Sprachwandel: Eine beispielhafte Analyse der Fußballsprache
©2012
Bachelorarbeit
44 Seiten
Zusammenfassung
Wenn Kinder mit ihren Großeltern sprechen, treffen unterschiedliche Repräsentanten von divergenten Gruppen eines Sprachsystems aufeinander. Im Extremfall offenbart sich auf der einen Seite ein veralteter Wortschatz und auf der anderen Seite ein innovativ wirkender Sprecherkreis, dessen Vokabular in mancher Hinsicht nicht mit dem Wortschatz der ersten Gruppe konvergiert. Die Grenzen dieser Gruppen sind sowohl dynamisch als auch individuell zu verstehen. Ein Jugendlicher aus der heutigen Zeit könnte zwar mit einem älteren Menschen nahezu problemlos kommunizieren, doch hätte diese Konstellation mit Sicherheit an diversen Stellen Kommunikationsstörungen zur Folge.
Einerseits kann man dafür der Individualität des jeweiligen Vokabulars die Verantwortung auflasten, doch andererseits sind besonders die Störungen, die bei der Kommunikation zwischen Personen unterschiedlicher Subgruppen eines Sprachsystems auftreten, ein Indiz dafür, dass die Sprache einem Wandel unterliegt.
Eine Art ‘Wandel’ ist dementsprechend innerhalb von wenigen Generationen anhand unterschiedlicher Merkmale und Eigenschaften nachweisbar. Um den genannten Nachweis belegen zu können, legt diese Arbeit das Hauptaugenmerk auf die Sprache des Fußballs, die in Form von Berichterstattungen in diversen Zeitungsverlagen archiviert vorzufinden ist. Der Fokus im Analyseteil liegt aufgrund des Untersuchungsmaterials ausnahmslos auf dem Wandel innerhalb der Berichterstattung, der wiederum konzeptionell mündliche Elemente aufweist.
Im ersten Schritt soll zunächst das Phänomen ‘Sprachwandel’ sowohl theoretisch als auch exemplarisch dargestellt werden. Im zweiten Teil dieser Arbeit geht es schließlich um die Fußballsprache und die damit zusammenhängende Fußballberichterstattung. Hierzu sollen grundlegende Fragen geklärt, die Fußballsprache als Fachsprache aufgezeigt und die Entwicklung der Berichterstattung thematisiert werden. Im Hauptteil geht es schließlich um das Zusammenführen der ersten beiden Teile, um in der Folge die Fußballberichterstattung in Bezug auf den Sprachwandel analysieren zu können. Für dieses Vorhaben wurden authentische Zeitungsberichte aus den Archiven verschiedener Verlage und Redaktionen herangezogen, wobei sich diese Arbeit vorwiegend auf die Ausgaben des Hamburger Abendblattes und des Weser-Kuriers während der Weltmeisterschaften von `54, `74, `90 und 2010 konzentrieren wird. Hier wurden gezielt die Jahre, in denen Deutschland Weltmeister geworden ist, ausgewählt und […]
Einerseits kann man dafür der Individualität des jeweiligen Vokabulars die Verantwortung auflasten, doch andererseits sind besonders die Störungen, die bei der Kommunikation zwischen Personen unterschiedlicher Subgruppen eines Sprachsystems auftreten, ein Indiz dafür, dass die Sprache einem Wandel unterliegt.
Eine Art ‘Wandel’ ist dementsprechend innerhalb von wenigen Generationen anhand unterschiedlicher Merkmale und Eigenschaften nachweisbar. Um den genannten Nachweis belegen zu können, legt diese Arbeit das Hauptaugenmerk auf die Sprache des Fußballs, die in Form von Berichterstattungen in diversen Zeitungsverlagen archiviert vorzufinden ist. Der Fokus im Analyseteil liegt aufgrund des Untersuchungsmaterials ausnahmslos auf dem Wandel innerhalb der Berichterstattung, der wiederum konzeptionell mündliche Elemente aufweist.
