Das Eigene und das Fremde. Identitätskonstellation bei jungen Muslimen in Deutschland - Eine Filmanalyse von Burhan Qurbanis "Shahada"
					
	
		©2013
		Masterarbeit
		
			
				71 Seiten
			
		
	
				
				
					
						
					
				
				
				
				
			Zusammenfassung
			
				Die vorliegende Studie ist eine Filminterpretation und beschäftigt sich mit der Analyse und Interpretation des von dem deutsch-afghanischen Regisseur Burhan Qurbani gedrehten Films „Shahada“. Es geht um die Geschichten dreier Hauptfiguren: Sara, Ismail und Samir. Der Titel „Shahada“, das Glaubensbekenntnis, bezieht sich auf die erste der fünf Säulen des Islam. Der Kern dieser Masterarbeit ist zum einen die Identitätskonstellation bei den drei Hauptprotagonisten. Zum anderen wird beantwortet, wie die Charaktere mit dem entstehenden Bruch zwischen dem Eigenen und dem Fremden umgehen und wie sie als junge Muslime ihre Interkulturalität leben.
			
		
	Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
4  
1.2. Einleitung  
Die vorliegende Masterarbeit beschäftigt sich mit der Analyse und Interpretation des 
von  dem  deutsch-afghanischen  Regisseur  Burhan  Qurbani  gedrehten  Films 
,,Shahada". 
Dieser Film ist die Abschlussarbeit des Regisseurs an der Filmakademie Wüttenburg 
und gehört zum Genre des Filmdramas. Er wurde im Jahr 2008 in Berlin gedreht und 
mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.  
Der  Titel  ,,Shahada",  das  Glaubensbekenntnis,  bezieht  sich  auf  die  erste  der  fünf 
Säulen des Islam. Aber die Fragen, die sich vor dem ersten Sehen des Films stellen, 
scheinen  zu  sein:  Ist  ,,Shahada"  ein  speziell  deutscher  Film  über  den  Islam  als 
Religion?  Wenn  nein,  welche  Stellung  hat  das  Wort  Shahada  in  diesem 
Zusammenhang?  Wenn  ja:  In  wieweit  sind  Religiosität  und  Spiritualität  der 
Hauptfiguren im Vergleich zu ihrem westlichen Alltagsleben dargestellt und definiert? 
Was behalten sie als junge Muslime vom ihrem Eigenen in der Konfrontation mit dem 
Fremden  und  wie  wirkt  das  auf  ihre  Identitätskonstellation?  Und  was  ist  überhaupt 
das Eigene in Europa geborener Muslime? Aus welchen Anteilen konstruiert sich ihre 
Identität?  
Neben  ,,Shahada"  kommen  noch  die  vier  anderen  Säulen  des  Islams  (das  Gebet, 
Almosengabe,  das  Fasten  und  die  Pilgerfahrt)  als  Kapitelüberschriften  vor.  Diese 
Struktur  der  Handlung  könnte  auch  die  oben  genannte  Fragestellung  während  des 
ersten  Ansehens  legitimieren.  Wenn  man  aber  den  Film  sieht  und  wiedersieht  und 
gut  versteht,  stellt  man  fest,  dass  ,,Shahada"  kein  echter  Film  über  die  Grundlagen 
des Islam ist, d. h. er vermittelt dem Zuschauer nicht bloß, was Islam ist und nicht ist. 
Vielmehr hat der Regisseur Burahan Qurbani versucht zu zeigen, wie man als junger 
Muslim  in  Deutschland  seinen  Glauben  mit  seinem  Alltagsleben  vereinbaren  kann 
und dass man gläubig und ohne Widersprüche und Identitätskrisen dort leben kann. 
Der  Alltag  der  Hauptfiguren  Maryam  (Maryam  Zaree),  Samir  (Jeremias 
Acheampong)  und  Ismail  (Carlo  Ljubek),  ist  zum  einen  durch  Identitäts-  und 
Glaubenskrisen  gekennzeichnet.  Zum  anderen  kommt  es  bei  ihnen,  besonders  bei 
Maryam und Samir zu einem Bruch zwischen dem Eigenen und dem Fremden. Das 
Ergebnis  dafür  lässt  sich  darin  zeigen,  dass  alle  drei  Protagonisten  in  einer  Art 
Interkulturalität leben, ein Leben im Dazwischen. Um eine Zwischenlösung zu finden, 
nimmt  jede  Hauptfigur  ihre  Religiosität  als  Hintergrund  und  versucht  zugleich  auf 
5  
unterschiedliche Art und Weise ein westliches Leben zu führen. Sie versuchen, sich 
für  einen  richtigen  Weg  zu  entscheiden  und  auf  existenzielle  Fragen,  die  der 
Regisseur aufwirft, zu antworten: Wer bin ich? Wen liebe ich? Und woran glaube ich? 
Dabei  kommt  das  Alltagsleben  der  drei  Hauptfiguren  als  drei  Geschichten  vor,  die 
parallel  verlaufen  und  die  gesamte  Geschichte  des  Films  bilden:  Maryam,  Tochter 
eines  Imams,  versucht  mit  einer  ungewollten  Schwangerschaft  zurechtzukommen. 
Am Anfang der Handlung zeigt sie sich eher westlich als muslimisch. Samir, ein Kind 
mit  ausländischer  Herkunft,  durchlebt  eine  moralische  und  glaubensbedingte  Krise 
wegen  seiner  Homosexualität.  Er  muss  sich  dabei  entscheiden,  entweder  seine 
Homosexualität  mit  seinem  Glauben  in  Einklang  zu  bringen  oder  sich  dagegen  zu 
wehren.  Da  interessiert  er  sich  nicht  nur  für  seine  Arbeit  in  einem  Großmarkt, 
sondern  besucht  als  Koranschüler  Vedats  Moschee  (Maryams  Vater).  Der  dritte 
Protagonist Ismail, ein deutscher Polizist mit türkischstämmiger Herkunft, leidet unter 
einer alten und schweren Lebenskrise (er hat den Sohn seiner ehemaligen Freundin 
Leyla (Marija Skaricic) bei einem Dienstunfall erschossen).  
