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Organisationale Sozialisation: Eine Analyse empirischer Studien zu Einflussfaktoren und Methoden

©2007 Bachelorarbeit 63 Seiten

Zusammenfassung

Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, dem Leser ein einführendes Verständnis von organisationaler Sozialisation zu verschaffen und mit Hilfe der Analyse empirischer Studien zu einer Aussage zu gelangen, welche Faktoren erfolgreiche organisationale Sozialisation bestimmen.
Erfolgreiche organisationale Sozialisation ist für Organisationen von großer Bedeutung. Ein qualitativ hochwertig eingearbeiteter Mitarbeiter neigt weniger dazu, die Organisation bereits nach kurzer Zeit wieder zu verlassen als ein Mitarbeiter dem in der ersten Zeit der Organisationszugehörigkeit kaum Beachtung geschenkt wurde. Dies hilft dem Unternehmen, immer schwieriger zu rekrutierendes gutes Personal langfristig zu binden, hohe Fluktuationskosten zu vermeiden und ein gutes Firmenimage aufzubauen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis



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1. Einleitung
Der Wechsel des Arbeitsplatzes und der damit verbundene Eintritt in ein neues Unternehmen
oder in eine andere Abteilung sind oft mit einer großen Unsicherheit oder sogar Angstgefüh-
len verbunden. Dies gilt sowohl für den neuen Mitarbeiter, der einen durch neue Arbeitsinhal-
te, Arbeits- und Sozialbedingungen hervorgerufenen Eingliederungsstress verspürt (Becker,
2002), als auch für die aufnehmende Arbeitsgruppe, da der Neue zunächst einmal die gewach-
sene Gruppenstruktur stört. Laut Ridder (1999) wird bei der Einstellung neuer Mitarbeiter
dem Auswahlprozess zwar eine hohe Aufmerksamkeit geschenkt, die Eingliederung der neu-
en Mitarbeiter in das Unternehmen erfolgt aber meist unsystematisch. ,,Eingestellt und ver-
gessen!" Mit dieser Aussage charakterisiert Becker (2002) den Umgang vieler Unternehmen
mit ihren neuen Mitarbeitern.
Dies in Verbindung mit dem bereits erwähnten Eingliederungsstress führt zu einer hohen
Fluktuation innerhalb der ersten Monate des neuen Beschäftigungsverhältnisses. Laut Gott-
schall (1983) scheiden jedes Jahr bis zu 40 % von 6 Millionen neuen Mitarbeitern innerhalb
des ersten Jahres wieder aus. Jede dritte Führungskraft trennte sich noch innerhalb der Probe-
zeit vom neuen Unternehmen. Türk (1978), Mobley (1982), Farell & Peterson (1984) und
Fischer (1992) gehen von Fluktuationsraten zwischen 30 - 60 % innerhalb der ersten 6 - 12
Monate aus. Dies führt nicht nur zu psychischen Belastungen der Beteiligten, sondern auch zu
großen finanziellen Einbußen des Unternehmens. Die durch solche Frühfluktuationen entste-
henden Kosten können je nach Qualifizierungsgrad des Mitarbeiters schnell bis zu 100.000
und mehr betragen. Sie setzen sich laut Streim (1982) aus der Minderleistung des Mitarbei-
ters, der Anwerbung, Auswahl und Einstellung eines neuen Mitarbeiters sowie aus den Auf-
wendungen für dessen Einarbeitung zusammen. Somit lässt sich ableiten, dass es für Unter-
nehmen aus arbeitsorganisatorischen, monetären und auch aus Image - Gründen von großer
Bedeutung ist, eine strukturierte und möglichst erfolgreiche Einarbeitung neuer Mitarbeiter zu
gewährleisten.
Aus den bisher verwendeten Quellen lässt sich ableiten, dass die Thematik der Einarbeitung
neuer Mitarbeiter aktuell unter deutschen Wissenschaftlern nur eine untergeordnete Rolle
spielt. Seit 1990 gibt es kaum deutschsprachige Veröffentlichungen zu diesem Themenkom-
plex. Die vorhandene Literatur bezieht sich nahezu durchweg auf 20 bis 30 Jahre alte Quellen
und fasst diese in relativ kurzen inhaltlichen Abschnitten zusammen. Zudem existieren fast
keine bedeutenden deutschsprachigen empirischen Studien. Gleiches lässt sich über Theorien
und Modelle sagen.

