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Globalisierung und die rechtliche Neuordnung der Welt: Weltpolitisches Denken bei Kant und Höffe

©2011 Bachelorarbeit 50 Seiten

Zusammenfassung

Ein Zustand der Rechtlosigkeit ist auch einer der Ungerechtigkeit. Von dieser gemeinsamen Annahme aus entwickeln Immanuel Kant und Otfried Höffe ihre politische Philosophie. Das Recht darf aber nicht an den Staatsgrenzen aufhören, sondern muss sich auf die ganze Welt erstrecken. Schon Immanuel Kant fordert daher die Einrichtung eines Völkerbundes, der an die Stelle des Krieges den ewigen Frieden stellen soll. Heute, unter dem Zeichen der Globalisierung, ist eine rechtliche Ordnung der Welt dringender nötig denn je, das Ziel des Friedens aber ist so fern wie zu Kants Zeiten. Otfried Höffe versucht deshalb eine Neuauflage von Kants globaler politischer Theorie und geht dabei einen Schritt weiter. Wo Kant sich letztlich gegen den Weltstaat und für den Völkerbund entscheidet, will Höffe eine Republik ohne Grenzen. Die Vermutung liegt nahe, dass diese Entscheidung auch auf den Erfahrungen der Globalisierung beruht, die Kant zu seiner Zeit noch nicht machen konnte.
Dieser Vermutung will das vorliegende Buch nachgehen. Um eine Antwort hierauf zu finden, ist es unerlässlich, die Argumentation von Kant und Höffe nachzuvollziehen und Punkt für Punkt gegenüberzustellen. Welche Vorstellung haben beide vom Staat und welche vom Völkerrecht? Wie wichtig ist die Moral für die globale Gerechtigkeit? Und wie liegen die Chancen dafür, in einer Welt von Recht und Frieden statt einer von Krieg und Willkür zu leben?
Mit den sich aufdrängenden Diskussionen über eine Reform der UNO und des Internationalen Rechts ist die Frage nach einer neuen Weltordnung heute aktuell wie nie zuvor. Dieses Buch nimmt die Frage auf und sucht die Antwort sowohl in der Gegenwart als auch bei den ideengeschichtlichen Wurzeln des Völkerrechts.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


3
Im Anschluss an den Vergleich der Konzepte soll dann noch einmal näher auf die Ursa-
chen ihrer inhaltlichen Unterschiede eingegangen werden. Da ein sinnvoller Vergleich nur
über Einbeziehung der zugrundeliegenden Argumentation erfolgen kann, wird dieser
Abschnitt der Untersuchung allerdings schon in Teilen vorweggenommen. Die gesonderte
Betrachtung der Differenzen unter dem Gesichtspunkt des Einflusses der Globalisierung
trägt daher auch die schon behandelten Aspekte zusammen.
II. Die Konzepte weltpolitischer Ordnung bei Kant und Höffe im Ver-
gleich
1.
Ziele: Kants ewiger Friede versus Höffes Rechts- und Demokratiegebot
Will man die Konzepte globaler politischer Ordnung bei Kant und Höffe vergleichen, so ist
auf oberster Ebene mit den Zielen zu beginnen: was gefordert wird, hängt entscheidend
davon ab, wozu das getan wird. Das Ziel der Philosophie Kants ist der Friede. Als
,,Grundmotiv [...] des gesamten Denkens"
7
ist er in mindestens drei Dimensionen zu
verwirklichen. In der Philosophie beendet die Kritik der reinen Vernunft den Streit
zwischen den Schulen durch Sentenz, in der Ethik übernehmen die Tugendgesetze die
friedensschaffende Funktion
8
. Hier interessiert näher die Bedeutung des Friedensbegriffs in
der letzten, politischen Dimension. Dieser Friede soll ,,ewig" sein, also zunächst zeitlich
umfassend
9
. Ein bloßer Waffenstillstand löst den Kriegszustand also noch nicht auf
10
. Zum
näheren Verständnis stellen sich im Rahmen einer Zweck-Mittel-Betrachtung zwei Fragen:
In welchem Verhältnis steht der Friede zu einem möglichen höheren Gut, einerseits? Und
durch welches Mittel kann er in der Politik erreicht werden, andererseits?
Die erste Frage ist schnell beantwortet, denn für Kant ist der Friede bereits das
höchste politische Gut, also ,,Endzweck"
11
. Das erstaunt, betrachtet man das Lob des
Krieges an vielen Stellen
12
. Kants Friede ist ambivalent. Er meint nicht Konfliktfreiheit,
denn der Konflikt ist wesentlicher Antrieb für die Entwicklung des Menschen
13
. Vielmehr
besteht er in der vernunftgemäßen Austragung des Konflikts, also gewissermaßen in der
Bändigung seiner Antriebskraft. Das Mittel dieser Bändigung ist das Recht: zunächst das
Staats-, dann das Völker- und Weltbürgerrecht ­ der Frieden ist also nicht nur zeitlich,
7
Höffe 2001: 164.
8
Vgl. Baumgartner 1996; Hansen 2008: 234f. Vgl. näher KrV B 779f und Verkündigung: A 487 (zum
Frieden in der Philosophie); Religion B 182f (zum Frieden in der Ethik).
9
So sagt es bereits der Titel der Friedensschrift. Der Begriff des ewigen Friedens taucht allerdings schon in
der Religionsschrift (vgl. A 27) wie auch später in der Rechtslehre (vgl. A 227) auf.
10
Vgl. Steiger 1996: 144. Der Naturzustand ist, wie bei Hobbes, naturgemäß ein Zustand des Krieges, da der
Ausbruch tätlicher Auseinandersetzung beständig droht, vgl. Rechtslehre: A 216f.; Frieden: BA 18.
11
Rechtslehre: A 234 bzw. 235. Dass manche Menschen dieses Ideal möglicherweise gar nicht anstreben,
wird von Kant schlicht ausgeblendet, vgl. Hansen 2008: 257.
12
Vgl. Idee: A 398f.; Anfang: A 21ff.; Frieden: BA 52-58. Vgl. auch Gerhardt 1995: 15ff.
13
Siehe hierzu die Abschnitte 2.2. und 2.3.

