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Ökumene in Deutschland: Wegmarken einer Annäherung

©2009 Bachelorarbeit 52 Seiten

Zusammenfassung

Zusammenarbeit zwischen den großen christlichen Kirchen ist in Deutschland heute beinahe selbstverständlich, doch befinden sich die Kirchen in einem Prozess, der erst vor wenigen Jahrzehnten begonnen wurde und noch lange nicht beendet ist. Wichtige Impulse gab zum Beispiel das II. Vatikanische Konzil, weshalb der Schwerpunkt der vorliegenden Betrachtung 1964 ansetzt. Auch die Vorgeschichte der ökumenischen Arbeit sowie das gemeinsame theologische Verständnis - insbesondere der Rechtfertigungslehre -, welches sich seither entwickelt hat, sind Gegenstand dieser Arbeit. Auch organisatorische Aspekte sowie Formen der praktischen Umsetzung ökumenischer Gemeindearbeit werden dargestellt.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


III. Ökumene oder interreligiöser Dialog?

Maßgeblich durch Hans Küng wurde der Begriff der „Ökumene der Weltreligionen“ geprägt, der die Gemeinsamkeiten der drei monotheistischen Weltreligionen betont, die sich vom Stammvater Abraham ableiten und Zusammenarbeit zwischen allen drei einfordert. Er erweitert dabei die ekklesiozentrische Ökumene, die er als Zentrum einer Weltökumene sieht. Darin erweitert er die Erkenntnis des II. Vatikanums, dass es auch außerhalb der Kirche Wege zum Heil gibt. Seine Gedanken fanden große Beachtung.[1] Dieser Ökumenebegriff stellt wiederum eine Anleihe bei der christlichen Öku­menebewegung dar und wird meist abgelehnt. Schließlich handelt es sich dabei um interreligiösen Dialog, der die Gemeinsamkeiten sucht, jedoch im Gegensatz zur christlichen Ökumene weder ein Zusammengehen noch eine übergeordnete institutionell reglementierte Zusammenarbeit anstrebt noch sich auf eine gemeinsame Schrift berufen kann. Symbole wie das erste Friedensgebet von Assisi im Jahre 1986, bei dem Vertreter aller Weltreligionen teilnahmen, sind zweifelsohne wichtig,[2] doch liegen ihnen weltliche Ziele zu Grunde, die auf verschiedenen spirituellen Wegen verfolgt werden können. Interreligiöser Dialog ist ein Weg der Verständigung, nicht aber der Konsensfindung in entscheidenden theologischen Fragen, der von der christlichen Ökumene abzugrenzen ist.

IV. Konsens- oder Differenzökumene?

Die Fortschritte, die das 20. Jahrhundert in der Annäherung der großen Konfessionen gebracht hat, weisen in zwei Richtungen. Die Richtung des Konsenses orientiert sich an verbindenden, beidseitig anerkannten Lehrmeinungen.[3] Solche Bestrebungen sind keine Erscheinung der letzten Jahre oder der postkonziliaren Zeit. Bereits 1937 hatte die Weltkirchenkonferenz in Edinburgh festgestellt, dass die gemeinsame Basis der Christenheit die Heilige Schrift und als „Wächter und Zeugen“ die Beschlüsse des Apostelkonzils wie des ersten Nicäanums genügten, um die Altargemeinschaft herzustellen.[4] Edinburgh blieb ohne Folgen, auch weil die Welt sich in den Folgejahren anderen Problemen zu stellen hatte. Die dort gefassten Erklärungen sind vorsichtig formuliert, relativieren sich selbst jedoch wieder, indem sie die gefassten Beschlüsse als „Grundwahrheiten“ bezeichnen, ihnen also lediglich einen gemeinsamen Ursprung zugestehen.[5] Damit besteht ein fließender Übergang zur Differenzökumene, die ihrerseits keinen Rückschritt anstrebt, jedoch keine totale Einigung anstrebt. Im ausgehenden 20. Jahrhundert wurde sie auch mit dem Begriff Ökumene im Zeichen des Kreuzes beschrieben, die nach den Leiden des Jahrhunderts für mehr Frieden und Verständigung sorgen sollte.[6] Dieser Haltung zu Grunde liegt die Grundeinstellung des gegenseitigen Respekts, also der Anerkennung als gleichwertig, jedoch kein Einigungsstreben.[7] Die Frage, ob eine Ökumene des Konsenses oder der Differenz angestrebt wird, ist elementar und deckt sich mit der im Titel enthaltenen Fragestellung. Eine Betonung der Unterschiede schafft keine Basis für einen konkreten Einigungsprozess, sondern bietet lediglich die Möglichkeit des Dialoges und der Zusammenarbeit. Den Akzent auf die Gemeinsamkeiten zu legen, schafft Raum für eine Zusammenführung der getrennten Wege. Zusammenfassend kann man festhalten, dass die Konsensökumene die Grundlage einer „Wiedervereinigung“ legen würde, während Differenzökumene zu friedlicher Koexistenz führte. Als hoffnungsvoller Mittelweg bietet sich das Konzept des differenzierten Konsens an, bei dem es um die Betonung gemeinsamer Grundwahrheiten geht, die sich jedoch konfessionsspezifisch anders interpretieren lassen. Ein Beispiel hierfür wäre die Gemeinsame Erklärung über die Rechtfertigungslehre von 1991, die einen jahrhundertelangen Dissens zwischen lutherischer und katholischer Kirche beilegte, ohne beiden die exakt gleichen Lehrmeinungen zu oktroyieren. Auf sie wird noch näher eingegangen.

