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Das Leben der Katharer im spätmittelalterlichen Frankreich: Forschungskontroverse zu den Inquisitionsakten zu Montaillou

©2012 Bachelorarbeit 40 Seiten

Zusammenfassung

Wie lebten die Menschen im Mittelalter? Wie fühlte es sich wohl an, von der Inquisition verfolgt zu werden? All diese Fragen wurden schon häufig von Historikern gestellt und von Emmanuel Le Roy Ladurie in seinem Werk Montaillou erstmals detailreich beantwortet. Ladurie widmet sich der Alltags- und Mentalitätsgeschichte eines kleinen Dorfes in Südfrankreich und kann aufgrund der angefertigten Inquisitionsakten im Fall Montaillou die Lebenswelt der Dorfbewohner bis ins kleinste Detail lebendig werden lassen. Im Zentrum dieser Inquisitionsprotokolle steht der Priester von Montaillou, Pierre Clergue, der mit seinen beschränkten Mitteln versuchte, den Einfluss der Inquisition in seinem Dorf zurückzudrängen, und dabei selbst in den Mittelpunkt der Verfolgungen rückte. Emmanuel Le Roy Ladurie erhielt für seine Studie sowohl Lob als auch Kritik. Einer seiner schärfsten Kritiker im deutschsprachigen Raum ist der Kirchenhistoriker Matthias Benad, der eine Reihe methodischer und schlussendlich auch inhaltlicher Korrekturen vornimmt. Diese Korrekturen sind Inhalt der vorliegenden Studie und sie zeigen, was wirklich im Jahr 1324 geschah.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


2. Katharismus und domus

Um ein tieferes Verständnis der Kontroverse zwischen Benad und Le Roy Ladurie zu ermöglichen, ist es wichtig, zunächst kurz grundsätzliche Aspekte des katharischen Glaubens zu betrachten.

Die Katharer nannten sich veri christiani, lat. für die "wahren Christen" oder boni homines zu dt. die "guten Leute".[1] Letzteres wird in den Quellen am häufigsten verwendet, sowohl als Fremd- als auch als Eigenbezeichnung. Ansonsten wird der Begriff Häretiker oder häretisiert verwendet. Als häretisiert galt, wer kurz vor seinem Tod das consolamentum (die Taufe durch Handauflegen im Erwachsenenalter) erhielt und damit in die Glaubensgemeinschaft der Katharer aufgenommen war.

Es gab keine Priester, man unterschied zwischen Vollkommenen (perfecti) und Gläubigen (credentes). Theoretisch war es jedem im Dorf möglich, beizutreten. Die Vollkommenen waren die eigentlich initiierten Katharer, die durch das consolamentum die höchste Glaubens­stufe erreichten. Die credentes waren demzufolge Anwärter auf den Status des vollkommenen Katharers. Wenn sie eine Zeit lang nach den Regeln des Glaubens gelebt und sich bewährt hatten, konnten sie initiiert werden.[2]

Die perfecti lebten in der Nachfolge der Apostel und erhoben keinerlei weltliche oder materielle Ansprüche. Sie orientierten sich daher in ihrer Lebensweise an den Vorschriften des Evangeliums und stellten einen Gegensatz zur Kirche dar.[3] Das Volk brachte ihnen Sympathie entgegen, da sie die spirituellen Wünsche der Menschen, die Rückbesinnung auf urchristliche Werte, wie zum Beispiel ein Leben in Askese, zu erfüllen schienen.[4] Laut der dualistischen Theorie der Katharer stand nicht Gott als übergeordnetes, gutes Prinzip über allem, sondern Gott und Teufel standen sich gleichberechtigt gegenüber. Der Teufel erschuf die Menschen. Gott, der dies sah, hauchte ihnen eine reine Seele ein, die Zeit des Lebens eines Menschen vom Teufel in Versuchung geführt wurde. Aufgrund dessen glaubten die Katharer, dass alles Materielle vom Teufel stammte, was auch den menschlichen Körper mit einschloss. War die Seele jedoch rein, konnte sie nach dem Tod des Körpers, der ihr nur als Gefäß diente, zu Gott zurückkehren.[5] Diese Reinheit der Seele wurde durch das consolamentum erreicht, durch das der Empfangende von seinen Sünden frei gesprochen wurde. Dieses Prinzip der seelischen Reinheit ist zentraler Bestandteil der katharischen Glaubensethik.

