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Beziehungssucht und Co-Abhängigkeit bei Frauen

©2004 Studienarbeit 56 Seiten

Zusammenfassung

Wird die Abhängigkeit eines Menschen offensichtlich, finden sich in seiner Umgebung fast immer Menschen, die ihm helfen möchten und dabei entmutigende Erfahrungen machen. Mit freundlichen Bitten, Versprechungen und Enttäuschungen fängt es an. Ängste, Appelle, Drohungen, Streitereien folgen. Schließlich sind die Angehörigen kaum weniger hilflos als der Abhängige selbst. Ihre Gedanken kreisen um sein Verhalten, ihr Leben ist stark eingeschränkt – sie sind co-abhängig. Die Zahl der Co-Abhängigen liegt bundesweit bei acht Millionen Menschen. Co-Abhängigkeit scheint dabei ein typisch weibliches Problem zu sein, ca. 90% der Betroffenen sind Frauen. Jedoch ist eine Abhängigkeit ohne Beziehung nicht denkbar. Um psychisch und physisch überleben zu können, ist die Fähigkeit zur Bindung und Abhängigkeit eine Grundvoraussetzung. Man fragt sich: Ist Abhängigkeit krankhaft? Warum bin ich so? Offenbar sind wir Menschen so beschaffen, dass wir am besten in einem sozialem Milieu gedeihen, indem sowohl ein gewisses Maß an Bindung, Nähe oder Kohäsion als auch ein mittleres Maß an Distanz herrscht. Zuviel Nähe oder Bindung beinhaltet die Gefahr von Verstrickung, Abhängigkeit und Autonomieverlust. Anderseits führt zuviel Distanz oder fehlende Verbindlichkeit zur Loslösung, Isolation und Einsamkeit. In diesen beiden Fällen kann Suchtverhalten funktional werden: in einem Fall dient es der Abgrenzung, im anderen wird die Sucht zum verlässlichen Beziehungspartner. Die Autorin setzt sich in der vorliegenden Studie kritisch mit den unterschiedlichen Facetten der Co-Abhängigkeit auseinander.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


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Suchtverhalten funktional werden: in einem Fall dient es der Abgrenzung, im anderen wird
die Sucht zum verlässlichen Beziehungspartner (Erbach, F., 1995).

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2. Begriffserklärungen
2.1 Sucht/Abhängigkeit
Im weitesten Sinne meint Sucht jede zwanghafte Befriedigung von Bedürfnissen, die mit ei-
nem abnormen, unerträglichen inneren Spannungszustand als zwingend erlebt wird. Die Be-
friedigung hebt einen solchen Zustand nur vorübergehend auf, um sich dann in gesteigertem
Maße als eine Form unbezwingbarer Gier zu wiederholen (www.suchtambulanz-
ebersberg.de). Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Sucht (wurde durch den Begriff
der Abhängigkeit ersetzt) 1957 folgendermaßen definiert: Sucht ist ,,ein Zustand periodischer
oder chronischer Vergiftung, hervorgerufen durch den wiederholten Gebrauch einer natürli-
chen oder synthetischen Droge und gekennzeichnet durch vier Kriterien:
· ein unbezwingbares Verlangen zur Einnahme und Beschaffung des Mittels,
· eine Tendenz zur Dosissteigerung (Toleranzerhöhung),
· die psychische (unwiderstehliches Verlangen, Zentrieren des Denken und Handeln auf das
Suchtmittel, nur durch Suchtmittel kann das innerliche Gleichgewicht hergestellt werden)
meist auch physische Abhängigkeit (Dosissteigerung, auftretende Entzugssymptome) von der
Wirkung der Droge, wobei der Übergang von der psychischen zur physischen Abhängigkeit
fließend ist
· die Schädlichkeit für den einzelnen und/oder die Gesellschaft"
Generell spricht man von folgender Charakteristika für süchtige Personen und deren Verhal-
ten: Betroffene zeigen eine starke gefühlsmäßige und psychovegetative Sensibilität und Labi-
lität, sie sind gekennzeichnet durch eine geringe emotionale Integration, die sich in Abwehr
von Gefühlen und impulsiv- selbstbezogenem Verhalten äußert. Sie haben Schwierigkeiten,
reife Kontaktbeziehungen zu anderen Menschen aufzustellen. Oft neigen sie zu angstbesetzter
Befindlichkeit, depressiver Grundstruktur mit Stimmungslabilitäten. Hypochondrische und
konversionsneurotische Symptome können auftreten. Betroffene haben meist eine hohe
Selbstachtung und hohe persönliche Ansprüche (Gross, W., 1991).
,,Abhängigkeit und Sucht zeigen sich als latente Haltung und als manifestes süchtiges Verhal-
ten. Süchtiges Verhalten mit Krankheitswert liegt vor, wenn dieses nicht mehr angesichts ei-
ner Flucht- oder Unwohlsituation eintritt, sondern zu einem eigendynamischen, zwanghaften
Verhalten wird, das sich selbst organisiert hat und sich rücksichtslos beständig zu verwirkli-
chen sucht. Suchthaltungen als Folgen von mangelndem Selbstvertrauen und Minderwertig-
keitsgefühlen, von Verantwortungsscheu und Problemangst werden meist in Kindheit und
Jugend erlernt" (www.essen.de/Dokumente/SuchtGesamtbericht.pdf
.).

