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Rassismus als pädagogisches Problem

©2006 Studienarbeit 35 Seiten

Zusammenfassung

In der vorliegenden Studie wird untersucht, ob und inwieweit Rassismus ein Problem der Pädagogik darstellt, und ob für dieses stets angenommene Problem eine adäquate Lösung durch pädagogisches Bemühen denkbar und realisierbar ist. Es wird hinterfragt, auf welche Weise PädagogInnen im Rahmen einer Bildungsveranstaltung einen Beitrag zur antirassistischen Arbeit leisten können und wie dieser Beitrag, konkret auf die Gestaltung von Lehrveranstaltung und auf die Anwendung didaktischer Methoden bezogen, umgesetzt werden kann. Schließlich gibt diese Arbeit einen Überblick über verschiedene Zugänge zu dem Problem Rassismus innerhalb pädagogischer Diskurse und hinterfragt exemplarisch diverse Perspektiven im und zum Umgang mit rassistischen Ausdrucksformen, primär im Sinne einer antirassistischen und rassismuskritischen Bildungsarbeit.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


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Zuschreibungen, Stereotype und schließlich Vorurteile können schnell zu Elementen des
Rassismus und der Fremdenfeindlichkeit werden, wenn die daraus resultierende Einstellung
über ,,Andere" negativ konnotiert, und mit einer starken Abwehr- und Ablehnungshaltung
verbunden ist.
Es stellt sich in diesem Kontext die Frage, ob die Unterstellung einer gemeinsamen Kultur
und die Annahme des Vorhandenseins spezifischer Charakteristika als ,,rassistische" Haltung
zu betrachten ist, und ob aus dieser Denkweise entstehende Vorurteile in bezug auf einzelne
Menschen die Basis rassistischer Handlungen darstellt.
Ein Vorurteil stellt ein unreflektiertes und vorschnell getroffenes Urteil dar, welches wir uns
über einen Menschen bilden, ohne ihn näher zu kennen. ,,Rassismus" hingegen bezieht sich
auf eine Unterstellung negativ bewertender Eigenschaften einer Gruppe, und drückt sich in
ideologisch durch feindliche Einstellungen und Handlungen gegen Zugehörige dieser Gruppe
aus.
1.2 Zielsetzung und Herangehensweise
Im Folgenden möchte ich den Begriff ,,Rassismus" zunächst bezüglich seiner Bedeutung und
seines Ursprungs, sowie bezüglich seiner zeitgeschichtlichen Transformation beleuchten.
Da es sowohl im alltäglichen, als auch im wissenschaftlichen Diskurs keine eindeutige und
einheitliche Definition von Rassismus existiert, möchte ich mich im Rahmen meiner Arbeit
auf verschiedene Bedeutungsansätze und Bedeutungsebenen beziehen, um unterschiedliche
Zugangsmöglichkeiten zu dieser Thematik aufzuzeigen.
Anschließend werde ich eine semantische Abgrenzung zum Vorurteilsbegriff vornehmen, um
die meiner Arbeit zugrundeliegende thematische Ausrichtung weiter einzugrenzen. In diesem
Zusammenhang soll auch skizziert werden, ob und inwieweit das Vorurteil als ,,Grundlage"
rassistischer Denk- und Handlungsweisen gelten kann.
Im Anschluss daran werde ich den Rassismusbegriff in den Kontext der pädagogischen Praxis
setzten und darstellen, wie der Rassismusbegriff in der pädagogischen Theorie und Praxis
zum Thema gemacht, und inwieweit dieser in der pädagogischen und bildungstheoretischen
Diskussion reflexiv behandelt wird.
In diesem Kontext skizziert die vorliegende Arbeit darüber hinaus mögliche Schwierigkeiten,
Herausforderungen und Chancen einer antirassistischen Bildungsarbeit; einerseits beziehen