4
sondern auch räumlich umfassend
14
. Konflikt, Recht und Frieden stehen somit in einer
wechselseitigen Beziehung: Der Friede ist der durch das Recht in vernunftmäßige Bahnen
gelenkte Konflikt. Politischer Friede und Rechtsordnung sind folglich untrennbar verbun-
den, so ,,daß Frieden über das Recht definiert wird"
15
­ auch auf globaler Ebene.
Befinden Friede und Recht sich bei Kant in einer klaren Zweck-Mittel-Relation, so
differenziert Höffe beide zunächst als verschiedene Aufgaben globaler Politik
16
. Um deren
Verhältnis zueinander zu verstehen, ist zu klären, wie Höffe die beiden Aufgaben versteht.
Innerhalb des globalen Rechts unterscheidet Höffe die Sicherung von zwischenstaat-
lichem und weltbürgerlichem Recht bzw. Völker-Rechtsschutz und Welt-Bürgerschutz
17
.
Während unter letzteren insbesondere die Rechte auf Freizügigkeit, Asyl und Kriminali-
tätsbekämpfung fallen, ist die Kernaufgabe des Völker-Rechtsschutzes die
Friedenswahrung im Sinne zwischenstaatlicher Sicherheit. Diesen Frieden stellt Höffe
somit als Aspekt der Rechtssicherung dar. Doch ist damit nur ein enger Friedensbegriff
gemeint, der auch in der Friedhofsruhe der Unterwerfung oder Vernichtung bestehen kann,
verbunden mit Knechtschaft und Fragilität
18
. Dieser ist vom Begriff des ,,anspruchsvollen
Friedens"
19
zu unterscheiden, um zu sehen, welchem Ziel ­ Friede oder Recht ­ der
Vorrang eingeräumt wird. Die Stufe des anfangs gemeinten, ,,auf Gewalt bauenden
Friedens"
20
, kann hierbei nur ein Zwischenschritt sein. Um zum anspruchsvollen Frieden
zu gelangen, muss die Gewalt durch eine globale Rechtsordnung überwunden werden.
Damit greift Höffe die zwei von Kant aufgezeigten Wege für den Umgang mit Konflikten
auf: die Überwindung des Gegners im Krieg oder die vernunftgemäße Belegung der
Streitigkeiten durch Prozess
21
. Erst der zweite Weg kann als Rechtslösung den Frieden im
weiteren Sinne bewirken. Somit dient auch der von Höffe direkt verfolgte Zweck der
globalen Rechtsordnung dem höheren Zweck des Friedens. Wenn Höffe dennoch den
Rechtsstaat zur ,,eigentlichen Aufgabe"
22
erklärt, dann nur deshalb, weil dieser die Bedin-
14
Vgl. Höffe 2001: 166; 2004a: 15. Zur Untrennbarkeit der drei Rechtsdimensionen vgl. Rechtslehre A 162.
15
Steiger 1996: 142.
16
Vgl. Höffe 2002a: 351.
17
Vgl. ebd. 351-362. Inwiefern die hinzukommenden Aufgaben hinsichtlich des Selbstbestimmungs-,
Sezessions- und Interventionsrechts sowie die Regulierung des Weltmarkts (vgl. ebd. 376-421) hier
einzuordnen sind, beantwortet Höffe nicht explizit. Für das erstgenannte Feld deutet sich aber eine Zuord-
nung zum Völker-Rechtsschutz an.
18
Vgl. ebd. 374f.
19
Ebd: 375.
20
Ebd.
21
Zu diesen beiden Möglichkeiten vgl. Hansen 2008: 234f.
22
Höffe 2001: 228. Als direkten Zweck will Höffe den Frieden schon bei Kant nicht sehen, vgl. Höffe
2004a: 21.