V. Nationales vs. Internationales Ökumeneverständnis

In Deutschland wird der Begriff „Ökumene“ landläufig gleichgesetzt mit der Verständigung bzw. Kooperation und Annäherung der evangelisch-lutherischen und der römisch-katholischen Kirche. Dafür stehen ökumenische Gottesdienste, Feste und vieles mehr.

Weltweit wird die Ökumene eher allgemeinchristlich oder auch teilinterkonfessionell betrachtet. Sie stützt sich auf internationale Konferenzen und verfolgt eine konsensorientierte Einigungspolitik, die häufig an nationalen Egoismen zu scheitern droht und mitunter ins Gegenteil umschlagen können, etwa als sich beim Versuch, alle nordamerikanischen protestantischen Kirchen zu einen, neue bildeten.[8] Doch gibt es in Nordamerika immer wieder Fusionsbemühungen zwischen protestantischen Kirchen ähnlicher Richtung wie auch Bemühungen um bloßen Dialog zwischen ihnen, eine allumfassende christliche Ökumene ist bisher jedoch nicht zu Stande gekommen, nicht zuletzt weil sich die katholischen Bistümer Nordamerikas, die weltweit zu den personalstärksten gehören, bis heute wenig an solchen Verhandlungen beteiligen.[9]

Gleichwohl gibt es auch aus Deutschland heraus Kontakte der großen Kirchen zu Kirchen und Konfessionen im Ausland, so etwa die Beziehungen des Rates der EKD (Evangelische Kirche Deutschlands; ursprünglich auch der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen der DDR) zur Kirche von England seit 1983, als der 500. Geburtstag Martin Luthers gefeiert wurde[10] und die seit 1991 in der gemeinsamen Meissener Erklärung durch die Abend­mahlsgemein-schaft verbunden sind.[11] Die Katholische Kirche fühlt sich indes der orthodoxen Kirche sehr eng verbunden, die seit dem Treffen Papst Pauls VI. mit Patriarch Athenagoras I. 1967 gerne auch als Schwesterkirche bezeichnet wird.[12] In Deutschland kooperiert sie eng mit den orthodoxen Kirchen, hierbei handelt es sich auch um eine Folge der Migration aus der ehemaligen Sowjetunion und dem ehemaligen Jugoslawien.

