Zusammenfassung
Viele Schüler kommen mit dem Medium Film immer nur am Rand des eigentlichen Geschichtsunterrichtes in Berührung. Es stellt sich jedoch die Frage, ob Filme mehr zu bieten haben, als nur unterhaltsame Untermalung des Unterrichts zu sein. Können und sollten Filme didaktisch eine gewichtigere Rolle im Geschichtsunterricht spielen? Der Autor betrachtet zur Beantwortung dieser Frage zuerst lernpsychologische und unterrichtspraktische Aspekte, die der Film mit sich bringt. Im Anschluss daran stellt er zwei Unterrichtsbeispiele vor und untersucht diese analytisch, um zu beurteilen, ob die zuvor erarbeiteten theoretischen Aspekte des Filmeinsatzes berücksichtigt werden.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
2
Geschichtswissen, welches mit Hilfe dieses Mediums erworben wird, in Erfahrung gebracht
haben.
2
Ich war der Meinung, dass gerade der Einfluss dieses Mediums in Bezug auf den
Geschichtsunterricht von großem Interesse in der Geschichtsdidaktik sein müsste und bereits
viele empirische Untersuchungen diesbezüglich gemacht worden wären.
Denn heutzutage bestimmt das Fernsehen (und auch das Kino) doch in erheblichem Maße das
Freizeitverhalten bei Kindern und Jugendlichen. ,,Die Zeit, die Kinder und Jugendliche vor
dem Bildschirm verbringen, ist lang und nimmt weiterhin zu. 74 Prozent aller Kinder sehen
täglich fern"
3
, ,,13-18-jährige verbringen bis zu 3 und 3,5 Stunden am Tag."
4
,,14-19-jährige
verbringen 37 Prozent ihrer Freizeit vor dem Fernseher."
5
Entsprechend ging Bodo von Borries schon 1983 davon aus, ,,[...] dass das Fernsehen
,,historisches und politisches Interesse, Wissen, Verständnis und Bewusstsein mehr als die
Schule beeinflusst."
6
Dieser Meinung ist auch Peter Meyers, der die Einschätzung von
Wilhelm von Kampen teilt, dass das Fernsehen/der Film in den letzten Jahrzehnten die größte
Masse an Menschen mit Geschichte ,,versorgt" und dieser entsprechend zeithistorische
Vorstellungen vermittelt hat.
7
Ich selbst denke da z.B. an die zahlreichen Geschichts-
dokumentationen von Guido Knopp (vor allem die aus der NS-Zeit wie z.B. ,,Hitlers Helfer"),
die sehr erfolgreich im ZDF gelaufen sind bzw. immer noch laufen oder wiederholt werden
(auch auf anderen TV-Kanälen).
8
Umso erstaunlicher ist es, dass sich die Beschäftigung um die Einflussnahme des Films auf
Kinder und Jugendliche im Geschichtsunterricht doch noch recht schleppend vollzieht.
2
Vgl. Schneider, Gerhard: Filme, in: Pandel, Hans-Jürgen; Schneider, Gerhard (Hg.): Handbuch Medien im
Geschichtsunterricht, Schwalbach/Ts.
2
2002, S. 365-386, hier S. 367.
3
Baumann, Heidrun: Der Film, in: Schreiber, Waltraud (Hg.): Erste Begegnungen mit der Geschichte.
Grundlagen historischen Lernens. Erster Teilband, Neuried 1999 (= Bayerische Studien zur Geschichtsdidaktik.
1), S. 527-543, hier S. 533. Zitiert nach der Süddeutschen Zeitung Nr. 281 vom 6. Dezember 1993, S.14.
4
Ebd., S. 533. Zitiert nach Lukesch, H.: Video im Alltag der Jugend, Regensburg 1989, S. 235-240.
5
Ebd., S. 533. Zitiert nach Kiefer, M.-L.: Massenkommunikation IV, in: Berg, K.; Kiefer, M.-L. (Hg.):
Massenkommunikation IV. Eine Langzeitstudie zur Mediennutzung und Medienbewertung 1964-1990, Baden
Baden 1992 (= Schriftenreihe Media Perspektiven. 12), S.101.
