
kosmetik im Internet
4
beschäftigt. Der BGH ließ in dieser Entschei-
dung Beschränkungen des Internet-Vertriebs zu. Die Vorinstanz, das
OLG München, hatte keine Beschränkung des Internet-Vertriebs zu-
gelassen.
5
Nachdem die Beschränkbarkeit des Internet-Vertriebs somit
zunächst höchstrichterlich geklärt schien, hat diese Frage in jüngster
Vergangenheit neue Aktualität erlangt. Am 24.07.2007 verwarf das
LG Berlin eine Vertragsklausel, die einen Verkauf über eBay unter-
1
Eigenbezeichnung von boo.com
2
Anmerkung: Die Domain boo.com ist verkauft worden. Es findet sich dort jetzt
ein Online-Reisebüro, das mit dem ursprünglichen Unternehmen nichts zu tun hat.
3
z.B.
http://www.louisvuitton.com
http://www.hermes.com
http://www.dior.com
4
BGH WRP 2004, 374
5
OLG München, MMR 2002, 162
8
sagte.
6
Kurz darauf erklärte das LG Mannheim eine solche Klausel für
zulässig.
7
Durch diese Urteile ist neue Rechtsunsicherheit entstanden.
Es scheint somit angezeigt, die Beschränkbarkeit des Internet-
Vertriebs seitens der Markenhersteller grundsätzlich zu untersuchen.
Zum einen ist zu untersuchen, ob und wie sich die Frage juristisch
sauber lösen lässt. Zum anderen sind Leitlinien zu entwerfen, wie sich
Markenhersteller in Anbetracht der unklaren Rechtslage bei der Ver-
tragsgestaltung verhalten sollten.
II.
Gang der Untersuchung
Zunächst werden die relevanten Urteile vorgestellt, die Argumente
herausgestellt und auf ihre Tragfähigkeit hin untersucht. Anschließend
wird ein eigenständiger Ansatz entwickelt. Dabei soll insbesondere
auch auf die Frage eines etwaigen Anwendungsvorrangs des europäi-
schen vor dem deutschen Recht eingegangen werden. Behandelt wird
auch die Frage, ob aus einer kartellrechtlichen Diskriminierung ein
Belieferungsanspruch resultiert. Ausgehend von den gefundenen Er-
gebnissen werden Empfehlungen für die juristische und unternehmeri-
sche Praxis entwickelt. Im Rahmen der kartellrechtlichen Prüfung
wird dabei nur auf die sich für den Internet-Vertrieb ergebenden Be-
sonderheiten eingegangen.
6
LG Berlin Urteil v. 24.07.2007 16 O 412/07
7
LG Mannheim Urteil vom 14.03.2008 7 O 263/07 Kart, JurPC Web-Dok.
74/2008, Abs. 1 64
9
B.
Die Rechtsprechung
I)
Das Urteil des OLG München vom 6. Dezember 2001
U (K) 3338/01
8
Das OLG München sah es als einen Verstoß gegen § 20 GWB an,
wenn ein marktstarker Hersteller von Spitzenkosmetika, der diese in
einem selektiven Einzelhandelsvertriebssystem vertreibt, die Zuläs-
sigkeit des Vertriebs im Internet nur seinen vertraglich an ihn gebun-
denen ,,Depositären" gestattet.
1)
Der Sachverhalt
Die Klägerin in diesem Verfahren war die Beautynet AG (heute:
Beautynet Online Parfümerie GmbH), die die Internet-Seite beauty-
net.de betreibt.
