Postmoderne Züge in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur: Christoph Ransmayrs "Die letzte Welt"
©2012
Diplomarbeit
62 Seiten
Zusammenfassung
In den letzten Jahrzenten kam es verstärkt zu der Forderung sich von den leitenden Ideen der Moderne abzuwenden und diese zu revidieren. Eine einheitlich wahrnehmbare Wirklichkeit wird von den Vertretern der Postmoderne in Frage gestellt.
Die Grundzüge der Postmoderne lassen sich mit einer Quelle vereinbaren, der sich Schriftsteller der letzten Jahrzehnte vermehrt zuwenden: dem Mythos. Im Gegensatz zu den ‚Vernunftschranken‘ der Aufklärung und dem Konzept eines totalitären, sich nicht ändernden Realitätsbildes, handelt es sich beim Mythos um einen sich wandelnden Stoff, der an eine anfängliche Weltorientierung anknüpft, deren Pluralität nicht zugunsten einer statischen, vereinfachten Wirklichkeitsvorstellung negiert wird. Der Mythos scheint geradezu durch seine Vielfalt und der ständigen Veränderung, die an ihm vorgenommen wird, als solcher zu existieren und besteht somit unabhängig vom Autor fort. Dementsprechend verwandeln sich in ihm Steine zu Menschen, Menschen zu Tieren und statt von einer, sich nicht veränderbaren, göttlichen Autorität, geht er von der Pluralität der Götter aus. Diese sind jedoch wiederum von einer, Menschen zugesprochenen, Ambivalenz geprägt. Statt eines statischen Realitätsbildes wird somit im Mythos von einer ständigen Veränderung der Gegebenheiten ausgegangen. Es ist also nicht verwunderlich, dass gerade Ovids Metamorphosen - das Werk, in dem keinem seine Gestalt blieb - Grundlage eines der, für die Postmoderne charakteristischsten Romane bildet: Christoph Ransmayrs Die letzte Welt.
Mit seinem Roman Die letzte Welt aber etabliert sich Ransmayr als international renommierter Schriftsteller der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur.
Die vorliegende Arbeit über Ransmayrs Werk beginnt mit einer Auseinandersetzung mit dem Begriff der Postmoderne. Einem begriffsgeschichtlichen Abriss und der Darstellung der Debatte um Moderne und Postmoderne folgt die Veranschaulichung der postmodernen Tendenzen in Ransmayrs Die letzte Welt. Die Postmoderne wird dabei immer im Zusammenhang zur Moderne zu untersucht, da sich die Postmoderne aus der Moderne speist. Dementsprechend ist auch die Gliederung dieser Arbeit bipolar aufgebaut und orientiert sich an sechs Gegensatzpaaren, die entscheidend für den Dialog zwischen Moderne und Postmoderne sind.
Die Grundzüge der Postmoderne lassen sich mit einer Quelle vereinbaren, der sich Schriftsteller der letzten Jahrzehnte vermehrt zuwenden: dem Mythos. Im Gegensatz zu den ‚Vernunftschranken‘ der Aufklärung und dem Konzept eines totalitären, sich nicht ändernden Realitätsbildes, handelt es sich beim Mythos um einen sich wandelnden Stoff, der an eine anfängliche Weltorientierung anknüpft, deren Pluralität nicht zugunsten einer statischen, vereinfachten Wirklichkeitsvorstellung negiert wird. Der Mythos scheint geradezu durch seine Vielfalt und der ständigen Veränderung, die an ihm vorgenommen wird, als solcher zu existieren und besteht somit unabhängig vom Autor fort. Dementsprechend verwandeln sich in ihm Steine zu Menschen, Menschen zu Tieren und statt von einer, sich nicht veränderbaren, göttlichen Autorität, geht er von der Pluralität der Götter aus. Diese sind jedoch wiederum von einer, Menschen zugesprochenen, Ambivalenz geprägt. Statt eines statischen Realitätsbildes wird somit im Mythos von einer ständigen Veränderung der Gegebenheiten ausgegangen. Es ist also nicht verwunderlich, dass gerade Ovids Metamorphosen - das Werk, in dem keinem seine Gestalt blieb - Grundlage eines der, für die Postmoderne charakteristischsten Romane bildet: Christoph Ransmayrs Die letzte Welt.
Mit seinem Roman Die letzte Welt aber etabliert sich Ransmayr als international renommierter Schriftsteller der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur.
Die vorliegende Arbeit über Ransmayrs Werk beginnt mit einer Auseinandersetzung mit dem Begriff der Postmoderne. Einem begriffsgeschichtlichen Abriss und der Darstellung der Debatte um Moderne und Postmoderne folgt die Veranschaulichung der postmodernen Tendenzen in Ransmayrs Die letzte Welt. Die Postmoderne wird dabei immer im Zusammenhang zur Moderne zu untersucht, da sich die Postmoderne aus der Moderne speist. Dementsprechend ist auch die Gliederung dieser Arbeit bipolar aufgebaut und orientiert sich an sechs Gegensatzpaaren, die entscheidend für den Dialog zwischen Moderne und Postmoderne sind.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
2
heit
9
gebe, der sich alle zu fügen hätten, habe zu großer Grausamkeit auf unserer Welt
geführt und sei somit zu verwerfen.