6
Borries, Bodo von: Geschichte im Fernsehen- und Geschichtsfernsehen in der Schule, in: Geschichtsdidaktik 8
(1983), S. 221-238, hier S. 221.
7
Vgl. Meyers, Peter: Film im Geschichtsunterricht. Realitätsprojektionen in deutschen Dokumentar- und
Spielfilmen von der NS-Zeit bis zur Bundesrepublik. Geschichtsdidaktische und unterrichtspraktische
Überlegungen, Frankfurt am Main 1998 (=Geschichte lehren und lernen. Schriftenreihe für Forschung und
Unterricht), S. 38. Mit Bezug auf Kampen, Wilhelm van: Einführung, in: GWU 41 (1990), S. 325-328, hier S.
325. Nachfolgend fordert Meyers (wie auch andere Historiker/Didaktiker), dass Historiker ihr Augenmerk
gerade deswegen besonders auf audiovisuelle Medien richten müssen.
8
Wobei der Inszenierungsstil von Knopp bei Dokumentationen über das 3. Reich in der Öffentlichkeit nicht
unumstritten ist, worauf z.B. Bösch, Frank: Das ,,Dritte Reich" ferngesehen. Geschichtsvermittlung in der
historischen Dokumentation, in: GWU 50 (1999), S. 204-220, hier S. 204, oder Quandt, Siegfried: Fernsehen als
Leitmedium der Geschichtskultur? Bedingungen, Erfahrungen, Trends, in: Mütter, Bernd; Schönemann, Bernd;
Uffelmann, Uwe (Hg.): Geschichtskultur. Theorie-Empirie-Pragmatik, Weinheim 2000 (=Schriften zur
Geschichtsdidaktik. 11), S.235-239, hier S. 238 hinweisen.
3
Hans-Jürgen Pandel vertritt sogar die Meinung, dass die geschichtsdidaktische Beschäftigung
mit dem Film umgekehrt proportional zu seiner geschichtskulturellen Bedeutung verläuft.
9
9
Vgl. Pandel, Hans-Jürgen: Bild und Film. Ansätze zu einer Didaktik der ,,Bildgeschichte", in: Schönemann,
Bernd; Uffelmann, Uwe; Voit, Hartmut (Hg.): Geschichtsbewusstsein und Methoden historischen Lernens,
Weinheim 1998 (= Schriften zur Geschichtsdidaktik. 8), S. 157-168, hier S. 158.
4
2
Filmgattungen im Geschichtsunterricht
Bevor ich einzelne Filmgattungen im Geschichtsunterricht vorstelle, möchte ich noch kurz auf
die Bedeutung des Films für die Geschichtswissenschaft eingehen, dabei sind vor allem zwei
Aspekte zu erwähnen:
Wie bereits unter 1.2 angesprochen, ist der Einfluss des Films/des Fernsehens bezüglich
zeithistorischer Vorstellungen immens groß. Entsprechend muss der Film als Produkt und
Faktor von Geschichtsbewusstsein eine gewichtige Rolle in der Geschichtswissenschaft
spielen.
10
Der wohl noch wichtigere Aspekt des Filmes ist jedoch seine Rolle als Geschichtsquelle.
11
Im Gegensatz zum Aspekt der Wirkung eines Films auf die Schülerin/den Schüler habe ich
bezüglich der Einteilung der Filme in bestimmte Gattungen etliche Beiträge, Aufsätze etc.
gefunden. Auffällig in diesen ist die Vielfalt an Möglichkeiten verschiedener Ansätze, wie
Filme klassifiziert, differenziert und benannt werden. Dazu bemerkt Gerhard Schneider, dass
,,[...] sich bislang noch keine einheitliche, allgemein akzeptierte Terminologie durchgesetzt
[hat]."
