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Wenn Pendeln das Leben diktiert

Einflüsse und Auswirkungen auf die Lebensqualität in der Pendlerrepublik Deutschland

©2017 Bachelorarbeit 68 Seiten

Zusammenfassung

Das Phänomen des Pendelns zwischen Wohn- und Arbeitsort gewinnt zunehmend an Bedeutung im gesellschaftlichen sowie individuellen Kontext. Die vorliegende Arbeit geht der Frage nach, wie Erwerbstätige pendeln in ihren Alltag integrieren und erforscht die damit verbundenen Einflüsse und Auswirkungen auf die Lebensqualität. Die empirische Untersuchung erfolgte durch vier leitfadengestützte, problemzentrierte Interviews, welche nach der Methodik der Grounded Theory ausgewertet wurden. Ein besonderes Augenmerk der Arbeit lag hierbei auf dem Pendlertypus des Tages- und Wochenpendlers sowie des Geschäftsreisenden. Es zeigte sich, dass besonders der Faktor Zeit einen bedeutenden negativen Einfluss auf das subjektive Wohlempfinden der Pendler ausübt. Die Auswirkungen manifestieren sich beim Pendelnden selbst, indem sie Gesundheit, Lebensstil, Karriere, jedoch auch soziales Umfeld und Partnerschaft bzw. Familie verändern. Es zeigte sich im Hinblick auf die Lebensqualität, dass eine Unausgeglichenheit der Grund-, Sicherheits- und Selbstverwirklichungsbedürfnisse negative Auswirkungen auf das subjektive Wohlempfinden haben kann. Jedoch wurde auch ersichtlich, dass pendeln als positiv empfunden werden kann, wenn dessen Integration in den Alltag aus der freien Entscheidung der Pendler hervorging und somit die bestmögliche Lösung darstellt.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Begriffsfeld Mobilität ... 3
Abbildung 2: Wohlfahrtspositionen ... 13
Anhang Abbildung 3: Kodierparadigma für Tagespendler ... 60
Anhang Abbildung 4: Kodierparadigma für Wochenpendler... 61
Anhang Abbildung 5: Kodierparadigma für Geschäftsreisende ... 62
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Biographische Daten ... 32

1 Einführung
1.1 Fragestellung und Zielsetzung
60 Prozent aller Arbeitnehmer waren im Jahr 2015 nicht in dem Ort erwerbstä-
tig, in dem sie ihren Wohnsitz führen, zeigten Auswertungen des Bundesinsti-
tuts für Bau-, Stadt- und Raumforschung. Wie Zahlen aus dem Jahr 2000 bele-
gen, entspricht dies einer Zunahme von sechs Prozent (vgl. BBSR, 2017). Die-
ser Trend dokumentiert, dass Pendeln zwischen Wohn- und Arbeitsort eine zu-
nehmende Bedeutung im gesellschaftlichen sowie individuellen Kontext ein-
nimmt und arbeitsbedingte Mobilität und Flexibilität unverzichtbare Vorausset-
zungen auf einem dynamischen, globalen Arbeitsmarkt sind, deren Erfüllung
durch die Erwerbstätigen erwartet werden. Im Zuge dessen wird Pendeln zum
Ausweg, soll familiäre Bindungen am Wohnort erhalten, einer wachsenden Ar-
beitsplatzunsicherheit entgegenwirken oder einer beruflichen Weiterentwicklung
dienen. Die ,,Mobilität als Schlüsselbegriff der Moderne" (Schneider, Limmer &
Ruckdeschel, 2002a, S. 15), um Harmonisierung von Familie und Beruf anzu-
streben, zieht dennoch soziale Folgen nach sich, welche einer genaueren Be-
trachtung bedürfen. Im Rahmen dieser Arbeit soll deshalb untersucht werden,
wie Erwerbstätige Pendeln in ihren Alltag integrieren und welche Einflüsse und
Auswirkungen dies auf ihre Lebensqualität hat. Hierbei liegt ein besonderes
Augenmerk der Arbeit auf zwei der vier Ausprägungsformen des Pendlertypus
nach den Sozialwissenschaftlern Gerlinger, Ott und Gräbe (2003, S. 3) sowie
den Mobilitätsforschern um den deutschen Soziologen Schneider (2016, S. 7):
den Pendlern (unterteilt in Tages- und Wochenpendler) und den Geschäftsrei-
senden. Um deren Lebensqualität als komplexen und differenzierten Gegen-
stand von gesellschaftlich hoher Relevanz in all ihrer Breite erfassen zu kön-
nen, bot sich eine qualitative Forschung über das leitfadengestützte, problem-
zentrierte Interview nach Witzel an
.
Diese ermöglicht eine Datengenerierung,
welche mithilfe der Auswertungsmethodik der Glaser- und Strauss`schen
Grounded Theory zu einer Theorie für die verschiedenen Pendlertypen verdich-
tet werden kann. Ziel hierbei ist es, das subjektive Empfinden des Pendelns, die
1