10
Diese ,,erste Strategie des Vergessenmachens"
11
verlange uns die Postmoderne, als Gegenbewegung zur Moderne, ab. Gemeint ist
hiermit das ,,Vergessen"
12
der Denkmuster, mit denen wir die Welt und uns selbst
wahrnehmen und die Annahme der Tatsache, dass sämtliche Welterklärungstheorien nur
Bruchstücke der Wirklichkeit erfassen können. Folglich fasst die Postmoderne eine
Reihe von Positionen zusammen, die ,,Kritik an den Paradigmen der Moderne"
13
und
deren ,,grand récits"
14
üben. Gemeint ist mit dieser postmodernen Distanzierung von
den ,,großen Erzählungen"
15
der Moderne, die kritische Auseinandersetzung mit
ideologischen Strömungen, wie dem Rationalismus, dem Humanismus, dem Kapitalis-
mus, dem Marxismus und selbst dem Christentum.
16
Alle diese stellen den Anspruch
auf Allgemeingültigkeit und unterliegen somit dem postmodernen Verdikt totalitär zu
sein. Die Postmoderne konstatiert somit den Niedergang der Ideologien, die gemäß
Vertretern der postmodernen Philosophie
17
zu katastrophalen Erfahrungen führten. Sie
begreift sich selbst als ,,diagnostische[n] Reflex, auf das offenkundige Scheitern der
Moderne"
18
, betont die ,,Beteiligung des Lesers am Prozess der Bedeutungsprodukti-
on"
19
und die hiermit verbundene Vielfalt an Interpretationsmöglichkeiten. Dies
bedeutet folglich, dass nicht nur der Autor selbst sein Werk interpretiert, sondern, dass
Literatur im Moment ihrer Rezeption entsteht, da sie von jedem Leser anders verstanden
wird.
Gerade diese Grundzüge der Postmoderne lassen sich mit einer Quelle vereinbaren,
der sich Schriftsteller der letzten Jahrzehnte vermehrt zuwenden: dem Mythos.
20
Im
Gegensatz zu den ,Vernunftschranken` der Aufklärung und dem Konzept eines totalitä-
ren, sich nicht ändernden Realitätsbildes, handelt es sich beim Mythos, um einen sich
9
Gemeint ist hiermit die Vorstellung einer sinngebenden ideologischen Wahrheit.
10
Vgl. Schmidt 2009:1.
11
Schmidt 1986:9.
12
Ebd.
13
Prechtl 1999:458.
14
Lyotard 1986:12.
15
Ebd.
16
Prechtl 1999:458.
17
Zu sehen ist dies unter anderem in der programmatischen Schrift Wege aus der Postmoderne, die 1994
von Wolfgang Welsch herausgegeben wurde.
18
Behrens 2008:10.
19
Burdorf 2010:603.
20
Mader 1996:297.
3
wandelnden Stoff, der an eine anfängliche Weltorientierung anknüpft, deren Pluralität
nicht zugunsten einer statischen, vereinfachten Wirklichkeitsvorstellung negiert wird.
Der Mythos scheint geradezu durch seine Vielfalt und der ständigen Veränderung, die
an ihm vorgenommen wird, als solcher zu existieren und besteht somit unabhängig vom
Autor fort. Dementsprechend verwandeln sich in ihm Steine zu Menschen
21
, Menschen
zu Tieren und statt von einer, sich nicht veränderbaren, göttlichen Autorität, geht er von
der Pluralität der Götter aus. Diese sind jedoch wiederum von einer, Menschen zuge-
sprochenen, Ambivalenz geprägt. Statt eines statischen Realitätsbildes wird somit im
Mythos von einer ständigen Veränderung der Gegebenheiten ausgegangen. Rushdie
spricht hierbei von ,,stasis" und ,,metamorphosis"
22
. Es ist also nicht verwunderlich,
dass gerade Ovids Metamorphosen, das Werk, in dem keinem seine Gestalt blieb,
23
Grundlage eines der, für die Postmoderne charakteristischsten Romane bildet: Christoph
Ransmayrs Die letzte Welt.