B. Ökumene vordenken

I. Fern der Ökumene: Das späte 19. Jahrhundert

Letztmalig kam es 1870 zu einer Kirchenspaltung, wenngleich diese weniger bleibende Wirkungen mit sich brachte als die Reformation oder das Schisma von 1054. Im Anschluss an das I. Vatikanische Konzil hatten sich die sog. Altkatholiken von Rom getrennt, weil sie die Dogmen der Infallibilität und des päpstlichen Jurisdiktionsprimates nicht anerkennen wollten.[13] Damit war zumindest für Deutschland und Europa die letzte Spaltung eingetreten. Die Folgejahre waren geprägt von konfessioneller Abgrenzung. Besonders in Deutschland, und hier gerade in Preußen verschärfte der Kulturkampf die Spaltung im Glauben. Der Kanzelparagraf, das Schulaufsichtsgesetz und das Verbot des Jesuitenordens 1873 einten die deutschen Katholiken im Innern. Erst die „Milderungsgesetze“ der 1880er Jahre führten schrittweise zu mehr Gleichberechtigung und ebneten so den Weg zu mehr Dialogbereitschaft.[14]

II. Vater der Ökumene?

Einen der größten Schritte auf dem Weg zur praktischen Ökumene tat der Schwede Nathan Söderblom. Seit 1914 Erzbischof von Schweden, berief er 1925 die Weltkonferenz für Praktisches Christentum in sein Heimatland. Dies geschah unter dem Eindruck der Schrecken des I. Weltkrieges. Vom neutralen Standpunkt aus hatte er die deutsche Besetzung Belgiens ebenso verurteilt wie die Besetzung des Ruhrgebietes durch die Franzosen. Bereits 1919 hatte er das Konzept eines Ökumenischen Kirchenrates entworfen, der dauerhaft die Einheit vorantreiben sollte.[15] Auch vor Söderblom hatte es Ansätze einer internationalen Ökumene gegeben. Schon 1910 fand im schottischen Edinburgh die erste Weltmissionskonferenz statt, die Delegierte aus aller Welt mit­einander ein Konzept für die Evangelisierung der Welt suchen ließ. Da weder katholische noch orthodoxe Teilnehmer angereist waren und sich der Teilnehmerkreis hauptsächlich auf Westeuropa und Nordamerika beschränkte, kann man hier jedoch noch nicht von einer wahrhaften Weltökumene sprechen.[16]

Söderblom verfolgte andere Interessen. Sein Wirken stellte er unter das Schlagwort der Evangelischen Katholizität, dem zu Folge alle Christen Mitglieder der einen Kirche sind, der katholischen ihrer Wortbedeutung nach, entweder orthodox-, römisch-, oder evangelisch-katholisch. Er steht für die Konsensökumene und betonte das Einende, ohne Einförmigkeit zu fordern, und verweist auf den Geist des 1600 Jahre zurückliegenden Konzils von Nicäa und dessen allen Christen gemeinsames Glaubensbekenntnis.[17]

Zur Konferenz reisten übrigens zwar Vertreter der Orthodoxie an, jedoch keiner aus Rom. Die Kirche Pius XI. war noch nicht reif für die Ökumene. Söderblom wetterte:

„Versteht man unter einer Sekte eine religiöse Gemeinschaft, deren Programm den Grundsatz enthält, sich von der übrigen Christenheit abzugrenzen, so gibt es keinen Teil der Kirche, auf den diese Definition besser passte als Rom.“[18]

1989 reiste Johannes Paul II. nachträglich nach Stockholm.

III. Zeit der Rückschläge

1. Die Enzyklika „Mortalium Animos“

Die Impulse, die aus Schweden kamen, erreichten trotz der Nichtteilnahme Rom. Pius XI., der durch die Schaffung des Vatikanstaates und seine Kritik am Nationalsozialismus durch die Enzyklika „Mit brennender Sorge“ positiv im Gedächtnis der Öffentlichkeit erhalten geblieben ist[19], befürwortete zwar auch den kirchlichen Einigungsprozess, jedoch unter römischer Ägide. Die im Januar 1928 erschienene Enzyklika Mortalium Animos, kann als direkte Antwort auf die Konferenz von Stockholm verstanden werden. Als Plädoyer für die „Rückkehr zur wahren Kirche“ heißt es dort:

„Daraus geht hervor, ehrwürdige Brüder, aus welchen Gründen der Apostolische Stuhl niemals die Teilnahme der Seinigen an den Konferenzen der Nichtkatholiken zugelassen hat. Es gibt nämlich keinen anderen Weg, die Vereinigung aller Christen herbeizuführen, als den, die Rückkehr aller getrennten Brüder zur einen wahren Kirche Christi zu führen.“ [20]