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sich diese Optionen auf die einzelnen Subjekte, andererseits aber auch auf die bildenden
Institutionen, sowie auf die Pädagogik als wissenschaftliche Disziplin.
Zentraler Aspekt hierbei ist die Fragestellung, ob und inwieweit Rassismus ein ,,Problem" der
Pädagogik darstellt, und ob für dieses stets angenommene Problem eine adäquate ,,Lösung"
durch pädagogisches Bemühen denkbar und realisierbar ist.
Im weiteren Verlauf soll diesbezüglich hinterfragt werden, auf welche Weise PädagogInnen
im Rahmen einer Bildungsveranstaltung einen Beitrag zur antirassistischen Arbeit leisten
können, und wie dieser Beitrag, konkret auf die Gestaltung von Lehrveranstaltung und auf die
Anwendung didaktischer Methoden bezogen, umgesetzt werden kann.
Insgesamt soll diese Arbeit einen Überblick über verschiedene Zugänge zu dem ,,Problem
Rassismus" innerhalb pädagogischer Diskurse geben, und exemplarisch diverse Perspektiven
im und zum Umgang mit rassistischen Ausdrucksformen hinterfragen, primär im Sinne einer
antirassistischen und rassismuskritischen Bildungsarbeit.

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2. Der Rassismusbegriff
2.1 ,,Rasse" als biologische Kategorie
,,Rasse" wurde bereits im 17. Jahrhundert aus dem Französischen entlehnt (race- ,,Geschlecht,
Stamm, Rasse") und in den deutschen Wortschatz aufgenommen.
In der Biologie und Systematik wird der Begriff als Einteilungskriterium zur Untergliederung
und Unterscheidung der Art bei Tieren und Pflanzen angewandt; Rasse bezeichnet demnach
ursprünglich einen naturwissenschaftlichen Ordnungsbegriff (vgl. Duden: 652).
Tier- und Pflanzenrassen (bzw. Pflanzensorten) als Unterarten bezeichnen die vom Menschen
durch Auslese und Zuchtwahl hervorgebrachte Variationen innerhalb einer Art, die sich durch
besondere innere und äußere Merkmale, wie beispielsweise Körperbau oder in der Färbung,
unterscheiden.
Der biologische Rassebegriff wurde in der Geschichtsschreibung auf Menschen angewandt,
um damit Unterdrückung, Diskriminierung sowie den Völkermord im Nationalsozialismus zu
rechtfertigen was unter anderem auf eine (bewusste) Falschinterpretation der Darwinschen
Evolutionstheorie und auch anderer Rassentheorien zurück geht: Man verstand in diesem
Zusammenhang ,,Rassen" als mehr oder minder erfolgreiche ,,Zuchtergebnisse".
Der Rassismus als gesellschaftliche Praxis diente zeitgeschichtlich oft zur Ablenkung von
internen Schwierigkeiten (,,Sündenbock- Strategie") und zur Begründung kolonialistischer
und imperialistischer Politik; Rassentheorien und der von Darwin eingeführte Rassebegriff
wurde zur Legitimation solcher Ideologien oft missbraucht; Diese biologische Wahnidee der
menschlichen ,,Rasse" erhob der Nationalsozialismus zur Staatsideologie, und rechtfertigte
damit den Mord an Millionen von Juden.
Den Begriff der ,,Rasse" außerhalb seiner ursprünglich biologisch gedachten Bedeutung und
Anwendbarkeit auf Tier- und Pflanzenarten gibt es eigentlich nicht; der Rassenbegriff wurde
semantisch aus seiner eigentlichen Bedeutung herausgelöst und in einen völlig neuen Kontext
gestellt, und quasi umgedeutet. ,,Rasse" ist als kategorische Bezeichnung für Menschen nicht
nur eine gesellschaftliche, vor allem nationalsozialistische Konstruktion, sondern auch eine
,,diskursive Metapher für Behauptungen von grundsätzlichen und irrreduziblen Differenzen
zwischen Menschen und keine ,natürliche' Gegebenheit, die außerhalb des Sprechaktes
existiert" (Kossek 1999: 17)
1
.
1
Zitiert nach Gates, Henry Louis Jr.: Talking that talk. In Diederichsen, Diedrich (Hg.): Yo! Hermeneutics!
Berlin und Amsterdam 1993, S. 97-104.

