Forschende Pharmaunternehmen: Strategische Optionen zur Sicherung der Marktposition
©2007
Masterarbeit
65 Seiten
Zusammenfassung
Diese Masterarbeit hat zum Ziel, die Zusammenhänge zwischen den Herausforderungen des Marktes und den wichtigsten bereits gewählten oder noch zu ergreifenden Strategien forschender Pharmaunternehmen darzulegen sowie diese unter Aspekten der Nachhaltigkeit zu betrachten. Im Fokus der Arbeit stehen verschreibungspflichtige Arzneimittel, da sie das Hauptumsatzsegment der forschenden Pharmaunternehmen repräsentieren. Diese Arzneimittel unterliegen der Apothekenpflicht und müssen von einem Arzt verordnet werden. Apothekenpflichtige, nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel (OTC-Präparate) können dagegen vom Patienten ohne eine vorherige Arzt-Konsultation in der Apotheke erworben werden.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungen und Akronyme
IV
lt. laut
M&A
Fusionen und Übernahmen (Mergers and Acquisitions)
Mio.
Millionen
Mrd.
Milliarden
MSD
Merck, Sharp & Dohme GmbH
Nr.
Nummer
OTC
Over-The-Counter (nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel)
o.V.
ohne Verfasser
PKV
Private
Krankenversicherung
PRCA
Pure Red Cell Aplasia, Erythroblastopenie
RFID
Radio Frequency Identification
Rx
rezeptpflichtige
Arzneimittel
S.
Seite
SPC
Supplementary Protection Certificates (ergänzende Schutzzertifikate)
sog.
sogenannte
Tbl.
Tablette(n)
u. a.
unter anderem
UK
United Kingdom, Großbritannien
USD
US-Dollar
($)
v. a.
vor allem
VFA
Verband forschender Arzneimittelhersteller e.V.
Vgl.
Vergleiche
z. B.
zum Beispiel
ZL
Zentrallabor
Deutscher
Apotheker
Abbildungsverzeichnis
V
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Entwicklung der größten Pharmamärkte (Quelle: IMS Health, VFA statistics
2006)...3
Abbildung 2: Pharma 2010 - Hohe Bedeutung einlizensierter Produkte ...20
Abbildung 3: Zielerfüllung bei Allianzen nach Phase der Medikamentenentwicklung ...21
Abbildung 4: Die größten Fusionen der Pharmabranche 1996 - 2007 (in Mrd. USD) ...22
Abbildung 5: Die Zukunft der Arzneimitteltherapie: Targeted Treatment Solutions ...28
Abbildung 6: Prozentuale Marktanteile Substanz Fentanyl (Juli 2005 bis April 2006)
Quelle: Insight Health Markttrends (07/2006) ...33
Abbildung 7: Fallbeispiel Aspirin: Zusammenstellung gewählter Strategien zur Erweiterung
der Produktlinie (eigene Darstellung unter Bezugnahme auf die Rote-Liste
2006)...37
Abbildung 8: Klassisches und innovatives Pharmamarketing ...42
Abbildung 9: Evolution zum multidimensionalen Marketing ...43
Abbildung 10: Ausgabenentwicklung der Werbung für Rx-Arzneimittel in den USA 1996 -
2003 (in Mrd. $)...48
Tabellenverzeichnis
VI
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Top-Ten der Blockbuster 2005 und ihr Patentstatus (eigene Darstellung)...9
Tabelle 2: Biotech-Blockbuster und ihr Patentablauf (eigene Darstellung) ...11
Tabelle 3: Führende Arzneimittelgruppen mit zweistelligem Wachstum in 2005 (eigene
Darstellung)...27
Gegenstand der Arbeit und Vorgehensweise
1
1 Gegenstand der Arbeit und Vorgehensweise
Aktuell trifft der durch die deutsche Gesundheitsgesetzgebung ausgelöste Anpassungs- und
Handlungsbedarf forschender pharmazeutischer Unternehmen auf rapide verschlechterte
Aktionsspielräume. Besonders der Pharma-Mittelstand steht vor großen Aufgaben. Häufig
fehlt die wettbewerbskritische Unternehmensgröße im fokussierten Marktsegment, um die
notwendigen Investitionen sowohl in Forschung und Entwicklung (F&E) als auch in Aufbau
und Anpassung effektiver Marketing- und Vertriebsorganisationen zur Etablierung einer
starken Produktmarke tätigen zu können. Aber auch die typischen großen Konzerne stehen
vor Herausforderungen, da sich der Innovationsnachschub für die Zukunftssicherung ihrer
Umsätze verlangsamt oder ausbleibt und gleichzeitig wichtige Patente von Blockbustern
1
auslaufen. Gerade der sinkende Füllstand der Produktpipeline stellt ein wachsendes
Problem für fast alle forschenden Pharmaunternehmen dar, weil sich die Abhängigkeit von
wenigen Erfolgsmedikamenten zunehmend auch auf die Börsenbewertung auswirkt. Zuletzt
war bei Serono, Merck KGaA, Altana oder auch Schering zu beobachten, was passiert, wenn
aus der Produktpipeline keine adäquaten Nachfolger kommen: sie werden übernommen,
aufgespalten oder gehen (aus Mangel an Alternativen) überteuerte Übernahmen ein.