Bereits mit seinem Prosatext Strahlender Untergang. Ein Entwässerungsprojekt oder
die Entdeckung des Wesentlichen verzeichnet Ransmayr 1982 erste Erfolge. Mit seinem
Roman Die letzte Welt aber etabliert er sich schließlich als international renommierter
Schriftsteller der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, da er zu den wenigen zählt,
denen bereits zu Beginn ihrer Karriere als Schriftsteller ein so ,,euphorisch positives
Urteil entgegenschlug"
24
. Zu erkennen ist dies zum Beispiel an der überaus positiven
Kritik der Feuilletons von Frankfurter Allgemeiner
25
, Spiegel
26
und Zeit
27
, die sich
ungewöhnlich einstimmig zum Werk äußern. Die Frage, ob dies darauf hindeutet, dass
die Literaturkritik noch objektiven Maßstäben folge oder Ransmayr seinen Erfolg der
Förderung durch Enzensberger zu verdanken habe,
28
ändert jedoch nichts an der
Tatsache, dass Die letzte Welt 1988 zeitlich an die Intensivierung der Postmoderne-
Debatte in den 80er Jahren anschließt und hiermit die literarische Antwort auf die
theoretischen Vorüberlegungen von Jean Francois Lyotard, Richard Rorty und Jürgen
Habermas und Anderen zu sein scheint. Um dies jedoch zu untersuchen müssen wir uns
21
Vgl. Ovid 2007.
22
Rushdie 1997:14.
23
Vgl. Ovid 2007:17.
24
Epple 1992:9.
25
Frank Schirrmachen spricht in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (17.9.1988) davon, dass es mit
Ransmayr ,,endlich ein neues Talent" gebe. Vgl. Epple 1992:119.
26
Vgl. Wieser Harald, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.9.1988.
27
Vgl. Hage Volker, in: Zeit, 07.10.1988.
28
Epple 1992:9.
4
zunächst mit dem Begriff der Postmoderne selbst auseinandersetzen. Dies geschieht
zunächst durch einen begriffsgeschichtlichen Abriss (Kapitel 2.1) und der Darstellung
der Debatte um Moderne und Postmoderne (Kapitel 2.2). Vom dritten bis zum sechsten
Kapitel veranschauliche ich anschließend die postmodernen Tendenzen in Ransmayrs
Die letzte Welt. Es bietet sich
an, die Postmoderne immer im Zusammenhang zur
Moderne zu untersuchen, da sich die Postmoderne aus der Moderne speist.
29
Dement-
sprechend ist auch die Gliederung dieser Arbeit bipolar aufgebaut und orientiert sich an
sechs Gegensatzpaaren, die entscheidend für den Dialog zwischen Moderne und
Postmoderne sind.
Wie bereits erwähnt wurde, ist ein neues Wirklichkeitsverständnis grundlegend für
die Postmoderne, da nunmehr die Dichotomie zwischen Realität und Fiktion, die die
Moderne postulierte
30
, aufgehoben wird. Auf diesen Aspekt wird im dritten Kapitel der
vorliegenden Arbeit eingegangen und gezeigt, wie die Realität der Figuren in Ransma-
yrs Roman dekonstruiert wird. Auch der Mythos, als Terminus der unwahren Erzäh-
lung
31
und der Logos, als verantwortliche und vernünftige Rede
32
, sind Gegenstände
dieser Untersuchung (Kapitel 4). Die Suche Cottas, dem Protagonisten der letzten Welt,
nach dem nach Tomi verbannten Dichter Ovid, dem Autor des Romans Metamorpho-
sen, ist ein Zentralmotiv in Ransmayrs Die letzte Welt. Gerade durch diese Suche nach
dem Autor wird das ,,poststrukturalistische Theorem vom Tod des Autors illustriert"
33
.
Dementsprechend wird in dieser Arbeit auch auf das Gegensatzpaar Autor und Textau-
tonomie eingegangen (Kapitel 5). Auch der Eklektizismus zählt zu den Merkmalen der
Postmoderne
34
und wie man bereits am ovidischen Repertoire erkennt, das dem Roman
beigefügt ist, ist auch Ransmayrs Die letzte Welt, aus verschiedenem heterogenem
Material zusammengefügt worden. Daher wird im sechsten Kapitel auch der Aspekt der
Pluralität im Vergleich zu dem der Totalität untersucht, der durch die Diskrepanz
zwischen den Städten Rom und Tomi verbildlicht wird. Rom ist hierbei sowohl die
Heimatstadt Ovids als auch Cottas. Tomi hingegen wird als das Ende des römischen
Imperiums gesehen. Alle diese postmodernen Züge, die ihren modernen Pendants
29
Näher wird hierauf in Kapitel 2.3. eingegangen.
30
Vgl. Mader 1991:283.
31
Vgl. ebd.:270f.
32
Vgl. Jamme 2010:Sp.1681.
33
Meier, Albert: Literatur des 20. Jahrhunderts. http://www.literaturwissenschaft-online.uni-
kiel.de/veranstaltungen/vorlesungen/literatur20/letztewelt.pdf - Aktualisierungsdatum: 05.02.2012.
34
Ebd.
5
entgegengesetzt werden, stehen eng in Verbindung zueinander. Daher möchte ich an
dieser Stelle darauf hinweisen, dass bei dieser Arbeit Überschneidungen schwer zu
umgehen sind, da auch der Zusammenhang zwischen postmodernen Schlüsseltermini
gezeigt werden soll. Zunächst folgt jedoch ein begriffsgeschichtlicher Abriss.
6
2.
Theoretischer Rahmen: Die Postmoderne
2.1.