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Das Spezifische an einer Sucht ist der innere Zwang, der sich vor allem bei schwachem
Selbstwertgefühl aus einer Gewöhnung nach dem Selbstverstärkungsprinzip bis zum Kon-
trollverlust steigern kann. Die zwiespältige Bedeutung von Sucht beruht darauf, dass sie
zugleich ein lebenserhaltendes Bedürfnis in einem als belastend empfundenen Leben und eine
schwere Krankheit darstellen kann. Als Konsequenzen von Sucht gelten die Einschränkung
der Freiheit und die behandlungsbedürftige Persönlichkeitsstörung (Loviscach, Peter, 1996).
Sucht kann sich als ein unabweisbares Verlangen nach einem bestimmten Erlebniszustand
äußern. Diesem Verlangen ordnet sich der Verstand unter, die freie Entfaltung der Persön-
lichkeit wird eingeschränkt. Sucht kann die sozialen Bindungen eines Individuums sowie des-
sen soziale Chancen zerstören (www.suchtprozesse.de/sucht). ,,Sucht ist eine Verwahrlosung
des Innenlebens" (Gross, W., 1991, S. 193). Sucht weist immer Symptome einer psychischen
und/oder physischen Abhängigkeit auf. Abhängigkeit ist dadurch gekennzeichnet, dass eine
für den Betroffenen unerträgliche innere Spannung die Bedürfnisbefriedigung erzwingt (Vier-
ecke, Andreas, Microsoft® Encarta® Enzyklopädie 2002). ,,Abhängigkeit ist eine bestimmte
Empfindung, die das Bewusstsein einer Person absorbiert und wie ein Analgetikum Angst-
und Schmerzgefühle lindert" (Norwood, R., 1986, S.40). ,,Nach allgemeiner wissen-
schaftlicher Übereinstimmung ist Sucht ein zwanghafter Drang, durch bestimmte Reize oder
Reaktionen Lustgefühle oder -zustände herbeizuführen bzw. Unlustgefühle zu vermeiden. Die
Sucht stellt einen Versuch dar, Bedürfnisse unmittelbar und unter Umgehung all der Verhal-
tensweisen zu befriedigen, die natürlicherweise zu ihrer Befriedigung führen. Der Zwang, un-
ter dem der Süchtige dabei steht, ist mit einem Mangel an Selbstkontrolle gleichzusetzen. Ziel
des Suchtverhaltens und Inhalt des Lustzustandes ist der Aufbau einer Scheinwelt i.S. einer
Realitätsflucht. Die Wege, derer sich ein Süchtiger bedient, sind unterschiedlich. Prinzipiell ist
zwischen stoffgebundener und stoffungebundener Sucht zu unterscheiden. Unter stoffgebun-
dener Sucht. versteht man alle Verhaltensweisen, bei denen dem menschlichen Körper Stoffe
mit dem Ziel des Missbrauchs zugeführt werden. Unter stoffungebundener Sucht sind alle an-
deren süchtigen Entartungen menschlichen Interesses zu verstehen" (Kreft, Milenz, 1996, S.
595ff). Neben Suchtmittel- Süchtigen gibt es auch süchtige Verhaltensweisen, wie zum Bei-
spiel Spielsucht, Fernsehsucht, Arbeitssucht, Esssucht, Geltungssucht, Beziehungssucht, Lie-
bessucht usw. (Einordnung ICD 304.0-304.9).
Sucht kann als Kompensations-, Flucht- oder
Verweigerungsversuch interpretiert werden. Letztendlich handelt es sich immer um einen
missglückten Konfliktlösungs- oder Anpassungsversuch
eines Menschen.
Frauenspezifisches Suchtverhalten wird auch oft als stille Sucht bezeichnet. Dabei ist Sucht-
verhalten die Folge von einer bewussten oder unbewussten Entscheidung, in bestimmten