9
Auf dieser Seite bietet sie diverse Kosmetika an. Be-
klagte in diesem Verfahren war die Lancaster Group GmbH,
10
die
Luxuskosmetika und Parfümerieprodukte herstellt und vertreibt. Diese
Produkte vertreibt Lancaster in einem selektiven Vertriebssystem über
von ihr autorisierte, ein bestimmten Anforderungen genügendes La-
dengeschäft betreibende, ,,Depositäre" auf der Grundlage von mit die-
sen abgeschlossenen Depotverträgen. Im Rahmen einer Zusatzverein-
barung gestattet Lancaster den Depositären den Vertrieb der Vertrags-
produkte über das Internet. Bedingung ist dabei, dass der über das
Internet erzielte Umsatz die Schwelle von 50% des Gesamtumsatzes
der Vertragsprodukte nicht übersteigt. Reine Internet-Shops werden
von Lancaster nicht beliefert. Den Depositären ist es zudem untersagt,
nicht zum selektiven Vertriebssystem zugelassene Händler zu belie-
fern.
8
OLG München, MMR 2002, 162
9
Der Name der Klägerin ergibt sich aus Becker/Pfeiffer ZWeR 2004, 268 ff.
10
Der Name der Beklagten ergibt sich aus Becker/Pfeiffer a.a.O.
10
2)
Die Argumentation des Gerichts
Das OLG München sieht eine Nichtbelieferung von Beautynet als eine
unbillige Behinderung und sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbe-
handlung im Sinne von § 20 Absatz 2 in Verbindung mit Absatz 1
GWB gegenüber gleichartigen Unternehmen an. Für die Frage der
Billigkeit und der sachlichen Begründetheit der Diskriminierung der
Klägerin komme es auf eine Abwägung der Interessen der Beteiligten
an. Das OLG München entscheidet ausdrücklich nicht über die Frage,
ob es gerechtfertigt wäre, den Internetvertrieb als eine den zu stellen-
den qualitativen Anforderungen nicht genügende Vertriebsform gene-
rell von der Belieferung auszuschließen. Diese Anforderungen erge-
ben sich für das OLG München für den Bereich der Luxuskosmetika
aus Entscheidungen der Kommission zum selektiven Vertrieb beim
Versandhandel.
11
Es komme für die Entscheidung des Rechtstreits
vielmehr darauf an, ob das Vorhandensein eines Einzelhandelsge-
schäfts ein objektiv sachgerechtes und angemessenes Kriterium für die
Zulassung eines Händlers zum Internetvertrieb darstelle. Diese Frage
sei nach der Auffassung des OLG München zu verneinen. Es sei nicht
ersichtlich, was das Vorhandensein eines stationären Ladengeschäfts
in Bezug auf den Internethandel zur Aufrechterhaltung des Lu-
xusimage der Produkte beitragen sollte. Der Ruf eines Fachhändlers
sei regelmäßig lokal begrenzt. Dies sei jedoch für das überregional
erreichbare Internet ohne wesentliche Bedeutung. Zudem sei der In-
ternethandel auch in der Lage, einen eigenen, auf dem Image der Pro-
dukte beruhenden, Ruf aufzubauen. Angesichts der flächendeckend
gleichmäßigen Erreichbarkeit des Internet sei das Verlangen nach ei-
nem stationären Fachhandel als Grundlage für die Zulässigkeit des
Internethandels nicht nachvollziehbar. Außerdem scheine das Internet
geeignet, regional und persönlich neue Kundenschichten zu erschlie-
ßen, die vom stationären Fachhandel nicht oder nur schlecht erreicht
würden. Die Zulassung des reinen Internethandels müsse nicht dazu
führen, dass im Bereich des stationären Einzelhandels besondere Qua-
11
92/33/EWG: Entscheidung der Kommission vom 16. Dezember 1991 in einem
Verfahren nach Artikel 85 des EWG-Vertrags (IV/33.242 Yves Saint Laurent
Parfumes), Amtsblatt Nr. L 012 vom 18/01/1992 S. 0024 - 0035
11
litätsanforderungen als Selektionskriterien nicht mehr aufrechterhalten
werden könnten. Vielmehr seien stationärer Einzelhandel einerseits
und Internethandel andererseits grundlegend verschieden. Somit könn-
ten an die Zulassung zur Teilnahme an einem selektiven Vertrieb in
beiden Vertriebswegen gänzlich unterschiedliche Anforderungen ge-
stellt werden. Die an ein Ladengeschäft, seine Lage und Ausstattung
und an sein Personal gestellten Anforderungen ließen sich nicht auf
das Internet übertragen. Umgekehrt ließen sich die Anforderungen an
die visuelle Darstellung der Produkte im Internet nicht auf ein Laden-
geschäft übertragen. Beide Vertriebswege könnten nebeneinander
genutzt werden. Die abschließende Abwägung der Interessen der Par-
teien und die normative Bewertung ergäben, dass die in der Nichtbe-
lieferung der Klägerin durch die Beklagte liegende Ungleichbehand-
lung und Behinderung unbillig und sachlich nicht gerechtfertigt sei.
