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Die ältesten Verse des Korans: Eine inhaltliche Betrachtung der ersten Offenbarungen

©2012 Bachelorarbeit 40 Seiten

Zusammenfassung

Die heutige islamische Theologie und das daraus resultierende Religionsverständnis ist, wie in anderen Religionen, das ‘Ergebnis’ einer relativ langen Entwicklung. Hierbei spielt die ‘Theologie’ der Anfangszeit oftmals eine unverzichtbare Rolle für die Theologie von heute. Der meist beschwerliche Weg zur Etablierung einer bestimmten Botschaft kann bzw. muss Prioritäten innerhalb seiner Verkündigung gehabt haben, welche eine gewisse Entwicklung beeinflusst haben. So kann und hat beispielsweise die Botschaft von der Einheit Gottes eine ganz andere Gewichtung als die des islamischen Vertragsrechts.
Bei der Betrachtung der Inhalte der islamischen Theologie spielt die Frage nach der Umwelt dieser Theologie eine wichtige Rolle. Eine jede neue Theologie entsteht nicht in einem ‘luftleerem Raum’. So bestehen zwischen dieser im Entstehen begriffenen neuen Theologie und seiner Umwelt unweigerlich verschiedene Wechselbeziehungen. Eine Theologie, die sich nicht an den Realitäten der Gegenwart orientiert, kann wohl kaum mit einer ernstzunehmenden Rezeption der Botschaft rechnen.
Die vielleicht wichtigste Quelle für die Frage nach der Umwelt der ‚koranischen’ Botschaft ist der Koran selbst, weil eben dieser gerade mit seiner Umwelt in unmittelbarer Beziehung steht. Der Koran stellt die ultimative Grundlage jeder islamischen Theologie dar. Er dient sowohl dem ‘Extremisten’ als auch dem ‘liberalen’ Gläubigen als Grundlage für sein Verständnis des Islams. Da der Koran in seiner heutigen Form eine für sich eigene Anordnung der Suren enthält und nicht der Offenbarungsfolge folgt, gab es sowohl von nichtmuslimischer als auch muslimischer Seite verschiedenste Bemühungen, die Suren bzw. Verse ihrer Offenbarungsfolge nach zu rekonstruieren.
Was waren wohl die ersten Inhalte der islamischen Verkündigung? In dieser wissenschaftlichen Arbeit wird versucht, genau dieser Frage nachzugehen. Aufgrund des beschränkten Rahmens können nur einige ausgesuchte Stellen aus dem Koran näher untersucht werden. Wenn man von dem 1. Jh. der islamischen Geschichte sprechen möchte ist eine weitere grundlegende Problematik, dass die Quellenlage aus dieser Zeit äußerst begrenzt ist. So steht die Anfangszeit unter dem Verdacht der Projektion aus späterer Zeit. Entgegen der außerislamischen Annahme der ‘Quellenlosigkeit’, bietet die innerislamische Tradition eine überaus reiche Überlieferung des 1. Jahrhunderts.
In einem ersten Schritt soll die Umwelt der Frühislamischen Theologie betrachtet […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Umwelt der Theologie
Geographische Umwelt
Soziokulturelle Umwelt
Religiöse Umwelt

Der Koran als Grundlage einer islamischen Theologie
Der Koran im Kontext
Chronologie Diskurs

Frühislamische Theologie
Jenseits-Theologie
Schöpfungstheologie
Weitere Inhalte

Konklusion

Literaturverzeichnis

Einleitung

Das Interesse an der islamischen Religion nimmt in den letzten Jahren stetig zu. Noch in der nahen Vergangenheit gab der Wissenschaftsrat mit seiner Empfehlung, die Islamische Theologie weiter auszubauen, einen wichtigen Impuls an die Bundesregierung, dementsprechende Schritte einzuleiten.

Die heutige islamische Theologie und das daraus resultierende Religionsverständnis ist, wie in anderen Religionen, das „Ergebnis“ einer mehr oder weniger langen Entwicklung. Hierbei spielt die „Theologie“ der Anfangszeit oftmals eine unverzichtbare Rolle für die Theologie von heute. Wenn von der „Theologie“ (griech. Rede über Gott)[1], der Anfangszeit die Rede ist, ist damit ein „ religiös bestimmtes Reden von der Wirklichkeit, das von einer noch jungen Offenbarung seine Richtung erhielt“ [2] gemeint. Die spekulative Theologie verstanden als Kalām -Wissenschaft oder aber auch die „Dogmatik“ als u ṣūl ad-dīn sind eine spätere Entwicklung und nicht mit der hiesigen Verwendung der Theologie zu verwechseln.[3] Es ist wohl ausgeschlossen, dass ein Religionsstifter eine neue Religion mit all den Aspekten der Gottesvorstellung, Ethik, Orthopraxie etc. komplett „ausgearbeitet“ den Menschen verkündet und dazu angeworben hat. Der meist beschwerliche Weg zur Etablierung einer bestimmten Botschaft kann bzw. muss zum einen Prioritäten innerhalb seiner Verkündigung und zum anderen eine gewisse Entwicklung gehabt haben. So kann und hat beispielsweise die Botschaft von der Einheit Gottes eine ganz andere Gewichtung als die des islamischen Vertragsrechts. Auch die sogenannten „Fünf Säulen“ des Islams waren nicht alle zugleich Bestandteil der islamischen Verkündigung. Vielmehr ist meist eine kontextuelle Entwicklung zu erkennen.