5
gung des Friedens ist, die der Mensch schaffen kann ­ in diesem Sinne ist auch das
abgewandelte Zitat von Vegetius zu verstehen: ,,Si vis pacem, para iustitiam."
23
Zwischenergebnis
Bei Kant hat sich der Friede als Grund- und Endziel seiner gesamten Philosophie gezeigt.
Im politischen Sinne verstanden, meint er die umfassende Beendigung von Gewalt und
Willkür durch die Herrschaft des Rechts. Friede und Recht stehen damit in einer klaren
Zweck-Mittel-Relation. Bei Höffe hingegen ist das Verhältnis weniger klar. Als direktes
Ziel globaler Politik nennt er zunächst die Rechtsordnung, die den Frieden als ,Nicht-
Krieg` miteinschließt. Scheint sich die Zweck- und Mittelzuordnung Kants hier also
umzukehren, so liegt das tatsächlich nur an Höffes Unterscheidung zweier Friedensbegrif-
fe. Denn letzter Zweck ist auch bei Höffe der (anspruchsvolle) Friede. Die Schwierigkeiten
der Abgrenzung gehen dabei auf den untrennbaren Zusammenhang zurück, der für Kant
wie Höffe zwischen Frieden und Recht besteht. Der wahre Friede liegt gerade darin, eine
gerechte Rechtsordnung realisiert zu haben.
2. Umsetzung
2.1 Rechtliche
Umsetzung
2.1.1 Innerstaatliche Ordnung: Kants Republik versus Höffes Demokratie
Für Kant wie Höffe beginnt die globale Rechtsordnung auf einzelstaatlicher Ebene
24
. Diese
ist aus zwei Gründen für die zwischenstaatliche Ebene relevant. Zum einen schließt das
globale Ziel von Kant wie Höffe dessen Verwirklichung auf darunterliegender Ebene mit
ein: Weltweiter, umfassender Frieden ist nicht möglich, wenn in den Staaten Unrecht
herrscht
25
. Zum anderen hat ­ so insbesondere Kants These ­ die innere Ordnung eines
Staates entscheidenden Einfluss auf sein außenpolitisches Verhalten und damit seine
Friedensbereitschaft. Auf dieses Verhältnis von inner- zu überstaatlicher Ordnung soll
unten gesondert eingegangen werden. Zunächst stellt sich jedoch die Frage, inwieweit die
Vorstellungen Kants und Höffes zur innerstaatlichen Ausgestaltung selbst kompatibel sind.
Da sich die Gestaltungsprinzipien der Herrschaft aus der grundsätzlichen Legitimati-
on des Staates ableiten, beginnt der Vergleich an dieser Stelle. In der Tradition früherer
Vertragstheoretiker unterscheidet Kant Natur- und bürgerlichen Zustand, wobei ersterer
23
Höffe 2002a: 375 (in Höffes Übersetzung ,,Wenn du den Frieden willst, so sorge für Recht und Gerechtig-
keit.", ebd.) Warum der Friede höchster Zweck sein soll, begründet Höffe ebenso wenig wie Kant.
24
Entsprechend dem üblichen Sprachgebrauch wird im Folgenden ,,Staat" synonym mit Einzelstaat
verwendet; ist dagegen ein möglicher weltumfassender Staat gemeint, so ist dies speziell hervorgehoben.
25
Zu dieser Voraussetzung bei Kant siehe Kersting 2004: 90: ,,Der ewige Friede ist das Ergebnis der
Verrechtlichung aller konfliktträchtigen Beziehungen in der Welt der äußeren Freiheit." Entsprechendes gilt
für Höffe. Auch Kersting führt aber die zwei hier vorgestellten Gründe an, vgl. ebd. 90f.

6
durch die Gefahr von Gewalt und Eingriffen in den Besitz gekennzeichnet ist
26
. Der
fehlenden Sicherheit wegen berechtigt schon die reine Drohung von Feindseligkeit zur
Anwendung von Zwang gegen andere ­ ein Zustand, in dem zu verbleiben nicht vernünfti-
gerweise begründet werden kann. Der Ausgang aus diesem Zustand durch Vereinigung
unter Rechtsgesetzen aber bedeutet die Gründung eines Staates
27
.
Für diesen Staat wird eine republikanische Verfassung gefordert
28
. Doch ist zunächst
unklar, was damit gemeint ist. Insbesondere wirft die ausdrückliche Abgrenzung von der
Demokratie das Problem auf, dass dem Wort nach Kants Republik und Höffes Demokratie
nicht vereinbar sind
29
. Uneinheitliche Begrifflichkeit einerseits ­ so definiert Kant die
republikanische Regierungsform einmal als ,,demokratische Verfassung in einem repräsen-
tativen System"
30
­, vor allem aber die Tatsache, dass die republikanische Regierungsart
auf anderer Ebene definiert wird als die demokratische Herrschaftsform
31
machen eine
nähere Klärung der republikanischen Merkmale notwendig. Da diese universell gültig sein
sollen, müssen sie aus rein vernunftbasierten Prinzipien abgeleitet werden. Kant nennt drei
solche Prinzipien der republikanischen Verfassung
32
:
1. Die Freiheit der Gesellschaftsglieder: Diese umfasst sowohl die Freiheit innerer
Wertsetzungen wie äußeren Handelns. Aus der inneren Freiheit folgt die Unabhängig-
keit individueller Glücksvorstellungen und moralischer Gesinnung von der Politik
33
.
Hinsichtlich der äußeren Freiheit ist hingegen eine Begrenzung zur Sicherung der
Handlungsfreiheit anderer nötig ­ dies geschieht durch das Recht
34
. In dem diese recht-
liche Begrenzung vor der willkürlichen Freiheitsbeschränkung durch andere schützt,
sichert sie tatsächlich die Freiheit auf vernünftiger Grundlage. Freiheit kann somit de-
finiert werden als ,,die Befugnis, keinen äußeren Gesetzen zu gehorchen, als zu denen
ich meine Beistimmung habe geben können."
35
26
Vgl. Rechtslehre: A 155ff.
27
Vgl. ebd. A 157f. sowie A 162ff.; zur Staatsgründung dabei A 163f.
28
Vgl. Frieden: BA 20; Rechtslehre: A 213; Streit: A 144.
29
Vgl. Frieden: BA 25ff. Zu Höffes innerstaatlichen Forderungen siehe unten.
30
Womit er sie von der bloßen, despotischen Demokratie abgrenzt, vgl. Vorarbeiten zum ewigen Frieden AA
166.
31
Vgl. Bien 1972: 8, Anm.; Kersting 2004: 100f.
32
Vgl. Frieden: BA 20f. In anderer Formulierung, aber letztlich gleicher Bedeutung im Gemeinspruch: A
235-49 (vgl. auch Hansen 2008: 232, Anm).
33
Vgl. Gemeinspruch: A 235ff. bzgl. der Glücksvorstellungen bzw. Rechtslehre: A 33f. bzgl. der Moralität.
34
Dieses ist daher definiert als ,,Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der
Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann"
(Rechtslehre: A 33).
35
Frieden: BA 21, Anm. Für den Zusammenhang zwischen der formalen Einschränkung der Freiheit und
deren tatsächlicher Sicherung vgl. Rechtslehre: A 35.