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In der angloamerikanischen Literatur hingegen ist eine verbreitete Theorie vorhanden: Die
sechs zweidimensionalen Sozialisationstaktiken von Van Maanen & Schein (1979), deren
Wirkungen auf die Rollenorientierung und die Anpassung von Neulingen durch Jones (1986)
in einer Längsschnittstudie empirisch untersucht wurden. Zudem klassifizierte Jones die ein-
zelnen Strategien in institutionalisierte und individualisierte Taktiken der Eingliederung neuer
Mitarbeiter.
Darauf aufbauend existieren, im Gegensatz zum deutschsprachigen Raum, in der angloameri-
kanischen Psychologie aktuelle, empirische Studien die sich mit organisationaler Sozialisation
befassen. Der Großteil dieser Studien fundiert auf den von Van Maanen & Schein entwickel-
ten und durch Jones klassifizierten Sozialisationsstrategien. Der Schwerpunkt dieser empiri-
schen Studien liegt auf der Überprüfung der Auswirkungen unterschiedlicher Sozialisations-
taktiken, beeinflusst durch verschiedene Moderatoreffekte auf unterschiedliche abhängige
Variablen. Dieser Umstand hat zur Folge, dass viele Gestaltungs- und Einflussmöglichkeiten
im Rahmen der organisationalen Sozialisation aufgezeigt werden können. Andererseits stellt
bspw. die sinnvolle Klassifizierung und Abgrenzung dieser Studien auf Grund der Heteroge-
nität der untersuchten Variablen eine große Herausforderung dar. Der erste Einblick in diesen
Forschungsbereich gestaltet sich relativ unübersichtlich.
Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, im Anschluss an einige einführende Definitionen dem
Leser einen Überblick über die theoretischen Grundlagen zu verschaffen und die wichtigsten
Methoden organisationaler Sozialisation vorzustellen. Außerdem werden verschiedene aktuel-
le empirische Studien zur organisationalen Sozialisation klassifiziert und zusammenfassend
erläutert. Schließen wird die Arbeit mit einer Zusammenfassung der erzielten Ergebnisse und
dem Versuch diese dem Leser so darzustellen, dass es ihm möglich ist, praxisrelevante Hand-
lungsempfehlungen für die Gestaltung eines erfolgreichen organisationalen Sozialisationspro-
zesses abzuleiten. Außerdem soll ein Ausblick in die Zukunft dieses Forschungsbereiches
verbunden mit Anregungen für zukünftige Untersuchungen erfolgen.

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2.
Theoretische Grundlagen und Definitionen
Die Einarbeitung neuer Mitarbeiter lässt sich ganz allgemein als ein Sozialisationsprozess
bezeichnen. Wenn man den Vorgang genauer betrachtet handelt es sich um organisationale
Sozialisation. Die Definition und die nähere Auseinandersetzung mit diesen Begrifflichkeiten
stellt das Ziel dieses Abschnittes der vorliegenden Arbeit dar. Außerdem wird der Ablauf des
eigentlichen Sozialisationsprozesses innerhalb, aber auch außerhalb der Organisation theore-
tisch betrachtet und vorgestellt. Beispielhaft wird auf einige Modelle und Prozesse im Verlauf
dieses Kapitels näher eingegangen.
2.1. Sozialisation
Laut Windolf (1981) sind Sozialisationsprozesse Lernprozesse. Seinem Ansatz folgend unter-
scheiden sich Sozialisationsprozesse durch den Inhalt der vermittelt wird und durch den insti-
tutionellen Rahmen in dem gelernt wird von anderen Lernprozessen. Das theoretische Interes-
se gilt der Aneignung sozialer Strukturen und weniger der praktischen Beherrschung physika-
lischer Objekte. Somit ist jeder Sozialisationsprozess ein Lernprozess, nicht jeder Lernprozess
ist jedoch auch ein Sozialisationsprozess. Sozialisation an sich definiert Windolf (1981) als
den Lernprozess, in dem das Individuum ein inneres Modell der sozialen Realität mental re-
produziert und sein Handeln an diesem Modell orientiert. Daraus kann abgeleitet werden, dass
ein Individuum im idealtypischen Fall ein Verhalten beobachtet, es mental verarbeitet und im
Anschluss nachahmt.
Auch Sticher - Gil (1994) bezieht sich auf den Lernprozess der im Zusammenhang mit der
Sozialisation steht. Er definiert Sozialisation als einen lebenslangen Lernprozess, in dem der
Einzelne zum sozial handlungsfähigen und ,,verwertbaren" Subjekt gemacht wird, bzw. sich
selbst dazu entwickelt. Somit wird in dieser Definition zusätzlich herausgestellt, dass ein In-
dividuum Sozialisation nicht nur passiv über sich ergehen lassen muss, sondern auch aktiv
und gestaltend in den Prozess eingreifen kann.
Pressel zielt mit seiner Definition von Sozialisation darauf ab, dass im Zeitverlauf eine Ent-
wicklung weg von menschlichen Instinkten hin zu bewusstem Verhalten stattfindet: ,,Unter
Sozialisation verstehen wir den Prozess, während dessen der nur mit rudimentären Instinkten
geborene Mensch allmählich die Verhaltenssicherheit eines Erwachsenen erwirbt und dabei
psychisch wie sozial die Fähigkeit gewinnt, als Individuum zum arbeitsteiligen Reprodukti-

