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Jugendwiderstand in der DDR: Geschlossener Jugendwerkhof Torgau

©2012 Bachelorarbeit 52 Seiten

Zusammenfassung

Die historische Entwicklung der Deutschen Demokratischen Republik ist ein wichtiger Bestandteil der Geschichte Deutschlands. Mit der DDR beschäftigen sich Politwissenschaftler, Historiker und Erziehungswissenschaftler. Relevant für die Erziehungswissenschaftler ist das Thema der Pädagogik in der DDR, welche im Zusammenhang mit Heimen, Jugendhilfe und Jugendwerkshöfen steht und viele Facetten aufweist. Auch das Bildungssystem mit den Thematiken der Umsetzung von pädagogischen Konzepten in der Schule, der pädagogischen Arbeit in den Betreuungseinrichtungen sowie die Methodenauswahl für eine erfolgreiche Umsetzung sind für eine Auseinandersetzung mit der DDR-Pädagogik von Bedeutung. Nicht nur die Maßnahmen, sondern auch die Konzeption der DDR-Pädagogik stehen im Vordergrund dieser Arbeit und bilden deren zentrale Frage. Gezielt geht die Arbeit auf die Umsetzung der pädagogischen Maßnahmen in den Jugendwerkhöfen, speziell im Jugendwerkhof Torgau, ein. Ausgangspunkte sind Definition und Historie der Jugendwerkhöfe, um zu verstehen, wie die pädagogischen Konzepte in der Praxis angewandt wurden.
Der Jugendwiderstand in der DDR stand im engen Zusammenhang mit der Jugendhilfe und deren Maßnahmen. Der Hauptteil der Arbeit beschäftigt sich mit den Folgen des Jugendwiderstandes. Besonders werden die Methoden der Anpassung und die sozialistische Umerziehung, welche auch die Kollektiverziehung beinhaltet, erläutert. Anhand von Beispielen und Erfahrungsberichten werden Fragen zur Methodik, zu Anwendungsformen und Maßnahmen der DDR-Pädagogik, speziell im Jugendwerkhof Torgau, untersucht. Umsetzung und Anwendung der Kollektiverziehung sowie Alltagsablauf der Jugendlichen werden kritisch beleuchtet. Der Fokus liegt hier bei den Erziehungs- und Strafmaßnahmen sowie den Aufgaben und dem Verhalten des Personals, welche kritisch analysiert werden.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


- 4 -
2. Jugendwerkhöfe
Die Entstehungsgeschichte der Jugendwerkhöfe begann Ende des 2. Weltkrieges.
Durch den Krieg gab es viele Waisenkinder, die auf der Suche nach den Eltern, Ver-
wandte oder anderen Bekannten waren. Jugendliche und Kinder waren auf der Su-
che nach Nahrung und Obdach oder suchten eine Schlafmöglichkeit für die Nacht.
Die sowjetische Militäradministration, die den Osten Deutschlands besetzte, gründete
aufgrund der Situation, den politische Aufgabenbereich der Jugendpolitik, um
dadurch die Kinder von den Straßen zu holen. 1947 wurde der Gedanke verfestigt
und die ersten Einrichtungen für Kinder und Jugendliche gegründet. Hauptanliegen
war es in der SBZ, Kriminalität zu unterbinden und Kindern und Jugendliche im Sinne
der sozialistischen Erziehung zu Menschen einer vollwertigen Gesellschaft zu for-
men. Durch eine Mischung aus Bildung und Arbeit sollten die Heimkinder eine Orien-
tierung und Grundlage fürs Leben erhalten. 1951 wurden dann die bis dahin unstruk-
turierten Abläufe und Vorhaben in den Heimen durch eine Verordnung geregelt. Im
Jahr darauf wurde dann das Jugendgerichtsgesetz verabschiedet, in dem auch die
Heimerziehung ihren gesetzlichen Platz fand.
1
2.1 Definition der Institution Jugendwerkhof
Die Jugendwerkhöfe der DDR waren Einrichtungen, die der Jugendhilfe zugehörig
waren und somit dem Staat unterstellt waren. In den Jugendwerkhöfen wurden Ju-
gendliche eingewiesen, welche aufgrund von unterschiedlichen Problemen umerzo-
gen werden sollten. Die Umerziehung sollte in erster Linie durch produktive Arbeit
vollzogen werden. Jugendwerkhöfe sind keine Jugendvollzugsanstalten, sondern
wurden als Spezialheim definiert. Vorrangig wurden straffällige Jugendliche, welche
sich nicht sozial anpassen konnten, eingewiesen. Das Durchschnittsalter der Jugend-
lichen lag zwischen 14 und 20 Jahren.
2
1
Vgl.: Eine Publikation des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg: Einweisung
nach Torgau, S. 79 ff.
2
Vgl.: ebd., S. 81