Zur Geschichte des Terminus ,,Postmoderne"
Entgegen der allgemeinen Auffassung der Terminus ,,Postmoderne" entstamme der
Architektur-Diskussion, muss gesagt werden, dass dieser seinen Ausgangspunkt in einer
Literaturdebatte fand, die Ende der 50er Jahre in den USA begann.
35
Dennoch hat das
Adjektiv ,,postmodern" sein Debüt um 1870
36
, also mehr als ein Jahrhundert vor dem
Beginn des Diskussionsstranges um die Postmoderne, mit dem sich auch diese Arbeit
auseinandersetzt. Doch auch damals stand der Begriff in Verbindung zur Kritik reaktio-
närer Kunst. In diesem Fall handelte es sich um die Kritik des Salonmalers Chapman an
der impressionistischen Malerei und seine Aufforderung zu einer sie revidierenden
,,postmodernen" Malerei.
37
Beim zweiten Gebrauch des Adjektivs ,,postmodern"
handelt es sich jedoch lediglich um eine wortschöpferische Neufassung von Nietzsches
,,Übermensch"
38
. 1917 meint Rudolf Pannwitz, nur ein ,,postmoderner Mensch" könne
die Krise der Moderne überwinden.
39
Hierbei knüpft er an Nietzsches Programm zur
Überwindung der Schwächen der Moderne an.
40
Interessant ist dabei, dass der Begriff
,,postmodern", bereits so früh in Verbindung zu Nietzsche stand, der als ,,die Vaterfigur
der Postmoderne schlechthin"
41
und ,,Drehscheibe"
42
für den Eintritt in die Postmoderne
gilt. In substantivischer Form erscheint der Begriff erstmals 1934 beim Literaturwissen-
schaftler Federico de Onis,
43
der die Phasen der neueren spanischen und hispano-
amerikanischen Dichtung in ,,modernismo" (1896-1905), ,,postmodernismo" (105-
1914) und ,,ultramodernismo" (1914-1932) einteilt.
44
Auch 1947, als Arnold J. Toybees
in seinem enzyklopädischen Hauptwerk A Study of History die gegenwärtige Phase der
abendländischen Kultur als ,,post-modern" bezeichnet,
45
steht dieser Terminus in einem
anderen sachlichen und zeitlichen Rahmen, als heute üblich.
46
Wiederum tritt jedoch der
35
Vgl. Welsch 1987:7.
36
Vgl. ebd.
37
Vgl. Higgins 1978:7.
38
Vgl. Welsch 1994:8.
39
Vgl. Pannwitz 1917:64.
40
Ebd.
41
Welsch 1994:8.
42
Habermas 1988:104.
43
Welsch 1994:8.
44
De Onis 1934:XVIII.
45
Welsch 1994:9.
46
Toynbee 1947:39.
7
Terminus nicht im Kontext der eigentlichen Debatte um Moderne und Postmoderne auf.
Diese beginnt erst 1959, als Irving Howe und Harry Levin einen Grenzstrich zwischen
der Literatur ihrer Zeit und der Literatur der Moderne ziehen. Als ,,modern" bezeichnen
sie hierbei die Literatur der Yeats, Eliot, Pound und Joyce.
47
Entgegen dem bis dahin
kulturpessimistischen Blick auf die Literatur ihrer Zeit verteidigen Howe und Levin die
neue Literatur und geben den Vergleich mit den Maßstäben der klassischen Moderne
auf: Postmoderne Literatur solle alle sozialen Schichten ansprechen.
48
Nach zehn Jahren
der intensiven Literaturdebatte hierzu gelangt man 1969 zu einer allgemeinen Auffas-
sung von Postmoderne: ,,Postmoderne Phänomene liegen dort vor, wo ein grundsätzli-
cher Pluralismus von Sprachen, Modellen und Verfahrensweisen praktiziert wird, und
zwar nicht bloß in verschiedenen Werken nebeneinander, sondern in ein und demselben
Werk."
49
Ausgangspunkt dieser Kennzeichen ist die Kritik an der Vorstellung der
Moderne, dass es eine objektive, für alle gleichermaßen geltende Wirklichkeit gebe,
diese nicht durch die subjektive konstruiert sei, sondern als solche a priori bestehe und
von der menschlichen Ratio erfasst werden kann.
Genauso wie die Postmoderne aber nicht nur von einer Wirklichkeit ausgeht, kann
somit auch nicht die Rede von nur einer Postmoderne sein, sondern vielmehr von
postmodernen Konstellationen.
50
Doch alle diese Konstellationen haben eines gemein-
sam: Sie werden stets mit der Moderne kontrastiert. Die Diskussion um die Postmoder-
ne und die Moderne orientiert sich hauptsächlich an der Frage, ob mit der postmodernen
Kritik an der europäischen Rationalität ,,nur die immer wieder in deren Tradition
auftretende Kritik nun radikal artikuliert wird oder ob ein neues Denken, einsetzt."