Schlimmer noch kann es kommen, wenn ein etablierter Blockbuster plötzlich durch
gravierende unerwünschte Nebenwirkungen auffällt und sofort vom Markt genommen
werden muss wie das Arthrosemittel Vioxx im Jahr 2005 oder der Cholesterinsenker
Lipobay im Jahr 2001. Unternehmen wie Merck & Co. stehen abgesehen von unvorher-
gesehenen Umsatzeinbrüchen plötzlich vor Schadensersatzklagen in Milliardenhöhe.
Ein weiterer wichtiger Faktor im Wandel des Pharmabusiness ist die Entwicklung des
Patienten zum mündigen Konsumenten mit verstärkter Übernahme von Eigenverantwortung
für seine Gesundheit. Die Zunahme medizinischen Laienwissens und der Mündigkeit des
Einzelnen gegenüber seiner Gesundheit wird durch Internet und Medien weiter gefördert.
Das bedeutet für die Industrie, dass sie auch die Patienten als ,,Endabnehmer" immer stärker
in ihre Aktivitäten einbeziehen muss.
Auf welche Weise diese Determinanten die Arbeitsweise der Pharmaindustrie verändern,
wird in Kapitel 2 (Aktuelle Herausforderungen für forschende Pharmaunternehmen)
dargestellt. Die beschriebenen gesetzlichen Entwicklungen im Pharmamarkt beziehen sich
dabei auf den deutschen Markt. Innerhalb der EU haben die einzelnen Märkte sich zwar
durch Einführung eines gemeinsamen Binnenmarktes angenähert (Beispiel: einheitliche
Arzneimittelzulassung), die Gesundheits- und Gesellschaftssysteme weisen jedoch noch
1
Als Blockbuster werden in der pharmazeutischen Industrie Arzneimittel mit > 1 Mrd. USD weltweitem
Umsatz bezeichnet.
Gegenstand der Arbeit und Vorgehensweise
2
immer beträchtliche Unterschiede auf (Beispiele: Erstattung, Festbetragsregelungen oder
Mehrwertsteuersätze für Arzneimittel). Die in Kapitel 3 entwickelten Handlungsoptionen, die
die zukünftige Wettbewerbsposition forschender Pharmaunternehmen betreffen, gelten
dagegen global.
Kapitel 3 (Strategische Handlungsoptionen) gibt einen Überblick über die wichtigsten
Strategien forschender Pharmaunternehmen, diesen aktuellen Herausforderungen
wirkungsvoll zu begegnen. Die Analyse der strategischen und operativen Antworten wird in
drei Teilen vorgenommen: ausgewählte Unternehmensstrategien, produktbezogene
Strategien bzw. spezielle Marketing-Modelle sowie patientenbezogene (kundenbezogene)
Strategien.
Kapitel 4 (Resümee) fasst die wichtigsten Ergebnisse zusammen und zieht ein Resümee.
Diese Masterarbeit hat zum Ziel, die Zusammenhänge zwischen den Herausforderungen des
Marktes und wichtigsten bereits gewählten oder noch zu ergreifenden Strategien forschender
Pharmaunternehmen darzulegen sowie diese unter Aspekten der Nachhaltigkeit zu
betrachten. Im Fokus der Arbeit stehen verschreibungspflichtige Arzneimittel (AM), da sie
das Hauptumsatzsegment der forschenden Pharmaunternehmen repräsentieren. Diese AM
unterliegen der Apothekenpflicht und müssen von einem Arzt verordnet werden.
Apothekenpflichtige, nicht-verschreibungspflichtige AM (OTC-Präparate
2
) können dagegen
vom Patienten ohne eine vorherige Arzt-Konsultation in der Apotheke erworben werden. Die
Begriffe ,Arzt
' und ,Verordner' werden synonym verwandt, gleichsam ,Arzneimittel',
,Medikament
', ,Produkt' und ,Präparat'. Medikamente werden mit ihrem Markennamen
(z. B. Plavix) genannt, wenn ausschließlich das Originalprodukt betrachtet werden soll; gilt
der Fokus markenunabhängig dem Wirkstoff, wird nur der Wirkstoffname (z. B. Clopidogrel)
genannt. Im Falle von generischen Produkten erfolgt die Benennung in Entsprechung zum
Wirkstoffnamen (z. B. Clopidogrel-Generika).
