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Miguel de Cervantes Saavedras „Don Quijote de la Mancha“: Eine strukturalistische Analyse des „Ingenioso hidalgo“

©2013 Studienarbeit 31 Seiten

Zusammenfassung

Die hier vorliegende Arbeit widmet sich einer detaillierten Analyse des ersten Teils des viel gelesenen Klassikers „Don Quijote de la Mancha“ von Miguel de Cervantes Saavedra. Neben der Herausarbeitung der Komik des Don Quijote im Allgemeinen, wird hier auch das Genre der Ritter- und Schäferromane thematisiert und ein Einblick in das Rollenbild der Frau sowohl im Roman, als auch zur damaligen Zeit gegeben. Weiterhin wird ein besonderes Augenmerk auf die prägnante Sprache Cervantes' und die Konstellation der einzelnen Figuren im Roman gelegt; einen besonderen Platz nimmt dabei die Figur der edlen Dame Dulcine del Toboso, die Herzensdame unseres edlen Ritters, und die Beziehung zwischen den beiden Protagonisten Don Quijote und seinem Knappen Sancho Panza, die unterschiedlicher nicht sein könnten, ein.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


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II. Cervantes ­ Kurzbiographie
Miguel de Cervantes Saavedra wurde 1547 in Alcalá de Henares, der ,,ciudad castellana más
intelectual del siglo XVI" als Sohn des Chirurgen Rodrigo Cervantes und seiner Frau Leonor
de Cortinas geboren und war einer der wohl bekanntesten spanischen Schriftsteller (Eisenberg
1993, S.14). Sein Name taucht das erste Mal 1569 in Estudias de Madrid auf, wo er als Autor
vierer Gedichte aufgelistet wird. Während seiner Flucht vor der spanischen Justiz, auf der er
sich auf Grund verschiedener Vergehen befand (Vgl.: Neuschäfer 2006, S.141), trat er 1569 ­
kurz nach seinen humanistischen Studien bei Juan López de Hoyos, dem Herausgeber des
Estudias de Madrid ­ der Marine bei, wo er in der Schlacht bei Lepanto durch eine
Schusswunde die Beweglichkeit seiner linken Hand verlor; 1575 endete seine Zeit bei der
Marine (Vgl.: Ebd.). 1585 publizierte er den ersten Teil von La Galatea ­ einem der
wahrscheinlich bekanntesten novelas pastoriles ­ nur ein Jahr, nachdem sein einziges Kind,
seine Tochter Isabel, geboren worden war (Vgl.: Eisenberg 1993, S.17). Kurz darauf
verbrachte Cervantes seine Zeit auf Grund verschiedener Vergehen ab 1592 mehrmals im
Gefängnis, wo er auch die Arbeiten am ersten Teil des Quijote, begann (Vgl.: Neuschäfer
2006, S.141); veröffentlicht wurde dieser 1609. 1613 veröffentlichte Cervantes seine v.a.
moralisch geprägten Novelas Ejemplares und kurz darauf, 1615, den zweiten Teil des Quijote,
nachdem er Opfer eines ,,Fortsetzungsschreibers, der sich den Erfolg des ersten Teils zunutze
machte, um dem zweiten Teil des Originalautors zuvorzukommen", geworden war (ebd.,
S.138). Nach dem Quijote schrieb er lediglich noch den Roman Los trabajos de Persiles y
Segismunda, der jedoch erst ein Jahr nach seinem Tod im April 1616 erschien.