Bei der Betrachtung der Inhalte der islamischen Theologie spielt die Frage nach der Umwelt dieser Theologie eine wichtige Rolle. Eine jede neue Theologie entsteht nicht in einem „luftleerem Raum“. So bestehen zwischen dieser im Entstehen begriffenen neuen Theologie und seiner Umwelt unweigerlich verschiedene Wechselbeziehungen. Eine Theologie, die sich nicht an den Realitäten der Gegenwart orientiert, kann wohl kaum mit einer ernstzunehmenden Rezeption der Botschaft rechnen. Die Umwelt, in der eine Theologie zu entstehen vermag, hat somit einen entscheidenden Einfluss auf die Inhalte. Dazu zählen etwa kulturelle, soziale, religiöse aber auch geographische Gegebenheiten, in die die Theologie hineinwächst.

Die vielleicht wichtigste Quelle für die Frage nach der Umwelt der koranischen Botschaft ist der Koran selbst, weil eben dieser gerade mit seiner Umwelt in unmittelbarer Beziehung steht. Der Koran stellt die ultimative Grundlage jeder islamischen Theologie dar. Es dient sowohl dem „Extremisten“ als auch dem „liberalen“ Gläubigen als Grundlage für sein Verständnis des Islams. Schon in relativ früher Zeit interessierten sich die Gelehrten für die Chronologie und die Offenbarungsanlässe (asbābu ʾ n-nuzūl) der einzelnen Verse bzw. Suren des Korans. Da der Koran in seiner heutigen Form eine für sich eigene Anordnung der Suren enthält und nicht der Offenbarungsfolge folgt, gab es sowohl von nichtmuslimischer als auch muslimischer Seite verschiedenste Bemühungen, die Suren bzw. Verse ihrer Offenbarungsfolge nach zu rekonstruieren.

Was waren wohl die ersten Inhalte der islamischen Verkündigung? In dieser wissenschaftlichen Arbeit wird versucht, genau dieser Frage nachzugehen. Natürlich geschieht diese Aufarbeitung in einem relativ beschränkten Rahmen. So können nur einige ausgesuchte Stellen aus dem Koran näher untersucht werden. Eine andere grundlegende Problematik, wenn man von dem 1. Jh. der islamischen Geschichte sprechen möchte, ist, dass die Quellenlage aus dieser Zeit äußerst begrenzt ist. So steht die Anfangszeit unter dem Verdacht der Projektion aus späterer Zeit. Entgegen der außerislamischen Annahme der „Quellenlosigkeit“, bietet die innerislamische Tradition eine überaus reiche Überlieferung „über“ das 1. Jahrhundert. Die ersten Aufzeichnungen zur Lebensgeschichte des Propheten Muhammad wurden wahrscheinlich erst 70-100 Jahre nach seinem Tode verfasst.[4] Eine gewichtige Ausnahme bezüglich der Quellenbasis aus dem 1. Jh. ist der Koran. Man kann davon ausgehen, dass „mit höchster Wahrscheinlichkeit alle Verse des Korans, wie er uns heute vorliegt, authentisch, d. h. von Mohammed selbst verkündet sind.“ [5]

Wie in der obigen Skizzierung der Zusammenhänge zu erkennen ist, folgt diese Betrachtung einem Dreischritt. In einem ersten Schritt soll die Umwelt der Frühislamischen Theologie betrachtet werden. Nachdem die Voraussetzungen und Bedingungen der neuen Islamischen Theologie in einigen Grundlinien betrachtet wurde, folgt in einem zweiten Schritt die Darstellung des kommunikativen Grundcharakters des Korans, die Aufarbeitung des Chronologiediskurses und die Herausstellung dessen Relevanz für die Betrachtung. Nachdem die Bedeutung des Korans als Grundlage der Untersuchung verdeutlicht wurde, wird der Fokus auf die Inhalte und somit auf die Theologie der ersten Offenbarungen bzw. Verse gelegt. Hier werden ausgesuchte Verse der Anfangszeit auf zentrale Inhalte und Besonderheiten hin untersucht.

Umwelt der Theologie

Der Koran ist in der ersten Hälfte des 7. Jh. auf der arabischen Halbinsel offenbart worden. Etwa in die gleiche Epoche fällt, als Folge der „Völkerwanderung“, die Etablierung der verschiedenen Herrschaften der Goten, Langobarden und Merowinger in Europa. Die christliche Missionierung Großbritanniens wird vorangetrieben. Das Weströmische Reich ist fest in den Händen der „Barbaren“. Das byzantinische Reich musste sich, als Nachfolger des Oströmischen Reichs, nach zwei Fronten hin verteidigen. Im Osten des Reiches (Syrien, Mesopotamien) wurde gegen das Persische Reich und im Westen (Balkan) gegen die Awaren gekämpft. Das byzantinische Reich blieb in der römischen Tradition und führte die griechisch-hellenistische Kultur mit dem Christentum als Staatsreligion weiter. In dem persischen Reich herrschten die Sassaniden mit dem Zoroastrismus als Staatsreligion. Die Rivalität dieser beiden Großmächte um den Beginn des 7. Jh. herum bestimmte die Geschichte im Nahen Osten.[6]

Diese zwei, an die arabische Halbinsel grenzende Großmächte haben im 6. und 7. Jh. durchgehend versucht, ihren Einfluss auf das arabische Gebiet zu erweitern um somit die Macht des Feindes zu begrenzen. Etwa im Jahr 521 hat der christliche Herrscher von Abessinien (Äthiopien), das im Südwesten der arabischen Halbinsel liegende Jemen teilweise besetzt. Obwohl es theologische Unterschiede zwischen Byzanz und Abessinien gab, wurde dessen Vorgehen von byzantinischer Seite massiv unterstützt. Die Perser eroberten diese Gebiete im Jahr 575 und vertrieben die Mächte aus dem Jemen. Das Perserreich sollte schließlich im Jahr 628 untergehen und sich teilweise der islamischen Herrschaft anschließen.[7]

