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Das Hausmädchen in der Literatur: Lucia Puenzos „El Niño Pez“ und Sergio Bizzios „Rabia“. Eine literarische Analyse

©2015 Studienarbeit 30 Seiten

Zusammenfassung

Die hier vorliegende Arbeit widmet sich einer detaillierten Analyse der Motivik der Hausmädchen-Figur in (vornehmlich) lateinamerikanischer Literatur, wobei ein besonderes Augenmerk auf den beiden Werken „Rabia“ von Sergio Bizzio und „El Niño Pez“ von Lucía Puenzo liegt. Es werden hier die Darstellungsweise der jeweiligen Protagonistinnen, der Dienstmädchen Guayi (El Niño Pez) und Rosa (Rabia), sowie die Relationen der beiden zu ihren jeweiligen Dienstherren analysiert und mit den realen Bedingungen und Lebensumstände vieler Hausmädchen der heutigen Zeit verglichen, wobei besonders auf die politische Lage der Selben eingegangen wird. Zudem werden auch Vergleiche mit weiteren bekannten Hausmädchen-Figuren der Literatur gezogen und der viel umstrittene Aspekt der „erotischen Romanheldin“ diskutiert.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


8
ist die Verfilmung eines ihrer eigenen Romane, zu denen u.a. auch 9 minutos und La
maldición de Jacinta Pichimahuida gehören
2
. Prägnant ist bei Puenzo v.a. die latente bis fast
schon nach Aufmerksamkeit und Beachtung schreiende, gesellschaftskritische
Auseinandersetzung mit sozialen, sowie auch psychologischen und alltäglichen
Problemsituationen, die ihre Arbeiten zu etwas Besonderem machen
3
.
Sergio Bizzio ist ebenfalls ein argentinischer Autor und Regisseur, der am 03. Dezember 1956
in Villa Ramallo, einer Provinz von Buenos Aires, geboren wird
4
. Bizzio ist zudem Dichter,
Dramaturg und Theater-Autor; 1982 publiziert er seine erste Gedichtsammlung Gran salón
con piano, 1990 folgt Mínimo figurado und 1995 Paraguay. Zu seinen Romanen gehören u.a.
El divino convertible (1990), Son del África (1993), Planet (1998), Rabia (2004) und
Realidad (2009). Seine Theaterstücke La China und El amor erscheinen beide 1997 in
Zusammenarbeit mit Daniel Guebel. Der Großteil seiner Werke wurde nicht nur in mehr als
acht Sprachen publiziert, sondern auch sowohl für das argentinische, als auch für das
spanische und französische Fernsehen adaptiert, was ihn zu einem der bekanntesten
lateinamerikanischen Literaten der (Post-)Moderne macht
5
.
2 Vgl.:
S.n.:
Lucía Puenzo. Paris: PyramideFilms.com.
3 Vgl.:
S.n.:
Biografía de Lucía Puenzo. Pontevedra: Biografías.es.
4 Vgl.:
S.n.:
Sergio Bizzio. Viaje Literario. (S.l.) Ahoracriticón. Cine, Música, Literatura... Información y
Opinión Independiente.
5 Vgl.:
S.n.
(2013):
Sergio Bizzio. Me gusta leer. Penguin Random House Grupo Editorial. Ciudad Autónoma
de Buenos Aires.