7
2. Die Abhängigkeit aller von einer einzigen gemeinsamen Gesetzgebung: Daraus folgt
insbesondere die Gleichheit aller als Untertanen, gesichert durch allgemeine Gesetze
36
.
3. Die Gleichheit aller als Staatsbürger: Während das zweite Prinzip auf die Adressaten
des Rechts fokussiert, betrachtet das dritte Prinzip dessen Autoren, fordert also die
gleiche Beteiligung an der Gesetzgebung
37
. Neben der ,,natürlichen" Qualität, die Kin-
der und Frauen von der politischen Beteiligung ausschließt, ist als weitere
Qualifikation wirtschaftliche Selbstständigkeit gefordert; kein Staatsbürger ist, wer
nicht ,,sein eigener Herr"
38
ist.
Dieser ,,rechtsethischen Komponente" folgt eine ,,institutionalistische"
39
, mit wiederum
drei Merkmalen: die republikanische Verfassung muss ,,repräsentativ"
40
sein und die
Gesetzgebung muss die beiden Prinzipien der Freiheit verwirklichen, d.h. sie muss dem
vereinigten Volkswillen entsprechen (Prinzip der äußeren Freiheit)
41
sowie von der
Bezweckung der Glückseligkeit absehen (Prinzip der inneren Freiheit)
42
. Was Kant mit
,,repräsentativ" meint, wird nicht explizit erklärt. Der heutige Sprachgebrauch legt eine
Abgrenzung zur direkten Demokratie nahe; ferner spricht dafür Kants Bestimmung der
Republik als repräsentatives System mit Abgeordneten
43
. Diese Interpretation stößt jedoch
auf zwei Widersprüche. Zum einen betrachtet Kant im Gemeinspruch die Gesetzgebung
mittels Repräsentanten als pragmatischen Kompromiss zur ­ angesichts der Größe des
Volkes nicht durchführbaren ­ direkten Abstimmung mit Einstimmigkeit
44
. Die unmittel-
bare Gesetzgebung wird damit jedenfalls nicht aus prinzipiellen Erwägungen heraus
abgelehnt. Zum anderen stellt Kant Repräsentation zwar in Gegensatz zur Demokratie,
verwirft diese jedoch als despotisch nicht wegen der unmittelbaren Gesetzgebung der
Bürger, sondern aufgrund der fehlenden Trennung der Exekutive von der Legislative.
Kants Charakterisierung des Republikanismus als repräsentativ läuft also auf die Gewal-
36
Vgl. Gemeinspruch: A 237ff; auch Kersting 1984: 240ff. Gerhardt (1995: 82ff.) betont daneben die Folge
einer umfassenden Herrschaft im Staat.
37
Vgl. Hansen 2008: 230. Die Forderung der Selbstständigkeit, wie sie im Gemeinspruch (vgl. A 244ff.)
erhoben wird, geht also hier als Voraussetzung der Staatsbürgerschaft mit ein, vgl. Gerhardt 1995: 83, Anm.
Dass sie deshalb nicht mehr gesondert erwähnt wird, weil die Verfassung im Frieden auf ein Fernziel abzielt,
in der es keine relevanten Unterschiede zwischen Selbständigen und Unselbstständigen mehr gibt, die
Verfassung im Gemeinspruch dagegen auf einen Zwischenzustand, wie Langer (1986: 137) vorschlägt,
erscheint durchaus möglich. Zwar unterscheidet Kant auch im ,,Frieden" weiter begrifflich zwischen
Untertanen und Staatsbürgern, doch wird dann deren Gleichsetzung zum Merkmal der republikanischen
Verfassung gemacht, vgl. Frieden BA 24.
38
Gemeinspruch: A 245 (i.O. gesperrt).
39
Kersting 2004: 102.
40
Frieden: BA 26ff. (i.O. gesperrt); vgl. auch Rechtslehre: A 213.
41
Vgl. Rechtslehre: A 165f.; Streit: A 154f.
42
Vgl. Gemeinspruch: A 235f. Im Frieden ist hingegen nur die äußere Freiheit aufgeführt.
43
,,Alle wahre Republik aber ist und kann nichts anders sein, als ein r e p r ä s e n ta t i v e s S y s t e m des Volks,
um im Namen desselben, durch alle Staatsbürger vereinigt, vermittelst ihrer Abgeordneten (Deputierten) ihre
Rechte zu besorgen." (Rechtslehre: A 213).
44
Vgl. Gemeinspruch: A 248f.; Maus 1992: 196ff.

