Herodots Bericht über die Schlacht an den Thermopylen: Zwischen Mythos und Realität
©2011
Bachelorarbeit
48 Seiten
Zusammenfassung
Es gibt wohl kaum eine antike Schlacht, auf die in ihrer Folgezeit so viel Bezug genommen wurde, wie jene an den Thermopylen. Nicht nur, dass sie - obwohl eine verheerende Niederlage - später als Wendepunkt im Kriegsgeschehen angesehen wurde, sie verschaffte den Spartiaten den Ruf der Unbesiegbarkeit und machte ihren Heerführer - Leonidas - zu einer der wohl bekanntesten Persönlichkeiten der Perserkriegszeit.
Was die Auseinandersetzung bei Thermopylai so interessant und außergewöhnlich macht, ist die lange Rezeptionsgeschichte, welche noch bis in unsere Zeit andauert. Häufig wurde die Schlacht vor dem Hintergrund politischer Interessen instrumentalisiert. Das bekannteste Beispiel stellt sicher die Rede von Hermann Göring dar, der die 6. Armee in Sibirien mit den 300 Spartiaten verglich, um so dem deutschen Volke ein leuchtendes Beispiel für Durchhaltewillen und Liebe zum Vaterland vor Augen zu führen. Getreu der Parole ‚Meine Ehre heißt Treue’ sollte auch das deutsche Volk bis zum letzten Mann in den Untergang gehen. Göring war jedoch nicht der Erste, der auf die Idee kam, die Schlacht an den Thermopylen für seine Zwecke zu nutzen. Die Rezeption der Schlacht setzte wesentlich früher – quasi unmittelbar, nachdem sie geschlagen war - ein. Schon an Herodots Historien, die als wichtigstes Werk über die Perserkriege gelten, ist dies deutlich ersichtlich. Herodot schrieb die Historien ca. 50 Jahre nach den Ereignissen der Perserkriegszeit und musste sich dazu auf Augenzeugen berufen, er berichtet also selber nur aus 2. Hand. Dies wirft gerade für die Schlacht bei Thermopylai Probleme auf. Es existierten bereits zu Herodots Zeiten verschiedene Versionen des Schlachtverlaufs. Noch undurchsichtiger sind die Handlungsmotivationen der Beteiligten, denn auch für diese gibt es mehrere Erklärungen.
Das Problem ist also die Ambivalenz in dem Bericht, der die Hauptquelle darstellt. Eine weitere Schwierigkeit ist die mangelnde Überprüfbarkeit der Historien, da es kaum Parallelquellen, geschweige denn persische Gegendarstellungen gibt. Für eine Rekonstruktion des Sachverhalts ist und bleibt also Herodot der wichtigste Bezugspunkt.
Was die Auseinandersetzung bei Thermopylai so interessant und außergewöhnlich macht, ist die lange Rezeptionsgeschichte, welche noch bis in unsere Zeit andauert. Häufig wurde die Schlacht vor dem Hintergrund politischer Interessen instrumentalisiert. Das bekannteste Beispiel stellt sicher die Rede von Hermann Göring dar, der die 6. Armee in Sibirien mit den 300 Spartiaten verglich, um so dem deutschen Volke ein leuchtendes Beispiel für Durchhaltewillen und Liebe zum Vaterland vor Augen zu führen. Getreu der Parole ‚Meine Ehre heißt Treue’ sollte auch das deutsche Volk bis zum letzten Mann in den Untergang gehen. Göring war jedoch nicht der Erste, der auf die Idee kam, die Schlacht an den Thermopylen für seine Zwecke zu nutzen. Die Rezeption der Schlacht setzte wesentlich früher – quasi unmittelbar, nachdem sie geschlagen war - ein. Schon an Herodots Historien, die als wichtigstes Werk über die Perserkriege gelten, ist dies deutlich ersichtlich. Herodot schrieb die Historien ca. 50 Jahre nach den Ereignissen der Perserkriegszeit und musste sich dazu auf Augenzeugen berufen, er berichtet also selber nur aus 2. Hand. Dies wirft gerade für die Schlacht bei Thermopylai Probleme auf. Es existierten bereits zu Herodots Zeiten verschiedene Versionen des Schlachtverlaufs. Noch undurchsichtiger sind die Handlungsmotivationen der Beteiligten, denn auch für diese gibt es mehrere Erklärungen.