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Momenten ohne Bewusstheit und nicht präsent zu sein. Suchtverhalten ist ein Teil unserer
Schutzschicht, die die Berührung mit der mittleren Schicht (der Verletzlichkeit) wirkungsvoll
verhindert. Die Wirkung entfaltet sich genau an der Grenze zwischen Abwehr und Gefühl. So
fungiert Suchtverhalten als energetische Barriere, die verhindert, dass Ängste oder Schmerz
aus dem Unbewussten an die Oberfläche kommen. Man entzieht sich mit diesem Verhalten
dem gegenwärtigen Augenblick, um sich nicht mit seinen inneren Ängsten auseinander zu
setzen. Durch Süchte lenken wir uns nicht nur von Ängsten und Schmerz ab, sondern auch
von dem Loch im Inneren, das die Lücke zwischen Denken und Nicht- Denken ausmacht, zu
füllen (Trobe, T., 1996). Psychodynamisch gesehen bezeichnet man süchtiges Verhalten heute
als Modus der Abwehr gegenüber unbewältigbarer Konfliktspannung und unerträglichen
Ängsten aus psychischen Defiziten, im Bereich der Ich- Struktur als Vermittlerinstanz zwi-
schen Innen- und Außenwelt und im Bereich der Fülle des Selbst als Gesamt allen Erlebens
sich selbst gegenüber, vor allem des Selbstwerterlebens. Freud interpretierte das Suchtverhal-
ten als triebhafte Beschäftigung mit sich selbst, die eine Illusion von Herrschaft über die
Triebbefriedigung und befriedigende Erfahrungen ermöglicht. Diese Illusion schützt den Be-
troffenen vor der Realität und vor Abhängigkeiten von anderen Menschen. So wird süchtiges
Verhalten heute nicht mehr als Ersatzbefriedigung frustrierter Triebregungen angesehen, son-
dern als Kompensationsversuch von Mangelzuständen, Traumatisierung und Kränkungen des
Ich und des Selbst. Suchtverhalten lockert die Ich- Grenzen
(Erbach, F., 1995).
In dieser Arbeit möchte ich mich den subtilen Süchten widmen. Dazu zählt man alle Verhal-
tensweisen, Verhaltensmuster und Einstellungen, an denen man festhält, um die Kontrolle zu
behalten (Trobe, T., 1996).
2.2 Beziehungssucht
Beziehungssucht teilt man den Prozessabhängigkeiten zu (Chopich, E.J., Paul, M., 1990).
Unter Beziehungssucht oder Hörigkeit versteht man allgemein die gefühlsmäßige Bindung an
andere Menschen in einem Ausmaß, in dem die persönliche Freiheit und menschliche Würde
aufgegeben werden. Der Wille der herrschenden Person(en) kann insofern über die sich un-
terwerfende Person verfügen, als die Grenzen von Recht und Moral missachtet werden. Man
kann bei Hörigkeit nicht generell von Tätern und Opfern sprechen, denn es gibt Menschen,
die sich an ihren Partner oder eine Gruppe klammern und sich völlig auf diese fixieren. Sie
haben meist kaum soziale Kontakte und ihr Selbstbewusstsein rührt ausschließlich aus der