Wie  man  bemerkt,  durchlebt  jeder  Protagonist  Identitätskrisen.  Der  Regisseur  hat 
meines  Erachtens  versucht,  diese  Identitätskrisen  und  moralischen  Probleme  im 
Rahmen des Dilemmas Islam und Westen darzustellen. Die Protagonisten befinden 
sich nicht zuletzt zwischen Modernität und Tradition.  
Die  folgende  Analyse  bezieht  sich  einerseits  auf  die  Identitätskonstellation  bei  den 
drei  Hauptprotagonisten.  Andererseits  wird  darauf  eingegangen,  wie  sie  sich 
gegenüber  dem  entstehenden  Bruch  zwischen  dem  Eigenen  und  dem  Fremden 
verhalten und wie sie als junge Muslime in Deutschland ihre Interkulturalität leben.  
Diese  Arbeit  gliedert  sich  wie  folgt:  das  erste  Kapitel  (1  bis  1.3.) gilt  als  allgemeine 
Präsentation des Films und des Regisseurs. Dazu gehört auch die Begründung der 
Auswahl des Films und des Themas.  
Im  zweiten  Kapitel  wird  zuerst  auf  eine  kurze  Inhaltsangabe  des  Films  ,,Shahada" 
eingegangen.  Danach  wird  die  eigene  Filmanalyse  präsentiert.  Dabei  wird  in  erster 
Linie eine kurze theoretische Darstellung der oben genannten Begriffe (Identität, das 
Eigene und das Fremde und Interkulturalität) durchgeführt.  
Danach wird gezeigt, wie diese Begriffe praktisch im Film angelegt sind und welche 
Bedeutung diese Darstellung meines Erachtens hat. Diese Analyse betrifft auch die 
Merkmale der Hauptfiguren und deren Mehrsprachigkeit in diesem Film.  
6  
Das  dritte  Kapitel  beschäftigt  sich  mit  den  folgenden  Punkten:
  .Bedeutung  wichtiger 
Aspekte des Islams im Film ,,Shahada", die Bedeutung der Moschee im Film
und Vorurteile 
sowie Stereotypen im Film. 
1.3. Zum Regisseur Burhan Qurbani  
Burhan  Qurbani,  geboren  1980  in  Erkelenz,  ist  der  Sohn  afghanischer  Flüchtlinge. 
Burhan  Qurbanis  Eltern  mussten  aus  Afghanistan  nach  Deutschland  fliehen  und 
erhielten  dort  politisches  Asyl.  Nach  seinem  Abitur  2000  in  Stuttgart  sammelte  er 
Erfahrungen  am  Theater,  erst  als  dramaturgischer  Assistent,  später  als  Regie-
Assistent. 2002 trat er sein Studium der Spielfilm-Regie an der Filmakademie Baden-
Württemberg  an.  Burhan  Qurbani  ist  eines  der  ersten  Kinder,  der  bis  heute 
andauernden  afghanischen  Diaspora.  Er  ist  mit  zwei  Kulturen  aufgewachsen:  der 
islamischen und der deutschen. Darüber sagt er:  
,,Muslimisch  erzogen  und  auch  noch  gläubig  sein,  das  ist  angesichts 
eines  Lebens  und  einer  Hochschullaufbahn  in  Deutschland  nicht  immer 
einfach zu verbinden. Überspitz gesagt: Allah und TV  Sakrale und das 
Profane  kamen für mich nicht zusammen."
1
Dieses Zitat zeigt deutlich die inneren Widersprüche des Regisseurs, die mit seinem 
leben in Deutschland verknüpft sind. Er beschreibt diese Widersprüche wie folgt:  
Wenn man einen Vergleich zwischen der Biographie von Burahan Qurbani und der 
Hauptfiguren  im  Film  macht,  kann  man  feststellen,  dass  er  sich  mit  ihnen 
identifizieren  lässt.  Burhan  Qurbani  erklärt,  dass  er  sich  erst  in  den  letzten  Jahren 
zum Islam bekannt hat, ohne diese Widersprüche auflösen zu können. Er sagt:  
,,Erst in den letzten Jahren und mit Filmprojekten wie z.B die Serie dem 
SerienPiloten  <  Vögel  ohne  Beine>,  der  von  Türken  in  Deutschland 
handelt,  wurde  ich  wieder  auf  meine  Ursprünge  zurückgeworfen  und 
musste  feststellen,  dass  sich  die  spirituelle  Erziehung,  die  ich  als  Kind 
und Jugendlicher genossen habe, nicht einfach so abschütteln lässt. So 
1
 Leif, Alexis: Die Himmelsleiter. <http://blog.derbraunemob.info/wpcontent/uploads/2008/07/ 
himmelsleiterpressemappe.pdf>  [05.03.2013]  
7  
kann  ich  mich  inzwischen  zum  Islam  bekennen,  ohne  mich  im  Wider-
spruch auflösen."
2
Meines  Erachtens  kann  man  feststellen,  wenn  man  Burhan  Qurbanis  Biographie 
liest, dass sie sich im Großen und Ganzen in seinem Film ,,Shahada" widerspiegelt. 
Er  hat  versucht,  durch  die  Hauptprotagonisten  seines  Films  seine  eigenen 
Widersprüche in Bezug auf die islamische und westliche Kultur aus der Sicht eines 
Kindes, Jugendlichen und Erwachsenen, zu zeigen.  
1.4. Burhan Qurbani über seinen Film  
Im  Folgenden  geht  es  um  einen  Text  von  dem  Regisseur  des  Films.  Da  erklärt  er 
zum einen seine Meinung zum Film. Zum anderen schildert er Passagen aus seinem 
Leben  in  Afghanistan  als  Kind  und  in  Deutschland  als  Erwachsener.  Dabei  wird 
deutlich,  dass  seine  Auswanderung  von  seinem  Vaterland  in  die  Aufnahme-
gesellschaft Deutschland einen großen Einfluss auf die Entwicklung seiner Identität 
hatte.  Der  Film  ,,Shahada"  greift  all  diese  Entwicklungen  und  Erfahrungen  im  Film 
auf.  