Das Problem ist also die Ambivalenz in dem Bericht, der die Hauptquelle darstellt. Eine weitere Schwierigkeit ist die mangelnde Überprüfbarkeit der Historien, da es kaum Parallelquellen, geschweige denn persische Gegendarstellungen gibt. Für eine Rekonstruktion des Sachverhalts ist und bleibt also Herodot der wichtigste Bezugspunkt.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
3
Pentekontaetie, nach dem Wegfall der persischen Bedrohung, steuerten die beiden
großen Sieger des Krieges Athen und Sparta unausweichlich auf den
Peloponnesischen Krieg zu. Eine genaue Kenntnis dieser Kontextinformationen
scheint für eine möglichst breit angelegte Analyse der Vorgänge ebenfalls notwendig.
Der zweite Teil der Arbeit widmet sich ausschließlich einer genauen Betrachtung der
Ereignisse rund um die Schlacht von Thermopylai. Zunächst rückt die Beschreibung
der Abläufe und Gegebenheiten, wie sie in den Historien beschrieben werden, in den
Mittelpunkt. Darauf aufbauend, werden Unklarheiten beleuchtet, die sich aus
Herodots Bericht ergeben. Im darauf folgenden Schritt erfolgt eine Darstellung, die die
wesentlichen Forschungsinterpretationen darstellt und kommentiert. Dabei sollen jene
Punkte
ermittelt
und
beleuchtet
werden,
an
denen
sich
Rekonstruktionsschwierigkeiten ergeben.
Abschließend soll ein Ergebnis präsentiert werden, welches entweder eine
konsensfähige Rekonstruktion der Thermopylenschlacht liefert oder welches darlegt,
an welchen Punkten eine solche Rekonstruktion scheitern muss.
4
2.) Quellen- und Forschungslage
2.1) Die antiken Quellen
Die Rekonstruktion des Schlachtherganges ist in erster Linie abhängig vom
vorhandenen antiken Quellenmaterial. Die wichtigste, weil in weiten Teilen die einzig
noch vorhandene Quelle, ist in den Historien Herodots zu sehen.
2
Leider fehlt von
persischer Seite aus jegliche Überlieferung zum Schlachthergang und auch die
archäologischen und epigraphischen Zeugnisse aus dem antiken Griechenland bieten
nur vereinzelt die Möglichkeit einer Verifizierung.
3
Daneben sind an
historiographischen Quellen Diodor, Plutarch, Pompeius Trogus und Orosius zu
nennen.
4
Albertz führt darüber hinaus auch noch die Reden der attischen bzw. der
römischen Kaiserzeit an, diese Quellen sind allerdings eher für die Rezeption der
Schlacht bedeutend und treten daher hier in den Hintergrund.
5
Dies trifft auch auf die
außer-herodoteische Überlieferung zu.
6
Der maßgebliche Bezugspunkt ist also der
Bericht Herodots. Es ist dabei besonders darauf zu achten, dass Herodot selber nur die
Geschichten aufschreibt, wie er sie selber vorgefunden hat. Abgesehen von den
geographischen Beschreibungen ist sein Bericht also eher als Sekundär- denn als
Primärquelle anzusehen.
2.2) Forschungslage
Wie einführend erwähnt, ist es schwierig sich einen Überblick über die enorme Menge
an Forschungsliteratur zu verschaffen. Doch stellen sich im Verlaufe der Bearbeitung
einige Werke als maßgeblich heraus. An erster Stelle ist hier wohl zweifelsohne die
Monographie "Exemplarisches Heldentum" von Anuschka Albertz zu nennen, die
wohl den Anspruch erheben darf, als Standardwerk für die Schlacht bei Thermopylai
zu gelten. Auch wenn der Schwerpunkt der Arbeit auf der Rezeptionsgeschichte der
Schlacht liegt, so liefert Albertz doch auch für die eigentliche Schlacht einen
hervorragenden ersten Überblick über die verschiedenen Ansätze der Forschung.
