Kindeswohlgefährdung: Handlungsstrategien und Interventionsmöglichkeiten des Jugendamtes
©2010
Bachelorarbeit
52 Seiten
Zusammenfassung
In der vorliegenden Studie wird gezeigt, wie Kinder durch unsere Gesetzgebung geschützt sind und was die zuständige öffentliche Instanz, also das Jugendamt, tun kann und tun muss, um die Gefährdung eines Kindeswohls zu klären. Welche Unterstützungs- und Hilfsangebote erbracht werden müssen, um Kindern ein „gesundes“ Leben in seiner Familie zu ermöglichen. Die Autorin möchte die Anwendung der Gesetze in der Praxis transparenter machen, in dem sie sich nicht nur gesetzlicher und wissenschaftlicher Basis bedient, sondern auch ihre eigenen Erfahrungen auf diesem Gebiet mit einfließen lässt.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
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Am Ende der Arbeit schildere ich meine eigenen Überlegungen zum Thema Kindeswohl-
gefährdung und zur gesamten Arbeit.
Ich werde während der gesamten Arbeit zur Vereinfachung des flüssigen Lesens die
männliche Form nutzen, obwohl natürlich sowohl Frauen als auch Männer gemeint sind.
Des Weiteren benutze ich in der Arbeit durchgehen das Wort ,,Kind", wobei ich den Ju-
gendlichen selbstverständlich mit einschließe.
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2. Der Begriff Kindeswohlgefährdung: was steckt dahinter? Definition nach §
1666 Abs., 1 BGB und Grundgesetz (dazu: 2.5).
Die Begriffe Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung sind Rechtsbegriffe, die mit Hilfe von
wissenschaftlichen Methoden nicht ganz klar definiert werden können (Meysen, 2008, S.
19). Es findet sich jedoch eine gesetzliche Definition im § 1666 Abs. 1 BGB, so wie es im
BGB bis Juli 2008 dort zu lesen war. Die Kindeswohlgefährdung war demnach eine von
drei Tatbestandsmerkmalen, die erfüllt sein mussten, damit das Familiengericht eingreifen
kann. Die Tatbestandsmerkmale unterteilten sich nach MEYSEN wiederum in eigene
Anforderungen. Bei der Kindeswohlgefährdung handelte es sich um folgende drei:
x mangelnde Befriedigung der körperlichen, seelischen, geistigen oder erzieheri-
schen Bedürfnisse: gegenwärtig vorhandene Gefahr und
x erhebliche
Schädigung
und
x sichere
Vorhersage
Das zweite Tatbestandsmerkmal war die Ursache der Gefährdung, die sich wie folgt un-
terteilt:
x missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge oder
x Vernachlässigung
oder
x unverschuldetes
Verhalten der Eltern oder
x Verhalten eines Dritten
Als drittes Tatbestandsmerkmal wurde die Abwendung der Gefährdung durch Eltern ge-
nannt.
x fehlende Fähigkeit oder
x fehlende
Bereitschaft.
Diese drei Tatbestandsmerkmale zusammengefasst ergaben den Tatbestand des § 1666
Abs. 1 BGB. Wenn dieser erfüllt war, musste das Familiengericht eingreifen um die Ge-
fahr abzuwenden (vgl. auch Wabnitz, 2006, S. 122 ff.).
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2.1 Gesetzeserneuerungen
Diese Deutung galt bis zum 12.07.2008. Das Familiengericht konnte nur eingreifen, wenn
die oben genannten Punkte, die ich weiter unten noch näher erläutere, erfüllt waren. Heu-
te ist das Gesetz insoweit verändert worden (siehe unten), dass das Familiengericht keine
Einschränkungen seitens der Tatbestandsmerkmale hat, und die Sanktionierung des el-
terlichen Verhaltens nicht in den Vordergrund gerückt wird. Aktuell soll vielmehr in Form
von einer Zukunftsprognose dargestellt werden, ob die Gefährdungssituation des Kindes
in körperlicher, seelischer oder finanzieller Sicht existiert. Es bleibt aber weiterhin zu be-
rücksichtigen, dass alle wichtigen Gesichtspunkte vom Gericht vorerst aufgeklärt werden
müssen, um geeignete Maßnahmen für das Kind einleiten zu können. Durch die Verände-
rung des Gesetzes soll die Schwelle für das tatsächliche Eingreifen des Familiengerichtes
gegenüber den Eltern und dem Kind nicht herabgesetzt werden, sondern bewirken, dass
die Jugendämter schneller das Familiengericht anrufen und nicht auf bestimmte Tatbe-
standsmerkmale warten.