9
II. Die momentane Dienstmädchensituation und die
Hausmädchenmotivik in der Literatur
Zwar ist es in der heutigen Zeit längst nicht mehr Gang und Gebe (oder sollte es zumindest
nicht sein), dass zu einem gutbürgerlichen Haushalt wie selbstverständlich auch ein
Hausmädchen gehört, jedoch finden sie sich in den letzten Jahren wieder immer häufiger; ,,im
Zeitalter der Globalisierung" kehrt das altbekannte Dienstmädchen peu à peu zurück
6
: Egal ob
als Dienstmädchen, Kinderfrau oder Haushaltshilfe ­ wenn man meint, im modernen Zeitalter
seien sie lediglich noch ein Ammenmärchen, so täuscht man sich gewaltig, denn sie
,,übernehmen heute in zunehmendem Maße [wieder] die Versorgungsarbeit in privaten
Haushalten" und das in unfassbaren Ausmaßen
7
. Alleine in Deutschland gehen Schätzungen
darauf zurück, ,,dass jeder achte private Haushalt heute eine Haushaltshilfe beschäftigt",
weltweit steigen die Zahlen nahezu ins Unermessliche
8
. Interessant ist dabei die Tatsache,
,,dass die Beschäftigten zu mehr als 90% Frauen sind"
9
, oftmals Migrantinnen ,,aus Asien,
Afrika, Lateinamerika und Osteuropa", die in ihrem Heimatland keine Arbeit finden
10
. Die
meisten von ihnen haben eine eigene Familie zu Hause, um die sie sich kümmern müssen und
sogar eine gute Ausbildung genossen, doch verbessert dies ihre Chancen auf dem
heimatlichen Arbeitsmarkt nicht; es sind ,,also gestandene Frauen, die [...] in die Zentren der
reichen Welt auswandern", da es in ihrem ,,Herkunftsland [meistens] keine oder [nur]
schlechte Entwicklungsmöglichkeiten" gibt und sie keinen anderen Ausweg sehen, um sich
,,mit ihrer Arbeit das (Über-)Leben ihrer Familie[...] und die Ausbildung der eigenen Kinder"
zu sichern
11
. Viele der Frauen aus Lateinamerika, Afrika oder Südostasien verdingen sich
sogar im eigenen Land, obwohl die Arbeitsbedingungen für sie dort oftmals noch schlechter
als in den westlichen Industrieländern sind; alleine in Lateinamerika arbeiten ,,über zwanzig
Millionen Frauen als Hausangestellte", oft, da sie ,,keinen Ausbildungsplatz bekommen [...]
oder einen Beruf erlernt [haben], mit dem sie nicht genug zum Leben verdienen"
12
; für ihre
6 Lutz,
Helma
(2002):
Die neue Dienstmädchenfrage im Zeitalter der Globalisierung. In: Fechter, Mathias
(Hg.): Gesellschaftliche Perspektiven: Wissenschaft. Globalisierung. Jahrbuch der Hessischen Gesellschaft
für Demokratie und Ökologie. Essen. S. 01.
7 S.n.
(2005):
Das Dienstmädchen kehrt zurück. Frankfurt: Attac AG "Feminist Attac".
8 Ebd.
9 Ebd.
10 Lutz, Helma (2002): Die neue Dienstmädchenfrage im Zeitalter der Globalisierung. In: Fechter, Mathias
(Hg.): Gesellschaftliche Perspektiven: Wissenschaft. Globalisierung. Jahrbuch der Hessischen Gesellschaft
für Demokratie und Ökologie. Essen. S.03.
11 S.n. (2005): Das Dienstmädchen kehrt zurück. Frankfurt: Attac AG "Feminist Attac".
12 Segueda, Eric (2012): Rechtlose Dienstmädchen. Bonn: Deutsche Welle.

10
,,gehobenen" Arbeitgeber sind die so genannten ,,muchachas" dabei einfach ,,die herrlichste
Nebensache der Welt"
13
.