8
tenteilung hinaus.
45
Fehlende Gewaltenteilung bedeutet hingegen Despotie, da die Regie-
rung hier keiner Bindung an ein von ihr unabhängiges Recht unterliegt und damit nicht
mehr verantwortlich ist
46
. Die Gewaltenteilung erweist sich somit als institutionelle Folge
des Prinzips der gleichen rechtlichen Abhängigkeit.
Als zweites institutionelles Prinzip war eine dem Willen des vereinigten Volkes ent-
sprechende Gesetzgebung gefordert worden. Die gesetzgebende Gewalt muss unfähig sein,
Unrecht zu tun, denn andernfalls bräuchte es ein weiteres Gesetz zu ihrer Kontrolle (womit
das Problem lediglich auf eine höhere Ebene verschoben würde). Gemäß dem Satz ,,volenti
non fit inuiria"
47
können die Gesetze daher nur dem Willen des Volkes selbst entspringen.
Damit ist aber noch nicht gesagt, ob eine faktische Zustimmung des Volkes nötig ist oder
nur eine hypothetische, die dem Ergebnis, nicht aber dem Prozess der Abstimmung
entspricht. Verschiedene Textstellen bei Kant geben Anlass zur einen wie zur anderen
Deutung
48
. Auch aus den rechtsethischen Prinzipien lässt sich keine eindeutige Schlussfol-
gerung ziehen: Fordert das Prinzip der Freiheit zunächst eine bloße Übereinstimmung der
Gesetze mit dem Volkswillen, spricht die Gleichheit der Staatsbürger für deren faktische
Beteiligung. Kersting unterscheidet daher zwischen Republikanismus und wahrer Repu-
blik, wobei sich erstere als ,,Republik in fremder Gestalt"
49
auf die hypothetische
Zustimmung beschränkt. Als bloßes Provisorium wird diese in der ,,wahren Republik"
vollendet. Diese Interpretation findet Bestätigung, wenn von der ,,Evolution einer natur-
rechtlichen Verfassung"
hin zur ,,wahren" und ,,reinen" Republik ,,auch dem Buchstaben
nach" die Rede ist, die schließlich auch der Staatsform nach republikanisch sein kann
50
,
d.h. eine ,,demokratische Verfassung in einem repräsentativen System"
51
. Mit Republik
meint Kant also letztlich ­ der Abgrenzung im ,,Frieden", die sich nur auf Demokratien
45
Vgl. Frieden: BA 25-6. Dazu auch Maus 1992: 194ff.; Hofmann 1974: 413.
46
Vgl. Rechtslehre: A 171; Vorarbeiten zum ewigen Frieden: AA 159; Reflexionen: AA 563 (7953). Dazu
auch Bien 1972: 10; Kersting 1984: 284f.; Kriele 2003: 190; Langer 1986: 110. Kant widerspricht sich
allerdings an anderer Stelle, der zufolge der Monarch nicht dem Gesetz unterworfen ist, vgl. Reflexionen:
AA 572 (7982).
47
Rechtslehre: A 165 (Übers. ,,Dem Wollenden geschieht kein Unrecht"); auch Gemeinspruch: A 244f.
48
So wird im Gemeinspruch (A 250) der Gesellschaftsvertrag als das Urbild der allgemeinen Zustimmung
lediglich als ,,Idee der Vernunft" bezeichnet und eine simulierte Mitbestimmung bei der Gesetzgebung
gefordert. Auch im Streit (A 148, Anm.) ist von der Mitgesetzgebung als bloßer Idee die Rede, zu der ,,nach
einer Analogie" zu regieren sei. Für die andere Lesart spricht hingegen die Erfordernis der Zustimmung aller,
soweit möglich (vgl. Gemeinspruch: A 289f.) und die Charakterisierung der ,,wahren Republik" mit einem
repräsentativen System von Abgeordneten (vgl. Rechtslehre: A 213). Zur ersten Auffassung vgl. Langer
1986: 99, zur zweiten Maus 1992: 156f.
49
Kersting 2004: 104; vgl. auch Kersting 1984: 288; Maus 1992: 193f.
50
Streit: A 148f. bzw. Rechtslehre: A 212f. (erstes Zitat i.O. gesperrt). Dies wirft allerdings die Frage auf,
wieso Kant im 1. Definitivartikel nur von der republikanischen Verfassung, nicht aber der Republik spricht ­
zumindest, wenn man der Interpretation Langers (vgl. Anm. 37) folgt und die Verfassung im ,,Frieden" als
Fernziel begreift.
51
Vorarbeiten zum ewigen Frieden: AA 166.

9
ohne Gewaltenteilung bezieht, zum Trotz ­ ein demokratisches System im heutigen
Wortgebrauch.
Wie ist diese Unterscheidung mit den rechtsethischen Prinzipien zu vereinbaren? Im
bloßen Republikanismus kommt dem Prinzip gleicher Mitgesetzgebung keine eigenständi-
ge Bedeutung zu. Denn entweder ist die hypothetische Zustimmung der Autoren des
Rechts schon vom Freiheitsprinzip erfasst oder der Republikanismus fordert lediglich die
Übereinstimmung mit dem Willen der Selbstständigen. Dann aber müssten die Nicht-
Selbstständigen auch von Prinzip der äußeren Freiheit ausgenommen sein. Kant bezeichnet
aber das Freiheitsprinzip als angeborenes Menschenrecht
52
. Den Willen der Nicht-
Selbstständigen bei der Gesetzgebung auszuschließen würde ferner ­ ,,volenti non fit
iniuria" ­ die Möglichkeit eröffnen, ihnen Unrecht tun zu können ­ ein Widerspruch
53
.
Lediglich in der wahren Republik kommt dem dritten rechtsethischen Prinzip daher eine
Bedeutung hinsichtlich der Gesetzgebungsprozedur zu, insofern es die Mitwirkung an
dieser auf die selbstständigen Bürger beschränkt, innerhalb dieser jedoch gleiches Stimm-
recht gewährt. Das Ergebnis bleibt aber gleich, da auch hier der Wille der Nicht-
Selbstständigen zu beachten ist, um diese nicht vom Recht auszuschließen
54
.
Um dem Prinzip innerer Freiheit zu genügen, muss die Gesetzgebung schließlich von
der Verfolgung nicht verallgemeinerungsfähiger Glückseligkeitsvorstellungen absehen.
Eine auf Wohlwollen basierende Politik ist für Kant der ,,größte denkbare Despotismus"
55
.
Zwei Fragen schließen sich an. Schon angesprochen wurde die Frage nach der Durch-
führung der Gesetzgebung in der Republik, also der Entscheidung zwischen einer
unmittelbaren und mittelbaren Form. Zwar versteht Kant letztere bloß als pragmatischen
Kompromiss, doch entscheidend ist hier vor allem, dass die mittelbare Demokratie
jedenfalls den Ansprüchen der Republik genügt. Zweitens muss geklärt werden, welcher
Faktizität an Mitgesetzgebung es bedarf, um den ewigen Frieden zu gewähren, d.h., ob
hierfür die wahre Republik gefordert ist oder ob die republikanische Regierungsform
ausreicht. Ein Anhaltspunkt ist hier, dass Kant im ,,Frieden" eine faktische Mitgesetzge-
bung nicht explizit nennt und die ,,Republik" nur kurz erwähnt
56
. Auch der Zusammenhang
52
Rechtslehre: AB 45; Frieden: BA 21, Anm. Wenn Kant an anderer Stelle das Freiheitsprinzip nur dem
Staatsbürger zuspricht (vgl. Rechtslehre: A 166), so ist das der nicht nur ,,scheinbar" widersprüchlichen
Unterteilung von aktivem und passivem Staatsbürger zuzuschreiben.
53
So bezeichnet es Kant selbst als ,,leere Tautologie" (Frieden: BA 21, Anm.), die rechtliche Freiheit als die
der Handlungen zu definieren, die keinem Unrecht tun.
54
So auch Kant, vgl. Rechtslehre: A 168. Aus der ,,angeborene[n] Gleichheit" (ebd. AB 45) könnte jedoch
ein Recht auf Verwirklichung der Selbstständigkeit abgeleitet werden, vgl. Kersting 2004: 94. Wie ein
solches angeborenes Menschenrecht aber den ,,natürlichen" Ausschluss der Frauen von der Selbstständigkeit
beenden soll, ist aber nicht zu sehen.
55
Gemeinspruch: A 236 (mit Hervorhebung i.O.) . Zur Frage nach einer hiermit vereinbaren Sozialpolitik
vgl. Mandt 1974: 115ff.; Kersting 1984: 245, Anm; Höffe 2001: 134f.; Ottmann 2008: 182f.
56
Vgl. Frieden: BA 36.