Im ersten Schritt soll zunächst das Phänomen ‘Sprachwandel’ sowohl theoretisch als auch exemplarisch dargestellt werden. Im zweiten Teil dieser Arbeit geht es schließlich um die Fußballsprache und die damit zusammenhängende Fußballberichterstattung. Hierzu sollen grundlegende Fragen geklärt, die Fußballsprache als Fachsprache aufgezeigt und die Entwicklung der Berichterstattung thematisiert werden. Im Hauptteil geht es schließlich um das Zusammenführen der ersten beiden Teile, um in der Folge die Fußballberichterstattung in Bezug auf den Sprachwandel analysieren zu können. Für dieses Vorhaben wurden authentische Zeitungsberichte aus den Archiven verschiedener Verlage und Redaktionen herangezogen, wobei sich diese Arbeit vorwiegend auf die Ausgaben des Hamburger Abendblattes und des Weser-Kuriers während der Weltmeisterschaften von `54, `74, `90 und 2010 konzentrieren wird. Hier wurden gezielt die Jahre, in denen Deutschland Weltmeister geworden ist, ausgewählt und […]
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
2
Theoretische Grundlagen des Sprachwandels
Das Phänomen ,,Sprachwandel" existiert anhand logischer Überlegungen, seitdem die
(menschliche) Sprache existiert. Hierzu meint auch Prof. Dr. Rudi Keller, dass es
Sprachwandel in jeder Sprache und zu jeder Zeit gibt.
2
Die Wahrnehmung dieses Wandels
kann hingegen erst stattgefunden haben, nachdem sich erste metasprachliche Fähigkeiten
entwickelt hatten. Sprachwandel - im heutigen Sinne - kann nicht ganzheitlich analysiert
werden, da ,,man von Anfang an die verschiedenen Ebenen der Sprache unterscheiden
muss."
3
Um Missverständnissen vorzubeugen, muss aber darauf hingewiesen werden, dass
unter Sprachwandel grundsätzlich der ,,Wandel der gesamten Sprache"
4
verstanden wird. Die
jeweiligen Ebenen sind nicht immer klar trennbar und können sich wechselseitig beeinflussen.
Nübling spricht in diesem Zusammenhang auch von ,,Kettenreaktionen", die durch
Veränderungen auf einer Ebene ausgelöst werden können.
5
Nach Keller ist Sprachwandel in
den Bereichen Phonologie, Morphologie, Syntax, Lexikologie und Semantik feststellbar.
6
Nübling, die die Sprachebenen auch als Subsysteme des Sprachsystems bezeichnet, hat diese
durch die pragmatische und graphematische Ebene ergänzt. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit
sollen mögliche Veränderungen innerhalb dieser Subsysteme exemplarisch dargestellt
werden.
Am häufigsten und elementarsten offenbaren sich Veränderungen in der Lexik, meint in
diesem Kontext Gross.
7
Angesichts des einleitenden Beispiels erscheint diese
Betrachtungsweise als schlüssig, da vor allem der Wandel von ganzen Wörtern zum
Beispiel in Form von Neologismen oder Anglizismen - mühelos wahrgenommen werden
kann. Schippan sieht das Kommunikationsbedürfnis als Antrieb für einen kontinuierlichen
Sprachwandel.
8
Dieser Aspekt wird in den nachfolgenden Abschnitten näher betrachtet und
im Hinblick auf die möglichen Ursachen des Wandels thematisiert.
2.1 Wesen des Sprachwandels und mögliche Motive
Was versteht man unter Sprachwandel? Um diese Frage zu beantworten, soll zunächst
thematisiert werden, welche Gründe es für einen Wandel in der Sprache geben könnte. Diese
Frage kann hier indes nicht in vollem Umfang geklärt werden, da der Rahmen dieser Arbeit es
2
Vgl. Keller, 2000, S.4
3
Nübling, 2006, S.1
4
Ernst, 2005, S.29
5
Vgl. Nübling, 2006, S.4
6
Vgl. Keller, 2000, S.4
7
Vgl. Gross, 1998, S. 200
8
Vgl. Schippan, 1992, S. 78
5
nicht zulässt. Ein Ansatz wäre der Gedanke, dass die Sprache sich mit der Gesellschaft im
Gleichschritt entwickelt. Neue Begriffe werden zum Beispiel in den Wortschatz
aufgenommen. Es können sich während eines Wandelprozesses aber auch sprachliche Fehler
einschleichen und etablieren. Keller liefert diesbezüglich ein Analogiebeispiel aus der
Modewelt und beschreibt auf diese Weise den Prozess eines möglichen Wandels:
,,Neuerungen kommen uns meist erst einmal barbarisch vor, und wenn sie
gang und gäbe geworden sind, belächeln wir die vorherige Version. Dies
scheint ein universelles Spiel zu sein und ein Spiel ohne Ende."