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onsprozeß der Gesellschaft beizutragen" (Pressel 1970, S. 124; zit. nach Bosetzky, 2002, S.6).
Zusätzlich befasst sich dieser Ansatz also mit dem Nutzen, der mit einem sozialisierten Men-
schen für den Fortbestand einer Gesellschaft verbunden ist.
Hurrelmann bezieht sich in seiner Definition von Sozialisation auf die externen und internen
Einflüsse, die während des Sozialisationsprozesses auf ein Individuum einwirken. Er charak-
terisiert Sozialisation als den ,,...Prozeß der Konstituierung der Persönlichkeit in wechselsei-
tiger Abhängigkeit von und in kontinuierlicher Auseinandersetzung mit der gesellschaftlich
vermittelten sozialen und dinglich -materiellen Umwelt einerseits und der biophysischen
Struktur des Organismus andererseits" (Hurrelmann, 1994, S. 15). Sozialisation ist demnach
ein lebenslanger komplexer Austausch- und Entwicklungsprozess eines Individuums mit sei-
ner Umwelt und seinen bio - psychischen Personenmerkmalen. Der Mensch wird also sowohl
extern durch seine Umwelt, als auch intern durch seine bio - psychischen Personenmerkmale
geprägt und beeinflusst. Er hat jedoch auch die Möglichkeit auf sie in einer interaktiven und
interdependenten Beziehung einzuwirken.
Die verschiedenen Ansätze betonen jeweils, dass die Sozialisation mit einer Entwicklung des
Menschen verbunden ist. Unterschiede zeigen sich dahingehend, inwieweit der Mensch auf
die eigene Sozialisation einwirkt und sie beeinflussen kann und welche externen Faktoren
Einfluss auf die Sozialisation eines Individuums haben.
2.2. Organisationale
Sozialisation
Nach der Begriffsbestimmung von Sozialisation wird nun speziell auf die organisationale So-
zialisation eingegangen. Laut Louis (1980) müssen Individuen die Organisationen beitreten,
lernen ihre neue Umgebung zu verstehen. Die Methode durch die dieses Verständnis für die
neuartige Umwelt entstehen soll ist die der organisationalen Sozialisation. Diese wird von
Feldman (1981, S.309) als ,,the process by which employees are transformed from organiza-
tion outsiders to participating and effective members" beschrieben. Unter organisationaler
Sozialisation wird laut dieser Definition also ein Prozess verstanden, der aus außenstehenden
Personen in einer Organisation effektiv arbeitende Mitarbeiter macht.
Detaillierter ist die Definition von Van Maanen & Schein (1979) formuliert, welche auch in
nahezu allen aktuellen Texten und empirischen Studien zur Thematik der Einarbeitung neuer
Mitarbeiter zitiert wird. Nach Van Maanen & Schein ist organisationale Sozialisation ,,...the
process by which individuals acquire the attitudes, behaviors, knowledge, and skills required