12
Peter Meyers begründet diese Tatsache damit, ,,[...] dass jeder Wissenschaftler mit
seinen Einteilungen und Definitionen andere Ziele verfolgt und sich anderer Bezugs-
wissenschaften bedient."
13
So schlägt Norbert Zwölfer z.B. eine Typologie vor, die davon ausgeht, ,,[...] dass bestimmte
Typen von Filmen durch die hauptsächliche Verwendung ihres Materials bestimmt werden
und dies Konsequenzen für die unterrichtliche Arbeit hat. Die Einteilung macht sich die
Perspektive der Filmemacher zu eigen. Demnach kann man drei Typen unterscheiden: 1) die
filmische Fiktion, 2) die filmische Rekonstruktion und 3) den Archiv- bzw.
Dokumentarfilm."
14
Dagegen teilt Karsten Fledelius Filme entsprechend ihrem Faktualitätsgrad auf (Trickfilme
mit dem geringsten, Zufallsaufnahmen mit dem höchsten Faktualitätsgrad).
15
10
Vgl. Meyers, S. 38f.
11
Ebd., S. 37. Bei der Beschreibung der Filmgattungen werde ich auf diesen Aspekt noch näher eingehen.
12
Schneider, S. 367.
13
Meyers, S. 41. Er plädiert im Folgenden dafür, dass allein die Filmwissenschaft die Filmarten einteilen solle.
Der Fachwissenschaftler soll sich dann fragen, welche dieser Filmarten sich für die Unterrichtsziele am besten
eignen. Peter Meyers räumt aber ein, dass auch die Filmwissenschaft Definitionsprobleme hat, da in dieser die
Bezeichnungen ebenfalls auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelt sind (>Ausdrucksmittel, Bild- format oder
inhaltliche- gestalterische Kriterien).
14
Zwölfer, Norbert: Filmische Quellen und Darstellungen, in: Günther-Arndt, Hilke (Hg.): Geschichts-Didaktik.
Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II, Berlin 2003, S. 125-136, hier S. 129.
15
Vgl. Meyers, S. 41. Mit Bezug auf Fledelius, Karsten: Der Platz des Spielfilms im Gesamtsystem der
audiovisuellen Geschichtsquellen und die Frage seiner Verwendbarkeit in historischer Forschung und im
Unterricht, in: Kampen, Wilhelm van; Kirchhoff, Hans Georg (Hg.): Geschichte in der Öffentlichkeit, Stuttgart
1979, S. 295-305, hier S. 296.
5
Im Folgenden werde ich die Filmgattungen vorstellen, so wie diese von Peter Meyers
eingeteilt, charakterisiert und bezeichnet werden (>Filmdokument, Dokumentarfilm,
Spielfilm, Unterrichtsfilm), da ich diese Klassifizierung/Terminologie aus der Sicht eines
angehenden Geschichtslehrers, der für eine Unterrichtsstunde/-einheit plant, als plausibel und
für die Praxis als ausreichend dividiert und beschrieben empfinde.
16
Peter Meyers argumentiert für die Beibehaltung der Trennung von Filmdokument und
Dokumentarfilm aufgrund der quellenkritischen Funktion des Filmeinsatzes im Geschichts-
unterricht. Für die Aufteilung in Spielfilm und Unterrichtsfilm sprechen sowohl
filmwissenschaftliche als auch geschichtswissenschaftliche bzw. geschichtsdidaktische
Gründe.
17
2.1 Das
Filmdokument
Das Quellenmaterial des Filmdokumentes ist durch den höchst möglichen Authentizitätsgrad
gekennzeichnet. Bilder von Personen, Gegenständen und Ereignissen müssen original und
dürfen nicht nachträglich, durch zusätzlichen Ton, gesprochenen Text etc. und schon gar nicht
durch Montage kommentiert sein. Dieser Aspekt muss jedoch relativiert werden, denn es gibt
Montagen verschiedener Qualität. So können Live-Sendungen trotz Schnitte durchaus ohne
Montagecharakter auskommen und entsprechend zur Kategorie Filmdokument gezählt
werden, während Schnitte eines später zusammen gesetzten dokumentarischen Films einen
Montagecharakter besitzen und die Gefahr der Manipulation entsprechend größer ist.