Zwei konkrete Kernprobleme, die aus Sicht des Papstes einem aufeinander Zugehen im Wege stünden, nennt die Enzyklika weiterhin:

1. Nichtanerkennung des päpstlichen Jurisdiktionsprimates, d.h. Erhebung des Anspruches gleichberechtigter Partnerschaft[21],
2. Nichtanerkennung der Eucharistie als Sakrament durch die Nichtkatholiken, Feier des Abendmahls als bloße Erinnerung.[22]

Wahre Glaubenseinheit könne demnach nicht als eine Kirche mit vielen Gliedern erzielt werden, sondern nur durch eine Lehre und eine Leitung. Die Enzyklika nennt die Befürworter der Ökumene ferner „irrende Schäflein außerhalb des einen Schafstalls Christi“[23] und ruft diese zur Heimkehr auf. Da die derartige Absicht einer Massenkonversion bereits damals völlig unrealistisch war, muss man insbesondere Pius XI. unterstellen, keine wahrhaftigen ökumenischen Absichten verfolgt zu haben außer der Wiederherstellung des vorreformatorischen Status quo.[24] „Mortalium Animos“ stellt insgesamt eine Verdrehung des Anliegens der Anhänger der Ökumene in einen Rückkehraufruf dar und ebnete den Weg für die noch Jahrzehnte andauernde Abstinenz des institutionalisierten Katholizismus bei ökumenischen Versammlungen, ein Grund warum echte, katholische Ökumene dem Wortsinne nach sich erst spät zu entwickeln begann. Zumindest für die Zeit des Pontifikates Pius‘ XI. bedeutete dies eine eindeutige Absage Roms an jegliche institutionelle Mitwirkung.

2. Protestantische Antiökumene

Anfang des 20. Jahrhunderts bestanden in der Welt drei Zentren des lutherischen Christentums: Deutschland, dessen protestantische Theologen zumindest vor dem I. Weltkrieg hier die Leitrolle einnahmen, Skandinavien und Nordamerika. Nach dem für die USA siegreichen Krieg griff das konservative, antiökumenische National Lutheran Council den Europäern finanziell unter die Arme; so konnten sie ihren Einfluss geltend machen. 1923 wurde der 1. Lutherische Weltkonvent in Eisenach einberufen, auf dem jedoch die konservativen Amerikaner als Wortführer auftraten. Als wichtiges Steuerungsmedium diente ihnen die Auswahl der persönlich eingeladenen Delegierten. Erzbischof Söderblom beispielsweise war nicht dabei.[25] Das Druckmittel der Finanzhilfen einsetzend warnte der Präsident der Vereinigten Lutherischen Kirchen Amerikas, F.H. Knubel, davor, die dogmatischen Grundlagen des Glaubens durch interkonfessionelle Kooperation zu verwischen, und der Leiter der amerikanisch-lutherischen Europaarbeit, Morehead, setzte schließlich durch, Hilfsgelder allein nach konfessionalistischen Aspekten zu verteilen.[26]

1936 verabschiedete das Exekutivkomitee des Weltkonventes, sein höchstes Gremium, eine Erklärung, die unter anderem den „ökumenischen Charakter des Luthertums“ feststellt. Darin wird einerseits festgehalten, dass Christen jedweder Provenienz anzuerkennen sind, andererseits jedoch auch verfügt, dass die lutherischen Kirchen in keinem Falle an ökumenische Beschlüsse strikt gebunden sind.[27] Dadurch wird deutlich, dass die lutherischen Kirchen des frühen 20. Jahrhunderts zwar auch nicht durchweg zum Dialog bereit waren, jedoch durch die nicht bzw. kaum (in Gestalt des Weltkonventes) vorhandene Zentralgewalt einer größeren Dynamik unterlagen als Rom, das immer auch an den einen Papst gebunden ist.