2
OTC = Over-The-Counter
Gesetzliche Rahmenbedingungen des deutschen Pharmamarktes
3
2 Aktuelle Herausforderungen für forschende
Pharmaunternehmen
2.1 Gesetzliche Rahmenbedingungen des deutschen Pharmamarktes
Deutschland stellt mit einem Umsatzvolumen von rund 26 Mrd. USD
3
(2006) den drittgrößten
Pharmamarkt weltweit dar.
4
Aufgrund der hohen Regulierungsdichte ausgelöst durch die
Finanzierungsproblematik des deutschen Gesundheitssystems geht dies jedoch mit weltweit
unterdurchschnittlichem Marktwachstum einher (vgl. Abbildung 1). Wie aber kam es zu den
Einnahmedefiziten in den Budgets der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV)?
Abbildung 1: Entwicklung der größten Pharmamärkte
5
(Quelle: IMS Health, VFA statistics 2006)
Gründe liegen in den Einnahmeausfällen aufgrund geringen volkswirtschaftlichen
Wachstums in den letzten Jahren sowie der demographische Entwicklung der deutschen
Bevölkerung. Die Mitgliederstruktur der GKV verschiebt sich zunehmend zugunsten von
Rentnern. Die Einnahmen der Versicherungen durch Rentner decken jedoch nur weniger als
3
USD = US-Dollar
4
Vgl. IMS Health in VFA statistics (2006) S. 40
Gesetzliche Rahmenbedingungen des deutschen Pharmamarktes
4
die Hälfte der durch Rentner verursachten Kosten, da die Gesundheitsausgaben pro Kopf
mit steigendem Lebensalter zunehmen (die höchsten Ausgaben werden statistisch
betrachtet in den letzten Lebensjahren verursacht).
6
Die umlagefinanzierte GKV gerät daher
von zwei Seiten unter Druck. Gleichzeitig findet durch wachsenden medizinischen Fortschritt
eine Steigerung der Diagnose- und Therapiemöglichkeiten statt, die aufgrund der daraus
resultierenden weiter ansteigenden Lebenserwartung nicht nur zu einer Nachfrage- sondern
voraussichtlich auch zu einer Kostenexplosion führen wird, welche die finanzielle Implosion
des GKV-Systems noch verstärkt. Die Bundesregierung versuchte, diese Entwicklung durch
immer stärkeres prozesspolitisches Eingreifen zu verzögern und den Anstieg der
Arzneimittelausgaben einzudämmen. Seit der ersten Gesundheitsreform 1988 sind
zahlreiche Gesetze verabschiedet worden, die durch Steigerung des Generika-Wettbewerbs
und Erhöhung der Generika-Marktanteile die Kosten für Arzneimittelausgaben begrenzen
sollen. Entscheidende Elemente stellen nicht nur das Festbetragssystem sondern auch das
Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetz (AABG) aus dem Jahre 2001, das
Beitragssicherungsgesetz (BSSichG) aus dem Jahre 2002 sowie die Aut-idem-Regelung dar,
die einen freien Wettbewerb zwischen Originalarzneimitteln und deren Generika nahezu
ausschließen.
Im Rahmen des GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG) hat der Gesetzgeber 2004 die
tiefgreifenden Veränderungen fortgesetzt (Auszug):
7
Festbeträge auch für Gruppen mit ausschließlich patentgeschützten AM
16 % Herstellerrabatt auf Innovationen
Erhöhte Eigenbeteiligung der Patienten durch starke Einschränkung der Erstattung von
nicht-verschreibungspflichtigen AM
Nutzenbewertung von AM
Die Aut-idem Regelung sollte den Preiswettbewerb im generikafähigen Markt durch
niedrigere Festbeträge ausdehnen. Auswirkungen dieser Regulierungen spiegelten sich
entsprechend in den Umsatzrückgängen rezeptpflichtiger (Rx
8
, Rückgang um 5,4 %) und
OTC Arzneimittel wider (Rückgang um 50,1 %
9
). Der Anteil von Generika stieg auch
aufgrund der Patentabläufe einiger Blockbuster in 2004 auf 26,7
%, was einem
Gesamtvolumen von ca. 5,6 Mrd. Euro entsprach und damit führend in Europa war. Aufgrund
des durch hohe Rabattvorteile geprägten Wettbewerbdrucks sank das reale Preisniveau
5
Nachdem in den Jahren 1998 bis 2003 ein zumindest kontinuierliches Branchenwachstum
stattgefunden hatte, stagnierte dieses im Jahr 2004 als Folge des in Kraft getretenen GKV-
Modernisierungsgesetzes und der damit verbundenen grundlegenden Änderungen.