Auch das Filmdokument (wie alle übrigen Gattungen) kann keinen Anspruch auf absolute
Objektivität erheben; entsprechend muss auch bei dieser Kategorie von Film der Wahrheits-
grad bzw. Wirklichkeitsgehalt erforscht werden.
18
Rainer Rother beschäftigte sich mit der Problematik des Filmdokuments als Quelle der
Historiographie.
19
So erläutert er, dass das Filmmaterial/jedes einzelne Bild allein schon durch die Filmapparatur
geformt wird (> Perspektive, Wahl des Objektives etc.). Und auch bezüglich des auf-
16
Nochmal zu erwähnen, dass folgende Gattungsbezeichnungen (2.1-2.4) von Historikern teils sehr
unterschiedlich beschrieben/charakterisiert werden. Bezüglich des Filmdokumentes unterscheiden sich die
Merkmale Peter Meyers (S.42) z.B. erheblich zu denen von Baumann, Heidrun: Probleme historischer
Unterrichtsfilme, in: Wilharm, Irmgard (Hg.): Geschichte in Bildern. Von der Miniatur bis zum Film als
historische Quelle, Pfaffenweiler 1995 (=Geschichtsdidaktik. 10), S. 156-198, hier S. 166.
17
Vgl. Meyers, S. 42.
18
Ebd., S. 42f.
19
Im Folgenden nach Rother, Rainer: Geschichte im Film, in: Bergmann, Klaus; Fröhlich, Klaus; Kuhn, Annette
(Hg.): Handbuch der Geschichtsdidaktik, 5. überarb. Aufl., Seelze-Velber 1997, S. 681-687, hier S. 681ff.
6
genommenen Geschehens, das Abbild eines unbearbeitet wiedergegebenen ,,Real-
geschehens" (= nicht-inszeniertes Geschehen) sein soll, bemerkt er, dass die Kombination von
Einstellungen gleichfalls eine Strukturierung bedeutet und über die Abbildung hinaus geht.
Außerdem bemerkt Rainer Rother anhand von Beispielen, dass selbst anerkannte
Filmdokumente ein gewisses Maß an Inszenierung beinhalten; entsprechend wären seiner
Ansicht nach allein zwei Typen von Einstellungen als Filmdokument klassifizierbar: mit
versteckter Apparatur und die per Zufall entstandenen Aufnahmen, welche jedoch meist für
die historische Forschung bedeutungslos sind.
Auch das Filmdokument darf, wie alle anderen Gattungen, den Anspruch auf Unmittelbarkeit
nicht erheben. Allenfalls die Faktizität eines Ereignisses lässt sich durch das Filmdokument
beantworten.
2.2
Der Dokumentarfilm
Im Mittelpunkt des Dokumentarfilms steht (im Gegensatz zum Filmdokument) eine
Reproduktion von Wirklichkeit. Man bedient sich der einzelnen Filmdokumente, welche je
nach Zielsetzung des Filmemachers kommentierend oder interpretierend zusammengefasst
werden. Es wird unterschieden zwischen den unmittelbaren Dokumentationen von Wirklich-
keit (z.B. in Nachrichtensendungen) und den Dokumentarfilmen, die an bestimmte Ereignisse
erinnern wollen, und nennt diese Form unter technischen Gesichtspunkten den
,,Kompilationsfilm". Absicht eines Dokumentar- bzw. Kompilationsfilmes kann sowohl
informativer als auch unterhaltender Natur sein.
20
Charlotte Heidrich und Christian Jansen schlagen vor, zwischen ,,zeitidentischen"
(gegenwartsbezogenen) und ,,historischen" (vergangenheitsbezogenen) Dokumentarfilmen
(aber auch Spielfilmen) zu trennen.