Geographische Umwelt

Die arabische Halbinsel ist größer als der indische Subkontinent und ist ein Gebiet, das beinahe gänzlich von der Wüste bedeckt ist. Ausgehend von der arabischen Bezeichnung ǧazīrat al- ʿarab kann man gewissermaßen von einer „Insel“ (ǧazīra)[8] sprechen, die zum einen von Afrika und Asien durch das Meer und zum anderen von Mesopotamien und dem Mittelmeer durch die lebensfeindliche Wüste getrennt ist. Bei der geographischen Betrachtung der arabischen Halbinsel sind mindestens drei unterschiedliche Gebiete zu unterscheiden. Entlang des Roten Meeres befindet sich der Hedschas (ḥi ǧāz) mit seiner bis zu 2600 Meter hohen Gebirgskette aus vulkanischem Urgestein. Der Jemen, auch als das „Glückliche Arabien“ (von yumn, „Glück“)[9] oder auch das „Land zur Rechten“ (nach Osten schauend) ist das zweite Gebiet. Dieses hoch gelegene Gebiet am Golf von Aden ist ebenfalls von einer Gebirgslandschaft geprägt. Im Zentrum der arabischen Halbinsel liegt das „Hochland“ (na ǧ d). In diesem Gebiet liegt auch Riad, die Hauptstadt des heutigen Saudi-Arabien. Das Bild von diesem Teil der arabischen Halbinsel ist von Gesteins- und Sandablagerungen bestimmt. Die von der Wüste bestimmte Landschaft hat etwa die Größe Frankreichs.[10]

Mit den verschiedenen geographischen Besonderheiten unterscheiden sich auch die klimatischen Gegebenheiten. Trotz der Unterschiede haben alle Gebiete die niedrigen Niederschläge und die großen Temperaturschwankungen gemeinsam. Die geographisch gesehene Halbinsel ist aus klimatischer Perspektive der Wüste zuzurechnen. Das ganze Gebiet ist von Trockenheit und Dürre geprägt. So sind die Brunnen ein wirklicher Reichtum für Arabien. Diese Brunnen sind oft mehrere zehn Meter tief. Diese „Quellen des Lebens“ ermöglichen die Bewässerung des Landes und stellen die Grundlage einer sesshaften Lebenskultur.[11]

Soziokulturelle Umwelt

Die arabische Halbinsel des 7. Jh. ist, mit Ausnahme des sesshaften Südens, ein Gebiet, welches von der Wüste und mit den ständig umherwandernden Beduinen (von bādiya, „Wüste“)[12] gekennzeichnet ist. Die geographischen Umstände setzten auch gewissermaßen den Rahmen für das soziokulturelle Leben auf diesem Gebiet. Diese harten Lebensumstände der Wüste forderten eine große Genügsamkeit von den Beduinen. Die Lebensmittel der Beduinen begrenzten sich meist auf Rohkost und Milchprodukte. Fleisch gab es nur zu besonderen Anlässen.[13]

Das Überleben in der Wüste ist an die Fortbewegung und damit an das Kamel (einhöckrige Dromedar) gebunden. Mit diesem Tier lassen sich mehrere 100 Kilogramm Last bewegen und etwa 300 Kilometer innerhalb eines Tages zurücklegen. Dieses arabische Dromedar wurde auch in der Literatur hoch gepriesen. Der Grund dafür ist, dass es nicht nur zur Fortbewegung diente, sondern auch die Milch, das Fleisch, das Leder und die Wolle seinen Besitzern spendet. Der Mist des Tieres wurde als Brennstoff und der Urin (in Notsituationen) als Trank verwendet.[14]

Sowohl der Mensch als auch die Tiere sind von den Oasen und ihren Weideflächen abhängig. Der mit den Jahreszeiten einhergehende Wechsel der Wasserstellen erfordert eine fast ständige Suche nach neuen Oasen. So haben verschiedene Gruppen unterschiedliche Gebiete, in denen sie umherziehen. Diese starke, ja „lebensgefährliche“ Abhängigkeit ist der Grund, wieso die Beduinen auch „kriegsbereit“ ausgerüstet waren. Das „Hab und Gut“ der Beduinen beschränkte sich auf das Notwendigste wie Eimer, Schlauch, Zelt aus Ziegenfell sowie die in jeder Jahreszeit gleichbleibende Bekleidung mit Mantel und Kopfbedeckung.[15]

Aufgrund der sehr unsicheren Lebensbasis kam es aber auch unter Umständen vor, dass auf dem Gebiet des Nachbarn ein „Beutezug“ (ġ azwa)[16] durchgeführt werden „musste”, der meist auf den Raub von Vieh und Kamelen beschränkt war. Im schlimmsten Fall kam es jedoch zum blutigen Konflikt, der mit der Entführung von Kindern und Frauen, die entweder als Sklaven verkauft oder für ein Lösegeld getauscht wurden, endete. In der arabischen Poesie ist meist die Ehre der Gruppe als Kriegsgrund dargestellt, wobei das oftmals nur die Folge der unsicheren Existenzgrundlage war.[17]