6
Vgl. Bundesministerium für Gesundheit (BMG): Daten des Gesundheitswesens, (1999), S. 410
7
Vgl. BMG, homepage
8
Rx ist eine Abkürzung des lateinischen Wortes recipere (aufnehmen), vgl. Straight Dope (1999).
Gesetzliche Rahmenbedingungen des deutschen Pharmamarktes
5
stetig ab. Generika erreichten 70
% Marktanteil des generikafähigen Marktes.
11
Der
Wettbewerb zwischen Generikaherstellern wurde durch die Festbeträge allerdings nicht
gefördert, daher ist das entsprechende Einsparvolumen der GKV nach Rückgang der
Marktanteile und den erzwungenen Preissenkungen der Originalhersteller immer geringer
geworden. Da es für Generikahersteller attraktiver war, ihre Marktanteile durch
Rabattierungen an Apotheken als durch Preiswettbewerb zu erhöhen, hat das
Festbetragssystem sogar eher eine preisstabilisierende Wirkung auf den Generika-Markt
ausgeübt. Deutschland hat sich somit nicht nur neben Großbritannien (UK) zum größten
sondern auch zum teuersten Generikamarkt Europas entwickelt.
10
Ein weiteres
Marktsegment, welches von verschiedenen Kostensenkungsmaßnahmen der
Bundesregierung profitierte, sind Re- und Parallelimporte. Mit Umsetzung des GMG 2004,
welches neue Mindestpreisabstände für Importe definierte, kam es zu einer
Anteilsnivellierung auf 6 %.
11
Das Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz (AVWG) sorgte 2006 für weitere
Einschnitte (Auszug):
12
Verbot der Naturalrabatte
Einfrieren der Herstellerabgabepreise für AM für zwei Jahre
Korrektur der Festbeträge auf ein Preisniveau, das sich am unteren Preisdrittel aller in
einer AM-Gruppe zusammengefasster Medikamente orientiert.
Bonus-Malus-Regelung: Ärzte sind angehalten, preiswerte Alternativpräparate (meist
Generika) statt teurer Originale zu verordnen; orientiert an den ,,Durchschnittskosten pro
Tagesdosis", welche von Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) und Krankenkassen
gemeinsam festgelegt werden.
Das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs der GKV (GKV-WSG) 2007 greift
weitergehend massiv in den deutschen Pharmamarkt ein. Auswirkung auf pharmazeutische
Unternehmen haben v. a. folgende Regelungen (Auszug):
13
Die bestehende Nutzenbewertung bei der Zulassung wird zu einer Kosten-
Nutzenbewertung (durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im
Gesundheitswesen, IQWiG) erweitert, welche zu einer neuen Klassifizierung der AM
führt. Nur ,,echte" Innovationen sind weiterhin von der Einordnung in Festbetragsgruppen
befreit.
9
Vgl. VFA statistics (2006)
10
Generikapreisvergleich IMS Health (2004): Deutschland UK: Der Durchschnittspreis für Generika
ist in Deutschland 56 % teurer als in UK
11
Vgl. VFA statistics (2006), S. 46
12
Vgl. BMG, homepage
13
Vgl. BMG, homepage
Die Blockbuster-Strategie am Rande der Krise
6
Den Herstellern wird detaillierte Aufbereitung und Nutzung von Arzneiverordnungsdaten
weitgehend untersagt.
Die Rabattvertragsmöglichkeiten der Krankenkassen mit Arzneimittelherstellern werden
verbessert. Seit dem 01.04.2007 wurden von einzelnen Krankenkassen bereits selektive
Rabattverträge mit zumeist sehr kleinen und relativ unbekannten Pharma-Herstellern
geschlossen.
Pauschalvergütungen der Arztleistungen mit wenigen erforderlichen
Einzelleistungsvergütungen, Honorarzuschläge für besondere Qualität, ärztliche
Zweitmeinung erforderlich bei Verordnung innovativer Therapiekonzepte.
Ablösung der sektoralen Budgets durch neue Instrumente der Mengensteuerung,
insbesondere Abstaffelungen (vertragliche Vereinbarungen)
2.2 Die Blockbuster-Strategie am Rande der Krise
2.2.1 Problem Innovationslücke - unzureichende Effizienz von Forschung und
Entwicklung
Die Pharmabranche ist wie kaum eine zweite Industrie forschungsintensiv und damit einem
hohen Risiko ausgesetzt. In der Regel investieren die Pharmakonzerne etwa ein Fünftel
ihres Umsatzes in den Bereich Forschung & Entwicklung (F&E). Nach Angaben des VFA
kostet die Erforschung und Entwicklung eines neuen Medikaments
durchschnittlich 800 Mio USD.