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to participate and function effectively as a member of an organization" (Van Maanen &
Schein, 1979, S.211). Auch hier wird als gewünschtes Ziel die effektive Partizipation des
neuen Mitglieds in der Organisation genannt. Anders als Feldman nennen Van Maanen und
Schein jedoch explizit einige Eigenschaften, die neue Organisationsmitglieder während des
Einarbeitungsprozesses erlangen sollen, um sich im Anschluss effektiv in der neuen Umge-
bung zurechtzufinden. Konkret handelt es sich hierbei um die Erlangung der verlangten Ein-
stellung bzw. Gesinnung, des angemessenen Verhaltens, des benötigten Wissens und weiterer
nicht näher spezifizierter Fähigkeiten. Dem Mitarbeiter soll also während seines Sozialisati-
onsprozesses in der Organisation, der er neu beigetreten ist, das zur effektiven Erfüllung sei-
ner Aufgaben benötigte Rüstzeug an die Hand gegeben werden.
Die Notwendigkeit einer angemessenen organisationalen Sozialisation stellen Saks & Ashfort
(1997a) heraus, indem sie betonen, dass die Art und Weise mit der Organisationen ihre neuen
Mitglieder sozialisieren ausschlaggebend dafür ist, wie erfolgreich die Sozialisation der neuen
Mitarbeiter verläuft und wie gut sich diese an die neue Organisation anzupassen vermögen.
2.3. Verschiedene Perspektiven organisationaler Sozialisation
Wie bereits erwähnt fällt auf, dass sich die Veröffentlichungen zum Forschungsgebiet der
organisationalen Sozialisation kaum auf in sich geschlossene und überprüfte Theorien bezie-
hen. Dies liegt daran, dass nur eine weltweit anerkannte Theorie existiert, auf der die For-
schung zur organisationalen Sozialisation strukturiert aufbauen könnte: Die sechs Sozialisati-
onsdimensionen von Van Maanen & Schein (1979). Dieser Umstand führt dazu, dass die ein-
zelnen Forschungsarbeiten oftmals relativ unverbunden nebeneinander stehen und sich kaum
klassifizieren und miteinander vergleichen lassen. Trotz dieser Heterogenität des Forschungs-
feldes kann die entsprechende Literatur in drei Forschungsperspektiven unterteilt werden.
Organisationale Sozialisation kann aus der Perspektive aufeinander folgender Phasen (bspw.
Kieser, 1990) und aus der Perspektive bestimmter Sozialisationsstrategien (Van Maanen &
Schein, 1979) betrachtet werden. Weiterhin kommt in jüngerer Zeit ein Ansatz auf, der die
organisationale Sozialisation aus der individuellen Perspektive betrachtet (Morrison, 1993a
und 1993b). Sie stellt den neuen Mitarbeiter und seinen Einfluss auf die eigene Einarbeitung
in den Mittelpunkt des Interesses.
An dieser Stelle der Arbeit werden jedoch zunächst die Perspektiven aufeinander folgender
Phasen und angewandter Sozialisationsstrategien näher beschrieben, da hierzu entsprechende

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theoretische Modelle vorliegen. Aber auch die Perspektive der individuellen Betrachtung wird
im Hauptteil dieser Arbeit Berücksichtigung finden.
Der inhaltliche Schwerpunkt dieser Arbeit liegt auf der Perspektive bestimmter Sozialisati-
onsstrategien. Diese beruht wiederum auf der Theorie der sechs bipolaren Dimensionen ver-
schiedener Sozialisationstaktiken von Van Maanen & Schein (1979), welche den Ausgangs-
punkt für nahezu alle aktuellen empirischen Studien zur organisationalen Sozialisation dar-
stellt. Auf diese Studien wird im Hauptteil näher eingegangen.
2.3.1. Organisationale Sozialisation aus der Perspektive aufeinander folgender Phasen
Bei diesem Ansatz organisationaler Sozialisation, unterscheiden die Autoren meist drei oder
vier aufeinander folgende Phasen. Da die Bezeichnung der unterschiedlichen Phasen zwi-
schen den einzelnen Forschern stark variiert und die Übersetzung englischer Begriffe in die
deutsche Sprache oft mit Verlusten der Aussagekraft einhergeht, schlägt Rehn (1990) zur
Vereinheitlichung vor, den Sozialisationsprozess in die Phasen der Vorbereitung, der Organi-
sation und der Bewältigung zu unterteilen. Unter der Vorbereitungsphase versteht Rehn die
gedankliche Vorwegnahme der künftigen Situation. Mit Orientierung ist das Zurechtfinden zu
Beginn der Zeit in der neuen Organisation gemeint und in der Phase der Bewältigung wird
gelernt, mit den Konflikten aus der Einarbeitungszeit umzugehen und sie zu bewältigen. Ex-
emplarisch für die verschiedenen Phasenmodelle wird an dieser Stelle der Ansatz zur Einar-
beitung neuer Mitarbeiter von Kieser (1990) detaillierter vorgestellt. Kieser hat den Eingliede-
rungsprozess in vier Phasen unterteilt (vgl. Abb. 1).