Die katharischen Familien lebten jeweils in einer domus[6], was so viel bedeutet wie Wohn- und bäuerliche Arbeitsstätte in einem. Diese Wohn- und Arbeitsstätten innerhalb des Dorfes stellen einen zentralen Punkt in der Forschung dar, weil sie zum einen mehrere Ebenen des Lebens einnehmen und zum anderen das soziale Zentrum der Dorfbewohner waren.[7] In der domus wurde der Glaube tradiert - innerhalb der Familie, aber auch durch eingeladene perfecti.[8] Besonders die domus Clergue war Gastgeber einiger Vollkommener.[9] Hier kam der Kontakt zwischen den Gläubigen zustande, man betete zusammen, aß gemeinsam zu Abend und konnte das consolamentum empfangen.[10] Durch das Aufkommen der Inquisition waren die Katharer dazu gezwungen ihren Glauben im Verborgenen auszuüben. In der Privatheit der domus konnte man sich von der Welt abwenden und sich so der Glaubenspraxis widmen.[11] Stoodt formuliert die in Bezug auf diese Arbeit modernste Definition zum Katharismus, die exakt auf Montaillou zutrifft: "In ihrem Mittelpunkt stand eine von den territorial-hierarchischen, kirchenähnlichen Strukturen der Vergangenheit des Katharismus freie Form, die auf einer personalgemeindeähnlichen, ortsunabhängigen und frei wählbaren Seelsorge­beziehung zwischen den perfecti und den credentes beruhte und sich in einem System geheimer Stützpunkte [..] realisierte, die sich entlang der verwandtschaftlichen Beziehungen [...] in [...] der bäuerlichen domus entwickelte."[12]

Die domus gewann damit an enormer Bedeutung für den Katharismus und seine Anhänger. Durch diesen Rückzug ins Private wurde die domus neben sozialem und ökonomischem Zentrum auch religiöser Raum und nahm damit allmählich eine weitere Sphäre im alltäglichen Leben ein.[13] Eine dem Katharismus zugeneigte domus war also notwendige Bedingung, um den Glauben weiterzugeben. In der logischen Konsequenz stärkte der an diesem Ort ausgeübte gemeinsam geteilte Glaube die Familienbande der dort ansässigen Familie, darin stimmen Benad und Le Roy Ladurie überein.[14]

3. Stand der Forschung

Bevor mit der eigentlichen Quellenanalyse begonnen werden kann, ist es unumgänglich, den Stand der Forschung zu beleuchten. Gerade zum Thema Katharismus wurde weitläufig geforscht, und es gibt - vor allem im französischsprachigen Raum - eine Fülle an Veröffent­lichungen. Eine umfassende Forschungsanalyse würde daher den Rahmen dieser Arbeit sprengen, daher konzentriere ich mich besonders auf die deutschsprachigen und anglistischen Klassiker, sowie eine Auswahl an aktueller Forschungsliteratur als ergänzende Literatur zu den Werken Benads und Le Roy Laduries.

Die Katharerforschung begann im Grunde bereits im Spätmittelalter, als die katholische Kirche anfing, die Katharer als Anhänger einer Irrlehre betrachten. In der Reformation erblühte das Interesse erneut, und man versuchte die Widersacher der Kirche zu frühen Reformatoren zu stilisieren. In diesem Kontext wurden die Katharer durch die Forschung erstmals positiv konnotiert.[15] Diese positive Konnotation setzte sich innerhalb der letzten zwei Jahrzehnte fort, wobei, wie bei Le Roy Ladurie und Benad, soziologische, politische und ökonomische Aspekte immer mehr in den Fokus der Forschung rückten.