9
Dadurch dass neue Wörter entstehen und die Sprache offensichtlich einem Wandel unterliegt,
entsteht auch erst die Sprachgeschichte. Diese und die vorherigen Erkenntnisse machen
deutlich, dass man Sprachwandel unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachten muss.
Wichtig ist die Berücksichtigung des sozialen Umfeldes der Sprecher und in diesem Kontext
auch der Ort. Mit ,,Ort" darf man hier sowohl regionale Zugehörigkeiten als auch
soziokulturelle Einflüsse von Institutionen wie Schule, Arbeitsplatz oder zum Beispiel Verein
assoziieren, da Sprachteilnehmer sich in der Regel dem Vokabular der Gruppe anpassen. Im
Zusammenhang mit Sprachwandel und der daraus resultierenden Sprachgeschichte darf
schließlich der Aspekt der zeitlichen Einordnung der Sprache nicht unberücksichtigt
bleiben.
10
Letztendlich ist im Kontext von Sprache auch erwähnenswert, dass niemand
verpflichtet ist, auf eine bestimmte Art und Weise zu sprechen. Peter Ernst formuliert es
folgendermaßen: ,,Gesprochene Sprache duldet ein gewisses Maß an Variation und
Redundanz."
11
Dieser trivial erscheinende Aspekt bietet eine der Ursachen für den Wandel,
denn dadurch dass jeder Sprecher minimale Unterschiede in der Realisierung von Lauten
aufweist, kann es über einen längeren Zeitraum hinweg zu einer Regelverletzung kommen.
Zum Beispiel können sich fehlerhafte Laute im sprachlichen Umfeld etablieren, so dass diese
ursprünglichen Fehler - aufgrund der allgemeinen Verwendung als korrekt wahrgenommen
werden.
12
Lehmann sieht an dieser Stelle eine weitere mögliche Ursache, nämlich das
Verlangen nach Innovation und Kreativität bei der Sprachproduktion. Aus seiner Sicht besteht
Sprachwandel zugleich aus Zerstörung und Rekonstruktion in Form von Innovation und
Reduktion.
13
9
Keller, 1990,S.15
10
Lüdtke, 1979, S.4
11
Ernst, 2006, S.29
12
Brandner, 2003, S.5-6
13
http://www.christianlehmann.eu/ling/ling_theo/index.html?http://www.christianlehmann.eu/ling/ling_theo/sprachwandel.php
,
Stand.09.03.2012
6
Im Allgemeinen lässt sich in Bezug auf die Ursachen zwischen innersprachlichen und
außersprachlichen Einflüssen differenzieren. Diesbezüglich sollen die Faktoren nach Ernst
nur namentlich aufgeführt werden, ohne diese näher zu beleuchten, da von der Bezeichnung
der Faktoren ohne weiteres auf ihre Bedeutung geschlossen werden kann. Für die externen
Einflüsse schlägt er ,,Historische Entwicklungen, Räumliche Gegebenheiten, Politische
Entwicklungen, Kulturgüteraustausch" und ,,Gezielte Eingriffe in die Sprache" vor.
Bezüglich der innersprachlichen Faktoren wählt er ,,Sprachökonomie" (Tendenziell werden
einfachere und kürzere Wörter entwickelt), ,,Abbau von Markiertheiten" (die auf Roman
Jakobson zurückzuführen sind und besonders den Lautwandel betreffen), ,,Kumulative
Prozesse" (Sprachwandel als gemeinschaftlicher Akt) und schließlich ,,Sprachwandel als
Regelveränderung" (Vereinfachung der sprachlichen Regeln).