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III. Die Parodie und Komik von Ritterromanen
Bereits im ersten Kapitel, ,,que trata de la condición y ejercicio del famoso hidalgo don
Quijote de la Mancha", erfahren wir, wer Don Quijote ist und wie es um seinen
Geisteszustand bestellt ist (Cervantes 1605 (Ed. Allen 1989), S.113)
1
: Der sagenhafte Ritter
ist ein Mann um die 50, aus gutbürgerlichen Verhältnissen, ,,de cuyo nombre" Cervantes sich
nicht erinnern kann, auch wenn er erwähnt, dass diesem verschiedene Beinamen wie
,,Quijada" oder ,,Quesada" zugeschrieben werden und der ,,en un lugar de la Mancha"
zusammen mit seiner Nichte, einem alten Gärtner und seiner Haushälterin ­ die den gesamten
ersten Teil über namenlos bleiben und stets nur als sobrina oder ama genannt werden ­ lebt
(ebd.). Auch der eigentliche Name des Protagonisten wird erstmals im fünften Kapitel
erwähnt, als ein Nachbar den zuvor in einer Auseinandersetzung übel Zugerichteten findet
und ihn mit ,,el honrado hidalgo del Señor Quijana" anspricht (146).
Auf Grund dessen, dass Don Quijote einen Großteil seiner Zeit mit der Lektüre von
Ritterbüchern, wie z.B. dem Amadís de Gaula oder dem Libro del muy esforzado caballero
Palmerín de Inglaterra, zugebracht hat, verlor er nach und nach den Verstand und fantasiert
seither davon, ebenfalls in den Orden der fahrenden Ritter einzutreten, um Gerechtigkeit und
Vergeltung zu üben und somit seinem Namen Ruhm und Ehre zu verschaffen:
,,En efecto [...] vino a dar en el más estraño pensamiento que jamás dio loco en el
mundo, y fue que le pareció convenible y necesario, así para el aumento de su honra
como para el servicio de su república, hacerse caballero andante, e irse por todo el mundo
[...] a buscar las aventuras y a ejercitarse en todo aquello" (117).
Jenes Desiderat ist es auch, welches ihn letztendlich dazu drängt, zur primera salida
aufzubrechen; er ist davon überzeugt, dass sein Handeln als ehrenvoller Ritter in der Welt
erwartet würde und nicht länger aufgeschoben werden dürfe:
,,Hechas, pues, estas prevenciones, no quiso aguardar más tiempo a poner en el efecto su
pensamiento, apretándole a ello la falta que él pensaba que hacía en el mundo su tardanza,
según eran los agravios que pensaba deshacer, tuertos que enderezar, sinrazones que
eunmendar, y abusos que mejorar, y deudas que satisfacer" (120).
Hierzu orientiert er sich an den zahlreichen Geschichten, die er über die caballeros andantes
gelesen hat und begibt sich sogleich ans Werk, ,,proyecta[ndo] todos los valores de la andante
caballería" (Endress 2000, S.15), beginnend damit, dass er sich aus verschiedenen
Rüstungsteilen einen angemessenen Harnisch zusammenstellt, sich mit einem Schwert
1 Auf Grund der Häufigkeit werden bei Zitaten und Vergleichen aus dem Primärtext im Folgenden nur noch
die Seitenzahlen angegeben.

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bewaffnet und in seiner Euphorie auch sein schon recht altes Pferd ­ das ihm natürlich als ein
edles Ross erscheint ­ in Rocinante umbenennt und sich selbst den edlen Namen Don Quijote
de la Mancha gibt, ganz nach Manier der fahrenden Ritter, die als Beinamen oftmals die
Bezeichnung der Ortschaft trugen, aus der sie stammten (Vgl.: 119f). Zu guter Letzt erwählt
er sich noch Dulcinea del Toboso als Dame seines Herzens, wie es für einen fahrenden Ritter
nach dem Prinzip der hohen Minne (die unter den fahrenden Ritter Gang und Gebe war)
Pflicht ist, wie wir es auch schon im Lazarillo der Tormes und auch im mittelhochdeutschen
Iwein von Hartmann von Aue vorfinden (den man in der Literatur oftmals als deutsches
Pendant zum Don Quijote findet)
2
.