- 5 -
2.2 Geschichte der Jugendwerkhöfe
Die Gründungszeit der ersten Jugendwerkhöfe war am Anfang der 50iger Jahre und
ging auf die Zeit des Nationalsozialismus zurück. Wenn man sich mit der Geschichte
der Jugendwerkhöfe beschäftigt, muss zunächst die gesetzliche Grundlage geklärt
werden. In der Gründungszeit, Anfang der 50iger Jahre, wurde die Jugendhilfe neu
geregelt. Die Heimerziehung und Jugendhilfe war den Jugendämtern zugeordnet.
Letztendlich wurde 1952 die ,,Verordnung über die Berufsbildung und schulische
Förderung der Jugendlichen in den Jugendwerkhöfen der DDR" verabschiedet. Das
Referat für Jugendhilfe und Heimerziehung arbeitete auf Grundlage dieser Verord-
nung sowie auf Grundlage des Jugendgerichtsgesetz (JGG). Im Falle eines Strafver-
fahrens wurde das dafür geschaffene Gesetz herangezogen, mit der Voraussetzung,
dass der Jugendliche bereits 14 Jahre, aber noch nicht das 18. Lebensjahr erreicht
hat.
3
Kernaussage des Gesetzes war es, die Eltern in die Pflicht zu nehmen, zu prü-
fen, ob diese ihren Erziehungspflichten nachkommen, wenn eine Straffälligkeit vor-
kommt.
4
Wenn die Erziehungsmaßnahmen nicht ausreichen, war die Institution, wel-
che auf Grundlage des Gesetzes arbeitet, verpflichtet, die Einweisung in einen Ju-
gendwerkhof anzuordnen.
5
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Anfangsjahre der 50iger mit vielen
Umstrukturierungen konfrontiert und mit Änderungen der Kompetenzzuständigkeiten
beschäftigt waren. Die Arbeit der Jugendhilfe war aufgrund der Veränderung nicht
konstant und wurde erst 1952/1953 konsolidiert. Auf der Schulkonferenz 1958 der
SED wurde die Forderung nach einer polytechnischen Bildung und Erziehung in
Heimeinrichtungen deutlich. Daraufhin hat eine sozialistische Umgestaltung innerhalb
aller Heime stattgefunden.
6
Diese Forderung wurde auch in dem geschlossenen Ju-
gendwerkhof Torgau angewandt und durch die Gesetzgebung waren der Rat des
Kreises und seine untergeordneten Ämter dafür zuständig, eine Einweisung straffälli-
ger und schwererziehbarer/auffälliger Jugendlicher in einen Werkhof zu verordnen.
Somit stand die Jugendhilfe in enger Anbindung mit der sozialistischen Schulbildung
3
Vgl.: ebd., S. 116
4
Vgl.: § 12 (4) JGG vom 23.5.1952
5
Vgl.: Eine Publikation des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg: Einweisung
nach Torgau, § 14, JGS vom 23.5.1952, S. 47
6
Vgl.: ebd., S. 50