Auffarth stilisiert den Katharismus als Fluchtpunkt einer christlich-institutionellen Krise.[16] Benad hat einen ähnlichen Standpunkt. Er sieht den Glauben als "Ideologie der autonomen domus"[17], als Hafen der aufkommenden sozialen, ökonomischen und politischen Umstände in der Region. Er erweitert damit Auffarths Ansicht um weitere Lebensdimensionen und zeigt, dass die Motive für den Katharismus komplexer waren, als bisher in der Forschung ange­nommen.

Auffarth und Borst sehen die Katharer als Menschen, die sich von der Kirche abgewandt haben, wobei Borst nur die perfecti als Katharer zählt, alle anderen hier genannten Forscher trennen weniger scharf.[18] Borst sieht den Katharismus als "fremde", aus dem Osten stammende Religion[19] und sieht sie zerrissen durch Inquisition und innere Krisen.[20] Er be­zeichnet die Katharer als "suchende Menschen"[21], deren wesentliche spirituelle Bedürfnisse nicht befriedigt wurden - gläubige Christen, die mit der katholischen Kirche unzufrieden waren und sich in ihrer Verzweiflung den Katharern anschlossen.[22]

Lamberts Werk Die Geschichte der Katharer zeichnet sich vor allen Dingen dadurch aus, dass er nicht nur den südfranzösischen Katharismus, zu dem es die meisten Quellen gibt, sondern auch den italienischen Katharismus betrachtet und ideologische Unterschiede skizziert. Lambert thematisiert dabei vor allen Herkunft und dualistische Traditionen des katharischen Glaubens.[23]

Pegg konzentriert sich wie viele andere Forscher auf die Verfolgung der Häretiker in Südfrankreich und beleuchtet dabei insbesondere geopolitische Voraussetzungen für die Entstehung von Häresien.[24]

Deggau schreibt eine Einführung in das Thema, die die Grundsätze des katharischen Glaubens zeigt.[25]

Die genannten Forscher haben den Katharismus "mit der Mitte des 13. Jahrhunderts enden lassen und die nachfolgende Entwicklung bis ca. 1310 entweder gar nicht zur Kenntnis genommen oder als unwesentliches Nachspiel des 'eigentlichen' Katharismus behandelt."[26] Die Existenz der als Quelle dieser Arbeit dienenden Inquisitionsakten beweist allerdings, dass durchaus noch im 14. Jahrhundert im Languedoc Katharer lebten.[27] Stoodt vermutet, dass die Quellenedition Duvernoys seit ihrer Veröffentlichung 1966 keine Beachtung gefunden hat, und daher die genannten Wissenschaftler zu diesem falschen Schluss gekommen sind.[28] Durch die Auswertung des Quellenmaterials kommen auch Benad und Le Roy Ladurie zu neuen Erkenntnissen in Bezug auf den Katharismus insgesamt und zeigen deutlich, dass durch die Erkenntnisse im Fall Montaillou nachzuweisen ist, dass der Katharismus nicht nur weiterlebte, sondern auch wandelte. Dahingehend stimmen sie mit Stoodts These überein. Darüber hinaus kommen beide Historiker aber zu vollkommen unterschiedlichen Auffassung in Bezug auf die katharische Glaubensethik insgesamt. Während Benad im Katharismus eine dem Alltag angepassten Religion der credentes sieht[29], stilisiert Le Roy Ladurie den Katharismus als kirchenfeindliche Gruppierung einiger Bauern und Schäfer im Dorf.[30]

Die katharische Forschung mit all ihren Aspekten, das heißt der katharische Einfluss auf Soziologie, Ökonomie und politische Lebenswelt ihrer Anhänger und umgekehrt der Einfluss dieser Lebenswelten auf den Katharismus, wird durch die stetige Neuinterpretation katharischer Quellen auch in Zukunft nicht abreißen. Da besonders die von mir verwendeten Monographien auf diese drei Lebenswelten eingehen und diese als wesentliche Faktoren für eine katharische Ethik und Mentalität interpretieren, ist es sinnvoll, das Thema Katharismus weiterhin interdisziplinär zu untersuchen.