Robert Rollinger und Reinhold Bichler stellen mit den beiden Monographien
2
Schmal: Feindbilder, S. 89. Vgl. Albertz; Heldentum, S.9, 25, 29.
3
Albertz; Heldentum, S. 29; Lazenby, Defence, S. 5 7.
4
Albertz; Heldentum, S. 25.
5
Albertz; Heldentum, S. 25.
6
Vgl. Kierdorf, Perserkriege, S. 48 82.
5
"Herodot" und "Herodots Welt" die wichtigsten Beiträge zur Herodot-Forschung. Sie
geben in sehr anschaulicher Weise geradezu eine Art Gebrauchsanleitung für den
Umgang mit dem Vater der Geschichte.
Für die Rekonstruktion der Ereignisse sind mehrere Autoren gewinnbringend, allen
voran ist hier Karl Julius Beloch zu nennen, dessen Griechische Geschichte in 6
Bänden, die Anfang des letzten Jahrhunderts entstand, sicher auch heute noch
Seinesgleichen sucht. Vor allem sein umsichtiger Umgang mit Herodot und sein
nüchternes, jederzeit rationales Urteil, macht es sehr schwierig, seine Erkenntnisse in
Zweifel zu ziehen. Ebenso gewinnbringend war die Arbeit mit den Werken von Burn,
Hignett und Lazenby.
Einen sehr detaillierten und tiefgehenden Einblick in das antike Sparta und die
spartanische Seele liefert Karl-Wilhelm Welwei mit seiner Monographie "Sparta -
Aufstieg und Untergang einer antiken Großmacht", seine Erläuterungen erlauben erst
ein angemessenes Urteil über die Handlungsmotivationen der Spartaner.
Darüber hinaus wären noch viele andere zu nennen, die hier im Verlaufe der Arbeit
auftauchen, jedoch sind die maßgeblichen Arbeiten hiermit genannt.
3.) Herodot- Kronzeuge der Perserkriege
3.1) Herodot - zur Person
,,Vater der Geschichte und Vater der Anthropologie"
7
so wird Herodot oft genannt.
Über ihn selbst wissen wir allerdings nur sehr wenig. Nähert man sich der Person an,
so stößt man bereits bei den biographischen Daten auf Hindernisse, denn abgesehen
von einem Eintrag in einem byzantinischen Lexikon - der sog. Suda - findet sich kaum
ein weiterer Hinweis auf Herodot als Person.
8
Der Suda zufolge wurde er in Halikarnassos, einer damaligen griechischen
Handelskolonie am Dorischen Golf geboren.
9
Der genaue Zeitpunkt seiner Geburt
kann jedoch nur grob auf zwischen die Jahre 490 und 480 v. Chr. datiert werden.
10
Bei
den Forschungsergebnissen zu den biographischen Daten Herodots muss dabei stets
berücksichtigt werden, dass sie eine positive Einschätzung der herodoteischen
7
Redfield, Herodotus the Tourist, S. 24.
8
Bichler/ Rollinger: Herodot, S. 111.
9
Herodot, Historien, S. 1273. Entspricht der heutigen Südwestküste der Türkei.
10
Herodot, Historien, S. 1290.
6
Quellenangaben zu Grunde legen und daher nicht einwandfrei als bestätigt angesehen
werden können.
11
Für die Einschätzung seines Geschichtswerkes tritt der genaue
Zeitpunkt seiner Geburt in den Hintergrund, wichtig ist, dass Herodot wohl zur Zeit
der Perserkriege geboren wurde und sein Werk zu Beginn oder kurz vor Beginn des
Peloponnesischen Krieges verfasst hat.
12
Ob und wie viel Herodot als Kind von den
Perserkriegen miterlebte, ist nicht zu entscheiden, jedoch ist davon auszugehen, dass
die Folgen der Perserkriege, namentlich die wachsenden Spannungen zwischen Athen
und Sparta, sein Leben und somit auch die Historien wesentlich beeinflussten.
Wichtiger als der Zeitpunkt seiner Geburt erscheint Herodots Herkunft. Es ist
anzunehmen, dass Herodots Herkunftsland Karien unter persischer Herrschaft
stand. Daher war er sowohl mit der griechischen, als auch mit der persischen Kultur
von Kindesbeinen an vertraut.