- 6 -
und hatte die Vermittlung der Volksbildung zum Ziel.
7
In der Verordnung, welche als
Arbeitsgrundlage der Jugendhilfe dient, ist folgendes festgeschrieben gewesen:
(2) ,,In den Spezialheimen werden schwererziehbare und straffällige Jugendli-
che sowie schwererziehbare Kinder aufgenommen. [...] Die Erziehungsarbeit
erfolgt unter Einbeziehung der Kinder ­ und Jugendorganisation und der Be-
triebe auf Grundlage der sozialistischen Schulpolitik und Pädagogik mit dem
Ziel der Heranbildung vollwertiger Mitglieder der sozialistischen Gesellschaft
und bewusster Bürger der Deutschen Demokratischen Republik."
8
Die Jugendhilfe hatte verschiedene Aufgaben, die aber über die Jahre in andere Zu-
ständigkeitsbereiche wechselten oder aber auch wieder in die Jugendhilfe integriert
wurden. Die Aufgabengebiete der Jugendhilfe können in drei große Bereiche einge-
teilt werden. Zum einen die Erziehungshilfe, Rechtsschutz für Minderjährige und
Vormundschaftsrecht. Das große Ziel aller Aufgaben war es, die Jugendlichen zu
einem sozialistischen Menschen zu erziehen, der es schafft, sich anschließend in
das sozialistische System anzupassen und nicht mehr aufzufallen.
9
2.3 Unterschiede und Verteilung der Jugendwerkhöfe
In den bis 1952 insgesamt 18 Jugendwerkhöfen der Kategorie A und 10 der Katego-
rie B wurde die Umerziehung und sozialistische Ideologie stetig und kontrolliert vo-
rangetrieben.
Jugendliche mit einem Wissensstand zwischen dem 6. und 8. Schuljahr wurden der
Kategorie A zugeordnet. Diese Jugendwerkhöfe verfügten über interne Ausbil-
dungsmaßnahmen, wie z. B. Tischler- und Schreinerausbildung, Schneiderausbil-
dung und/oder Schlosser sowie vieles im handwerklichen Bereich. Die Kategorie B
war somit für die Jugendlichen vorgesehen, welche einen Wissensstand bis ein-
schließlich der 5. Klassen nachweisen konnten. In der Kategorie B der Jugendwerk-
7
Vgl.: Anordnung über die Spezialheime der Jugendhilfe vom 22. April 1965
8
Wiedemann, Theresa; 2006:
http://www.albertiner.de/CMS/images/stories/albertinerPDF/Jugendwerkhoefe_in_der_DDR_Theresa_Wiede
mann.pdf
9
Niermann 1974, S. 113

- 7 -
höfe wurden Arbeiten durchgeführt, welche den Werkhof wirtschaftlich unterstütz-
ten.
10
Im Jahre 1954 wurden zusätzlich Jugendwerkhöfe der Kategorie C eingeführt, somit
wurde eine spezielle Einrichtungsmaßnahme für schwererziehbare Jugendliche ge-
schaffen. Bereits 2 Jahre später gab es sechs Jugendwerkhöfe der Kategorie C. Ins-
gesamt war es möglich, 4038 Jugendliche in verschiedenen Kategorien unterzubrin-
gen.
11
Durch die Verabschiedung diverser Gesetze und der Umstrukturierung der Verwal-
tungsorgane wurden auch in diesem Zusammenhang die Kategorien in Typ-
Bezeichnungen geändert. Die insgesamt 38 bestehenden Heime wurden in Typ I und
II umbenannt. Innerhalb der Typenbezeichnung wurde noch einmal unterteilt. So gab
es die Unterteilung A für Normalschüler und B für Hilfsschüler. Durch die kurze Auf-
enthaltsdauer von nur 3 ­ 9 Monaten ist es bei Typ I der Jugendwerkhöfe nicht mög-
lich gewesen, in irgendeiner Form eine Berufsausbildung zu absolvieren. Dieser Auf-
enthalt war vergleichbar mit dem Jugendarrest.
12
Die Jugendlichen, welche einen
Aufenthalt in dieser Einrichtung wahrnehmen mussten, sollten in erster Linie diszipli-
niert werden, welches wiederum in einer möglichst kurzen Zeit passieren sollte. Im
Gegensatz dazu war der Aufenthalt im Jugendwerkhof des Typs II langfristig ange-
legt und beinhaltete eine berufliche Qualifizierung. Für die kurzfristige Disziplinierung
standen 8 Jugendwerkhöfe zur Verfügung, welche Raum für 454 Jugendliche boten.
Sieben dieser Werkhöfe waren für die Normalschüler (A) angedacht und ein Ju-
gendwerkhof für die sogenannten Hilfsschüler. Unterteilt wurden die sieben Heime
nochmals in zwei für Mädchen und fünf für Jungen. Für den Typ II, den sogenannten
langfristigen Aufenthalt, waren insgesamt 22 Jugendwerkhöfe vorgesehen.
13
Diese wurden unterteilt in 17 für Normalschüler und fünf für Hilfsschüler. 2416 Ju-
gendliche konnten somit in Erziehungsheimen des Typs II untergebracht werden.
Von den 17 Heimen waren nur drei für Mädchen und acht für Jungen vorbehalten.
Die anderen sechs Jugendwerkhöfe wurden genutzt, um Jungen und Mädchen
gleichzeitig zu erziehen und auch auszubilden. In diesem Kontext ist die Rede von
Koedukation ­ was bedeutet, dass es sich um einen gemeinsamen Aufenthalt von
10
Vgl.: Zimmermann 2004, S. 266
11
Vgl.: Eine Publikation des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg: Einweisung
nach Torgau, S. 89
12
Vgl.: Zimmermann 2004, S. 271 ff.
13
Vgl.: ebd., S. 274