Ebenfalls erschreckend ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass viele der Frauen
,,ohne arbeits- und aufenthaltsrechtlichen Schutz" ­ sprich illegal ­ im neuen Land leben und
arbeiten und es so für ,,sie kaum Möglichkeiten [gibt], gegen Lohnprellungen oder sexuelle
Ausbeutung vorzugehen"
14
. Die Probleme nicht-bezahlter Überstunden, eines niedrigen
Einkommens, welches oftmals sogar noch unter der Minimumslohngrenze liegt, so wie auch
psychische und/oder physische Gewalt bis hin zur Vergewaltigung sind i.d.R. fast allen
Betroffenen gemein
15
; sie sind einfach ,,der Willkür ihrer Arbeitgeber ausgeliefert"
16
. V.a. in
Mittel- und Südamerika ist die inhumane Behandlung der Hausangestellten scheinbar an der
Tagesordnung, so ,,ist das Mädchenzimmer [oftmals] die Rumpelkammer des Hauses, kleiner
und schlechter belüftet als eine Pferdebox"
17
. Besonders auffällig: Bspw. in ,,Brasilien gibt es
genaue Vorschriften über das Mindestmaß von Zimmern, aber die Bauherren zeichnen
absichtlich einen Raum als Vorratskammer ein, der später als Mädchenzimmer vorgesehen
ist"
18
. Einzig in Bezug auf das Fernsehen sind die Señores ,,fast immer großzügig", denn ,,die
Traumwelt des Films hat heute einen fast so guten Einfluss auf ihr Personal wie früher die
Kirche: Sie stabilisiert die Verhältnisse", da sie mit dem Versprechen auf die Utopie eines
besseren Lebens ,,wie eine Droge" wirkt; solche in den Telenovelas postulierten ,,Happy Ends
hat die [...] Wirklichkeit [jedoch] nicht zu bieten"
19
: Wie bereits konstatiert ist das
Hausmädchen der Familie zwar oftmals das Objekt der Begierde für Hausherr (und auch
Sohn), da es ­ ebenso wie die Möbel ­ einfach als selbstverständlicher Besitz angesehen wird
­, jedoch ist sie auch stets gezwungen die eventuellen Folgen allein zu tragen, wird sie bspw.
schwanger, so wird sie ,,zur Belastung" und ,,fortgejagt", bestenfalls ,,zahlt ihr der Hausherr
die Abtreibung"
20
. Und dennoch bietet die ,,Arbeit im Privatbereich" vielen den Vorteil des
,,Schutz[es] vor Entdeckung", auch wenn ,,die Kehrseite dieser 'Schutzzone'" mit der
minimalisierten Möglichkeit der selbstbestimmten ,,Bewegungsfreiheit" und der
13 S.n. (1984): Dritte Welt: Nur traurig. Hamburg: Der Spiegel Online.
14 S.n. (2005): Das Dienstmädchen kehrt zurück. Frankfurt: Attac AG "Feminist Attac".
15 Vgl.: Lutz, Helma (2002): Die neue Dienstmädchenfrage im Zeitalter der Globalisierung. In: Fechter,
Mathias (Hg.): Gesellschaftliche Perspektiven: Wissenschaft. Globalisierung. Jahrbuch der Hessischen
Gesellschaft für Demokratie und Ökologie. Essen. S.06f.
16 Segueda, Eric (2012): Rechtlose Dienstmädchen. Bonn: Deutsche Welle.
17 S.n. (1984): Dritte Welt: Nur traurig. Hamburg: Der Spiegel Online.
18 Ebd.
19 Ebd.
20 Ebd.

11
,,Ausbeutung" im neuen ,,zu Hause" einhergehen
21
. Das ,,Dienstmädchengeschäft" ist ein
,,Phänomen der Schattenwirtschaft", in dem sich ,,die Betroffenen [...] in einer twilight-zone,
einer geheimen, unsichtbaren Gesellschaft, an deren Sichtbarmachung oder Veröffentlichung
kaum jemand Interesse hat", bewegen
22
. Zudem ist auf Grund jener Schutzzone auch der
direkte Kontakt zu den Mädchen für Außenstehende ,,nahezu unmöglich", da sie ,,von ihren
Arbeitgebern [zusätzlich] abgeschirmt" werden und ,,Angst vor dem Zorn der" Selbigen
haben, sollten sie sich ihnen widersetzen oder ihren Wünschen nicht zur Genüge
nachkommen
23
.