Eben dieser interdisziplinären Forschung widmen sich Vertreter der Annales, einer Gruppe von Historikern, die sich zusammenschloss, um eine neue Art der Geschichtsschreibung zu begründen. Die Gruppe ist benannt nach der wissenschaftlichen Zeitschrift, die ihr wesentliches Veröffentlichungsmedium ist, die Annales d'histoire économique et sociale. Ziel dieser Historiker, die alle aus Frankreich stammen, ist es, in ihrer Forschung interdisziplinärer vorzugehen, weswegen sie sozialwissenschaftliche Methoden in ihre Untersuchungen einfließen lassen. Seit ihrer Entstehung haben sich mehrere Historiker dieser Schule an­geschlossen, unter anderem auch Le Roy Ladurie, dessen Forschungsschwerpunkt die spätmittelalterliche Mentalitätsgeschichte ist. In dieser Tradition ist auch Montaillou zu bewerten, nämlich als mentalitätsgeschichtliche Monographie, deren Schwerpunkt die Denkweise der "einfachen Leute" ist[31] und die bereits Basis weiterer Forschungsliteratur wurde[32]. Diese neue historische Herangehensweise brachte Le Roy Ladurie Kritik und Lob ein. Seine Methodik und die diesbezügliche Kritik werden im folgenden Kapitel thematisiert.

4. Methodische Vorausbetrachtungen

Die wesentlichen Unterschiede in beiden Monographien basieren auf den unterschiedlichen methodischen Herangehensweisen, wodurch es zu deutlichen inhaltlichen Abweichungen kommt. Diese Unterschiede in der Methodik werden in diesem Kapitel erläutert. Die inhaltlichen Unterschiede werden dann in Kapitel 5 und 6 behandelt.

Doch zunächst ist es notwendig generelle Informationen über das Quellenmaterial bereitzustellen, anschließend zu erklären, wie diese Quellen entstanden sind um dann erklären zu können, wie Benad und Le Roy Ladurie mit den Quellen umgegangen sind und warum diese eben erwähnten Forschungsunterschiede entstehen konnten.

4.1 Die verwendeten Quellen

Jean Duvernoy machte das Quellenmaterial, die Inquisitionsakten, das die Basis für Le Roy Laduries und Benads Arbeiten ist, erstmals zugänglich und veröffentlichte sie 1966 in lateinischer Sprache.[33] Diese Veröffentlichung bot die Basis für Montaillou und umfasste 1500 Druckseiten Quellenedition,[34] wobei ein kompletter Band der Inquisitionsakten fehlt.[35]

Diese Inquisitionsakten resultieren aus den Protokollen, die der Bischof von Pamiers von seinen Notaren anfertigen ließ, um den Glauben der Katharer und ihre Denkweise besser verstehen zu können. Während des Verhörs wurden die Aussagen der Befragten stichpunkt­artig protokolliert, anschließend in der lateinischen Sprache niedergeschrieben und dann erst als Fließtext in der Landessprache verfasst.[36] Es ging nicht nur um die Beschaffung von Informationen. Während der Befragungen belehrte der Bischof die Häretiker, bis sie ihre Ansichten bereuten und zur Einsicht kamen.[37] Der Bischof setzte bei seinen Methoden eher auf Dialog, anstatt Folter anzuwenden[38], obwohl ihm dies als rechtliches Mittel zustand.[39] In der Tat wurde Folter in nur einem Fall angewandt.[40] Oftmals genügte die Vorladung vor das Inquisitionsgericht und das Wissen darum, dass Kerkerhaft, sogar Isolationshaft, drohte. Zusätzlich wurde Inhaftierten die Möglichkeit der Freiheit gewährt, sofern sie für die Inquisition als Spitzel arbeiteten.[41] Auch wenn keine körperliche Gewalt angewandt wurde, gab es andere Drohmittel wie Kerkerhaft mit unterschiedlicher Aufenthaltsdauer. Eine Frei­lassung bei guter Gesundheit war dabei nicht garantiert, wenn man bedenkt, dass Inhaftierten aufgrund anhaltender Mangelernährung und schlechter Haftbedingungen der Tod drohte. Nur ein Bewohner Montaillous wurde durch die Inquisition zum Tode verurteilt, was für das humane Vorgehen des Inquisitors spricht und die Glaubwürdigkeit der Quellen.[42]