Beschreibung dessen sowie die Effekte auf verschiedene Lebensbereiche auf-
zuzeigen.
1.2 Aufbau
der
Arbeit
Um Pendelverhalten und Lebensqualität näher zu untersuchen, werden im
Rahmen dieser Arbeit zu Beginn die wichtigsten definitorischen Grundlagen der
arbeitsbedingten Mobilität sowie der Lebensqualität behandelt und näher erläu-
tert. So wird eine kurze Übersicht und Begriffsklärung der zentralen Merkmale
der Pendlertypen, deren Eigenschaften sowie Faktoren, die zur Mobilität führen,
gegeben. Weiterführend erhält der Leser in knapper Form und zum besseren
Verständnis der Arbeit Einblicke in die hierbei dokumentierte Entwicklung der
Lebensqualitätsforschung.
In Gliederungspunkt
3 dieser Arbeit folgt eine Darstellung verschiedener For-
schungsansätze, die den Zusammenhang zwischen Pendeln und Lebensquali-
tät verknüpfen. Darüber hinaus verweist die Verfasserin in diesem Abschnitt auf
die Notwendigkeit ihrer Untersuchung und grenzt sie von bereits bestehenden
Forschungen ab.
Kapitel 4 beschreibt die angewandte Methodik, mit welcher empirische Daten
gewonnen, untersucht und aufbereitet wurden. So wird besonderer Fokus auf
das Forschungsdesign und die Vorgehensweise der hierbei eingesetzten Erhe-
bungsmethodik des leitfadengestützten, problemzentrierten Interviews, der
Auswertungsmethodik der Grounded Theory sowie auf die weitere Beschrei-
bung des Samplings, des Feldzugangs und der Durchführung gelegt.
Im vorletzten Abschnitt werden die Forschungsergebnisse aufbereitet und dis-
kutiert. Hierbei wird das Verfahren der Theoriegenerierung durch das
Strauss`sche Kodierparadigma im Sinne der Grounded Theory angewandt und
die Forschungsergebnisse mit dem Theorievorwissen verknüpft. Eventuell auf-
tretende Zusammenhänge zwischen arbeitsbedingter Mobilität und Lebensqua-
lität werden erläutert und kritisch beleuchtet, bevor die Arbeit mit einer Zusam-
menfassung der Ergebnisse im sechsten Abschnitt abgerundet und ein Ausblick
gegeben wird.
2

2 Definitorische
Grundlagen
2.1 Arbeitsbedingte
Mobilität
Der Terminus Mobilität (aus dem Lateinischen ,,mobilitas" ­ physische Beweg-
lichkeit) ist ein von verschiedenen Wissenschaften verwendeter Begriff, dem es
aufgrund seiner Vielschichtigkeit an einer allgemeingültigen Definition mangelt.
Werden ­ wie in Abbildung 1 ­ Attribute hinzugefügt, ist eine nähere Begriffsbe-
stimmung möglich (vgl. FIS, 2017).
Abbildung 1: Begriffsfeld Mobilität
(FIS, 2017)
Während in den Wirtschaftswissenschaften vor allem der Begriff der Faktor-
bzw. der Standortmobilität Anwendung findet, liegt der Fokus der Sozialwissen-
schaften auf der Bevölkerungsmobilität, bei welcher Gruppen- oder Individuen-
Bewegungen zwischen Systemen betrachtet werden. Hierzu zählen vor allem
die räumliche sowie die soziale Mobilität. Erstere bezieht sich auf den ,,Positi-
onswechsel von räumlich definierten Systemeinheiten" (Weichhart, 2009, S. 6),
bei Letzterer ,,besitzen die betrachteten Systeme eine primär gesellschaftliche
3

Dimension" (Weichhart, 2009, S. 6), beispielsweise ein gesellschaftlicher Auf-
oder Abstieg. Der österreichische Humangeograph Weichhart unterteilt die Be-
wegung zwischen sozial definierten Systemen im Hinblick auf den Positions-
wechsel der Statuskategorie erneut in vertikale (Auf- bzw. Abstieg möglich) und
horizontale Mobilität (keine Statusveränderung). Innerhalb der räumlichen
Migration ­ welche Weichhart auch als Motilität, der biologische Begriff der
Mobilitätsbereitschaft, bezeichnet ­ unterscheidet er Migration (residenzielle
Mobilität bzw. dauerhafte Wanderungsmobilität) und Zirkulation (täglich wieder-
kehrend, z.B. Pendeln). Zwischen räumlicher und sozialer Mobilität bestehen
Zusammenhänge, die einen Übergang zur Lebensform der Multilokalität
1
her-
vorbringen können (vgl. FIS, 2017; Poppitz, 2009, S. 32 ff.; Weichhart, 2009, S.
6). Die Entwicklungen von räumlicher und sozialer Mobilität werden im folgen-
den Abschnitt genauer betrachtet.
Räumliche Mobilität ­ ohne einen berufsbedingten Hintergrund ­ war bis zur
Industrialisierung im 18. Jahrhundert überwiegend negativ konnotiert. Gereist
wurde, um Distanzen zu überbrücken, wenn die Umstände es erforderten.
Arbeitsbedingte räumliche Mobilität hingegen galt in der ,,Vor-
Mobilitätsgesellschaft" (Poppitz, 2009, S. 36) als lebensnotwendige Maßnahme:
Handwerksgesellen mussten zwanghaft mobil sein, um sich weiterzubilden oder
ihre Arbeitskraft fern von ihrer Heimat anbieten zu können. Mit zunehmender
Erschließung neuer Fortbewegungsmittel verbreitete sich ein progressives
Mobilitätsverständnis, bei welchem Mobilität nicht nur den vorteilhaften Werten
der Freiheit und Selbstbestimmung entsprach, sondern dem Fortschritt gleich-
gesetzt wurde. Mitte des 19. Jahrhunderts entstand die von den Soziologen
Tully und Baier betitelte ,,Mobilitätsgesellschaft I" ­ ausgelöst durch prekäre Le-
benslagen, Krieg und Vertreibung. Erstmals galten Pendelwanderungen als
Massenphänomen und verzeichneten einen Zuwachs an Saison-, Wochenend-
und Tagespendlern (vgl. Pfaff, 2014, S. 14; Poppitz, 2009, S. 33, 36 f.).
Der Ausbau des Schienennetzes zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte zur Fol-
ge, dass die Sesshaftigkeit wieder anstieg ­ die Arbeiter konnten in einem
1
Die Verteilung des Lebensalltags auf mehrere Orte; eine Art ,,Entankerung" (vgl. Weichhart,
2009, S. 1).
4