Daraus folge ein Anspruch der Klägerin gemäß § 33 GWB, § 249
BGB auf Belieferung zu den Bedingungen der zum Internet zugelas-
senen Depositäre, wobei die Bedingungen außer Betracht blieben, die
auf das Vorhandensein eines stationären Ladengeschäfts abstellen.
3)
Die Kritik an der Entscheidung in der Literatur
Die Entscheidung ist in der Literatur auf Kritik gestoßen. Sie sei aus
zwei Gründen unzutreffend. Sie verkenne die maßgeblichen wirt-
schaftlichen Unterschiede zwischen dem reinen Internethandel einer-
seits und dem stationären Einzelhandel mit zusätzlichem Internetver-
trieb andererseits. Außerdem bestehe ein Anwendungsvorrang des
europäischen Rechts.
12
Das Gericht übersehe jedoch in seiner Ent-
scheidung die europarechtliche Ebene.
13
Der Internethandel stelle
grundsätzlich nichts anderes als eine Form des Versandhandels dar.
Der klassische Versandhandel unterscheide sich vom Internetvertrieb
nur hinsichtlich der Form der Darstellung des Produkts (Website an-
stelle eines Kataloges) und des Bestellvorgangs (Maus-Klick statt
12
Bauer, WRP 2003, 243, 244
13
Becker/Pfeiffer, ZWeR 2004, 268, 275
Jaeger, MMR 2004, 537, 538
12
Postkarte oder Telefon/Fax). Sämtliche wirtschaftlich prägenden Tä-
tigkeiten (Warenbeschaffung, Lagerung und Auslieferung) seien je-
doch identisch. Die für den Versandhandel entwickelten Grundsätze
würden daher auch für den Internethandel gelten.
14
Demnach sei nach
der Auffassung Bauers ein generelles Verbot des Internethandels zu-
lässig. Auch eine Nichtbelieferung reiner Internethändler sei zulässig,
da dies lediglich ein Minus zu dem generellen Verbot des Internethan-
dels darstelle.
15
Es gelte die Rechtsprechung des BGH
16
, die den Her-
stellern von Luxuskosmetika ein berechtigtes Interesse an der Be-
schränkung des Versandhandels zubilligt, um Image und Qualitätsni-
veau der Produkte nicht zu gefährden. Das OLG München verkenne
demgegenüber, dass ein wesentlicher Unterschied zwischen reinen
Internethändlern einerseits und stationären Einzelhandel mit Internet-
zusatzhandel bestehe, der eine Nichtbelieferung reiner Internethändler
rechtfertige.
17
Der Internetvertrieb könne im Gegensatz zu einem La-
denlokal keine ,,Aura von Luxus" vermitteln. Eine solche Aura hat die
Kommission im Rahmen des Luxusgütervertriebs als schützenswert
angesehen.
18
Nach der Auffassung Bauers sei es offensichtlich, dass
ein Einkaufserlebnis mit einer ,,Aura von Luxus" nicht gewährt wer-
den könne, wenn das Produkt - wie beim Internetkauf auf einem
Bildschirm betrachtet, ohne jede physische Erfahrung per Mausklick
bestellt später ausgeliefert werde. Der Vertrieb über die stationären
Verkaufslokale sei somit das prägende Merkmal, das überhaupt erst
den Luxuscharakter herstelle und bewahre. Der Vertrieb über das In-
ternet nutze den dadurch geschaffenen Luxuscharakter nur, ohne
selbst einen entscheidenden Beitrag zu leisten.