10
von inner- zu überstaatlicher Ordnung (siehe Abschnitt 2.1.3) spricht dafür, dass der
Republikanismus hinreicht, um zwischenstaatlichen Frieden zu erreichen
57
.
Wie Kant, so beginnt auch Höffes Konzept weltpolitischer Ordnung mit der Legitimation
des Einzelstaates. Ausgangspunkt ist der ,,legitimatorische Individualismus"
58
als Forde-
rung nach Zustimmung jedes Individuums zur Einschränkung seiner Freiheit. Höffe greift
damit auf den Gedanken eines (hypothetischen) Vertrages zurück, von ihm ,,transzendenta-
ler Tausch"
59
genannt. Da eine faktische Zustimmung hierzu nicht zu erwarten ist, heißt
das Legitimationskriterium ,,zustimmungswürdig" und ist dann gegeben, wenn die Zu-
stimmung aufgrund ihrer Vorteilhaftigkeit überlegterweise nicht versagt werden kann
60
.
Zustimmungswürdig ist zunächst die rechtskonstituierende Gerechtigkeit, weil sie zum
allgemeinen Vorteil an Stelle von Willkür und Gewalt das Recht und damit die Herrschaft
der Vernunft setzt
61
. Doch das gesetzte Recht bedarf der unparteiischen Interpretation und
Durchsetzung. Gemäß der rechtsrealisierenden Gerechtigkeit ist daher auch der ,,sekundäre
Naturzustand" zu verlassen, der zwar rechtsförmig, aber noch staatsfrei ist. Parallel zu
Kants Überführung des privaten Rechts in das öffentliche fordert Höffe diesen Schritt mit
der Einrichtung eines Rechtsstaats
62
. Dieser realisiert das durch Vernunftprinzipien
normierte Recht. Höffe formuliert zunächst drei abstrakt-ethische Prinzipien, um hieraus
wiederum institutionalistische Forderungen abzuleiten:
1. Das Prinzip der größten negativen Freiheit: Als Reformulierung von Kants Freiheits-
prinzip fordert es ein Höchstmaß an mit allseits gültigen Regeln vereinbarer
Handlungsfreiheit
63
. Die wechselseitige Einschränkung der Freiheit wird gemäß dem
,,transzendentale[n] Tausch" als reziproker Verzicht begriffen.
2. Das Prinzip der komparativen positiven Freiheit: Damit rechtfertigt Höffe die Gewähr-
leistung von materialen Grundbedingungen des Handelns
64
. Zwar hat das negative
Freiheitsprinzip Vorrang, dennoch grenzt sich Höffe mit dieser sozialstaatlichen Forde-
rung von Kant ab.
57
So heißt es auch im Streit (vgl. A 144), dass die Idee der republikanischen Verfassung bereits geeignet sei,
den Angriffskrieg zu meiden. Vgl. zu dieser Position Kersting 2004: 101.
58
Höffe 2002a: 45.
59
Ebd. 53.
60
Vgl. ebd. 2002a: 45ff; Höffe 1987: 84f.
61
Höffe 2002a: 61; 1996: 41.
62
Vgl. Höffe 2002a: 52 bzw. 100ff. Die Unterscheidung von Privat- und öffentlichem Recht macht sich bei
Kant an der Gewährleistung des Rechts durch eine äußere Macht fest, vgl. Rechtslehre A 163. Dem so
verstandenen Privatrecht entspricht bei Höffe das bloß normierte, aber noch nicht realisierte Recht. Daher
steht für Höffe die rechtsnormierende systematisch auch vor der rechtsrealisierenden Gerechtigkeit.
63
Höffe 2002a: 71.
64
Vgl. ebd. 79.