selbstbestimmten Turnus zu ihren Familien zurückkehren, trugen damit jedoch
dazu bei, dass die Pendelentfernung zwischen Wohn- und Arbeitsstätte sowie
die Entvölkerung der Stadtkerne weiter zunahmen. Heimatvertriebene sowie ein
großer Anteil an Pendlerinnen
2
bildeten die nächste Mobilitätswelle in den
1950er und 1960er Jahren, gefolgt von einer weiteren ­ der wirtschaftlichen
Krise geschuldeten ­ in den 1970er Jahren, die vor allem die Landbevölkerung
betraf. Damit stieg die Pendlerquote Deutschlands ­ die Quote der sozialversi-
cherungspflichtigen Beschäftigten, die nicht in ihrem Wohnort bzw. ihrer Ge-
meinde arbeiten ­ innerhalb von 85 Jahren von zehn auf 40 Prozent (vgl.
Bundesagentur für Arbeit, 2011; Poppitz, 2009, S. 37).
Um Privat- und Arbeitsleben miteinander zu vereinen und in den individuellen
Alltag zu integrieren wurde Mobilität in den vergangenen 30 Jahren für fast alle
Bevölkerungsschichten unerlässlich ­ nicht nur bei beruflichen (und damit oft-
mals verbundenen sozialen) Aufstiegschancen. Auch der strukturelle Wandel
beeinflusst die Mobilitätsbereitschaft der Erwerbstätigen: Beispielsweise die
Abnahme des Normalarbeitsverhältnisses in Verbindung mit der Zunahme aty-
pischer Arbeitsverhältnisse sowie Arbeitsflexibilität und den daraus resultieren-
den gesetzlichen Anpassungen des Arbeitsmarktes (u.a. KAPOVAZ, eine be-
sondere Form der Teilzeit, auch unter Arbeit auf Abruf bzw. kapazitätsorientier-
te variable Arbeitszeit bekannt), veränderte Ladenschlusszeiten (Ausweitung
des Ladenschlusses 2003), Änderungen des Arbeitszeitrechtsgesetzes (betref-
fend Sonn- und Feiertagsarbeit, 1994) (vgl. Oschmiansky, Kühl & Obermeier,
2014). Veränderte Mobilitätsansprüche der Unternehmen an ihre Mitarbeiter im
Zeitalter der Globalisierung spiegeln sich in einer hohen Flexibilität und Selbst-
organisation (Selbst-Rationalisierung von Freizeit und Arbeitszeit) der ,,Arbeits-
kraftunternehmer" des 21. Jahrhunderts wider, die der deutsche Soziologe Voß
als Nachfolger der gewöhnlichen Arbeitnehmer sieht (vgl. Poppitz, 2009, S. 38,
54 ff.; Voß, 2001).
2
Dies ist vor allem auf den Zuwachs an berufstätigen Frauen zurückzuführen, welche der Arbei-
terknappheit der Nachkriegsjahre entgegenzuwirken versuchten (vgl. Ott & Gerlinger, 1991,
S. 90).
5