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Fixierung auf den meist idealisierten Partner, was diesen auch sehr belasten kann. Diese Form
der Hörigkeit ist in der Regel aber nicht sexuell ausgeprägt, sondern allgemein auf das Zu-
sammenleben mit dem Partner oder Gruppe bezogen. Co-abhängige Menschen suchen sich
somit Partner/innen, die ihr Verhalten kontrollieren, ihnen ein Gefühl von Sicherheit geben
können oder sie sogar ,,retten" können (z.B. ,,Suche nach der Frau in Weiß" oder ,,Frosch-
Syndrom" bei Frauen) Eine beziehungssüchtige Frau kann somit durchaus die ,,Erlösung" mit
ihrer selbstlosen, allumfassenden, alles verzeihenden Liebe sein (Norwood, R., 1985). Bezie-
hungssüchtige sind nur in der Lage, (Pseudo-) Beziehungen einzugehen, in denen ,,zwei zu
einem" werden, und in ihnen als Person fungieren (Schaef, A.W., 1989). Als erstes Anzeichen
von Abhängigkeit in Beziehungen kann man die Zwanghaftigkeit deuten, das zweite ist die
Panik, die sich im Falle einer Trennung einstellt (also bei Abwesenheit der Substanz). Der
Arzt Dr. Gerhard Crombach belegte: Der Zustand überschwänglicher Verliebtheit erzeugt im
Gehirn die Produktion des Stoffes Phenyläthylamin (aus der Gruppe der Weckamine, ein
Aufputschmittel). Süchtige suchen also somit immer wieder den Zustand von Verliebtheit mit
Herzklopfen, Sinnestaumel und Nervenkitzel in Beziehungen auf (Gross, W., 1991).
Das dritte Kennzeichen von Abhängigkeit sind mögliche Entzugssymptome. Als viertes Zei-
chen einer Abhängigkeit deuten wir das Gefühl der Befreiung des Triumphes und der Erfül-
lung, dass sich nach einer Trauerperiode einstellt. Es unterscheidet sich hierbei jedoch von der
langsamen, traurigen Resignation und Heilung, die dem Verlust einer nicht abhängigen Be-
ziehung folgen (Halpern, M., 1999). Die abhängige Persönlichkeit wird bis in alle Ewigkeit
jemanden suchen, der sie vor ihren Ängsten beschützt. Das Leben wird sie jedoch ständig auf
sich selbst zurückwerfen, indem man sie zurückweist oder man sich ihr entzieht- Beziehungen
scheitern. Die Angst von Beziehungssüchtigen ist es, allein oder ungeliebt zu sein, sie grenzt
bisweilen an Panik. Ständig unternimmt der Beziehungssüchtige, Versuche, Liebe zu bekom-
men. Der Abhängige wird zum Schmeichler, ,,Ja- Sager" oder Bettler, der sich vollkommen
auf den anderen einstellt, dabei hofft, wartet und frustriert wird, ein Großteil seiner Identität,
seines Wohlbefindens und Selbstbewusstseins ist an den Partner gebunden. Beziehungssüch-
tige Menschen haben kaum Grenzen, sie verlieren sich stets im anderen
(Trobe, T., 1996).
Stichworte zu Erscheinungsformen von Abhängigkeit und Beziehungssucht können u. a. sein:
·
Die Suche eines Partners, der emotional unerreichbar ist.
·
Das Verharren in einer Beziehung, die nur eine Illusion ist.
·
Sich selbst schädigen, um dem Idealbild des Partners zu entsprechen.

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·
Demütigungen und Kränkungen ertragen, um den Partner nicht zu verlieren.
·
Das selbstzerstörerische Verhalten wird ständig wiederholt.
·
Die Herstellung einer glücklichen Beziehung/Familie wird bis zur Selbstaufgabe ange-
strebt.
·
Schuldgefühle machen eine Trennung unmöglich.
http://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/, 2004-02-21)
·
Suche nach Sicherheit, intensives Bedürfnis nach Nähe, Vernarrtheit als Beweis für
Liebe
·
Völlige Verstrickung, begrenztes Sozialleben, Vernachlässigung alter Freunde
·
Vorurteile gegen das Verhalten des Partners, abhängig von Billigung des Partners
·
Konkurrenzangst, Versorgung sichern
·
Unterdrückung eigener Bedürfnisse, Selbstaufgabe
·
Suche nach absoluter Unverwundbarkeit, Ausschaltung möglicher Risiken in der Be-
ziehung
·
Häufiges Rückversicherungsverhalten und ,,Frage-und- Antwort-Spiel (,,Liebst du
mich noch?, Liebst du mich noch so, wie am Anfang?, Bin ich hübsch?, Findest du,
dass ich zu dick bin?" etc.)
·
Zuneigungshunger als Grundlage der Abhängigkeit
·
Unfähigkeit, Trennungen zu ertragen und zu verarbeiten, oft einseitige Trennungen
·
Suche nach Lösungen außerhalb sich selbst (Drogen, Alkohol, Partnerwechsel, Ände-
rung der Situation etc.) nach beendeter Beziehung
(Mellody, B.1997 und Russianoff, P., 1990).
·
,,Mangel Einstellungen" (wenn Freunde noch andere Freunde haben, bleibt für mich
nicht genug übrig)
·
Verlangen, immer zusammen zu sein (,,beste Freunde" heißt, wir sind nie getrennt)
·
Fähigkeit geht verloren, Abstand zu gewinnen
(Schaef, A.W., 2002)
·
Stark ausgeprägtes Gefühl, dem Partner nützlich zu sein
·
Vollkommene Fixierung auf Beziehung
·
Betteln, Erwartungen, Festhalten