11
3. Die eigene und gegenseitige Anerkennung als Rechtsgenossen: Da eine wechselseitige
Zustimmung zum originären Rechtsvertrag gefordert ist, kann die rechtliche Stellung
der ihm verpflichteten nur eine der Gleichheit sein
65
.
Als institutionalistische Forderungen ergeben sich bei Höffe Gewaltenteilung, Demokratie,
Recht auf Differenz der Gemeinwesen, Subsidiarität und Föderalismus
66
. Die Gewaltentei-
lung wird dabei aus zwei Gründen gerechtfertigt. Sie ist zum einen Vorsichtsmaßnahme
gegen Machtkonzentration und Mittel zur gegenseitigen Kontrolle der Staatsgewalten
67
.
Zudem ­ so das formale Argument ­ kann wegen der grundsätzlich verschiedenen Aufga-
ben der Staatsgewalten von einer ursprünglichen Einheit gar nicht gesprochen werden
68
.
Deren Vermischung ist daher ,,formale Despotie"
69
.
Der von Höffe geforderte Staat ist ferner eine Demokratie, verstanden in drei Dimensi-
onen. Die herrschaftslegitimierende Demokratie, nach der die Herrschaft ,,möglichst vom
Volk, auf jeden Fall aber im Namen des Volkes und zum Wohle des Volkes"
70
auszuüben
ist, bedeutet Volkssouveränität unter Annahme eines vernünftigen Willens und entspricht
damit der von Kant geforderten Gesetzgebung gemäß der äußeren Freiheit
71
. Ein dem
widersprechender Staat ist daher ,,Despotie [...] im substantiellen Sinne"
72
. Da die Be-
gründung des Prinzips in der Zustimmungswürdigkeit liegt, akzeptiert Höffe eine bloß
hypothetische Mitgesetzgebung wie in Kants bloßem Republikanismus. Die zweite
Dimension der herrschaftsausübenden Demokratie schränkt diese Möglichkeit jedoch
wieder ein. Da die Demokratiemündigkeit eine allen Menschen gemeine, positive Anlage
darstellt, ist auch die Demokratie im organisatorischen Sinne notwendig
73
. Aus der
individuellen Rechtsgleichheit ergibt sich dabei Stimmgleichheit
74
. Als dritte Dimension
folgt schließlich die partizipatorische Demokratie, mit der in erster Linie die politische
Öffentlichkeit gemeint ist. Als Bedingung funktionierender organisatorischer Demokratie
ist sie systematisch jedoch nur ein Teilaspekt der herrschaftsausübenden Demokratie
75
.
65
Vgl. ebd. 85ff.; Kohler 2007: 795.
66
Sowie Rechtsstaatlichkeit, die aber schon aus der Legitimation des Staates als Rechtsrealisierung folgt.
67
Vgl. Höffe 2002a: 104f. Aus diesem Grund wäre neben der horizontalen und funktionellen auch die
vertikale Gewaltenteilung des Föderalismus hier zu nennen. Dieser wird unten aber gesondert begründet.
68
Vgl. ebd. 105f. Das ist allerdings eine Frage der Perspektive: Geht man davon aus, dass alle Gewalt
ursprünglich beim Volk liegt, so kann man bei der Delegation der einzelnen Aufgaben sehr wohl von
Gewaltenteilung sprechen.
69
Ebd. 106.
70
Ebd. 109 (i.O. hervorgehoben).
71
Vgl. Frank 2001: 962.
72
Höffe 2002a: 108.
73
Vgl. ebd. 110f.. Diese Begründung durch die ,,positive Anlage" trägt allerdings Züge eines Zirkelschlusses.
Warum die faktische Mitgesetzgebung der bloß hypothetischen grundsätzlich überlegen sein soll, klärt Höffe
ebenso wenig wie Kant. Angeführt wird lediglich die pragmatische Begründung, dass ein paternalistisches
Regieren im Sinne des Volkes im Ergebnis stets unsicher ist, vgl. ebd. 113f.
74
Vgl. ebd. 111ff.
75
Vgl. ebd. 117 bzw. 119.

12
Auf zwei Aspekte der Ausgestaltung ist näher einzugehen. Zum einen betont Höffe
deutlich stärker als Kant eine inhaltliche Qualifikation der Demokratie. Ist für Kant eine
staatliche Gemeinwohlverfolgung wegen des Prinzips der inneren Freiheit nicht verallge-
meinerungsfähig, so sind für Höffe die Menschen- und damit auch Sozialrechte vorrangig
gegenüber der Partizipation des Volkes
76
. Zum zweiten kommt für Höffe die Demokratie
nur als mittelbare in Frage: die Alternative unmittelbarer Abstimmung verwirft Höffe, da
diese ,,rasch totalitär [wird]"
77
. Als gewaltenteilende, mittelbare Demokratie entspricht
Höffes Demokratie somit weitgehend der Republik im Sinne Kants.
Die drei über Kants Republik hinausgehenden Kriterien des Rechts auf Differenz, Sub-
sidiarität und Förderalismus hängen eng miteinander zusammen. Während ersteres v.a. auf
zwischenstaatlicher Ebene von Belang ist, sind hier zunächst die Prinzipien der Subsidiari-
tät und ­ als Aspekt derselben ­ des Föderalismus wichtig. Als Konsequenz des negativen
Freiheitsprinzips fordert Subsidiarität eine Kompetenzvermutung beim Individuum bzw.
eine Kopplung staatlicher Kompetenz an drei Bedingungen: die entsprechende Kompetenz
muss erforderlich sein, auf höherer Ebene besser ausgeübt werden können und ihre
Delegation muss verhältnismäßig sein
78
. Für den Staatsaufbau schließt Höffe aus dem
Prinzip der Subsidiarität auf den Föderalismus. Der Einzelstaat ist also wiederum aus
relativ selbstständigen Einheiten mit eigener Staatsqualität zusammengesetzt
79
. Wenn-
gleich Höffe aber aus empirischer Sicht eine Vielzahl an Gründen für eine föderale
Organisation anführen kann, lässt sie sich mit seiner Argumentation nicht universal
rechtfertigen. Wie Frank bemerkt, setzt Höffe zum einen bei seiner Kompetenzvermutung
für die Gliedstaaten deren Existenz bereits voraus
80
. Die Logik des rechtsrealisierenden
Staatsgebots spricht aber eigentlich für eine Legitimation, die beim Weltstaat beginnt und
erst dann mögliche untere politische Einheiten schafft. Zum anderen ist nicht nur die
Frage, welche Kompetenzen welcher Ebene zufallen, eine empirische, sondern auch die,
ob eine Kompetenzaufteilung überhaupt sinnvoll ist. Aus reinen Vernunftgründen ist der
Föderalismus daher noch nicht geboten. Höffes Liste der Gerechtigkeitsprinzipien endet so
auch schon bei der Subsidiarität
81
.
76
Vgl. ebd. 108f. bzw. 118. Höffe spricht zwar eigentlich vom Vorrang gegenüber der Volkssouveränität,
gemeint kann aber nur die herrschaftsausübende Demokratie sein. Dies nicht nur, weil sich Höffe in diesem
Abschnitt eben gegen eine bedingungslose, ,,radikal-partizipatorische" (ebd. 118) Demokratie ausspricht,
sondern schon, weil die aus verallgemeinerbaren Vernunftgründen gefolgerten Menschenrechte gar nicht in
Widerspruch zur Zustimmungswürdigkeit und damit der (ideal gedachten) Volkssouveränität stehen können.
77
Ebd. 108. Eine nähere Begründung führt Höffe jedoch nicht an.
78
Vgl. ebd. 139f. bzw. für die näheren Merkmale der Subsidiarität ebd. 129-33; ferner Höffe 1996: 220-39.
79
Vgl. Höffe 2002a: 143ff.
80
Vgl. Frank 2001: 965.
81
Vgl. Höffe 2002a: 140f.; vgl. auch Frank 2001: 965f.; Reder 2006: 175.