19
Im Ergebnis sinke
dadurch mit jedem belieferten reinen Internethändler die prägende
Wirkung der stationären Ladengeschäfte.
20
Es fehle bei Internetkäufen
14
Bauer, WRP 2003, 243, 244 unter Bezug auf ein Urteil des Cour d`appel de
Versailles, GRUR Int. 2000, 1035
15
Bauer, WRP 2003, 243, 244
16
BGH, ZIP 1998, 2070 (,,Depotkosmetik")
17
Bauer, WRP 2003, 243, 245
18
92/33/EWG: Entscheidung der Kommission vom 16. Dezember 1991 in einem
Verfahren nach Artikel 85 des EWG-Vertrages (IV/33.242 Yves Saint Laurent
Parfums), Amtsblatt Nr. L 012 vom 18/01/1992 S. 0024 - 0035
19
Bauer, WRP 2003, 243, 245
20
Bauer, WRP 2003, 243, 246
13
auch an der physischen Erfahrbarkeit. Ohne die Tätigkeit des stationä-
ren Handels gäbe es den Interhandel mit Luxusprodukten demnach
nicht. Es liege somit eine Trittbrettfahrerproblematik vor.
21
Zudem
seien die Kosten reiner Internethändler weitaus geringer, als die Kos-
ten des stationären Handels. Wenn aber die Belieferung reiner Inter-
nethändler erfolge, die den strengen, kostenverursachenden Maßstä-
ben für stationäre Ladenlokale nicht unterlägen, bedeute dies, dass
seitens des Herstellers erhebliche Abstriche bei der Warenpräsentation
akzeptiert werden müssten. Es könne nicht verhindert werden, dass
bisher stationäre Ladengeschäfte mehr und mehr in reine Internet-
händler umgewandelt würden. Letztlich stehe damit die Existenz des
selektiven Vertriebssystems insgesamt in Gefahr.
22
Das OLG Mün-
chen habe außerdem das europäische Recht nicht berücksichtigt. Es
gelte in Konfliktsituationen der Grundsatz des Vorrangs des Gemein-
schaftsrechts.
23
Daran ändere sich grundsätzlich auch nach Inkrafttre-
ten der VO 1/2003 nichts.
24
Eine Konfliktsituation sei gegeben, da das
generelle Verbot des Intervertriebs in einem selektiven Vertriebssys-
tem keine Wettbewerbsbeschränkung darstelle, wenn es sich als Aus-
druck von zulässigen Selektionskriterien begründen lasse. In diesem
Falle liege schon keine Wettbewerbsbeschränkung nach Art. 81 Abs.
1 EGV vor. Dies habe die Europäische Kommission für den Bereich
des Versandhandels anerkannt.
25
Die Europäische Kommission gehe
allerdings (aus der Sicht Bauers) fälschlicherweise davon aus, dass
Internetvertrieb und Versandhandel zwei getrennt zu betrachtende
Vertriebsformen darstellten. Für diese Annahme bliebe sie jedoch eine
sachliche Begründung schuldig.
26
Die Belieferung reiner Internet-
händler könne vielmehr auf der Grundlage von Art. 4 lit. c, zweiter
21
Bauer, WRP 2003, 243, 246
22
Bauer, WRP 2003, 243, 246
23
Bauer, WRP 2003, 243, 248
Bergmann, ZWeR 2004, 268, 277
24
Wirtz, WuW 2003, 1039, 1044
25
Bauer, WRP 2003, 243, 247 unter Verweis auf die Entscheidung der
Europäischen Kommission ,,Yves Saint Laurent Parfums", Amtsblatt
Nr. L 012 vom 18/01/1992 S. 0024 - 0035
26
Bauer, WRP 2003, 243, 247 unter Bezug auf die Kommissionsentscheidungen
,,Yves Saint Laurent" vom 17.05.2001, Pressemitteilung IP/01/713 und ,,B&W
Loudspeakers" vom 24.062002, Pressemitteilung IP/02/916 in denen eine
Generelle Untersagung des Internetvertriebs als unzulässige Wettbewerbs-
beschränkung im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EGV angesehen wurde
14
Halbsatz Vertikal-GVO unterbleiben, da der Interhandel eine nicht
zugelassene Niederlassung im Sinne dieses Artikels darstelle.
