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Warum verstehen wir Sprache so schnell?

Modelle zum Sprachverstehen

©2009 Bachelorarbeit 45 Seiten

Zusammenfassung

Dieses Buch befasst sich mit der Frage, warum und wie wir Sprache verstehen. Es werden dabei zwei verschiedene Modelle des Sprachverstehens vorgestellt und einander gegenübergestellt: Das Garden-Path-Modell als Methode innerhalb eines mehrstufigen Ansatzes bei der Sprachverarbeitung und das lexikalistische Modell als Vertreter eines einstufigen Ansatzes. Es wird danach gefragt, warum bestimmte Sätze einfacher zu verstehen sind als andere, die unter Umständen erhebliche Verständnisprobleme bereiten. Die beiden Methoden liefern jeweils unterschiedliche Erklärungen für dieses Phänomen, was in ihrer Vorgehensweise beim Verstehen eines Satzes begründet ist.
Dieses Buch führt zunächst in die grundlegenden Begriffe zum Thema Sprachverstehen ein und ordnet das Vorgehen beim Sprachverstehen in einen Kontext ein. Anschließend werden anhand von verschiedenen Sätzen die beiden grundsätzlichen Sprachverstehenstheorien vorgestellt, um sie am Ende voneinander abzugrenzen und Impulse für weitere Forschungsansätze zu liefern, da bislang noch nicht geklärt ist, warum und wie wir Sprache verstehen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Generelles zum Sprachverstehen

3. Das mehrstufige Prinzip der Sprachverarbeitung
3.1 Das Garden-Path-Modell
3.2 Wie werden Garden-Path-Effekte mit dem mehrstufigen Parsingprinzip erklärt?
3.3 Zusammenfassung

4. Das einstufige Prinzip der Sprachverarbeitung
4.1 Das lexikalistische Modell
4.2 Wie werden Garden-Path-Effekte mit dem einstufigen Parsingprinzip erklärt?
4.3 Zusammenfassung

5. Vergleichendes Fazit und Kritik

6. Literaturangaben

1. Einleitung

In der Alltagskommunikation stellen wir immer wieder fest, dass wir Sätze nicht auf Anhieb richtig verstehen. Sei es beim Hören eines gesprochenen oder vor allem beim Lesen eines geschriebenen Satzes. Immer wieder kommt es vor, dass wir mit einem anderen Aus- oder Fortgang eines begonnen Satzes gerechnet haben und überrascht feststellen müssen, dass wir diesen auch als Muttersprachler schwer oder im schlimmsten Fall zunächst sogar gar nicht verstehen. Wir haben also Schwierigkeiten bei der Verarbeitung von bestimmten Sätzen. Genau diese Schwierigkeiten, die beim Satzverständnis auftreten, sind für die psycholinguistische Forschung im Bereich des Sprachverstehens von besonderem Interesse. Denn es ist keinesfalls geklärt, wie überhaupt das Verständnis eines Satzes zustande kommt. Unbestritten scheint nur, dass das Verständnis eines Satzes nicht unstrukturiert und willkürlich entsteht, sondern durchaus bestimmten Prinzipien folgt. Über die Frage, wie genau nun aber diese Prinzipien aussehen, ist sich die Forschung (noch) nicht einig.

Ziel dieser Arbeit ist es, zwei grundsätzliche Methoden, welche die Sprachverstehensforschung für die Satzverarbeitung vorschlägt, vorzustellen und gegeneinander abzugrenzen: Die einstufige und die mehrstufige Vorgehensweise bei der Satzverarbeitung.

Zu Beginn müssen dazu allerdings zunächst einige generelle Fragen zum Sprachverstehen geklärt werden. Mit Hilfe dieser eingeführten Begriffe und Vorstellungen möchte ich danach zuerst die Idee einer mehrstufigen Theorie der Sprachverarbeitung darstellen und dabei auf einen prominenten Vertreter – das Garden-Path-Modell – näher eingehen.

Im Kontrast dazu soll im Anschluss daran die Vorstellung einer einstufigen Methode der Sprachverarbeitung erklärt werden und ebenfalls näher auf ein bekanntes Modell – das lexikalistische Modell – eingegangen werden.

In beiden Kapiteln soll jeweils auch die Frage gestellt werden, wie die oben angeführten Verarbeitungsschwierigkeiten erklärt werden können.

