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Bilanzierung von Finanzinstrumenten nach IFRS unter besonderer Berücksichtigung der geänderten Bilanzierungs- und Bewertungsvorschriften im Rahmen des IASB-Reformprojektes

©2010 Masterarbeit 68 Seiten

Zusammenfassung

Die Bilanzierung von Finanzinstrumenten nach IFRS wurde bislang durch den IAS 39 geregelt. Dieser beinhaltet die Klassifizierung der Finanzinstrumente in vier verschiedene Kategorien. Je nach Klassifizierung wird zum beizulegenden Zeitwert oder zu Anschaffungskosten bilanziert. Die vorliegende Studie stellt die Bilanzierung von finanziellen Vermögenswerten nach IAS 39 und IFRS 9 dar, um jeweils im Anschluss auf Kritiken an den Standards einzugehen. Bei IFRS 9 geschieht dies insbesondere unter Hinterfragung der Zielerreichung der ersten Phase des Reformprojektes. Abschließend wird ein Resümee gezogen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Entscheidungsbaum zur Bewertung von finanziellen Vermögenswerten
nach IAS 39, in Anlehung an: PWC: Understanding IAS 39, 2000, S. 32. ... 4
Abbildung 2: Bewertung finanzieller Vermögenswerte, in Anlehnung an: KPMG: IFRS
visuell, 2008, S. 115...5
Abbildung 3: Klassifizierung und Bewertung von finanziellen Vermögenswerten nach
IFRS 9, in Anlehnung an: Ernst & Young, Phase 1, 2009 S. 2. ... 24
Abbildungsverzeichnis Anhang
Abbildung A 1: IFRS 9 und seine Einordnung in die Behandlung von Finanzinstrumen-
ten im IAS/IFRS-Regelwerk, Quelle: DRSC: IASB-Projekte FI, 2009 (siehe
Folgeseite). ... 47

Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Übersicht über den zeitlichen Ablauf des Reformprojektes nach Abschluss
der ersten Phase; in Anlehnung an: IASB: Workplan, 2010... 20


1. Einleitung
Die Bilanzierung von Finanzinstrumenten nach IFRS wurde bislang durch den IAS 39
geregelt. Dieser beinhaltet die Klassifizierung der Finanzinstrumente in vier
verschiedene Kategorien. Je nach Klassifizierung wird zum beizulegenden Zeitwert
oder zu Anschaffungskosten bilanziert.
1
Es gab von vielen Seiten Kritik an diesem
Standard, insbesondere wegen seiner enormen Komplexität und zuletzt auch vor dem
Hintergrund der Finanzkrise.
2
Dies führte zu einer Beschleunigung des Reformprojektes
von IAS 39, welches das IASB schon seit längerem zur Erreichung der Konvergenz der
Rechnungslegungssysteme anstrebte.
3
Ergebnis der ersten Phase des Projektes, welches
in drei Phasen gegliedert ist, war die Veröffentlichung des IFRS 9 ­
K
lassifizierung
und
B
ewertung
von
F
inanzinstrumenten
im November 2009, welcher ab 2013 in Kraft treten
soll.
4
Kernbestandteil ist, dass die Klassifizierung in vier verschiedene Kategorien
wegfällt und von nun an nur noch auf das Geschäftsmodell und die Art der
Zahlungsströme abgestellt wird. Dies führt wieder zur gemischten Bewertungsmethode,
der Bilanzansatz erfolgt weiterhin zum beizulegenden Zeitwert oder zu
Anschaffungskosten.
5
Von vielen Anwendern war ursprünglich angestrebt worden, eine
Klassifizierung zu umgehen und jedes Finanzinstrument zum Fair Value zu
bilanzieren.
6
Offensichtlich aufgrund des Drucks seitens der Politik sowie von
Erstellern und Prüfern der Abschlüsse auf das IASB ist dies nicht erfolgt.
7
Auch wurde
nicht, wie ursprünglich geplant, die Bilanzierung finanzieller Verbindlichkeiten
überarbeitet, sondern vorerst nur die finanzieller Vermögenswerte.
8
In der öffentlichen
Diskussion der neuen Regelungen wurden bereits diverse Kritiken geäußert.
9
Auch die
EFRAG scheint skeptisch, und hat den IFRS 9 trotz weitestgehender Umsetzung der
Forderungen der Politik noch nicht in Europäisches Recht überführt.
10
Diese Arbeit stellt die Bilanzierung von finanziellen Vermögenswerten nach IAS 39
und IFRS 9 dar, um jeweils im Anschluss auf Kritiken an den Standards einzugehen.
Bei IFRS 9 geschieht dies insbesondere unter Hinterfragung der Zielerreichung der
ersten Phase des Reformprojektes. Abschließend wird ein Resümee gezogen.
1
Vgl. IAS 39.46.
2
Vgl. IASB: Financial Crisis, 2010.
3
Vgl. Kapitel 2.4.4. dieser Arbeit: ,,Nicht-Konvergenz verschiedener Rechnungslegungssysteme".
4
Vgl. IFRS 9.8.1.
5
Vgl. IFRS 9.4.1.
6
Vgl. IFRS 9.BC10.
7
Vgl. IFRS 9.BC11.
8
Vgl. IFRS 9.IN7.
9
Vgl. Kapitel 4.4. dieser Arbeit: ,,Kritiken an IFRS 9".
10
Vgl. EFRAG: Endorsement Status, 2010.
1