51
Wird in der Postmoderne also von Grund auf neu gedacht oder werden mit ihr nur noch
die Konsequenzen modernen Denkens gezogen? Auf diese Fragestellung und die
Bedeutung des Terminus ,,Postmoderne" möchte ich im Folgenden näher eingehen.
47
Welsch 1994:9.
48
Vgl. Kapitel 5.5. zur Verständlichkeit der Sprache.
49
Welsch 1994:10.
50
Vgl. Ortheil 1994:30.
51
Mader 1996:297.
8
2.2.
Postmoderne versus Moderne
Dass die Diskussion um die Postmoderne in ihrem ,,Kern eine Auseinandersetzung um
die Moderne ist"
52
, hängt bereits mit begriffstechnischen Gründen zusammen, da durch
den Terminus der Postmoderne bereits impliziert zu werden scheint, dass es sich hierbei
um eine Überwindung der Moderne handle. Hierbei stellt sich die Frage, inwieweit die
Postmoderne tatsächlich ein Ende der Moderne proklamiert und, ob sie nicht gerade
deshalb, weil sie sich stets auf sie beruft, auch zu ihr gehört. Da die Arbeit bipolar
aufgebaut ist und sich mit den Schlüsseltermini der Moderne und Postmoderne in
Ransmayrs Roman auseinandersetzt, ist es sinnvoll sich zunächst mit der Frage nach der
Komplementarität dieser Begriffe auseinanderzusetzen. Die Komplexität des Postmo-
derne-Begriffs und die Schwierigkeit einer Definition scheinen hauptsächlich mit drei
Faktoren zusammenzuhängen. Erstens hat sich der Postmoderne-Begriff bereits auf
zahlreiche kulturelle und gesellschaftliche Bereiche ausgeweitet.
,Postmoderne' ist ein Ausdruck, der nicht mehr nur auf Literatur, Architektur und andere
Sparten der Kunst angewandt wird, sondern soziologisch so gut eingeführt ist wie philo-
sophisch, ökonomisch so sehr wie theologisch, und er hat in Historie und Anthropologie,
Jurisprudenz und Psychiatrie, Kulturtheorie, Geographie und Pädagogik Eingang gefun-
den.
53
Zweitens trägt das Präfix ,,post" zur Mehrdeutigkeit des Begriffes bei, da es der Post-
moderne den Anschein einer Epoche gibt, obwohl es sich eher um die ,,Anzeige eines
Zustandes"
54
handelt ,,dessen Beschreibung noch unsicher ist"
55
und die Moderne ,,nicht
tout court verabschiedet"
56
, sondern sie hinterfragt und sich mit ihr auseinandersetzt.
Drittens wird die Umgrenzung des Terminus ,,Postmoderne" durch die Tatsache
erschwert, dass auch den diversen Begriffen zur Moderne sehr unterschiedliche Kon-
zepte zugrunde liegen. Bezieht man sich auf die Moderne des 18. Jahrhunderts als
Produkt der Aufklärung, die Moderne des 19. Jahrhunderts in Verbindung mit dem
Fortschrittsglauben der Industrialisierung oder die Moderne des 20. Jahrhunderts
einschließlich ihrer künstlerischen Avantgarden? Beachtet wird dabei oft kaum, dass
postmoderne Züge in der Literaturgeschichte immer wieder zum Beispiel in den
52
Welsch 1994:2.
53
Ebd.:1.
54
Ebd.:2.
55
Ebd.
56
Ebd.
9
Avantgarde-Literaturen auftreten.
57
Zudem sprechen zum Beispiel romantische Moder-
ne-Versionen selbst gegen Merkmale, die der Moderne zugewiesen werden.
58
Bereits
Konzepte der Moderne, wie der Surrealismus und der Dadaismus, weisen Merkmale
auf, die als Kriterien für postmoderne Literatur gelten. Demnach kann zum Beispiel die
Ablehnung von Rationalität nicht nur der postmodernen Literatur zugewiesen werden,
da sie zuvor auch in der Moderne vorkommt.
59
Dass postmoderne Züge epochenüber-
greifend vorzufinden sind und in der Postmoderne letztendlich ihren Höhepunkt finden,
würde der poststrukturalistischen Auffassung von der Eigendynamik der Signifikanten
und ihrer ,,unendlichen Semiose"
60
entsprechen, da somit auch Literaturströmungen
selbst, nicht als in sich geschlossene Systeme aufzufassen sind, sondern sich stets
aufeinander beziehen. Die Rede kann hierbei somit nur von postmodernen Zügen der
Literatur sein. Hierfür spricht auch die Tatsache, dass sich bereits bei Aristoteles
postmoderne Ansätze finden lassen.
61
So kritisiert er zum Beispiel die totalitären,
universalistischen Tendenzen der platonischen Philosophie, die man durchaus als
,,modern" bezeichnen könnte. Daher stellt sich die Frage, ob das postmoderne und das
moderne Denken in einen zeitlich begrenzten Rahmen zu setzen sind und, ob es sich
hierbei nicht vielmehr um einen Dialog zwischen diesen zwei Opponenten handelt und
dieser als Antriebskraft für die Entstehung neuer Literaturepochen in der Moderne
fungiert.