Hierdurch wird auch deutlich, dass, obwohl er nicht mehr der Jüngste ist, sein Temperament
dennoch ,,el de un joven" ist; unterstrichen wird dies weiterhin durch den Elan, mit dem er
seine (sich selbst auferlegte) Aufgabe antritt (Eisenberg 1993, S.31). Dieser Aspekt seines
ungewöhnlichen Alters ist weiterhin auch ein wichtiger Bestandteil der Parodie, da Cervantes
mit ihm eine Ritterfigur geschaffen hat, die sich von den Konventionen der (klassischen)
libros de caballerías dadurch abhebt, dass er im Grunde das genaue Gegenteil eines typischen
Protagonisten aus Ritterromanen darstellt: Im Gegensatz zu diesen ist er weder ein starker
Jüngling, noch ein Königssohn, sondern im Grund genommen eher eine Antithese des
Rittertums (Vgl.: Ebd., S59). Wir sehen also, dass Cervantes mit der Schaffung eines solchen
,,héroe loco, [...] rompió definitivamente con el romance", da er das Prinzip der ,,caballería
artúrica" durch die Figur des Don Quijote insofern parodiert, als dass er die Prinzipien der
Arthus-Ritter in eine Welt der Albernheiten, Imaginationen und Fantasien transformiert, ,,que
choca contra una realidad definida por el sentido commún y la experiencia normal" dieser
Zeit, v.a. durch die zahlreichen Überraschungen und ungeahnten Wendungen, die mit seiner
Figur einhergehen (Vargas Llosa 1991, S.133f).
In der zahlreichen Literatur zum Quijote finden sich die divergentesten Interpretationen und
Analysen zum Verlust seines Verstandes; die Majorität läuft jedoch darauf hinaus, dass er
eine Metapher nicht nur ,,de [...] una cosa en concreto", sondern ,,totalmente [de] sui generis"
darstellt (ebd., S.136). Abgesehen davon ist zu beachten, dass Cervantes die Besonderheiten
seiner Figur v.a. auch durch die Deskription ihrer physiognomischen Erscheinung ausdrückt;
so beschreibt er ihn beispielsweise bereits im ersten Kapitel als ,,[hombre] de complexión
recia, seco de carnes, enjuto de rostra, gran madrugador y amigo de la caza", was nicht gerade
typische Eigenschaften eines Ritters von edlem Stand sind (114).
2 Da sich das folgende Kapitel mit der Figur Dulcineas beschäftigt, wird hier nicht weiter auf sie und das
Minne-Konzept eingegangen.

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Bei seinem Aufbruch wird Don Quijote sich allerdings bewusst, dass er ,,conforme a ley de
caballería" die Waffen gegen keinen Ritter erheben dürfe, da er bisher selbst nicht zu solchem
geschlagen ist, weshalb er umgehend (zur primera salida) aufbricht, um dies nachzuholen
(120). Auf dieser (zu Anfang recht ereignislosen) Reise ist er zum Ende des ersten Tages hin
sehr erschöpft und sucht nach ,,algún castillo [...] donde [puede] recogerse y [...] remediar su
mucha hambre y necesidad"; letztendlich gelangt er an eine Venta, die er für ein ,,castillo"
hält, da ,,a nuestro aventurero todo cuanto [...] [parece] ser hecho y pasar al modo de lo que
había leído," (122). Er ist also in dem Irrglauben, sich im Schloss eines ehrbaren Königs zu
befinden und auch die beiden leichten Mädchen, die vor der Venta stehen, scheinen ihm ,,altas
doncellas" zu sein, da man in einer solch edlen Burg schließlich nicht auf unlautere Dirnen
treffen würde (124). Aus diesem Irrtum entwickelt sich auch ein grundlegender Bestandteil
der Komik, die den Quijote ausmacht; hinzu kommt, dass der Schankwirt und alle anderen
das ,,Theaterspiel" Don Quijotes insoweit unterstützen, als dass ihnen zwar bewusst ist, dass
es nicht allzu gut um seinen Geisteszustand bestellt sein kann, sie sich dennoch über seine
Reden und Albernheiten amüsieren:
,,El ventero, que [...] era un poco socarrón y ya tenía algunos baruntos de la falta de su
huésped, acabó de creerlo cuando acabó de oírle semejantes razones, y, por tener que reír
aquella noche, determinó de seguirle el humor" (129).