2. IAS 39
2.1. Bilanzierung von Finanzinstrumenten nach IAS 39
Unter einem Finanzinstrument, dessen Definition nach IAS 39.8 in IAS 32.11
aufgeführt ist, ist ein Vertrag zu verstehen, der bei einem Vertragspartner zu einem
finanziellen Vermögenswert, bei dem anderen zu einer finanziellen Verbindlichkeit
führt. Darunter fallen alle vertraglichen Rechte und Pflichten, die unmittelbar oder
mittelbar den Austausch von Zahlungsmitteln bedingen. Die besagten Rechte bzw.
Pflichten müssen dabei auf finanziellen Sachverhalten beruhen.
11
Der ,,alte" Standard
IAS 39 existiert in seiner Grundstruktur seit seiner Veröffentlichung durch das IASC in
2001, und ist im Laufe der Jahre schon mehrfach überarbeitet worden.
12
Im Folgenden wird nicht weiter auf finanzielle Verbindlichkeiten, Sicherungsgeschäfte
und Wertminderungen eingegangen, die ebenfalls von IAS 39 abgedeckt werden.
Entsprechend der ersten aktuellen Reformphase und den darin final veröffentlichten
Regeln wird lediglich die Klassifizierung und Bewertung von finanziellen
Vermögenswerten analysiert.
2.2. Die Klassifizierung finanzieller Vermögenswerte nach IAS 39
Zur Folgebewertung von Finanzinstrumenten nach IAS 39 bedarf es der Einordnung in
eine von vier vorgegebenen Kategorien. Die erste wird mit ,,erfolgswirksam zum
beizulegenden Zeitwert bewertete finanzielle Vermögenswerte" übersetzt (
financial
asset
at
fair
value
through
profit
or
loss
). Die zweite Kategorie stellt die ,,bis zur
Endfälligkeit zu haltende Finanzinvestitionen" dar (
held
-
to
-
maturity
), die dritte wird
,,Kredite und Forderungen" (
loans
and
receivables
) und die vierte ,,zur Veräußerung
verfügbare Vermögenswerte" (
available
-
for
-
sale
) genannt.
13
Zur Einordnung in die erste Kategorie der erfolgswirksam zum beizulegenden Zeitwert
bewerteten Finanzinstrumente soll der Vermögenswert eindeutig identifiziert werden als
ein Finanzinstrument, das ausschließlich zu Handelszwecken gehalten wird
(
held
for
trading
). Dazu gehören Titel, die mit kurzfristiger Veräußerungsabsicht
erworben wurden. Gleiches gilt für Titel die Teil eines Portfolios eindeutig
identifizierbarer und gemeinsam verwalteter Finanzinstrumente sind, aus dem in
jüngerer Vergangenheit nachweislich Gewinnmitnahmen durch Veräußerungen erzielt
wurden, und auch für Derivate, die nicht gesondert als finanzielle Garantien oder
11
Vgl. IAS 39.8.
12
Vgl. IAS Plus: History IAS 39, 2010.
13
Vgl. IAS 39.9.
2