IV. Konkrete Bestrebungen nach Söderblom

Nathan Söderblom hat die Verwirklichung des von ihm initiierten Kirchenrates nicht mehr erlebt. Er starb 1931, ein Jahr nachdem ihm der Friedensnobelpreis verliehen worden war. 1937 fand eine weitere Konferenz für praktisches Christentum im Sinne Söderbloms in Oxford statt, im selben Jahr fand sich die Weltkirchenkonferenz in Edinburgh zusammen und formulierte als Ziel die Einheit der Kirche als eine Art Konföderation, die die Abendmahlsgemeinschaft und die Gleichheit der kirchlichen Ämter festgelegt hat.[28] Durch den Krieg geriet dieses Ereignis in den Hintergrund, obwohl sich bereits 1938 beide Richtungen bei einer gemeinsamen Versammlung in Utrecht zusammenschlossen und eine gemeinsame Verfassung ausgearbeitet hatten.[29]

Erst 1948, nachdem der Krieg den Teilnehmern die Notwendigkeit eines einigenden Bandes zwischen den Christen erneut vor Augen geführt hatte, konnte Söderbloms Projekt verwirklicht werden, als sich in Amsterdam die erste Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (im Folgenden ÖRK genannt) konstituierte.[30] Schwerpunkte waren zunächst grundlegende Fragen der Zusammenarbeit wie auch die Ausrichtung des Christentums nach dem Krieg. Dabei ging es konkret um das Wesen des Christentums auf der Basis der Trinität, ein Schuldeingeständnis, dass kirchliche Trennungen auch mit der Trennung nach Nationen, sozialen Klassen oder Hautfarben zu tun hat[31] und die Betonung der Einheit vor dem Hintergrund der „internationalen Unordnung“, d. h. der sich abzeichnenden Blockkonfrontation.[32] Die tiefsten Unterschiede liegen der Konferenz nach im Selbstverständnis als „katholisch“, „evangelisch“ oder „orthodox“, was bereits Söderblom festgestellt hatte, und einer starken Klerikalisierung zu ungunsten der wahren Botschaft.[33] Weder an der Weltkirchenkonferenz von Edinburgh, noch an der ersten Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirche hatten Vertreter Roms teilgenommen und tun dies bis heute nicht als Delegierte, sondern lediglich in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe am Rande der Vollversammlungen. Doch nicht nur katholische Stellen taten sich zu dieser Zeit noch schwer. Auch das Moskauer Patriarchat hatte seinen Klerikern die Teilnahme an der Versammlung untersagt. Inzwischen hat sich dort aber ein Gesinnungswandel hin zu mehr Kooperationsbereitschaft vollzogen.[34] Der ÖRK existiert weiterhin und hat seit 1948 insgesamt neun Vollversammlungen veranstaltet, zuletzt 2006 in Porto Alegre/Brasilien.

C. Das Konzil und seine Folgen

I. Neue Impulse aus Rom

Johannes XXIII., seit 1958 Papst, hatte die Folgen des Isolationskurses seiner Vorgänger erkannt und für den neuen Weg 1959 erstmals sein berühmtes Schlagwort Aggiornamento, „ins heute bringen“, benutzt. Der eigentlich als Übergangspapst vorgesehene Angelo Roncalli, bereits im hohen Alter, überraschte die Welt, als er für 1962 ein Konzil einberief, zu dem auch Vertreter von 18 nichtkatholischen Kirchen eingeladen waren. Der Papst kündigte ein „ökumenisches Konzil“ an, der katholischen Deutung nach waren dies auch alle Konzilien zuvor, doch wusste er um die Bedeutungswandlung, der dieser Begriff in den vergangenen Jahrzehnten unterlegen gewesen war.[35] Das Konzil, dessen Anspruch es ursprünglich war, die wegen des deutsch-franzö­sischen Krieges 1870 abgebrochenen Verhandlungen des I. Vatikanums fortzusetzen, sollte den ökumenischen Prozess nachhaltig beeinflussen.