Daher war Folter für den Bischof nicht zwingend notwendig, um das Ziel der Befragung zu erreichen.[43] Man kann diskutieren, ob auch die angewandten Droh-Methoden schon eine (psychische) Folter waren[44], was jedoch im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden kann. Der Bischof führte die meisten Befragungen selbst durch und entlockte durch rhetorische Taktik den Häretikern zum Teil intimste Details.[45]

Die in den Prozessakten festgehaltenen Darstellungen der Befragten reichen teilweise mehrere Jahrzehnte zurück.[46] Obwohl die Akten datiert und chronologisch sortiert wurden, können die Ereignisse aus den Erinnerungen der Befragten nicht immer lückenlos rekonstruiert werden, wodurch es zu Ungenauigkeiten kommt. Das Wissen, dass die Aussagen in den Protokollen zwar unter einem gewissen Zwang getätigt wurden, aber nicht unter Folterungen entstanden sind, macht aus diesen Akten eine historische Quelle von unschätzbarem wissen­schaftlichem Wert.

4.2 Inhaltlicher Aufbau der Arbeiten von Le Roy Ladurie und Benad

Betrachtet man Le Roy Laduries Werk auf formaler Ebene ist es neben Einleitung und Anhang in zwei Teile gegliedert. Zunächst beschreibt er in "Ökologie von Montaillou: Das Haus und der Hirte" soziale, ökonomische und politische Gegebenheiten des Dorfes. Im zweiten Teil "Archäologie von Montaillou: Von der Gebärde zum Mythos" begibt sich der Autor auf die mentalitäts- und kulturgeschichtliche Ebene und listet seine Funde in Kategorien auf. Diese sind nach diversen Aspekten des Lebens sortiert, wie Kindheit und Jugend, Liebe und Ehe, Begriffe von Zeit und Raum, Wege ins Jenseits und andere. Er erläutert politische Bedingungen, die dörfliche Sozialstruktur und den institutionellen Ablauf der Inquisition. Diese Auflistung wirkt manchmal wahllos. Wie er mit dem verwendeten Quellenmaterial verfährt, wird von ihm anfangs nicht erläutert. Man gewinnt den Eindruck, dass Le Roy Ladurie keinen Forschungsschwerpunkt hat, der seine Studie durchzieht. Ohne Leitfrage scheint es, als ob der Autor jede Information, die in den Inquisitionsakten zu finden ist, zu einer reinen Faktensammlung zusammenfasst. Dieser Eindruck wird bestärkt, wenn man beachtet, dass der Historiker die Einbettung in einen größeren Sachverhalt auslässt. Le Roy Ladurie bleibt strikt bei seiner Beschränkung auf die dörfliche Ebene Montaillous und kleinerer Nachbardörfer wie Sabarthés, Prades oder Ax-les-Thermes. Eine Verbindung zu den geschilderten Forschungsergebnissen und weiteren Forschungsgebieten, wie eventuell dem Leben im Langedoc und die Bedeutung Montaillous diesbezüglich, bleibt aus. Seine Analyse erfolgt kontextunabhängig. Daher erfolgt auch ein mangelhaftes Fazit, indem sich Le Roy Ladurie nur in aller Kürze auf seine Arbeit bezieht, und stattdessen weitere Themenbereiche anspricht, die als solches nicht in das Fazit gehören und eher einen Ausblick darstellen auf weitere Aspekte der Montaillou-Forschung.[47]