Sicherungsgeschäfte behandelt werden. Außerdem ist es erforderlich, dass der
Vermögenswert bereits bei erstmaliger Erfassung in diese Kategorie eingeordnet wurde,
was nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist.
14
Um in die zweite Kategorie der bis zur Endfälligkeit gehaltenen Finanzinvestitionen zu
fallen, muss ein finanzieller Vermögenswert eine bestimmte Endfälligkeit besitzen und
bis dahin zum einen feste bzw. definierbare Zahlungen generieren, zum anderen soll die
Absicht bestehen, diesen permanent bis zur Endfälligkeit zu halten. Letzteres Kriterium
ist auch dann nicht erfüllt, wenn unwesentliche Teile der bis zur Endfälligkeit zu
haltenden Finanzinvestitionen vor Erreichen der Endfälligkeit verkauft werden, von
bestimmten Ausnahmen abgesehen.
15
Die dritte Kategorie der Kredite und Forderungen setzt lediglich voraus, dass die
Finanztitel feste bzw. definierbare Zahlungen generieren und nicht an einem aktiven
Markt notiert sind.
16
In die vierte und letzte Kategorie der zur Veräußerung verfügbaren finanziellen
Vermögenswerte fallen Instrumente, die entweder zum Verkauf gehalten werden oder
eben alle anderen, übrigen finanziellen Vermögenswerte, die in keine andere Kategorie
eingeordnet werden konnten.
17
14
Vgl. IAS 39.9.
15
Vgl.
ebenda
.
16
Vgl.
ebenda
.
17
Vgl.
ebenda
.
3

Abbildung 1: Entscheidungsbaum zur Bewertung von finanziellen Vermögenswer-
ten nach IAS 39, in Anlehung an: PWC: Understanding IAS 39, 2000, S. 32.
2.3. Die Bewertung finanzieller Vermögenswerte nach IAS 39
Bei erstmaligem Ansatz eines finanziellen Vermögenswertes hat ein Unternehmen
diesen grundsätzlich zum beizulegenden Zeitwert zu bewerten.
18
Für die
Folgebewertung gilt, dass die Vermögenswerte der Kategorien der ,,erfolgswirksam
zum beizulegenden Zeitwert bewerteten" und der ,,zur Veräußerung verfügbaren"
18
Vgl. IAS 39.43.
Intention, finanziellen
Vermögenswert
kurzfristig zu veräußern
bzw. Gewinne daraus
zu erzielen?
Ist Instrument Teil eines
Portfolios, das zur
kurzfristigen
Gewinnerzielung
eingesetzt wird?
Nein
Ist Vermögenswert ein
Derivat?
Nein
Ist Derivat Teil einer
Sicherungsbeziehung
im Sinne des IAS 39?
Ja
Bilanzierung
entsprechend
Vorschriften für
Sicherungsgeschäfte
Ja
Zu
Handelszwecken
gehalten
Kredite und
Forderungen
Zur
Veräußerung
verfügbare
Finanzanlagen
Bis zur
Endfälligkeit
gehalten
-
Feste oder
bestimmbare
Zahlungen?
-
Feste Laufzeit?
-
Absicht und Fähigkeit,
Vermögenswert bis zur
Endfälligkeit zu
halten?
Nein
Ja
Ja
Nein
4

Finanzinstrumente zum beizulegenden Zeitwert
(
fair
value
) bewertet werden.
19
Etwaige
Gewinne oder Verluste von Instrumenten, die als ,,zur Veräußerung verfügbar"
klassifiziert wurden, werden in der Regel jedoch nicht erfolgswirksam erfasst, sondern
im sonstigen Ergebnis unter dem Eigenkapital ausgewiesen. Der kumulierte Gewinn
bzw. Verlust wird dann bei Ausbuchung als Umgliederungsbetrag ausgewiesen.
20
Des
Weiteren besteht für diese Kategorie der zur Veräußerung verfügbaren Instrumente eine
Sonderregelung, die beinhaltet, dass der Titel nur zum beizulegenden Zeitwert bewertet
wird, wenn dieser verlässlich bestimmbar ist, bzw. wenn für diesen ein notierter Preis
an einem aktiven Markt vorliegt. Anderenfalls werden die Instrumente dieser Kategorie
zu Anschaffungskosten bewertet.
21
Die Vermögenswerte der anderen zwei Kategorien der ,,bis zur Endfälligkeit
gehaltenen" Instrumente sowie der ,,Kredite und Forderungen" werden zu fortgeführten
Anschaffungskosten (
amortised
cost
) bewertet.
22
Abbildung 2: Bewertung finanzieller Vermögenswerte, in Anlehnung an: KPMG:
IFRS visuell, 2008, S. 115.
Die Ermittlung des beizulegenden Zeitwertes nach IFRS erfolgt nach der für diese
Standards üblichen Vorgehensweise, die gleich lautend in IAS 32.11 und IAS 39.9
formuliert ist. Letzterer verweist auf IAS 39 A71-72 und 74, wonach die Ermittlung des
beizulegenden Zeitwertes sich zunächst an dem Vorhandensein eines aktiven Marktes
orientiert, dessen verlässlich bestimmbare Geld- bzw. Briefkurse ausschlaggebend für
die Festsetzung sind. Dieses Verfahren ist auch als
mark
-
to
-
market
bekannt.
23
Sollte
19
Vgl. IAS 39.46.
20
Vgl. IAS 39.55(b).
21
Vgl. IAS 39.46(c).
22
Vgl. IAS 39.46(a) und (b).
23
Vgl.
H
eller
, S.: Bilanzierung, 2009, S. 106;
vgl.
C
oenenberg
, A.: Jahresabschluss, 2005, S. 104f., 107.
Finanzieller
Vermögenswert
zum Fair Value
mit GuV-Effekt
Bis zur
Endfälligkeit zu
haltende
Finanzanlagen
Kredite und
Forderungen
Zur Veräußerung
verfügbare
Vermögenswerte
Fair Value
Fortgeführte
Anschaffungs-
kosten
Fortgeführte
Anschaffungs-
kosten
FV, sofern
zuverlässig
ermittelbar
Anschaffungs-
kosten
5