Dabei möchte ich die beiden Theorien zusammenfassend voneinander abgrenzen.

2. Generelles zum Sprachverstehen

Was in der Einleitung noch etwas unspezifisch als „wir“ bezeichnet wurde, wenn es darum ging, zu fragen, wie das Satzverständnis zustande kommt, ist in der Sprachverstehensforschung eine zentrale Größe: Sie spricht hier vom Parser. Dieser Begriff bezeichnet „dasjenige Teilsystem unseres kognitiven Systems, das beim Sprachverstehen für die Berechnung syntaktischer Strukturen zuständig ist […].“[1] Dabei wird davon ausgegangen, dass dieser Mechanismus zumindest bei allen menschlichen Parsern weitestgehend ähnlich bzw. identisch arbeitet. Deshalb kann wiederum auch davon ausgegangen werden, dass alle Parser die oben genannten Schwierigkeiten bei der Satzverarbeitung bestimmter Sätze haben sollten. Deshalb können in Experimenten gezielt bestimmte Sätze konstruiert werden, bei denen Verarbeitungsschwierigkeiten zu erwarten sind. Denn diese werden in der Forschung genutzt, um Rückschlüsse auf den Parsingmechanismus zu erhalten – sie sollen Argumente für eine bestimmte Vorgehensweise liefern. Und zwar, indem man versucht, durch Studien herauszufinden, wie verschiedene Informationsquellen zum Einsatz kommen, während der menschliche Parser einen Satz hört oder liest.[2]

Doch, um was für eine Art von Sätzen handelt es sich dabei? Um Aufschlüsse über die Verarbeitung zu bekommen, bedient sich die Forschung vor allem der Betrachtung ambiger Sätze. Dies sind Sätze, deren Bedeutung durch die syntaktische Struktur zumindest zeitweise nicht eindeutig festgelegt ist und die dem Parser darum zunächst mehrere Interpretationsmöglichkeiten erlauben. Beispiele für ambige Sätze sind die Sätze in 1):

1a) …dass Fritz zugunsten von Maria nie etwas unternommen worden wäre.
1b) …dass Fritz zugunsten von Maria nie etwas unternommen hätte.[3]

Trifft der Parser hier auf das Wort „zugunsten“, hat er zunächst in beiden Sätzen zwei Möglichkeiten: Entweder er analysiert dieses als Präposition zu der PP „von Maria“ oder als Postposition der NP „Fritz“. „Zugunsten“ ist also eine ambige Stelle in diesen Sätzen, die erst im weiteren Fortgang durch neu hinzukommendes Satzmaterial am Ende aufgelöst wird. Aus diesen anfänglichen zwei möglichen Analysevarianten dieses einen Wortes ergeben sich allerdings zwei unterschiedliche syntaktische Strukturen – die Sätze sind an dieser Stelle also syntaktisch ambig. Die Auflösung erfolgt erst mit dem Auxiliar am Satzende. Bis dahin bleiben beide Sätze ambig. In Satz 1a) legt das Auxiliar eindeutig fest, dass „zugunsten“ als Postposition mit „Fritz“ als Komplement gelesen werden muss. In Satz 1b) dagegen darf „zugunsten“ als Präposition von „Maria“ analysiert werden. Daraus ergeben sich für die beiden Sätze in 1) die beiden unterschiedlichen syntaktischen Strukturen, obwohl sie sich in ihrer Wortfolge nur am Ende durch die unterschiedlichen Auxiliare unterscheiden. Diese Auxiliare legen allerdings eine bestimmte Lesart des jeweiligen Satzes fest und machen ihn dadurch wieder eindeutig. Damit ist die Ambiguität aufgelöst – man bezeichnet die Auxiliare in 1) deshalb auch als disambiguierende Stellen – und die Sätze als Ganzes betrachtet sind damit eindeutig in ihrer Lesart festgelegt. Deshalb spricht man in im Fall von den Sätzen in 1) von lokal ambigen Sätzen.[4]

Anders dagegen verhält sich dies im nächsten Satz:

2) …daß Fritz gegenüber Maria etwas erwähnt haben soll.[5]

Hier wird die Ambiguität an keiner Stelle im Satz aufgelöst. Demzufolge kann der Parser schlussfolgern, dass entweder Fritz oder Maria etwas erwähnt haben soll. In diesem Fall spricht man von einem global ambigen Satz, denn „wenn der Satz zu Ende ist, sind immer noch zwei verschiedene Lesarten verfügbar.“[6] Bei der einen Lesart hat Franz etwas erwähnt, bei der anderen dagegen hat Maria etwas erwähnt.