Le Roy Laduries schärfster Kritiker im deutschsprachigen Raum, Matthias Benad, entwickelte eine "Fallstudie von Religion und Alltagsleben am Anfang des Spätmittelalters", er liefert einen "Beitrag zur Geschichte Pamiers",[48] sowie eine "biografische Forschung Papst Benedikts XII"[49] und eine "Erforschung der gesellschaftlichen und sozialen Verhältnisse des Dorfes"[50]. Dabei zieht er auch "alltagsgeschichtliche und frömmigkeitsgeschichtliche" Zusammenhänge in Betracht.[51] Diese Themen sind vergleichbar mit den Schwerpunkten, die auch Le Roy Ladurie bespricht ohne sie eingangs als solche zu erkennen zu geben. Im Wesentlichen untersucht Benad noch einmal die Inquisitionsakten und kann aufgrund neuer Erkenntnisse die Monographie Le Roy Laduries neu interpretieren. Dabei konzentriert er sich wie Le Roy Ladurie auf den Hauptangeklagten in den Akten, den Priester Pierre Clergue, der in seiner besonderen Rolle als Katharer und katholischer Dorfpriester später ausführlich behandelt werden soll.[52] Diese Neuinterpretation basiert vor allem auf einer Reihe methodischer Korrekturen. Benad setzt die Ereignisse in eine chronologische Reihenfolge und kommt daher zu diesen neuen Ergebnissen.

[...]


[1] Auffarth, Ketzer, S. 44.

[2] Alexander Patschovsky: Häresie, in: LexMA 4 (2000),CD-Rom Ausgabe, Sp. 1995f (im folgenden zitiert als Patschovsky, Häresie)

[3] Gerd Schwerhoff: Die Inquisition. Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit, München 2004, S. 19.

[4] Deggau, Katharer, S. 32. vgl. auch Auffarth, Katharer, S. 57.

[5] Lambert, Katharer , S. 28

[6] Le Roy Ladurie und Benad benutzen beide die Vokabel domus sowohl für Singular als auch für den Plural. Ich behalte diese Verwendung bei.

[7] Le Roy Ladurie, Montaillou, S. 257. Bei den abendlichen Treffen handelte es sich aber nicht nur um gemeinsame Abendessen. Eine Magd berichtete:"Eines Nachts[...] sah ich auf einer Wiese hinter Arnaud Teissieres [ein perfectus ] Haus Leute, die bei Mondschein etwas Geschriebenes lasen; ich bin überzeugt, die Leute waren Ketzer." Das Zitat zeigt, dass das Zusammensein in der Gemeinschaft der Gläubigen wurde von perfecti genutzt, um credentes im Glauben zu schulen S. 259. Alazais Azéma: "Eines Abends, zu der Zeit, da ich mit den Häretikern umging, besuchte ich das Haus Raymond Belots, ohne zu wissen, daß dort gerade Ketzer zu Gast waren.Aber am Herdfeuer fand ich die Ketzer Guillaume Authiéund Pons Sicre sitzen; anwesend waren außer diesen Raymond, Bernard und Guillaume Belot, die drei Brüder, und ihre Mutter Guillemette. Guillaume Authié,der Ketzer, las ein Buch und sprach zu den AnwesendenEr erwähnte Sankt Peter, Sankt Paul und Sankt Johann die Apostel; also setzte ich michbis zum Ende der Predigt."

[8] Benad, Domus, S. 4.

[9] Benad, Domus, S. 119.

[10] Le Roy Ladurie, Montaillou, S. 70.

[11] Le Roy Ladurie, Montaillou, S. 58.

[12] Stoodt, Katharismus im Untergrund, S. 2.

[13] Benad, Domus, S. 113.

[14] Benad, Domus, S. 114 vgl. Le Roy Ladurie, Montaillou, S. 58.

[15] Benad, Domus, S. 15ff.

[16] Auffarth, Christoph: Die Ketzer. Katharer, Waldenser und andere religiöse Bewegungen, München 2005, S. 57. (Im Folgenden zitiert alsAuffarth, Ketzer.) Er konstatiert, Katholiken und Katharer stünden sich oppositionell gegenüber: "Oftmals solidarisieren sich zwei Parteien in einem solchen Konfliktfall, in dem auch andere Konflikte sich äußern: soziale, wirtschaftliche, politische, Generationskonflikte, Familienstreitigkeiten. Die religiöse Auseinander-Setzung (und Neu-Zusammen-Setzung) ist der Teilvon lokalen Konflikten, der sich mit Zeichen deutlich absetzt und die Verbindung mit anderen Gruppen außerhalb sucht, überlokal"

[17] Benad, Domus, S. 320.