In dem Kontext dieser Lebensführung standen die Beduinen mit den sesshaften Bewohnern der Oasen und Wüstenränder in einer wechselseitigen Beziehung. Die Beduinen erhielten von ihnen wichtige Mittel wie Getreide, Datteln, Bekleidung oder Waffen und die Beduinen entgegneten ihnen mit dem Schutz gegen Überfälle anderer Beduinen. Nach dem gleichen Prinzip funktionierte auch der „Handel“ mit den Karawanenhändlern. Die Beduinen begleiteten die Karawanen durch das ganze eigene Gebiet und garantierten somit deren Schutz.[18]

Dieses „Gesellschaftssystem“ muss auf einem gewissen „Wertekonsens“ gründen. Ansonsten ist eine Erklärung der Stabilität dieses relativ komplexen Verhältnis- und Abhängigkeitsgefüges kaum möglich. Damit das Gleichgewicht dieses Systems nicht durch einzelne Personen gestört werden kann, ist die arabische Gesellschaft in Stämmen organisiert.[19]

Die arabische Gesellschaft kennzeichnete eine tribale Ordnung in Stamm, Clan und Familie.[20] Der Stamm stellte die Grundlage für das soziokulturelle Leben da. Unter dem Stamm sind all die Menschen vereint, die von einem gemeinsamen Vorfahren abstammen. Diese Stämme können unterschiedlich groß sein und sich im Laufe der Zeit zu kleineren Einheiten aufteilen oder aber auch zu größeren zusammenschließen. Die kleinste Einheit des Stammes ist die Familie. Die Familie, einschließlich der Familien der männlichen Nachkommen, untersteht der Autorität eines Oberhauptes. Dieser „Clan“ bildet mit ihren eigenen Herden, Zelten etc. eine „ökonomische Einheit“. Zudem werden je nach politischer, wirtschaftlicher oder traditioneller Notwendigkeit die Frauen abgegeben oder aufgenommen, um z. B. neue Bündnisse zu schließen.[21]

In diesen gesellschaftlichen Strukturen spielt die Frau (Mutter, Schwester, Gattin etc.) keine besondere Rolle. Die Frau schöpft ihre Bedeutung aus ihrer Fruchtbarkeit und ihrer innerfamiliären moralischen Stellung. Sie bleibt eine Person zweiten Ranges, die kaum Einfluss auf Entscheidungen des sozialen Lebens hat. Dies kann man auch an der Bedeutung der hohen Stellung der Stammeslinie der Männer sehen, in der die „Ehre“ und der Ruhm des ganzen Stammes gründet.[22] Weiterhin sei hier auf den, u. a. wegen der wirtschaftlichen Belastung, grausamen Brauch der lebendigen Begrabung von weiblichen Säuglingen verwiesen.[23]

Der Stamm wird von einem „ sayyid “, also einem Oberhaupt, geführt. Dabei haben die Autoritäten der einzelnen Familien einen relativ hohen Einfluss auf die Entscheidungen des Oberhauptes und dem Rat. Zwei elementare Regeln des geltenden Brauches (sunna) haben für das Zusammenleben eine elementare Bedeutung; 1. Entscheidungen über Krieg, Ortswechsel, Bündnisse etc. werden nicht aufgezwungen und 2. sollten diese von allen Autoritäten mitgetragen werden. Der sayyid muss eine „vorbildliche“ Persönlichkeit (Weisheit, Mut, Ernst, Geduld etc.) sein, um somit seine (Macht-) Stellung innerhalb des Stammes behaupten zu können. Eine andere Form der „Machtausübung“ ist dem Oberhaupt nicht gegeben.[24]

Der gesellschaftliche Zusammenhalt wird in einer solchen Gruppe, in dem kaum politische Organisationen oder Institutionen existieren, vornehmlich durch das „Stammesbewusstsein“ (ʿasabīya)[25] gewährleistet. Faktoren wie die Leidenschaft und Gefühle in Bezug auf Ereignisse der Vergangenheit oder der Blick in die gemeinsame Zukunft sind hier entscheidend. Doch dieses Stammesbewusstsein ist lediglich der Ausdruck nach dem Bedürfnis des Überlebens. Das (Über-) Leben ist maßgeblich von der Gemeinschaft abhängig. Denn sonst ist das Leben des Einzelnen schwer möglich, wenn etwa das Weideland den Stämmen gehört, die Erzeugnisse nicht ausgetauscht werden können, kein Zugang zu den Brunnen vorhanden ist oder die Kinder nicht verheiratet werden können.[26]

Ein solches Stammessystem, das die Existenz des Einzelnen absichert, hat sich wohl aufgrund der geographischen Umwelt und den damit verbundenen Erfordernissen entwickelt. Eine politische Einheit auf der arabischen Halbinsel sucht man bei der Vielfalt von Stämmen, vergeblich.[27]

Religiöse Umwelt

Die Frage nach der Religion auf der arabischen Halbinsel (insbesondere in Mekka) ist sehr umstritten. Dazu ist auch ein besonderer Blick auf die Stadt Mekka notwendig. Hierzu muss erneut auf die reiche islamische Überlieferung zurückgegriffen werden. Hierbei soll die Betrachtung einiger Verse aus dem Koran einen besonderen Blickwinkel auf diese Frage ermöglichen.