Zuerst spricht er über seine Kindheit und seinen Großvater, über die Trennung von 
seinen Eltern und über die Kriegsjahre in Afghanistan. Da scheint es, dass ihm sein 
Großvater als Vorbild galt:  
,,Ein kleines Gebet auf den Weg. Es gibt da ein Bild aus meiner Kindheit; 
eines, das geblieben ist:  
Wir  leben    ich  bin  vielleicht  zehn  Jahre  alt    alleine  mit  meinem 
Großvater. Meine Mutter arbeitet in einer anderen Stadt, weil es für eine 
alleinerziehende  Frau  mit  gebrochenem  Deutsch  auf  dem  Land  schwer 
ist, einen Job zu finden. Die Trennung meiner Eltern in der Diaspora war 
ein  Skandal  und  mein  Großvater  war  aus  Afghanistan  gekommen,  um 
seiner  gerade  geschiedenen  Tochter  und  ihren  beiden  kleinen  Söhnen 
zur Seite zu stehen. Die Kriegsjahre, der Verlust seines ältesten Sohnes, 
die Zeit im Gefängnis, hatten meinen Großvater zu einem frommen Mann 
2
 Ebd. 
8  
gemacht. Und wie immer war er schon vor Sonnenaufgang aufgestanden, 
um zu beten"
3
.  
Danach  erzählt  Burhan  Qurbani  über  sein  Alltagsleben  und  erklärt,  wie  sein  Groß-
vater die Rolle der Mutter übernommen und ihn den Islam gelehrt hat:  
,,Dann  wie jeden Tag  weckt er uns Kinder für die Schule. Er schmiert 
uns Brote. Er bugsiert uns aus der Haustür. Doch bevor wir uns auf den 
Schulweg  machen,  gibt  er  uns  noch  ein  paar  Worte  mit.  Einen  Satz  auf 
Arabisch,  den  wir  immer  wieder  wiederholen  sollen.  Und  wenn  der  sich 
eingeprägt  hat,  kommt  ein  neuer  dazu,  solange  bis  sich  die  einzelnen 
Fragmente  zu  einem  Gebet  zusammen  fügen.  So  lernten  wir  über  die 
Wochen die ,,Fatiha", das islamische Vaterunser"
4
Danach  stellt  er  fest,  dass  nach  dem  Tod  seines  Großvaters  sein  Bild  vom  Islam 
durch  ihn  geprägt  war,  dennoch  kam  es  nachher  zu  einem  Widerspruch  zwischen 
seinem Glauben und seiner westlichen Kultur:  
,,Der  Beginn  der  Reise,  dies  sind  die  ersten  Erinnerungen  meiner 
religiösen Erziehung. Mein Großvater lebt nicht mehr. Aber mein Bild vom 
Islam  ist  immer  noch  von  ihm  geprägt.  Seine  liebevolle  Art,  seinen 
Glauben  zu  vermitteln,  ihn  uns  zu  schenken,  im  Vorbeigehen.  Und 
dennoch kann ich aus eigener Erfahrung dem jüdischen Satiriker Ephraim 
Kishon nur zustimmen, wenn er schreibt, dass nichts schwieriger sei als 
gläubig  und  aufgeklärt  zu  sein.  Muslimisch  erzogen,  und  auch  noch 
gläubig sein, das ist angesichts eines Lebens in Deutschland nicht immer 
einfach zu verbinden. Überspitzt gesagt: Allah und TV  das Sakrale und 
das Profane  kamen für mich irgendwann nicht mehr zusammen"
5
.  
3
 3 Filmverleih(2010) :Eine bittersuess pictures Produktion in Kooperation mit dem ZDF/Das kleine 
Fernsehspiel und der Filmakademie Baden-Wittenberg.  
<http://www.3rosen.com/src/contpics/3R_ShahadaPH.pdf> [05.03.2013] 
4
 Ebd. 
5
 Ebd.   
9  
Diesen Widerspruch hatte er erst in den letzten Jahren überwinden können. Die drei 
Geschichten  von  den  Protagonisten  im  Film  basieren  auch  auf  diesen 
Widersprüchen.  Für  den  Regisseur  ist  ,,Shahada"  ein  Film,  in  dem  er  diese 
Widersprüche seiner beiden Kulturen filmisch zu verbinden versucht.  
Danach stellt Burhan Qurbani fest, dass er erst in den letzten Jahren seine spirituelle 
Erziehung,  die  er  als  Kind  und  Jugendlicher  genossen  hat,  nicht  einfach  so 
abschütteln  kann.  Auf  diese  Weise  kann  er  sich  inzwischen  zum  Islam  bekennen, 
ohne sich im Widerspruch aufzulösen. Laut ihm ist sein Film ,,Shahada" ein Versuch, 
die  Widersprüche  der  islamischen  und  der  deutschen  Kultur,  in  denen  er 
aufgewachsen ist, filmisch zu verbinden.  
Laut  ihm  ist  ,,Shahada"  auch  kein  Film  über  den  Islam,  sondern  ein  Film  von 
Menschen.  Dabei  stellt  er  fest,  dass  die  Religiosität  der  Protagonisten  ihre 
Geschichten besonders macht und ihre Entscheidungen beeinflusst.  
Ziel  des  Films  ,,Shahada"  dem  Regisseur  nach,  ist  es  nicht,  den  Zuschauer 
didaktisch an die Hand zu nehmen und ihm zu erzählen: Islam, das geht so oder so, 
vielmehr  geht  es  ihm  darum,  Geschichten  von  Menschen  zu  erzählen,  die  eine 
bestimmte Religionszugehörigkeit verbindet, im Vorbeigehen auch ihre Religion und 
ihre Kultur mit zu erzählen.  