kein aktiver Markt vorhanden bzw. der Marktpreis nicht zuverlässig bestimmbar sein,
wird zunächst geprüft, ob ein aktiver Markt für
ähnliche
Finanzinstrumente besteht und
die Preise dieses Marktes herangezogen werden können, oder ob es Hinweise auf die
Marktpreise der jüngsten Vergangenheit gibt. Sollte dies auch nicht der Fall sein, so
werden komplexere Modelle in Form von Bewertungsverfahren, z.
B. dem
Optionspreismodell, zur Marktwertermittlung herangezogen. Diese Methode, auch
mark
-
to
-
model
genannt,
24
ist umstritten und scheint nicht immer den ,,Fair Value"
darzustellen.
25
Die Bewertung zu fortgeführten Anschaffungskosten entspricht der klassischen
Bewertung zum Kaufpreis abzüglich Abschreibungen. Allerdings sind bei den
finanziellen Vermögenswerten eben keine Abschreibungen zu berücksichtigen, sondern
andere Wertgrößen. Dazu gehören Tilgungen, eventuelle Abzüge aufgrund von
Wertminderungen oder Uneinbringlichkeit sowie die kumulierte Amortisation
eventueller Differenzen zwischen dem Ausgangsbetrag und dem zur Endfälligkeit
insgesamt zu zahlenden Betrag, welche unter Anwendung der so genannten
Effektivzinsmethode addiert oder subtrahiert werden.
26
An dieser Stelle sei auch erwähnt, dass nach IAS 39 die so genannte Fair Value-Option
existiert, die es unter bestimmten Umständen erlaubt, sämtliche Finanzinstrumente zum
beizulegenden Zeitwert zu bilanzieren.
27
Darüber hinaus besteht die Möglichkeit einer
Umklassifizierung, welche im Laufe der Finanzkrise eingegliedert wurde. Ursprünglich
war diese Umwidmungsregelung erheblich strikter.
28
2.4. Kritikpunkte des IAS 39
Eine umfangreiche Überarbeitung des Standards war aus verschiedenen Gründen bereits
seit längerem geplant, was schon die Erwähnung im Memorandum of Understanding-
Projekt zwischen den beiden großen Standardsettern IASB und FASB im Jahre 2006
zeigt.
29
Jedoch gab es im Zuge der jüngsten Finanzkrise, der so genannten Subprime
Krise, immer mehr Bestrebungen das Reformprojekt schneller voran zu treiben.
30
Im
24
Vgl.
H
eller
, S.: Bilanzierung, 2009, S. 106.
25
Vgl. Kapitel 2.4.3. dieser Arbeit: ,,Geringer Entscheidungsnutzwert".
26
Vgl. IAS 39.9.
27
Vgl. IAS 39.9.
28
Vgl. IAS 39.50-55; Anm. des Autors: IAS 39.50B wurde während der Krise eingefügt und erlaubte
unter außergewöhnlichen Umständen die Umgliederung von finanziellen Vermögenswerten aus der
Kategorie der erfolgswirksam zum beizulegenden Zeitwert zu bewertenden Finanzinstrumente. Die
Finanzkrise galt als ein solcher Umstand.
29
Vgl. FASB/IASB: MoU, 2006-2008, S. 3.
30
Vgl. IASB: Project Summary, 2009, S. 4;
vgl.
F
reiberg
, J./L
üdenbach
, N.: IFRS-Report, in: BB, 2009, S. 2750.
6