So wie die Bewohner der arabischen Halbinsel in verschiedene Stämme aufgeteilt waren, so unterschiedlich waren wohl auch die religiösen Vorstellungen. Was mit Sicherheit über die religiöse Welt der Araber gesagt werden kann ist, dass sie polytheistisch organisiert war.[28] Diese „Religion“ der Araber war wohl eine Form des Animismus, die eine Reihe von Mächten kannte, die sie z. B. beschützten oder verführten. So galten etwa Gegenstände wie Bäume, Steine etc. als Aufenthaltsorte dieser Mächte. Die verschiedenen Stämme hatten meist verschiedene heilige Orte und Zeiten. Neben diesen verschiedenen Mächten bzw. Göttern existierte wohl auch der Gedanken eines „Über-Gottes“, der über die bekannten Gottheiten herrschte. Die verschiedenen Heiligtümer wie der berühmte Schwarze Stein (al- ḥ a ǧ aru ʾ l-aswad), die Kaaba mit ihrem eigenen Kult oder die Zamzam-Wasserquelle haben sicherlich einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet, dass Mekka zu einem Versammlungsort wurde.[29]

Aus sozialer Perspektive ist die Stadt Mekka ein sesshaft gewordener Stamm. Diese Stadt wird wie der Stamm der Wüste auch, von einem Rat kontrolliert. Die Stadt hat für sich eigene Eigenschaften, die sich von der Wüste unterscheiden. So entsteht ein neues Verständnis von „Eigentum“ sowie der territoriale Aspekt der Gemeinschaft. Hinzu kommt das der „Tauschhandel“ der Wüste durch den Handel ersetzt wurde.[30]

Die besondere Lage der Stadt Mekka (im Hedschas) am Knotenpunkt der Karawanenstraßen ermöglichte, dass Mekka zu den reichsten Städten der arabischen Halbinsel wurde. Der herrschende Stamm Mekkas, die Qurayš, waren sich ihrer ausgezeichneten Lage zwischen den vier Regionen bewusst. Auf der anderen Seite des Roten Meeres das äthiopische Reich, im Nordwesten das byzantinische Reich, im Osten das sassanidische Reich und im Süden, über den Jemen, der Zugang nach Indien und China. Die Mekkaner hatten es geschafft, ein durchdachtes System für den Handel aufzubauen. In Mekka wurden z. B. Gold, Elfenbein, Gewürze und Sklaven gehandelt. In einer solchen Stadt, die vom Handel lebt, sind auch etwa Wucherer oder Super-Reiche anzutreffen.[31]

Die religiöse Umwelt Mekkas ist, wie schon erwähnt, zunächst polytheistisch geprägt. Neben dem Koran lassen sich auch aus dem „Götzenbuch“ (Kitāb al-A ṣnām) von dem Iraker Ibn al-Kalbī (gest. 821) Hinweise auf die „Götterwelt“ der Araber finden. So verfügten die verschiedenen Stämme über bestimmte Heiligtümer bestimmter Götter, die verehrt wurden. Der „Hauptgott“ der Qurayš scheint „Hubal” gewesen zu sein, der in der Kaaba „Orakel durch das Werfen von Lospfeilen“ [32] gab. Daneben gab es die weibliche Gottheit al-Lāt dessen heiliger Bezirk nahe der Stadt Ṭ ā ʾ if (in der Nähe von Mekka) lag. Die Schicksalsgöttin al-Manāh wurde in einem schwarzen Stein zwischen Mekka und Medina verehrt. Die Göttin al- ʿ Uzzā wurde in der Form von drei Bäumen östlich von Mekka angebetet.[33] Diese Gottheiten galten als „Töchter“ Allahs, der wohl als „Hochgott“ verehrt wurde. Die Bezeichnung Allah, wahrscheinlich aus „ al-Lāh “ (also „der Gott“), hat sich bis heute sowohl im Islam als auch im arabischen Christentum als zentrale Gottesbezeichnung durchgesetzt.[34]

Neben dem Polytheismus soll es so genannte „Gottessucher“ bzw. „Rechtgläubige“ (Sing. ḥ anīf)[35] gegeben haben, die sich weder dem Judentum noch dem Christentum zugehörig fühlten, aber dennoch wohl monotheistisch waren. Die Präsenz von Juden oder Christen in Mekka ist umstritten, für die arabische Halbinsel jedoch gesichert.[36] Im Norden, im syrischen Grenzland, lebten vor allem christliche Monophysiten. Im jemenitischen Süden und in einer Reihe von Oasen (u. a. Ya ṯ rib, später Medina genannt) lebten Anhänger des Judentums. Im Jemen und am Persischen Golf gab es zudem Zoroastrier (ma ǧ ūs).[37]

Zur Frage, inwiefern Juden und Christen zur Zeit der koranischen Offenbarung in Mekka lebten, gibt es unterschiedliche Ansichten. So gibt es etwa eine Gruppe (z. B. um Richard Bell)[38], die der Auffassung ist, dass der Islam und somit der Koran, auf dem Christentum basiert. Eine andere Meinung (z. B. um C.C. Torrey)[39] ist, dass das Judentum als Hauptquelle für den Islam diente. Weiterhin ging Montgomery Watt[40] davon aus, dass das jüdisch-christliche Gedankengut in Mekka weit verbreitet war. Bell und Watt gingen davon aus, dass es in Mekka keine größere jüdische oder christliche Gemeinde gab. Torrey hingegen ging davon aus, dass in Mekka eine große jüdische Gemeinde existierte. Die Theorie von einer großen jüdischen Gemeinde hat aber folgendes Problem: Die islamische Tradition überliefert eine ganze Reihe von Informationen über die jüdischen Gemeinden auf der arabischen Halbinsel (z. B. in Medina). Es existieren jedoch keine Überlieferungen, die auf eine solche große jüdische Gemeinde in Mekka hinweisen würden. Hätte es diese jüdische Gemeinde gegeben, würde sie in den Überlieferungen erwähnt worden sein.[41]

Das andere Extrem wäre zu sagen, dass es in Mekka gar keine Juden und Christen gab. Wie so oft liegt die Wahrheit wohl irgendwo dazwischen. Dieser Frage soll im Folgenden mit der Betrachtung einiger Verse aus dem Koran nachgegangen werden.