14
Davon entfallen mehr als die Hälfte auf gesetzlich
vorgeschriebene klinische Prüfungen. Dabei hat sich die Zeitspanne von der Synthese bis
zur Zulassung eines neuen Wirkstoffes innerhalb der letzten 30 Jahre jedoch von zwei auf
zwölf Jahre verlängert.
Damit die Produkte den gesteigerten gesellschaftlichen und individuellen Anforderungen
genügen, haben forschende Pharmaunternehmen im deutschen Markt ihre
Gesamtausgaben für F&E seit 1996 von 2,45 Mrd. Euro kontinuierlich auf 4,07 Mrd. Euro im
Jahre 2005 erhöht.
15
Zusätzlich erschwerend wirkt sich aus, dass statistisch nur drei von
zehn neu zugelassenen Arzneimitteln die erwarteten Einnahmen generieren.
16
In den USA
haben die im Verband der ,,Pharmaceutical Research and Manufacturers of America"
(PhRMA) zusammengeschlossenen großen amerikanischen Pharmaunternehmen ihre
Ausgaben für F&E von 17 Mrd. USD im Jahr 1996 kontinuierlich auf 40 Mrd. USD im Jahre
14
Vgl. VFA statistics (2006), S. 23
15
Vgl. VFA statistics (2006), S. 24
16
Vgl. Harms, F./Gänshirt, D./Lonsert, M. (2005), S. 865 870
Die Blockbuster-Strategie am Rande der Krise
7
2005 gesteigert
17
- ca. 20 % ihres gesamten Umsatzes. Dies ist besonders im Hinblick darauf
relevant, dass nach Angaben der PhRMA von 250 in der Präklinik getesteten Substanzen
nur fünf in die klinischen Prüfungen gelangen, von denen nur eines schließlich als neues
Arzneimittel zugelassen wird. Insgesamt erlangt in der Arzneimittelentwicklung nur eine von
500 Substanzen die Marktreife. Das finanzielle Risiko ist also gewaltig.
Erhöhte Ausgaben führen jedoch nicht zwangsläufig zu höheren Investitionsgewinnen und
innovativeren Arzneimitteln. Die Anzahl der Zulassungen neu entwickelter Medikamente
durch die FDA (Food and Drug Administration, amerikanische Zulassungsbehörde) sank von
53 im Jahre 1996 auf zuletzt 15 im Jahre 2005.
18
Dieser Trend kennzeichnet die Problematik der sog. Innovationslücke einer Entwicklung,
die die primär an Blockbustern orientierte strategische Ausrichtung der führenden
forschenden Pharmaunternehmen immer wieder in Bedrängnis bringen kann. Als Pfizer im
Jahr 2006 die Entwicklung des Medikamentes Torcetrapib und alle damit verbundenen
klinischen Studien aufgrund von Todesfällen stoppen musste, brach der Aktienkurs nach
Bekanntgabe der Nachricht um 13 % ein, damit wurden 28 Mrd. USD Börsenwert verloren.
19
Der Cholesterinsenker hatte als wichtigster Hoffnungsträger in Pfizers Forschungspipeline
gegolten und sollte deren Blockbuster Lipitor (12 Mrd. USD Umsatz weltweit im Jahr 2005
20
)
nach dessen Patentablauf (im Jahr 2010) beerben. Pfizer hatte sich zuvor sehr auf
umsatzstarke Produkte konzentriert. Nun drohen dem Unternehmen zusätzliche empfindliche
Einbußen, da es keinen adäquaten Nachfolger für Lipitor hat. Das frühe Scheitern seines
Hoffnungsträgers reißt ein mehrere Mrd. USD großes Loch in die Umsatzplanung des
Konzerns, der sich nun nach anderen Produkten umsehen muss. Die mittelfristigen
Wachstumserwartungen des Konzerns werden damit erheblich gedämpft.
19
Dass selbst etablierte Blockbuster-Präparate große Pharmaunternehmen ins Straucheln
bringen können, zeigen die Beispiele Vioxx (Merck) und Lipobay (Bayer).
2.2.2 Verringerte
exklusive
Vermarktungszeit
Im Gegensatz zu den steigenden Kosten der Erforschung verringert sich die Dauer der
Marktexklusivität für das Produkt kontinuierlich. Dies liegt v. a. an folgenden langfristig
erfolgenden Trends:
Die Entwicklung von AM zur Behebung eines Defizits in vorhandenen
Therapiemöglichkeiten wird immer schwieriger.