In dem neu verfassten § 1666 Abs. 3 BGB werden mögliche gerichtliche Maßnahmen
nunmehr ausdrücklich aufgeführt. Diese standen dem Familiengericht bereits in der bishe-
rigen Rechtslage zur Verfügung, da es alle ,,zur Abwendung der Gefahr erforderlichen
Maßnahmen treffen" konnte. Die Änderung stellt also im Prinzip reine Gesetzeskosmetik
dar. Es erfolgte keine weitere Vervollständigung der Verantwortlichkeiten des Gerichts.
Eine weitere Änderung, bzw. Einführung eines neuen Gesetzes der FGG erfolgte ebenso
am 12.07.08
,,Eine bedeutsame inhaltliche Änderung betrifft die Einführung der ,,Erörterung der Kin-
deswohlgefährdung" in § 50f FGG. Damit wird den Gerichten und Jugendämtern ein In-
strument an die Hand gegeben, bereits im Vorfeld einer Kindeswohlgefährdung mit den
Eltern und in geeigneten Fällen auch mit dem Kind die Probleme unter der autoritären
Wirkung des Richters gemeinsam zu erörtern. Auch das neu eingeführte Vorrang und
Beschleunigungsgebot des § 50e FGG stellt eine längst überfällige, begrüßenswerte, aber
noch ergänzungsbedürftige Neuregelung dar."
(http://www.rechtsportal.de/appmanager/portal/familienrecht?_nfpb=true&_pageLabel=wk_page_aktuelles_det
ails&T7400472511191514212420search=true&T7400472511191514212420channelId=903&T740047251119
1514212420id=113217 letzter Zugriff: 07.01.2010)
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Bereits im Vorfeld steht dem Familiengericht damit ein Mittel zur Verfügung, um auf die
Eltern und die Kinder einzuwirken und die Verbindlichkeit eines vom Träger der öffentli-
chen Jugendhilfe aufgestellten Hilfeplans zu verdeutlichen.
Ziel des Erörterungsgesprächs soll es sein die Eltern, das Jugendamt und ggf. auch das
Kind an einen Tisch zu bringen. Das Gericht soll in diesem Gespräch den Eltern die
schwerwiegende Bedeutung der Situation verdeutlichen, auf mögliche Konsequenzen
hinweisen und darauf hinwirken, dass die Eltern notwendige Leistungen der Jugendhilfe
annehmen und mit dem Jugendamt kooperieren. Das Gericht soll die Eltern zudem auf
die Folgen einer anhaltenden Gefährdungslage hinweisen (ebd.)
Übersicht 1: § 1666 BGB
(1) Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und sind die
Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht die Maßnah-
men zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind.
(2) In der Regel ist anzunehmen, dass das Vermögen des Kindes gefährdet ist, wenn der Inhaber der Vermö-
genssorge seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind oder seine mit der Vermögenssorge verbundenen
Pflichten verletzt oder Anordnungen des Gerichts, die sich auf die Vermögenssorge beziehen, nicht befolgt.
(3) Zu den gerichtlichen Maßnahmen nach Absatz 1 gehören insbesondere
1.
Gebote, öffentliche Hilfen wie zum Beispiel Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe und der Gesund-
heitsfürsorge in Anspruch zu nehmen,
2. Gebote, für die Einhaltung der Schulpflicht zu sorgen,
3.
Verbote, vorübergehend oder auf unbestimmte Zeit die Familienwohnung oder eine andere Wohnung zu
nutzen, sich in einem bestimmten Umkreis der Wohnung aufzuhalten oder zu bestimmende andere Orte
aufzusuchen, an denen sich das Kind regelmäßig aufhält,
4. Verbote, Verbindung zum Kind aufzunehmen oder ein Zusammentreffen mit dem Kind herbeizuführen,
5. die Ersetzung von Erklärungen des Inhabers der elterlichen Sorge,
6. die teilweise oder vollständige Entziehung der elterlichen Sorge.
(4) In Angelegenheiten der Personensorge kann das Gericht auch Maßnahmen mit Wirkung gegen einen
Dritten treffen.