Über das Dasein von Juden und Christen geben die folgenden Verse Hinweise:

Die ungläubig sind, die sagen: «Wenn wir und unsere Väter zu Erde geworden sind, können wir dann wirklich wieder hervorgebracht werden? Uns und früher unseren Vätern wurde das verheißen. Das sind ja nur Fabeln der Altvorderen!»[42] (27:67-68)

Das wurde uns und unseren Vätern doch früher schon verheißen. Das sind ja nur Fabeln der Altvorderen! (23:83)

Diese Verse sind ein Beleg dafür, dass es, in welchem Ausmaß auch immer, Missionierungsversuche seitens der Juden und Christen in Mekka gab. Das Phänomen, dass verschiedene koranische Botschaften als „Fabeln der Altvorderen” abgetan werden, zeigt dass die jüdisch-christliche Tradition zu einem gewissen Grad bekannt gewesen sein muss.[43]

In einem anderen Vers heißt es:

Sie schätzen Gott nicht richtig ein, als sie sprachen: «Auf einen Menschen hat doch Gott nichts herabgesandt!» Sprich: «Wer sandte denn das Buch herab, das Mose brachte, als Licht und rechte Leitung für die Menschen?» Ihr macht es zu Blättern aus Papyrus, die ihr offen zeigt, während ihr doch viel verbergt. Euch wurde gelehrt, was ihr nicht wusstet, weder ihr noch eure Väter! – Sprich: «Gott!» Lass sie dann in ihrem leichtfertigen Gerede tändeln! (6:91)

Es kann mit relativ großer Sicherheit davon ausgegangen werden, dass der Satz „Euch wurde gelehrt, was ihr nicht wusstet, weder ihr noch eure Väter!“ an die Polytheisten und nicht an Juden, Christen oder Muslime gerichtet ist. Auch der Einstiegssatz „Sie schätzen Gott nicht richtig ein...“ oder in der Übersetzung von Muhammad Asad „Denn kein wahres Verständnis von Gott haben sie...“ [44] deutet erneut auf die Polytheisten (Sing. mušrik) und ihr Gottesverständnis hin. Die Passage, die mit „Wer sandte denn das Buch herab...” beginnt, ist dahingegen nicht so eindeutig und könnte sich an die Juden oder aber auch an die Christen richten.[45]

Man könnte fragen, wer diese angesprochenen Juden oder Christen sind. Bell meint, dass diese Worte sich an die Juden aus Medina richteten und somit medinensisch sein müssen. Er geht so weit und ordnet den ganzen Vers der medinensischen Phase zu. Nöldeke-Schwally hingegen stuft diesen Teil medinensisch und den verbleibenden Teil als mekkanisch ein. Fazlur Rahman geht davon aus, dass der komplette Vers mekkanisch ist. Hierzu verweist er auf die harmonische Ganzheitlichkeit des Verses.[46]

Es ist auch im Bereich des wahrscheinlichen, dass es in Mekka Juden und Christen gab, die in einer messianischen Erwartung standen. So wäre die Akzeptanz eines neuen Propheten vermutlich wesentlich einfacher. Als die Mekkaner nach einem Beweis für die Prophetie fragen, antwortet der Koran: „War das für sie denn nicht ein Zeichen, dass die Gelehrten der Kinder Israel von ihm schon wussten?“ (26:197) Der Koran unterscheidet noch in mekkanischer Zeit unter solchen Juden, die die neue Botschaft annahmen und solchen, die ihr feindlich gegenüberstanden (a ḥzāb).[47] So heißt es in den folgenden Versen:

Ist denn derjenige, der einen klaren Beweis von seinem Herrn besitzt, während ihn ein Zeuge von ihm vorträgt, dem schon vorher das Buch von Mose als Leitbild und Erbarmen diente...[!] Die sind es, die an ihn glauben. Wer aber, von den Gruppen [ a ḥ zāb ], nicht an ihn glaubt, dessen ihm verheißener Ort ist das Höllenfeuer. [...] (11:17)

Die aber, denen wir das Buch brachten, die freuen sich über das, was zu dir herabgesandt wurde. Unter den Gruppen [ a ḥ zāb ], gibt es einige, die einen Teil davon ablehnen. [...] (13:36)

Also sandten wir das Buch auf dich herab. Jene, denen wir das Buch gegeben haben, glauben daran. Auch unter diesen hier [Anhänger früherer Offenbarung][48] sind einige, die daran glauben. Allein die Ungläubigen bestreiten unsere Zeichen. (29:47)

Rückblickend kann davon ausgegangen werden, dass die Mekkaner vor dem Islam einen relativ langen Kontakt vor allem zu Juden gehabt haben müssen. So kennen die Mekkaner bereits die Idee einer Auferstehung (27:67-68). Dennoch blieb der Übertritt in eine der Buchreligionen eher eine Seltenheit. Im Zuge der messianischen Erwartungshaltung standen die Menschen in einer Suche nach einer neuen und den alten Religionen überlegenen Botschaft (28:47-48; 35:42; 6:155-157). In der „Geburtsstunde” des Islams gab es somit Juden und Christen, die die koranische Botschaft unterstützten.[49]