Insbesondere die korrekte Lesart von Satz 1a) bereitet vielen Menschen Schwierigkeiten, da sie offenbar die Präpositionallesart bevorzugen und am Ende entsprechend nicht weiterkommen, sobald das Passivauxiliar auftritt, da es sich in die zuvor angenommene Satzstruktur nicht einbauen lässt.[7] In der Forschung spricht man in einem solchen Fall von einem Garden-Path-Satz. Denn „Sätze mit syntaktischer Ambiguität, die an der Stelle zu Schwierigkeiten führen, an der die Ambiguität wieder aufgelöst wird, nennt man Garden-Path-Sätze.“[8]

Wir haben gesehen, dass die Konstruktion der syntaktischen Struktur eines Satzes ausschlaggebend für dessen Verständnis ist.[9] Darum also macht die Sprachverstehensforschung von der Ambiguität der Garden-Path-Sätze Gebrauch, um herauszufinden, wie der Parser beim Analysieren eines Satzes arbeitet und wann er welche Informationen benutzt.[10] Wie werden syntaktische Strukturen berechnet, wenn ein Satz gehört oder gelesen wird?[11] Warum kommt es aber überhaupt zu diesen Garden-Path-Effekten und wie kommt der Parser dazu, eine bestimmte Lesart für einen Satz zu bevorzugen? Auf diese Fragen versuchen die verschiedenen Modelle der Sprachverarbeitung zu antworten.

Ich möchte im Folgenden zwei dieser zur Diskussion stehenden Prinzipien vorstellen: Das Prinzip eines mehrstufig und die eines einstufig arbeitenden Parsers. Diese Prinzipien sind jeweils als eine Art übergeordnete Kategorie grundsätzlicher Parsingmethoden zu sehen. Das heißt, es gibt verschiedene Vorstellungen von Einzelmodellen, die wiederum einer dieser beiden Kategorien zuzuordnen sind. Ein bekannter Vertreter der Vorstellung eines mehrstufig arbeitenden Parsers ist das Garden-Path-Modell. Das lexikalistische Modell dagegen gehört zur Kategorie eines einstufig arbeitenden Parsers. Doch was genau bedeutet Mehrstufig- bzw. Einstufigkeit und woraus ergeben sich diese Vorstellungen?

Um dies zu klären, müssen zwei grundsätzliche Fragen gestellt werden, auf die die jeweiligen Modelle unterschiedliche Antworten finden: Erstens muss gefragt werden, wann der Parser welche Informationen bei seiner Satzstrukturanalyse benutzt und zweitens, wie er bei der Berechnung einer Satzstruktur vorgeht.

Auf die Frage zur Reihenfolge der Informationsnutzung gibt es zwei alternative Antwortmöglichkeiten, die unter den Begriffen „modular“ versus „interaktiv“ gefasst werden. Die erste – modulare – Möglichkeit ist, dass zum Aufbau einer syntaktischen Struktur nur bestimmte Informationen genutzt werden. In diesem Fall nimmt die Forschung eine modular aufgebaute Architektur des Parsers an. Das heißt, es wird davon ausgegangen, dass das Gehirn aus verschiedenen Modulen besteht, die jeweils unabhängig voneinander und für sehr spezifische Prozesse zuständig sind. Dadurch kann innerhalb dieser Module auch nur auf „eigene“ Informationen zurückgegriffen werden.[12] Praktisch umgesetzt bedeutet dies, dass beispielsweise für die Verarbeitung syntaktischer Informationen andere Module zuständig sind als für semantische oder Diskursinformationen. Die zweite Möglichkeit ist, dass der Parser bei seiner Berechnung sofort auf alle relevanten Informationen zurückgreift und diese nutzt, d.h. syntaktische, semantische, Diskurs- und Frequenzinformationen. Diese Art der Satzstrukturberechnung bezeichnet man als „interaktiv“.[13]