Beabsichtigt wird mit dieser Fragestellung natürlich weder die Gleichsetzung dieser
Literaturepochen noch eine bipolare Betrachtung der Literatur, die diese in modern und
postmodern einteilt, sondern vielmehr das Aufzeigen von Parallelen der verschiedenen
Epochen in Bezug auf Prinzipien des modernen und postmodernen Denkens. Dement-
sprechend gelangt auch Umberto Eco zu dem Schluss, dass ,,postmodern" keine zeitlich
begrenzte Strömung ist, sondern eine Geisteshaltung darstellt.
62
Hiervon ausgehend
57
Vgl. Schmidt 2009:8.
58
Man denke hierbei zum Beispiel an die Fortschrittsgläubigkeit und Rationalität, die der Moderne
zugesprochen werden.
59
Vgl. Schmidt 2009:8.
60
Chandler 1994: 32. Nach Peirce ist der Interpretant selbst wieder ein Zeichen und unterliegt somit
selbst wiederum der Semiose. Dies führt zu einer unbegrenzten Semiose.
61
Charakteristisch hierfür ist unter anderem Aristoteles' erstes Buch Metaphysik zur Philosophiege-
schichte, in dem Aristoteles meint, dass das Sein nicht in der bloßen Materie gesucht werden kann, noch
in dem reinen Gedanken des Allgemeinen (Plato). Hingegen liege die Wirklichkeit in dem Einzelding.
Auch Aristoteles vertritt hiermit ein pluralistisches Wirklichkeitsbild.
62
Eco 1993:57.
10
meint er sogar, dass ,,jede Epoche ihre eigene Postmoderne hat"
63
und spricht hierbei
von der Avantgarde als ,,metahistorischer Kategorie"
64
, die stets ,,mit der Vergangenheit
abrechnen will"
65
. Die Postmoderne verkörpert somit einen Versuch der ,,Preisgabe der
Vernunft"
66
, übt also explizite Vernunftkritik und steht dadurch in der Tradition anderer
Avantgarde-Literaturen, die letztendlich auch Ausdruck eines Gesinnungswechsels von
modernem zu postmodernem Denken
67
sind. Dennoch hebt sich die Postmoderne von
den Literaturen der Avantgarde dadurch ab, dass sie den Dialog zur Vergangenheit
sucht, diese nicht zu negieren versucht, sondern sie ,,meist ironisch gebrochen und
distanziert
68
darstellt". Somit kann die Postmoderne nicht als Abbruch der Moderne
verstanden werden, da sie sich stets mit ihr auseinandersetzt. In diesem Sinn spricht
Johann Mader sogar von einer ,,Dialektik der Postmoderne"
69
, da sie ,,so sehr sie Neues
zu sein intendiert, so stark [...] dem Alten verhaftet [ist], das sie negiert."
70
Die Tatsa-
che, dass die Aufklärung selbst konstatiert, dass Einsichten stets durch bessere korrigiert
werden müssen
71
, weist daraufhin, dass die Postmoderne auch als Teil der ,,radikalisier-
te[n] Aufklärung"
72
angesehen werden kann, die die Defizite ihrer Vorgängerin zu
beheben versucht und dennoch somit zu ihr gehört. Dementsprechend kommt Lyotard
in seinem Vortrag ,,Die Moderne redigieren" auch zu dem Schluss, dass ,,die moderne
Zeitform einen ständigen Antrieb zur Überschreitung enthält, so dass die Moderne
ohnehin andauernd mit einer Postmoderne schwanger geht."
73
Auch Gianni Vattimo
widerspricht einer Überwindung der Moderne durch die Postmoderne, da dieser
Gedanke in sich bereits modern sei, denn gerade durch ,,Überwindung" sichert die
Moderne ihre Existenz weiter.
74
63
Ebd.
64
Ebd. Das heißt, dass diese nicht in eine bestimmte geschichtliche Zeitspanne einzuordnen ist.
65
Ebd.
66
Vgl. Schäffer, Francis: Preisgabe der Vernunft. Kurze Analyse der Ursprünge und Tendenzen des
modernen Denkens. Witten: SCM R. Brockhaus 1985.
67
Hierbei ist, wie bereits gesagt wurde
,
die Rede von postmodernem Denken als ,,metahistorischer
Epoche" im Sinne Umberto Ecos und nicht im Sinne der Postmoderne als Epoche.
68
Lützeler 1993:103.
69
Mader 1996:298.
70
Ebd.
71
Vgl. Habermas 1983:104.
72
Ebd.
73
Lyotard 1986, zitiert nach Welsch 1994:32.
74
Vgl. Welsch 1994:235.
11
Daher wäre der scheinbar starke und konsequente Postmodernist, der die Postmoderne als
strikte Ablösung und Überwindung der Moderne verstünde, in Wahrheit ein ganz üblicher
Modernist und überhaupt kein Postmodernist.