13
Scheinbar war der Auslöser für Herodots weite Reisen ein politischer Streit seiner
Familie mit dem persischen Tyrannen der Stadt Lygdamis in dessen Folge er
zunächst ins Exil nach Samos ging und später nach Athen kam, wo er scheinbar einen
neuen Lebensmittelpunkt fand und wo enge Freundschaften zu berühmten
Persönlichkeiten wie Sophokles und Perikles geschlossen wurden.
14
Die enge
Bindung an Athen und die dem gegenüberstehende negative Erfahrung mit dem
persischen Tyrannen lassen hier den Gedanken zu, Herodots Objektivität zu
bezweifeln, jedoch finden sich in den Historien keine handfesten Indizien für eine
absichtsvolle Negativdarstellung der Perser. Tatsächlich scheint es so, dass Herodot
sich eine weitgehend objektive, unabhängige Position erhalten hat.
15
Der Mangel an stichhaltigem Quellenmaterial hat dazu geführt, dass in der Forschung
kontrovers über die Glaubwürdigkeit Herodots diskutiert wird. Dabei gehen die
Meinungen über ihn und sein Geschichtswerk weit auseinander.
16
So wenig Genaues
wir auch über Herodot wissen, es ist unbestreitbar, dass er der wichtigste
Gewährsmann für die Perserkriege ist und seit jeher ist die Untersuchung der
Auseinandersetzungen zwischen Griechen und Persern eng an die Interpretation der
Historien gebunden.
11
Bichler/ Rollinger: Herodot, S. 113.
12
Schmal: Feindbilder, S. 89.
13
Bichler/ Rollinger: Herodot, S. 112; Herodot: Historien, S. 1290.
14
Bichler/ Rollinger: Herodot, S. 112 ff. Vgl. Albertz: Heldentum, S. 30.
15
Albertz; Heldentum, S. 30. Ausführlicher unter Punkt 3.3.2
16
Bichler/ Rollinger: Herodot, S. 113.
7
Herodots Intentionen, sein politischer Standpunkt, seine ethnographischen
Vorstellungen und seine Geschichtsphilosophie stehen oftmals im Mittelpunkt der
Interpretationen und sind teilweise heftig von der Forschung umstritten.
17
Dies ergibt
sich offensichtlich aus der einfachen Tatsache, dass man die Einstellungen Herodots -
in Ermangelung anderer Quellen - fast ausschließlich aus den Historien ableiten muss.
Wer also versucht die Historien anhand Herodots Weltsicht zu beurteilen, ist
zwangsläufig auf unsichere Rückschlüsse angewiesen.
Die Historien sind weit mehr als nur die Beschreibung des reinen Herganges der
Ereignisse. Herodot verleiht seiner Erzählung auch Sinn, er nimmt Deutungen und
Wertungen vor und versucht Erklärungen für die Entscheidungen der Protagonisten zu
geben. Der Schilderung Herodots ist es zu verdanken, dass die Thermopylen bis heute
die Assoziation von Opferbereitschaft fürs Vaterland wecken und dass, wenn man an
einen Spartiaten denkt, man ihn als gesetzestreu, ehrenhaft und diszipliniert
charakterisiert.
18
Sicherlich kann man Herodot nicht vorwerfen, dass er keinen
authentischen Bericht nach heutigen Maßstäben verfasste, jedoch führten seine
Bewertungen dazu, dass der eigentliche Verlauf der Schlacht und der Mythos von den
Thermopylenkämpfern häufig nur schwer voneinander zu trennen sind.
19
3.2) Herodots Weltsicht
Die Frage nach Herodots Weltsicht ist wichtig, um sich dem Thema zu nähern.
Fraglich ist ob seinen Erklärungsansätzen eine Diskrepanz zwischen Ablauf und
Schilderung der Ereignisse inhärent ist. Es stellt sich also die Frage, ob es Herodot
wichtiger war eine schlüssige oder eine authentische Geschichte zu erzählen.