21
Frank Bösch unterscheidet zwischen ,,historischem Schauspiel" (was dem historischen
Spielfilm gleich kommt) und ,,historischer Dokumentation", welche durch Verwendung von
historischem Quellenmaterial die Vermittlung von historischer Authentizität in Anspruch
nimmt. Die historische Dokumentation (bzw. Dokumentarfilm bei Meyers) gliedert er
wiederum danach, welches Quellenmaterial im Vordergrund steht. So unterscheidet er
schließlich drei Dokumentationsformen: das ,,Quellenkompendium", aus welchem fast
ausschließlich aus audiovisuellem Quellenmaterial Vergangenheit präsentiert wird; der
20
Vgl. Meyers, S. 44.
21
Vgl. Heidrich, Charlotte; Jansen, Christian: Filme über die Gründerzeit der Bundesrepublik. Wie sollen
Spielfilme im Geschichtsunterricht eingesetzt werden? In: GWU 47 (1996), S. 590-607, hier S. 594.
7
Kompilationsfilm (s.o.) und der ,,Zeitzeugenbericht", in welchem der Bericht eines
Zeitzeugen dominierend im Vordergrund steht.
22
Häufig übernimmt ein gesprochener Kommentar die Rolle, den Dokumentarfilm zu deuten/zu
erklären; aber auch andere filmische Mittel wie eingeblendete Texte, Schnitt, Musik, Fotos
etc. können diese Funktion übernehmen. Zusätzliche Erklärungs- und Veranschaulichungs-
möglichkeiten wie Karten, Schaubilder, Statistiken usw. werden ebenfalls genutzt.
Schließlich teilt Peter Meyers die Meinung der Filmtheoretiker, dass [auch] Dokumentationen
nie manipulationsfrei sein können. Mit Hilfe bestimmter Präsentationstechniken etc. zeigt der
Dokumentarfilm ,,nur" eine Sicht von Wirklichkeit, entsprechend besteht auch lediglich ein
gradueller Unterschied zwischen fiktiven und nicht-fiktiven Filmen. Im Gegensatz zum
Konsumenten eines (fiktiven) Spielfilms aber ist der eines Dokumentarfilmes
fälschlicherweise häufig der Meinung, völlig objektiv informiert worden zu sein.
23
2.3 Der
Spielfilm
Kennzeichnend für den Spielfilm ist der fiktionale Charakter, der die Emotionen des
Publikums anspricht bzw. ansprechen soll. Die Kategorie ,,Historischer Spielfilm" (mit
historischem Inhalt) steht dabei geschichtswissenschaftlich im Mittelpunkt der Aufmerksam-
keit. Historische Spielfilme bemühen sich (mehr oder weniger) um eine Form historischer
Wahrheit, die nicht mit Richtigkeit oder objektiver Erzählung verwechselt werden darf.
Meyers spricht in diesem Zusammenhang von einer ,,inneren Wahrheit", die ausgedrückt
werden soll und einer Deutung von Geschichte gleichkommt.
24
Auch Hans Henning Hahn spricht in einem seiner Beiträge dem historischen Spielfilm eine
gewisse Leistung und Legitimität in Bezug auf die Geschichte und ihre Vermittlung zu, zuvor
geht er auf die Kritik am historischen Spielfilm seitens der Historiker ein.
25
Dabei ist die
Fiktionalität der Hauptvorwurf dieser gegen historische Spielfilme. Die Handlung des
historischen Spielfilms hat einen Anfang und ein Ende, außerdem folgt sie gewissen Gesetzen
der Dramaturgie, was mit dem realen Ablauf von Geschichte nichts mehr zu tun hat. Für
Historiker ist vorwiegend die wissenschaftliche Geschichtsschreibung die einzig angebrachte
Darstellungsform historischer Vorgänge. ,,[...] Sie müssen Verbindungen zwischen den
22
Vgl. Bösch, S. 205f.
23
Vgl. Meyers, S. 44.
24
Ebd., S. 48ff.
25
Im Folgenden nach Hahn, Hans Henning: Historische Realität und ihre filmische Rekonstruktion.