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Bei der Anwendung des Rassebegriffs auf Menschen werden einzelnen Körpermerkmalen
bestimmte Bedeutungen zugeschrieben, und zu Einteilungskriterien gemacht; ,,Rassen" sind
demnach ,,sozial imaginierte, keine biologischen Realitäten" (Leiprecht 2001: 27).
2.2 Definitionsansätze und Bedeutungsebenen
In seiner Entstehung vom biologischen Rassebegriff abgeleitet, bezeichnet Rassismus im
Allgemeinen Formen von wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und rechtlicher Benachteiligung
und Diskriminierung einer Gruppe von Menschen, aufgrund ihrer angeblich vorhandenen
rassischen Minderwertigkeit. Rassismus ist immer mit einer Ideologie verbunden, nach
welcher bestimmte Ethnien oder Völker anderen überlegen sind; Rassismus bezeichnet in
dieser Relation die Gesamtheit rassenideologischer Denk- und Handlungsweisen (vgl. Duden:
652).
In neueren sozialwissenschaftlichen Diskursen und Untersuchungen ist nicht mehr von dem
Rassismus als Sammelbegriff für alle Formen von Diskriminierung und Benachteiligung die
Rede, sondern von einem Pluralismus rassistischer Denk- und Handlungsweisen, sprich von
den Rassismen.
Dies macht deutlich, dass es verschiedene rassistische Ausdrucksformen gibt oder geben
kann. So wurden zum Beispiel im ,,Report of the National Advisory Commission of Civil
Disorder" der USA 1968 drei wesentliche Formen des Rassismus unterschieden: individueller
Rassismus, institutioneller Rassismus und kultureller Rassismus (vgl. Zick 1997: 41).
Des Weiteren tauchen in der sozialpsychologischen und soziologischen Verwendung des
Begriffs unterschiedliche ,,Rassismus-Varianten" auf, wie beispielsweise Kulturrassismus,
indirekter Rassismus, neuer Rassismus, Alltagsrassismus und wissenschaftlicher Rassismus
(...) (vgl. Zick: 41).
Diese Beispiele verdeutlichen, dass der Rassismusbegriff je nach Perspektive unterschiedliche
Konzepte und Typologien zulässt, und aufgrund der Bandbreite der Erscheinungsformen auch
verlangt.
Von der Existenz einer rassistischen Einstellung kann man grundsätzlich sprechen, sobald
(konstruierte) Differenzen für angeboren und unveränderbar deklariert werden. Eine solche
Haltung kann zum Beispiel zum Ausdruck kommen, wenn ethnische ,,Differenzen", welche
aufgrund der Sprache oder durch Bräuche ,,sichtbar" werden können, zu charakteristischen
und typischen Wesensmerkmalen eines imaginären Kollektivs umgedeutet werden.

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Derartige Zuschreibungen sind zwar begrifflich dem Vorurteil zuzuordnen, können jedoch
einen Ausgangspunkt für eine rassistische Ideologie darstellen; so galt beispielsweise bei der
Ideologie von der ,,Überlegenheit der Weißen" die Pigmentierung der Haut als ein derartiges
Wesensmerkmal.
Rassismus drückt sich nicht nur im Denken, sondern auch in gesellschaftlichen Praktiken,
Institutionen und Strukturen aus, die ihre vermeintliche Rechtfertigung darin finden, dass eine
Gruppe als ,,anders" wahrgenommen wird- dieses ,,Anderssein" ist immer im negativen Sinne
und defizitär gedacht. Der ,,Kern" des Phänomens Rassismus besteht in der Zuschreibung
dauerhafter Unterschiede zwischen menschlichen Abstammungsgruppen und die ,,Benutzung
dieser attribuierten Unterschiede zur Rechtfertigung ungleicher Behandlung" (Fredrickson
2004: 159).
Der ,,Überlegenheitsanspruch der Weißen" und der Antisemitismus gelten als die zwei
Haupterscheinungsformen des Rassismus in der Geschichtsschreibung.
Rassismus meint jedoch immer mehr als eine Theorie über die Unterschiede zwischen den
Menschen und fordert als Handlung die Herstellung oder Begründung einer Rassenordnung.
In allen seinen verschiedenen Erscheinungsformen ,,leugnet der Rassismus die Möglichkeit,
dass die Rassisten und ihre Opfer in derselben Gesellschaft zusammenleben können, es sei
denn auf der Grundlage von Herrschaft und Unterordnung" (Fredrickson 2004: 17).
Neben diesem kategorischen Ausschluss eines gesellschaftlichen Zusammenlebens ist es einer
rassistischen Ideologie eigen, dass von einer ethnorassischen Differenz ausgegangen wird, die
unter keinen Umständen aufgehoben werden kann, es also keine Assimilationsmöglichkeit
gibt, wie etwa im Falle historischer religiöser Verfolgungen (vgl. Fredrickson 2004: 14);
solange die Möglichkeit zu einer Assimilation besteht, haben wir es eher mit religiöser oder
kultureller Intoleranz zu tun, nicht mit Rassismus.
Die mit Rassismus verbundene Ideologie ist mit ,,der Ausübung von Macht im Namen einer
Rasse und mit daraus resultierenden Mustern von Herrschaft oder Exklusion" verknüpft
(Fredrickson 2004: 173).
Der Rassismusbegriff verbindet begrifflich unterschiedliche Dimensionen; Rudolf Leiprecht
(2001: 26) schlägt deshalb vor, zwischen einem biologischen, genetischen, naturalisierenden
und einem kulturalisierenden Rassismus zu differenzieren.
Dieser Rassismusbegriff impliziert eine soziale Konstruktion von ,,Rassen" oder ,,Kulturen"
mit jeweils damit verbundenen Vorstellungen, wobei ,,Kulturen" als statische und homogene
Gegebenheiten betrachtet werden, und das Konstrukt der ,,Rasse" zusätzlich die Unterstellung
einer naturgegebenen Dimension besitzt. Natur wird hier als ,,unveränderliche Größe" gesetzt