27
Die
Hersteller von Luxusprodukten könnten also von ihren Vertriebshänd-
lern verlangen, dass der Internetvertrieb nur ein Annex zum stationä-
ren Handel sei.
28
4)
Stellungnahme
Das Urteil des OLG München übernimmt nicht unreflektiert die für
den Versandhandel ergangenen Entscheidungen. Es bemüht sich viel-
mehr, Unterschiede zwischen dem klassischen Versandhandel und
dem Internethandel aufzuzeigen. Andererseits wendet das OLG Mün-
chen aber auch die für den Versandhandel bestehenden Grundsätze,
soweit möglich, auf den Internethandel an und entwickelt diese weiter.
So erkennt das OLG München an, dass bestimmte Qualitätskriterien
von den Teilnehmern eines selektiven Vertriebssystems erfüllt werden
müssen. Allerdings entwickelt es besondere Qualitätskriterien für den
Internetvertrieb, anstatt, wie Bauer, einfach die für den stationären
Handel geltenden Kriterien anzuwenden. Diese können naturgemäß
nicht von einem Internet-Shop erfüllt werden. Natürlich ist die Ware
physisch nicht erfahrbar. Auch kann an das Personal eines Internet-
Shops nicht der Maßstab angelegt werden, der vom Personal eines
stationären Ladens erfüllt werden müsste. Das Personal eines Internet-
Shops kann schließlich nur im Rahmen eines e-Mail Kontakts oder
einer Hotline beratend tätig werden. Diese Besonderheiten können
jedoch nicht zu einer Benachteiligung von Internet-Shops führen. Dies
wäre unbillig, da diese Kriterien von den Shops nicht erfüllt werden
können. Diesem Umstand hat das OLG München durch seine diffe-
renzierte Argumentation überzeugend Rechnung getragen. Der Ver-
weis Bauers auf ein Urteil eines französischen Gerichts, das entgegen
dem OLG München entschieden hatte, geht fehl. Zwar ist für die Aus-
legung des europäischen Rechts anerkannt, dass auch eine rechtsver-
27
Bauer, WRP 2003, 243, 247
Wirtz, WuW 2003, 1039, 1041
28
Bauer, WRP 2003, 243, 248
15
gleichende Auslegung angezeigt sein kann.
29
Allerdings entschieden
weder das OLG München noch die Cour d`appel de Versailles auf der
Grundlage europäischen Rechts, sondern einzig gemäß des jeweiligen
nationalen Rechts.
30
Interessanterweise ist jedoch die Argumentation
Bauers fast identisch mit der Argumentation der Cour d`appel de Ver-
sailles in der (nicht amtlichen) deutschen Übersetzung.
31
Die Auffas-
sung Bauers wendet die Grundsätze des Versandhandels schematisch
und unreflektiert auf den Internethandel an, ohne die sich ergebenden
Besonderheiten zu berücksichtigen und entsprechend zu würdigen.