Aus diesen beiden unterschiedlichen Theorien zur Nutzung der Informationsquellen ergeben sich wiederum zwei Antwortmöglichkeiten auf die zweite Frage, wie nämlich der Parser bei der Berechnung einer Satzstruktur vorgeht. Für die Annahme eines modularen Modells zur Informationsnutzung gilt nach van Gompel und Pickering: „Modular models are generally serial models […]“.[14] Modularität in Bezug auf die Informationsnutzung korreliert demnach mit Serialität bei der Satzstrukturberechnung. Das heißt, der Parser legt sich bei seiner Berechnung unmittelbar auf eine Struktur fest.[15] Wenn sich diese berechnete Struktur jedoch als falsch herausstellen sollte, muss die Satzkonstruktion noch einmal neu berechnet werden und es sind so unter Umständen mehrere Schritte zur endgültigen Satzanalyse notwendig, weshalb man hier von einem mehrstufigen Parsingmodell spricht.

Unter der Annahme einer interaktiven Informationsnutzung des Parsers dagegen berechnet der Parser von vorn herein „gleichzeitig jede mögliche Struktur“[16]: „They generally assume that all syntactic alternatives are activated in parallel“[17]. Eine Reanalyse als eigener Schritt ist somit nicht notwendig. Deshalb handelt es sich bei dem parallelen Parsingmodell um eine einstufige Satzanalyse.

Im Folgenden soll nun zunächst das mehrstufige und dann das einstufige Parsingprinzip näher betrachtet werden. Dabei muss vor allem auf die serielle bzw. parallele Arbeitsweise noch näher eingegangen werden, aus der sich jeweils, wie bereits angedeutet, die Mehrstufig- bzw. Einstufigkeit ergibt. Die beiden grundsätzlich unterschiedlichen Parsingtheorien werden dabei in beiden Fällen anhand ihrer genannten Untermodelle exemplarisch erläutert.

3. Das mehrstufige Prinzip der Sprachverarbeitung

Wie bereits im vorherigen Kapitel angedeutet, gehen die Vertreter der Vorstellung eines mehrstufig arbeitenden Parsers von einer seriellen Satzanalyse aus. Das bedeutet, dass sich der Parser in einem ersten Schritt (First-Pass-Parse) unmittelbar auf eine einzelne Satzstruktur festlegt[18] und andere Analysen als die erste zieht der Parser überhaupt nur dann in Betracht, wenn sich seine erste Analyse als falsch herausstellt.[19] Da Serialität in der Regel mit Modularität korreliert[20], kommt diese erste Annahme der Satzstruktur ausschließlich auf der Basis struktureller Informationen[21], das heißt auf Grund von generellem syntaktischen Wissen und von Wissen von der syntaktischen Kategorie der Inputwörter[22] zustande und ergibt sich aus der Reihenfolge, wie die einzelnen Wörter eines Satzes während dessen Perzeption auftreten: „Language comprehenders incorporate each word into the preceding syntactic structure as they encounter ist.“[23] Bader ergänzt:

„Der Parser beginnt damit, für den Input eine einzige syntaktische Struktur zu berechnen. Diese wird so lange weiterverfolgt, bis der Input vollkommen analysiert worden ist, oder aber bis sich herausstellt, daß die zunächst berechnete Struktur mit weiterem Material nicht mehr kompatibel ist.“[24]