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Abb. 1: Verlauf des Eingliederungsprozesses nach Kieser (1990)
Die erste Phase ist die der antizipatorischen Sozialisation, welche besagt, dass die neu in die
Organisation eintretenden Mitarbeiter bis zu diesem Zeitpunkt bereits verschiedene Sozialisa-
tionsprozesse durchlaufen haben. Beispielhaft zu nennen sind hier das Elternhaus, der Kin-
dergarten und die Schule. Das bedeutet, dass durch die Vermittlung grundlegender Eigen-
schaften wie bspw. Ordnung, Fleiß und Pünktlichkeit wichtige Grundlagen für das spätere
Auswahl eines Stellenangebotes
Bewerbergespräch
Wichtig: realistische Informationen
Entscheidung für eine Stelle
Wichtig: möglichst Freiwillig
Phase 1: Antizipatorische Sozialisation
Bisherige berufliche und vorberufliche Erfahrungen
Phase 2: Konfrontation
Wichtig:
· Vermeiden des Realitätsschocks
· Angemessenes Vorgesetztenverhalten, Orientierungshilfen, keine de-
struktiven Strategien
· Positive Arbeitsatmosphäre in der Gruppe
· Intensive und konsistente Unternehmenskultur
Phase 3: Einarbeitung
Wichtig:
· Klare Rollenvorgaben
· Vermeiden bzw. Lösen von Rollenkonflikten
Phase 4: Integration
Wichtig:
· Innere Bindung an das Unternehmen muss bestehen

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Arbeitsleben gelegt wurden. Auch die Imitation von Rollenmodellen gehört zur Phase der
antizipatorischen Sozialisation. Studenten der Rechtwissenschaft, die sich abschauen wie sich
ein Richter verhält oder bewegt sind ein Beispiel für diesen Effekt. Des Weiteren gibt es viele
Mitarbeiter die nicht erstmalig in eine neue Organisation eintreten. Diesbezüglich lässt sich
laut Kieser (1990) feststellen, dass der Prozess der Eingliederung umso komplikationsloser
funktioniert, je mehr spezifisches, fachbezogenes Wissen sowie allgemeine Kenntnisse der
neue Mitarbeiter in seiner Ausbildung und seiner bisherigen Berufserfahrung bereits gewon-
nen hat. Zusätzlich wird dem neuen Organisationsmitglied die Eingliederung leichter fallen,
wenn die generellen berufsbezogenen Normen und Verhaltensweisen der neuen Organisation
denen der alten Organisation ähnlich sind. Von Bedeutung für den Eingliederungsprozess ist
in der ersten Phase zudem noch, ob die Auswahl eines Stellenangebotes und die Entscheidung
für eine bestimmte Stelle aus freier Entscheidung heraus getroffen werden konnte. Wenn ein
Bewerber keine große Auswahl an Angeboten hatte, er praktisch zur Annahme dieser Stelle
gezwungen war, ist davon auszugehen, dass dies einerseits schlechten Einfluss auf seine Mo-
tivation hat, er andererseits aber trotz möglicher Unzufriedenheit aus existenziellen Gründen
in der neuen Organisation verbleiben wird.
Nach Kieser (1990) ist es in der ersten Phase des Einarbeitungsprozesses zusätzlich von gro-
ßer Bedeutung, dass beide Parteien während des Bewerbungsgespräches realistische Informa-
tionen austauschen. Dies ist jedoch oft nicht der Fall, da beide Parteien versuchen, sich mög-
lichst positiv darzustellen. Somit wird ein verzerrtes Bild der Realität vermittelt, welches auf
Seiten des Arbeitnehmers beim Eintritt in die Organisation zu einer Art Realitätsschock führt.
Rehn (1990) und Kieser (1990) kommen zu dem Schluss, dass viele neue Mitarbeiter kündi-
gen, weil ihre Erwartungen enttäuscht wurden. Verschiedene Untersuchungen wie von Wa-
nous (1980) oder Jablin (1984) haben gezeigt, dass realistischere Rekrutierungsprozesse diese
Enttäuschung von Erwartungen verhindern können. Dies ist auch für das Unternehmen mit
signifikanten Vorteilen verbunden, da auf diesem Wege die Fluktuation neuer Mitarbeiter
verringert werden kann und somit erhebliche Kosten einer erneuten Mitarbeiterrekrutierung
eingespart werden können.
Die zweite Phase des Eingliederungsprozesses nach Kieser (1990) ist die der Konfrontation.
Diese Phase ist durch das Auftreten von Überraschungen, durch Konfrontation bzw. Ausei-
nandersetzung mit dem neuen Vorgesetzten und der neuen Arbeitsgruppe, sowie mit der
Vermittlung neuer Werte und durch die Gestaltung der eigentlichen Einarbeitung gekenn-
zeichnet. Kieser nennt zuerst fünf mögliche Arten von Überraschungen.