17
Vgl. PhRMA, homepage
18
Vgl. FDA, homepage
19
Vgl. o.V.: Pfizer verliert 28 Milliarden Dollar (Financial Times Deutschland, 4.12.2006)
Die Blockbuster-Strategie am Rande der Krise
8
Aufwändigere und teurere klinische Studien, stärkere Regularien beim
Zulassungsprozess
Schnellerer und stärkerer Umsatzverlust nach Markteintritt von Generika aufgrund des
zunehmenden Wettbewerbs und der steigenden Effizienz von Generika-Unternehmen.
Zwischen Patentanmeldung und Zulassung werden im Durchschnitt 11 Jahre mit F&E
verbracht.
21
Da die Patentlaufzeit international i. A. 20 Jahre beträgt, verbleiben also nur
ca. 9 Jahre für die exklusive Vermarktung. Aus diesem Grund wäre es vorteilhaft, die
Patente erst so spät wie möglich anzumelden, um den Patentauslauf maximal
herauszuzögern. Andererseits haben konkurrierende Unternehmen oft in gleicher Weise
Zugriff auf publizierte Ergebnisse der Grundlagenforschung - die Entwicklung eines
Wirkstoffes wird häufig zum Wettlauf mit der Zeit, bei dem wiederum ein frühes Patent auf
entdeckte Wirkstoffkandidaten hilfreich ist. Die Dauer der Produktentwicklung ist also eine
zentrale, die Dauer der Marktexklusivität beeinflussende Größe. Aufgrund der kurzen
alleinigen Vermarktungszeit gewinnen das optimale Ausnutzen der Wettbewerbsphase des
Produktes und die Strategien zum Umgang mit dem Patentauslauf erheblich an Bedeutung.
2.2.3 Patentausläufe und Patentangriffe
In Europa, den USA und den meisten anderen Ländern beträgt die Patentlaufzeit 20 Jahre
beginnend mit der Anmeldung des Patents. Während dieser Zeit ist die alleinige
Vermarktung der Innovation durch den Patenthalter geschützt. Sogenannte Sekundärpatente
sind zusätzliche, zu einem späteren Zeitpunkt beantragte Patente auf verwandte Inhalte, die
wiederum 20 Jahre Laufzeit besitzen.
22
Bezüglich des zu schützenden Gutes sieht das
internationale Patentrecht meist vier Arten von Patenten vor: Patente auf Produkte,
Prozesse, Zusammensetzungen und Anwendungen.
23
Neben dem Wirkstoff sind also auch
sein Metabolit
24
, Prodrug
25
und eventuelle Polymorphe
26
wie z. B. Enantiomere
27
patentierbar, außerdem Syntheseverfahren, besondere galenische Formulierungen und
bestimmte therapeutische Anwendungen.
20
Vgl. Pfizer, homepage
21
Vgl. European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations (2003), S. 14
22
Vg. Raasch, A.C. (2006), S. 36
23
Vgl. Gassmann, O./Reepmeyer, G. u.a. (2004), S.128
24
Ein Metabolit ist ein Zwischenprodukt im Stoffwechselvorgang.
25
Ein Prodrug ist ein ein Medikament, das erst durch die Verstoffwechslung im Körper in den aktiven
Wirkstoff überführt wird.
26
Polymorphe sind zwar aus den gleichen Atomen aufgebaut, unterscheiden sich aber in der
räumlichen Anordnung ihrer Struktur.
27
Enantiomere sind Varianten, die zwar in ihrer Summen- und Strukturformel übereinstimmen, deren
räumliche Strukturen sich zueinander aber wie Bild und Spiegelbild verhalten.
Die Blockbuster-Strategie am Rande der Krise
9
Es gibt also meist nicht ein Patent auf ein AM sondern eine Vielzahl von Patenten mit zeitlich
gestaffelten Ausläufen, die mehr oder weniger kritischen Einfluss auf den Zeitraum der
Marktexklusivität haben.
28
Der Patentschutz endet mit Ablauf der Schutzzeit oder mit
Ungültigkeitserklärung des Patents durch ein Gericht. Im Zusammenhang mit führenden
Blockbuster-Präparaten stellt dies für Pharmakonzerne eine strategische Herausforderung
dar (vgl. Tabelle 1).