Folgenden sollen die von der Fachwelt als relevant diskutierten Gründe für das
Reformprojekt aufgeführt werden.
2.4.1. Verschärfung der Finanzkrise
Überlegungen, dass die aktuelle Bilanzierung von Finanzinstrumenten und die damit
einhergehende Bewertung zu Marktwerten eine
ursächliche
Wirkung für die
Finanzkrise hätten, werden in Theorie und Praxis nicht ausführlich diskutiert. Sie
scheinen nicht ausreichend begründet zu sein.
31
Entsprechendes wurde ebenfalls auf
einem AICPA Meeting im Dezember 2009 von Robert H. Herz, Vorsitzendem des
FASB, geäußert. Er bezog sich dabei auf einen US GAO Bericht von 1991, welcher von
der Bankenkrise der 80er und 90er Jahre in den USA handelte. Er sagte unter anderem,
dass die US-Gaap, die bekanntlich in weiten Teilen mit den IAS/IFRS übereinstimmen,
und insbesondere die häufig kritisierte Fair Value-Bilanzierung
nicht
Auslöser der
Finanzkrise waren.
32
Die These, dass diese Art der Bewertung jedoch
krisenverstärkend
gewirkt habe, findet
sich häufig. Hauptargument der Finanzwelt in Bezug auf diese Wirkung ist, dass die
aktuellen Bilanzierungsregeln in der Krise wie Brandbeschleuniger gewirkt hätten, und
dass insbesondere der Ansatz zum Marktwert bzw. dem Fair Value und entsprechende
zur Neubewertung erforderliche Abschreibungen dazu beigetragen haben.
33
Diese Kritik
erreichte auch die höchsten politischen Ebenen. Auf dem Londoner G20-Gipfel im
April 2009, zur Beratung über Auswege aus der Weltwirtschaftskrise als Folge der
Finanzkrise, widmeten die führenden Vertreter der G20 den internationalen Standards
der Rechnungslegung einen ganzen Absatz in Ihren Empfehlungen, die Teil der
,,Erklärung zur Stärkung des Finanzsystems" waren. Dabei kam es zu der Übereinkunft,
dass die Standardsetter die Standards für die Bewertung von Finanzinstrumenten
verbessern sollten, unter Begutachtung des Rahmenwerks zur Marktwertbilanzierung.
Auch die FSF Empfehlungen in Bezug auf die Prozyklizität, welche ebenfalls
Bilanzierungsbelange betreffen, werden ausdrücklich begrüßt. So sollten die
Standardsetter ursprünglich bis zum Ende des Jahres 2009 unter anderem ,,hoch
qualitative" internationale Standards erreichen,
34
was ein klarer Hinweis auf die
Unzufriedenheit mit den prozyklischen Wertschwankungen der aktuellen Regelungen
ist.
31
Vgl.
G
ilgenberg
, B.: Bewegte Zeiten, in: VW, 2009, S. 1910.
32
Vgl.
H
erz
, R.: AICPA National Conference, 2009, S. 10.
33
Vgl.
H
ughes
, J./T
ett
, G.: Bankers cry, in: FT, 2008, S. 15.
34
Vgl. G20: Strengthening Financial System, 2009, S. 5 f..
7