Der Koran als Grundlage einer islamischen Theologie

Der Koran ist die Offenbarungsschrift des Islams, die in einer Zeitspanne von etwa 23 Jahren, zunächst in der Stadt Mekka des 7. Jh., dem Propheten Muhammad offenbart wurde und von ihm den Menschen verkündet wurde. Der Koran stellt die unverzichtbare Basis für die islamische Theologie dar. Aus dieser Quelle schöpft sie ihre primären Inhalte. Den Text des Korans, den wir heute in den Händen halten, hat es nicht seit Anbeginn gegeben. Sowohl der Prophet als auch die ersten Muslime haben im Laufe dieser Zeitspanne von etwa 23 Jahren, die koranische Botschaft in verschiedenen Etappen erhalten. Die Menschen, die sich für diese Botschaft entschieden, wurden dadurch zu Muslimen „geformt“. Ja, man kann vielleicht sogar sagen, dass diese Menschen auf einer gewissen pädagogischen Art und Weise zu Muslimen „erzogen“ wurden. Die einzelnen göttlichen Botschaften „entwickelten“ sich hin zu einer Offenbarungsschrift. Diese Entwicklung der koranischen Botschaft hin zu einer „Religion“ geschieht aber gemeinsam mit der Entwicklung der Offenbarungsempfänger und deren Situation.

Der Koran im Kontext

Hierbei spielt die kommunikative Grundstruktur des Korans eine entscheidende Rolle. So heißt es im Folgendem Vers: „So gaben wir dir, was vorzutragen ist, auf Arabisch ein, [...]“ (42:7). Der Sender („So gaben wir“) gibt dem Empfänger („dir“) die Information („ was vorzutragen ist, auf Arabisch ein“), wobei der Empfänger, also der Prophet, sowohl als Empfänger als auch Sender fungieren kann: „So sandten wir dich zu einer Gemeinschaft, [...] damit du ihnen vorträgst, was wir dir offenbarten. [...]“ (13:30). Oft kommt es auch vor, dass der Koran sich direkt an die letzten Adressaten wendet.[50] So heißt es z. B.: „O ihr, die ihr glaubt! Sucht Hilfe in Geduld und im Gebet! [...]“ (2:153); „Entschuldigt euch nicht! Ungläubig wurdet ihr, nachdem ihr gläubig wart! [...]“ (9:66); „O ihr Menschen! Der Gesandte ist nunmehr zu euch gekommen mit der Wahrheit von eurem Herrn.“ (4:170)

Gott steht mit den Menschen in einer kommunikativen Beziehung. Der Koran „spricht“ die Menschen auf konkrete geschichtliche Ereignisse an. Der Koran ist kein vom geschichtlichen Kontext herausgelöstes Buch. Es steht „mitten im Leben“ und begleitet die Offenbarungsempfänger in ihrer Entwicklung.

Der Umstand, dass die Offenbarung meist einen konkreten Anhaltspunkt in der Geschichte hatte, kann auch an den Überlieferungen zu den Offenbarungsanlässen (asbābu ʾ n-nuzūl) gesehen werden. Diese Offenbarungsanlässe sind in den Hadith- und den Tafsīr - Werken überliefert. In diesen Überlieferungen findet man den Anlass, also die Umstände die zu der Offenbarung eines oder mehrerer Verse geführt haben. Es ist aber bei weitem nicht zu jedem Vers ein Offenbarungsanlass überliefert worden. Zu den Versen aus medinensischer Zeit sind deutlich mehr Informationen überliefert worden. Dies lässt sich wohl auf die gesellschaftliche Situation der muslimischen Gemeinschaft in Medina zurückführen. Neben diesen Überlieferungen zu den einzelnen Versen ist es auch möglich, dass der Koran selbst auf historische Ereignisse hinweist (etwa die Schlacht von U ḥ ud im Jahr 625; Sure 3:155-174/149-168) und somit seinen Kontext anzeigt.[51]

Schon in sehr früher Zeit machten sich die Muslime darüber Gedanken, an welchem Ort (und die damit verbundene Zeit) die jeweiligen Verse offenbart wurden. In den etwa 23 Jahren erhielt der Prophet die Offenbarungen zum einen in der Region Mekka und zum anderen in der Region Medina. Diese zwei Abschnitte in der Geschichte der muslimischen Gemeinschaft werden (genau wie die thematischen Bezüge der jeweiligen Offenbarungen) relativ stark voneinander unterschieden. Man kann schon in den alten Koranhandschriften die Einteilung der Suren (bzw. Teile davon) in „mekkanisch” oder in „medinensisch” sehen. Um einen Vers „richtig“ zu verstehen waren die Informationen von Raum und Zeit zu dem Vers meist entscheidend. Das Bedürfnis nach einer chronologischen (und somit auch kontextologischen) Einteilung und Bestimmung der Verse erwuchs zudem daraus, dass der Koran die erste und grundlegendste Quelle des Islamischen Rechts wurde.[52]

Zum Beispiel gibt es zum Verbot des Alkoholkonsums folgende Verse:

Und aus den Dattelfrüchten und den Trauben gewinnt ihr Rauschgetränk und schöne Nahrung. Siehe, darin liegt fürwahr ein Zeichen für Menschen, die begreifen. (16:67)

Sie fragen dich nach dem Wein und nach dem Losspiel. Sprich: «In beidem liegt große Sünde und Nutzen für die Menschen. Die Sünde aber, die in beidem liegt, ist größer als ihr Nutzen.» [...] (2:219)

O ihr, die ihr glaubt! Naht euch nicht trunken dem Gebet, auf das ihr wisst, was ihr zu sagen habt! [...] (4:43)

Ihr Gläubigen! Siehe, Wein, Losspiel, Opfersteine sowie Pfeile – sie sind ein Greuel, sind ein Werk des Satans! So meidet das, vielleicht wird’s euch dann wohlergehen! (5:90)