3.2.1) Die göttliche Ordnung in Herodots Historien
Wie bereits vorangehend erwähnt, kann Herodots Weltsicht nur anhand der Historien
rekonstruiert werden. Betrachtet man die geschilderten Begebenheiten und
Einzelschicksale, wie sie in den Historien dargestellt werden, so muss man
zwangsläufig bemerken, dass es eine bestimmte höhere Ordnung - eine göttliche
Ordnung - bzw. ein fester Glaube an das Schicksal in Herodots Gedankenwelt gab.
Dieses Ordnungssystem ist maßgeblich durch die Unterordnung der Menschen unter
17
Bichler/ Rollinger: Herodot, S. 13 f.
18
Albertz; Heldentum, S.9
19
Vgl. Albertz; Heldentum, S. 19.
8
die Götter charakterisiert.
20
Herodots Weltbild ist also maßgeblich von Religion
geprägt, was auch die Erklärungsansätze für das Scheitern derjenigen erklärt, welche
versuchen sich über die göttliche Allmacht zu erheben.
Das Scheitern des Dareios beim Versuch die Skythen zu unterwerfen und Kambyses
Niederlage gegen die Ägypter geben Exempel für die göttliche Vergeltung der Hybris.
Besonders augenfällig ist diese Hybris im Falle Xerxes. Mit der Überschreitung des
Hellesponts durch den Bau von zwei gewaltigen Ponton-Brücken überschreitet er
nicht nur die Grenze von Asien nach Europa; die Geißelung des Hellesponts und die
Beleidigung der Götter illustrieren auch in besonderer Weise die Übertretung der
Grenze zwischen Mensch und Gott. Xerxes gottgleiches Verhalten verlangt quasi nach
göttlicher Regulierung, da das göttliche Ordnungssystem dadurch in seinen
Grundmauern erschüttert wird.
21
Dieser religiös verklärte Blick Herodots ist der eigentliche Grund dafür, dass den
Historien mangelnde Wissenschaftlichkeit vorgeworfen wird. Meyer wirft Herodot
vor, dass er ,,[...] die wirkenden Kräfte [nicht] aufzusuchen und herauszuarbeiten
vermag, [...]."
22
Das Bedürfnis Herodots das menschliche Dasein so konsequent in göttliche
Abhängigkeit zu stellen, mag auf uns sicherlich befremdlich wirken und macht uns aus
wissenschaftlicher Sicht vorsichtig und skeptisch. Doch gilt es zu bedenken, dass der
Blick auf die Details seiner Umgebung und auf die realen Begebenheiten (wie die
Topographie/ Geographie) durch die religiöse Weltsicht sicherlich nicht beeinträchtigt
war. Es gilt also jede Einzelinformation, die wir aus den Historien entnehmen wollen,
einer genauen Analyse zu unterziehen und sie in den Gesamtkontext einzuordnen.
3.2.2) Griechen und Barbaren - Herodots Menschenbild
Die Frage nach Herodots Menschenbild ist wichtig, um von ihm geschilderte
Handlungsabläufe und Motive der Akteure bewerten und einordnen zu können. Es ist
jeweils zu unterscheiden, ob Handlungsketten schlüssig und stichhaltig sind oder ob
sie nur das Menschenbild des Autors bedienen.
Bevor Herodot mit der Schilderung der eigentlichen Auseinandersetzungen beginnt,
gibt er einen ausführlichen Überblick über die Länder und Sitten der beteiligten
20
Herodot VII, 10: "Denn der Gott duldet nicht, dass einer sich groß dünkt, außer ihm selber."
21
Schmal: Feindbilder, S. 91; trotzdem gibt Herodot ein ambivalentes Bild des Großkönigs und
konnotiert ihn nicht durchweg negativ: Albertz: Heldentum, S. 31.
22
Meyer: Geschichtsauffassung, S. 10. So auch Bichler/ Rollinger: Herodot, S. 156.
9
Völker. Bis dahin sicherlich einzigartig ist der Versuch, die Eigenschaften,
Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Völkern zu ergründen und zu
erklären.
Ein Ansatz ist der Versuch den Charakter der Völker mit den klimatischen
Verhältnissen ihrer Heimat in Verbindung zu setzen. Herodots Auffassung nach
bringe reiches und besonders fruchtbares Land weiche und schwache Menschen
hervor, während karges, hartes und unfruchtbares Land auch besonders harte
Menschen hervorbringe.