75
Es konnte in diesem Kapitel somit gezeigt werden, dass es sinnvoll ist von postmo-
dernem und modernem Denken bzw. Zügen statt feststehenden Epochen zu sprechen, da
ihre Grundideen stets im Dialog zueinander stehen. Dies wird auch in Ransmayrs Die
letzte Welt durch die Dichotomie in Metropole (Rom) und Peripherie (Tomi, die letzte
Welt) ersichtlich. Im Folgenden wird unter anderem untersucht, ob die vom Protagonis-
ten empfundene Diskrepanz zwischen seiner auf Vernunft bedachten Heimatstadt Rom
und dem sich wandelnden Tomi überwunden wird.
75
Welsch 1994:34.
12
3.
Fokus Realität: Gegentendenz Imagination
Die Tatsache, dass sich die erste nennenswerte Diskussion um die Postmoderne in den
50er Jahren, also nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs austrug, spricht für die These,
dass sich wesentliche Veränderungen in den Geisteswissenschaften ereignen, nachdem
es zu soziokulturellen Umbrüchen gekommen war.
76
Im Falle der Postmoderne handelt
es sich hierbei um die wesentlichen Veränderungen innerhalb der Kommunikations-,
Wissens- und Energietechnologien.
77
Die Information hat sich nicht nur zu einem
bestimmenden Moment der Kommunikation entwickelt, sondern wurde zudem techni-
siert und vollzieht sich zunehmend maschinell.
78
Im informationstechnologischen
Zeitalter lässt sich nicht mehr mit Bestimmtheit festlegen, was Wirklichkeit ist, da sich
Informationen zusammensetzten lassen und die EDV somit Wirklichkeit neu erfinden
kann.
79
Demnach wird die maschinelle Information selbst zur Realität, wenn sie für
diese gehalten wird. Wirklichkeit erweist sich als Konstrukt subjektiver Wahrneh-
mung.
80
Ransmayr kommt in seinem Werk immer wieder auf die Diskussion um den
Realitätsbegriff zu sprechen und dekonstruiert diesen auf zwei Ebenen: Erstens hinsicht-
lich des Protagonisten Cotta, indem dessen Wirklichkeit durch den Einbruch des
Phantastischen aufgelöst wird und zweitens hinsichtlich des Rezipienten, dessen
Wahrnehmung der fiktiven Wirklichkeit durch Verwirrungsstrategien beeinflusst wird.
Im Folgenden wird zunächst auf die erste Ebene der Dekonstruktion von Wirklichkeit
eingegangen.
3.1.
Die Phantasie Nasos gegen die Realität Cottas
Der römische Dichter Ovid, auch Naso genannt, und sein verschollenes Werk Meta-
morphosen werden von Cotta in der Stadt Tomi, dem Verbannungsort Nasos gesucht.
Doch Ovids Metamorphosen werden nicht nur zum Gegenstand der Suche Cottas, ,,sie
wechseln sogar aus dem Raum des Imaginativen in den des Realen".
81
Cotta muss
76
Vgl. Mader 1996:283.
77
Vgl. ebd.
78
Vgl. ebd.
79
Vgl. Epple 1992:96.
80
Vgl. Mader 1996:283.
81
Epple 1992:66.
13
feststellen, dass er sich bereits mitten in den Metamorphosen Nasos befindet und, dass
deren Plot für ihn zur Wirklichkeit geworden ist. Folglich wird er Zeuge der mythischen
Verwandlungen aus Ovids Metamorphosen, dem Prätext zu Ransmayrs Roman.
Hierdurch werden hinter der letzten Welt immer wieder Ovids Metamorphosen sichtbar.
Cotta erlebt dabei, wie die Einwohner Tomis sich unter anderem allmählich zu Stei-
nen
82
, Vögeln (LW: 31) und Tieren (LW: 80) verwandelt und bleibt davon natürlich
nicht unbeeinflusst. Sein von ihm für allgemeingültig gehaltener Wirklichkeitsbegriff
gerät folglich ins Wanken. Anfangs geschieht jedoch in Die letzte Welt nur wenig
Phantastisches, das dies auslösen könnte. Dennoch weist der Roman eine Vielzahl an
Stellen auf, in denen für Cotta die Grenze zwischen Realität und Imagination nicht
eindeutig ist. Hierbei werden Zustände angesprochen, die sich an der Grenze der
Vernunft und des Bewusstseins befinden. Einige charakteristische Textstellen aus
Ransmayrs Roman werden nun diesbezüglich analysiert.