V.a. ,,in den westlichen Industrieländern" ist die Nachfrage nach ,,domestic helpers" im
,,Haushaltsleben des [modernen] Techno-Zeitalters" enorm, denn so wie Hausangestellte einst
,,zum Prestige einer Bürgerfamilie" gehörten, so sind sie heute eine (nahezu
selbstverständliche) Entlastung für die moderne berufstätige Frau ­ globale ,,Feminisierung
der [Zwangs-]Migration" als Preis des doch so erfolgreichen modernen und fortschrittlichen
Feminismus, der Emanzipation und der Frauenbewegung
24
; mit der ­ fast schon
sklavenartigen ­ Verrichtung von Arbeiten, die schon ,,seit Jahrhunderten als Frauenarbeit
gelten"
25
, hat sich ,,die Dienstmädchenfrage [...] von einer Klassenfrage zu einem ethnisch
und national [, so wie v.a. auch feministischen,] Phänomen entwickelt"
26
. Friese beschreibt
dieses Phänomen im Grunde rückläufiger Emanzipation als ,,erneuten Entwertungsprozess[...]
weiblicher Bildung" und erläutert, dass sich der ,,brain-drain", d.h. der ,,'Bildungsleerlauf' der
Herkunftsländer, [...] in den Aufnahmeländern in brain-waist, [d.h.]
'Bildungsverschwendung' verwandelt" und so ,,zur sozialen Falle" wird
27
. Nebeneffekt ist
dabei ebenfalls die Entstehung eines ,,Arbeitsmarkt[es], der scheinbar einen Ausweg bietet
[...], begrenzte finanzielle Ressourcen zu übersteigen", so wie die Begleiterscheinung einer so
genannten ,,transnationalen Mutterschaft", die darauf basiert, dass ,,viele der 'neuen
Dienstmädchen'" gezwungen sind, ihre eigenen Kinder ebenfalls in der ,,Obhut von
21 Lutz, Helma (2002): Die neue Dienstmädchenfrage im Zeitalter der Globalisierung. In: Fechter, Mathias
(Hg.): Gesellschaftliche Perspektiven: Wissenschaft. Globalisierung. Jahrbuch der Hessischen Gesellschaft
für Demokratie und Ökologie. Essen. S.13.
22 Ebd.
23 Segueda, Eric (2012): Rechtlose Dienstmädchen. Bonn: Deutsche Welle.
24 Lutz, Helma (2002): Die neue Dienstmädchenfrage im Zeitalter der Globalisierung. In: Fechter, Mathias
(Hg.): Gesellschaftliche Perspektiven: Wissenschaft. Globalisierung. Jahrbuch der Hessischen Gesellschaft
für Demokratie und Ökologie. Essen. S.02f.
25 Uchatius, Wolfgang (2004): Das globalisierte Dienstmädchen. Hamburg: Die Zeit Online.
26 Lutz, Helma (2002): Die neue Dienstmädchenfrage im Zeitalter der Globalisierung. In: Fechter, Mathias
(Hg.): Gesellschaftliche Perspektiven: Wissenschaft. Globalisierung. Jahrbuch der Hessischen Gesellschaft
für Demokratie und Ökologie. Essen. S.03.
27 Ebd., S.14.

12
'Ersatzmüttern'" zu hinterlassen, während sie sich ihrerseits um die Erziehung fremder Kinder
kümmern müssen
28
; es ist im Grunde eine ,,weltweite Fürsorgekette"
29
.
Alles in Allem ist das Hausmädchen an sich folglich lediglich Handelware:
,,Man kauft sie, und dann haben sie zu funktionieren. Bleiben sie stehen, haut man mit der Faust
dagegen. Und wenn das nicht hilft, kauft man neue. Wie die Maschinen haben sie [für ihre
,,Besitzer"] keine Geschichte, keine Gefühle, keine Gesundheit"; sie sind die ,,mucamas ­
schattenhafte Wesen, die schnell ins Esszimmer huschen, servieren und wieder
verschwinden"
30
.