Strukturelle Faktoren (z.B. Verkehrsnetz, Arbeits- und Witterungsbedingungen)
üben neben den individuellen Faktoren (z.B. Alter, Geschlecht, Gesundheit,
Beruf, biografische Einflüsse, Wohnsituation, Erwerbstätigkeit beider Ehepart-
ner) einen bedeutenden Einfluss aus. Betriebliche Standortentscheidungen,
neue Management- und Organisationskonzepte, Restrukturierungen und Ar-
beitskräftefluktuation, der bereits erwähnte Strukturwandel, der weitere Ausbau
und die technische Verbesserung von Verkehrsinfrastruktur und die damit ver-
bundenen kürzeren Reisezeiten bei längeren Strecken sorgen dafür, dass der
Mobilitätsradius konstant erweitert wird (vgl. Hupfeld, Brodersen & Herdegen,
2013, S. 10; Poppitz, 2009, S. 34, 48 ff.). Die räumliche, arbeitsbedingte Mobili-
tät prägt den Alltag der mobilen Erwerbstätigen entscheidend mit:
- soziale Isolation der Beschäftigten aufgrund von fehlender Zeit, die mit
dem sozialen Umfeld bzw. der Familie verbracht werden kann;
- physische und psychische Gesundheitsprobleme aufgrund von zu wenig
Bewegung und Schlaf sowie einem erhöhten Stresspegel, um Privat- und
Berufsleben zu vereinen;
- der Verlust der Wertschätzung räumlicher Bezugspunkte bei häufigem
Wohnortwechsel;
- finanzielle Belastungen durch Reduktion des Gehalts aufgrund des kost-
spieligen Mobilitätsalltags (vgl. Poppitz, 2009, S. 39 f.);
- Entgrenzung von Arbeit, z.B. durch räumliche Unabhängigkeit, Desk
Sharing, Vermischung privater und dienstlicher Aktivitäten durch techni-
schen Fortschritt (vgl. Poppitz, 2009, S. 59 f.).
Zu den Formen arbeitsbedingter Mobilität zählen die Sozialwissenschaftler Ott,
Gerlinger und Gräbe sowie die Mobilitätsforscher um den deutschen Soziologen
Schneider vier Ausprägungen:
- Wohnortswechsler,
- Pendler,
- Geschäftsreisende,
- Varimobile (vgl. Rüger, Pfaff, Skora & Schneider, 2016, S. 7; Poppitz,
2009, S. 41).
6

Die Wohnortwechsler (z.B. auch Auslandsentsandte) verlassen ihre Heimat zu-
gunsten der beruflichen Veränderung, des Familienzusammenhalts und besse-
rer, ressourcenschonender Lebensbedingungen und beginnen ­ inklusive der
gesamten Familie ­ mit dem Aufbau eines Lebens in ihrer neuen sozialen Um-
gebung (vgl. Hupfeld, Brodersen & Herdegen, 2013, S. 34; Poppitz, 2009, S.
41).
Die Gruppe der Pendler wird je nach Pendelhäufigkeit in Tages-/Fernpendler
und Wochenpendler/Shuttles unterteilt. Merkmale des Tages-/Fernpendlers
sind vor allem der Arbeitsweg, der täglich mindestens eine Stunde (einfach)
vom Verlassen der Wohnung bis zum Arbeitsplatz beträgt. Hierbei sind die Ver-
kehrsmittelwahl sowie die Zeitgestaltung während des Pendelns von Relevanz,
da mindestens zehn Prozent der Tageszeit von ihnen ausgefüllt werden. Grün-
de für das tägliche Pendeln sind oftmals die Beibehaltung des Wohn- oder Ar-
beitsortes aufgrund einer Berufstätigkeit des Partners und/oder schulpflichtiger
Kinder, ein befristeter Arbeitsvertrag oder bessere Arbeitsbedingungen bzw. der
berufliche Aufstieg am neuen Arbeitsstandort. Ein Vorteil kann mitunter die ge-
währleistete Kinderbetreuung am Wohnort sein. Das tägliche Pendeln stellt je-
doch einen Eingriff in die zur privaten Erholung gedachte Zeit dar, da sie nicht
vergütet wird und nicht selten mit gesundheitlicher und finanzieller Belastung
einhergeht. Familie und Freundeskreis leiden ­ wie auch der Pendelnde selbst
­ an der dauerhaften Zeitknappheit (vgl. Poppitz, 2009, S. 42 f.).
Die zweite Gruppe der Pendler sind Personen, ,,welche mehrere Tage am Ar-
beitsort verweilen und [...] einen zweiten Haushalt besitzen" (Poppitz, 2009, S.
43). Im sozialwissenschaftlichen Kontext gibt es mehrere Definitionen: Shuttles
nach Schneider und Wochenpendler gemäß Gräbe und Ott (vgl. Gräbe & Ott,
2003, S. 3; Schneider et al., 2016, S. 7). Ihre Gemeinsamkeit besteht darin,
dass sie zwischen ,,zwei Welten" pendeln ­ dem Arbeits- und dem Wohnort. Es
herrscht kein genau absehbares Ende der Pendeltätigkeit, dennoch weist sie
einen bestimmten Rhythmus auf und einen zweiten Haushalt, in welchem der
Pendelnde an seinem Arbeitsort bis zu fünf Tage lebt ­ durchschnittlich zwei bis
vier Stunden (einfache) (Auto-)Fahrt vom Wohnort entfernt. Wochenpendeln ist
eine männliche Domäne, die überdurchschnittlich häufig höher-qualifizierte
7