[18] Benad, Domus, S. 286.

[19] Borst, Arno: Die Katharer, Stuttgart 1953, S. 58. (Im Folgenden zitiert als Borst, Katharer.)

[20] Borst, Katharer, S. 109 - 134.

[21] Benad, Domus, S. 17.

[22] Auffarth, Ketzer, S. 57.

[23] Malcolm Lambert: Geschichte der Katharer. Aufstieg und Fall der großen Ketzerbewegung, Darmstadt 2001.

[24] Pegg, Mark Gregory: A most holy war. The Albigensian crusade and the battle for Christendom, New York 2008.

[25] Hans Georg Deggau: Kleine Geschichte der Katharer, Freiburg im Breisgau 2005. (Im Folgenden zitiert als Deggau, Katharer)

[26] Stoodt, Hans Christoph: Katharismus im Untergrund. Die Reorganisation durch Petrus Auterii 1300 - 1310, Tübingen 1996, S. 15. (Im Folgenden zitiert als Stoodt, Katharismus im Untergrund)

[27] Benad, Domus, S. 228. vgl. Le Roy Ladurie, Montaillou, S. 8.

[28] Stoodt, Katharismus im Untergrund, S. 15f.

[29] Benad, Domus, S. 17 und 289 - 291. Benad spricht vom Katharismus als Religion zweier Gruppen, den perfecti und den credentes, die diesen erlösenden Status noch nicht erreicht haben. Während für die perfecti strikte Gebote gelten, wie zum Beispiel körperliche Enthaltsamkeit, Ehrlichkeit, Armut und strenge Speisegebote, sei der status der credentes ein "ethisches Bewährungsfeld" wobei das Leben der perfecti eher Vorbildcharakter hatte , als dass es für credentes verpflichtende Norm gewesen wäre. Hierin sieht er eine getrennte Ethik beider Gruppen und nennt die Religiosität der einfachen Leute "credentes -Religiösität".

[30] Le Roy Ladurie, Montaillou, S. 89 vgl. Benad, Domus, S. 26 vgl. Stoodt, Katharismus im Untergrund, S. 48. Le Roy Laduries Analyse ergibt, dass sich neben den bereits vorherrschenden antiklerikalen Ressentiments der Region, die institutionelle Abneigung der Bevölkerung gegen die Kirche in Montaillou zusätzlich auf individueller Ebene manifestiert, personifiziert durch Pierre Clergue.

[31] Burke, Peter: Die Geschichte der "Annales". Die Entstehung der neuen Geschichtsschreibung, Berlin 2004, S. 7-9. (Im Folgenden zitiert als Burke, Annales)

[32] allen voran Stoodt, Hans Christoph: Katharismus im Untergrund. Die Reorganisation durch Petrus Auterii 1300 - 1310, Tübingen 1996. oder auch Koppo, Nico S.: Alltag und Leben französischer Frauen im Spätmittelalter. Versuch einer historischen Rekonstruktion unter besonderer Berücksichtigung der Studie Montaillou von Emmanuel Le Roy Ladurie, München 2007. oder auch Weis, René: The Story of the Last Cathars' Rebellion Against the Inquisition 1290-1329, New York 2002. oder auch Arnold, John H.: Inquisition and Power. Catharism and the confessing Subject in Medieval Languedoc, Pennsylvania 2001.

[33] Benad, Domus, S. 21.

[34] Benad, Domus, S. 17.

[35] Kortüm, Hans-Henning: Menschen und Mentalitäten. Einführung in Vorstellungswelten des Mittelalters, Berlin 1996, S. 160. (Im Folgenden zitiert als Kortüm, Menschen) vgl. auch Le Roy Ladurie, Montaillou, S. 29.