Diese Kritik wird von vielen politischen Persönlichkeiten vertreten. Auch das damalige
Mitglied der EU-Kommission, Charles McCreevy, sprach sich vor diesem Hintergrund
bereits im April 2008 für eine gründliche Untersuchung und Überarbeitung des
Standards aus.
35
Ebenfalls nationale Politiker wie die früheren SPD-Minister Brigitte
Zypries, Peer Steinbrück
36
oder der Bayerische Finanzminister
37
verurteilen die
Wertermittlung nach dem Marktwertprinzip und sprechen den IAS/IFRS eine
krisenverschärfende Eigenschaft zu.
38
Dabei wird häufig die Bilanzierung zu
Marktwerten allgemein kritisiert, was im Endeffekt aber IAS 39 betrifft.
Dieser Kritik an der Prozyklizität folgend ist die Annahme fehlerhaft, dass die
Marktpreise als Orientierung für die beizulegenden Zeitwerte der finanziellen
Vermögenswerte, wie zuvor anhand der Regeln des IAS 39 beschrieben, den
bestmöglichen Wertansatz darstellen. So werden z. B. die Bilanzen von Unternehmen
mit hohem Wertpapierbestand, und deswegen insbesondere von Banken und
Versicherungen, auf dem Höhepunkt des Konjunkturzyklus als noch gesünder
ausgewiesen und in gleichem Maße stärker verkürzt während des Konjunkturtiefs. Die
zukünftige Entwicklung aber sollte Gegenteiliges bedingen. Die Feststellung eines
realistischen Marktwertes in den häufig turbulenten Märkten ist als problematisch
anzusehen, da diese Werte nur eine Momentaufnahme darstellen und die Preise sich
kurzfristig vollkommen ändern können. Die Darstellung des externen Rechnungswesens
sei nicht korrekt, da der beizulegende Zeitwert regelmäßig falsch ermittelt wird.
39
Hinzu
kommt, dass in wirtschaftlich schweren Zeiten wie der Finanzkrise die Marktpreise von
Wertpapieren und Kreditpositionen mehr und mehr nachgeben, und mit ihnen auch die
Wertberichtigungen entsprechend steigen, welche die Unternehmen nach IAS 39
unmittelbar erfolgswirksam erfassen müssen; es handelt sich nicht allein um eine
Abwärtsbewegung, sondern um eine Abwärtsspirale. Dies führt zu stärkeren Verlusten
und einer Aufzehrung des Eigenkapitals der Banken. Durch die verstärkte Relevanz
dieser volatilen Märkte für die Bilanzierung würden Abschwünge folglich noch
verschärft.
40
Abwärtsspiralen wie die, die in der letzten Krise zu vielen Insolvenzen im
Bankensektor führten, können entstehen. Diese können sogar noch verschärft werden
durch die Tatsache, dass Unternehmen mit einem hohen Bestand an Finanzinstrumenten
ihre Kredite, Dividenden und Bonuszahlungen für die Angestellten in guten Zeiten zu
35
Vgl.
M
c
C
reevy
, C.: Speech/08/162, 2008.
36
Vgl.
D
rost
, F.M.: Bilanzexperten, in: HB, 2009, S. 27.
37
Vgl.
F
ahrenschon
, G.: Bankenlandschaft, Pressemitteilung, 2009.
38
Vgl.
T
artler
, J.: Bayern gegen Bilanzstandard, in: FTD, 2009, S. 19.
39
Vgl.
V
éron
, N.: Accounting crisis, in: Revue d'Economie Financière and Risques, 2008, S. 3.
40
Vgl.
ebenda
, S. 3.
8

stark auszuweiten und auf diese Art den zukünftigen Preisverfall ignorieren, der
aufgrund der nicht vermeidbaren Konjunkturzyklen mit dem nächsten Abschwung
vorprogrammiert ist. Es werden zu wenige Reserven gebildet und die Abwärtsspirale so
noch weiter verschärft. Um eine notwendige Förderung der Risikomanagementkultur zu
implementieren, sollten diese extremen Schwankungen der ausgewiesenen Gewinne
vermieden werden, die aus der Marktpreisbewertung resultieren.
41
Das IASB gab diesen Tatsachen Recht und erlaubte während der Krise, noch vor der
Veröffentlichung des Standards IFRS 9, eine begrenzte Umklassifizierung von
Wertpapieren.
42
Die geschah vornehmlich aus Sorge über den nicht aufhaltbaren
Abschwung an den Kreditmärkten und die Auszehrung der Eigenkapitalbasis der
betroffenen Unternehmen. Tatsächlich hat dies den Banken auf dem Höhepunkt der
Krise geholfen, der erörterten Abwärtsspirale zum Teil zu entrinnen.
43
Ein weiteres Argument der Gegner der Fair Value-Ermittlung nach IFRS ist, dass die
zur Wertermittlung relevanten Märkte häufig unvollkommen sind, insbesondere
aufgrund von Illiquidität und Informationsasymmetrien.
44
Es scheint allerdings genauso starke und umfangreiche Gegenkritik zu dieser Kritik am
beizulegenden Zeitwert und IAS 39 zu geben. Ein Punkt ist, dass es an sinnvollen
Alternativen zur Wertermittlung mangelt. Der Kritik an der Bilanzierung zu
Marktwerten folgen keine Gegenvorschläge, die den qualitativen Kriterien der
Verständlichkeit, Relevanz, Verlässlichkeit und Vergleichbarkeit genügen, welche im
Framework der Standards gefordert werden.
45
Die teilweise geäußerte Forderung nach
historischen Preisen wird von Verfechtern der Marktwerttheorie als ungeeignet
empfunden, da zum einen den geforderten Aspekten der Vergleichbarkeit und Relevanz
nicht genügend Rechnung getragen würde, und zum anderen die Investoren als
Interessenten der Abschlusszahlen nicht ausreichende Informationen über die aktuelle
Situation eines Unternehmens erhalten würden. Vor diesem Hintergrund sind auch
Vorschläge, Preise wie in den früheren recht erfolglosen Zeiten der Planwirtschaft
einfach festzusetzen, keine ernstzunehmende Alternative. Derartige Vorschläge
reduzieren grundsätzlich die für Investoren und andere Adressaten relevanten
Abschlussinformationen und würden den Bilanzierenden in vielen Fällen Werkzeuge
41
Vgl.
D
e
L
a
R
osiére
, J.: Bilanzen langfristige Perspektive, in: HB, 2009, S. 6.
42
Vgl. IAS 39.IN8A.
43
Vgl.
S
chulz
, B.: Gemeinsame Bilanzregeln, in: FAZ, 2009, S. 23.
44
Vgl. Kapitel 2.4.3. dieser Arbeit: ,,Geringer Entscheidungsnutzwert"; in dem die Fair Value-
Bilanzierung auch in Bezug zu geringem Entscheidungsnutzen aufgrund unvollkommener
Kapitalmärkte gesetzt wird.
45
Vgl. IAS/IFRS Framework 24-42.
9