Erwerbstätige im jüngeren bis mittleren Alter betrifft. Oftmals leben diese in ei-
nem Drei- bis Vier-Personenhaushalt und verfügen über ein hohes Einkommen.
Ihr Pendeln erfolgt entweder durch eine attraktive Arbeitsstelle fern des Woh-
nortes, aus dem Wunsch nach beruflicher Veränderung (z.T. verbunden mit
beruflichem Aufstieg) oder der Vermeidung von Arbeitslosigkeit am Wohnort.
Bewusst werden soziale Netzwerke nicht aufgeben, Kinder nicht aus ihrem ge-
wohnten (schulischen) Umfeld gerissen und der attraktive Wohnort nicht verlas-
sen. Poppitz (2009, S. 44) zufolge betrifft dies vor allem Beamte und Angestell-
te in Vollzeit. Vorteile sehen die Wochenpendler in ihrem Beruf, dem sie wäh-
rend der Arbeitswoche ihre ungeteilte Aufmerksamkeit schenken können, um
am Wochenende die Familie und ihren Freundeskreis in den Fokus ihrer Aktivi-
täten zu rücken. Zu hinterfragen ist jedoch die finanzielle Besserstellung, die
von Wochenpendlern gern als weiterer Vorteil angegeben wird, obwohl die
Pendeltätigkeit selbst meist einen erhöhten Kostenaufwand darstellt (vgl.
Poppitz, 2009, S. 45). Nachteilig wirkt sich die oftmals aufgeschobene Ausei-
nandersetzung mit alltäglichen Konflikten (z.B. Kindererziehung) aus, da die
kurze Zeit am Wohnort im Zeichen der Harmonie steht und als ,,Zufluchtsstätte
des mobilen Alltags" (Poppitz, 2009, S. 45) dient. Zusätzlich belasten den Pend-
ler die Fahrzeiten, die räumliche Trennung von seiner Familie und Entfremdung
von seinem sozialen Netzwerk, das Gefühl der Heimatlosigkeit aufgrund der
zwei Haushaltsführungen und die damit verbundene unzureichende Wahrneh-
mung seiner Rolle innerhalb des Familienlebens ­ ein Leben mit der ,,Paralleli-
tät zweier Welten" (vgl. Gräbe & Ott, 2003, S. 35; Hupfeld, Brodersen &
Herdegen, 2013, S. 24, 31, 47; Poppitz, 2009, S. 43 ff.).
Betriebliche oder freiberufliche Geschäftsreisende stellen eine dritte Gruppe der
arbeitsbedingt räumlich Mobilen dar und definieren sich durch die Ausführung
eines Arbeitsauftrages, der sie zugleich motiviert, zu reisen, und welcher impli-
ziert, dass Mobilität Bestandteil ihres Tätigkeitsfeldes ist (vgl. Poppitz, 2009, S.
45). Die Gruppe der Geschäftsreisenden pendelt zirkulierend zwischen Arbeits-
und Dienstort (welcher variieren kann), wobei die Entfernung eine nebensächli-
che Rolle spielt und die Verkehrsmittelwahl individuell oder nach Vorgaben des
Unternehmens erfolgt (vgl. ebd.). Die Betroffenengruppe ­ vom dänischen
Mobilitätsforscher Lassen auch als ,,long-distance workers" (Poppitz, 2009, S.
8

46) bezeichnet ­ weist einen großen Anteil an höheren Angestellten auf (z.B. im
Finanzsektor, Consulting, der IT-Branche sowie Regierungsangestellte), welche
beispielsweise unterwegs zu Kunden, Messen, Fortbildungen oder anderen
Standorten des Arbeitgebers sind. Sie alle betreiben im günstigsten Fall durch
ihre geschäftliche Mobilität Netzwerkpflege, fördern ihre Karrierechancen, er-
weitern den persönlichen Horizont, empfinden Freiheit und Unabhängigkeit und
sehen die Mobilität als bedeutsamen Bestandteil ihrer Identität (vgl. Hupfeld,
Brodersen & Herdegen, 2013, S. 15; Poppitz, 2009, S. 46). Dennoch ist die Ko-
ordination des Familienalltags unerlässlich bei längeren Dienstreisen und muss
gut organisiert werden, da ansonsten Schuldgefühle gegenüber der Familie auf-
treten können. Frauen sind tendenziell besonders konfliktanfällig bezüglich der
Vereinbarkeit von Familienarrangements und Geschäftsreiseerfordernissen.
Des Weiteren sind die Rahmenbedingungen der Geschäftsreise (Verspätung,
organisatorische Pannen, soziale Isolation) ein belastender Stressor, der dem
variablen Mobilitätsverhalten der Geschäftsreisenden entgegensteht. Ergono-
mische Belastungen (aufgrund von mangelnder Ausstattung im Verkehrsmittel
oder der Arbeitsumgebung), Lärm sowie schlechte Licht- und Klimaverhältnisse
stellen einen zusätzlichen physischen Einfluss dar, dem der Betroffene entge-
genwirken muss (vgl. Hupfeld, Brodersen & Herdegen, 2013, S. 17; Poppitz,
2009, S. 46 f.).
Die letzte Gruppe ­ die der Varimobilen ­ kann weder der residenziellen oder
zirkulären Mobilitätsform zugeordnet werden, da Mobilität der Beruf und das
gewählte Verkehrsmittel ihr Arbeitsplatz ist (u.a. Piloten, Fernfahrer, Flug- und
Zugbegleitpersonal). Der Beruf bestimmt den Alltag, An- und Abwesenheit vom
Wohnort können flexibel gestaltet werden, es treten jedoch ähnliche Probleme
wie bei der Gruppe der Pendler auf (vgl. Poppitz, 2009, S. 47).
Generell wird der Entschluss zur arbeitsbedingten Mobilität ­ mobilitätsform-
übergreifend ­ oftmals von den Beschäftigten selbst getroffen (sei es wegen der
attraktiven Arbeitsstelle am Arbeitsort, dem liebgewonnenen Wohnort oder dem
Beruf, der beibehalten werden soll) (vgl. Poppitz, 2009, S. 50). Die Soziologen
Tully und Baier betiteln diese Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung als
,,Mobilitätsgesellschaft II" (Poppitz, 2009, S. 51). Die Kompetenzen des Mobil-
9