23
Unter diesen Kriterien erscheinen die Griechen also als
besonders widerstandsfähige und harte Menschen und die Asiaten als verweichlicht
und wenig wehrhaft. Stefan Schmal weist allerdings zu Recht darauf hin, dass dieser
Erklärungsansatz bereits in den Historien nicht konsequent durchgehalten werden
kann.
24
Ein weiterer Ansatz, der allerdings nicht losgelöst vom geographischen
Erklärungsversuch zu betrachten ist, ist der Versuch die Eigenarten der Völker mit
deren Herrschaftssystem zu erklären. Dabei seien die Völker, welche unter
Alleinherrschaft stehen nicht nur körperlich, sondern auch seelisch versklavt. Die
Völker welche so regiert werden, entwickeln also eine natürliche Unterwürfigkeit,
werden krank, schwach und mutlos. Dagegen steht das Bild der in Freiheit Lebenden,
welche durch die Freiheit mutig, stark und tatkräftig werden.
25
Allerdings kann
Herodot auch diese Konstruktion der Herrschaftsformen nicht konsequent
durchhalten. So sind es zum Beispiel die Skythen, die durch ihr straffes Königtum und
Kriegswesen gegen Dareios bestehen können.
26
Inkonsequenterweise sind es auf der
griechischen Seite die Spartiaten, welche durch Königsherrschaft regiert werden und
durch Herodot gleichzeitig als die tapfersten unter den Hellenen charakterisiert
werden.
27
Barbaren und Griechen werden also in ein Gegensatzpaar aufgeteilt. Die Griechen
werden mit den Attributen der Freiheit, bedingt durch ihr politisches System und der
Stärke, hervorgerufen durch die Beschaffenheit ihrer Heimat, versehen. Dagegen
23
Her: IX, 122.
24
,,Einmal betont er gerade die Ausgeglichenheit des ionischen Klimas [...], woanders die gute
Mischung der Jahreszeiten in Griechenland; [...] woanders lobt Herodot die Ägypter als ,, die nach
den Libyern gesündesten Menschen" und zwar weil dort die Jahreszeiten nicht wechseln.
Veränderungen bringen den Menschen die meisten Krankheiten, besonders der Wechsel der
Jahreszeiten.": Schmal: Feindbilder, S. 114.
25
Schmal: Feindbilder, S. 113. So auch Walser: Geschichtsauffassung, S. 2
26
Bichler/ Rollinger: Herodot, S. 22.
27
Her: VII, 209.
10
stehen die unterdrückten und verweichlichten Barbaren, welche weder Reichtum noch
Freiheit zu schätzen wissen. Mit der Konstruktion dieses antagonistischen
Widerspruchs liefert Herodot den Grund dafür, dass sich die Griechen nicht von den
Barbaren unterdrücken lassen dürfen.
28
Diese scheinbar kategorische Einstufung von Griechen und Persern in einen jeweils
positiv bzw. negativ konnotierten Begriffskontext muss differenziert betrachtet
werden. Herodot erklärt schließlich auch das wechselhafte Verhalten der ionischen
Griechen, welche öfter die Seiten wechselten, als feige und unehrenhaft und erklärt
dies mit ihrer verweichlichten Lebensweise, welche eine sklavische Mentalität bei den
Ionern bedinge.
29
Keineswegs verliert sich Herodot also in Verächtlichkeit
gegenüber der "asiatischen" Kultur.
30
Vielmehr scheint es so, als wolle Herodot das
politische System der Tyrannis anprangern.
31
Seine genauen Darstellungsabsichten werden heute kaum noch zu rekonstruieren sein,
da - wie bereits erwähnt - die Historien unser einziger Anhaltspunkt für eine solche
Rekonstruktion sind. Es scheint jedoch zweifelsfrei nicht Herodots Anliegen gewesen
zu sein, eine ethnologische Hetzschrift gegen die Perser verfassen zu wollen. Vielmehr
scheint er eine Warnung an seine Zeitgenossen beabsichtig zu haben, sich nicht in
ähnliche Machtstrukturen von Unterdrückung und Knechtschaft zu begeben, wie die
Perser unter Xerxes. Herodot schildert recht deutlich, wie sich die Verbündeten aus
imperialem Machtbestreben heraus, voneinander entfernen. Diesen innergriechischen
Konflikt, als Folge der Perserkriege bewertet er als noch schlimmer, als die
Perserkriege an sich.