zur Bilanzpolitik in die Hand geben. Weitere vermeidenswerte Konsequenz wäre, dass
ein höherer Risikoaufschlag aufgrund dieser Unsicherheiten erfolgen würde. Ein
drohender Vertrauensverlust seitens der Adressaten der Abschlüsse sollte aber tunlichst
vermieden werden, sollen die Märkte nicht noch unvollkommener werden. Zudem
scheinen die Märkte sich ohnehin nicht von künstlich erzeugten Wertansätzen blenden
zu lassen.
46
Andere Befürworter der Bilanzierung von finanziellen Vermögenswerten zu
Marktpreisen behaupten, dass diese Bewertungsproblematik eher aufsichtsrechtlich
bedingt und weniger dem internationalen Rechnungswesen anzulasten sei. So hätte bei
besser funktionierenden Aufsichtsbehörden die Krise vermutlich weniger schwere
Ausmaße genommen, wenn z. B. bedacht wird, dass die große Investmentbank Lehman
Brothers noch kurz vor ihrer Insolvenz im Herbst 2008 ,A'-Ratings bekam.
47
Auch der
Vorsitzende des FASB, Robert H. Herz, erwähnte in der zuvor bereits erwähnten Rede,
dass die Bilanzierung nach der Fair Value-Methode zwar durchaus prozyklische Effekte
haben könne, jedoch sei die
zeitnahe
E
rkennung
von Problemen bei Finanzinstitutionen
ein Faktor, der antizyklische Effekte zur Folge haben könne, indem der Einfluss von
finanziellen Abschwüngen durch die Bereitstellung eines Frühwarnsystems beschränkt
wird, welches die Probleme schon bei Ihrer Entstehung entdeckt. Herz gibt aber auch
zu, dass die US-Gaap, die wie schon erwähnt in grundlegenden Zügen mit den IFRS
übereinstimmen, allerdings besser dazu in der Lage gewesen wären die Investoren und
andere Stakeholder vor einer bevorstehenden Krise zu warnen, wenn sie weniger durch
den Druck von Bankinteressen beeinflusst gewesen wären.
48
In jedem Fall belegt diese Kontroverse, dass der IAS 39 in seiner alten Form
keineswegs ideal war, und zwar schon bevor die Dringlichkeit durch die Finanzkrise
noch erhöht wurde.
2.4.2. Komplexität
Anwender und Ersteller der Jahresabschlüsse von kapitalmarktorientierten
Unternehmen, welche in Europa der Bilanzierung nach IFRS unterliegen, haben dem
IASB vermehrt mitgeteilt, dass die Regelungen des in der Reform befindlichen IAS 39
schwer zu verstehen, anzuwenden und interpretieren seien. Das Board wurde dadurch
laut eigener Aussage veranlasst, einen neuen Standard für die Bilanzierung von
Finanzinstrumenten zu entwickeln, und zwar wie schon erwähnt vor der Finanzkrise.
46
Vgl.
V
éron
, N.: Accounting crisis, in: Revue d'Economie Financière and Risques, 2008, S. 3.
47
Vgl. Standard & Poors: Lehman Rating Lowered, 2008.
48
Vgl.
H
erz
, R.: AICPA National Conference, 2009, S. 11.
10