Überlegungen eines Historikers über den historischen Spielfilm, in: Fermentum massae mundi. Jackowi
Wozniakowskiemu w siedemdziesiata rocznice urodzin, Warschau 1990, S. 550-558, hier S. 550-554.
8
einzelnen zu belegenden Fakten herstellen , um zur Erkenntnis einer Realität zu gelangen. [...]
Geschichte als Kunde vom Geschehenen, vom Vergangenen, [ist] nicht mehr die historische
Realität selbst, sondern sie benutzt diese Realität als Material, als Stoff, um kraft
intellektueller Anstrengung und vermittels eines wissenschaftlichen Instrumentariums zu
Erkenntnissen zu gelangen." Entsprechend lehnt der Historiker alles ab, was nur in Ansätzen
fiktional sein könnte; so unterscheidet sich sein Produkt grundsätzlich vom historischen
Spielfilm. Hahn ist jedoch der Auffassung, ,,[...] dass auch die wissenschaftliche
Darstellungsform nicht eines gewissen artifiziellen Elements entbehrt." Entsprechend gibt es
in allen Darstellungsformen von Geschichte ein nicht unproblematisches Verhältnis zur
historischen Realität und man kann ,,[...] dieser Realität höchstens nahe kommen, aber nie mit
ihr deckungsgleich werden."
Der historische Spielfilm kann Hahns Einschätzung nach durch Identifikationsmechanismen
Geschichte erlebbar machen; dies kann im günstigen Fall auch zu neuen Erkenntnissen
führen. Die Realität im Spielfilm ist eine Illusion, aber ,,[...] der Mensch hat die Fähigkeit,
Illusion als Realität zu erleben, und nur deshalb ist Vergangenheit als optisch erlebbare
Realität möglich. Diese Illusion wiederum kann beflügelnde und kreative Funktion und
Wirkung haben und damit tiefere Einsichten vermitteln, als es ein strenges Kleben an
schriftlichen Quellen oder die Analyse von Sozialstatistiken vermag."
In vielen mir vorliegenden Beiträgen/Aufsätzen
26
wurde ein weiterer Aspekt zur möglichen
Betrachtung von (historischen) Spielfilmen (auch im Unterricht) angeführt, den ich sehr
interessant finde, nämlich den Film als Quelle seiner Entstehungszeit zu sehen.
Dazu führt u.a. Rolf Aurich aus, das ´Kracauer` der Vater dieses Gedanken war. Dieser war
der Meinung, dass Filme unvermittelter als alle anderen künstlerischen Medien die Mentalität
einer Nation widerspiegelt. Er begründete seine Einschätzung zum einen damit, dass jeder
Filmproduktionsstab eine Mischung heterogener Interessen und Neigungen verkörpert und die
Teamarbeit entsprechend dahin tendiert, willkürliche Handhabung des Filmmaterials
auszuschließen und individuelle Eigenheiten zu unterdrücken. Zum Anderen ist anzunehmen,
dass populäre Filme herrschende Massenbedürfnisse befriedigen [und man entsprechend
Mentalitäten> Einstellungen, Normen, Haltungen, Sehnsüchte, Ängste usw. herausfiltern
kann].
27
26
Wie z.B. bei Szöllösi-Janze, Margit: ,,Aussuchen und abschießen" der Heimatfilm der fünfziger Jahre als
historische Quelle, in: GWU 44 (1993), S. 308-321; oder bei Hey, Bernd: Geschichte im Spielfilm.
Grundsätzliches und ein Beispiel: der Western, in: GWU 39 (1988), S. 17-33, hier S. 24-30.