14
Zusammenfassend kann man sagen, dass Sprachwandel einen Untersuchungsgegenstand der
Historischen Sprachwissenschaft darstellt. Viele Faktoren führen zu einem Phänomen, das in
seiner Gesamtheit einem ständigen Wandel unterliegt. Keller hinterfragt die Theorie, nach der
sich die Sprache der gegenwärtigen Welt anpasse folgendermaßen:
,,Welche Veränderung der Welt hat uns denn bewogen, das schöne Wort Gauch
aufzugeben und dieses Tier Kuckuck zu nennen? [...] Offenbar können wir die Tätigkeit
eines Kameramannes immer noch drehen nennen, obwohl sich in seiner digitalen
Kamera keine Rollen mehr befinden, [...] Eine befriedigende Antwort auf die Frage des
Wandels hat man in der Linguistik nicht gefunden."
15
Im nächsten Abschnitt wird unter anderem die hieraus resultierende ,,Invisible-hand-Theorie"
von Keller vorgestellt, die zu den jüngsten Sprachwandeltheorien zählt. Abschließend soll die
Hinterfragung von Keller durch die Ansicht von Ernst inhaltlich untermauert werden, der
zwar ,,neben allerhand Unsinn unzählige seriöse Erklärungen für den Sprachwandel"
16
vorfindet, aber für bestimmte Phänomene eine ,,kausale Erklärung" vermisst. Als Beispiel
nennt er etwa die Erste Lautverschiebung und verweist daher auf Roger Lass, der ,,jede Art
von Sprachwandel für irrational und somit nicht erklärbar" hält.
17
2.2 Theorien des Sprachwandels
Nachfolgend wird eine kurze Auswahl an bestehenden Sprachwandeltheorien vorgestellt, auf
die im Analyseteil in der Gestalt von Erklärungsversuchen zurückgegriffen werden soll. Die
14
Ernst, 2006, S.30-36
15
Keller, 2004, S.7
16
Ernst, 2006, S.30
17
ebenda , S.36
7
Auswahl der Theorien erfolgte daher nicht willkürlich, sondern mit einem Fokus auf
Aktualität und Plausibilität im Hinblick auf den Analyseteil.
2.2.1
,,Invisible-hand-Theorie"
Mit seiner Theorie über das Wirken der unsichtbaren Hand, versucht Keller den Prozess des
Sprachwandels anschaulich zu erklären. Dabei legt er vor allem großen Wert auf die exakte
Differenzierung von natürlichen und künstlichen Entwicklungen und zeigt dabei auf, dass das
Wort ,,natürlich" in einigen Bereichen missverständlich eingesetzt wird. Grundlegend kann
man Dinge als natürlich bezeichnen, wenn die Natur für ihre Existenz und Entwicklung
maßgeblich verantwortlich ist. Im Gegensatz dazu versteht man unter künstlich
hervorgebrachten Erzeugnissen auch als Artefakte bezeichnet - jene, die von Menschenhand
geschaffen worden sind. Keller stellt in diesem Kontext die Bezeichnung von ,,natürlichen
Sprachen" auf den Prüfstand. Die Bedeutung des Wortes ,,natürlich" in der Bezeichnung
,,natürliche Blumen" sei beispielsweise eine andere als in der Bezeichnung ,,natürliche
Zahlungsmittel". Aus diesem Grund schlägt er vor, zwischen ,,geplanten" und ,,organisch
gewachsenen" Phänomenen zu differenzieren. Folglich kann man bestimmte Dinge zunächst
den Kategorien ,,natürlich" oder ,,künstlich" zuordnen und muss schließlich innerhalb der
Kategorie ,,künstlich" nochmals zwischen ,,künstlich" und ,,natürlich" unterscheiden.
Exemplarisch für rein natürliche Dinge sind dementsprechend Berge, Meere oder die
Bienensprache. Die in erster Instanz als ,,künstlich" bzw. ,,nicht-natürlich" bezeichneten
Dinge, die nochmals einer Unterscheidung bedürfen, sind zum Beispiel ,,Deutsch,
Morsealphabet, Esperanto". Um nun diese ,,künstlichen" Dinge nochmals zu differenzieren,
muss ihr Wesen betrachtet werden. Deutsch wurde etwa auf ,,nicht-natürliche" Weise von
Menschen geschaffen, die Entwicklung der Sprache allerdings verläuft ,,ungeplant" oder auch
,,organisch" und ist somit ,,natürlich". Also ist Deutsch als ,,künstlich-natürlich" einzuordnen.