(http://www.gesetze-im-internet.de/bgb/__1666.html, letzter Zugriff am 07.01.10)
Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat den Begriff der Kindeswohlgefährdung
folgendermaßen konkretisiert: Kindeswohlgefährdung sei ,,eine gegenwärtige, in einem
solchen Maße vorhandene Gefahr, dass sich bei der weiteren Entwicklung eine erhebli-
che Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt" (BGH FamRZ 1956, S. 350
zit. in Schmid/Meysen, 2006, Frage 2-5).
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2.2 Gegenwärtig vorhandene Gefahr
Die Benennung einer gegenwärtigen Gefahr ist abhängig von der jeweiligen Situation des
einzelnen Kindes und Befriedigung der Bedürfnisse des Kindes bzw. Mangel dessen. Eine
Annahme über die Gefahr kann sich durch das deutliche elterliche Unterlassen/Tun, wie
z.B. Gewalt gegenüber dem Kind, einer konkret ersichtlichen Lebenssituation des Kindes,
z.B. Mangel an Nahrungsmittel, oder der Entwicklung des Kindes, wie z.B. deutliches de-
linquentes Verhalten ergeben. In der Praxis muss abgewogen und beachten werden,
dass ein Kriterium für die erhebliche Gefahr eines Kleinkindes, eine ganz andere sein
kann, als die für einen Jugendlichen (Schmid/Meysen, 2006, Frage 2-5).
2.3 Erheblichkeit der Schädigung
Nicht jede Entwicklungsbeeinträchtigung und Einschränkung der Entwicklungsmöglichkei-
ten eines Kindes kann gleich als Gefährdung seines Wohles im Sinne von § 1666 Abs. 1
BGB gesehen werden. Sofern Kinder in ihrer Entwicklung nicht erheblich bedroht sind,
müssen sie vermeintliche Nachteile durch Entscheidungen ihrer Eltern und deren Verhal-
tensweisen und Lebenslagen in Kauf nehmen. Ganz klar ist eine Erheblichkeit gegeben,
wenn das Kind mit Leib und Leben bedroht ist. Und genau so ist keine Erheblichkeit da,
wenn es z.B. um das schwierige Verarbeiten der Trennungssituation der Eltern geht, ob-
wohl es in einer solchen Phase oft zu vorübergehenden Beeinträchtigungen in der Befind-
lichkeit des Kindes kommen kann. Wenn sich bei der Erheblichkeitsbewertung keine un-
mittelbare Gefährdung für das Kind herauskristallisiert, können bestimmte Kriterien hilf-
reich sein, wie zum Beispiel die Dauer der Beeinträchtigungen, die Bedeutung ihrer Aus-
prägung und der Einfluss auf andere Lebens- und Entwicklungsbereiche. (ebd., 2-6).
2.4 Sicherheit der Vorhersage
Die Sicherheit der Vorhersage ist nur von Bedeutung, wenn eine Schädigung des Kindes
noch nicht eingetroffen ist, es aber in der Zukunft der Fall sein kann. Bei diesem Tatbe-
standsmerkmal wird am Häufigsten zu einer sozialwissenschaftlicher Prognose gegriffen
um abzuschätzen, ob eine Risikomöglichkeit für die Zukunft berechtigt ist. Hierbei muss
darauf geachtet werden, dass bei einigen Arten von Kindeswohlgefährdung wie sexueller
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Missbrauch oder schwere Vernachlässigung die Beeinträchtigungsmerkmale erst mit Ver-
zögerung sichtbar werden können. Es sollte allerdings davon ausgegangen werden, dass
bei weiniger schwerwiegenden Lagen immer ein Risiko des ungünstigen Verlaufs besteht,
wenn auch ein geringes. Aus diesem Grund stellt die Forderungsaussage der Rechtspre-
chung ,,mit ziemlicher Sicherheit" eine sehr hohe Hürde dar (ebd.).
Zu den vorab n und nicht mehr genutzten Tatbestandsmerkmalen des früheren §1666
BGB möchte ich dennoch eine kurze Erläuterung geben, weil dies meiner Meinung nach
in der Praxis immer noch eine sehr wichtige Rolle im Rahmen einer Überprüfung und Be-
wertung einer möglichen Kindeswohlgefährdung spielt.