seins müssen bereits (als Ressource) existieren oder im Laufe des Alltags er-
lernt werden, um im Beruf nicht nur inhaltlich erfolgreich zu sein: beispielsweise
das Managen von räumlichen und zeitlichen Distanzen und die Integration
technischen Equipments bzw. Arbeitsunterlagen (digital) in den Arbeitsalltag.
Die Einstellung zur Mobilität ist ­ dem IGA-Report der Krankenkassen von 2013
zufolge ­ entscheidend über den Verlauf und das Eintreten von negativen psy-
chischen und physischen Folgen, die durch chronischen Stress aufgrund von
Zeitmangel ausgelöst werden können (u.a. Nervosität, Gereiztheit, Erschöp-
fung, Schlafstörungen, Magen-Darm-Probleme, Bluthochdruck, Depressivität
bzw. Burnout) (vgl. Hupfeld, Brodersen & Herdegen, 2013, S. 12). Die Folgen
der Mobilitätssituation hängen demnach auch entscheidend von verschiedenen
individuellen Einflussfaktoren ab, die zuvor im Text bereits kurz erwähnt wur-
den. Hierzu zählen vor allem die Bedingungen der Mobilität (Selbstbestimmt-
heit), welche bei positiver Auffassung von Mobilität (als Chance) die negativen
Risiken minimieren können (vgl. Hupfeld, Brodersen & Herdegen, 2013, S. 12
f.). Persönliche Dispositionen ­ Zeitmanagementfähigkeiten, Mobilitätskompe-
tenzen (u.a. häufig wechselndes soziales Umfeld), Risikoeinschätzung beim
Autofahren (erhöhtes Unfallrisiko bei Übermüdung und Erschöpfung sowie
Sicherheitsgefährdungen durch Ablenkung aufgrund mobiler Informations- und
Kommunikationstechniken) ­ sind ebenfalls bedeutsam und wirken sich auf das
Erleben der arbeitsbedingten Mobilität aus. Die berufliche Situation ­ Arbeits-
zeitregelungen, Arbeitsteilung, Arbeitsmittel, Technologienutzung und Arbeits-
platzsicherheit ­ spielt gleichzeitig eine wichtige Rolle (vgl. Hupfeld, Brodersen
& Herdegen, 2013, S. 13; Poppitz, 2009, S. 50). Zuletzt ist das private Umfeld
entscheidend. Die Wohnsituation (emotionale Bindung an das eigene Haus
oder den Wohnort), die Erwerbstätigkeit des Partners, die Schulpflicht der Kin-
der oder biografische Einflüsse wie das Alter, der Bildungsgrad oder die Fami-
lienorientierung beeinflussen die Wahrnehmung der eigenen Mobilität stark.
Familiäre und soziale Ressourcen müssen genutzt werden und dienen als
Schutzfaktoren, sind jedoch durch die Mobilität auch selbst in Gefahr (vgl.
Hupfeld, Brodersen & Herdegen, 2013, S. 13; Poppitz, 2009, S. 50 f., 60).
10