13
Zwischenergebnis
Im Vergleich der innerstaatlichen Konzepte von Kant und Höffe können weitgehende
Übereinstimmungen festgestellt werden. Bei der Legitimation des Staates an sich greifen
beide auf die Vorstellung eines hypothetischen Vertrages zurück, dessen Beschluss das
vernünftig gedachte Recht in das staatliche und damit eigentliche Recht überführt. Jedoch
unterscheidet sich die Begründung des Rechts. Für Kant liegt die Notwendigkeit öffentli-
cher Gesetzesordnung ,,a priori in der Vernunftidee"
82
des rechtlosen Zustands. Zwar dient
das Recht dem Menschen, doch begründet dieser Nutzen das Recht nicht selbst. Bei Höffe
hingegen ist die Verallgemeinerbarkeit ausdrücklich an den ,,nachprüfbaren Vorteil"
83
der
Zustimmungswürdigkeit geknüpft.
In der institutionellen Gestaltung des Staates bauen Kant und Höffe auf rechtsethi-
schen Prinzipien auf, die sich in der Grundforderung nach Freiheit und (rechtlicher)
Gleichheit decken
84
. Daraus ergibt sich bei Kant die Forderung zunächst nach der republi-
kanischen Regierungsform, dann der wahren Republik. Deren Merkmale sind
Gewaltenteilung, Absehung von paternalistischer Gemeinwohlverfolgung sowie Volks-
souveränität im bloßen Republikanismus bzw. mittelbare Demokratie in der wahren
Republik. Höffe teilt die Forderung nach Gewaltenteilung und Volkssouveränität. Doch
wenngleich die herrschaftsausübende Demokratie eine faktische Mitgesetzgebung des
Volkes voraussetzt, stellt das Prinzip der herrschaftslegitimierenden Demokratie diese
hinter die Menschenrechte und somit auch materialer Gewährleistungen. Hier erscheint
demgemäß ein Widerspruch zwischen Kant und Höffe. Fraglich ist, welche Bedeutung
diesem zukommt. Kant hatte eine gemeinwohlorientierte Politik als despotisch bezeichnet.
Doch trifft das nur für eine Politik zu, die sich auf nicht verallgemeinerbare Zwecke
bezieht und daher auch der äußeren Freiheit widerspricht
85
. Höffes Menschen- und positive
Freiheitsrechte waren aber gerade als universell vernünftige bestimmt worden. Die
eigentliche Frage ist daher, inwieweit diese Bestimmung Berechtigung hat. Soweit diese
Rechte bloß formal bestimmt sind, ist ein Widerspruch aber ausgeschlossen
86
. Despotisch
im Sinne Kants ist Höffes Unbedingtheit der Menschenrechte also nicht.
Löst sich dieser Widerspruch hinsichtlich der Freiheit auf, ist dies beim Verständnis
der Gleichheit nicht der Fall. Sofern Kants Unterscheidung von gesetzgebungsbefugtem
82
Kant: Rechtslehre: A 162. Vgl. auch Gemeinspruch A 208-232; GMS B 3f.
83
Höffe 2002a: 47. Vgl. auch Hansen, 2008: 47, Anm.
84
Unterschiede zeigen sich insb. bei Höffes Prinzip positiver Freiheit sowie der Beschränkung der Gesetzge-
bungsbefugnis auf Selbstständige bei Kant.
85
Vgl. Gemeinspruch: A 234ff.
86
Eine nähere Prüfung hätte dann für die konkret ausformulierten Rechte wie das Recht auf die Integrität von
Leib und Leben sowie Meinungs- und Religionsfreiheit (vgl. Höffe 2002a: 66-71) zu erfolgen. Für die Frage
nach Menschenrechten bei Kant vgl. Höffe 2001: 25ff. sowie 212.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2011
ISBN (PDF)
9783863416911
ISBN (Paperback)
9783863411916
Dateigröße
317 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Passau
Erscheinungsdatum
2013 (Juli)
Note
1
Schlagworte
Weltrepublik Völkerrecht weltpolitische Ordnung globales Recht globaler Staat Weltstaat

Autor

Sebastian Bonnet, geboren 1988 in Zweibrücken/Rheinland-Pfalz, studiert bzw. studierte Staatswissenschaften und Politische Theorie in Passau, Frankfurt am Main und Darmstadt. Seine Schwerpunkte liegen in der Politischen Theorie und Ideengeschichte, der Internationalen Politik sowie der Politik des Nahen Ostens. Ein besonderes Interesse gilt dem Bereich der Internationalen Politischen Theorie und der Frage nach einer künftigen Weltordnung.
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Titel: Globalisierung und die rechtliche Neuordnung der Welt: Weltpolitisches Denken bei Kant und Höffe
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