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(vgl. Leiprecht 2001: 26). Die sozial konstruierten Gruppen der ,,Kulturen" und ,,Rassen" sind
jeweils mit (expliziten oder impliziten) Negativbewertungen belegt.
In neueren wissenschaftlichen Arbeiten ist von einem ,,neuen kulturellen Rassismus" die
Rede (vgl. Fredrickson 2004: 16). Dieses Phänomen geht auf die Untersuchungen
zeitgenössischer britischer Soziologen zurück. So vertreten John Solomos und Les Black
2
die
Auffassung, dass Rasse heute ,,als Kultur kodiert" wird und dass ,,das zentrale Merkmal
dieser Prozesse darin besteht, dass die Eigenschaften von sozialen Gruppen fixiert,
naturalisiert und in einen pseudobiologisch definierten Kulturalismus eingebettet werden".
Eine durchaus sinnvolle begriffliche Präzisierung stellt die von Kwame Anthony Appiah
vorgeschlagene Unterscheidung zwischen dem ,,Rassismus" (racism) einerseits, und einem
,,Denken in Rassenkategorien" (racialism) andererseits dar.
Racialism als ideologisches Phänomen deklariert demnach Unterschiede zwischen Menschen
und Menschengruppen zwar zu einer Art ,,Wesensmerkmalen", schließt aber nicht notwendig
Ungleichheit oder eine qualitative Wertung, also Hierarchisierung mit ein (vgl. Fredrickson
2004: 156).
Die unterschiedlichen Definitionsebenen verdeutlichen, dass Rassismus zu jenen Begriffen
gehört, die sich einer ,,exakten, gar allseitig anerkannten Definition entziehen" (Cinar 1999:
55). Eine kohärente, einheitliche Begriffsbestimmung wird in wissenschaftlichen Kontexten
eher vermieden, da eine Definition immer klare Grenzen setzt und mit der Gefahr verbunden
ist, den verschiedenen historischen und aktuellen Artikulations- und Erscheinungsformen
rassistischer Diskriminierungen nicht gerecht zu werden.
Es erscheint vor diesem Hintergrund also durchaus sinnvoll, im wissenschaftlichen Diskurs
zunächst von Gemeinsamkeiten der konstatierten Rassismen auszugehen, um auf diese Weise
eine definitorische Annährung zu erreichen, und eine zu strikte semantische Grenzziehung zu
vermeiden.
Für einige Autoren besteht die größte Gemeinsamkeit der Rassismen in einer ideologischen
Behauptung einer vorhandenen biologisch begründeten Ungleichheit und der Idee von der
Existenz menschlicher ,,Rassen". Im diesem Zusammenhang bezeichnet der Rassismus eine
Hierarchisierung aufgrund biologischer und genetischer Merkmale, woraus die ,,Qualität" von
sozialen Gruppen abgeleitet wird. Rassismus ist als ,,Spezialfall ethnischer Grenzziehungen, der
2
Zitiert nach Solomos, John/ Back, Les: Racism and Society, Houndsmills, Basingtoke 1996, S. 18f, 213.