Zur Missbräuchlichen Ausübung der elterlichen Sorge
Unter diesem Ausdruck ist ein aktives Verhalten der personensorgeberechtigten Eltern zu
verstehen. Aus juristischer Sicht ist dies eine falsche, rechts- und zweckwidrige Verwen-
dung des Sorgerechts (Coester 2000 zit. in Meysen 2006a, S.9/1). Nach § 1666 Abs. 1
BGB ist diese erfüllt, wenn Eltern ihrem Kind bewusst Schaden zufügen oder freiwillig
nicht bereit sind verantwortlich die Interessen ihres Kindes zu berücksichtigen. Als erste
Fallgruppe der missbräuchlichen Ausübung der elterlichen Sorge ist Kindesmisshandlung
zu benennen. Hier sind Tötungsversuche und körperliche Schädigung, sowohl gezielte als
auch unkontrollierte Affekthandlungen eingeschlossen. Aber auch psychische/seelische
Misshandlung ist ein Missbrauch der elterlichen Sorge (Meysen, 2006a, Frage 9-1).
Sexueller Missbrauch ist eine weitere Form der missbräuchlichen Ausübung der Eltern-
rechte. ,,Hierzu zählen die Gerichte auch ein Anhalten zur Prostitution und gehen von ei-
ner Kindeswohlgefährdung aus, wenn ein Kind/Jugendlicher in sexuelle Handlungen pas-
siv hineingezogen wird." (ebd.)
Eine Verweigerung einer gesundheitlichen Behandlung die von einem Arzt verordnet ist
und von dem Kind gewünscht ist, gilt ebenso als ein Missbrauch der elterlichen Sorge.
Ebenfalls kann sich das Gericht auf einen für das Kind gefährdenden Erziehungsstil stüt-
zen (z.B. übermäßig autoritär oder überfürsorglich). Auch die Verletzung des § 1626 Abs.
2 BGB, in dem verankert ist, dass das Kind das Recht hat auf ein selbstständiges ver-
antwortungsbewusstes Handeln kann zu einer Gefährdung führen (ebd., 9-2).
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Zum unverschuldetem Versagen der Eltern
Dieses Kriterium der Kindeswohlgefährdung nimmt neben den anderen drei (missbräuch-
liche Ausübung der elterlichen Sorge, Vernachlässigung und Verhalten eines Dritten) die
Rolle eines Auffangtatbestandsmerkmales ein. ,,Es orientiert sich allein an der Situation
des Kindes/Jugendlichen und kommt ohne Schuldzuweisungen aus. So kommt es dem
Grundgedanken des Kinder- und Jugendhilferechts am nächsten, das sich bei der Be-
schreibung von Hilfebedarfen konsequent zu einem Verzicht auf diskriminierende (Dis-)
Qualifikation von Eltern bekennt" (Meysen, 2006b, Frage 10-1). Somit ist es auch im Fa-
miliengericht gestattet die Schuldfrage offen zu lassen.
In der Rechtsprechung und Literatur spricht man bei unverschuldetem Versagen der El-
tern zuallererst von Ressourcenmangel bei der Kindererziehung. Zur dieser Fallgruppe
werden Eltern mit Suchterkrankungen, wie Alkohol-, Drogen- oder Medikamentenabhän-
gigkeit sowie mit geistigen oder körperlichen Behinderungen gezählt. In der Praxis werden
gelegentlich auch Fälle missbräuchlicher Ausübung der elterlichen Sorge als unverschul-
detes Versagen der Eltern gefasst.
2.5 Elternrechte und Staatliches Wächteramt (GG)
,,Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst
ihnen obliegende Pflicht". Mit diesem Grundgesetz in Art. 6 Abs. 2 S. 1 wird den Eltern-
rechten ein grundrechtlicher Schutz gewährleistet, aber auch eine so genannte ,,Eltern-
verantwortung" (BverfGE 24, 119, 145, zit. in: Wiesner, 2007, S. 9) zugeteilt. Die Verfas-
sung hat berücksichtigt, dass es auch Ausnahmen gibt und die Eltern nicht nur mit Rech-
ten, sondern auch mit Pflichten ausgestattet sind. Denn dem Gesetzgeber ist bewusst,
dass Kinderschutz nicht nur in elterlichen Händen bleiben kann, sondern der Staat auch
eine Verantwortung trägt, wenn und solange das Wohl des Kindes in Gefahr ist und die
Eltern zu diesem Zeitpunkt oder generell nicht gewillt oder nicht in der Lage sind die Ge-
fahr zu beseitigen. Wenn Grundrechte der Kinder/Jugendlichen auf Menschenwürde und
auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG), auf
Leben, Gesundheit, Freiheit (Art. 2 Abs. 2 GG) oder Eigentum (Art. 14 Abs. 1 GG) verletzt
werden, wird hiermit die Grenze des Elternrechtes überschritten. Misshandlung oder Ver-
nachlässigung eines Kindes sind durch das Grundgesetz zwar nicht direkt geschützt,
staatliche Eingriffe in das Elternrecht sind allerdings durch (teilweisen) Entzug zukunftsge-
richtet und sollen der Vermeidung weiterer/andauernder Misshandlung oder Vernachläs-
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sigung des Kindes und der Grundgesetzverletzung dienen. (Schmid/Meysen, 2006, Frage
2-3).