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Die erste mögliche Überraschung ist die, dass konkrete Erwartungen des Mitarbeiters nicht
erfüllt werden. Sie tritt auf, wenn sich bspw. das Betriebsklima oder die Arbeitsaufgabe an-
ders als erwartet darstellt.
Die zweite Form der Überraschung besteht darin, dass dem Mitarbeiter durch die Ausübung
der neuen Aufgabe bewusst wird, dass er sich bewusst oder unbewusst falsch eingeschätzt hat.
Ein Beispiel wäre ein Mitarbeiter, der sich auf eine Stelle beworben hat, die ein hohes Maß an
Bereitschaft zur Teamarbeit verlangt und dann feststellt, dass er mit dieser Form der Arbeits-
organisation nicht gut zu recht kommt.
Wenn Arbeitsbedingungen, denen eine geringe Bedeutung zugemessen wurde plötzlich eine
große Bedeutung erlangen, ist dies die dritte Form einer möglichen Überraschung. Ein Mitar-
beiter der sich auf eine Stelle im Außendienst beworben hat, stellt bspw. fest, dass ihn der
ständige Aufenthalt im Auto physisch und psychisch stark belastet. Die Problematik war ihm
vor Antritt der neuen Stelle nicht bewusst.
Viertens kann eine Überraschung in dem Zusammengang auftreten, dass der Mitarbeiter Ent-
wicklungen zwar konkret vorausgesagt hat, nicht aber was sie emotional in seiner Person aus-
lösen. Diese Überraschung lässt sich veranschaulichen, wenn dem Mitarbeiter im Außen-
dienst bewusst war, dass er einem hohen Zielerreichungsdruck unterliegen wird, nicht aber
wie schlecht er sich auf Grund dieses Umstandes fühlen würde.
Die fünfte und letzte Form der Überraschung lässt sich als Kulturschock charakterisieren. Der
Mitarbeiter ist davon ausgegangen, dass die Normen und Werte die bislang für ihn galten
auch in der neuen Organisation Bestand haben werden. Dem ist aber nicht so. Laut Kieser
führen viele dieser Überraschungen zu einem Realitäts- oder Kulturschock. Wenn im Prozess
der Eingliederung zu viele dieser Überraschung auftreten, lassen sie sich auch durch die be-
reits oben vorgestellte realistische Rekrutierung nicht mehr entscheidend abmildern.
Der zweite Bestandteil der Konfrontationsphase ist die Interaktion mit dem neuen Vorgeset-
zen. Hier kommt den Strategien, die der Vorgesetzte zur Einarbeitung des neuen Mitarbeiters
verwendet, große Bedeutung zu. Drei typische Strategien die Vorgesetzte zur organisationalen
Sozialisation neuer Mitarbeiter verwenden, werden an dieser Stelle näher erläutert. Die Wirf ­
ins ­ kalte ­ Wasser - Strategie ist weit verbreitet und bedeutet, dass ein neuer Mitarbeiter
sehr wenig Unterstützung und zugleich auch wenig Feedback von seinem Vorgesetzten erhält.
Dies kann für den Mitarbeiter zu einem negativen Erleben der Konfrontationsphase führen.
Ein Problem dieser Strategie ist, dass das Urteil, welches sich der Vorgesetzte nach einer ge-
wissen Zeit von seinem Mitarbeiter bildet, stark vom Zufall abhängig ist. Erste Misserfolge
des Neulings können zur Bildung von Vorurteilen über ihn führen und der Vorgesetzte betraut