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·
Idealisieren, Rebellieren, Forderungen als Bedürfnisäußerungen nach Versorgung
·
Selbsthass, Rechtfertigungen vor sich selbst
·
Widmung von besonders hilfebedürftigen Menschen, um eigenes Bedürfnis nach Für-
sorglichkeit zu befriedigen
·
Aufopferungsvolles Verhalten- ,,Helfersyndrom"
·
Starke Verlassensängste, Angst vor Trennung, Alleinsein, Trennung als qualvoller
empfunden als jegliche Probleme in der Beziehung
·
Geduldig, hoffnungsvoll, wartend auf ein ,,Happy End" der Beziehung
·
Tragen der (fast) gesamten Verantwortung für die Beziehung, Schuld auf sich nehmen
·
Grad der Selbstachtung niedrig, Glaube, es nicht verdient zu haben, glücklich zu sein
(oder den richtigen Partner zu finden)
·
Wenig Beachtung der eigenen Integrität, statt dessen Bemühungen, um das Verhalten
und die Gefühle des Partners ihnen gegenüber zu ändern
·
Starkes Kontrollbedürfnis, um Sicherheit in der Beziehung zu gewinnen (dadurch
,,maskierte Hilfsbereitschaft")
·
Glaube: Ich kann andere dazu bringen, mich zu lieben, mich wahrzunehmen, mich zu
hören, mich zu bestätigen. Ich kann mich selber nicht so glücklich machen, wie es ein
anderer könnte. Andere sind für meine Gefühle verantwortlich
·
Kontrolle kann in einer Beziehung u .a. ausgewirkt werden durch Macht, Schwäche,
Unterwürfigkeit, Schuld und Eifersucht der Beziehungssüchtigen (Halpern, M., 1999).
·
Betroffene stehen mehr in Verbindung mit ,,Vorstellung einer Beziehung" als mit der
realen Situation der Beziehung (Phantasiewelt)
·
Vermeiden der Verantwortung für sich selbst
·
Inneres und äußeres Alleinsein, Angst, Depressionen, Schmerz, Leere, Bedürftigkeit,
gespaltenes Selbst
·
Kein Interesse an stabilen, zuverlässigen Partnern oder Beziehungen, da kein ,,Repara-
turbedarf" am Partner erkennbar
·
Verleugnung (Abwehrmechanismus) als unbewusstes Motiv der Kontrolle, = Weige-
rung, Realität auf zwei verschiedene Ebenen einteilen- was tatsächlich geschieht und
die Gefühlsebene
·
Sucht nach anfänglichen Hoch, Gefühl von Euphorie und Erregung am Anfang einer
Beziehung- häufiger Partnerwechsel
(Norwood, R., 1986, Chopich, E.J., Paul, M., 1990).

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Hinsichtlich der Beziehungssucht muss man 2 Haupttypen unterschieden, welche ich im fol-
genden näher erläutern möchte.
Der erste Typ umfasst Menschen, die stets eine Beziehung brauchen, sie sind nach Beziehun-
gen selbst süchtig. Diese Beziehungen können real oder in der Phantasie bestehen. Der Be-
troffene ist auf eine Idee fixiert, ist süchtig nach der Vorstellung einer Beziehung. Sie haben
keine Beziehung, sondern eher Geiseln. Sie gehen eine Beziehung in einer gewissen Vorstel-
lung ein, wobei der wirkliche Partner nicht von Bedeutung ist. Es werden keine Hintergründe,
Wertvorstellungen, Lebenserwartungen hinsichtlich ihrer Harmonisierung überprüft, Betrof-
fene gehen einfach ,,drauf los". Die Beziehungssucht ist ihr Lebensinhalt, sie bilden eine Rei-
he von Fertigkeiten heraus, um Beziehungen aufzubauen. So kann es der Fall sein, dass eine
beziehungssüchtige Frau Offenheit vortäuscht, ihr Manipulations- und Kontrollgeschick ein-
setzt, um eine Beziehung aufzubauen.
Zum zweiten Typ zählt man Menschen, die von einer ganz bestimmten Beziehung zu einer
ganz bestimmten Person abhängig sind. Hier ist der betroffene Mensch auf eine Person fixiert.
Diese Menschen können über einen längeren Zeitraum ohne eine Beziehung auskommen,
sobald sie jedoch eine Beziehung eingehen, fixieren sie sich sofort auf den Partner.
Beide Typen geben ihre eigenen Wert ­und Moralvorstellungen auf, um an der Illusion fest-
zuhalten, sie befänden sich in einer Beziehung. Bei beiden finden sich folgende Merkmale
vor: Die Beziehung beherrscht das gesamte Denken des Menschen, die Beziehung wirkt sich
fast tranceartig und stimmungsverändernd aus, die Betroffenen gehen völlig in der Beziehung
auf (Besessenheit). Beziehungssüchtige nehmen Verhaltensweisen auf, die im Zusammen-
hang mit dem Aufbau einer Beziehung stehen, z.B. neue Frisuren, ,,ritualisiertes Werbeverhal-
ten" etc. (Ritualisierung). Des Weiteren lässt sich feststellen, dass Betroffene recht zügig ver-
suchen, eine Beziehung aufzubauen. Die Betroffenen streben es an, den Partner so schnell,
wie möglich fest an sich zu binden, z.B. durch Heirat (Zwanghaftes Beziehungsverhalten). Da
dieses Verhalten nicht immer Erfolg hat, zeigen Beziehungssüchtige oft Anzeichen von Hoff-
nungslosigkeit und Verzweiflungsgefühlen.
Beide Typen beherrschen die oberflächlichen Techniken sozialer Interaktionen. Sie können
sehr gut Beziehungen simulieren, ihre Angst vor Nähe veranlasst sie, Liebe mit der Illusion
von Nähe zu leben, sie haben verstärkt Angst, vor dem Alleinsein. Daher stürzen sie sich von
einer Beziehung in die nächste. Nach Ende einer Beziehung sind sie nicht in der Lage, die