Tabelle 1: Top-Ten der Blockbuster 2005 und ihr Patentstatus (eigene Darstellung
29
)
Marken-
name
Hersteller
Umsatz
(Mrd. $)
Patentlaufzeit (USA)/
Patentstatus
Lipitor
Pfizer 12,9
bis
2011
Plavix
Sanofi-Aventis, BMS
30
5,9
bis 2011,
jedoch laufender Prozess
31
Nexium
AstraZeneca 5,7
Patent
widerrufen
32
Seretide/
Advair
GSK
30
5,6
bis 2013, aber Prozess in UK
verloren
33
Zocor
Merck 5,3
seit 2003 abgelaufen, Generika auf
dem Markt
Norvasc
Pfizer 5,0
bis
2007
Zyprexa
Eli Lily
4,7
bis 2011
Risperdal
Janssen-Ortho/ J&J
30
4,0
bis
2007
Prevacid/
Ogastro
Abbott/Takeda 4,0
seit 2005 abgelaufen,
Generika auf dem Markt
Effexor
Wyeth 3,8
bis
2014
28
Anmerkung: Im Folgenden soll mit ,,Patentauslauf" der Ablauf des den generischen Markteintritt
primär blockierenden Patents (häufig des Wirkstoffpatents) bezeichnet sein.
29
Quellen: Webseiten der Unternehmen, Rote-Liste, Pharmaceutical Executive 05/2006 zitiert in
Rosen, M. (2006)
30
Abkürzungen: Bristol-Myers Squibb (BMS), GlaxoSmithKLine (GSK), Johnson & Johnson (J&J)
31
Sanofi-Aventis hat den Vertrieb von Plavix-Generika-Versionen in den USA mittels einstweiliger
Verfügung stoppen können. Das Urteil im entscheidenden Verfahren wird jedoch erst zur
Jahresmitte 2007 erwartet., Vgl. Hoffmann, S. (2007)
32
Im Dezember 2006 wurde das Patent von der Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes
allerdings auf Klage des Generika-Herstellers Ratiopharm für ungültig erklärt.
Vgl. o.V.: Patentamt widerruft Patent für Nexium von AstraZeneca (2006)
33
GSK verlor einen Patent-Rechtsstreit in UK nach Klage von der indischen Cipla Ltd., der
amerikanischen Ivax Corp und zwei weiteren Generika-Herstellern.
Vgl. o.V.: GSK verliert Patentstreit um Seretide in Großbritannien (2004)
Die Blockbuster-Strategie am Rande der Krise
10
2004/05 verlor GSK z. B. den Patentschutz auf Paxil, Combivir und Imitrex und erlitt dadurch
Umsatzverluste in Milliardenhöhe
34
. Abbott erging es 2005 mit dem Patentverlus für Prevacid
nicht anders, ebenfalls in Milliardenhöhe betroffen war Merck im Jahr 2003 mit Zocor. Durch
den jüngsten Verlust des Patentschutzes von Zoloft gingen die Umsätze für Pfizer um 79 %
zurück und fielen damit im vierten Quartal 2006 auf 166 Mio. USD im Vergleich zu 808 Mio.
USD im entsprechenden Vorjahreszeitraum.
35
Ein Patent kann jedoch auch jederzeit gerichtlich angefochten werden. Diese Klagen
beziehen sich typischerweise auf Sekundärpatente (z. B. eine besondere Galenik) und zielen
auf Ungültigkeitserklärung des Patents, was den Weg für den Launch des Generikums frei
machen würde. In den USA wird der Anreiz zur Patentanfechtung zusätzlich dadurch erhöht,
dass dem Kläger bei Erfolg eine Alleinstellung von 180 Tagen als generischer Anbieter des
Wirkstoffes gesetzlich zugesichert ist.
36
In einigen Ländern hat sich bereits ein Trend
entwickelt, dass Generika-Hersteller, während ihre Klage noch verhandelt wird, bereits das
betreffende Produkt trotz drohender Schadensersatzzahlungen auf den Markt bringen:
37
Sanofi-Aventis konnte den Vertrieb von Plavix-Generika durch den kanadischen Hersteller
Apotex in den USA zwar durch einstweilige Verfügung stoppen, allerdings steht ein Urteil im
Hauptverfahren noch aus und wird erst zur Jahresmitte 2007 erwartet. Plavix war mit einem
Umsatz von 5,9 Mrd. USD im Jahr 2005 an weltweit zweiter Stelle und trägt etwa 7 % zum
Umsatz von Sanofi-Aventis bzw. rund 20
% zum Geschäft des amerikanischen
Vertriebspartners Bristol-Myers Squibb bei
38
. Diese Patentauseinandersetzung ist für die
Pharmaindustrie von wegweisender Bedeutung
39
.
Wirkstoffe sind häufig Molekülmischungen aus Enantiomeren.