Aus diesem Grund willigt der Schankwirt (als ,,Burgherr") auch ein, Don Quijote nach
vollbrachter Waffenwacht zum Ritter zu schlagen. Doch bedingt durch dessen Fantasien
kommt es während der Wache des Nachts im Stall zum Kampf mit einem vermeintlichen
Waffendieb:
In seinem Wahn hält Don Quijote einen der in der Schenke bewirteten Maultiertreiber, der
nach seinen Tieren sehen will, für einen ,,atrevido caballero, que llega[...] a tocar las armas
del más valeroso andante", weshalb er ihn angreift (131). Als ein zweiter Maultiertreiber in
den Stall tritt, attackiert er auch diesen, woraufhin ein Tumult ausbricht, der alle Insassen der
Schenke veranlasst, ebenfalls in den Stall zu kommen. Einzig der Wirt ist nun Don Quijotes
Rettung, da er die Begleiter der beiden geschundenen Maultiertreiber davon abhält, Don
Quijote mit seinen eigenen Waffen zu schlagen, indem er ihnen erklärt, dass jener nicht Herr
seiner Sinne sein kann, weshalb er auch beschließt, ihn umgehend zum Ritter zu schlagen, um
dem lauteren Treiben Einhalt zu gebieten. Zu diesem Zweck nimmt er ,,un libro donde
asneta[...] la paja y cebada", heißt Don Quijote sich nieder zu knien und in seinem Buch
lesend wie in einem Gebet, gibt er ihm ,,sobre el cuello un buen golpe, y tras él con su mesma
espada, un gentil espaldarazo" und schlägt ihn somit zum Ritter (133).

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Bereits in diesem Kapitel wird deutlich, dass ein grundlegender Bestandteil der Komik des
Quijote darin liegt, dass sämtliche Figuren, mit denen er in Kontakt tritt, immer in gewisser
Weise auf seine Fantasien eingehen und ,,mitspielen".
Abgesehen davon ist die Venta nicht nur der Ort, an dem er zum Ritter geschlagen wird,
sondern auch ein zentraler Bestandteil des ganzen Romans, da sich hier nicht nur ein Großteil
der Handlung abspielt, sondern sich hier auch zentrale Wendungen im Handlungsverlauf
vollziehen. So kommen hier nicht nur (fast) alle Beteiligten der Novelas Intercaladas
zusammen, sondern finden diese hier bspw. auch ein ,,Happy End". Im Großen und Ganzen
ist die Venta also zentraler Handlungsort, an dem alle Handlungsstränge zusammenlaufen,
weshalb sie einen so gravierenden Stellenwert im Roman einnimmt.