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ihn nur noch mit kaum zu lösenden Aufgaben. Oft bestätigt sich sein Vorurteil dann zwangs-
läufig. Andererseits besteht die Möglichkeit, dass der neue Mitarbeiter eine schwere Aufgabe
zu Beginn zufällig richtig löst und sein Vorgesetzter daraufhin zu seinem Förderer wird. Die-
se frühe und zufällige Weichenstellung der Entwicklung eines neuen Mitarbeiters ist bei die-
ser Strategie kritisch zu sehen.
Eine Steigerung der Wirf ­ ins ­ kalte ­ Wasser - Strategie ist in der Entwurzelungs-strategie
zu sehen. Hier versucht der Vorgesetzte neue Organisationsmitglieder fundamental zu verun-
sichern, indem er Ihnen bspw. unlösbare Aufgaben stellt und den Neuen das Gefühl vermit-
telt, grundsätzlich alles falsch zu machen. Selbstredend führt diese Strategie zu einer Schwä-
chung der Motivation und des Selbstbewusstseins der neuen Mitarbeiter. Der Vorteil im Ver-
gleich zur Wirf ­ ins ­ kalte ­ Wasser - Strategie ist jedoch, dass hier gewöhnlich alle Mitar-
beiter gleicher-maßen scheitern. Ein typisches Anwendungsfeld für diese Strategie sind auto-
ritäre Organisationen wie z.B. das Militär.
Die dritte Strategie, die vorgestellt werden soll ist das komplette Gegenteil der Entwurze-
lungsstrategie. Hierbei handelt es sich um die Schon - Strategie welche sich dadurch aus-
zeichnet, dass ein neuer Mitarbeiter zunächst sehr einfache Aufgaben und viel Zeit zu deren
Erledigung erhält. Er wird in seiner ersten Zeit in der neuen Organisation vorwiegend in Ruhe
gelassen. Doch auch durch die Anwendung dieser Strategie kann das Organisationsmitglied
weder Selbstvertrauen auf- noch Ungewissheit abbauen.
Als ideal wird laut Kieser (1990) eine Strategie angesehen, in der der Vorgesetzte die Aufga-
ben so dosiert, dass der neue Mitarbeiter quantitativ und qualitativ gerade nicht oder nur kurz-
zeitig überfordert ist. An solch einer Herausforderung entwickeln sich neue Mitarbeiter mit
der größten Wahrscheinlichkeit zum so genannten kreativen Individualisten, welcher in der
Literatur als das ideale Ergebnis des Einarbeitungsprozesses angesehen wird (Becker, 2002).
Ein weiterer Prozess im Verlauf der Konfrontationsphase ist die Auseinandersetzung mit der
Arbeitsgruppe in die man eintritt. Diese Arbeitsgruppe kann dem neuen Mitarbeiter viel Hil-
festellung in Bezug auf die Bereitstellung verschiedenster relevanter Informationen bieten.
Außerdem befriedigt sie unter Umständen das Bedürfnis nach sozialen Kontakten und Aner-
kennung. Generell lässt sich sagen, dass die Integration in eine Arbeitsgruppe durch einen
ausgeprägten Gemeinschaftssinn der Gruppe unterstützt wird. Ist die Gruppe allerdings sehr
verschworen kann dies zunächst auch hinderlich sein, da jeder Neue auch eine potentielle
Bedrohung darstellt. Zudem existieren in einer solchen Gruppe viele Selbstverständlichkeiten,
implizite Normen und Werte, die für den neuen Mitarbeiter nicht immer leicht zu entschlüs-
seln sind (Berthel, 2000).

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Die Auseinandersetzung mit den Werten einer Organisation ist zusätzlicher Bestandteil der
Konfrontationsphase. In vielen Organisationen existieren Werte, die oftmals durch Rituale
und Symbole repräsentiert werden. Zusammenfassend wird von Organisationskultur gespro-
chen. Werte, Symbole und Rituale können die Einarbeitung neuer Mitarbeiter dahingehend
beeinflussen, dass diese das Gefühl vermittelt bekommen, für ein ganz besonderes Unterneh-
men tätig zu sein. Gleichzeitig bieten Werte auch Orientierung, die neue Mitarbeiter oftmals
in der ersten Zeit nach ihrem Eintritt in die fremde Organisation vermissen.
An die soeben geschilderte Phase der Konfrontationsphase schließt sich die eigentliche Ein-
arbeitungsphase an. Vereinfacht kann gesagt werden, dass der Mitarbeiter in der Einarbei-
tungsphase Lösungen für die Probleme, mit denen er sich in der Konfrontationsphase ausein-
ander gesetzt sah, finden muss. Bevor er jedoch Lösungsstrategien für die aufgetretenen Prob-
leme entwickeln kann, muss er zunächst entschlüsseln welche Aufgaben und Anforderungen
mit seiner neuen Stelle verbunden sind. Dies wird bspw. einer Führungskraft mit zunächst
unklarer Aufgabenbeschreibung schwerer fallen als einer Reinigungskraft, der die Pflege und
Reinigung eines bestimmten Gebäudeteils übertragen wurde. Wenn also zu wenige Informati-
onen vorliegen um die Anforderungen der Stelle eindeutig identifizieren zu können, wird in
der Soziologie von Rollenambiguität gesprochen. Rollenambiguität führt häufig dazu, dass
der Einarbeitungsprozess negativ beeinträchtigt wird oder sogar scheitert. Abgesehen von der
Rollenambiguität können in der Einarbeitungsphase noch weitere Rollenkonflikte wie z.B.
Intersenderkonflikte oder Rollenkonflikte mit externen Anforderungen auftreten. Unter einem
Intersenderkonflikt wird verstanden, dass verschiedene Personen wie Vorgesetze und Kolle-
gen verschiedene Anforderungen an den neuen Mitarbeiter stellen, welche jedoch nicht mit-
einander vereinbar sind. Konflikte mit externen Anforderungen können entstehen, wenn An-
forderungen des privaten Umfeldes wie Familie oder politisches Engagement mit den Anfor-
derungen des Unternehmens kollidieren. Für jeden dieser Rollenkonflikte ist es wichtig, dass
der Mitarbeiter die an ihn gerichteten Anforderungen richtig entschlüsselt und Lösungsstrate-
gien zur Bewältigung der verschiedenen Konflikte entwickelt.
Nachdem die Probleme und Konflikte der Konfrontations- und Einarbeitungsphase erfolg-
reich bewältigt wurden, geht der Mitarbeiter in das Stadium der Integration über. Im Idealfall
ist zwischen dem Unternehmen und dem neuen Mitarbeiter eine innere Bindung entstanden.
In der angloamerikanischen Literatur wird von Commitment gesprochen. Innere Bindung ist
gemäß verschiedener Studien (Porter et al 1987, Bateman und Strasser, 1984.) von großer
Bedeutung für einen erfolgreichen Einarbeitungsprozess. Sie setzt einen sich selbst verstär-