Darüber  hinaus  schildert  er  die  Konflikte,  Krisen  und  die  Widersprüche,  mit  denen 
diese Menschen in der deutschen Gesellschaft zu kämpfen haben. Daraus lässt sich 
folgern,  dass  ,,Shahada"  ein  Film  über  Menschen  in  ihren  Krisen,  in  extremen 
Situationen ist. Diese Geschichten beschreibt er wie folgt:  
Eine  Vater-Tochter-Geschichte,  eine  Geschichte  von  Schuld  und  Sühne,  eine 
Geschichte  vom  Wert  des  eigenen  Lebens,  eine  Geschichte  vom  Erwachen  der 
Sexualität.  Es  geht  um  Geschichten,  die  jeder  Zuschauer  für  sich  entdecken  kann. 
Dabei  stellt  sich  Burhan  Qurbani  die  Frage,  was  das  Umfeld,  die  Sozialisation  und 
Religion, von den Hauptfiguren zum Besten wie zum Schlechtesten mit ihnen macht. 
Nach  ihm  beeinflusst  die  Religiosität  der  Figuren  ihr  Handeln  und  ihre  Ent-
scheidungen, was er die Entscheidung nach einem Weg nennt
6
6
 Ebd.   
10  
2.
Das zweite Kapitel: Analyse des Films  
2.1. Inhaltsangabe des Films ,,Shahada"  
Wie schon angedeutet, erzählt der Film ,,Shahada" drei Geschichten von drei jungen 
Muslimen in Deutschland. Diese Geschichten sind miteinander verknüpft und stellen 
das  Alltagsleben  der  Hauptfiguren  dar,  die  weder  ein  ganz  muslimisch  geprägtes 
noch ein ganz westliches Leben führen. Die Orte der Begegnung dieser Geschichten 
der Hauptfiguren sind die Moschee, die Diskothek, die Arbeitsorte und die Wohnung.  
Im  Folgenden  werden  die  drei  Geschichten  kurz  dargestellt  und  im  zweiten  Kapitel 
werden sie bezüglich der Begrifflichkeiten Identität, das Eigene und das Fremde und 
Interkulturalität und der Hauptmerkmale der Protagonisten interpretiert.  
Am  Anfang  führt  der  Film  den  Zuschauer  in  eine  Diskothek,  wo  Maryam  und  ihre 
Freundin  zusammen  tanzen  und  Bier  trinken.  Es  geht  um  ein  junges  Mädchen, 
dessen Vater (Vedat) Imam in einer Moschee ist. Sie sieht wie ein lebenslustiges und 
westlich orientiertes Mädchen aus, das gut integriert ist und gerne mit ihrer Freundin 
ausgeht. Oft entstehen Missverständnisse  zwischen dem Vater und seiner Tochter, 
die  zu  Auseinandersetzungen  und  Konflikten  führen.  Der  Grund  dafür  liegt  darin, 
dass sie ein freies und ganz westliches Alltagsleben führt. Wegen dieser schwierigen 
Beziehung  informiert  Maryam  ihrem  Vater  nicht,  dass  sie  von  ihrem  ehemaligen 
Freund  ungewollt  schwanger  ist.  Danach  versucht  Maryam  eine  Abtreibung 
durchzuführen,  die  erfolgreich  war,  aber  die  Blutung  hört  nicht  auf.  Infolgedessen 
beginnt  sie  sich  nach  und  nach  für  den  Islam  zu  interessieren  und  nimmt  an  dem 
Koranunterricht in Vedats Moschee mit anderen jungen Frauen teil. Ihr Interesse für 
den Islam hat sie aber allein zu einer strengen Religiosität geführt, was noch andere 
Konflikte  sowohl  mit  ihrem  Vater  als  auch  mit  den  anderen  Moschee-Besuchern 
verursacht  hat.  Durch  eine  starke  Blutung  wurde  sie  ins  Krankenhaus  gebracht. 
Dadurch  erfährt  ihr  Vater,  dass  sie  ungewollt  schwanger  war,  zeigt  aber  ihr 
gegenüber seine Sorgen und Hilfsbereitschaft.  
In der nächsten Episode geht es um die jüngere Hauptfigur Samir (Sami im Film), der 
aus Nigeria kommt und mit seiner allleinerziehenden Mutter Amira (Yollette Thomas) 
zusammen lebt. Im Gegensatz zu Maryam scheint er von Anfang an gläubig zu sein. 
In  seiner  Freizeit  besucht  er  zusammen  mit  seinem  Freund  Sinan  den  Koran-
unterricht  an  der  Moschee  von  Maryams  Vater  Vedat.  Beide  arbeiten  in  einem 
11  
Großmarkt,  wo  auch  ein  Freund  von  Sinan,  Daniel  (Sergej  Moya)  arbeitet.  Dabei 
entwickelt  sich  eine  Beziehung  zwischen  Daniel  und  Sami  von  Bekanntschaft  und 
Freundschaft  zu  einer  homosexuellen  Beziehung,  da  Daniel  schwul  ist.  Beide 
geraten  in  eine  moralische  Glaubenskrise:  Samir  kann  als  gläubiger  Muslim  seine 
Homosexualität  nicht  überwinden.  Daniel  scheint  verliebt  in  Sami  zu  sein  und 
verlangt von ihm das Selbe. Beide müssen sich entscheiden.  
Die  dritte  Episode  ist  Ismail  (Carlo  Ljubek),  ein  deutscher  Polizist  mit  türkischer 
Herkunft.  Er  ist  mit  einer  deutschen  Frau  Sarah  (Anne  Ratte-Polle)  verheiratet  und 
hat ein Kind. Ismails Geschichte beginnt mit seinem Treffen mit Leyla. Da entdeckt 
er,  dass  sie  nicht  nur  keine  Aufenthaltsgenehmigung  hat,  sondern  auch  illegal 
arbeitet  und  trotzdem  bestraft  er  sie  nicht.  Von  der  Handlung  des  Films  lernen  wir 
aber, dass er vor drei Jahren einen gefährlichen Unfall verursacht hat, in dem sie ihr 
Kind  verloren  hat.  Nach  diesem  Treffen  fühlen  sich  beide  schuldig:  Ismail  kommt 
nicht mehr mit diesem Unfall zurecht und versucht sich durch die Nähe mit Leyla zu 
trösten.  Layla  lehnt  diese  Nähe  ab  und  glaubt,  dass  der  Unfall  eine  Strafe  Gottes 
war.  Am  Ende  verlässt  Ismail  seine  Frau  Sarah  und  beginnt  mit  Leyla  eine  neue 
Beziehung.  