Das Morsealphabet oder auch Esperanto sind ebenfalls in erster Linie ,,künstlich", jedoch im
Gegensatz zu der organischen Sprache Deutsch auch in der zweiten Unterscheidung - als
,,künstlich" anzusehen. Das Morsealphabet verändert sich nicht ungeplant und Esperanto wird
sogar explizit als Plansprache bezeichnet. Insofern kann man das Morsealphabet und
Esperanto als ,,künstlich-künstlich" bezeichnen.
18
Diejenigen Dinge, die wir zunächst der Kategorie ,,künstlich" zuordnen und in der zweiten
Unterscheidung das Merkmal ,,natürlich" tragen, bezeichnet Keller auch als Phänomene der
dritten Art. Sie haben also einerseits Eigenschaften von Artefakten und andererseits von
18
Keller, 1990,S.84
8
Naturphänomenen. Weiterhin beschreibt Keller diese Phänomene als ,,kollektive
Phänomene"
19
, da ihre Existenz in der Regel nur durch das Kollektiv begründet ist.
Besonders greifbar erscheint an dieser Stelle das Beispiel der Trampelpfade, welches Keller
für seine Theorie entwickelt hat. Hierfür stelle man sich einen von Architekten entworfenen
Wegeplan vor (z.B. auf einem Campus) und beobachte die Entstehung von möglichen
Trampelpfaden. Keller behauptet sogar, dass das Netz von Trampelpfaden wesentlich
intelligenter sei als der Wegeplan der Architekten. Die Intelligenz dieses Netzes von
Trampelpfaden basiere hingegen nicht auf der Intelligenz der ,,Trampler", sondern auf deren
Faulheit und stelle kein Naturphänomen dar. Es ist offensichtlich, dass diese Trampelpfade
von Menschen erschaffen worden sind, weshalb sie als ,,künstlich" eingestuft werden müssen.
Allerdings unterscheidet sich ihre Entstehung zum Beispiel grundlegend von dem künstlichen
Produkt ,,Esperanto", welches bewusst entstanden ist. Trampelpfade entstehen in der Regel
ungeplant und sind daher ein Phänomen der dritten Art. Aus Kellers Sicht eignet sich dieses
Modell hervorragend als Analogiebeispiel für den Wandel von natürlichen Sprachen
(künstlich-natürlich). Er bezeichnet diese Pfade als ,,nicht-intendierte Nebeneffekte
menschlicher Handlungen". Das Phänomen des Sprachwandels geschieht im Allgemeinen
ebenso unwissentlich, denn die Veränderungen finden wie von unsichtbarer Hand geleitet
statt.
20
2.2.2
Piotrovskij-Gesetz
Eines der bekanntesten Modelle des Sprachwandels liefert das Sprachwandelgesetz des
russischen Linguisten Rajmund Piotrovskij, der mit Piotrovskaja zusammen den Verlauf der
Wandlungsprozesse untersuchte und daraus eine Theorie ableitete, die eine mögliche
Entwicklung vorhersagen kann.
21
Diese Theorie basiert zum Teil auf dem
Sprachwandelgesetz von Helmut Lüdtke, welches er 1980 konzipierte und greift dabei die
Ergänzungen von G. Altmann (1983-1985) auf.
Vereinfacht formuliert kann man sagen, dass der Prozess des Sprachwandels sehr dezent
ansteigt und sich dann zunehmend schneller ausbreitet, bis von einem Wendepunkt
ausgehend in gedrosseltem Tempo der maximale Wert erreicht wird und dieser schließlich
wieder abnimmt, bzw. abnehmen kann.
22
Dieses Modell hat augenscheinlich einen
mathematischen Charakter, daher bezeichnet es diesen Verlauf auch als ,,S-Kurve", wie es in
19
Keller, 1990, S.86
20
Keller, 2004, S.8
21
Best, 2007, S.46
22
ebenda, S.46
9
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10
2.3.1
Phonologie
Phonologie und Phonetik sind artverwandte Wissenschaften, die sich dennoch in vielen
Bereichen unterscheiden.