32
Auch wenn Herodot wegen seines vergleichsweise wohlwollenden Blickes auf die
Barbaren von Plutarch als Perserfreund
33
bezeichnet wurde, so ist es doch
unverkennbar, dass Herodot die Griechen deutlich von den Barbaren hervorhebt.
Griechentum steht in den Historien für Recht, Gesetz und Freiheit, dagegen stehen die
28
Bichler/Rollinger: Herodot,S.71.
29
Her : Historien IV, 142. Vgl. Schubert: Athen und Sparta, S. 27. Vgl. Bichler/ Rollinger: Herodot, S.
71. Siehe dazu auch: Her: V, 34 - 35 und VI, 11- 12, wo nochmals die Disziplinlosigkeit der Ionier
illustriert wird.
30
Vgl. Schmal: Feindbilder, S. 115.
31
Her: V, 78. Vgl. Schubert: Athen und Sparta, S. 31
32
Her: VI, 98. Siehe dazu auch Her: VIII, 3: " Denn ein Kampf innerhalb eines Volkes ist um so viel
schlimmer als ein einmütig geführter Krieg, wie Krieg schlimmer ist als Frieden." Vgl. Bichler/
Rollinger: Herodot, S. 84 f.
33
Albertz; Heldentum, S. 30. Vgl. Bichler/ Rollinger: Herodot, S. 60 ff.
11
Perser stellvertretend für Despotie, Sklaverei und Willkür.
34
Indem Herodot die
Gegner fest mit den jeweiligen Attributen verband, legte er den Grundstein für die
späteren stereotypen Rezeptionen der Perserkriege.
35
Damit die Historien für eine möglichst objektive Betrachtung der Geschehnisse
herangezogen werden können, ist es wichtig, neben dem Welt- und Menschenbild
Herodots, den politischen und gesellschaftlichen Kontext zu beleuchten in dem die
Historien entstanden sind.
4. ) Die Historien
4.1) Entstehungskontext
Den Entstehungskontext der Historien zu identifizieren ist insofern schwierig, als dass
die genaue Entstehungszeit und auch die Erscheinungsform nur vage bestimmt werden
können. Es ist also notwendig sich in einer Art Annäherungsverfahren behutsam
vorzutasten, um nicht in den Bereich des rein Spekulativen zu verfallen.
Die Veröffentlichungszeit der Historien kann auf zwischen die Jahre 430 425 v.
Chr. datiert werden.
36
Die Waffenbrüderschaft zwischen den "Perserbezwingern" -
Athen und Sparta - war den Machtbestrebungen der beiden dominanten griechischen
Poleis zum Opfer gefallen.
37
Der unerwartete Sieg gegen das scheinbar übermächtige
Achämenidenreich zog in den folgenden 50 Jahren, der Zeit der sog. "Pentekontaetie",
eine Reihe bedeutender Entwicklungen nach sich.
38
Athen trieb die Demokratisierung
voran und erlebte eine Zeit kultureller Blüte. In diesen Kontext gehören auch die
Historien, die einen Übergang von oraler zu literarischer Kultur markieren.
39
Dabei
setzte Herodot mit der Konzeption und dem Umfang der Historien neue Maßstäbe,
sicherlich auch in der Absicht Homer zu übertreffen.
40
34
Albertz; Heldentum, S. 30. Vgl. Bichler/ Rollinger: Herodot, S. 60 ff.
35
Albertz; Heldentum, S. 30. Vgl. Wiesehöfer; Perserkriege, S. 209 -232.
36
Albertz; Heldentum, S. 28. So auch: Bichler/ Rollinger: Herodot, S. 13. Bichler/ Rollinger
bezeichnen den ursprünglichen Text darüber hinaus als ungeordnete Textmasse. Die gute Lesbarkeit
entstehe durch die Einteilung der Historien in Proömium und die 9 Bücher, welche durch antike
Philologen erfolgte. Die spätere Einteilung in strukturierte Erzähleinheiten sei Ergebnis kontroverser
eingehender Forschungsarbeit und keineswegs frei von Zweifeln, da eine äußerliche Bearbeitung
auch immer den Makel einer inhaltlichen Veränderung trage.