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kenden Kreislauf in Gang. Innere Bindung an ein Unternehmen sorgt für engagiertes Verhal-
ten im Sinne des Unternehmens und dieses engagierte Verhalten wiederum verstärkt das
Commitment gegenüber dem Unternehmen zusätzlich. Daraus folgt, dass eine anfängliche
Bindung an das Unternehmen von nicht zu unterschätzendem Wert ist.
Wodurch entsteht jedoch diese anfängliche Bindung? Wichtige Einflussfaktoren diesbezüg-
lich sind bspw. das Ausmaß an Freiwilligkeit, mit der die neue Stelle angetreten wurde, die
realistische Rekrutierung des Bewerbers, das Ansehen des Unternehmens in der Öffentlichkeit
und auch die Persönlichkeit des neuen Organisationsmitglieds. Diese anfängliche Bindung an
das Unternehmen wird dann im Verlauf der Einarbeitung u. a. durch das Verhalten des Vor-
gesetzten und der Arbeitsgruppe, durch evtl. auftretende Rollenkonflikte, und durch die Un-
ternehmenskultur sowohl positiv als auch negativ beeinflusst.
Das Produkt dieser verschiedenen Stadien des Einarbeitungsprozesses aus der Perspektive
aufeinander folgender Phasen ist die Bindung, die zwischen dem Unternehmen und dem neu-
en Mitarbeiter am Ende der Einarbeitung besteht. Kieser (1990) charakterisiert eine erfolgrei-
che Einarbeitung dahingehend, dass der neue Mitarbeiter im Verlauf des Einarbeitungsprozes-
ses eine starke Bindung an das Unternehmen entwickelt hat, seine zentralen Aufgaben ver-
steht, Motivation einbringt und als kreativer Mitarbeiter an stetigen Verbesserungen interes-
siert bleibt.
2.3.2. Organisationale Sozialisation aus der Perspektive bestimmter
Sozialisationsstrategien
In diesem Abschnitt werden die von Van Maanen Schein (1979) entwickelten sechs bipo-
laren Sozialisationsstrategien näher erläutert. Dies ist zugleich eine Hinführung zum Haupt-
teil dieser Arbeit, in dem eine Auswahl empirischer Studien zur organisationalen Sozialisation
beschrieben und analysiert wird. Der Großteil dieser Studien beruht auf der Theorie der sechs
von Van Maanen Schein (1979) publizierten Sozialisationsstrategien (vgl. Abb. 2).

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2007
ISBN (PDF)
9783958209787
ISBN (Paperback)
9783958204782
Dateigröße
805 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Paderborn – Betriebswirtschaft
Erscheinungsdatum
2016 (Januar)
Note
1,0
Schlagworte
Sozialisationsstrategie Längsschnittdesign Querschnittdesign Mentoring Trainee
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