Dass eine angenommene und aufgebaute Struktur mit dem weiteren Material eines Satzes nicht mehr kompatibel ist, ist bei ambigen Sätzen der Fall. Und zwar dann, wenn der Parser an der ambigen Stelle eine Analyse verfolgt hat, die sich an der disambiguierenden Stelle als falsch herausstellen wird. In diesem Fall muss er nach der Vorstellung einer seriellen Arbeitsweise den Satz ein zweites Mal analysieren (Second-Pass-Parse). Angewandt auf die beiden Sätze in 1) bedeutet dies, dass sich der Parser an der ambigen Stelle auf dem Wort „zugunsten“ entweder für die präpositionale oder die postpositionale Analyse entscheiden wird. Die jeweils andere Analysemöglichkeit berücksichtigt er bei der weiteren Satzberechnung nicht mehr. Wenn von Anfang an die postpositionale Lesart gewählt wurde und damit eine passive Satzkonstruktion entsteht, wird es an der disambiguierenden Stelle mit dem Auftreten des Auxiliars zu keinen Verarbeitungsschwierigkeiten kommen und die Erstanalyse die korrekte sein. Folglich wäre auch keine zweite Analyse notwendig. Da im Deutschen aber mit großer Wahrscheinlichkeit eine präpositionale Lesart in diesem Fall bevorzugt wird, berechnet der Parser zunächst die im Nachhinein inkorrekte aktive Satzkonstruktion und verfolgt die korrekte postpositionale Lesart des Wortes „zugunsten“ nicht weiter. An der Disambiguierungsstelle wird es deshalb zu Schwierigkeiten kommen, weil sich die berechnete Struktur nicht mehr weiter verfolgen lässt. Denn mit der präpositionalen Lesart geht der Aufbau einer aktiven Satzstruktur einher, in welche sich das disambiguierende Passivauxiliar notwendigerweise nicht integrieren lässt. Der Parser muss also feststellen, dass seine berechnete Struktur nicht stimmt und wird den Satz entsprechend neu analysieren und erst durch diesen zweiten Schritt zu einer korrekten Analyse gelangen. In diesem zweiten Schritt bedient er sich auch nicht-strukturellen Informationsquellen wie beispielsweise der Frequenz sowie semantischer und Diskursinformationen.

3.1 Das Garden-Path-Modell

Unter der Annahme mehrstufig arbeitenden Parsers ist das Garden-Path-Modell ein prominenter Vertreter. Nach diesem Modell geht der Parser bei seiner Satzanalyse modular und seriell vor.

Eine Satzanalyse verläuft im Fall von ambigen Sätzen demnach in zwei Stufen: Für den Aufbau einer ersten Hypothese über die Satzstruktur greift der Parser auf Grund seiner modularen Analyseweise ausschließlich auf strukturelle Informationen zurück und baut so eine Satzanalyse auf. Wenn sich diese Struktur an der disambiguierenden Stelle des Satzes als falsch herausstellt, ist in einem zweiten Schritt eine Reanalyse notwendig. Wie genau die Funktionsweise des mehrstufig arbeitenden Parsers nach dem Garden-Path-Modell aussieht, möchte ich im Folgenden betrachten. Zur Verdeutlichung sollen dazu exemplarisch folgende Beispiele herangezogen werden:

3a) The girl knew the answer...
3b) The girl knew the answer by heart.
3c) The girl knew the answer was correct.

Das Satzfragment 3a) ist ambig. Denn das Verb „to know“ kann grundsätzlich ein NP-Komplement oder einen Komplementsatz selegieren. Bei einer Weiterführung der Struktur zu einem Satz wie in 3b) ist die NP „the answer“ ein Teil dieses NP-Komplements und der Satz insgesamt ein einfacher Hauptsatz.

Genauso kann die NP „the answer“ aber auch – wie in der Weiterführung zur Struktur 3c) – Teil einer hypotaktischen Satzkonstruktion sein, in der sie einen reduzierten Komplementsatz einleitet.

Rein intuitiv wird der Übergang vom Satzfragment in 3a) zu seiner Vervollständigung in 3b) dem Parser keine Probleme bereiten. Der Übergang von Satz 3a) zu 3c) dagegen wird nicht leicht fallen. Das heißt, die Akkusativobjektanalyse der ambigen NP „the answer“ scheint dem Parser eher zur Verfügung zu stehen als die Idee, dass die ambige NP „the answer“ einen reduzierten Komplementsatz einleiten könnte, was in 3c) jedoch an der disambiguierenden Stelle „was correct“ als richtig deutlich wird.[25]

Die Frage, die auch in der Forschung gestellt wird, ist nun, warum dem Parser der Übergang von 3a) zu 3b) wesentlich leichter fällt als von 3a) zu 3c). Um eine Antwort nach dem Garden-Path-Modell auf diese Frage zu finden, müssen die Vorgehensweise in den beiden Analyseschritten des Modells genauer betrachtet werden.

3.2.1 First Pass Parse

Laut dem Garden-Path-Modell berechnet der Parser im ersten Schritt seine initiale Satzanalyse nach zwei Prinzipien: Minimal Attachment und Late Closure.