[36] Auffarth, Ketzer, S. 82. Die Inquisitoren forschten gründlich nach und legten Protokolle an, um auch über Jahre hinweg Beweise sammeln zu können, was eine enorme organisatorische Leistung darstellte. Es wurden keine Einzelakten mehr angelegt, sondern nur noch gebundene Bücher. Darin wurden die Protokolle notiert mit Kapitelüberschrift, Datum, Ort, Namen des vernommenen Zeugen, Strafmaß und eventueller Entlassung. Zusätzlich wurde noch ein Personen- und Ortsregister beigefügt. Bei den Befragungen gingen die Inquisitoren penibel vor. Sie legten den Verdächtigen die bisher gemachten Aussagen zur Bestätigung vor vgl. auch Le Roy Ladurie, Montaillou, S. 30.

[37] Le Roy Ladurie, Montaillou, S. 29.

[38] Benad, Domus, S. 10.

[39] Benad, Domus, S.13.

[40] Benad, Domus, S. 12.

[41] Le Roy Ladurie, Montaillou, S. 159. Guillaume Bélibaste zu Pierre Maury: "Als wir Euch wiedersahen, fühlten wir Freude und Angst zugleich. Freude, Euch nach so langer Zeit wiederzusehen. Angst, weil ich fürchtete, Ihr möchtet da oben von der Inquisition verhaftet worden sein.Hätten sie Euch nämlich verhaftet, hätten sie Euch zu einem vollen Geständnis zu zwingen gewußt und dazu, als Spitzel zu uns zurückzukehren, um meine Verhaftung zu organisieren."

[42] Le Roy Ladurie, Montaillou, S. 28ff.

[43] Benad, Domus, S. 14. vgl. auch Le Roy Ladurie,Montaillou, S. 23: 1326 erhielt Bischof Fournier Lob vom Papst ob seiner Verdienste. Dank seiner erfolgreichen Methode der Ketzerbekämpfung wurde der Bischofein Jahr später Kardinal.

[44] Schwerhoff, Inquisition, S. 26f. vgl. auch Schwerhoff, Inquisition, S. 31.

[45] Benad, Domus, S. 2. vgl. auch Benad, Domus, S. 192f. Beatrice de Planisolles, die unter anderem Geliebte des Priesters war, erzählt freimütig über ihre Liebschaften vor Gericht.

[46] Le Roy Ladurie, Montaillou, S. 105: "War das in dem Jahr, als alle Männer von Montaillou von der Inquisition engekerkert wurden [1308] oder im Jahr vorher? Ich erinnere mich nicht genau..." vgl. S. 108:"..Vor dreiundzwanzig Jahren" vgl. S. 141: "Vor ungefähr sechzehn Jahren - ich weiß es nicht mehr genau.." vgl. S. 339: "vor dreiundzwanzig Jahren." Ungenauigkeiten derlei Art finden sich häufig in den Aussagen der Bewohner.

[47] Le RoyLadurie, Montaillou, S. 380 – 383. Le Roy Ladurie thematisiert unter anderem die Pest von 1348, „die Probleme der modernen Industriegesellschaft“ oder Marx Theorie einer früher, bäuerlicher Wirtschaftsform im Allgemeinen ohne sich dabei auf seine erarbeiteten Thesen zu beziehen.

[48] Benad, Domus, S. 3.

[49] Le RoyLadurie, Montaillou, S. 23 - 25. Auch Le Roy Ladurie nimmt Stellung zur Biographie des Bischofs. Ich unterlasse es aber an dieser Stelle hierzu Bezug zu nehmen, um dem Rahmen dieser Arbeit gerecht zu werden. Benad unterscheidet zudem sehr deutlich zwischen bischöflicher und dominikanischer Inquisition und widmet diesem Thema ein eigenes Unterkapitel. Le Roy Ladurie wird die Zuständigkeit der jeweiligen Inquisitionsgerichte anfangs zwar kurz erklärt, im Weiteren aber nicht mehr in die Thematik mit eingebunden.

[50] Benad, Domus, S. 3.

[51] Benad, Domus, S. 1.

[52] Benad, Domus, S. 4.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Erscheinungsjahr
2012
ISBN (PDF)
9783863417826
ISBN (Paperback)
9783863412821
Dateigröße
276 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Ruhr-Universität Bochum
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
2
Schlagworte
Ketzer Ketzerbekämpfung Langedoc Ladurie Spätmittelalter Inquisition
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