2.2 Lebensqualität
Der Begriff der Lebensqualität ist unmittelbar mit den Begriffen Lebensstandard,
Wohlstand, des wirtschaftlichen Wachstums und der Wohlfahrt verknüpft und
kann aufgrund von historischen Zusammenhängen und Interdependenzen nur
mit diesen in Verbindung betrachtet werden.
Im Jahr 1920 entwickelte der englische Ökonom Pigou den Begriff der Lebens-
qualität (,,Quality of Life"), den er bewusst von dem des ökonomischen Wohl-
standes abgrenzte. Letzteren, oft auch unter Lebensstandard betitelt, unterteilte
der schottische Ökonom Smith bereits 1776 in drei Stufen: ,,Subsistence"
(Grundbedarf), ,,Conveniency" (Komfort) und ,,Luxury" (Luxus) (vgl. Hofer, 2009;
Knecht, 2010, S. 16 f.; Noll, 1997, S. 434). Bis 1920 standen damit vor allem die
materiellen Lebensverhältnisse der Bevölkerung im Vordergrund wissenschaft-
licher Untersuchungen ­ ,,Wohlfahrt war gleich dem ,Wohlstand der Nationen`"
(Glatzer & Zapf, 1984, S. 16). Einkommen, Vermögen, Besitz bzw. Konsum von
Dienstleistungen und Gütern ­ kurz die existenzsichernde Versorgung ­ waren
Kategorien, an denen bis dato die sozioökonomischen Lebensbedingungen
(und Mindeststandards) gemessen wurden. Auch Artikel 25 der UN-
Menschenrechtscharta von 1948 beschreibt in diesem Sinne
,,das Recht [eines jeden] auf einen Lebensstandard, der seine und
seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet, einschließlich
Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung und notwendi-
ge soziale Leistungen gewährleistet sowie das Recht auf Sicher-
heit im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität oder
Verwitwung, im Alter sowie bei anderweitigem Verlust seiner
Unterhaltsmittel durch unverschuldete Umstände" (Vereinte
Nationen, 2017).
Anknüpfend an diesen Mindeststandard zur ,,Überwindung existenzieller Not"
(Böhnke & Delhey, 2013, S. 522) folgt bei seiner Unterschreitung die Definition
der Armut. Zugleich spielt nicht nur die Verfügbarkeit materieller Ressourcen
eine wichtige Rolle bei der Betrachtung des Lebensstandards und der damit
verbundenen Teilhabechancen der Bürger an der Gesellschaft: Kulturelle, poli-
tische und soziale Teilhabe in Form von Mitwirken in sozialen Netzwerken bzw.
11

Anspruch auf soziale Sicherung sind ebenfalls entscheidend (vgl. Böhnke &
Delhey, 2013, S. 522).
Mit der wachsenden Massenkonsumgesellschaft, ausgelöst durch die Industria-
lisierung und Entwicklung wohlfahrtsstaatlicher Elemente in den vergangenen
100 Jahren, wurde politischer Handlungsbedarf nötig (vgl. Böhnke & Delhey,
2013, S. 522; Glatzer & Zapf, 1984, S. 17 f.). Die bis in die 1960er Jahre gültige
Vorstellung, dass ein wirtschaftlich entwickelter Staat, in welchem Menschen in
materiellem Wohlstand leben, auch qualitativ für ein gutes Leben dieser Men-
schen sorgt, musste revidiert werden. Zu kurz gegriffen war das Kriterium des
Geldes als Maßstab der Zufriedenheit. Der damalige US-Präsident Johnson
nannte die Lebensqualität als oberstes politisches Ziel in seiner Wahlrede von
1964 (vgl. Knecht, 2010, S. 18). Sein westdeutsches Pendant, Bundeskanzler
Brandt, berief sich 1971 im Rahmen seines Wahlprogramms zur Bundestags-
wahl 1972 auf eine ähnliche Vision, indem er Lebensqualität von Lebensstan-
dard abgrenzt und sie 1973 in seiner Regierungserklärung als ,,Bereicherung
unseres Lebens über Einkommen und Konsum hinaus" (Presse und
Informationsamt der Bundesregierung, 1973, S. 31) definiert und zum ,,zentra-
len Begriff unserer politischen Arbeit" (Presse und Informationsamt der
Bundesregierung, 1973, S. 37) erklärt. Der Begriff der Lebensqualität erlebte in
diesen Jahren einen regelrechten Boom, da es durch die Wissenschaften
aufzuzeigen galt, was der Begriff bedeutete und wie er (nicht nur politisch) ge-
nutzt werden konnte (vgl. Knecht, 2010, S. 18 f.; Kovács, Kipke & Lutz, 2016,
S. 17 f.).
Breite Beachtung fand das in den 1960er Jahren vom amerikanischen Wissen-
schaftler Bauer entwickelte Konzept der Wohlstandsforschung, welches explizit
den Begriff des Wohlstandes (im Sinne von materiellem Lebensstandard) von
dem des Wohlbefindens (im Sinne von kognitiver Deutung aus individualisti-
scher Wahrnehmung) trennt. Es spalteten sich zwei Forschungsströmungen der
Betrachtung von Sozialindikatoren ab: der schwedische und der amerikanische
Ansatz (vgl. Hofer, 2009; Knecht, 2010, S. 23). Fokus des schwedischen An-
satzes um das Forscherteam Erikson und Tåhlin sind objektive Indikatoren zur
Messung der Lebensqualität (u.a. Arbeitslosenquote, Armutsrate, Wochenar-
12