Dieser neue Standard solle weniger auf Prinzipien basieren und gleichzeitig weniger
komplex gehalten sein. Dieses Kriterium war offensichtlich auch der ursprüngliche
Anstoß für die Reform, wofür nicht nur der mit März 2008 relativ frühe Zeitpunkt der
Veröffentlichung des Diskussionspapiers zur Überarbeitung von IAS 39 steht, in dem
die Finanzkrise ihren Höhepunkt noch nicht erreicht hatte,
49
sondern auch die Tatsache,
dass dieses 98 Seiten starke Papier den Titel
,,R
educing
C
omplexity
in
R
eporting
F
inancial
I
nstruments
" trägt.
50
Auf dem zuvor erwähnten G20-Gipfel in London war ebenfalls Kritik an der
Komplexität des Standards laut geworden. In den Empfehlungen, die Teil der
,,Erklärung zur Stärkung des Finanzsystems" waren, wurde eben nicht nur die
Marktwertbilanzierung, sondern auch das Thema der Komplexität von IAS 39
behandelt. So sollten die Standardsetter bis zum Ende des Jahres 2009 unter anderem
ausdrücklich auch die Komplexität der Standards für die Bilanzierung von
Finanzinstrumenten reduzieren.
51
Darunter fallen neben dem IAS 39 insbesondere der
2005 erschienene IFRS 7,
F
inanzinstrumente
: A
ngaben
und der IAS 32,
D
arstellung
von
F
inanzinstrumenten
.
Die Grundstruktur der Bilanzierung von finanziellen Vermögenswerten allein scheint
eingängig. Es bestehen vier Kategorien zur Klassifizierung und je nach Kategorie gibt
es zwei grundsätzliche Bewertungsmethoden.
52
Der Gedanke der Komplexität erschließt
sich erst vollständig, wenn die umfangreichen Regelungen des IAS 39 zu
Wertminderungen, Sicherungsgeschäften und anderen Themen in Betracht gezogen
werden. Verstärkt wird dieser Eindruck insbesondere vor dem Hintergrund der Anzahl
verschiedener Finanzinstrumente und den daraus zusammengesetzten komplexen
Kombinationen, und den davon im Umlauf befindlichen Mengen. Ein gutes Beispiel für
diese hohen Mengen ist die Aktivseite der Bilanz des Allianz Konzerns für das
Geschäftsjahr 2009. Die hier aufgeführten Finanzanlagen allein machten mit ihrem
Wert von gut 300 Milliarden Euro etwa das Doppelte der gesamten Bilanzsumme des
Energieriesen Eon aus. Dabei waren die erfolgswirksam zum Zeitwert bewertete
Finanzaktiva und Finanzaktiva aus fondgebundenen Verträgen nicht einmal enthalten.
53
Des Weiteren ist es trotz häufiger Standardisierung von Finanzinstrumenten nicht
49
Anm. des Autors: So gab z.B. die große Investmentbank Lehman Brothers erst im September 2008 ihre
Insolvenz bekannt.
50
Vgl. IASB: DP Reducing Complexity, 2008.
51
Vgl. G20: Strengthening Financial System, 2009, S. 5.
52
Vgl. Kapitel 2.1. ­ 2.3. dieser Arbeit.
53
Vgl. Allianz Gruppe, Geschäftsbericht 2009, S. 224;
vgl. Eon, Finanzbericht 2009, S. 54-55.
11

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2010
ISBN (eBook)
9783958209503
ISBN (Paperback)
9783958204508
Dateigröße
637 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Paderborn
Erscheinungsdatum
2015 (Oktober)
Note
1,3
Schlagworte
bilanzierung finanzinstrumenten ifrs berücksichtigung bilanzierungs- bewertungsvorschriften rahmen iasb-reformprojektes
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Titel: Bilanzierung von Finanzinstrumenten nach IFRS unter besonderer Berücksichtigung der geänderten Bilanzierungs- und Bewertungsvorschriften im Rahmen des IASB-Reformprojektes
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