Sie arbeiten nahezu rund um die Uhr, sind gezwungen, Schikanen zu ertragen, nur weil sie
aus der Not heraus ,,auf ein eigenes Leben [verzichten], um denen, die mehr Geld haben, das
Leben [noch weiter] zu erleichtern"
31
. Besonders in Lateinamerika unterliegen sie ,,nicht dem
allgemeinen Arbeitsrecht", spezielle ,,Gesetze zur Haushaltsarbeit degradieren sie zu
Arbeitnehmerinnen zweiter Klasse" und sie ,,rangieren [somit] am untersten Ende der
Lohnskala", sie leben eine ,,Form der modernen Sklaverei"
32
. Es zeigt sich, dass dieses als
Schattenwelt postulierte Phänomen (s.o.) auf den Grundpfeilern seit jeher existierender
genderspezifischer Arbeitsteilung fußt ,,und auf dem Rücken" der ,,natürliche[n] Ressource
Frau" ausgetragen wird
33
. Kurzum: Das Dienstmädchen der Moderne ist ,,das vielleicht
wertvollste Exportprodukt" als Teil einer globalen Trenderscheinung
34
. Welche neue Mode
wird es morgen sein?
Auch in der Literatur ist die Motivik des Dienstmädchens weit verbreitet, sei es als relevante
Antagonistin, oder als Protagonistin selbst ­ sieht man genauer hin, so findet man die Figur
des Hausmädchens in Hülle und Fülle, im Vordergrund steht dabei primär immer die
Beziehung des Hausmädchens zur Familie, zentraler Angelpunkt des Geschehens ist fast
immer in irgendeiner Weise der Sex: Wie bereits konstatiert war und ist der Missbrauch der
mittellosen Hausangestellten durch den höher gestellten Hausherren auch heute oftmals noch
Gang und Gebe, wie auch die Strauss-Kahn-Affäre von 2011 zeigt, da überrascht die
vielfache literarische Verwendung dieser Thematik nicht (Vgl.: Eßlinger, S.10)
35
. Das
missbrauchte Dienstmädchen, die verruchte Magd, die den Hausherren verführt, gibt als
28 Ebd., S:25f.
29 Uchatius, Wolfgang (2004): Das globalisierte Dienstmädchen. Hamburg: Die Zeit Online.
30 Zeiler, Stephanie (2005): Arbeiten in Lateinamerika: Schuften bis zum Umfallen. Berlin: Lateinamerika
Nachrichten.
31 Ebd.
32 Ebd.
33 S.n. (2005): Das Dienstmädchen kehrt zurück. Frankfurt: Attac AG "Feminist Attac".
34 Uchatius, Wolfgang (2004): Das globalisierte Dienstmädchen. Hamburg: Die Zeit Online.
35 Auf Grund der Häufigkeit der Zitation der drei Primärtexte sind die Quellenangaben aus Platz Gründen bei
diesen nicht in Form von Fußnoten, sondern als knappe Angabe in Klammern dahinter gesetzt, wobei der
Text von Eva Eßlinger mit Eßlinger, El Niño Pez mit NP und Rabia mit R abgekürzt sind.

13
literarisches Motiv viel her und scheint nahezu für die ,,Vermarktung" geschaffen, ist doch
alles vorhanden, was man braucht: Einen ,,Skandal, der auch die erotische Neugier des
Publikums anstachelt, einen Mächtigen, der seine Position ausnutzt, und eine Frau, die sich
[manchmal sogar] mutig und selbstbewusst zur Wehr setzt" (Eßlinger, S.11). Sexuelle
,,Gewalt gegen Frauen, verbunden mit extremer sozialer Ungleichheit" und Machtmissbrauch,
sowie das oftmals prädominante Vorurteil (welches v.a. im 18. Jahrhundert weit verbreitet
Anklang fand), das Dienstmädchen an sich sei ,,von zweifelhafter sexueller Reputation und
[somit] letztendlich kaum etwas anderes[,] als [eine] Prostituierte" (Eßlinger, S.11f), dies alles
reizvoll und praktisch verpackt in nur einer Figur ist bereits Bestandteil vieler Romane und
gleich wie ,,ein Geist spukt das verführte Dienstmädchen durch die [...] Literatur"
36
.
