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Die Rolle der Flugsicherheitsbegleiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR

Der Einsatz des Ministeriums für Staatssicherheit auf den Linien der Interflug

©2015 Masterarbeit 117 Seiten

Zusammenfassung

Die vorliegende Arbeit umfasst Ausführungen zur Gründung, den Organisationsstrukturen und den Aufgaben der Flugsicherheitsbegleiter des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen DDR. In diesem Zusammenhang ergibt sich die Frage, ob deren Einsatz ein Mittel der Terrorbekämpfung oder der Verhinderung der Republikflucht war. Dabei ist es unerlässlich, Aufgaben und Kompetenzen der Flugsicherheitsbegleiter sowie deren festgelegte, konspirative Vorgehensweise näher zu betrachten. Die Erörterung der Fragestellung bedingt weiterhin eine Darstellung der politischen Entwicklungslinien in der DDR, die Betrachtung der Flucht- und Ausreisebewegungen sowie die Analyse des Terrorismusbegriffs in Ostdeutschland, um die Ziele des Einsatzes der Flugsicherheitsbegleiter einer objektiven Betrachtung zu unterziehen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Die Rolle der Flugsicherheitsbegleiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR
2
IWTE
Institut für wissenschaftliche-technische Entwicklungen
MfS
Ministerium für Staatssicherheit
IL
Iljuschin
IM
Inoffizieller Mitarbeiter
ITU
Institut für technische Untersuchung
JHS
Juristische Hochschule
LSK
Luftstreitkräfte
LV
Luftverteidigung
NATO
North Atlantic Treaty Organization
NSW
Nicht-Sozialistische Wirtschaftsgebiet
NVA
Nationale Volksarmee
OpD
Operativer Diensthabender
OZ GD
Operatives Zusammenwirken Grenzdienst
PKE
Passkontrolleinheit
PS
Personenschutz
POS
Polytechnische Oberschule
RAF
Rote Armee Fraktion
RS
Rechenstelle
SED
Sozialistische Einheitspartei Deutschlands
Sekr.
Sekretariat
SHB
Spezialhochbau
TU
Tupolew
UDSSR
Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken
UvD
Unteroffizier vom Dienst
UVR
Ungarische Volksrepublik
VEB
Volkseigener Betrieb
VP
Volkspolizei
VR
Volksrepublik
VRB
Volksrepublik Bulgarien
VRP
Volksrepublik Polen
VVS
Vertrauliche Verschlusssache
VW
Volkwagen

Die Rolle der Flugsicherheitsbegleiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR
3
WB
Westberlin
WR
Wachregiment
ZAIG
Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe
ZKG
Zentrale Koordinierungsgruppe
ZMD
Zentraler Medizinischer Dienst
ZOS
Zentraler Operativstab
ZSK
Zentrale Spezifische Kräfte

Die Rolle der Flugsicherheitsbegleiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR
4
Inhaltsverzeichnis
1.
Einführung in das Thema ... 7
1.1. Gegenstand, Problemstellung und Ziel der Arbeit ... 8
1.2. Vorgehensweise und Struktur der Arbeit ... 9
2.
Innen- und Außenpolitische Entwicklungen in der DDR ... 11
2.1. Terrorismus in der DDR ... 13
2.2. Flucht und Ausreisebewegungen ... 17
2.3. Terrorismusbekämpfung oder Verhinderung der Republikflucht? ... 20
3.
Entwicklung und Bildung eines Flugsicherungskommandos ... 24
4.
Führungs- und Organisationsstruktur des Flugsicherungskommandos ... 27
5.
Gesetzliche Grundlagen für den Einsatz des Flugsicherungskommandos ... 29
6.
Personelle und sachliche Ausstattung des Flugsicherheitskommandos ... 32
6.1. Anforderungsprofil ... 32
6.2. Personalausstattung ... 33
6.3. Personalbedarf PKE Schönefeld ... 34
6.4. Personalgewinnung ... 35
6.5. Ausrüstung und Bewaffnung der Mitarbeiter ... 35
6.6. Legendierung der Flugsicherheitsbegleiter ... 36
6.7. Operativ-Geld ... 37
6.8. Stationierung des Flugsicherungskommandos ... 38
6.9. Aus- und Fortbildung ... 38
7.
Arbeitsweise der Flugsicherheitsbegleiter ... 41
7.1. Sicherungsaufgaben auf den Flughäfen sowie Flugplätzen der Interflug
sowie der Gesellschaft für Sport und Technik ... 41
7.2. Aufgaben des Flugsicherungskommandos ... 41
7.3. Aufgaben des Leiters der AGM/S ... 41
7.4. Sicherungsaufgaben und Verhalten der Flugsicherheitsbegleiter ... 42
7.4.1.
Konspiratives Verhalten und Legendierung ... 42
7.4.2.
Aufgaben der Flugsicherheitsbegleiter ... 43
7.4.3.
Aufgaben des Leiters der Flugsicherheitsgruppe ... 43

Die Rolle der Flugsicherheitsbegleiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR
5
7.4.4.
Vorbereitung der Flugsicherheitsbegleiter auf ihren Einsatz ... 44
7.4.5.
Sitzordnung an Bord eines Luftfahrzeuges ... 45
7.4.6.
Maßnahmen während des Fluges ... 45
7.4.7.
Beendigung des Einsatzes der Flugsicherheitsbegleiter ... 46
7.4.8.
Aufgaben und Befugnisse des Kommandanten von Luftfahrzeugen
im Zusammenwirken mit dem Flugsicherheitsbegleitkommando ... 47
8.
Anweisung an die Flugsicherheitsbegleiter zur Bekämpfung
rechtswidriger Handlungen ... 49
8.1. Anhalte für das Handeln der Flugsicherheitsgruppe zur Verhinderung und
Bekämpfung rechtswidriger Handlungen ... 50
8.2.
Handeln der Flugsicherheitsbegleiter bei körperlichen Angriffen oder bei Angriffen
mit Waffen ... 51
8.3.
Handeln der Flugsicherheitsbegleiter bei der Androhung von gewalt mit Sprengmitteln ... 51
8.4.
Handeln der flugsicherheitsbegleiter bei Androhung mit versteckten oder
nicht erkennbaren Sprengmitteln ... 52
8.5.
Handeln der Flugsicherheitsgegleiter bei Angriffen auf das Luftfahrzeug
während der Start- und Landephase ... 52
8.6.
Anhalte für das Handeln der Flugsicherheitsbegleiter nach der Überwältigung der Täter ... 53
9.
Szenariobildung bei einer Entführung ... 54
9.1. Flugzeugentführungen in nichtsozialistische Länder ... 54
9.2. Gewaltanwendungen gegen Passagiere oder das Flugpersonal durch Terroristen ... 55
9.3. Geiselnahme von Passagieren oder des Flugpersonals ... 56
9.4. Bedrohungssituationen mit Sprengsätzen, Schusswaffen oder Handgranaten... 56
9.5. Einsatz von Technik, Mitteln und Geräten zur Täuschung im Fall einer Entführung
eines Luftfahrzeuges ... 57
9.6. Begeleitende Sicherungsmassnahmen durch die Nationale Volksarmee ... 59
9.7. Maßnahmen des Flugsicherungsdienstes bei Entführungen ... 60
9.8. Einsatz der zentralen spezifischen Einsatzkräfte ... 60
9.9. Informationsaustausch und Zusammenarbeit mit den Hauptabteilungen VI, XIX
und der Abteilung X ... 61
10.
Fortführung der Aufgaben des Flugsicherheitskommandos nach dem
09. November 1989 ... 64
11.
Schlussbetrachtung ... 65


Die Rolle der Flugsicherheitsbegleiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR
7
1. EINFÜHRUNG IN DAS THEMA
Die Sicherheit im Luftverkehr fokussierte sich in ihren Anfängen nahezu ausschließlich
darauf, die besonderen Gefahren im Zusammenhang mit dem Fliegen abzuwenden. Mit
Beginn der ersten Flugzeugentführung im Jahr 1931 begann sich ein Bewusstsein zu ent-
wickeln, dass auch Luftfahrzeuge vor Angriffen oder Entführungen zu schützen sind. Die
Fallzahlen waren jedoch im Verhältnis zu den zurück gelegten Flugkilometern sehr gering,
weshalb diese Gefahren zunächst bei den Sicherheitsmaßnahmen unberücksichtigt blie-
ben. Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre stiegen die Angriffe auf Luftfahr-
zeuge an und veranlassten weltweit die Luftfahrt- und Sicherheitsbehörden, verstärkte
Sicherheitsmaßnahmen auf den Flughäfen zu treffen.
1
Die seinerzeit eingeführten Perso-
nen- und Gepäckkontrollen konnten einen Rückgang der Angriffe auf den Luftverkehr
bewirken. Die damaligen Überlegungen waren alle präventiven Maßnahmen am Boden
vor dem Flug zu treffen, um damit ein Höchstmaß an Sicherheit an Bord von Luftfahrzeu-
gen zu erzielen.
Die in der DDR eingeführten Maßnahmen orientierten sich oftmals an den Maßnahmen
und Vorgehensweisen der westlichen Staaten, deren Sicherungsmechanismen im Vorfeld
durch die Staatssicherheit aufgeklärt und ausgewertet wurden. Einer Zusammenstellung
des Ministeriums für Staatssicherheit aus dem Jahr 1970, welche die Problematik im Zu-
sammenhang mit Flugzeugentführungen darstellt, erläutert auch die getroffenen perso-
nellen Maßnahmen zur Absicherung des Flugverkehrs in nichtsozialistischen Staaten. Bei-
spielsweise beschreibt das MfS das ,,Anti-Entführungssystem einer US-Fluggesellschaft",
welches ,,[...] inkognito reisende Sicherheitsbeamte umfasst, die auf bestimmten Maschi-
nen mitfliegen. Beamte des Bundesjustizministeriums und des Bodenpersonals der Flugge-
sellschaften wurden unter dem Aspekt ausgebildet, Luftpiraten an ihren Verhaltensweisen
zu erkennen."
2
Auf Interesse stießen beim MfS auch technische Neuerungen in der Perso-
nen- und Gepäckkontrolle am Flughafen Berlin-Tegel. In einem vorbereitenden Sitzungs-
papier für die Arbeitsgruppe ,,Sicherheit zivile Luftfahrt der DDR" am 23.08.1988 wird aus-
geführt, ,,Sicherheitskräfte in Berlin-Tegel haben beispielsweise im Rahmen eines Geräte-
versuchs ein Röntgengerät neben dem üblichen Schwarz-Weiß-Monitor mit einem zusätz-
lichen Farbmonitor ausgestattet. Damit wird ein besseres Erkennen und Zuordnen in Ge-
päckstücken befindliche Gegenstände und somit eine Gefahrenreduzierung erreicht."
3
Dem MfS lagen auch als ,,geheim" eingestufte Unterlagen der westdeutschen Sicherheits-
behörden, wie beispielsweise der ,,Rahmenplan zur Abwehr äußerer Gefahren für die Si-
cherheit des Luftverkehrs"
4
des damaligen Bundesgrenzschutzes vor.
Der Einsatz von Flugsicherheitsbegleitern war bis zu den Terroranschlägen vom 11. Sep-
tember 2001 kein breit in der Öffentlichkeit diskutiertes Thema, obwohl deren Existenz
keine neue Errungenschaft darstellte. Richter führt hierzu aus, dass die USA bereits seit
1968 auf der Grundlage des ,,Federal Aviation Administration`s (FAA) Sky Marshal Pro-
gram"
5
Luftsicherheitsbegleiter an Bord von US-amerikanischen Luftfahrzeugen einsetzt.
1
BStU, MfS ­ HA XXII Nr. 5580/6, Bl. 267
2
BStU, MfS ­ HA IX Nr. 10387, Bl. 208
3
BStU, MfS ­ HA XXII Nr. 337, Bl. 125
4
vgl. BStU, MfS ­ HA XXII. Nr. 337, Bl. 281
5
vgl. Rothe (2008), S. 72

Die Rolle der Flugsicherheitsbegleiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR
8
Allerdings erfolgte dies nicht flächendeckend, sondern insbesondere auf sogenannten
,,high-risk-Flügen" und auf internationalen Flügen mit besonderen Umständen. Weiterhin
ist bekannt, dass auch die schweizerischen und israelischen Sicherheitsbehörden seit
Jahrzehnten die Sicherheit an Bord von Luftfahrzeugen durch den Einsatz von Flugsicher-
heitsbegleitern erhöhen.
6
Die Schweiz differenziert zwischen Sicherheitsbeauftragten
(sogenannten Foxes) und Flugsicherheitsbegleitern (sogenannten Tigers). Die bewaffne-
ten Flugsicherheitsbegleiter arbeiten ausschließlich auf schweizerischem Hoheitsgebiet,
während die Foxes auf ausländischen Flughäfen in Uniform der Fluggesellschaften einge-
setzt werden.
7
In der Literatur sind einige Ausführungen zu finden, die auf eine Existenz der Flugsicher-
begleiter und deren Einsatz durch das Ministerium für Staatssicherheit hinweisen. Aller-
dings sind bislang die genauen Hintergründe, Ziele und Einsatzkonzeptionen der Flugsi-
cherheitsbegleiter nicht untersucht worden. Richter führt hierzu aus, dass bereits die DDR
auf ausgewählten Linien der Luftfahrtgesellschaft an Bord der Luftfahrzeuge der Interflug
Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit als Flugsicherheitsbegleiter einsetzte.
8
Der Einsatz erfolgte allerdings nach Aussage von Richter vorrangig mit dem Ziel der Ver-
hinderung der Republikflucht. In diesem Zusammenhang ist jedoch zu beachten, dass die
Republikflucht in der Regel nur durch die Entführung eines Luftfahrzeuges und der damit
einhergehenden Gewaltandrohung oder -anwendung erfolgreich sein konnte. Derartiges
Handeln war und ist unabhängig der Motivlage sowohl in den sozialistischen als auch in
den nichtsozialistischen Staaten strafrechtlich sanktioniert.
Die Bundesrepublik Deutschland hat den Einsatz der Luftsicherheitsbegleiter bis zum 11.
September 2001 mehrmals geprüft, aber im Ergebnis strikt abgelehnt.
9
Sie sah die Prä-
vention am Boden als die erfolgsversprechende Methode an, zumal es bis zu diesem Zeit-
punkt an geeignetem Personal mangelte.
10
Dokumentierte Erfahrungen über den wir-
kungsvollen Einsatz von Flugsicherheitsbegleitern in Bedrohungssituationen liegen, in
Ermangelung von Vorfällen, nach Giemulla nicht vor.
11
Für die Bundesrepublik Deutsch-
land ist diese Aussage durchaus zutreffend, wenn auch die Flugsicherheitsbegleiter des
Ministeriums für Staatssicherheit der DDR mehrmals erfolgreich Flugzeugentführungen
verhindern konnten.
1.1. GEGENSTAND, PROBLEMSTELLUNG UND ZIEL DER ARBEIT
Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen im nationalen und internationalen
Luftfahrtverkehr sind die Flugsicherheitsbegleiter des MfS ein sowohl historischer und
politischer als auch ein sicherheitsrelevanter Untersuchungsgegenstand. Fragen der Ent-
stehung, der Zielstellung sowie der Arbeits- und Vorgehensweise der Flugsicherheitsbe-
6
vgl. Richter (2007), S. 139
7
vgl. Rothe (2008), S. 73
8
vgl. ebenda, S. 139
9
vgl. Würfel (2008), S. 68
10
vgl. BStU, MfS ­ HA XXII Nr. 5178/3, Bl. 100
11
vgl. Giemulla (2013), S. 70

Die Rolle der Flugsicherheitsbegleiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR
9
gleiter des Ministeriums für Staatssicherheit sind bislang noch keiner näheren Betrach-
tung unterzogen worden.
Auf die aktuellen Entwicklungen der Luftsicherheit aufbauen ergeben sich in der Retro-
perspektive drei zentrale Fragestellungen, deren Beantwortung das Ziel der Ausführungen
dieser Arbeit sind:
Welche Aufgaben und Kompetenzen hatten die Flugsicherheitsbegleiter des Mi-
nisteriums für Staatssicherheit in der DDR?
Waren die Flugsicherheitsbegleiter ein Mittel zur Terrorbekämpfung im Luftver-
kehr?
Stellte der Einsatz der Flugsicherheitsbegleiter ein Mittel zur Verhinderung der
Republikflucht dar und war dieser somit ein weiterer Baustein im Überwachungs-
staat der DDR?
1.2. VORGEHENSWEISE UND STRUKTUR DER ARBEIT
Zur Bearbeitung der Fragestellungen wurde zunächst eine Literaturrecherche mit an-
schließender Analyse durchgeführt, um einen ersten Überblick über die Breite und Tiefe
der Problemstellung zu erhalten. Im Ergebnis bleibt festzustellen, dass fachspezifische
Publikationen zu diesem Themenkomplex in einem nur sehr begrenzten Umfang verfüg-
bar sind. Da jedoch die politische Situation ein wesentlicher Einflussfaktor für die Grün-
dung der Flugsicherheitsbegleiter darstellte, konnte zumindest auf Veröffentlichungen
zurückgegriffen werden, welche die politischen Entwicklungslinien in der DDR erläutern
sowie die Hintergründe zum illegalen Verlassen der DDR untersuchten.
In einem nächsten Schritt erfolgte eine Sichtung der vorhandenen Unterlagen bei dem
Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen
Deutschen Demokratischen Republik. Die einsehbaren Unterlagen sind im Verhältnis zum
Untersuchungsgegenstand sehr umfangreich und umfassen mehr als 6.000 Seiten. Auf-
grund der Archivierungsstruktur wiederholen sich diese jedoch und sind auch nicht lü-
ckenlos geführt beziehungsweise in der Gänze vorhanden. Die für die Bearbeitung erfor-
derlichen Dokumente stellen eine Auswahl aus dem Gesamtbestand dar, welche im An-
schluss ausgewählt und ausgewertet wurden. Auf der Grundlage dieser Dokumente wur-
de unter anderem eine Liste mit Fluchtversuchen auf dem Luftweg erstellt, welche die
jeweiligen Sachverhalte kurz beschreibt und der Anlage 1 zu entnehmen ist.
Um auszuschließen, dass noch nicht bekannte oder fehlende Informationen im Zuge der
Bearbeitung unberücksichtigt blieben, erfolgte eine weitere Recherche im Bundesarchiv.
Die dort in einem deutlich geringeren Umfang vorhandenen Dokumente wurden ebenfalls
gesichtet, ausgewertet und deren Ergebnisse eingearbeitet.
In dem Bestand der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR sind
keine relevanten Dokumente zu dieser Thematik verfügbar.
Die vorliegende Arbeit beginnt zunächst mit der Darstellung der politischen Entwicklun-
gen in der DDR. Der Fokus liegt hierbei insbesondere in den Jahren zwischen 1961 bis
1980. Dies ist auf den Umstand zurückzuführen, dass sich, mit der Abschottung der Gren-

Die Rolle der Flugsicherheitsbegleiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR
10
zen im Jahr 1961, die Art und Weise die DDR illegal zu verlassen wesentlich veränderte.
Da der Beschluss zur Einrichtung eines Flugsicherheitsbegleitkommandos Ende der 70er
Jahre getroffen wurde, endet der Schwerpunkt der politischen Betrachtung dieser Arbeit
im Jahr 1980. Anhand politischer Ereignisse soll bewiesen oder widerlegt werden, ob sich
die politischen Entscheidungen und deren Konsequenzen, den Wunsch nach Ausreise der
DDR-Bürger beeinflusste und wie sich dies gegebenenfalls auf mögliche Angriffe auf Luft-
fahrzeuge auswirkte. In diesem Zusammenhang ist weiter zu untersuchen, ob Terrorismus
in der DDR tatsächlich existent war und den Staat bedrohte. Hierzu gehört auch, das Ter-
rorismusverständnis aus der Perspektive der ehemaligen DDR zu betrachten, um danach
ein erstes Zwischenfazit zu ziehen, ob es sich bei der Überlegung Flugsicherheitsbegleiter
auf den Linien der Interflug einzusetzen, um ein Mittel zur Terrorbekämpfung oder eine
Maßnahme zur Verhinderung der Republikflucht handelte.
Die dargestellten Erkenntnisse, die sich aus der Auswertung der Dokumente ergeben ha-
ben, stellen den Kern der Ausführungen dar. Die Darstellung zur organisatorischen Einbet-
tung in das System des Ministeriums für Staatssicherheit, die personelle und sachliche
Ausstattung der Flugsicherheitsbegleiter sowie deren konspiratives Vorgehen, sollen auf-
zeigen, welchen Auftrag diese Einheit hatte. Abschließend wird der Frage nachgegangen,
ob es sich bei den Flugsicherheitsbegleitern um einen weiteren Baustein im Überwa-
chungsstaat der DDR handelte.

Die Rolle der Flugsicherheitsbegleiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR
11
2. INNEN- UND AUßENPOLITISCHE ENTWICKLUNGEN IN DER DDR
Der stetige Anstieg der Flüchtlinge aus Ostdeutschland, welcher mit dem Beginn der
Währungsreform 1948 und der sich anschließenden Gründung der deutschen Staaten
begann, ist in erster Linie auf zentrale politische Entwicklungen und Entscheidungen der
DDR-Regierung zurück zu führen. Wirtschaftliche Gründe spielten in den ersten Jahren
hierbei als Motiv sicherlich auch eine Rolle, sind aber eher von einer untergeordneten
Bedeutung. Mit dem steigenden Lebensstandard in der DDR ging der Wunsch nach Reisen
einher. Des Weiteren kam mit den Jahren immer mehr das Verlangen nach Freizügigkeit
auf. Auch das berufliche Fortkommen sowie die Forderung nach mehr Mitspracherecht im
Beruf und öffentlichen Leben veranlasste die Menschen, die DDR zu verlassen. Den wirt-
schaftlichen Gründen standen politische Interessen gegenüber, welche die Bürger zudem
zur Flucht bewegte.
12
Eine Zu- und Abnahmen der Fluchtbewegungen lassen sich anhand von zentralen Ent-
wicklungslinien der Innen- und Außenpolitik der DDR ableiten und erklären. Die Flücht-
lingswellen veränderten sich je nach politischer Lageentwicklung in den Jahren von 1948
bis 1989.
Die radikalen Beschlüsse der 2. Parteikonferenz der SED, die im Zuge des Aufbaus des
Sozialismus die Verschärfung des Klassenkampfes ankündigten, ließen die Flüchtlingszah-
len nach 1951 erheblich ansteigen. Der planmäßige Aufbau des Sozialismus ging einher
mit absehbaren wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die zu einer sozialen Unzufriedenheit
führten
13
. Ein weiteres Ereignis, welches zu einer weiteren Erhöhung der Fluchtbewegung
führte, waren die Geschehnisse und der Volksaufstand rund um den 17. Juni 1953. Diese
Ereignisse erfassten die unterschiedlichsten sozialen Schichten, die soziale mit politische
Forderungen - mit dem Ziel der Abschaffung der SED Diktatur - verknüpften. Die DDR-
Regierung konnte ihren Machterhalt nur durch den Einsatz sowjetischer Truppen si-
chern.
14
Die DDR reagierte auf die zunehmenden Flüchtlingszahlen mit einer Änderung des Pass-
gesetzes vom 15.09.1954. Fortan war die ,,Republikflucht" offizieller Straftatbestand. ,,Ein
Verlassen oder Betreten von DDR-Gebiet ohne erforderliche Genehmigung sowie das
Nichteinhalten vorgeschriebener Reiseziele, Reisewege oder Reisefristen oder sonstiger
Beschränkungen der Reise oder des Aufenthalts konnte mit Gefängnis bis zu drei Jahren
oder Geldstrafe geahndet werden."
15
Nach 1954 begann der ,,Neue Kurs" der SED-Regierung, der zu einem spürbaren Rückgang
der Flüchtlingszahlen führte. In den 50er Jahren hatte sich die Macht der SED konsolidiert,
so dass offensichtlich zunächst eine Ruhe eintrat, die sie dazu bewog neue Schritte zu
gehen
16
. Sehr schnell stiegen die Flüchtlingszahlen jedoch wieder an, als die Hoffnungen
auf eine militärische Entspannung aufgrund der Militarisierung der DDR schwanden. Auch
12
vgl. Mayer (2002), S. 124
13
vgl. Schroeder (2013), S. 93
14
vgl. ebenda, S. 94
15
Mayer (2002), S. 79
16
vgl. Schroeder (2013), S. 94

Die Rolle der Flugsicherheitsbegleiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR
12
die Niederschlagung des Volksaufstandes in Ungarn im Jahr 1956 wirkte sich auf die Erhö-
hung der Flüchtlingszahlen aus.
Die DDR-Regierung reagierte auf Initiative Ulbrichts mit einer Ergänzung im Strafgesetz-
buch der DDR sowie einer weiteren Änderung des Passgesetzes. Mit diesen Neuregelun-
gen sollte noch konsequenter gegen Republikflüchtlinge vorgegangen werden.
Die Beschlüsse des V. Parteitages zur ,,sozialistischen Umgestaltung" und die Zwangskol-
lektivierung in der Landwirtschaft führten zu erneuten Protesten und zur Unzufriedenheit
in der Bevölkerung
17
. Es kam zu einem Höchststand der Flüchtlingszahlen
18
, der insbeson-
dere durch resignierte Bauern bewirkt wurde. Die SED-Führung hatte die Ruhe in der Be-
völkerung mit Zustimmung verwechselt. Die ersten Anzeichen, die auf eine Schließung der
innerdeutschen Grenze hinwiesen, führten zu einer ,,regelrechten Torschlusspanik"
19
wie
sie Mayer beschreibt, so dass im April 1961 über 30.000 Menschen die DDR illegal verlie-
ßen. Die sowjetische Regierung stimmte einer Schließung der innerdeutschen Grenze zu,
da die SED das Ende der DDR oder zumindest deren wirtschaftlichen Niedergang befürch-
tete
20
.
Mit der vermuteten Sicherung des Machtanspruchs der SED durch den Bau der Mauer,
versuchte die DDR-Regierung einen liberalisierten Weg zu gehen und die Wirtschaft zu
reformieren. Eine nur halbherzige Umsetzung, aus der Furcht heraus den Machtanspruch
zu verlieren, sowie die ausbleibende wirtschaftliche Hilfe der Sowjetunion, lies den Ver-
such scheitern.
21
Die neuen Reformansätze wurden durch die DDR auch aufgrund des
,,Prager Frühlings" abgebrochen. Die von der Bevölkerung in der Tschechoslowakei positiv
empfundenen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen durch die dortige
kommunistische Partei, hatten die SED und auch andere Brüderländer mit Skepsis be-
trachtet. 1968 manifestierte die Partei ihre Rolle in der Verfassung der DDR. Ein neues Ziel
der DDR-Regierung war es, in der weiteren Folge die völkerrechtliche Anerkennung zu
erhalten.
22
Die Versuche Ulbrichts, durch eine Wirtschaftsreform eine stabile und konkur-
renzfähige Ökonomie gegenüber der Bundesrepublik Deutschland zu etablieren, scheiter-
ten. Der Machtwechsel von Ulbricht zu seinem selbst aufgebauten Nachfolger Honecker
war gleichsam die Abkehr von der deutschen Einheit
23
. Honecker begann einen neuen
Kurs und beendete die Wirtschaftsreformen seines Vorgängers. Sein Ziel war es, durch
eine neue Strategie die Bevölkerung stärker an die SED und DDR zu binden. In den ersten
Jahren verzeichnete Honeckers Politik tatsächlich einen wirtschaftlichen Aufschwung.
Allerdings gründete die Politik auf eine erhebliche Auslandsverschuldung, deren wirt-
schaftlicher Niedergang absehbar war. Die sozialpolitischen Maßnahmen standen in kei-
nem ausgewogenen Verhältnis zum tatsächlichen wirtschaftlichen Leistungsvermögen der
DDR. Einhergehend mit der sowjetisch-amerikanischen Entspannungspolitik kam es auch
17
vgl. Schroeder (2013), S. 94
18
vgl. Mayer (2002), S. 81
19
vgl. ebenda, S. 79
20
vgl. Schroeder (2013), S. 173
21
vgl. ebenda, S. 173
22
vgl. ebenda, S. 173
23
vgl. ebenda, S. 231

Die Rolle der Flugsicherheitsbegleiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR
13
zu einer Normalisierung des DDR-Alltags. In den 70er Jahren erreichte die DDR einen hin-
reichenden Wohlstand mit internationaler Akzeptanz und sozialer Sicherheit.
24
Jedoch hatte der offensichtliche wirtschaftliche Aufschwung in der DDR bereits Mitte der
70er Jahre ein Ende. Gründe waren, die Verschuldung für den Wohlstand und die von der
SED als bedrohlich empfundene linke oder sozialpolitische Kritik an der Partei. Die DDR-
Regierung stand zum einen einem steigenden Wohlstandgefälle zwischen beiden deut-
schen Staaten und zum anderen einer veränderten weltpolitischen Lage gegenüber. Die
damit einhergehenden Probleme vermochte sie nicht mehr zu lösen. Um nicht eine wei-
tere Unzufriedenheit in der Bevölkerung aufkommen zu lassen, hielt die SED trotz jegli-
cher Warnungen daran fest, eine vermeintlich gute wirtschaftliche Situation durch weite-
re Auslandsverschuldungen und besondere Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland
vorzuspiegeln. Außenpolitisch leistete die DDR ihren Beitrag durch den Beitritt zur UNO
und der Unterzeichnung der Schlussakte von Helsinki. Damit verbunden war die Hoffnung
auf Anerkennung und Stärkung sowie Ausbau der wirtschaftlichen Beziehung zum kapita-
listischen Ausland. Die resultierende Hoffnung der Bürger, sich auf diese internationalen
Verträge zu beziehen und somit in das kapitalistische Ausland reisen zu können, wurde
nicht erfüllt. Innenpolitisch duldete die SED dieses Verhalten nicht, sondern kriminalisier-
te DDR-Bürger, die Ausreiseanträge stellten.
25
Die Oppositionsbewegung in Polen, der NATO-Doppelbeschluss und der Einmarsch der
sowjetischen Truppen in Afghanistan bedeuteten eine veränderte weltpolitische Lage, die
auch eine Bedrohung für die DDR darstellte.
Zwar wirkte sich die Forderung nach endgültiger und völkerrechtlicher Anerkennung der
DDR in Teilen eher negativ auf das Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland aus, jedoch
konnte in der Gesamtheit von einer Verbesserung gesprochen werden. Die DDR-
Regierung erhoffte sich dennoch eine positive wirtschaftliche Veränderung.
26
Auch in den 80er Jahren stand der Versuch nach wirtschaftlicher Stabilität im Vorder-
grund der politischen Ausrichtung der DDR, der nunmehr durch verstärkte Exporte und
Rückgang der Importe erzielt werden sollte. Einhergehend nahm jedoch auch die Wirt-
schaftskraft in der Sowjetunion ab, so dass die DDR um ihre Existenz kämpfen musste. Die
Folge war eine zunehmende Unzufriedenheit in der Bevölkerung mit steigenden Ausreis-
anträgen der DDR-Bürger und Übersiedlungen in den Westen.
27
Die gesuchte Nähe zur
Bundesrepublik Deutschland konnte diese Entwicklung nicht mehr aufhalten.
2.1. TERRORISMUS IN DER DDR
Die Existenz von Terrorismus ist kein Phänomen einer besonderen Zeitepoche oder das
Ergebnis eines politischen Systems. ,,Terrorismus gab es schon immer, weil unsere Zivilisa-
tion ihn fördert"
28
. Nicht erst seit den Anschlägen vom 11. September 2001 und der da-
24
vgl. Schroeder (2013), S. 232
25
vgl. ebenda, S. 263
26
vgl. ebenda, S. 264
27
vgl. ebenda, S. 297
28
Gruen (2015), S. 15

Die Rolle der Flugsicherheitsbegleiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR
14
mit eingehenden Ermordung unzähliger Menschen, sehen sich Staaten der Bedrohung
durch einzelne Menschen und Gruppierungen ausgesetzt, die aus Verachtung töten und
zerstören.
Auch die DDR sah sich mit Beginn der 70er Jahre der Bedrohung durch den Terrorismus
ausgesetzt und ergriff entsprechende Maßnahmen. Rückblickend betrachtet ist jedoch
kein nennenswerter terroristischer Anschlag oder Angriff bekannt, der sich gegen die DDR
richtete. In der Literatur wird in erster Linie die Unterstützung der RAF-Terroristen durch
das MfS aufgearbeitet und thematisiert. Diese ideologische Unterstützung der DDR ist
jedoch nicht der hiesigen Problemstellung zu zuordnen.
Zur Erklärung des in der DDR verwandten Terrorismusbegriffs ist der sozialistisch geprägte
Definitionsansatz genauer zu betrachten und der heutigen wissenschaftlichen Auslegung
gegenüberzustellen, da sich erst dadurch die Zielrichtung des Einsatzes der Luftsicher-
heitsbegleiter erschließen lässt.
Die DDR und ihre Verbündeten Partnerländer sahen sich mit drei Erscheinungsformen des
Terrorismus konfrontiert:
mit dem politischen Extremismus, der sich an der Anwendung von Gewalt orien-
tiert,
mit dem Staatsterrorismus sowie
mit dem von Organisationen, Gruppen und Kräften durchgeführten Terrorismus.
Es ging hierbei in erster Linie nicht um Gewalthandlungen mit terroristischem Charakter,
sondern um die Vorbereitung, die nach der Definition der DDR als gewaltorientierte
Handlungen bezeichnet werden konnten. Die Zuordnung der Varianten des politischen
Extremismus zum Terrorismus erfolgte vor dem Hintergrund, dass sich aus Sicht der DDR
daraus die Befürwortung des politischen Gegners zur Gewaltanwendung ergab. Dies er-
folgte durch Propagierung oder durch Handlungen mit demonstrativen, provokativem
Charakter. Die vorherrschende Auffassung war, dass die gewaltorientierten Handlungen
den terroristischen Handlungen vorgelagert sind.
Als Gewaltakte galten nach der Rechtsauffassung der DDR daher folgende Fälle:
Die Ansehensschädigung der DDR in der Öffentlichkeit und die damit verbundene
Beeinträchtigung der außenpolitischen Verantwortung,
Handlungen, die objektiv geeignet waren, zur Unruhe und Unsicherheit in der Be-
völkerung zu führen oder dazu geführt haben,
Vorgehensweisen, die besonders geeignet waren, westliche staatliche Stellen, Or-
ganisationen und Medien zu einer gezielten Verleumdung der sozialistische Ver-
hältnisse in der DDR zu missbrauchen sowie
Gewaltakte, die in einem aktuellen Zusammenhang mit zeitlich und örtlich be-
deutsamen Ereignissen und Situationen standen.
Eine differenzierte Betrachtung zwischen Terroristen und Gewalttätern erfolgte innerhalb
des MfS nicht. In den Ausbildungsunterlagen der AGM/S werden diese Täter unter den
einheitlichen Begriff der ,,feindlichen Kräfte" zusammengefasst. Die Ausbildungsanleitung
,,Der Überfall" aus dem Jahr 1988 subsumiert unter dem Begriff der feindlichen Kräfte:

Die Rolle der Flugsicherheitsbegleiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR
15
Terrortäter,
Gewaltverbrecher (einschließlich bewaffnete Desserteure),
feindlich-negative Personen sowie
subversive Kräfte und feindliche Diversanten.
29
Daraus lässt sich schließen, dass ein Vergleich zum westlichen Terrorismusbegriff nicht
möglich ist, da nach Ansicht der DDR alle Personen, die sich gegen den Staat und seine
Ideologie richteten als feindliche Kräfte und somit in der weiteren Folge auch als Terroris-
ten klassifiziert wurden.
Mangels einer einheitlichen Definition für den Begriff des Terrorismus ist die Frage, ob die
Flugsicherheitsbegleiter des MfS ein Mittel der Terrorismusbekämpfung waren, nicht ein-
deutig zu beantworten. Waldmann unterbreitet folgenden Definitionsvorschlag: ,,Terro-
rismus sind planmäßig vorbereitete, schockierende Gewaltanschläge gegen eine politische
Ordnung aus dem Untergrund. Sie sollen allgemein Unsicherheit und Schrecken, daneben
aber auch Sympathie und Unterstützungsbereitschaft erzeugen"
30
. Weiter konkretisiert
Waldmann, dass die Merkmale ,,planmäßig, vorbereitet" und ,,das Handeln aus dem Un-
tergrund" eng mit einander verknüpft sind.
Die Aufgabe der Flugsicherheitsbegleiter des MfS war es, zu verhindern, dass Personen
Luftfahrzeuge der Interflug in ihre Gewalt bringen konnten, um dieses als Mittel der
Flucht zu nutzen. In diesem Zusammenhang dürfen nicht die Reisebestimmungen der DDR
grundsätzlich in Frage gestellt werden, da sie zumindest nach der damaligen Vorstellung
eine normative Regelung darstellten, deren Nichtbeachten unter Strafe gestellt war.
Aus der Perspektive der DDR-Regierung heraus und wie es auch die Auswertung der be-
kannt gewordenen Fälle der Anlage 1 belegen, waren Angriffe auf Luftfahrzeuge in der
Regel immer planmäßig, vorbereitete Handlungen, die nicht spontan aus einer sich güns-
tig darstellenden Gelegenheit heraus erfolgten. Wenn der Definitionsansatz ,,aus dem
Untergrund" weit ausgelegt wird, so könnte hierunter jegliche konspirative Vorgehens-
weise subsumiert werden. Ein erfolgsversprechender Angriff auf ein Luftfahrfahrzeug und
deren Besatzung setzt immer eine heimliche Begehungsweise voraus, so dass auch dieses
Merkmal als zutreffend gewertet werden kann. Waldmann führt weiter aus, dass sich die
Gewaltanschläge gegen eine politische Ordnung richten müssen. ,,Die politische Ordnung
ist ein Sammelbegriff für alle (tatsächlichen und denkbaren) Herrschaftssysteme. Der Be-
griff Politische Ordnung zielt dabei nicht nur auf die funktionalen Aspekte (z. B. Institutio-
nen und Leistungen), sondern auch auf die normativen Aspekte (Legitimität, Gerechtigkeit
etc.)"
31
ab.
Die DDR hat jegliche Gewaltakte auf das Volkseigentum als Angriff auf den Staat betrach-
tet. Die Einschränkung der Reisefreiheit war eine normative Regelung von essentieller
Bedeutung für das System der DDR. Bei einer derartigen Auslegung bleibt im Ergebnis
festzustellen, dass die Angriffe auf den Luftverkehr aus Sicht der DDR-Regierung terroris-
tische Gewaltakte darstellten. Der Definition von Waldmann folgend waren die Flugsi-
29
Auerbach (2012), S. 58
30
Waldmann (2001), S. 10
31
http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/politiklexikon/18035/politische-ordnung, 16.04.2015

Die Rolle der Flugsicherheitsbegleiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR
16
cherheitsbegleiter ein Mittel zur Terrorismusbekämpfung. Allerdings führt Waldmann in
einer späteren Veröffentlichung aus, dass neben den bereits dargelegten Merkmalen es
auch auf die Konzeption ankommt, die der Definition zugrunde liegt. In diesem Zusam-
menhang setzt Waldmann jedoch das Zusammenwirken mehrerer Personen voraus, die
sich zu einer terroristischen Gruppe zusammenschließen, deren personelle Stärke nicht
ausreichend ist, um sich mit Sicherheitskräften zu messen
32
. Daher wirken sie oftmals im
Untergrund und suchen nicht die direkte Konfrontation mit dem Militär oder der Polizei,
sondern setzten Gewalt in symbolisch-kommunikativer Weise ein. Dieser Erklärungsan-
satz orientiert sich nicht mehr an dem Merkmal der Gewaltanwendung, sondern fokus-
siert sich auf die Motivation der Täter und deren beabsichtigte Wirkung in der Öffentlich-
keit. Die Bevölkerung soll in Furcht und Schrecken versetzt oder zumindest verunsichert
werden, um einen umfassenden Machtwechsel zu erreichen. Gegensätzlich zum ersten
Definitionsansatz handelte es sich dem zweiten Erklärungsansatz folgend, bei den im
Rahmen dieser Arbeit betrachteten Fällen nicht um terroristische Gewalttaten. Ihre Moti-
vation war die Flucht aus der DDR und nicht der Wunsch, durch ihre Handlung einen poli-
tischen Umbruch zu bewirken. Die Durchsetzung eigener, persönlicher Ziele lässt die Tä-
ter nach heutiger Sichtweise nicht als Terroristen klassifizieren, wenn auch die Handlung
als solche als Gewalttat einzuordnen ist, die von strafrechtlicher Relevanz zeugt. Schwind
orientiert sich bei der Terrorismusdefinition an den gesellschaftlich vermuteten Ursa-
chen
33
. In der Literatur wird zwischen zwei Terrorismustypen differenziert: Die ,,millena-
ristischen Terroristen, die eine universale und vollständige Befreiung von allen Beschrän-
kungen des gesellschaftlichen und politischen Lebens, von jeder Art der Unterdrückung,
Ausbeutung und Entfremdung erstreben"
34
und den ,,rezessionistisch - irredentistisch aus-
gerichteten Terroristen mit sehr konservativen Tendenzen"
35
. Dieser Definitionsansatz, der
sich an den gesellschaftlich vermutete Ursachen orientiert, zeigt ebenfalls, dass zumin-
dest die bekannt geworden Fällen nicht dem Terrorismus zu zuordnen wären.
In einer analytischen Untersuchung von Flugzeugentführungen der Hauptabteilung PS /
AIG vom 26.03.1973 heißt es einleitend: ,,Flugzeugentführungen sind wie alle anderen
Terrorhandlungen eine dem Marxismus-Leninismus wesensfremde Methode zur Durchset-
zung bzw. Lösung von Konflikten. Sie sind ein ungeeignetes Mittel, revolutionäre Umwäl-
zungen zu erreichen. Im Gegenteil, Terrorakte jeder Art ziehen eine Verurteilung durch die
Mehrheit der Menschheit nach sich und wirken sich daher negativ auf die Terroristen und
ihre Auftraggeber zurück."
36
Diese Darstellung ist ein Beleg für die damalige politische
Verortung derartiger Handlungen und deren Klassifizierung als terroristische Gewalttat.
32
vgl. Waldmann (2007), S. 48
33
vgl. Schwind (1978), S. 46
34
Schwind (1978), S. 46
35
ebenda (1978), S. 46
36
vgl. BStU, HA PS MF 531, Bl. 2

Die Rolle der Flugsicherheitsbegleiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR
17
2.2. FLUCHT UND AUSREISEBEWEGUNGEN
In den beiden Jahren vor der Schließung der Grenze zwischen West und Ost flüchteten
199.188 Menschen im Jahr 1960 und 131.575 Menschen im Jahr 1961 (siehe auch Abbil-
dung 1). Allein im April 1961 gingen über 30.000 DDR-Bürger in den Westen.
37
Mit dem
Bau der Mauer am 13. August 1961 unternahm die DDR-Regierung den Versuch, den
Flüchtlingsstrom in Richtung Westen einzudämmen. Eine Flucht vollkommen zu verhin-
dern oder auszuschließen gelang der DDR-Regierung jedoch bis zum Ende nicht. Trotz der
sehr umfangreichen Grenzsicherungsmaßnahmen konnten durchschnittlich in den 60er
Jahren (ohne 1961 und 1962) schätzungsweise 7.000 Menschen, in den 70er Jahren circa
4.000 Menschen und in den 80er Jahren circa 3.000 Menschen pro Jahr (ohne 1988 und
1989) die DDR illegal verlassen. Insgesamt waren es in der Zeit vom 13.08.1961 bis zum
09.11.1989 etwa 95.000 Menschen, die unerlaubt die DDR verließen.
37
vgl. Mayer (2002), S. 83
Abbildung 1 Flüchtlingszahlen 1949 - 1962 (eigene Darstellung)

Die Rolle der Flugsicherheitsbegleiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR
18
Die nach dem Mauerbau zunehmenden Grenzsicherungsmaßnahmen wie mit den Wach-
türmen, dem Stacheldraht, den Sperren, der Beleuchtung, den Minen und den Selbst-
schussanlagen, führten zu einem erheblichen Rückgang der Flüchtlingszahlen wie die Ab-
bildung 2 zeigt. Diese Sicherungsmaßnahmen waren keine Sicherung der Grenze der DDR
gegenüber Angriffe von außen, sondern aufgrund ihrer Beschaffenheit und ihres Aufbaus
nahezu ausschließlich Maßnahmen, die sich nach innen ausrichteten. Jeder Versuch einer
Republikflucht sollte mit allen Mitteln verhindert werden.
38
Nötigenfalls auch mit dem
Schusswaffengebrauch durch Angehörige der Grenztruppen der DDR.
39
Insofern gestaltete es sich zunehmend schwieriger, in den Westen zu gelangen. Dennoch
schafften es immer wieder Menschen über die Demarkationslinie oder über die Berliner
Mauer zu flüchten. Diese Personen nannte das MfS ,,Sperrbrecher". Eine andere Gruppe,
die als ,,Verbleiber" bezeichnet wurde, nutzten Dienst- oder Privatreisen, um im Westen
zu bleiben.
40
Diejenigen, die Luftfahrzeuge nutzten, um die DDR zu verlassen, können
nicht eindeutig in diese beiden Kategorien eingeordnet werden, wenn auch sie nach der
Einordnung des MfS eher den ,,Sperrbrecher" zugehörig erscheinen. Ähnlich zu betrachten
ist auch die Flucht ausreisewilliger DDR-Bürger mit Unterstützung von Fluchthelfern. In
diesem Zusammenhang kam es auch zur Verletzung des Luftraums der DDR und anderer
sozialistischer Staaten. Beispielseise flogen Sportflugzeuge unterhalb der Radarzone, die
38
vgl. ebenda, S. 83
39
vgl. ebenda, S. 82
40
vgl. ebenda, S. 83
Abbildung 2 Flüchtlingszahlen 1963 - 1988 (eigene Darstellung)

Die Rolle der Flugsicherheitsbegleiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR
19
in der DDR oder anderen sozialistischen Ländern landeten, Personen aufnahmen und
wieder zurück in den Westen flogen. Das MfS bezeichnete diese Vorgänge als ,,Luftraum-
provokationen mit Personenschleusungen"
41
. In der Literatur nicht weiter vertieft, wird
der illegale Grenzübertritt unter Zuhilfenahme von Luftfahrzeugen der Interflug. Dies
stellte eine weitere Möglichkeit dar, die DDR illegal zu verlassen. Die Anlage 1 enthält eine
Auswahl von vorbereiteten, versuchten und erfolgreichen Fluchtversuchen mit
Luftfahrzeugen der Interflug oder mit Bezügen zum Luftraum der DDR.
Abbildung 3 Entführungen von Luftfahrzeugen in der DDR von 1970 - 1980 (eigene Darstellung)
Wie die Abbildung 3 zeigt war der Anteil der versuchten und vollendeten Entführung von
Luftfahrzeugen in der DDR sehr gering. Überwiegend gelang es dem MfS weit im Vorfeld
von den Planungen oder Vorbereitungen Kenntnis zu erlangen und die weitere Tatausfüh-
rung zu verhindern. Diese operativen Maßnahmen trafen jedoch nicht die AGM/S, son-
dern in erster Linie andere Diensteinheiten des MfS. Aus den Fallzahlen lässt sich jedoch
kein besonderes, signifikantes Bedrohungspotential ableiten, welches das Erfordernis des
Einsatzes von Flugsicherheitsbegleitern zwingend begründete.
41
vgl. ebenda, S. 83

Die Rolle der Flugsicherheitsbegleiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR
20
2.3. TERRORISMUSBEKÄMPFUNG ODER VERHINDERUNG DER REPUBLIK-
FLUCHT?
Das Gesetz über die strafrechtliche Verantwortlichkeit wegen Entführung von Luftfahr-
zeugen vom 12.07.1973 stellte die gewaltsame Inbesitznahme von Luftfahrzeugen unter
Strafe. Nach den normativen Regelungen der DDR begingen Personen eine Straftat, wenn
sie vorsätzlich unter Anwendung eines Gegenstandes, einer Substanz oder einer Waffe
einen Gewaltakt gegen die zivile Luftfahrt verübten.
42
Das Gesetz lehnte sich an die Kon-
vention zur Bekämpfung rechtswidriger Handlungen gegen die Sicherheit der Zivilluftfahrt
an und hatte somit internationale Bedeutung.
In alltäglichen Situationen am Boden ist das Einschreiten der Sicherheitsorgane, insbe-
sondere der Polizei, rechtlich und tatsächlich jederzeit möglich. In Luftfahrzeugen, die sich
nicht am Boden befinden, stellt sich die Situation wesentlich anders dar. Die Sicherheits-
organe sind in der Regel weder physisch zugegen, noch kann ihre Anwesenheit zeitnah
hergestellt werden.
43
Daraus lässt sich durchaus ableiten, dass der Einsatz von Flugsicher-
heitsbegleitern ein geeignetes Mittel darstellt, um erforderlichenfalls gegen Rechtsbre-
cher wirksam einzuschreiten. Mit der Entscheidung gegen den Einsatz von Luftsicher-
heitsbegleiter an Bord von Luftfahrzeugen, beraubt sich der Staat gleichzeitig der Mög-
lichkeit aktiv in Notfällen eingreifen zu können.
Die Verordnung über Reisen von Bürgern der Deutschen Demokratischen Republik nach
dem Ausland
44
regelte die Voraussetzungen und das Verfahren für Reisen von Bürgern
der Deutschen Demokratischen Republik. Reisen in das Ausland bedurften der Genehmi-
gung, sofern die in dem genannten Gesetz Voraussetzungen vorlagen. Verstöße gegen
diese Regelungen stellten gegebenfalls gemäß § 213 StGB einen ungesetzlichen Grenz-
übertritt dar.
42
vgl. BStU, MfS ­ HA XXII Nr. 5580/6, Bl. 267
43
vgl. Giemulla (2013), S. 70
44
vgl. Gesetzblatt der DDR, Jahrgang 1988, Teil I, N. 25 v. 13.12.1988, S. 271

Die Rolle der Flugsicherheitsbegleiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR
21
Abbildung 4 Entführungen von Luftfahrzeugen im Vergleich NSW und SW von 1967 ­ 1981 (eigene Darstellung)
Das Strafgesetzbuch der DDR enthielt weiter mit den §§ 101, 102 StGB zwei Strafbestim-
mungen, die sich gegen den Terror richteten und somit eine Bekämpfung von rechtswid-
rigen Handlungen gegen die zivile Luftfahrt ermöglichten.
Die Hauptabteilung XIX führte im Jahr 1982 eine weltweite Analyse über die Angriffe ge-
gen die zivile Luftfahrt durch. Grundlage für die Analyse waren öffentlich zugängliche
Quellen wie beispielsweise Presse- und Agenturmeldungen westlicher Medien
45
sowie
interne Auswertungen. In diesem Zusammenhang untersuchte die HA XIX die Häufigkeit
der Angriffe, die Angriffsobjekte sowie die Motivlage der Täter. Die Häufigkeit der Angrif-
fe auf Luftfahrzeuge auf den Inlandflügen führte das MfS auf das fehlende Erfordernis der
Vorlage eines Reisedokuments zurück, so dass die Identität der Täter nicht überprüft
werden konnte. Darüber hinaus befanden sich erfahrungsgemäß bei Inlandsflügen weit-
aus weniger Personen an Bord im Vergleich zu internationalen Verbindungen, da diese
meist nicht ausgebucht waren. Der kostengünstigere Flugpreis förderte zudem die Mög-
lichkeit einer langen Vorbereitungszeit, da zuvor mehrere Testflüge durchgeführt werden
konnten, um die Sicherheitsmaßnahmen im Vorfeld aufzuklären. Die Täter hatten so die
Möglichkeit ihr Verhalten entsprechend anzupassen. Meist verfügten die Täter über die
Nationalität der Herkunft der Fluglinien oder hielten sich als Ausländer bereits über einen
längeren Zeitraum in dem Land auf.
46
Nahezu die Hälfte der bekannt gewordenen Taten,
45
vgl. BStU, MfS - HA XIX Nr. 1482, Bl. 144
46
vgl. ebenda, Bl. 145

Die Rolle der Flugsicherheitsbegleiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR
22
wurde von männlichen Personen begangen, die als Einzeltäter auftraten. Die Altersstruk-
tur lag zwischen dem 16. und 25. Lebensjahr und nahm bis zum 40. Lebensjahr ab. Über
diese Altersgrenze hinaus waren kaum Täter feststellbar. Eine Aussage zur sozialen Her-
kunft der Personen war aufgrund der unzureichenden Informationen nicht möglich. Die
Motive waren überwiegend oppositionelle Einstellungen zum System und den gesell-
schaftlichen Verhältnissen, die Durchsetzung politischer Forderungen sowie finanzielle
Gründe.
47
Das MfS ging in einer weiteren Einschätzung noch weiter und führte eine unzu-
reichende sowie ungefestigte Grundeinstellung der Täter auf das Elternhaus zurück. Der
ständige Einfluss der elektronischen Medien und der Presse aus dem kapitalistischen Aus-
land, förderte nach ihrer Einschätzung die unzureichende Loyalität und Antipathie zur
DDR. Insofern wollten sich die Täter den gesellschaftlichen Verhältnissen entziehen und
entsprechend ihren vermeidlichen Bedürfnissen in das nichtsozialistische Ausland abset-
zen.
48
In weiten Teilen decken sich die zuvor dargestellten Einschätzungen mit den Berichten
der Inoffiziellen Mitarbeiter, den Strafermittlungsvorgängen sowie Vermerken der Staats-
sicherheit. Die Angriffe auf Luftfahrzeuge der Interflug erfolgten in der Regel während der
Inlandsflüge aus den bereits beschriebenen Motivlagen heraus. Personen, die das 40. Le-
bensjahr überschritten hatten, traten meist aufgrund ihrer Lebensplanung nicht als Täter
in Erscheinung.
In dem Zeitraum von 1970 bis 1980 wurden 64 Hinweise und Vorgänge mit 152 Personen
bekannt, die in den unterschiedlichsten Entwicklungsstadien Angriffe auf Luftfahrzeuge
der Interflug vornehmen wollten oder durchgeführt haben.
49
Die DDR sah in den Angriffen auf den zivilen Luftverkehr eine Belastung der internationa-
len Verkehrsbeziehungen und der politischen Beziehungen zwischen den Staaten, denen
es zu begegnen galt. Diese gefährdeten den Luftverkehr und bedrohten die Passagieren
sowie Besatzungsmitglieder. Zur Bekämpfung dieser Angriffe wurden auf der internatio-
nalen Ebene Anstrengungen unternommen worden, die durch nationale Maßnahmen
umzusetzen waren.
50
Die Frage, ob es sich bei den Überlegungen zur Bildung eines Flugsicherungskommandos
um ein Mittel zur Terrorismusbekämpfung handelte oder deren Einsatz die Republikflucht
verhindern sollte, kann nicht trennscharf und eindeutig beantwortet werden. Die Abbil-
dung 4 zeigt, dass die sozialistischen Staaten weitaus weniger Entführungsfällen zu ver-
zeichnen hatten als die westlichen Staaten. Dies kann sicherlich auf den sehr großen Si-
cherheitsapparat in den sozialistischen Staaten mit den einhergehenden intensiven
Überwachungsmaßnahmen zurückgeführt werden. Dies führte dazu, dass die meisten
Taten in der Planungs- und Vorbereitungsphase verhindert werden konnten.
Die Republikflucht mit einem Luftfahrzeug konnte in der Regel nur unter Androhung oder
Anwendung von Gewalt gegen die Besatzung und Passagiere erfolgen. Insofern verknüpft
sich hier das Motiv des Täters das Land auf illegalem Weg zu verlassen, mit dem Mittel
47
vgl. ebenda, Bl. 152
48
vgl. BStU, HA PS MF 531, Bl. 226
49
vgl. BStU, HA PS MF 531, Bl. 209
50
vgl. ebenda, Bl. 197

Die Rolle der Flugsicherheitsbegleiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR
23
der Entführung eines Luftfahrzeuges und der Vorstellung des Täters eine Gefährdung un-
beteiligter Dritter billigend in Kauf zu nehmen. Der DDR ging es sicherlich auch um die
Aufrechterhaltung der Sicherheit in der zivilen Luftfahrt, wenn auch sie mit dem Einsatz
der Flugsicherheitsbegleiter zugleich ein geeignetes Instrumentarium geschaffen hatte,
welches zeitgleich in der Lage war illegale Grenzübertritte zu verhindern. Nach dem Be-
griffsverständnis der DDR handelte es sich bei den Tätern um Gewaltverbrecher, die dem
Terrorismus zuzuordnen und somit mit allen Mittel zu bekämpfen waren. Einhergehend
war es auch ein Mittel die Republikflucht zu verhindern, wenn auch es nicht das alleinige
Ziel war.

Die Rolle der Flugsicherheitsbegleiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR
24
3. ENTWICKLUNG UND BILDUNG EINES FLUGSICHERUNGSKOMMANDOS
Erste Überlegungen zur Bildung eines Flugsicherungskommandos ergaben sich unmittel-
bar aus der versuchten Flugzeugentführung des Ehepaars (Name geschwärzt) am
10.03.1970. Nach der intensiven und sehr umfangreichen Auswertung des Ereignisses
erarbeitete die HA IX einen ,,Maßnahmenplan zur weiteren Aufklärung der versuchten
Flugzeugentführung vom 10.3.1970 und zur weiteren Entwicklung der vorbeugenden Be-
kämpfung der Luftpiraterie"
51
. Der Maßnahmenplan enthält - neben der Auswertung des
eigentlichen Ereignisses - eine Analyse der westlichen Medien zu dieser Thematik sowie
eine Darstellung von Maßnahmen, die andere Fluggesellschaften zur Sicherheit im Luft-
verkehr getroffen haben. Ergänzend wird auf die Dokumente 9 bis 11 in der Anlage ver-
wiesen.
Das von Oberstleutnant Niebling erarbeitete Konzept enthielt unter anderem folgende
Vorschläge (vgl. auch Dokument 8):
,,[...] Zur Durchsetzung dieser technischen Sicherungsmaßnahmen sollten operativ-
technische Gruppen des MfS auf den Zivilflughäfen der DDR geschaffen werden. Es sollten
solche Voraussetzungen geschaffen werden, daß die operativ-technischen Gruppen bei
Gefahrensituationen in einem Flugzeug unmittelbar durch die Möglichkeit der Einschal-
tung in das Funkverbindungssystem zwischen Leitstelle und Maschine informiert werden
und in Aktion treten können. [...]"
52
,,[...] Erweiterung der Flugzeugbesatzung der Interflug um je zwei Sicherheitsoffiziere, de-
ren Aufgabe darin bestehen müßte
- vor dem Start eine umfassende fachmännische Sicherheitskontrolle vorzunehmen
(Suche nach Fremdkörpern)
- die von der Paß- und Zollkontrolle sowie von der operativ-technischen Kontrolle er-
haltenen Informationen zur Einhaltung besonderer Beobachtungs- und Sicher-
heitsmaßnahmen auszuwerten,
- den bewaffneten Schutz der Besatzung und Passagiere vor möglichen Angriffen
und Banditen während des Fluges zu gewährleisten.
(Die waffentechnische Ausrüstung dieser Sicherheitsoffiziere muß so erfolgen, daß
eine notwendige Anwendung von Waffen zu keinen zusätzlichen Gefahren für das
Luftfahrzeug führen kann.) [...]".
53
Im Frühjahr 1981 erfolgte auf Initiative der HA IV und der AGM/S die Einrichtung eines
Flugsicherungskommandos zur rechtzeitigen Verhinderung von Angriffen antisozialisti-
scher und subversiver Kräfte auf Luftfahrzeuge der Interflug.
54
Nach Auffassung des damaligen Leiters der HA IV war eine umfassende Sicherheit auf den
Flughäfen der DDR und in den Luftfahrzeugen der Interflug nur durch die Bildung und
permanente Verfügbarkeit eines ständig einsetzbaren Flugsicherheitskommandos zu ge-
währleisten. Die bis dato durchgeführte vereinzelte Sicherung auf einigen Flugstrecken
51
BStU, MfS ­ HA IX Nr. 10387, Bl. 156
52
BStU, MfS ­ HA IX Nr. 10387, Bl. 159
53
ebenda, Bl. 160
54
vgl. BStU, MfS Sekr. Neiber Nr. 191, Bl. 243

Die Rolle der Flugsicherheitsbegleiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR
25
der Interflug ging zu Lasten anderer Aufgaben und war auf Dauer weder organisatorisch
noch personell von anderen Diensteinheiten zu leisten.
Diese Entwicklungen waren auf bereits durchgeführte Maßnahmen zurück zu führen,
welche die Luftsicherheit auf ausgewählten Strecken zwar erhöhte, aber nach Auffassung
der Verantwortlichen nur eine Teillösung darstellten.
Die Begleitung von Flugzeugen durch Mitarbeiter der Staatssicherheit erfolgte bereits
anlässlich der Festivalflüge der Interflug nach Kuba im Sommer 1978, auf einigen Inlands-
flügen vom 08.02.1980 bis zum 09.04.1980, auf ausgewählten Flügen nach Prag im Jahr
1980 sowie auf allen Olympiaflügen in die Sowjetunion im Sommer 1980.
Die in diesem Zusammenhang gewonnenen Erfahrungen der AGM/S und der HA IV sollten
beim Aufbau der neuen Einheit genutzt und deren Zusammenarbeit fortgeführt werden.
Im Jahr 1985 verschärfte sich die Situation aufgrund der Asylsituation in Europa. Es traten
vermehrt Personen mit ge- oder verfälschten Reisedokumenten beziehungsweise mit
ungültigen Pässen in Erscheinung, deren Rückbeförderung in ihre Herkunftsländer erfor-
derlich war. Seitens des stellvertretenden Ministers Generalleutnant Neiber bestand die
Befürchtung, dass dieser Personenkreis zu proaktiv-demonstrativen Handlungen sowie
aktiven und passiven Widerstandshandlungen zur Durchsetzung ihrer Ziele neigt.
Um dieser Situation und den Gefahren der Rückführung entgegenzuwirken, regten Gene-
ralleutnant Mittig sowie die zuständigen Hauptabteilungen an, künftig auch in den Fällen
der operativen Notwendigkeit Luftfahrzeuge der Interflug bei Flügen in das nicht sozialis-
tische Ausland, insbesondere der NATO-Staaten, durch Flugsicherheitsbegleiter zu si-
chern.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Erscheinungsjahr
2015
ISBN (PDF)
9783959935524
ISBN (Paperback)
9783959930529
Dateigröße
6.3 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Freie Universität Berlin – Politik und deutsche Nachkriegsgeschichte
Erscheinungsdatum
2017 (Juli)
Note
1,7
Schlagworte
Ministerium für Staatssicherheit DDR Flugsicherheit Stasi Republikflucht Terrorbekämpfung
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