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Beziehung zu verarbeiten, somit tragen sie die unverarbeiteten Emotionen in die neue Bezie-
hung hinein. Es ist möglich, dass Beziehungssüchtige einzelne Elemente einer Beziehung
vergessen, um in der aktuellen Beziehung leben zu können (selektiver Gedächtnisschwund).
Beziehungssüchtige belügen sich selbst und andere, um in einer Beziehung verbleiben zu
können (Schaef, Wilson, Anne, 2002). Beziehungssüchtige Menschen verfügen über ein aus-
geprägtes Kontrollbedürfnis, sie sind davon überzeugt, ihren Partner und die Beziehung allein
durch Willenskraft halten zu können. Mit diesem Bemühen werden sie zunehmend kontrollie-
render, defensiver und vorwurfsvoller. Beziehungssüchtige Frauen definieren sich und ihre
Identität (Selbstbild) über den ,,Besitz eines Partners". Sie können sich keine eigene, aus sich
wachsende Identität aufbauen (Motto: ,,Wenn du nicht da bist, habe ich das Gefühl, als ob ich
nicht lebe- also muss ich dich lieben") (Schaef, Wilson, Anne, 2002, S. 83). Betroffene ver-
binden Leid mit Liebe, sie können nur lieben, wenn sie leiden. Beziehungssucht ist somit eine
sehr schmerzhafte Sucht, welche progressiv verläuft. Damit Beziehungssüchtige eine ,,echte
Beziehung" empfinden können, muss diese frei in Zeit und Raum sein, dass heißt, es existie-
ren Ängste bezüglich der ehemaligen Beziehungen des Partners oder zukünftiger Partnerin-
nen/Partner (starke Eifersucht). Beziehungssüchtige neigen zu Unruhe und Depressionen, da
sich ihr Selbstwertgefühl, dessen Bedeutung und Stabilität einzig allein aus der Beziehung
speist, somit müssen sie an der Beziehung ,,klammern" (Schaef, Wilson, Anne, 2002, S. 85).
Liebessüchtige sind häufig hochsensible Menschen, die intuitiv die Lücken des Gegenübers
aufspüren und auffüllen, ohne das selbst wahrzunehmen (symbiotische Beziehungen). Es gibt
keine Grenzen zwischen den Partnern (Gross, W., 1991).
2.3 Co- Abhängigkeit, die Sucht hinter der Sucht
Der Begriff der Co- Abhängigkeit (Co- Dependency) entstand schon in den 70er Jahren, spä-
ter mit der Erweiterung und Änderung der Diagnose Alkoholismus. Er umfasst die im Verlauf
der Suchterkrankung entstehenden Verhaltensweisen, Einstellungen, Rollen und Störungen,
die die Menschen annehmen, die länger Zeit mit einem Suchtkranken in einer Beziehung
standen. Dies kann ein Kollege sein, der Partner, ein Freund oder das eigene Kind
(www.onlinesucht.de, 20.02.2004).
Seit es Menschen gibt, haben sie in einer Weise gehandelt, die man als co-abhängig betiteln
kann, sie wurden aus Sorge um andere Menschen krank (Melody, B., 1997). Vorläufer dieses
Begriffs war die Bezeichnung ,,Co- Alkoholismus", welche aus dem Sprachgebrauch der
Selbsthilfegruppe der Anonymen Alkoholiker stammt. Als Co-Abhängige betitelte man da-
mals Menschen, die ihr Leben als Ergebnis des Zusammenlebens in einer festen Beziehung