Nach dem Lesen der Geschichten von den drei Hauptfiguren ist festzustellen, dass 
die  Figuren  eine  Glaubenskrise  durchleben.  Schließlich  müssen  die  Protagonisten 
ihre  moralischen  Werte  und  Überzeugungen  überdenken  und  den  Weg  einer 
Neuorientierung  und  Redefinition  derselben  gehen.  Ihre  Entscheidungen  und  die 
neue Orientierung finden nicht ohne eine Identitätskrise statt. Eine neue Konstruktion 
des  Eigenen  und  des  Fremden  scheint  dabei  notwendig  zu  sein,  denn  die 
Unterscheidung  zwischen  dem  Innen  dem  Eigenen  und  dem  Fremden  für  alle 
Protagonisten  scheint  schwer  zu  sein.  Welche  Entscheidungen  müssen  die 
Hauptfiguren dann treffen? Warum müssen sie sich neu orientieren? Was hat das mit 
ihrem  Eigenen  und  ihrem  Fremden  zu  tun?  Welche  Vor-  und  Nachteile  hat  diese 
neue  Orientierung  auf  ihre  ganze  Identität  und  auf  ihr  Leben?  Daraufhin  wird  im 
folgenden  Kapitel  analytisch  eingegangen.  Das  Ziel  dieses  Vorgehens  ist,  die 
Identitätskonstruktion und den Bruch zwischen dem Eigenen und dem Fremden bei 
den Hauptprotagonisten zu erklären, d. h., wie sich die Identität der in Deutschland 
geborenen  Muslime  konstruieren  lässt  und  was  ist  eigentlich  das  Eigene  und  das 
Fremde an ihnen?  
12  
Zuerst  sollen  aber  die  Begrifflichkeiten  Identität,  das  Eigene  und  das  Fremde  und 
Interkulturalität  theoretisch  im  Zusammenhang  mit  dem  Film  erläutert  werden.  Das 
Ziel dieses Schrittes ist, dem Leser einen Überblick zu geben, um die ganze Analyse 
besser zu verstehen.  
2.2. Erläuterung der Begriffe: Identität, das Eigene und das Fremde und 
Interkulturalität  
Einführend  werden  die  Begrifflichkeiten  Identität,  das  Eigene  und  das  Fremde  und 
Interkulturalität theoretisch kurz skizziert und erläutert. Das Ziel hierbei ist, dem Leser 
eine  Basis  zu  schaffen,  die  folgende  Analyse  des  ausgewählten  Films  besser 
verstehen  zu  können.  Nachher  wird  gezeigt,  wie  diese  Begrifflichkeiten  im  Film 
,,Shahada" angelegt sind.  
2.2.1. Identitätskonzept 
Bereits  im  oben  genannten  Seminar  wurde  festgestellt,  dass  es  keine  all-
gemeingültige  Definition  des  Identitätskonzeptes  gibt.  Der  Grund  dafür  liegt  meiner 
Meinung  nach  darin,  der  Begriff  Identität  aus  philosophischem,  psychologischem 
oder linguistischem Blickwinkel betrachtet werden kann. Dazu gehört, dass jeder von 
uns ein eigenes Bild und eine eigene Vorstellung von sich selbst und seiner Identität 
hat.  Da  kann  man  nicht  von  einer  einzigen  Definition  der  Identität  sprechen.  In 
diesem  Zusammenhang  und  bezüglich  des  ausgewählten  Films  ,,Shahada"  kann 
man auch, meines Erachtens, nicht von einer einzigen und identischen Identität von 
den  drei  Hauptfiguren  sprechen.  Im  Folgenden  werde  ich  nun  kurz  auf  die 
wichtigsten Definitionen dieses Konzeptes eingehen.  
Laut George Herbert Mead
7
, leitet sich der Begriff Identität vom Lateinischen ,,Idem" 
ab und bedeutet so viel wie der/ die/das Selbe, der/die/das Gleiche. Er sagt:  
7
George Herbert Mead war ein US-amerikanischer Philosoph und Psychologe. Er studierte unter  
anderem in Leipzig und Berlin und war von 1894 bis zu seinem Tode Professor für Philosophie und 
Sozialpsychologie an der University of Chicago ( Wikipedia-Personensuche (Hrsg) o.J.: George 
Herbert Mead. Wikipedia-Personensuche <http://de.wikipedia.org/wiki/George_Herbert_Mead> 
[20.03.2013]  
13  
,,Hier soll aber von der Identität von Menschen die Rede sein. Und zwei 
Menschen sind sich nie vollkommen gleich, auch wenn es bei Zwillingen 
auf den ersten Blick so aussehen mag" (Herbert Mead, o.J a, S. 1).
8
G.  H.  Mead  erläutert  die  Identität  im  Wandel  der  Zeit  und  in  der  persönlichen 
Entwicklung und stellt fest, dass sich die Identität jedes Menschen im Laufe der Zeit 
verändert. (vgl. Mead b, S. 1).  
Diese Veränderung gilt nicht nur für den Körper, sondern ebenso für die Seele und 
betrifft  unsere  Charakterzüge,  Gewohnheiten,  Meinungen,  Begierden,  Freuden  und 
Befürchtungen. All das bleibt, laut Mead, in jedem Einzelnen niemals gleich, sondern 
das eine entsteht, das andere vergeht. Auf diese Weise verändert sich der Mensch 
unablässig und ist doch immer dieselbe Person. Bezüglich dieser Veränderung stellt 
G. H. Mead die Frage, ob das mit unserem Alter, unserem täglichen Leben und mit 
unseren eigenen Erfahrungen und deren Auswirkungen verbunden ist. In Bezug auf 
das Alter konstatiert er, dass sich das Selbstbild jedes Menschen weniger ändert, je 
älter er wird. Dieses Selbstbild gewinnt man im Laufe der Zeit von sich selbst und hat 
einen  Effekt  auf  das  Handeln  des  Einzelnen  im  täglichen  Leben.  Auf  diese  Weise 
basiert  unsere  Identität  auf  den  gemachten  Erfahrungen,  sowohl  positiver  als  auch 
negativer  Art.  Dabei  ist  aber  darauf  hinzuweisen,  dass  es  nicht  immer  um  die 
eigenen Erfahrungen geht, sondern auch um Einflüsse von außen (vgl. Herbert Mead 
c, S. 1f)
9
. 