Schon während der ersten Sitzungsperiode befasste sich das Konzil mit der Frage nach der Einheit der Kirche. Johannes XXIII. hatte zur Erörterung dieser Fragen ein eigenes Sekretariat für die Einheit der Kirche einrichten lassen. Treibende Kraft dahinter war der Deutsche Augustin Kardinal Bea.[36] Dabei stand zunächst die Verständigung mit den Ostkirchen im Mittelpunkt. In diesem Zusammenhang warf sich allerdings die Frage auf, ob die Unterschiede zwischen der Orthodoxie und dem Protestantismus nicht so tief-greifend wären, dass man sie kaum gemeinsam erörtern könnte. Bezeichnend ist die hier angewandte Wortwahl: Während in den offiziellen Verlautbarungen des Vatikans die Ostkirche als „Kirche“ im eigentlichen Sinne bezeichnet wurde, ist in Verbindung mit dem Prostestantismus lediglich von „kirchlichen Gemeinschaften“ die Rede.[37] Johannes XXIII. konnte die Ergebnisse des von ihm einberufenen Konzils nicht mehr verfolgen, er starb nach Abschluss der ersten Sitzungsperiode im Juni 1963.

Sein Nachfolger, Paul VI., führte das Konzil weiter. Unter seiner Ägide wurde unter Anderem das Dekret über den Ökumenismus, bekannt auch unter seinem lateinischen Namen „Unitatis Redintegrationem“ abgefasst, welches im Gegensatz zur Enzyklika „Mortalium Animos“ die nichtkatholischen Christen nicht als „verirrte Schafe“, sondern als „getrennte Brüder“ bezeichnet. Wichtigster Inhalt dieses Dekretes ist die Anerkennung der nichtkatholisch Getauften als Brüder und Schwestern im Herrn und die Darstellung der Taufe als „sakramentales Band“ der Einheit zwischen allen Christen.[38] Weiterhin soll die Einheit im Gebet gefördert werden, jedoch nicht die gottesdienstliche Einheit. In der Frage des Abendmahls kam das Konzil zu keinem Schluss, stellte aber fest, dass dies ein zentraler Gegenstand des Dialoges mit der übrigen Christenheit sei.[39] Auch interreligiös verrückte Rom im II. Vatikanum seinen Standpunkt. Für die Entwicklung der Ökumene aus katholischer Sicht stellt das Dekret „Unitatis Redintegrationem“ einen entscheidenden Wendepunkt dar und ist bis heute die Basis jeder Öffnung und Kooperation. Deshalb ist das Jahr 1964 als Beginn der modernen Ökumene unter Einschluss Roms anzusehen.

Nun darf man aber nicht fälschlicherweise annehmen, dass mit dem Abschluss des Konzils alle Schranken überwunden gewesen wären und ein Zeitalter gegenseitiger Toleranz angebrochen wäre. Die damaligen Beschlüsse schufen lediglich die Grundlage der Öffnung von der katholischen Seite aus. Bis zu ihrer allgemeinen Anerkennung ist es auf allen Seiten noch ein weiter Weg.

II. Protestantismus und Papsttum - Kern des Dissenses?

Die reformierten Kirchen kennen keinen Papst. Auch die Ostkirche kennt zwar das Amt des ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, doch kommt diesem eher die Funktion eines „Ehrenvorsitzenden“ zu, ohne juristische Amtsgewalt, ohne den Anspruch der Unfehlbarkeit und ohne die Doppelfunktion als Staatsoberhaupt.

Zur Zeit des II. Vatikanums beschäftigte sich der evangelische Theologe Peter Brunner, dem es um eine Neuorientierung des evangelischen Glaubens ging, ausführlich mit den Trennungsgründen der protestantischen Kirchen im Hinblick auf das Papsttum. Er stellt fest, dass die Differenzen tiefgreifend sind und bereits in der Legitimation und Herleitung des Papstamtes aus der Nachfolge des Apostels Petrus liegen. Brunner erkennt zwar den Primat Petri unter den Aposteln an, schreibt aber weiterhin, dieser sei mit dem Tode Petri erloschen. Die herausgehobene Stellung des römischen Bischofs unter den Übrigen führe die grundsätzliche Eigenständigkeit der Bischöfe ad absurdum.[40] Zusätzlich widerspreche der Unfehlbarkeitsanspruch und der Jurisdiktionsprimat Roms die Lauterkeit des Evangeliums; zwar kennt das lutherische Bekenntnis auch einen Wahrheitsanspruch der Kirche, den man als analog zum Unfehlbarkeitsdogma interpretieren könne, doch setzt dieser zwingend die reine, unverfälschte Verkündung des Evangeliums voraus. Hier steht Brunner also ganz in der Tradition des lutherischen Grundsatzes sola scriptura.[41] Als zentrale Frage und Voraussetzung einer Anerkennung stellt Brunner eine Einigung in der Frage der Rechtfertigung heraus. Diese sollte nach lutherischer Lesart allein aus dem Glauben an Jesus Christus erfolgen und nicht auf Grund des Gehorsams gegenüber den Weisungen des Papstes. Den Gedanken an Rechtfertigung aus der Treue gegenüber den Satzungen Roms bezeichnet er wörtlich als „antichristlich“.[42]