Ersteres fordert vom Parser: „Do not postulate any potentially unnecessary nodes.“[26] Der Parser bevorzugt also jene Struktur, für welche die geringste Anzahl an Knoten in der Baumstruktur notwendig ist. Der Aufbau einer Satzstruktur beginnt dabei direkt mit dem ersten Wort eines Satzes und jede neu hinzukommende Information wird im Fortlauf sukzessive in die bis dahin aufgebaute Struktur integriert.[27] Abbildung a) bis e) zeigt, wie die syntaktische Analyse schrittweise nach Minimal Attachment für das Satzfragment 3a) bis dahin funktioniert:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten[28]

Mit diesen Informationen lässt sich nun bereits die oben gestellte Frage klären, warum der Satzfortgang von 3a) nach 3b) einfacher scheint als von 3a) nach 3c). Der Grund der Fehlannahme und des daraus resultierenden Garden-Path-Effekts in 3c) liegt schon in der Analyse des Satzfragments in 3a). Denn nach Minimal Attachment wird der Parser die ambige NP „the answer“ als Akkusativobjekt analysieren. Denn diese Analyse ist jene mit der geringsten Anzahl an Knoten in der Baumstruktur, wie in Abbildung e) dargestellt. Für den Fall in 3b) bleibt diese Analyse auch konsistent, da hier „the answer“ tatsächlich das direkte Objekt des Verbs „knew“ ist. Die folgende PP „by heart“ kann als Adjunkt problemlos in die aufgebaute Struktur integriert werden. Deshalb macht dieser Satz keine Schwierigkeiten bei der Verarbeitung.

Für Satz 3c) dagegen stimmt die angenommene Akkusativobjekt-Berechnung wie in Abbildung e) nicht. Nach der Disambiguierung durch die hinzutretende VP „was correct“ muss der Parser seine bisher verfolgte Annahme, die NP „the answer“ sei ein Akkusativobjekt des Verbs „knew“ und damit eine einfache NP, aufgeben. Somit muss er auch seine bisher aufgebaute Struktur nach e) verwerfen und nachträglich in einem zweiten Schritt revidieren. Das heißt, es ist eine Reanalyse notwendig[29]. Denn hier ist „the answer“ entgegen der bisherigen Annahme keine einfache NP, sondern Subjekt eines separaten Nebensatzes, der in die Baumstruktur anstelle der NP eingebettet werden muss. Weil Satz 3c) damit eine hypotaktische Satzkonstruktion aus einem Hauptsatz „The girl knew“ und einem eingebetteten Komplementsatz „the answer was correct“ ist, ergibt sich damit eine sehr viel komplexere Satzstruktur, die jedoch auf Grund von Minimal Attachment beim Garden-Path-Modell in der Erstanalyse zunächst nicht angenommen wird. Die Abbildungen f) und g) zeigen die Konsequenzen für die gesamte Satzstruktur, die sich aus dem Hinzutreten dieser unterschiedlichen Elemente ergeben. Abbildung f) stellt dabei Satz 3b) dar, in dem die PP „by heart“ zu dem Satzfragment aus 3a) hinzutritt und Abbildung g) zeigt die veränderte Gesamtstruktur, nachdem geklärt wurde, dass „the answer“ Teil eines reduzierten Komplementsatzes ist. Die Abbildungen f) und besonders g) sind dabei stark vereinfachte Darstellungen, in denen es vor allem darum geht, den grundsätzlichen Unterschied in der Gesamtsatzstruktur darzustellen. Eine korrekte Strukturanalyse nach den Regeln der generativen Grammatik wird dabei nicht beabsichtigt.

[...]


[1] Bader, Markus: Sprachverstehen: Syntax und Prosodie beim Lesen. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1996. S. 11. (Im Folgenden zitiert als: Bader, Markus: Sprachverstehen. S.[x])

[2] Van Gompel, Roger P.G. und Pickering, Martin J.: Syntactic Parsing. In: Gaskell, Gareth, M. (Hrsg.): The oxford handbook of psycholinguistics. Oxford: Oxford University Press, 2007. S. 3. (Im Folgenden zitiert als: Van Gompel, Roger P.G. und Pickering, Martin, J.: Syntactic Parsing. S. [x]). Auf die genaue Vorgehensweise solcher Studien kann an dieser Stelle leider nicht näher eingegangen werden.