Die  zweite  wichtige  Definition  des  Identitätskonzeptes,  die  meines  Erachtens  in 
Zusammenhang  mit  der  oben  skizzierten  Definition  steht,  ist  von  Stuart  Hall
10
,  der 
sich  laut  Inga  Selck  mit  den  Eigenschaften  kultureller  Identität  befasst  habe.  Er 
beschreibe  die  Identität  als  prozesshafte  Produktion,  die  nie  ein  Ende  findet  (vgl. 
Selck 2007, S. 6). ,,die Identität, um mit den Worten von Hall zu sprechen, ist weder 
so vollkommen transparent, noch so unproblematisch, wie wir denken'"
11
.  
8
Herbert Mead, George (o.J): Der Begriff Identität. <http://www.pellionis.de/identity/downloads/ 
Identitaet.doc> [20.03.2013]
9
 Ebd.   
10
 Stuart Hall ist ein in Jamaika britischer Soziologe, der maßgeblich an der Gründung des Center for 
Comtemporary Cultural Studies 1964 an der Universität Birmingham beteiligt war und somit als 
Mitbegründer der Denk- und Forschungsrichtung Cultural Studies bezeichnet werden kann (...) (vgl. 
Selck, 2007, 6)   
11
 Selck, Inga ( 2007): Das Eigene und das Fremde- Identitätskonstruktionen von Migranten im 
deutschen Film. 
14  
Laut Inga Selck nennt Hall zwei Wege, um kulturelle Identität zu verstehen:  
,,Erstens ist die Summe der Gemeinsamkeiten der Mitglieder einer Kultur, 
also  der  gemeinsamen  Erfahrungen  und  der  kulturellen  Codes.  Die 
andere  Deutung  schließt  darüber  hinaus  die  Unterschiede  und  die 
Wandlungsfähigkeiten mit ein"
12
. 
2.2.2. Das Eigene und das Fremde  
Laut  der  Literaturkritikerin  Marina  Münkler
13 14
 bezeichnet  das  Wort  ,,fremd"  im 
Lateinischen ,,Extraneus" und bedeutet das, was außerhalb des eigenen Hauses, des 
eigenen  Herrschaftsbereichs  oder  des  eigenen  Staates  und  ihm  daher  nicht 
zugehörig ist.  
Fremdheit  kann,  nach  M.  Münkler,  einerseits  sozio-politisch  im  Sinne  von  Nicht-
zugehörigkeit  gefasst  werden,  andererseits  kann  sie  lebensweltlich,  wissens-
soziologisch oder epistemologisch im Sinne von Unvertrautheit definiert werden. (vgl. 
Münkler, S. 2)
15
. 
In  seinem  Buch  ,,Interkulturelle  Literaturwissenschaft"  weist  Michael  Hofmann
16
 auf 
drei  verschiedene  Bedeutungen  des  Wortes  ,,fremd"  hin.  Er  konstatiert,  dass  das 
deutsche  Wort  ,,fremd"  ausgesprochen  vieldeutig  ist.  Dieser  Begriff  wird  in  anderen 
Sprachen mit verschiedenen Wörtern wiedergegeben. ( vgl. Hofmann, S. 14)  
<http://www.filmportal.de/sites/default/files//EC909D0310ED4F08BBEA11B0E1200CAF_ 
Das_Eigene_und_da s_Fremde.pdf> 2 [0.03.2013]   
12
 Ebd., S. 6  
13
 Marina Münkler, geb. 1960 ist eine deutsche Literaturwissenschaftlerin. Nach dem Abitur studierte 
sie vom  
14
 bis 1984 Germanistik, Philosophie und Theaterwissenschaften an der Johann Wolfgang 
GoetheUniversität Frankfurt am Main. Sie beschäftigt sich unter mit Alterität und Interkulturalität, 
legendarischem  
Erzählen und mit der Gattungstheorie (Wikipedia-Personensuche:<http://de.wikipedia.org/wiki/Marina_ 
M%C3%BCnkler> [27.03.2013]  
15
 Münkler, Marina: Wie, wir ein Europäer waren,...'Fremdheitserfahrung in Vergangenheit und  
Gegenwart.<http://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=marina%20m%C3%BCnkler%20das%20fremd
e%3A% extraneus&source=web&cd=1&cad=rja&ved=0CC4QFjAA&url=http%3A%2F%2Fweb.ev- 
akademietutzing.de%2Fcms%2Fget_it.php%3FID%3D1062&ei=odBNUbyCE4KxPMuJgJAE&usg=AF
QjCNEu l9gFMWoZV_sNopHs68tqY6XlQ> [27.03.2013] 
16
 Michael Hofmann,geb. 1957, Professor für neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität 
Paderborn; Lehrtätigkeit in Nancy, Bonn, Lüttich, Herausgeber des Peter Weiß Jahrbuchs und des 
Johnson Jahrbuchs, Forschungsschwerpunkte: Literatur der Aufklärung, weimarer Klassik, 
interkulturelle Literaturwissenschaft (Hofmann, Mechael 2006: Interkulturelle Literaturwissenschaft: 
eine Einführung. Paderborn: Wilhelm Fink Verlag, S. 5)   
15  
Die erste und ,,grundlegende Bedeutung" lässt sich laut ihm wie folgt erläutern:  
,,Fremd ist, was außerhalb des eigenen Bereichs vorkommt. Hier ist also 
ein  typografischer Aspekt entscheidend, der auch in der Etymologie des 
deutschen Wortes deutlich wird: ahd. ,,fremd" hatte die Bedeutung ,, fern". 