37
Neben Athen und Sparta waren noch andere griech. Poleis beteiligt, jedoch waren Athen
und Sparta im Waffenbündnis federführend und gelten in der Erinnerungskultur als die Sieger der
Perserkriege.
38
Vgl. Albertz; Heldentum, S. 28 ff.
39
Vgl. Cobet, Herodot, S. 226 233 und Albertz; Heldentum, S. 29.
40
Vgl. Albertz; Heldentum, S. 28f. Ausführlicher: Bichler/ Rollinger; Herodot, S. 15ff.
12
4.2) Inhalt und Aufbau der Historien
Seine Absicht schildert Herodot zu Beginn seiner Historien im sog. Proömium. Er
versucht die Ursachen für den Feldzug des Xerxes darzulegen und will die Erinnerung
an die vollbrachten Heldentaten bewahren.
41
Dabei sind die Historien nicht nur als
eine Darstellung des Vergangenen zu verstehen. Herodot schildert einen
exemplarischen Fall der Menschheitsgeschichte und nimmt somit konkret Bezug auf
die Zeit des Peloponnesischen Krieges. Die Schilderungen des Geschehens soll
Vorbild und Warnung für seine Zeitgenossen sein.
42
Dies sind seine Motive, welche
immer im Blick behalten werden müssen.
Auffällig beim Aufbau der Historien ist, dass Herodot bei der Schilderung der
Ereignisse der Chronologie der kleinasiatischen Könige, ausgehend von Kroisos und
Kyros über Kambyses und dessen Nachfolger Dareios bis hin zu dessen Sohn Xerxes
folgt. Dabei schildert er ausführlich Sitten und Gebräuche der Perser und stellt die
Barbaren nicht durchweg negativ, sondern auch mit positiven Zügen dar.
43
Besonders
die Darstellung des Xerxes zeugt von Herodots Versuch einer (relativ) objektiven
Darstellung der Beteiligten. Xerxes wird "in the round" , als ein Herrscher, der über die
Vergänglichkeit des Menschen und über Religion nachdachte und in diesen Bereichen
feingeistig war, der andererseits aber auch leicht reizbar war, zu Jähzorn neigte und der
keine Opposition duldete.
44
Besonders die Geißelung des Hellesponts und die
Enthauptung der Architekten gibt Zeugnis von der Grausamkeit, zu der Xerxes
neigte.
45
Tatsächlich sollte man die Person Xerxes nicht nur über die Darstellung als
herrschsüchtigen Despoten definieren. Wenn die Historien nicht auf uns gekommen
wären und wir nur die archäologischen und epigraphischen Zeugnisse kennen würden,
so würden wir wahrscheinlich eine Blütezeit der Dynastie unter Xerxes festgestellt
haben.
46
Als Indiz für die gewaltigen baulichen Fähigkeiten kann allein der Kanalbau durch das
Athos-Gebirge herhalten, eine Leistung, die hält man sich die damaligen Mittel vor
Augen - sicherlich Seinesgleichen sucht. Darüber hinaus ist die Größe des Heeres
41
Her: Proömium. D. h: er sucht Erklärungen die abhängig sind von seinem Welt- und Menschenbild.
42
Dazu ausführlich: Bichler/ Rollinger; Herodot, S. 15ff.
43
Vgl. Albertz; Heldentum, S. 29. Schmal: Feindbilder, S. 115.
44
Burn: Defence, S. 313 f.
45
Vgl. Herodot; Historien VII, 34/6
46
Burn: Defence, S. 315.
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Erstausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2011
- ISBN (PDF)
- 9783863417994
- ISBN (Paperback)
- 9783863412999
- Dateigröße
- 312 KB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Christian-Albrechts-Universität Kiel
- Erscheinungsdatum
- 2015 (Februar)
- Note
- 1,7
- Schlagworte
- Leonidas Perserkriege Geschichte Thermopylai Sparta Historie
- Produktsicherheit
- BACHELOR + MASTER Publishing