Dies wird im Grundgesetz ausdrücklich angesprochen: ,,(2)[...]Über ihre Betätigung wacht
die staatliche Gemeinschaft. (3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen
Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erzie-
hungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen
drohen. [...]".
Es ist jedoch auch zu bemerken, dass dieses Grundgesetz ziemlich knapp formuliert ist
und an sich nicht ausreicht, wenn man explizit gegen eine Gefährdung etwas tun muss.
So sollte man den verfassungsrechtlichen Schutz der Kinder nicht nur im Grundgesetz
suchen, sondern auch im BGB und SGB VIII. Diese Gesetze bauen sicherlich auf dem
Grundgesetz auf, füllen aber auch die Knappheit aus und geben dem Familiengerecht und
dem Jugendamt einen größeren Spielraum (vgl. Wiesner, 2007, S11; Meysen, 2008, S.
17ff. Salgo, 2008, S. 12;)
Wichtig in diesem Zusammenhang stellt auch der § 1661 BGB, in dem das Recht der Kin-
der auf eine gewaltfreie Erziehung festgeschrieben ist. Entwürdigungen und Misshand-
lungen sind demnach gesetzlich verboten und die Konsequenzen für diese spiegeln sich
im §1666 BGB (Wohlgemuth, 2009, S. 105).
Wenn eine Kindeswohlgefährdung staatliches Eingreifen erfordert, muss dieses verhält-
nismäßig sein. Das bedeutet, dass die Maßnahmen geeignet und erforderlich sein müs-
sen. Die Situation des Kindes/Jugendlichen muss sich durch diese Maßnahmen objektiv
verbessern und gleichzeitig muss ein gleichmäßiges Verhältnis zum Elternrecht bewahrt
werden. Für den Staat bedeutet dies eine Verpflichtung die Eltern bei der Erziehung und
Pflege ihrer Kinder zu unterstützen und zu motivieren. Wenn die Eltern auf die freiwilligen
Angebote der Kinder- und Jugendhilfe nicht eingehen und gegebenenfalls dadurch eine
Gefahr für das/den Kind/Jugendlichen darstellen, kann und muss das Jugendamt in die
Elternrechte eingreifen, um die Gefahr abzuwenden, um das/den Kind/Jugendlichen zu
schützen und das gewährleisten, wozu die Eltern nicht in der Lage waren (Meysen, 2008,
S. 18). Zu den staatlichen Unterstützungsmöglichkeiten mehr im Kapitel 3.3.
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2.6 Fakten und Folgen von Kindeswohlgefährdung
Kindeswohlgefährdung findet man oft dort, wo sich Belastungen und Risikofaktoren an-
häufen. Die Belastungen können mit einer ungewollten Schwangerschaft zusammenhän-
gen, aber auch bereits vorhanden sein und zu einem späteren Zeitpunkt belastend für das
Kind werden. Nach ENGFER (2005, S. 4) ist eine Vernachlässigung gegeben, wenn El-
tern ihre Kinder unzureichend vor Gefahren und gefährlichen Substanzen schützen, wenn
ihnen keine altersgerechte Förderung gegeben wird, sie unzureichend ernährt, versorgt
und/oder gesundheitlich unterversorgt werden. Auch emotionale Abwesenheit, Abwertung
und Ignorieren von Seiten der Eltern kann als Vernachlässigung angesehen werden (Eg-
le, 2005, S. 79).