27
Patente bezogen sich jedoch
zunächst in den meisten Fällen nur auf die Zusammensetzung des Wirkstoffes. Oft ist aber
schon eins dieser Enantiomere vergleichbar wirksam oder sogar wirksamer als die
Mischung. Eine strategische Möglichkeit für Unternehmen war daher bisher, vor drohendem
Patentablauf ein neues Patent auf das Isomer einzureichen, um somit die Patentnutzzeit
erheblich zu verlängern (siehe auch: 3.2.3.2 Verlängerung der Marktexklusivität, S. 31).
Diese später eingereichten Patente werden jedoch immer häufiger von Generika-Herstellern
angefochten. Dabei sind Prozesse in den USA bisher nicht erfolgreich gewesen, in Europa
musste AstraZeneca allerdings eine empfindliche Prozessniederlage hinnehmen, als das
Europäische Patentamt auf Klage von Ratiopharm das Patent für Nexium widerrief.
32
In
diesem Fall handelt es sich um ein Folgepatent auf ein Enantiomer eines hocherfolgreichen
34
Vgl. Kayenburg Studie (2004)
35
Vgl. o.V.: Mylan gets FDA nod on generic Zoloft (2007)
36
Vgl. Hay, M.A./Atkinson, T.J. (1999), S. 104, Hollis, A. (2002)
37
Vgl. Raasch, A.C. (2006), S. 37
38
Quellen: Sanofi-Aventis, BMS, homepages
39
Vgl. Hofmann, S. (2007)
Die Blockbuster-Strategie am Rande der Krise
11
Wirkstoffes (Omeprazol), der (als Prilosec) bis zu seinem Patentablauf zu den Blockbustern
des Unternehmens gezählt hatte.
Bis zum Jahr 2006 werden erstmalig auch mehrere biopharmazeutische Blockbuster ihren
Patentschutz verloren haben (vgl. Tabelle 2). Da mit den Originalen Milliarden-Umsätze
erzielt werden konnten (häufig Einsatz zur Behandlung chronischer Erkrankungen,
lebenslange Therapie) und die Darreichungsform (Injektion oder Infusion) meist
unkompliziert ist, stellen Biopharmazeutika
40
verlockende Kandidaten für Biosimilars
41
dar,
den entsprechenden Nachahmungen von biotechnologisch hergestellten Originalpräparaten.
Tabelle 2: Biotech-Blockbuster und ihr Patentablauf (eigene Darstellung
42
)
Markenname Hersteller
Indikation
Umsatz
2006 (in
Mrd. USD)
Patentstatus
(USA)
Biosimilar?
Neupogen
Amgen Neutropenie 1,2 bis
2006
in klinischer
Prüfung
Humalog
Eli Lilly
1,3
bis 2005
Novolin,
Actrapid
Novo
Nordisk
Diabetes
2,7
bis 2001
bereits
zugelassen
Epogen
Amgen
2,5
bis 2004
Procrit,
Eprex
Johnson &
Johnson
renale &
krebsinduzierte
Anämie
3,2
bis 2006
bereits
zugelassen
Avonex
Biogen Idec
Multiple
Sklerose
1,7 bis
2003
in klinischer
Prüfung
Der Weg bis zur Zulassung und Vermarktung erweist sich bislang jedoch als schwierig, denn
ein einfacher Identitätsnachweis durch Bioäquivalenzstudien wie bei herkömmlichen
Generika reicht nicht aus. Die Herstellung biopharmazeutischer Podukte stellt aufgrund ihrer
Komplexizität eine große Herausforderung dar. Bei der Zulassung niedermolekularer
Generika kann sich der Hersteller auf die pharmakologischen und klinischen Studien bei der
Erstzulassung des Originalproduktes beziehen. Er muss zusätzlich lediglich Bioäquivalenz
und pharmazeutische Qualität nachweisen. Bei Biosimilars handelt es sich jedoch um
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Biopharmazeutika: Arzneimittel, deren Wirkstoffe mit Hilfe biotechnologischer Verfahren aus heute
meist rekombinanten Zellkulturen gewonnen werden.
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Angelehnt an den Begriff ,,Similar Biological Medicinal Products" an, den die europäische
Zulassungsbehörde EMEA für diese neue Produktgruppe geprägt hat.
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Quellen: Webseiten der Unternehmen, Rote Liste
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Erstausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2007
- ISBN (eBook)
- 9783958209589
- ISBN (Paperback)
- 9783958204584
- Dateigröße
- 1.9 MB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Universität Bayreuth
- Erscheinungsdatum
- 2015 (Oktober)
- Note
- 1
- Schlagworte
- forschende pharmaunternehmen strategische optionen sicherung marktposition
- Produktsicherheit
- BACHELOR + MASTER Publishing