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dadurch charakterisiert ist, dass er an vermeintlich stabilen biologischen Unterschieden zwischen
Personengruppen, den sogenannten ,Rassen` orientiert ist" (Cinar 1999: 56)
3
zu verstehen.
Es stellt sich aufgrund dieser begrifflichen Grenzziehungen die Frage, wann Diskriminierung
als rassistisch zu erachten ist, oder ob nicht jede Form von Diskriminierung mit Rassismus als
,,Handlung" gleichzusetzen ist. Wann nun von Rassismus als Praxis zu sprechen ist, und wann
wir es hingegen ,,nur" mit Vorurteilen zutun haben, kann nur im Zuge des Versuchs einer
begrifflichen Abgrenzung ansatzweise geklärt werden.
2.3 Begriffliche Abgrenzung
Im Folgenden möchte ich aus diesem Grund auch auf die Bedeutung des Vorurteilsbegriffs
eingehen, da Rassismus meiner Ansicht nach durch eine klare semantische Abgrenzung vom
Vorurteil eindeutiger zu definieren ist.
Im Gegensatz zu Vorurteilen impliziert Rassismus eine ,,ideologische Differenzierung von
Menschen nach quasi- biologischen Kriterien" (Zick 1997: 40).
Rassismus ist dementsprechend als Form und Ausdruck des Handelns zu betrachten, während
ein Vorurteil ein psychologisch meist unvermeidbares Deutungsmuster, also ein natürliches
gesellschaftliches Phänomen darstellt.
Rassismus als Handlung basiert auf einer ,,Biologisierung des Gesellschaftlichen", wobei
Rassismus als eine Art Denksystem zu verstehen ist. Dieses System beinhaltet ein kohärentes
Weltbild, welches auf naturwissenschaftlicher Basis ,,die Entwicklungen, Widersprüche und
Probleme der Welt insgesamt schlüssig zu erklären" beansprucht (Herbert 1991: 28).
Während Vorurteile meist von Einzelnen ausgehen und auf Einzelne gerichtet sind, bezieht
sich rassistisches Handeln auf eine ganze Gruppe von Individuen, der gemeinsame, ,,rassisch"
minderwertige Eigenschaften unterstellt werden.
Rassismus kann als ,,kollektive Umgangsform" betrachtet werden, mit deren Mitteln eine
,,ganze Gruppe oder Gesellschaft andere Gruppen nach ethnischen Kriterien behandelt und
ausgrenzt wird" (Zick 1997: 41).
Im Gegensatz zu individuellen Vorurteilen sind rassistische Ideologien von Gruppen oder
Gesellschaften relativ unabhängig von den Einstellungen einzelner Mitglieder, der rein
3
Zitiert nach Ganter, Stephen: Ursachen und Formen der Fremdenfeindlichkeit in der Bundesrepublik
Deutschland, Düsseldorf 1998, S. 17.