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mit einem Alkoholiker nicht mehr meistern konnten (Beattie, M., 1997). Die Bezeichnung
,,Co- Abhängigkeit" gibt die Fixierung an das Suchtmittel auf und weißt auf eine wesentliche
Gemeinsamkeit hin, die Abhängigkeit. Dieses Phänomen deutet eine Krankheitsgemeinschaft
an, der immer mehrere beteiligt sind (Aßfalg, 1993). Co- Abhängige haben es im Umfeld
süchtigen Verhaltens bekanntermaßen sehr schwer, ihre eigene Klarheit zu bewahren. Sie
schweben ständig in Gefahr, ihrer eigenen latenten Krankheit zu verfallen (Schaef, A.W.,
2003). Earnie Larsen definiert Co-Abhängigkeit als eine Art selbstzerstörerische erlernte Ver-
haltensweisen oder Charakterdefekte, die zu einem Schwindel der Fähigkeiten führen, Lie-
besbeziehungen zu initiieren oder daran teilzuhaben. ,,Co-Abhängigkeit, erklärte ein Betroffe-
ner, ist zu wissen, dass alle meine Beziehungen entweder immer so weitergehen (schmerzlich)
oder dass sie ebenso enden (in einer Katastrophe). Oder beides" (Beattie, M., 1997). ,,Co-
abhängig ist ein Mensch, der das Verhalten eines anderen Menschen auf sich hat einwirken
lassen und der davon besessen ist, das Verhalten dieses Menschen zu kontrollieren" (Beattie,
M., 1997, S.48). In Monika Rennerts Co- Abhängigkeit- Was Sucht für die Familie bedeutet
lautet ein Zitat von Meyer über Co-Abhängigkeit: ,,Liebe wurde zur Erpressbarkeit, Freude
zur Beklemmung, Vertrauen zu Misstrauen, Fürsorge zur Sorge, Stabilität zum Ausgeliefert-
sein und Wärme zu Angst" (Rennert, M., 1990, S. 45). Co-Abhängigkeit wird als individuelle
Erkrankung mit vorhersagbarem Verlauf, als eine Beeinträchtigung physiologischer Funktio-
nen des Organismus in Folge gestörter Wachstumsprozesse, als Problemlösungsmuster auf
starre und ungesunde Regeln oder auf Anpassungsreaktion auf chronischen Stress verstanden.
,,Co- Abhängigkeit wird mehrheitlich als Erscheinungsform gesehen, die in Verbindung mit
der Suchterkrankung eines nahe stehenden Menschen und den sich daraus ergebenen Beein-
trächtigungen auftritt" (Sander, S., 2003, S.5). ,,Co-Abhängigkeit bezeichnet Haltungen, Ver-
haltensweisen und Status von Personen und Gruppen, die in einem direkten emotionalen Kon-
takt durch ihr Tun und Unterlassen dazu beitragen, dass der süchtige oder suchtgefährdete
Mensch süchtig oder suchtgefährdet bleiben kann" (www.bas-muenchen.de/publikationen/
Doku_NW-Tagung_3-03.pdf, 2004).
,,Co-Abhängigkeit ist vieles zugleich: Abhängigkeit von Menschen- ihren Stimmungen, Ver-
haltensweisen, von Krankheit oder Wohlergehen und ihrer Liebe. Es ist eine paradoxe Ab-
hängigkeit" (Mellody, B., 1997, S. 67).