25
Im Gegensatz zu der Phonetik, die die ,,materiellen Eigenschaften
mündlicher Äußerungen"
26
untersucht, beschäftigt sich die Phonologie mit dem sprachlichen
Gebrauch von Lauten.
27
Exemplarisch für Sprachwandel auf dieser Ebene ist laut Nübling die
Veränderung von Vokalen und Konsonanten, wie zum Beispiel bei dem Wort ,,Maus". So
zeigt sie die Entwicklung vom Mittelhochdeutschen über das Frühneuhochdeutsche, bis zum
heutigen ,,Maus" wie folgt: ,,mhd. /u:/ > fnhd.. /au/ mûs > Maus"
28
2.3.2
Morphologie
Morphologie kann als Wissenschaft vom Bau der Wörter angesehen werden. Elementar sind
dabei sowohl Wortbildungsprozesse als auch formale Wortausprägungen.
29
Repräsentativ für
einen sprachlichen Wandel innerhalb dieses Subsystems ist nach Nübling der Übergang von
starken zu schwachen Verben, wie ihr folgendes Beispiel zeigt: ,,bellen ball - bullen
gebollen > bellen bellte gebellt"
30
2.3.3
Syntax
Syntax meint in der Sprachwissenschaft die Anordnung von Wörtern innerhalb von Sätzen.
31
Diesbezüglich lässt sich Wandel an Wortstellungsänderungen festmachen, wie z.B. durch den
Einsatz von Bindestrichkonstruktionen. Anstatt ,,Der Manager von Werder Bremen" wird z.B.
nur ,,Werder-Manager" geschrieben. Auch ohne Bindestrichkonstruktion ist ein Wandel
wahrnehmbar, so etwa bei ,,des Teufels Sohn > der Sohn des Teufels".
32
2.3.4
Lexikologie
Lexikologie bezeichnet die Lehre von Wort und Wortschatz und untersucht die Bedeutungen,
Funktionen und Anordnungen lexikalischer Elemente in Bezug auf das lexikalische System.
Das Lexem ist in diesem Fall der wesentliche Untersuchungsgegenstand.
33
Stellvertretend für
einen Wandel auf dieser Ebene sind laut Nübling z.B. Entlehnungen wie ,,Cousin, Kusine"
34
25
Vgl. Hall, 2000, S.1
26
Meibauer, 2007, S.72
27
Vgl. http://www.fb10.uni-bremen.de/khwagner/phonetik/ , Stand:15.03.2012
28
Nübling, 2006, S.4
29
Vgl. Linke/Nussbaumer/Portmann, 2004, S.53
30
Nübling, 2006, S.4
31
Vgl. Linke/Nussbaumer/Portmann, 2004, S.84
32
Nübling, 2006, S.4
33
Vgl. Elsen, 2011, S.15
34
Nübling, 2006, S.4
11
2.3.5
Semantik
Semantik untersucht die Bedeutungen von sprachlichen Zeichen innerhalb von Sätzen,
Wörtern oder Elementen und bietet als kleinsten Untersuchungsgegenstand das Morphem auf.
Semantik darf daher als Bedeutungslehre verstanden werden.
35
Einen aktuellen Wandel auf
dieser Ebene erkennt Nübling bei dem Wort ,,billig", welches ursprünglich mit ,,angemessen"
assoziiert wurde und seine Entwicklung über ,,preiswert" zu ,,wertlos" vollzieht.
36
2.3.6
Pragmatik
Pragmatik überschneidet sich in diversen Definitionen zum Teil mit der Semantik, was eine
Abgrenzung an dieser Stelle unausweichlich macht. Stephen C. Levinson schlägt vor
Semantik als ,,Erforschung der Bedeutung" und Pragmatik als ,,Erforschung des
Sprachgebrauchs" zu bezeichnen.