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individuelle Beitrag ist begrenzt- Rassismus wird nicht nur auf eine ganze Gruppen projiziert,
Rassismus ist selbst ein kollektives gesellschaftliches Phänomen.
Dementsprechend ist es die kollektivbildende Ideologie, die als zentrales Element Rassismus
von Vorurteilen unterscheidet. Die daraus resultierende und motivierte Unterdrückung und
Ausgrenzung von Menschen aufgrund biologischer Merkmale ist ganz klar von Vorurteilen
zu trennen; ein Vorurteil muss nicht zwangsläufig mit rassistischen Denk- und
Handlungsweisen verbunden sein, da ein bloßes Vorurteil meist noch nicht zu
diskriminierenden Handlungen motiviert, sondern in der Regel als gedankliches Konstrukt in
der Form eines ,,Fremdbildes" unausgesprochen bleibt.
2.4 Rassismus im historischen Diskurs
Das Wort ,,Rassismus" wurde in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts gebräuchlich, als
ein neuer Begriff zur Beschreibung der nationalsozialistischen Theorien zur Begründung und
Rechtfertigung der Judenverfolgung benötigt wurde (vgl. Fredrickson: 2004: 13).
In dieser Zeit wurde der Rassismusbegriff als Bezeichnung für eine biologisch begründete
Theorie, und der Begriff der ,,Rasse" als Klassifizierungsvariabel für die Überlegenheit und
Minderwertigkeit bestimmter Menschengruppen angewandt aufgrund einer Ideologie, nach
welcher die ,,Rasse" eines Menschen über dessen ,,Qualität" und vor allem über den
gesellschaftlichen ,,Wert" entscheidet.
Viele vor allem historische Begriffe benennen ein bereits existierendes Phänomen; natürlich
gab es auch vor dem 20. Jahrhundert Rassismus als Phänomen, doch erst zu diesem Zeitpunkt
benötigte man eine Begrifflichkeit für eine legitimierende Theorie, die es galt zu lernen, zu
lehren und im öffentlichen sowie privaten Leben zu vertreten. Dies führt zur verbreiteten
Annahme, Rassismus sei ein spezifisches Konstrukt der Moderne, der seinen wesentlichen
Ursprung in derselben habe.
Mittlerweile geht man davon aus, dass der Begriff zwar entscheidend im Nationalsozialismus
geprägt wurde, dass es jedoch auch zuvor Ausprägungen rassistischen Denkens und Handelns
gab und immer geben wird, solange Menschen gesellschaftlich organisiert zusammenleben.
Wie die moderne wissenschaftliche Rassentheorie, die eine seiner Ausprägungen ist, hat auch
der Rassismus eine historische Entwicklung durchgemacht.
Unter Wissenschaftlern, die sich mit Konzeptionen der Differenz in der Antike befasst haben,
ist die Meinung vorherrschend, dass sich im Denken der Griechen, Römer und der frühen

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Christen kein Begriff ausmachen lässt, der dem der ,,Rasse" eindeutig entspräche. Auch wenn
die Griechen eine Unterscheidung zwischen zivilisierten Menschen und Barbaren trafen,
waren diese Kategorien anscheinend nicht erblich begründet; wer in einem Stadtstaat lebte
und am politischen Leben teilnahm war demnach zivilisiert, wer auf dem Land lebte unter der
Herrschaft eines Despoten ein Barbar.
Des Weiteren konnte bislang kein Beweis dafür gefunden werden, dass eine dunkle Hautfarbe
irgendwo in der antiken Welt ein negatives Unterscheidungsmerkmal gewesen wäre (vgl.
Fredrickson: 2004: 21). Die genauen Ursprünge des Rassismus in der Form die wir heute
kennen ist demnach nicht eindeutig festzumachen.
Trotz dieser Problematik wäre es vermessen zu behaupten, in der Antike habe es überhaupt keine
ethnischen Vorurteile gegeben. Antijudaismus zum Beispiel gehörte von Anfang an zum Christen-
tum; für gläubige Christen waren Juden seit je her ein ,,Problem" aufgrund ihres Glaubens, das
Neue Testament habe das Alte abgelöst und die Weigerung der Juden, Christus als den Messias
anzunehmen und vor allem anzuerkennen, verhindere den Triumph des Evangeliums.
Zwar wurden jüdische Menschen nicht konkret als ,,rassisch" minderwertig betrachtet, weil
die Begründer der christlichen Lehre selbst Juden waren, jedoch gab es eine eindeutige
Tendenz die jüdische Bevölkerung als geschlossene Gruppe zu betrachten und zu behandeln,
vorrangig solche, die sich nicht ,,bekehren" ließen. Danach trugen die Juden die direkte und
unleugbare Verantwortung für den Kreuzestod Christi. Diese über viele Generationen
vermittelte und durch die christliche Lehre bestärkte Vorstellung, Juden seien sozusagen
,,erblich" für das schlimmste menschliche Verbrechen- den Gottesmord- verantwortlich,
lieferte von Grund auf ein sehr starkes Motiv für die Judenverfolgung, welche ihr
schrecklichstes Ausmaß der Geschichte im Antisemitismus erreichte.
Während man früher unter Rassismus primär eine Überzeugung oder Ideologie verstand, kann
er sich heute in institutionellen Mustern oder sozialen Praktiken äußern, auch wenn dann nicht
explizit von ,,Rassismus" als Praxis die Rede ist.
Unstrittig ist, dass der Rassismusbegriff nicht nur sehr unscharf zu definieren ist, sondern dass
er auch semantisch sehr negativ aufgeladen ist, und aus diesem Grunde nicht zur objektiven
Beschreibung eines gesellschaftlichen Phänomens dienen kann.
Fredrickson (2004, S.159) geht im Rahmen seiner Überlegungen über den Rassismusbegriff
im historischen Diskurs sogar davon aus, dass Rassismus als Bezeichnung eines Phänomens
erst auftauchte, als an dessen Verwendung und Existenz Zweifel auftauchen, der Begriff also
von Beginn an negativ konnotiert war.