Eine solche Argumentation greift zu kurz. Inkonsequent ist es, dass
Bauer die Auffassung der Europäischen Kommission nur teilt, soweit
sie seine eigene Auffassung teilt. Dort, wo die Kommission jedoch die
Eigenarten des Internethandels herausstellt, erscheint ihm dies nicht
,,sachlich begründet". Auf die Frage ob und in wie weit der Internet-
handel dem klassischen Versandhandel vergleichbar ist, wird indes
noch einzugehen sein. Problematisch erscheint allerdings, dass das
OLG München einzig auf der Grundlage des deutschen Kartellrechts
entschieden hat, ohne das europäische Recht zu berücksichtigen. Auf
die Frage des Verhältnisses des deutschen und des europäischen
Rechts sowie eines etwaigen Anwendungsvorrangs des europäischen
Rechts wird ebenfalls noch einzugehen sein. Zu bedenken ist auch,
dass das OLG München ausdrücklich nicht darüber entschieden hat,
ob es gerechtfertigt wäre, den Internetvertrieb als eine den zu stellen-
den, d.h. den vom OLG München entwickelten, qualitativen Anforde-
rungen nicht genügende Vertriebsform generell von der Belieferung
auszuschließen.
32
Die Entscheidung ist somit nicht erschöpfend hin-
sichtlich der aufgeworfenen Fragen anzusehen.
29
Schroeder, JuS 2004, 180, 183
30
OLG München, MMR 2002, 162
Cour d`appel de Versailles, GRUR Int. 2000, 1035
31
vgl. Bauer, WRP 2003, 243, 245 linke Spalte, letzter Absatz
und Cour d`appel de Versailles, GRUR Int. 2000, 1035, 1036 rechte Spalte,
zweiter Absatz
32
OLG München, MMR 2002, 162, 164
16
II)
Das Urteil des LG Mainz vom 04.04.2002
12 HK.O 9/02
Kart.
33
Nach dem (Feststellungs-)Urteil des OLG München verweigerte Lan-
caster weiterhin die Belieferung von Beautynet. Hiergegen versuchte
diese eine einstweilige Verfügung zu erwirken. Das Landgericht
Mainz hat durch Beschluss von 24.01.2002 die beantragte einstweilige
Verfügung erlassen und durch Urteil vom 04.04.2002 im Wesentli-
chen aufrechterhalten. Das Gericht bejahte einen Belieferungsan-
spruch (=Verfügungsanspruch) gemäß §§ 21 Abs. 2 S. 1, 33 GWB
i.V.m. § 249 BGB. Es liege eine Diskriminierung der Verfügungsklä-
gerin durch die Verfügungsbeklagte vor. Das Vorhandensein eines
stationären Einzelhandelsgeschäftes sei kein sachgerechtes Differen-
zierungsmerkmal für die Zulassung des Händlers zum Vertrieb. Stati-
onärer Einzelhandel einerseits und Internethandel andererseits unter-
schieden sich grundsätzlich voneinander.
III)
Das Urteil des OLG Koblenz vom 31.10.2002 U 642/02
Kart.
34
Gegen das Urteil des LG Mainz legte Lancaster erfolgreich Berufung
ein.
1)
Die Argumentation des Gerichts
Das OLG Koblenz hob mit Urteil vom 31.10.2002 das Urteil des LG
Mainz auf. Der Erlass einer einstweiligen Verfügung sei nicht gemäß
§§ 935, 940 ZPO zulässig. Es fehle der Verfügungsgrund. Bei der
Abwägung der beiderseitigen Interessen könne nicht unberücksichtigt
bleiben, dass die Antragstellerin die von ihr behauptete Notlage selbst
herbeigeführt habe und es sich um eine provozierte Notlage handele.
Die Antragstellerin habe bei Aufnahme des Internethandels mit hoch-
wertigen Kosmetika die bestehenden Marktverhältnisse gekannt. Sie
habe gewusst, dass das Risiko der Nichtbelieferung bestand. Demge-
33
abrufbar unter
http://www.justiz.rlp.de
34
abrufbar unter
http://www.justiz.nrw.de
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Erstausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2008
- ISBN (eBook)
- 9783958209145
- ISBN (Paperback)
- 9783958204140
- Dateigröße
- 459 KB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
- Erscheinungsdatum
- 2015 (Oktober)
- Schlagworte
- pflicht markenherstellers belieferung online-shops