Folgt man Brunners Interpretation, so kann man zu dem Schluss gelangen, das II. Vatikanum hätte nicht etwa die oftmals betonte lang ersehnte Hinwendung des Katholizismus zur Ökumene vorangetrieben, sondern zementiere den Bruch, da es ja auch von einem Papst einberufen und geleitet wurde. Jedwede Annäherung unter päpstlicher Aufsicht unterstreiche nur seinen Machtanspruch. Andere evangelische Theologen wie Paul Althaus verwerfen das Papstamt nicht grundsätzlich sondern sehen es als durchaus geeignet, die Einheit der Kirche nach außen zu repräsentieren. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass der Papst ein „treuer Zeuge des Evangeliums“ ist; dem Amt haftet also das Risiko einer Fehlbesetzung an. Die innere Einheit kann indes nur durch den Heiligen Geist hergestellt werden.[43]

[...]


[1] Vgl.: Wohlleben, Ekkehard: Die Kirchen und die Religionen, Göttingen 2004, S. 126 ff.

[2] Vgl.: Dreier, Hartmut: „Vom Nebeneinander zum Miteinander – das Zusammenleben mit muslimischen Nachbarn praktisch“, in: http://www.i-basis.de/dp/ansicht/kunden/erzbistum-gemeinden/dekanat-emschertal/me- dien/ anhaenge/ k58_m19696.pdf. Stand: 15.07.2009

[3] Vgl.: Körtner, Ulrich: Wohin steuert die Ökumene? Göttingen 2005, S. 14.

[4] Vgl.: Sartory, Thomas: Die ökumenische Bewegung und die Einheit der Kirche, Meitingen 1955, S. 32 ff.

[5] Vgl.: Körtner, Ulrich: Wohin steuert die Ökumene? a.a.O. 2005 S. 15.

[6] Vgl.: Ebd., S. 36.

[7] Vgl.: Ebd., S. 38.

[8] Vgl.: Wendebourg, Dorothea: Lexikonartikel „Ökumenische Bewegung“, in: Religion in Geschichte und Gegen- wart, Band 6, Tübingen 2003, S. 519.

[9] Vgl.: Wrege, Wolf-Reinhard: Lexikonartikel „Ökumenische Bewegung“, in: Ebd., Tübingen 2003, S. 533.

[10] Vgl.: Dalferth, Ingolf U.: Auf dem Weg der Ökumene, Leipzig 2002, S. 55.

[11] Vgl.: Ebd., S. 111.

[12] Vgl.: Koslowski, Jutta: Die Einheit der Kirche in der ökumenischen Diskussion, Berlin 2007, S. 287.

[13] Vgl.: Wolf, Hubert: Konzilsfolgen in Deutschland, in: Ökumenische Kirchengeschichte Band 3, Darmstadt 2007, S. 156 f.

[14] Vgl.: Ebd., S. 158.

[15] Vgl.: Brandt, Hermann: Nathan Söderblom, in: Möller, Christoph et al. (Hrsg.): Wegbereiter der Ökumene im 20. Jahrhundert, Göttingen 2005, S. 25.

[16] Vgl.: Walls, Andrew F.: Lexikonartikel Konferenz von Edinburgh, in: Religion in Geschichte und Gegenwart, Band 8, a.a.O. 2003, S. 1058 f.

[17] Vgl.: Ebd., S. 24 ff.

[18] Vgl.: Ebd., S. 27.