Einer der ersten und wohl bekanntesten dieser Romane ist der bereits 1740 publizierte
Erfolgsroman Pamela, or Virtue Rewarded von Samuel Richardson, der quasi als
,,Referenztext einer [...] Erzähltradition, die sich um das Motiv des 'verführten'
Dienstmädchens rankt und bis weit ins 20. Jahrhundert hinein fortbesteht", dient (Eßlinger,
S.18). Ebenso ist die fast schon ,,notorisch missbrauchte[...]" Justine in Marquis de Sades Les
Infortunes de la Vertu von 1787 nahezu Vorbildfigur für alle nachfolgenden (Eßlinger, S.17):
Mit ,,grausamer Lust" beschreibt de Sade detailliert, was bei Richardson noch ,,in nuce
angelegt" war und radikalisiert nahezu die ,,Fantasien von Unterwerfung und [...]
Frauenfolter"; es wird weitestgehend zu einer Art grausamer Literaturtradition, die im 1935
von Elias Canetti veröffentlichten Roman Die Blendung noch weiter kulminiert und auch
wenn Gustave Flaubert mit Un coeur simple noch versucht, das ,,groteske[...] Desaster" der
,,Dienstmädchengeschichte in eine [Art] moderne Heiligenlegende zu transformieren", so
bleibt das ursprüngliche Faszinosum des missbrauchten Hausmädchens bis heute in der
Literatur erhalten
37
, hat es sich doch ,,als außerordentlich literaturträchtig erwiesen"
(Eßlinger, S.18). So gesehen wurde auf diese Weise so zu sagen die ,,Karriere" der
Romanfigur ,,des verführten Dienstmädchens" geschrieben und auch vorangetrieben, wobei
der Begriff ,,Verführung" hier im eigentlichen Sinne als stark überspitzter Euphemismus für
bloße sexuelle Gewalt zu verstehen ist
38
. An der ,,weitgehend als Tragödie" erscheinenden
Geschichte ,,des Dienstmädchens, das sich zugleich innerhalb wie außerhalb der
Familienordnung bewegt, werden die Paradoxien, Abgrenzungsstrategien und damit das
36 Werneburg, Brigitte (2013): Faszinosum Dienstmädchen: Die Treue zur Dienstbotenromanze. Berlin: taz.de.
37 Ebd.
38 Ebd.

14
'Unbewusste des Familiendiskurses'" mit dem Hausmädchen als ,,Grenzfigur" des Selbigen
deutlich
39
.
Alles in Allem verläuft die ,,literarische Geschichte des Dienstmädchens" bis dato zwar
,,diskontinuierlich, mit Perioden der Verdichtung und Phasen der Latenz", doch war sie stets
in irgendeiner Weise literaturgeschichtlich präsent; ,,heterogen ist auch die soziale
Wirklichkeit des Dienstbotenstandes", denn als ,,Mädchen-für-alles" sind sie auch heute noch
sowohl in der Realität, als auch in unzähligen literarischen Werken (egal ob als Protagonisten
oder Antagonisten, wie beispielsweise bei Kafka oder Musil) zu finden und haben es so in
gewisser Weise sogar zu einem eigenen literarischen Genre gebracht, das in Form von
beispielsweise Romanverfilmungen selbst für Film und Fernsehen adaptiert wurde (Eßlinger,
S.20)
40
.
Im Folgenden sollen nun El Niño Pez und Rabia das Hauptaugenmerk der Untersuchung im
Hinblick auf die Dienstmädchen-Motivik darstellen, wobei immer wieder Vergleiche mit der
allgemein literarischen Untersuchung Eva Eßlingers zur Hausmädchen-Frage als Referenztext
gezogen werden.
39 Ebd.
40 Bsp.: Verfilmung El Niño Pez, Rabia; aktuell ­ wenn auch in abstrakter Weise ­ in Form von TV-
Serien/Telenovelas, wie bspw. Devious Maids.