Auch das sechste Kapitel, welches ,,del donoso y grande escrutinio" handelt, das ,,el cura y el
barbero [...] en la librería de nuestro ingenioso hidalgo" anstellen, ist sehr signifikant, da hier
fast alle Bücher Don Quijotes dem Feuer zum Opfer fallen, weil man hofft, so seinem Wahn
ein Ende zu setzen (150). Des Weiteren ist in dieser ­ sozusagen ­ Inquisition auch eine
gewisse Kritik an den novelas de caballerías und auch an den novelas pastoriles zu finden:
Im Gespräch des Pfarrers und des Barbiers, in welchem sie darüber diskutieren, welche
Bücher verbrannt werden sollen, spiegelt sich Cervantes' Haltung gegenüber jenen Romanen,
zu denen er ,,wie viele seiner Zeitgenossen [...] ein zwiespältiges Verhältnis" hatte, wieder
(Neuschäfer 2006, S.126):
Zunächst ist der Pfarrer der Meinung, alle Ritterromane müssten dem Feuer überantwortet
werden, da er sie nicht nur als unnützen Zeitvertreib sieht, sondern sie auch deswegen ablehnt,
weil sie rein fiktive Erzählungen seien, weshalb er auch dafür plädiert, Los cuatros libros de
Amadís de Gaula zu verbrennen, da sie als allererste Ritterbücher in Spanien ,,principio y
origen" aller anderen seien und so auch den ,,dogmatizador de una secta tan mala" darstellten
und sie die Wahrheit, sowie christliche Werte gänzlich außen vor ließen (151 und vgl.:
Neuschäfer 2006, S.126). Jene Haltung gegenüber dieser Romangattung wird durch seine
Aussage, er würde sogar seinen eigenen Vater dem Scheiterhaufen überlassen, wenn er ein
nämlicher fahrender Ritter wäre, noch unterstrichen (Vgl.: 152). Einzig das Argument des
Barbiers, dass der Amadís trotz allem ,,el mejor de todods los libros" sei, veranlasst den
Pfarrer dazu, ihn vor dem Feuer zu bewahren (ebd.). Neben dem Amadís finden nur noch
einige wenige weiter Gnade, wie bspw. der Palmerín de Inglaterra, da dieser nicht nur das
Werk eines namhaften Königs von Portugal darstellt, sondern auch ­ so der Pfarrer ­ in einer
angemesseneren Art und Weise als die restlichen verfasst sei (Vgl.: 154). In den Ansichten

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des Pfarrers zeigt sich folglich Cervantes' dichotome Haltung gegenüber den Ritterromanen:
Auf der einen Seite lehnte er sie offensichtlich ab ­ was ja bereits durch die Parodie des
Quijote an sich deutlich wird ­, auf der anderen Seite scheint er sie dennoch (oder zumindest
einige wenige) als einen unterhaltsamen Zeitvertreib erachtet zu haben.
Im weiteren Verlauf zeigt sich (wiederum durch den Pfarrer) dass die novelas pastoriles für
ihn einen anderen Stellenwert einnahmen, ,,porque no hacen [...] el daño de los de
caballerías", da diese vielmehr ,,libros de entretamiento, sin perjuicio de tercero" seien, wie
hier vom Pfarrer erklärt wird (156). Erst auf die Einwände der Nichte hin, dass man beim
Verschonen dieser Bücher Gefahr laufen würde, dass ihr Onkel sich dann eventuell
entschließen könnte, Schäfer zu werden, einigen sie sich darauf, diese Bücher zwar nicht zu
verbrennen, sie aber dennoch insoweit zu zensieren, als dass man alles herausschneiden solle,
was keine reine Realitätsdarstellung ist. Auch in Kapitel 32, in dem die gesamte Kohorte um
Don Quijote in der Venta einkehrt (was sein dritter Besuch dort ist), wird diese Kritik
weitergeführt als der Pfarrer zwei Ritterbücher des Wirtes, der ebenfalls glaubt, in diesen
stünden wahre Tatsachen, verbrennen will: Auf dessen Unverständnis hin erklärt ihm der
Pfarrer, dass solche Bücher, wie die hier vorliegenden über Felixmarte de Hircania und Don
Cironiglio de Tracia, lediglich ,,llenos de disparates y devaneos" seien (443). Allerdings
nimmt er auch hier wieder ein Buch von seinem Urteil aus (La Historia del Gran Capitán
Gonzalo Hernández de Córdoba, con la vida de Diego García de Paredes), weil es als
einziges von realen Ereignissen handele. Zuletzt betont er noch einmal, dass der Druck solch
fiktiver Geschichten lediglich gestattet sei, da man davon ausgehe, dass niemand sie für wahre
Geschichten halte.