beitszeit). Zusätzlich betrachtet er vorhandene Ressourcen wie beispielsweise
Einkommen, Vermögen, Bildung, soziale Beziehungen sowie psychische Ener-
gien und stellt fest, dass der Einsatz dieser spezifischen Bedingungen unter-
liegt. Kritik wird an subjektiven Indikatoren geübt, die im Fokus des amerikani-
schen Ansatzes stehen und im Gegensatz zu objektiven Indikatoren keinen
Maßstab besitzen und unterschiedlich ausgelegt werden können. Folge hiervon
könnte eine Verharmlosung der sozialen Unterschiede sein, wenn ­ wie nach-
folgend in Abbildung 2
dargestellt ­ objektive Lebensbedingungen und subjekti-
ves Wohlbefinden nicht übereinstimmen (vgl. Knecht, 2010, S. 23 ff.).
Abbildung 2: Wohlfahrtspositionen
(Knecht, 2010, S. 25)
Den schwedischen Trend, objektive und subjektive Dimensionen der Wohlfahrt
zu separieren, setzte der finnische Soziologe Allardt mit seinem im Jahr 1973
entwickelten Modell fort: ,,Welfare" (beobachtbare Wohlfahrt) wurde losgelöst
von ,,Happiness" (zu erfragendes Wohlbefinden). Des Weiteren lehnte er sein
Modell an die 1954 vom amerikanischen Psychologen Maslow entwickelte Be-
dürfnispyramide an ­ Lebensstandard (,,Level of Living") entsprach somit den
Grundbedürfnissen, Lebensqualität (,,Quality of Life") allen höheren Stufen der
Pyramide. Das maslow'sche Modell und Allardts Dimensionen der Wohlfahrt
unterscheiden sich jedoch deutlich in der Abhängigkeit der Entfaltungsmöglich-
keit des Individuums. Die Sicherheits- (nach Allardt: ,,Having"), Zugehörigkeits-
(,,Loving") und Selbstverwirklichungsbedürfnisse (,,Being") sind unabhängig
voneinander und parallel entfaltbar; beispielsweise führt zu wenig Zeit für sozia-
le Kontakte und Erholung trotz materiellem Wohlstand zu Unzufriedenheit (vgl.
Böhnke & Delhey, 2013, S. 522; Glatzer & Zapf, 1984, S. 20 f.; Hofer, 2009;
Noll, 1997, S. 434). Diese Mehrdimensionalität beschäftigte auch den amerika-
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nischen Ökonomen Easterlin, der 1974 mit seinem nach ihm benannten Para-
doxon feststellte, dass Wirtschaftswachstum und steigendes Einkommen nicht
zwangsläufig eine Steigerung der Lebensqualität bedeuten müssen. Demnach
kann bei vorhandenem materiellen Wohlstand eine Stagnation bzw. Sättigung
des subjektiven Glücks- bzw. Lebensqualitätsempfindens stattfinden. Relatives
Einkommen sei ihm zufolge einflussreicher auf das subjektive Zufriedenheits-
empfinden als absolutes; individuelle Verbesserungen werden als wichtiger ein-
geschätzt als kollektive (vgl. Glatzer & Zapf, 1984, S. 18; Müller, Lis & Pfaff,
o.A., S. 5 ff.).
Dieser Perspektivenwechsel sorgte dafür, dass Lebensqualität in den
letzten 30 Jahren öfter von den äußeren, objektiven Faktoren des Lebensstan-
dards/Wohlstandes abgegrenzt wurde und die Forschung ihren Fokus auf indi-
viduelle, innere Befindlichkeiten der Menschen setzt ­ subjektives Wohlbefin-
den/Lebensqualität im Sinne des amerikanischen Ansatzes (vgl. Böhnke &
Delhey, 2013, S. 522 f.; Hofer, 2009; Noll, 1997, S. 436). Die Weltgesundheits-
organisation (WHO) definiert ,,Quality of Life" ebenfalls auf individueller Ebene
3
und klassifiziert die physische und die psychische Gesundheit, den Grad der
Unabhängigkeit (u.a. Mobilität, Abhängigkeit von Medikamenten), die sozialen
Beziehungen, die Umwelt sowie den persönlichen Glauben als Faktoren, die
entscheidend für die Lebensqualität sind. Wichtig bei der Befragung ist jedoch
die subjektive Einschätzung der Probanden, welche dennoch ­ wie bereits zu-
vor im Text erwähnt ­ mit den objektiven Gegebenheiten im Widerspruch ste-
hen kann (WHO, 2017). Die amerikanische ,,Happiness"- bzw. ,,Quality of Life"-
Forschung zielt mit ihren Thesen auf ebendiesen Widerspruch an: Der persönli-
che Blickwinkel des Menschen auf seine Situation ist ausschlaggebend und
führt zu Glücks- oder Unzufriedenheitsempfinden. ,,The quality of life must be in
the eye of the beholder" (Knecht, 2010, S. 26) ­ so definierten 1972 die Sozial-
psychologen Campbell und Converse, Vertreter des amerikanischen Ansatzes,
diese subjektive Wahrnehmung (z.B. auch gesellschaftlicher Veränderung).
3
"(...) an individual's perception of their position in life in the context of the culture and value
systems in which they live and in relation to their goals, expectations, standards and con-
cerns. It is a broad ranging concept affected in a complex way by the person's physical
health, psychological state, personal beliefs, social relationships and their relationship to sa-
lient features of their environment" (WHO, 2017a).
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Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2017
ISBN (PDF)
9783959935609
ISBN (Paperback)
9783959930604
Dateigröße
2.1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Hochschule Fulda – Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften
Erscheinungsdatum
2018 (Februar)
Note
1,0
Schlagworte
Zeitmangel Tagespendler Geschäftsreisende Grounded Theory Wochenpendler
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Titel: Wenn Pendeln das Leben diktiert
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