Bei der Bearbeitung von Gefährdungssituationen treffen Mitarbeiter des Jugendamtes oft
auf Familien, die finanziell auf den Staat angewiesen sind und in denen die betroffenen
Kinder oft nicht mit beiden leiblichen Elterneilen zusammen leben. Daraus folgt, dass die
Kinder seit ihrer frühesten Kindheit mit der Einkommensarmut konfrontiert sind und an
Kontaktmangel mit einem der Elternteile leidet (Reinhold/Kindler, 2006, Frage 19-1).
Diese Faktoren stellen sicher eine große Belastung im Leben der Kinder dar, im Zusam-
menhang mit der Kindeswohlgefährdung spielen sie allerdings eher eine geringere Rolle.
Nur aufgrund dessen, dass die Eltern eines Kindes arbeitslos sind und/oder mit anderen
Partnern leben, ist es kein Faktor von Kindeswohlgefährdung im Sinne von § 1666 BGB
sprechen. Außerdem gibt es auch Untersuchungen dazu, dass auch Kinder aus wohlha-
benden Familien Formen von erzieherischer Vernachlässigung erleben, diese allerdings
nur selten in die Öffentlichkeit dringen. (ebd.)
Eine Rolle beim Zustandekommen der Kindeswohlgefährdung spielt auch die Stressbe-
lastung der Familie. Dieser Einfluss wurde bereits in mehreren Längsschnittstudien über-
prüft (vgl. Engfer, 1991, Brown et al., 1998 zit. in Reinhold/Kindler, 2006, Frage 19-2).
Zusammenhängend kann man allerdings sagen, dass dieser Einfluss schwach ist und
nicht durchgängig bestätigt worden ist. Natürlich ist ein solcher Zusammenhang plausibel,
denn wenn ein Elternteil unter Stress steht, können sich seine Reizbarkeit und Strafbe-
reitschaft erhöhen. Aus diesem Grund wurden familienentlastende Maßnahmen einge-
führt, um das Risiko einer Gefährdung zu verringern. Denn Familien, in denen es zu einer
Vernachlässigung oder Misshandlung kam, konnten über wenig soziale Unterstützung
berichten (ebd.) ,,Da Interventionen zur Förderung einer eingetretenen Kindeswohlgefähr-
dung bislang jedoch allenfalls schwache Wirkungen gezeigt haben, ist auch vermehrt an
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die Möglichkeit zu denken, dass in vielen Fällen sowohl die Entstehung der Gefährdung
als auch die fehlende soziale Unterstützung durch grundlegende Einschränkungen in den
sozialen Fähigkeiten misshandelnder, vernachlässigender oder missbrauchender Eltern-
teile verursacht wird."(ebd.)
Selten sind es relevante psychische Störungen, die eine Kindeswohlgefährdung ,,begrün-
den" können, deswegen werde ich diese in meinen Ausführungen außer Acht lassen
(Münder et al. 2000, zit. in Reinhold/Kindler, Frage 18-1).
Dagegen stellt ein größerer Anteil beteiligter Eltern selbst belastende Erfahrungen mit
Misshandlung, Vernachlässigung und Missbrauch in der eigenen Kindheit. Diese Eltern
stellen laut REINHOLD/KINDLER (ebd.) einen ernsthaften Risikofaktor für die Erziehungs-
fähigkeit der Eltern dar. Solche Erfahrungen in der eigenen Kindheit können die Erzie-
hungsfähigkeit der Eltern auf unterschiedliche Weisen beeinflussen.
Zum einen können die inneren Beziehungsmuster dieser Eltern später auf ihre Kinder
übertragen werden, sowohl die Gefühle und Reaktionen des Elternteils, als auch die Be-
wertung kindlicher Signale. Zum anderen können die erlebten Erfahrungen mit Misshand-
lung u.a. ungünstige Auswirkungen auf die psychische Gesundheit und Persönlichkeits-
entwicklung der Betroffenen haben. Diese können zum Beispiel Neigungen zu Depressio-
nen und geringe Konfliktlösungskompetenzen sein. Des Weiteren ergibt sich ein Zusam-
menhang mit der Auswirkung auf Lebens- und Partnerschaftssituationen. Sie können sich
in Form von überstürzten Eheschließungen, frühen Elternschaften und gewalttätigen Be-
ziehungen äußern. Diese belastenden Umstände erhöhen folglich auch das Risiko einer
Kindeswohlgefährdung (ebd., Frage 18-2).