15
III. Lucía Puenzos ,,El Niño Pez"
Im 2004 erschienen Roman El Niño Pez wird aus der Perspektiven des Hundes Srafín die
Liebesgeschichte von Lala und Guayi erzählt. Lala ist die Tochter des selbstmordgefährdeten
Schriftstellers Brontë und lebt mit ihm, ihrer Mutter und ihrem drogensüchtigen Bruder in
Buenos Aires, wo sie die aus Paraguay stammende Guayi als Hausmädchen bei sich
aufnehmen. Schnell verlieben sich Lala und Guayi in einander, doch zeitgleich beginnt auch
Brontë Interesse an Guayi zu zeigen, zumal seine Frau die Familie verlässt und nach Indien
durchbrennt. Als Lala ihn dabei attrappiert, wie er sich an Guayi vergeht, vergiftet sie ihn mit
einem Glas Milch. Kurz darauf flieht sie nach Paraguay in Guayis Herkunftsort, wo sie und
Guayi schon lange planen ein gemeinsames Haus an dem See zu bauen, wo Guayi zuvor
lebte. Zu diesem Zweck haben die beiden Mädchen im Laufe der Zeit verschiedene
Haushaltsgegenstände mit Hilfe eines befreundeten Drogendealers verkauft, um genügend
Geld für den Bau des Hauses sparen zu können. In Paraguay angekommen trifft Lala auf
Guayis Großvater und bleibt zunächst bei diesem. Dort erfährt sie, dass Guayi schwanger war,
bevor sie nach Buenos Aires kam, das Kind jedoch nicht überlebt hat und seither als das
berühmte Fischkind, als Mytay Pyra, im See lebt und dort Ertrunkene auf den Grund des
Selbigen führt. Während Lala in Paraguay auf Guayi wartet erfährt sie, dass diese für den
Mord an Brontë verhaftet wurde. Sie reist zurück nach Buenos Aires um ihr zu helfen, doch
Guayi weigert sich beharrlich und hat sich in ihr Schicksal ergeben; zudem wird sie im
Gefängnis bevorzugt behandelt, da sie sich regelmäßig von korrupten Polizisten auf
Privatpartys zusammen mit anderen Insassinnen als Prostituierte verkaufen lässt. Mit Hilfe
des befreundeten Drogendealers gelingt es Lala Guayi auf einer der Partys zu befreien, wobei
jedoch Lala und der treue Begleiter der Mädchen Serafín angeschossen werden. Nach einer
notdürftigen Behandlung beim Bruder des Drogendealers (ein Tierarzt) gelingt es den beiden
in einem Bus zusammen mit Serafín wieder nach Paraguay zu fliehen. Während der Fahrt
erzählt Guayi Lala zum ersten Mal die Geschichte des Mytay Pyra.
Auch in El Niño Pez ist die Figur des Hausmädchens sehr prägnant: Wie bereits konstatiert
stammt die Mehrheit der Hausmädchen (sowohl in der Realität, als auch die fiktiven
literarischen Hausmädchenfiguren) i.d.R. aus ärmlichen Verhältnissen und erhofft sich im
neuen Zuhause ein besseres Leben. So wuchs auch die aus dem paraguayanischen Dorf
Ypacaraí stammende Guayi in ärmlichen Verhältnissen bei ihrem Großvater auf; in ihrem
Heimatort ,,había hambre y falta de trabajo" (NP, S.35), mit gerade einmal 15 Jahren

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Erscheinungsjahr
2015
ISBN (eBook)
9783958209930
ISBN (Paperback)
9783958204935
Dateigröße
386 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Ruhr-Universität Bochum
Erscheinungsdatum
2015 (Oktober)
Note
1,3
Schlagworte
hausmädchen literatur lucia puenzos niño sergio bizzios rabia eine analyse
Produktsicherheit
BACHELOR + MASTER Publishing
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