[3] Vgl.: Bader, Markus: Sprachverstehen. S. 11

[4] Vgl.: Bader, Markus: Sprachverstehen. S. 11 f.

[5] Bader, Markus: Sprachverstehen. S. 12

[6] Bader, Markus: Sprachverstehen. S. 12

[7] Vgl.: Bader, Markus: Sprachverstehen. S. 13

[8] Bader, Markus: Sprachverstehen. S. 13

[9] Vgl.: Van Gompel, Roger P.G. und Pickering, Martin, J.: Syntactic Parsing. S. 2. Andernfalls wäre es auch unmöglich, den Bedeutungsunterschied zwischen zwei Sätzen mit unterschiedlicher Wortabfolge zu erkennen. Bsp.: Die Frauen sehen die Männer. vs. Die Männer sehen die Frauen.

[10] Vgl.: Van Gompel, Roger P.G. und Pickering, Martin, J.: Syntactic Parsing. S. 2

[11] Vgl.: Bader, Markus: Sprachverstehen. S. 11

[12] Vgl.: Van Gompel, Roger P.G. und Pickering, Martin, J.: Syntactic Parsing. S. 3

[13] Vgl.: Van Gompel, Roger P.G. und Pickering, Martin, J.: Syntactic Parsing. S. 7

[14] Van Gompel, Roger P.G. und Pickering, Martin, J.: Syntactic Parsing. S. 5

[15] Vgl.: Bader, Markus: Sprachverstehen. S. 35

[16] Vgl.: Bader, Markus: Sprachverstehen. S. 35

[17] Van Gompel, Roger P.G. und Pickering, Martin, J.: Syntactic Parsing. S. 7

[18] Vgl.: Bader, Markus: Sprachverstehen. S. 35

[19] Vgl.: Bader, Markus: Sprachverstehen. S. 35

[20] Van Gompel, Roger P.G. und Pickering, Martin, J.: Syntactic Parsing. S. 5

[21] Vgl.: Frazier, Lyn: Sentence Processing: A tutorial Review. In: Clifton, C., Frazier, L. und Rayner, K. (Hrsg.): Perspectives on Sentence Processing. Hillsdale, N.J: Erlbaum, 1994. (Im Folgenden zitiert als: Frazier, Lyn: Sentence Processing: A tutorial Review. S. [x])

[22] Bader, Markus: Sprachverstehen. S. 51

[23] Van Gompel, Roger P.G. und Pickering, Martin, J.: Syntactic Parsing. S. 2

[24] Bader, Markus: Sprachverstehen. S. 14

[25] Vgl.: Frazier, Lyn: Sentence Processing: A tutorial Review. S. 562

[26] Vgl.: Frazier, Lyn: Sentence Processing. A tutorial Review. S. 562

[27] Vgl.: Van Gompel, Roger P.G. und Pickering, Martin, J.: Syntactic Parsing. S. 3

[28] Die Strukturbäume in den Abbildungen a) bis e) sind an dieser Stelle vereinfacht dargestellt.

[29] Vgl.: Frazier, Lyn: Sentence Processing: A tutorial Review. S. 562

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2009
ISBN (PDF)
9783863415419
ISBN (Paperback)
9783863410414
Dateigröße
387 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Erscheinungsdatum
2011 (August)
Note
1
Schlagworte
Sprachverstehen Modelle Lexikalistisches Modell Sprachverarbeitung Garden-Path-Modell

Autor

Miriam Heiner, B.A., wurde 1985 in Schorndorf geboren. Ihr Studium der Germanistik mit dem Schwerpunkt Linguistik schloss sie 2009 an der Universität Tübingen erfolgreich mit dem akademischen Grad Bachelor of Arts ab. Dabei galt ihr besonderes Interesse der Psycholinguistik - ein Bereich, in den auch das Thema dieses Buches fällt. Vor und während ihres Studiums sammelte die Autorin umfassende Erfahrungen in der Öffentlichkeitsarbeit und Unternehmenskommunikation, für welche die Sprache und Verständlichkeit ein bedeutendes Thema ist. Miriam Heiner befasst sich deshalb in ihrer Arbeit damit, warum und wie wir Sprache überhaupt verstehen können
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