In welchen Situationen kommt es aber zu einer Kindeswohlgefährdung? Auf diese Frage
ist gar nicht so einfach zu antworten, weil die unmittelbaren Situationen in einer geringen
Anzahl von Studien untersucht worden ist. Es werden Verweigerung der Nahrungsauf-
nahme, Autoritätskonflikte und Regelübertretungen genannt, die unter Umständen eine
körperliche Misshandlung auslösen. Überhaupt ist der höchste Anteil von Vorfällen kör-
perlicher Misshandlungen mit disziplinarischen Auseinandersetzungen verbunden. Bei
sexuellen Missbrauch werden häufig Vertrauenssituationen ausgenutzt (z.B. Zu-Bett-
Springen), um sich an dem Kind/Jugendlichen zu vergreifen (ebd., Frage 20-2).
Eine stoffgebundene Abhängigkeit (Alkohol, Drogen, Medikamente) spielt in diesem Zu-
sammenhang auch eine bedeutende Rolle. Vor allem der Alkoholkonsum kann eine Ge-
fährdung wahrscheinlicher machen, denn mit dem Konsum können kindliche Signale ver-
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kehrt aufgenommen werden, die Fähigkeit ,,zur Vorausschau auf Folgen eigenen Han-
delns und zur Hemmung aggressiver Impulse angesichts von Frustrationen eingeschränkt
wird, während die Risikobereitschaft steigt." (ebd., Frage 20-3)
Wie bereits oben erwähnt, kann Kindeswohlgefährdung auf mehreren Ebenen verlaufen,
genauer: auf der erzieherischen, emotionalen und körperlichen Ebene. Diese drei Ebenen
sind sehr eng mit einander verbunden. Gefährdungen auf der körperlichen Ebene hinter-
lassen nicht nur physische Folgen, sondern bringen auch psychische Folgen mit sich.
Wichtig ist also zu wissen, dass es diese drei Ebenen gibt. Genauso wichtig ist es aber
auch, diese nicht getrennt voneinander zu betrachten.
Dazu kurze Erläuterungen.
Erzieherische Ebene
Eltern sein, bedeutet unter anderem auch Kindern Halt und Struktur zu bieten. Aber auch
die Beaufsichtigung der Kinder, vor allem je jünger sie sind, ist ausgesprochen wichtig.
Daher stellen die Unfälle im Säuglingsalter die häufigste Form von Vernachlässigung dar.
Bei älteren Kindern kommt es häufiger zu einer Parentifizierung, wobei sich die Rollen von
Eltern und Kind verschieben und die Eltern ihre Pflicht unzureichend erfüllen. Als patholo-
gisch kann man diese Situation betrachten, wenn das Kind die Aufgabe der Eltern über-
nimmt, was mit seiner natürlichen Rolle als Kind absolut nicht vereinbar ist. Dieser Pro-
zess kann dazu führen, dass die Eigenständigkeitsentwicklung des Kindes geopfert wird
um die Eltern zu ,,erziehen". Oft wird der ,,Einsatz" des Kindes nicht richtig wertgeschätzt,
und das Kind weiß zwar, dass er gebraucht wird, bekommt allerdings keine Anerkennung
seiner Leistungen. Das Kind wird als ein Instrument zur Befriedigung elterlicher Bedürf-
nisse betrachtet, und zwar auf die Kosten seiner eigenen kindlichen Bedürfnisse (Gellert,
2007, S. 11-12).
Emotionale Ebene
Wie bereits oben erwähnt, kann die Rollenumkehr in einer Familie auch emotionale Fol-
gen mit sich bringen. Durch Ablehnung, Abwertung und Ignoranz werden die Gefühle des
Kindes/Jugendlichen übergangen und missachtet. Engfer (2005, S. 6-7) zählt auch die
emotionale Unerreichbarkeit, Über und Unterforderungen, mangelnden Schutz vor ne-
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Erstausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2010
- ISBN (eBook)
- 9783958209381
- ISBN (Paperback)
- 9783958204386
- Dateigröße
- 1.2 MB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Hochschule RheinMain
- Erscheinungsdatum
- 2015 (Oktober)
- Note
- 1,7
- Schlagworte
- kindeswohlgefährdung handlungsstrategien interventionsmöglichkeiten jugendamtes
- Produktsicherheit
- BACHELOR + MASTER Publishing