[19] Vgl.: Fischer-Wollpert, Rudolf: Lexikon der Päpste, Regensburg 1988, S. 138.

[20] Vgl.: Papst Pius XI.: Enzyklika „Moralium Animos“, Rom 1928, Kap. 4.1.

[21] Vgl.: Ebd., Kap. 3.1.2.

[22] Vgl.: Ebd., Kap. 3.2.2.2.

[23] Vgl.: Ebd., Kap. 3.1.2.

[24] Vgl.: Fries, Heinrich/Rahner, Karl: Einigung der Kirchen – reale Möglichkeit, Freiburg i.Br. 1983, S. 54.

[25] Vgl.: Duchrow, Ulrich: Konflikt um die Ökumene, München 1980, S. 152.

[26] Vgl.: Ebd., S. 153.

[27] Vgl.: Ebd., S. 154 f.

[28] Vgl.: Sartory, Thomas: Die ökumenische Bewegung und die Einheit der Kirche, a.a.O. 1955, S. 32 f.

[29] Vgl.: Visser’t Hooft, Willem Adolf: Die Allgemeine Ökumenische Entwicklung seit 1948, in: Fey, Harold E. (Hrsg.): Geschichte der ökumenischen Bewegung seit 1948, Göttingen 1974, S. 14.

[30] Vgl.: Althaus, Hans-Ludwig (Hrsg.): Ökumenische Dokumente, Göttingen 1962, S. 70.

[31] Vgl.: Ebd., S. 78.

[32] Vgl.: Sartory, Thomas: Die ökumenische Bewegung und die Einheit der Kirche, a.a.O. 1955, S. 43.

[33] Vgl.: Die Kirche in Gottes Heilsplan. Bericht der ersten Sektion der Vollversammlung des ökumenischen Rates der Kirchen, in: Althaus, Hans-Ludwig (Hrsg.): Ökumenische Dokumente, a.a.O. 1962, S. 73.

[34] Vgl.: Ebd., S. 160.

[35] Vgl.: Fischer-Wollpert, Rudolf: Lexikon der Päpste, a.a.O. 1988, S. 141.

[36] Vgl.: Ebd., S. 142.

[37] Vgl.: Reuter, Heinrich: Das II. Vatikanische Konzil, Köln 1966, S. 32.

[38] Vgl.: Dekret „Unitatis Redintegrationem“, Kap. 8, in: Reuter, Heinrich: Das II. Vatikanische Konzil, Köln 1966, S. 105.

[39] Vgl.: Ebd., S. 112.

[40] Vgl.: Hardt, Michael: Papsttum und Ökumene, Paderborn 1981, S. 61 ff.

[41] Vgl.: Brunner, Peter: Anmerkungen zum Referat von W. Kasper, in: Lehmann, Karl/Schlink, Edmund: Evangelium – Sakramente – Amt und die Einheit der Kirche, Freiburg i. Br. Und Göttingen 1982, S. 130.

[42] Vgl.: Ebd., S. 67 f.

[43] Vgl.: Ebd., S. 70.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2009
ISBN (PDF)
9783863417536
ISBN (Paperback)
9783863412531
Dateigröße
239 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Helmut-Schmidt-Universität - Universität der Bundeswehr Hamburg
Erscheinungsdatum
2013 (Juli)
Note
1,7
Schlagworte
Rechtfertigungslehre Glaubensbekenntnis Konzil Augsburger Erklärung christliche Kirche Kirche

Autor

Christoph Pazdzior (geb. 1985) legte 2004 das Abitur am Canisius-Kolleg in Berlin ab und trat anschließend als Wehrdienstleistender in Lüneburg in die Aufklärungstruppe der Bundeswehr ein. 2006 wurde er Offizieranwärter in Munster und begann im September 2007 das Studium der Berufspädagogik an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg, welches er nach der Beförderung zum Leutnant und einem Aufenthalt in Lorient/Frankreich 2010 mit dem Bachelor und schließlich 2011 mit einer Arbeit zum Thema 'Führung Benachteiligter in der Berufsbildung im 20. Jahrhundert' als Master of Arts abschloss. Er dient weiterhin als Offizier der Aufklärungstruppe.
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