Fremdheitserfahrungen  haben  also  zu  tun  mit  dem  Auszug  aus  der 
vertrauten  Umgebung,  mit  Reise,  Eroberung,  Kolonialisierung,  auch  mit 
Kriegszügen.  Der  ,,Fremde"  in  diesem  Sinne  ist  der  von  weit  her 
Kommende, auf den in den wichtigen europäischen Sprachen die Wörter 
,, externum", ,,peregrinum", ,,foreigner" und ,,étranger" verweisen
17
.  
Da verbindet Hofmann die Fremdheit mit der Verwechslung aus der vertrauten Welt. 
Die zweite Bedeutung des Wortes ,,Fremd" formuliert Hofmann wie folgt:  
,,Fremd ist, was einem anderen gehört, wobei in diesem Verständnis auch 
der  Aspekt  der  Nationalität  eine  wichtige  Rolle  spielen  kann.  Im 
Lateinischen  und  Englischen  werden  in  diesem  Zusammenhang  die 
Wörter ,,alienus" und ,,alien" gebraucht"
18
.  
Charakteristisch  für  diese  Bedeutung  ist,  dass  Hofmann  das  Wort  ,,Fremd"  mit 
Nationalität  und  Zugehörigkeit  in  Einklang  bringt,  d.  h.,  was  dem  anderen  gehört, 
gehört mir nicht und umgekehrt.  
Nach  Hofmann  ist  aber  die  dritte  Bedeutung  des  Konzeptes  ,,Fremd"  die  wichtigste 
im Hinblick auf die Analyse. Sie lässt sich nach ihm wie folgt erläutern:  
,,Fremd ist, was von fremder Art ist und als fremdartig gilt. Hier erscheint 
das Fremde als das Unvertraute, als das, was in seiner Erscheinung und 
möglicherweise  auch  in  seinem  ,,Wesen"  als  grundsätzlich  verschieden 
von  dem  Subjekt  betrachtet  wird,  von  dem die  Bestimmung  ausgeht. Im 
Französischen und Englischen wird diese Facette der Fremdheit in sehr 
glücklicher Weise jeweils mit einem Wort ausgedrückt, das dem die erste 
17
 Hofmann, Mechael2006: Interkulturelle Literaturwissenschaft: eine Einführung. Paderborn: Wilhelm 
Fink Verlag, S. 14  
18
 Ebd., S. 15  
16  
Bedeutungsvariante  ausdrückenden  ähnelt,  aber  eben  nicht  mit  ihm 
identisch ist: ,,étrange", ,,strange""
19
Wenn  man  diese  Bedeutungen  liest,  stellt  man  die  Frage,  ob  das  Fremde  das 
Gegenteil des ,,Eigenen" ist. Daher kann man sagen, dass das Eigene bedeutet, alles 
was dem Einzelnen gehört. Es sei denn, zu seiner Umgebung, zu seiner Nation.  
In  diesem  Rahmen  nennt  Hofmann  verschiedene  Facetten  des  Fremden  bzw.  der 
Erfahrung mit Fremdheit im Zusammenhang mit dem Eigenen.  
Die  ,,sicherlich einsichtigste"  Facette  der  Erfahrung  von  Fremdheit,  das  Fremde  als 
das  noch  Unbekannte,  begegnet  uns  laut  Hofmann  in  dem  Fremden  als  dem  noch 
Unbekannten, dem noch Bewussten. Da kann das Fremde vertraut werden und zur 
Bereicherung des Eigenen beitragen (vgl. Hofmann 2006, S. 17). Eine andere Form 
der  Fremdheitserfahrung  ist  nach  Hofmann  ,,das  Fremde  als  das  Unbekannte 
Drinnen".  Diese  Form  bezieht  sich  auf  die  unbekannten  Personen,  die  in  einem 
vertrauten  Raum  eines  Menschen  auftauchen.  Ihre  ,,Aufnahme"  nach  Hofmann 
scheint  ein  kulturelles  und  soziales  Problem  zu  sein  (vgl.  Hofmann  2006b,  S.  18). 
Das  Fremde  nach  Hofmann  könnte  auch  auf  ,,das verdrängte Eigene"  verweisen. 
Dieser  Form  nach  bezieht  sich  das  Fremde  auf  eine  ,,Entfremdungs-Erfahrung"  der 
Moderne und bedeutet ihm zufolge, dass der Mensch sich selbst fremd werden kann. 
Da  können  die  Menschen  die  Fremdheit  der  anderen  akzeptieren  (vgl.  Hofmann, 
2006 c, S. 18f).  
,,Fremdheit, um mit den Worten von Senocak zu sprechen, begegnet uns 
nicht nur in anderen, sie beginnt im eigenen Haus als Fremdheit meines 
Selbst oder als Fremdheit unserer Selbst. Traditionell gesprochen handelt 
es  sich  um  eine  intersubjektive  Fremdheit  im  Gegensatz  zur  inter-
kulturellen Fremdheit (...)"
20
.  
Neben diesen Formen der Fremdheitserfahrungen nennt Hofmann auch vier andere: 
Fremdheitsaspekte  als  Resonanzboden  des  Eigenen,  Fremdheit  als  Gegenbild, 
Fremdheit als Ergänzung und Fremdheit als Komplementarität.  
19
 Ebd., S. 19  
20
 Ebd., S. 19  
17  
Der  Begriff  "fremd"  umfasst,  meines  Erachtens,  alles,  was  nicht  zu  meinem 
Kulturkreis und/oder zu meiner Nation gehört. Es könnte eine Person, ein Gefühl, ein 
Ort  oder  eine  Kulturkomponente  sein.  In  diesem  Sinne  ist  mir  das  Fremde 
unbekannt. In diesem Zusammenhang stellt sich die folgende Frage: soll das Fremde 
fremd bleiben oder kann vertraut werden? Einerseits kann das Fremde eine Funktion 
der  Ergänzung  und  der  Entfaltung  der  Eigenheit  haben.  Es  hängt  nur  davon  ab, 
inwieweit  der  Mensch  in  der  Lage  ist,  das  Fremde  für  sich  entdecken  und  dadurch 
sich über Selbständerungen anzueignen. Da ist die Bereitschaft des Menschen von 
großer  Bedeutung.  Andererseits  kann  man  nicht  von  einer  Faszination  mit  dem 
Fremden  sprechen,  weil  das  Fremde,  also  das  Neue  und  das  Ungewohnte  als 
bedrohlich scheint und kann zum Kulturschock führen.  