Da bisher nur die Figur des Quijote, sowie die Kritik an Ritter- und Schäferromanen näher
diskutiert wurden, widmet sich die Arbeit nun auch der Figur des Schildknappen Sancho
Panza, der kurz vor der zweiten salida im siebten Kapitel auf der Bildfläche erscheint:
Sancho ist ein armer benachbarter ,,labrador", ein ,,hombre de bien [...], pero de muy poca sal
en la mollera", der Don Quijote glaubt, dass dieser ein fahrender Ritter sei und sich mit dem
Versprechen auf ,,[el] gobernador" über ,,alguna ínsula", das sie irgendwann auf ihrer Reise
erlangen würden, dazu persuadieren lässt, ihn als sein Schildknappe zu begleiten (163). Er
wird also gleichsam konträr zu Don Quijote dargestellt: Während dieser ein hochgewachsener
und hagerer Mann ist, ist Sancho dagegen eher klein und füllig, ein eher stupider ,,campesino
ignorante que sigue sus inclinaciones naturales sin preocuparse de otra cosa" und der ,,ni
siquiera sabe leer o escribir" (Vargas llosa 1991, S.188). Unser hidalgo hat mit ihm im
Grunde ,,einen erdverbundenen Schildknappen", der sich jedoch insoweit von den

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herkömmlichen escuderos differenziert, als dass er keine bloße ,,Nebenfigur ohne
Eigengewicht" ist, sondern bis zum Ende sein ,,ständige[r] Gesprächspartner und
Gegenredner"; durch ihre Verbindung ,,erhält der Roman erst jene dialektische und
dialogische Dynamik", die ihn ausmacht (Neuschäfer 2006, S.143). Sancho nimmt also einen
prägnanten Part im Roman ein, da er quasi zum zweiten Protagonisten wird, v.a., da ein so
enges Bündnis zwischen den beiden entsteht, obwohl ­ oder vielleicht gerade weil ­ ihre
Figuren geradezu vollkommen konträr zueinander angelegt sind. Besonders die divergenten
Realitätswahrnehmungen der beiden sind relevant, da diese mit einer elementaren Funktion
der Figur Sanchos einhergehen: Ähnlich der narrativen Instanz übernimmt er hier die
Funktion, dem Leser mitzuteilen, was wirklich passiert, wenn Don Quijote glaubt, sich gegen
Riesen, andere Ritter oder Unholde zur Wehr zu setzen; durch ihn wird dem Leser deutlich,
dass es sich eben nicht so verhält. Er ist also ein wichtiges Element eines jeden Abenteuers,
die zudem alle nach einem bestimmten Muster ablaufen: Zu Beginn entdeckt unser Ritter
etwas, von dem er sofort überzeugt ist, dass hier sein Können als Ritter gefragt ist uns das er
grundsätzlich als etwas anderes sieht, als es wirklich ist. Wir erfahren darauf von Sancho (der
versucht, seinem Herrn zu erklären, dass er sich irrt), worum es sich wirklich handelt. Erst
nach Scheitern des Abenteuers erkennt auch Don Quijote die Realität zumindest insoweit an,
dass er nun zwar die tatsächlichen Gegebenheiten sieht, allerdings dennoch der festen
Überzeugung ist, dass hier Zauberei im Gange sei, um ihn zu täuschen. Und die Realität zuvor
noch eine andere gewesen sei. Jene Magie ist für ihn stets die Erklärung für das Scheitern
seiner Abenteuer oder anderer Dinge, wie bspw. auch das Verschwinden seiner Bibliothek. Zu
beachten ist dabei, dass er diese Untat seinem, von ihm selbst so betitelten, Erzfeind, dem
sabio Frestón, einem Zaubermeister, zuschreibt. Interessant ist, dass er den Anstoß hierzu von
seiner Nichte und seiner Haushälterin bekommt, die diese Figur quasi einführen, als sie ihm
nach der Verbrennung seiner Bücher und dem Zumauern der Bibliothek erzählen, dass ,,un
encantador que vino sobre una nube" die Bücher habe verschwinden lassen (162). Für Don
Quijote besteht daraufhin kein Zweifel, dass es sich bei jenem Zauberer um den weisen
Frestón (dessen Namen er ebenfalls in einem seiner Romane gelesen hat) handeln muss, da
dieser ein großer Feind von ihm sei, der fürchte, einst von ihm besiegt zu werden und ihm
deshalb Schaden zuzufügen vermöge. Dass eben jener für ihn generell der Grund für das
Scheitern seiner Abenteuer ist, soll nun an Hand der Beispiele zweier seiner wichtigsten
Abenteuer gezeigt werden:
Das maßgeblich bekannteste Abenteuer ist wohl sein Kampf gegen die Windmühlen im
achten Kapitel, welches auch das erste Abenteuer ist, das er gemeinsam mit seinem

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Schildknappen Sancho bestreitet: Als sie auf ihrem Weg ,,treinta o cuarenta molinos de
viento" entdecken, ist er sofort davon überzeugt, dass es sich bei diesen um Riesen handeln
müsse und es ein Glück sei, gegen diese kämpfen zu können:
,,[...] como don Quijote los vio, dijo [...]: La ventura va guiando nuestras cosas mejor de
lo que acertáramos a desear; porque ves allí, amigo [...], donde se descubren [...],
desaforados gigantes, con quien pienso hacer batalla y quitarles a todas las vidas, con
cuyos despojos comenzaremos a enriquecer" (166).