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2.5 Der neue Rassismus
In verschiedenen wissenschaftlichen Debatten über die asyl- und einwanderungspolitische
Entwicklungen der letzten Jahre ist vermehrt von einem ,,Neo-Rassismus", dem ,,Rassismus
ohne Rassen" und einem ,,kulturalistischen Rassismus" die Rede (vgl. Cinar 1999: 59).
Der novellierte Begriff Neo-Rassismus dient in diesem Zusammenhang zur Beschreibung
zeitgenössischer Rassismen und den aktuellen Ausprägungsformen.
Der Neo-Rassismus als Analysekategorie beinhaltet den Aspekt der ,,Kultur" als zentrales
Moment, und nicht mehr den der ,,Rasse". Darüber hinaus thematisiert der neue Rassismus
Differenzen anstelle von Ungleichheiten, und bezeichnet rassistische Verhaltensweisen als
natürliche Reaktion auf kulturelle Unterschiede. Der Begriff entfernt sich zunehmend von der
Behauptung, Unterschiede zwischen Menschen und Gruppen seien rein biologisch begründet.
Die aktuelle Rassismusforschung analysiert den vom Neo-Rassismus gebrauchten Begriff der
,,Kultur" als ,,Rassenersatz", und geht davon aus, dass sich der neue Rassismus in seinen
Grundzügen durch einen ,,Kulturalismus", statt wie bisher durch Biologismus auszeichnet.
Nach Dilek Cinar (1999: 55) ist der Neo-Rassismus ein ,,differenzialistischer Kulturalismus
(ohne Rassen), der die kulturell -anstatt genetisch-bedingte Verschiedenheit von nationalen
Mehrheiten und bestimmten Gruppen von ImmigrantInnen [...] zur Rechtfertigung von
Ungleichbehandlung oder Ausschließung heranzieht".
Der alte und der ,,neue" Rassismus gehen beide von der Grundannahme aus, dass zwischen
Menschen und Menschengruppen Unterschiede existieren, welche einerseits Zugehörigkeit,
andererseits Abgrenzung definieren. Auf dieser Vorstellung basiert jede Form von Rassismus,
unabhängig von der Begrifflichkeit zur Konkretisierung dieser Differenz; auch wenn der
Kulturbegriff deutlich weniger negativ konnotiert zu sein scheint als der Begriff der ,,Rasse",
drücken beide eine mittransportierte Zuschreibung des ,,Andersseins" und eine konstruierte
,,Differenz" aus.
Es kann also davon ausgegangen werden, dass Rassismus als Phänomen in diesem Sinne nicht
,,neu" ist, sondern dass sich lediglich die Argumentationsweise verschoben hat, und der neue
Rassismus als Reaktion auf die gesellschaftliche Missachtung rassistischer Diskriminierung
verstanden werden kann. Die Verwendung des Kulturbegriffs dient demnach in erster Linie
als strategische Maßnahme und als Versuch, rassistische Handlungen unter dem Deckmantel
der Anerkennung kultureller Verschiedenheit zu verbergen.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Erscheinungsjahr
2006
ISBN (eBook)
9783958209299
ISBN (Paperback)
9783958204294
Dateigröße
310 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Technische Universität Darmstadt
Erscheinungsdatum
2015 (Oktober)
Note
1,3
Schlagworte
rassismus problem
Produktsicherheit
BACHELOR + MASTER Publishing
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Titel: Rassismus als pädagogisches Problem
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