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Folgende Charakteristika von Sucht und Co-Abhängigkeit lassen sich gegenüberstellen:
Gier
Kontrolle
Verleugnung der eigenen Sucht
Verleugnung der Sucht des Angehörigen
Vermeidung der Verantwortung
Vermeidung der Auseinandersetzung mit eigenen Prob-
lemen
Vergessen wollen
Selbstvergessen im Altruismus
Grenzenlosigkeit
Inkonsequenz
Passivität
Aktivität
Versorgungswünsche
Nach einer Definition von Sandra Smalley ist Co-Abhängigkeit ein Muster von erlernten Ver-
haltensweisen, Gefühlen und Einstellungen, die uns das Leben schwer machen. Für sie sind
Co-Abhängige beziehungssüchtig und arrangiert um ein Suchtmittel. Für sie ist Co-
Abhängigkeit keine Krankheit sondern eine Art Persönlichkeitsstörung. Gleichermaßen kann
Co-Abhängigkeit als ein emotionaler und psychischer verhaltensmäßiger Zustand gesehen
werden, der dann entsteht, wenn ein Mensch über längere Zeit starren Regeln ausgesetzt ist
und sie befolgt, - Regeln, die seine Gefühle unterdrücken und eine offene Kommunikation
verhindern. Der Co- Abhängige sucht einen Partner, der nach ,,ähnlichen Regeln lebt", wie er.
Co- Abhängigkeit als lebens- und kommunikationsfeindliches Verhaltensmuster wird laut
Subby von eingefahrenen Familienregeln geprägt, z.B. über Probleme nicht sprechen, Kom-
munikation findet am besten nur indirekt statt, sei stark, richtig, gut, perfekt!, wir wollen stolz
auf dich sein, sei selbstlos, tu, was ich sage, aber nicht das was ich tue, sei nicht kindisch,
mach uns keine Schande usw. (Subby, R. in Schaef, 2003). Co-Abhängigkeit ist in erster Li-
nie ein Reaktionsvorgang, Betroffene sind reaktiv, sie reagieren im übermäßigen Maße, oder
sie reagieren zu schwach, sie handeln selten. Sie reagieren auf Probleme, Schmerz, das Ver-
halten und Leben anderer.
Dieses Muster von Verhalten wird zur Gewohnheit, und Gewohnheiten entwickeln ein Eigen-
leben, co-abhängiges Verhalten wirkt somit selbstzerstörerisch (Melody, B., 1997).
Der Begriff der "coabhängigen Beziehung" ist an sich schon paradox, denn zwischen Men-
schen mit coabhängigen Verhaltensmustern entstehen keine wirklichen Beziehungen, sondern
Verstrickungen oder Pseudo-Nähe. Ursprünglich wurde der Begriff "Coabhängigkeit" ver-
wendet für Partner von süchtigen Menschen, die selber nicht süchtig, jedoch auf zerstöreri-

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sche Weise in die Beziehung zum Partner verstrickt sind bzw. deren Sucht unterstützen. Vie-
les deutet bei Coabhängigkeit auch auf Sex-, Romanzen- oder Beziehungssucht hin. Süchtigen
wie Coabhängigen jedenfalls sind eine Reihe von Verhaltensweisen gemeinsam, die wirkliche
Nähe zu sich selbst und zu Anderen und somit erfüllende Beziehungen unmöglich machen.
Coabhängige sind süchtig nach Kontrolle und Bestätigung. Da sie nicht gelernt haben, sich
selbst zu lieben, sind sie nicht in der Lage, es Anderen zu überlassen, ob sie sie mögen oder
nicht, sondern versuchen, Liebe und Bestätigung herbeizumanipulieren. Der grundsätzliche
Irrtum, dem Coabhängige erliegen, ist zu glauben, dass Liebe kontrollierbar und herbeimani-
pulierbar sei. Ihre Aufmerksamkeit ist so sehr damit beschäftigt, bewusst oder unbewusst zu
kontrollieren, was ihr Gegenüber fühlen, denken, tun oder lassen soll - oder auf keinen Fall
fühlen oder denken soll -, dass der Kontakt zu den Gefühlen im eigenen Körper so gut wie
abgestorben ist. Wenn sich das Gegenüber nicht so verhält, wie sie es gerne hätten, sehen sie
dies als ihr persönliches Versagen an.
Coabhängigkeit beginnt also in dem Augenblick, in dem wir kontrollieren wollen, was in oder
mit unserem Gegenüber geschieht und dies weder ihm/ihr noch einer höheren Instanz überlas-
sen, sondern uns selbst dafür verantwortlich fühlen und damit eine falsche Verantwortung
übernehmen.
Coabhängige respektieren Andere nicht als selbstständige, eigenständige Wesen, weil sie sich
selber nicht als solches empfinden. Coabhängige lenken sich von sich selbst und dem unver-
arbeiteten Schmerz ihrer Vergangenheit unter anderem dadurch ab, dass sie andere erwachse-
ne Menschen eigenständig zu retten oder zu verändern versuchen. Sie verwechseln die Welt
hier und heute mit der Situation ihrer Kindheit, in der ihr Wohlbefinden tatsächlich von den
Menschen in ihrem direkten Umfeld abhängig war.
Nach Anne Wilson-Schaef in "Die Flucht vor der Nähe" sehen diese Beziehungen vor der
Heilung so aus:

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2004
ISBN (eBook)
9783958209466
ISBN (Paperback)
9783958204461
Dateigröße
1.6 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Ernst-Abbe-Hochschule Jena, ehem. Fachhochschule Jena
Erscheinungsdatum
2015 (Oktober)
Note
1
Schlagworte
beziehungssucht co-abhängigkeit frauen
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Titel: Beziehungssucht und Co-Abhängigkeit bei Frauen
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