Sancho ist hiervon jedoch überrascht, da er lediglich Windmühlen erblickt, was er seinem
Herrn auch mitzuteilen versucht, von diesem jedoch einfach mit der Erklärung abgetan wird,
,,que [Sancho] no está[...] cursado en esto de las aventuras" und nur aus diesem Grund nicht
erkennt, dass es sich in Wirklichkeit um Riesen handelt (ebd.). Hierauf greift er die
vermeintlichen Riesen an, was ihm selbst und Rocinante jedoch zum Verhängnis wird, da sie
von einem Windmühlenflügel getroffen zu Boden gehen (Vgl.:166ff).
Erst als Sancho ihm zu Hilfe eilt und noch einmal beteuert, dass es von vorneherein
Windmühlen gewesen sind, erkennt er die Realität, erklärt Sancho jedoch umgehend, ,,que
aquel sabio Frestón [...] ha vuelto estos gigantes en molinos" um ihm ,,la gloria de su
vencimiento" zu nehmen (168).
Auch bei seinem Abenteuer, bei dem er in einen Kampf zwischen zwei Heere (wie er glaubt)
gerät, ist der Ablauf der Gleiche: Auf ihrem Weg entdecken sie zwei aus entgegengesetzten
Richtungen kommende Schafherden, von denen Don Quijote fest überzeugt ist, dass es die
beiden Heere des ,,gran emperador Alfifafarón, Señor de la grande isla Trapobana" und ,,de su
enemigo, el rey de los garamantas, Pentapolín de Arremangado Brazo sind und ,,viendo en su
imaginación lo que no veía no había", nennt er Sancho zahlreiche Ritter der beiden Heere und
den Grund für ihre Verfeindung (259f). Dieser hört ihm zwar aufmerksam zu, erkennt jedoch
nach kurzer Zeit, dass es wiederum nur eine Fantasie seines Herrn ist und versucht abermals,
ihm dies vor Augen zu führen, indem er ihn auf das Blöken der Schafherden ­ die es
tatsächlich sind ­ aufmerksam zu machen versucht. Doch auch diesmal schenkt unser Ritter
ihm keinen Glauben und reitet mitten in die beiden Herden hinein, um dem unterlegenen
,,Heer" der beiden beizustehen. Die den Schafen folgenden ,,pastores y ganaderos" versuchen
ihn davon abzuhalten; als sie jedoch merken, dass er sie einfach ignoriert, beginnen sie ,,a
saludalle los oídos con piedras como el puño", woraufhin er schwer verwundet wird und ,,tres
o cuatro dientes y muelas de la boca" verliert (264). Als ihm ,,su licor", der zuvor in der Venta
von ihm zubereitet bálsamo des Fierabrás, in seiner Tasche in den Sinn kommt, nimmt er
diesen schnell zu sich, um im Kampf weiter bestehen zu können; er wird jedoch erneut
mehrmals getroffen und stürzt vom Pferd, woraufhin die Hirten und Herden verschwinden

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(ebd.). Sancho eilt herbei und muss nun abermals erfahren, dass auch dies das Werk des
weisen Frestón sei, der die kämpfende Meute mitten im Kampf in Schafherden verwandelt
habe. Noch während Sancho die Verletzungen, sowie die fehlenden Zähne seines Herrn näher
untersucht, beginnt der Balsam zu ,,wirken": Don Quijote muss sich übergeben und dies zum
Leidwesen seines Knappen, den dessen gesamter Mageninhalt im Gesicht trifft, woraufhin er