27
Vgl. Aurich, Rolf: Wirklichkeit ist überall: Zum historischen Quellenwert von Spiel- und Dokumentarfilmen,
in: Wilharm, Irmgard (Hg.): Geschichte in Bildern. Von der Miniatur bis zum Film als historische Quelle,
9
Allerdings sollte nach Auffassung von Bernd Hey, Charlotte Heidrich, Christian Jansen u.a.
der Film trotzdem immer individuell in Frage gestellt werden, inwieweit der Publikumserfolg
auf einer immanenten Konformität zwischen Filmteam und Publikum beruht, ob er tatsächlich
die mentale Einstellung der Konsumenten widerspiegelt oder vielleicht nur künstlerischer
Ausdruck eines Filmteams ist, ob die Inhalte des Films vielleicht Propagandazwecken dienen,
um das Publikum erst zu überzeugen usw.
28
Ich bin ebenfalls der Überzeugung, dass Aussagen über Mentalitäten einer Gesellschaft/
Nation mit Hilfe eines Films doch recht spekulativ sind und mehr oder weniger auch bleiben.
Aber je mehr (finanziell erfolgreiche) Spielfilme einer Nation in einer bestimmten Zeit
professionell mit Überlegung ausgewertet werden, desto genauer müssten daran Werte,
Haltungen etc. festzumachen sein.
2.4 Der
Unterrichtsfilm
Die Form des Unterrichtsfilms gehört zur Gattung der Lehrfilme. Er wird speziell für den
schulmäßigen Wissens- und Bildungserwerb konzipiert, bietet also Inhalte dem Lehrplan
entsprechend und ist nach didaktischen Gesichtspunkten aufgebaut.
29
Bis weit in die Nachkriegszeit hinein wurde der Unterrichtsfilm ohne besondere Gestaltungs-
mittel erstellt, um möglichst sachlich zu belehren. Es entstanden viele historische Überblicke
über die Geschichte der Staatsaktionen, kurze Sequenzen aus Wochenschauen wurden
aneinander gereiht und der Originalton von einem lauten Kommentar übertönt. Die
Unterrichtsfilme aus dieser Zeit ließen bei der Schülerin, beim Schüler keinen Widerspruch
zu. Schließlich entstanden aufgrund gewandelter Einstellungen zum Kino und Entwicklungen
in Filmtheorie und Geschichtsdidaktik neue Unterrichtsfilmarten. Jegliche Indoktrination und
fertige Lösungen sollen vermieden werden, außerdem soll der Film die Möglichkeit bieten,
mit dem Material zu arbeiten.
30
Die geschichtlichen Unterrichtsfilme der letzten Jahre sind zum größten Teil dem Genre des
Dokumentarfilms zuzurechnen; diese können aber auch aus einer Kombination von
unterschiedlichen Materialien bestehen (z.B. Filmdokument kombiniert mit Spielfilmszenen).
Damit der historische Unterrichtsfilm auch lernwirksam ist, muss er bestimmten An-
Pfaffenweiler 1995 (=Geschichtsdidaktik. 10), S. 112-128, hier S. 113f. Mit Bezug auf Kracauer, Siegfried: Von
Caligari zu Hitler. Eine psychologische Geschichte des deutschen Films, Frankfurt am Main 1979, S. 7.
28
Vgl. Hey, S. 26. Und Heidrich, S. 592.
29
Vgl. Meyers, S. 52. Mit Bezug auf Kandorfer, Pierre: Du Mont´s Lehrbuch der Filmgestaltung. Theoretische-
technische Grundlagen der Filmkunde, Köln
4
1990, S. 36.
30
Ebd., S. 52f.
10
forderungen standhalten. So sollte die Filmhandlung linear ablaufen, die Gliederung muss
klar sein, eine Bild-Ton-Schere muss vermieden werden usw.
31
31
Vgl. Baumann, Film, S. 535f. Dort auch weitere Anforderungen, die Heidrun Baumann an den Unterrichtsfilm
stellt. Noch ausführlicher bei Baumann, Probleme, S. 175-182.
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Erstausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2004
- ISBN (eBook)
- 9783958209350
- ISBN (Paperback)
- 9783958204355
- Dateigröße
- 147 KB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
- Erscheinungsdatum
- 2015 (Oktober)
- Note
- 1
- Schlagworte
- medium film geschichtsunterricht