Die „Entwicklung“ der Alkoholthematik ist ein gutes Beispiel für die geschichtliche Wirklichkeit des Korans. Die ersten zwei Verse beinhalten kein Verbot von „Wein“. Allerdings kommt im dritten Vers die erste Einschränkung, indem man sich „nicht trunken dem Gebet“ nähern soll. Im vierten Vers wird schließlich aufgefordert, den Wein gänzlich zu „meiden“. In diesem Beispiel ist es für das Islamische Recht unbedingt notwendig, zu wissen, welcher Vers zuerst und welcher Vers danach offenbart wurde. Denn man könnte sich ja z. B. auf den Vers 4:43 berufen und somit den Alkoholgenuss außerhalb des Gebets legitimieren. Im Zuge solcher Diskussionen bezüglich der Verse, die eine Thematik unterschiedlich beantworten und somit zunächst einen Widerspruch auslösen, entwickelte sich die – nicht unumstrittene – Lehre von der Abrogation (n āsi ḫ wa-l-mansū ḫ).[53]

Die Lehre, das ein Vers einen anderen, in der Chronologie früheren Vers „aufheben“, also für „ungültig“ erklären kann, setzt eine chronologische Folge der Verse voraus.

[...]


[1] Vgl. Vorgrimler 2000, S. 616.

[2] van Ess 1991, S. VII.

[3] Vgl. Madelung 1987, S. 326.

[4] Vgl. van Ess 1991, S. VIII.; Vgl. Schöller 2008 S. 11ff.

[5] Neuwirth 1987, S. 100.

[6] Vgl. Watt 2006, S. 15f.; Vgl. Busse 2005, S. 21.

[7] Vgl. Watt 2006, S. 16f.

[8] Vgl. Wehr 1976, S. 111.

[9] Vgl. Ebd., S. 985.

[10] Vgl. Miquel/Laurens 2004, S. 28f.; Vgl. Krämer 2005, S. 10.

[11] Vgl. Miquel/Laurens 2004, S. 30f.

[12] Vgl. Wehr 1976, S. 42.

[13] Vgl. Miquel/Laurens 2004, S. 32.

[14] Vgl. Ebd.

[15] Vgl. Ebd., S. 33.

[16] Vgl. Wehr 1976, S. 602.

[17] Vgl. Miquel/Laurens 2004, S. 34.

[18] Vgl. Ebd.

[19] Vgl. Ebd., S. 35.

[20] Vgl. Krämer 2005, S. 12.

[21] Vgl. Miquel/Laurens 2004, S. 36.

[22] Vgl. Ebd.

[23] Vgl. Asad 2009, S. 1140.

[24] Vgl. Miquel/Laurens 2004, S. 37.

[25] Vgl. Wehr 1976, S. 553.

[26] Vgl. Miquel/Laurens 2004, S. 38.

[27] Vgl. Ebd., S. 39.

[28] Vgl. Schöller 2008 S. 19.

[29] Vgl. Miquel/Laurens 2004, S. 40.

[30] Vgl. Ebd., S. 41.

[31] Vgl. Ebd., S. 42.

[32] Halm 2010, S. 22.

[33] Vgl. Halm 2010, S. 22.; Vgl. Schöller 2008, S.19.

[34] Vgl. Krämer 2005, S. 12.; Vgl. Schöller 2008, S.19.

[35] Vgl. Wehr 1976, S. 190.

[36] Vgl. Krämer 2005, S. 16.

[37] Vgl. Ebd., S. 17.

[38] Vgl. Bell 1926.

[39] Vgl. Torrey 1933.

[40] Vgl. Watt 1953.

[41] Vgl. Rahman 2009, S. 223f.

[42] Für die Verse aus dem Koran wird, soweit nicht anders angegeben, die Koranübersetzung von Hartmut Bobzin verwendet.

[43] Vgl. Rahman 2009, S. 225.

[44] Asad 2009, S. 249.

[45] Vgl. Rahman 2009, S. 225.

[46] Vgl. Rahman 2009, S. 226.

[47] Vgl. Rahman 2009, S. 227.

[48] Vgl. Asad 2009, S. 766.

[49] Vgl. Rahman 2009, S. 229.

[50] Vgl. Zirker 1999, S. 51f.

[51] Vgl. Neuwirth 1987, S. 99.

[52] Vgl. Neuwirth 1987, S. 99.

[53] Die Theorie der Abrogation wird u. a. auf den Vers „ Tilgen wir einen Vers oder stellen ihn dem Vergessen anheim, so bringen wir einen besseren als ihn oder einen, der ihm gleicht. […]” (2:106) zurückgeführt.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2012
ISBN (PDF)
9783863417635
ISBN (Paperback)
9783863412630
Dateigröße
223 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Münster
Erscheinungsdatum
2013 (Juli)
Note
1,8
Schlagworte
Koran frühislamische Theologie Offenbarung Koranhermeneutik Exegese Mekka

Autor

Mehmet Umut Genc, B.A., wurde 1984 in Siegen geboren. Nach seiner Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger studierte er katholische Religionslehre und arabisch-islamische Kultur an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Das Bachelorstudium schloss der Autor im Jahr 2011 erfolgreich ab. Bereits während des Studiums beschäftigte sich der Autor vor allem mit koranhermeneutischen Fragen und profitierte dabei von seiner interreligiösen Studienkombination. Derzeit macht der Autor an der gleichen Universität seinen Master in islamischer Theologie.
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Titel: Die ältesten Verse des Korans: Eine inhaltliche Betrachtung der ersten Offenbarungen
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