­ als er durch Geruch und Geschmack bemerkt, dass es sich bei dem Erbrochenen um jenen
Balsam handelt, nach dessen Verzehr in der Venta (nach ihrem Kampf mit den Yangüeses) er
sich bereits äußerst übel gefühlt hatte ­ ebenfalls auf seinen Herrn speit (Vgl.: 265). Die
Komik liegt hier v.a. in der nahezu skatologischen und somit recht abstoßenden Tendenz der
Situation (v.a. auch durch die Wortwahl), besonders begründet dadurch, dass beide in das
Gesicht des jeweils anderen vomieren. Auch die divergenten Reaktionen der beiden auf den
Balsam und Don Quijotes Erläuterungen für diesen Umstand sind amüsant: Zwar leiden beide
nach dem Verzehr an Übelkeit, jedoch wirkt dieser Zustand auf Don Quijote eher beruhigend,
wohingegen Sancho glaubt, dem Tode geweiht zu sein, da ihn vor der Erlösung durch das
Erbrechen zunächst heftige Schmerzen plagen:
,,[...] primero que vomitase, le dieron tantas ansias y bascas, con tantos trasudores y
desmayos, que él pensó bien y verdaderamente que era llegada su última hora" (251).
Sein Herr erklärt ihm die unterschiedlichen Reaktionen dadurch, dass der Balsam nur bei
edlen Rittern wie ihm selbst wirke und Sancho keinerlei Besserung verspüre, da er kein
solcher sei, was amüsant ist, da dies ­ wie auch der Balsam an sich reine Fiktion aus seinen
Büchern ist ­ nur seiner Fantasie entspringt.
Es lässt sich also feststellen, dass alle Abenteuer unseres Ritters nach dem selben Konzept
ablaufen und auch wenn dieses stets das gleiche ist, ist man dennoch immer wieder davon
überrascht, wie fest Don Quijote von seinen Fantasien überzeugt ist und wie wenig Sancho
dagegen ausrichten kann; dennoch ist jener ­ quasi als eine Art Realitätsfenster ­ für den
Leser ein wichtiger Romanbestandteil, zumal seine ,,incapacidad [...] para poner las cosas in
claro con su [...] amo" die Komik hervorhebt und ihn ,,obliga a buscar medios de
comunicación más indirectos" (Vargas llosa 1991, S.190). Zwar ist Sancho nicht sonderlich
intelligent, jedoch ist er auch nicht so loco wie sein Herr, auch wenn er dessen idealisierende
Denkweise im Laufe der Zeit zumindest teilweise übernimmt, was bspw. bereits daran zu
erkennen ist, dass er an das versprochene gobernamiento glaubt (Vgl.: Eisenberg 1993, S.64
und Strosetzki 1991, S.118). Allerdings nähert sich nicht nur Sancho seinem Herrn in dieser
Hinsicht immer weiter an, sondern macht auch Don Quijote eine Entwicklung im Verlauf des
Romans durch, in der er sich seinem Knappen annähert, was z.B. daran zu erkennen ist, dass

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2013
ISBN (eBook)
9783958209923
ISBN (Paperback)
9783958204928
Dateigröße
864 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Ruhr-Universität Bochum
Erscheinungsdatum
2015 (Oktober)
Note
1,3
Schlagworte
miguel cervantes saavedras quijote mancha eine analyse ingenioso
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