2.2.3. Eigene Einstellung:  
Im  Folgenden  geht  es  um  meine  eigene  Einstellung  zu  den  oben  genannten 
Begriffen Da stellen sich folgende Fragen:  
Was  ist  meine  Identität?  Wer  bin  ich?  Worauf  bezieht  sich  dieses  ,,Ich"?  und  nicht 
zuletzt was ist der/das/die Andere für mich?  
Zuerst  und  nach  der  Suche  der  Definition  von  Identität  habe  ich  sehr  viele 
Erläuterungen  von  einigen  Wissenschaftlern  gefunden.  Ich  stelle  fest,  dass  dieser 
Begriff sehr vieldeutig ist. Viele Definitionen scheinen mir sehr subjektiv als objektiv 
zu sein.  
Für mich bezieht sich meine Identität auf die Entwicklung meiner Persönlichkeit. Sie 
ist ein langer Prozess, der unser Leben im Allgemeinen beeinflusst. Dieser Prozess 
dauert von meiner Geburt bis zu meinem Tod. Schon als ungeborene Kinder werden 
wir von den Launen und der Gesundheit unserer Mütter beeinflusst und auch auf sie 
Einfluss nehmen. Mein Identitätsprozess bzw. die Entwicklung meiner Persönlichkeit 
wird dann durch mehrere Personen, Umgebungen und anderen Dingen bestimmt.  
Es geht um Dinge, die ich schon vorher wusste und/oder deren ich mir nicht bewusst 
war.  Damit  ich  nicht  nur  theoretisch  spreche,  möchte  ich  eine  kurze  Passage  aus 
meinem Leben schildern, die meiner Meinung nach die Entwicklung meiner Identität 
darstellt:  
18  
Ich  war  13  Jahre  alt  als  ich  aus  meinem  Elternhaus  und  meinem  Dorf  in  die  Stadt 
Fes umgezogen bin. Ich wohnte bei meiner Großmutter und meinem älteren Bruder. 
Es  war  die  Notwendigkeit  um  weiterlernen  zu  können,  denn  auf  dem  Dorf  gab  es 
keine Möglichkeit sich weiter zu bilden. Mein Umzug an sich war eine Entscheidung, 
die mein bisheriges Leben geprägt hat.  
Mein  Leben  in  der  Stadt  war  in  den  ersten  Monaten  was  die  Schule  und  auch  die 
Umgebung betrifft eine große Umstellung. Das Chaos in der Stadt war mit dem stillen 
Dorfleben  nicht  zu  vergleichen.  Die  Lehrer  und  die  Mitschüler  beeinflussten  mich 
positiv  wie  negativ.  Aus  psychischer  Sicht  gesehen  hatte  ich  Gefühle  wie  Ent-
fremdung  und  Angst  aber  auch  Neugier.  Auch  diese  Gefühle  waren  von  großer 
Bedeutung.  
Es bestätigt sich die Tatsache, dass unsere Umgebung einen großen Einfluss auf die 
Entwicklung unserer Identität hat.  
Auch andere Faktoren, die in Bezug auf den Prozess der Identitätsentwicklung des 
Menschen von großer Bedeutung sind, sind die Familie und die Freunde.  
Ich musste mich als erstes an meine Großmutter gewöhnen, die die Rolle der Mutter 
übernahm.  Ihre  Hilfsbereitschaft  und  Unterstützung  war  für  mich  von  großer 
Bedeutung. Die Sorge meiner Großmutter um mich hat mir jedoch Einschränkungen 
gesetzt  die  sich  auf  meine  Freiheit  und  Freizeitbeschäftigungen  ausgewirkt  haben. 
Die Beziehung zu meinem älteren Bruder hat sich kontinuierlich entwickelt. Ich habe 
am Anfang viel Wert auf seine Meinung gelegt und so sah ich ihn als mein Vorbild 
anstatt des Vaters.  
Daraus lässt sich konstatieren, dass sowohl die Erziehung im Elternhaus als auch in 
der  Schule  auf  uns  psychisch,  beruflich  und  privat  Einfluss  hat.  Im  Bezug  auf  die 
Freunde  lag  die  Schwierigkeit  darin,  neue  Freunde  zu  finden,  die  zur  selben 
Umgebung oder in dieselbe Klasse gehören.  
Meines Erachtens sind die Schwierigkeiten und die Entscheidungen für den Weg der 
Kern des Problems im Bezug auf die Identitätsentwicklung des Menschen. Wenn der 
auserwählte Weg zum Erfolg, Entfaltung und Entwicklung des Ichs führt, kann man 
von  einer  positiven  Entwicklung  des  eigenen  Ich  sprechen.  Diese  positive 
Entwicklung  verstehe  ich  als  Bereicherung  meines  eigenen  Ich.  Sind  aber  die 
Misserfolge,  die  Demütigungen  und  der  Bruch  zwischen  dem  Eigenen  und  dem 
Fremden  das  Ergebnis  jeder  Entwicklung,  dann  spricht  man  von  einer  negativen 
Entwicklung. In  diesem  Fall  könnte  die  Identitätsentwicklung  auf der  einen  Seite  zu 
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Erstauflage
- Erscheinungsjahr
- 2013
- ISBN (Paperback)
- 9783959930673
- ISBN (PDF)
- 9783959935678
- Dateigröße
- 706 KB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Université Mohammed V Rabat – Interkulturelle Germanistik
- Erscheinungsdatum
- 2018 (Juni)
- Note
- 2,0
- Schlagworte
- Islam Interkulturalität Kulturalität Filminterpretation Burhan Qurbani Muslime Identität
- Produktsicherheit
- BACHELOR + MASTER Publishing
 
					