Cottas Wirklichkeit wird unter anderem durch die Beschreibung von Grenzzuständen
dekonstruiert, die dem Leser wohl bekannt sind. In Zuständen der Müdigkeit (vgl. LW:
62), des Fiebers (vgl. LW: 80), der Trunkenheit (vgl. LW: 73) und der sexuellen
Begierde (vgl. LW: 121f.) verändert sich die Wahrnehmung und auch das Verhalten
Cottas. Cottas Wirklichkeit verliert allmählich, wie in einem Traum ihre Konturen. So
zum Beispiel als Cotta bei seiner Suche nach Naso auf dessen Knecht Pythagoras in
Trachila stößt. Als Cotta ihm durch ein ,,Labyrinth aus Stämmen und Zweigen" folgt
und dabei zu ,,müde [ist,] um sich noch gegen die Schläge der Sträucher zu schützen"
(LW: 62), verschwimmen Cottas Wirklichkeit und das Phantastische in Trachila, dem
letzten Zufluchtsort Nasos: Aus Pythagoras wird plötzlich ,,ein uraltes, unmenschlich
altes Wesen, das an den äußersten Rand des Lebens gekommen war" (LW: 63). Hierbei
wird deutlich, dass das vom Subjekt als Wirklichkeit Erfasste ein Konstrukt seiner
Wahrnehmung ist.
In seiner Auseinandersetzung mit dem Nutzen und Nachteil der Historie für das
Leben kritisierte bereits Nietzsche die Tatsache, dass die Geisteswissenschaften sich an
einem unerreichbaren Objektivitätsideal orientieren.
83
Von diesem Konzept Nietzsches
ausgehend sprechen auch postmoderne Theoretiker von der Wirklichkeit als Konstrukt
subjektiver Wahrnehmung. Da sich aber selbst das Subjekt verändert und mit ihm auch
82
Vgl. Ransmayr 1991:177 [Zit. als: LW.].
83
Epple 1992:66.
14
seine Wirklichkeitswahrnehmung, kann schon deshalb nicht die Rede von einer absolu-
ten allgemeingültigen Wirklichkeit im Sinne der Moderne sein. Da sich das Subjekt
nicht einmal darüber sicher sein kann, wie es selbst in Zukunft denken, handeln und
Wirklichkeit wahrnehmen wird, werden ihm seine Möglichkeitsspielräume, laut Sartre,
erst in Grenzzuständen bewusst.
84
Da Wahrnehmung somit vom Möglichkeitsspielraum
des Subjekts abhängt und dieser ihm erst in den Grenzerfahrungen bewusst wird
85
, leitet
Ransmayr seine Figuren bewusst in Grenzzustände, die ihre Wahrnehmung und somit
ihre Wirklichkeit verfremden. Dementsprechend erscheinen Cotta bei seinem Aufent-
halt in Trachila, im Grenzzustand der Müdigkeit, seltsame Geschöpfe:
,,Der Viehhirt trug auf seinen Schultern einen Klumpen, der aus Wimpern, Lidern, Tränen-
säcken und Augäpfeln bestand, auf denen sich das Silberlicht in Sternen spiegelte und
brach, trug einen rundum blinzelnden, starrenden, schauenden, stierenden Klumpen, einen
Schädel aus Augensternen." (LW: 64)
Bemerkenswert ist, dass dieses als ,,furchtbar" (LW: 64) empfundene Wesen zugleich
von Cotta als ,,schön" (LW: 64) charakterisiert wird. Cotta fasst das Entsetzen (LW: 64)
und er findet sich in der von Sartre beschriebenen Extremsituation der Angst wieder, in
der der Mensch erst seinen Möglichkeitsspielraum erkennt.
86
Tatsächlich tritt auch bei
Cotta ,,neben [der] Transgression der Wirklichkeitsgrenze [...] die des Humanen"
87
, da
er aufgrund seiner Angst ,,einen hohlen, langen Schrei [spürt], der aus seinem Innersten
kam, einen fremden, tierischen Laut, der seinen Rachen, die Nasen- und Stirnhöhlen
erfüllte, seinen Kopf vibrieren ließ und endlich als Gebrüll gleichzeitig aus Mund und
Nase hervorstieß: Es war das Brüllen einer Kuh." (LW: 64) Selbst das Humane kann
demnach nicht länger als Orientierungsbasis dienen.
88
Viele Aspekte des Romans lassen
sich auf das hiermit verbundene Konzept Nietzsches zur ,,Auflösung des Subjekts"
89
zurückführen, das in der Unbeständigkeit der Persönlichkeit Cottas zum Ausdruck
kommt. Deutlich wird dies auch in der Nacht, in der Echo, eine ,,berückenden Schön-
heit" (LW: 247) zum Opfer seiner Lust wird. Echo hatte Ovids Erzählungen in Tomi
gehört und berichtet Cotta von ihrer Version der Metamorphosen, dem ,,Buch der
84
Vgl. Schmidt 2009:342.
85
Vgl. ebd.
86
Vgl. ebd.
87
Ebd.
88
Vgl. ebd.
89
Ebd.
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Erstausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2012
- ISBN (PDF)
- 9783863419202
- ISBN (Paperback)
- 9783863414207
- Dateigröße
- 331 KB
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2015 (Februar)
- Note
- 1
- Schlagworte
- Christoph Ransmayr Literatur Moderne Mythos Metamorphose