37
Das von Nübling erdachte Beispiel unterstreicht die
Ähnlichkeit dieser Subsysteme. So belegt sie Sprachwandel auf dieser Ebene anhand der
Höflichkeitsform für die Anrede wie folgt: ,,Ihr > Sie"
38
. Im Prinzip ist der Prozess des
Wandels in beiden Fällen ein Ersetzen des jeweiligen Wortes durch ein anderes. Bei
genauerer Betrachtung müsste Semantik aber als Wortbedeutungslehre bezeichnet werden,
während Pragmatik sich mit dem Kontext von Sprechakten beschäftigt, also der ,,Erforschung
des Sprachgebrauchs".
2.3.7
Graphematik
Graphematik beschäftigt sich im Wesentlichen mit den einzelnen Schriftzeichen, die auch als
Grapheme bezeichnet werden. Grapheme sind wiederum die kleinsten
bedeutungsunterscheidenden Elemente des Schriftsystems.
39
Als repräsentativ für einen
Wandel innerhalb dieses Subsystems nennt Nübling die Entwicklung der
Substantivgroßschreibung, die über Jahrhunderte bis zur gegenwärtigen Form gereift ist.
40
3
Fußballsprache und die Berichterstattung
In diesem Teil der Arbeit geht es um die Auseinandersetzung mit der Fußballsprache, die
darin enthaltenen fußballspezifischen Termini und schließlich um die Entwicklung der
Fußballberichterstattung in den Printmedien. Diese Thematik ist neben der des Sprachwandels
grundlegend für die Analyse, da - anhand der Konkretisierungen und Einordnungen der
35
Vgl. Linke/Nussbaumer/Portmann, 2004, S.159
36
Nübling, 2006, S.4
37
Vgl. Levinson, 2000, S.6
38
Nübling, 2006, S.4
39
Vgl. Linke/Nussbaumer/Portmann, 2004, S.55
40
Vgl. Nübling, 2006, S.4/190/191
12
sprachlichen Besonderheiten einerseits Rückbezüge hergestellt werden und andererseits
wichtige Teilaspekte für den Gesamtkontext dieser Auseinandersetzung geliefert werden
sollen. Der Fußball hat aufgrund seiner Popularität eine weitreichende und stetig wachsende
Geschichte vorzuweisen, deren Eigenschaften von elementarer Bedeutung für eine
Fokussierung auf den Wandel sind. Insofern soll zunächst die Entwicklung des Fußballs -
insbesondere der Fußballsprache - dargestellt und anschließend durch einen exemplarischen
Überblick der spezifischen Termini ergänzt werden. Ein kurzer Ausflug soll unter Punkt 3.1.3
erfolgen, in dem - anhand von Beispielen - der realisierte Transfer von der Sprache des
Fußballs in die Alltagssprache dargestellt wird. Der umgekehrte Fall existiert ebenso, doch
wird hier nicht weiter verfolgt, da durch diesen Exkurs lediglich der kollektive Wandel
aufgezeigt werden soll. Darüber hinaus sollen die Entwicklungen der Berichterstattung im
historischen Kontext thematisiert werden, um innerhalb der Analyse den Aufbau, die Form
und den Stil daran orientierend untersuchen zu können. Weitere Aspekte, die an dieser Stelle
einen Platz verdient gehabt hätten, können in dieser Arbeit nicht betrachtet werden, da sie den
Rahmen zweifelsfrei sprengen würden.
3.1 Der Fußball und seine Sprache
3.1.1
Entwicklung des Fußballs insbesondere der Fußballsprache
Obwohl in der Literatur der Ursprung des Fußballspiels den vorchristlichen Chinesen
zugesprochen wird, gilt England heute als das Mutterland des Fußballs. Dieses Faktum ist der
Tatsache geschuldet, dass am 08.12.1863 in London die Spielregeln beschlossen worden
sind.
41
Prof. Dr. Konrad Koch (1846-1911) brachte schließlich 1874 den Fußball nach
Deutschland und setzte diese neue Sportart im schulischen Kontext ein. In seinen Augen
benötigte eine Mannschaft viel Disziplin und ein gutes Kollektiv, um als Sieger vom Platz zu
gehen, wodurch der Fußball einen pädagogischen Wert erhielt. Koch schrieb einige Bücher
über den Fußball, insbesondere über das Regelwerk, das er kontinuierlich abänderte.
42
Außerdem passte er regelmäßig das Vokabular an, welches nur zu einem geringen Teil bis
heute Bestand hat. Grundlegende Änderungen am Spiel wirkten sich auch auf das Vokabular
aus, wenn beispielsweise die Anzahl der Spieler einer Mannschaft geändert wurde oder neue
Aufstellungen erfunden wurden und dadurch neue Positionen entstanden oder verschwanden.
Dieser Aspekt wird im Rahmen der Analyse näher beleuchtet.
41
Vgl. Burkhardt, 2010, S.2
42
Vgl. ebenda , S.3-4
13
Koch hatte bei der Einführung des Spiels sehr bewusst als Sprachpurist fungiert und
feinsäuberlich ein deutsches Pendant zu dem Vokabular der Engländer entworfen. Dieser
Schritt war enorm wichtig für die Akzeptanz des Fußballs seitens der deutschen Bevölkerung,
insbesondere der deutschen Regierung. Koch verwendete bei der ,,Verdeutschung" des
englischen Vokabulars unter anderem die Phänomene ,,Lehnübersetzungen (Freistoß/free-
kick), Lehnbedeutungen (Stürmer/forward), Lehnübertragungen (Linienrichter/linesman) und
Lehnwendungen (aus dem Spiele/out of play)", doch musste sich auch eingestehen, dass
einige Vorschläge sich nicht durchsetzten. Markante Beispiele dafür sind die heute noch als
alternativlos empfundenen ,,fair" und ,,foul", für die er ,,anständig" und ,,ungehörig"
empfahl.
43
Burkhardt gibt ein Beispiel für Sprachwandel auf der lexikalischen Ebene, indem
er den Bezeichnungswandel des heutigen Tores aufzeigt. Koch nannte es anfänglich ,,Mal"
und lieferte damit bis letztmals 1903 den Vorreiter von der Bezeichnung ,,Tor". Zwanzig
Jahre später existierte die Bezeichnung ,,Mal" statt ,,Tor" in keinem Text mehr, der sich auf
den Fußball bezog.
44
Zahlreiche Initiativen motivierten die deutsche Bevölkerung auch nach Koch (1911) dazu,
für das Fußballspiel ausschließlich deutsche Begriffe zu verwenden. Prägend für die
Fußballsprache war besonders die Zeit des Militarismus, in der eine riesige Anzahl von
militärischen Begriffen und Kriegsmetaphorik Einzug in das Fußballvokabular erhielt.
45
Dieser Aspekt wird im Zusammenhang mit der Untersuchung der Weltmeisterschaftsberichte
von 1954 genauer beleuchtet. Zu jener Zeit begann die Weiterentwicklung der Rundfunk- und
Fernsehübertragung, wodurch der Fußball massiv an Popularität zunahm und das Vokabular
der Berichterstatter nun - über die Zeitungsberichte hinaus in gesprochener Sprache rezipiert
werden konnte. Die Globalisierung, Kommerzialisierung und schließlich die multimediale
Welt, sorgen heute für einen Austausch aller Sprachteilnehmer, so dass das Vokabular in einer
kontinuierlichen Interaktion ergänzt, variiert, verbessert und auch hinterfragt werden kann.
Der Stellenwert des Fußballs und die gesellschaftliche Akzeptanz haben sich somit innerhalb
von einem Jahrhundert gravierend geändert. Der Wandlungsprozess der kriegerischen
Ausdrücke um 1954 bis in die heutige Zeit, so wie auch neuere Bereiche, aus denen
vornehmlich Begriffe übernommen wurden und werden, wird Bestandteil der Analyse sein.
43
Vgl. Burkhardt, 2010 , S.7
44
Vgl. ebenda, S.4-5
45
Vgl. ebenda, S.8
14
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Erstausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2012
- ISBN (PDF)
- 9783863417802
- ISBN (Paperback)
- 9783863412807
- Dateigröße
- 321 KB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Europa-Universität Flensburg (ehem. Universität Flensburg)
- Erscheinungsdatum
- 2015 (Februar)
- Note
- 1
- Schlagworte
- Fußballberichterstattung Fußball Wortschatz Sprachsystem Register Vokabular