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Jungen und Mädchen handelt, wobei bei der pädagogischen Umsetzung gleiche Zie-
le verfolgt werden. Speziell in großen Heimen, ab 100 Jugendliche, wurden die Ju-
gendlichen gemischt. Anhand der Heimen für Mädchen spiegelt sich auch das Ver-
halten der Jugendlichen wider. So lag die Einweisungsrate bei 60 % der Jungen und
etwa 40 % bei den weiblichen Einweisungen. Am Ende der DDR ­ Zeit waren 32 Ju-
gendwerkhöfe registriert.
14
2.4 Einweisung der Jugendlichen
Die Einweisung der Jugendlichen wurde nicht in allen Ländern/Kreisen gleich gere-
gelt. So wurden die Einweisungsregelungen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg
gesondert geregelt und diese Länder besaßen eigene Aufnahmeheime. Diese Hei-
me, auch Beobachtungsheime genannt, dienten ausschließlich der Beobachtung der
Jugendlichen. Durch einen mehrwöchigen Aufenthalt in diesem Heim lag die Priorität
darin herauszufinden, ob ein längerer Aufenthalt notwendig ist und somit eine Verle-
gung in ein Heim des Typs II.
15
In Mecklenburg wurden Lenkungsstellen eingerichtet, die die Aufgabe hatten, sich
regional um die Einweisung zu kümmern. Zuständig für alle Einweisungen war die
,,Zentrale Lenkungsstelle", welche dem Ministerium für Volksbildung untergeordnet
war. Die Aufgabe dieser Institution war es, die Aufnahmen und alle Jugendwerkhöfe
einheitlich zu betrachten und zu kontrollieren. Die Kreisreferate unterlagen auch der
Kontrolle der zentralen Lenkungsstelle, dadurch war ein regelmäßiger Austausch
gegeben, was wiederum bedeutet hat, dass die Kreisreferate Meldung über freie
Plätze machen mussten und über Besonderheiten oder Auffälligkeiten Meldung ge-
ben mussten.
16
Durch die permanenten gesetzlichen Änderungen stand auch die Jugendhilfe in
ständiger Veränderung. So wurde 1964 eine neue Stelle geschaffen, welche die Auf-
gabe hatte, spezielle Verfahren für eine Einweisung zu entwickeln. Aber auch die
weiteren darauffolgenden Schritte, wie etwa die regelmäßigen Kontrollen und die
Beaufsichtigungen der Heime, wurde von dieser Stelle aus betreut und überwacht.
Nach zwei weiteren Jahren nach dieser Änderung wurde der Weg der Einweisung
noch einmal neu beschlossen. 1966 war nur über eine Zustimmung des Rats des
14
Vgl.: ebd., S. 268
15
Vgl.: ebd., S.259 ff.
16
Vgl.: ebd., S. 261

- 9 -
Kreises eine Einweisung möglich und dieser Folge zu leisten. Grund dieser Änderung
war es, die direkten Einweisungen zu unterbinden. Für die Gerichte bedeutete das
einen Rückschlag, da diese die Jugendlichen nicht mehr durch einen Gerichtsbe-
schluss direkt einweisen durften. Den Jugendlichen wurde durch diese Veränderung,
die Möglichkeit gegeben, sich zu bewähren und nach einer kurzen Zeit wurde der
weitere Weg bestimmt, in welches Spezialheim der Jugendliche aufgenommen wer-
den sollte, wenn es denn überhaupt noch nötig war. Der Staat wollte somit einer
Fehlentscheidung vorbeugen und eine ungerechte Behandlung ausschließen. Die
Anordnung basierte auf Grundlage der Jugendhilfeverordnung.
17
Als die ersten Jugendwerkhöfe entstanden sind, wurde eine Einweisung als erstes
von den Eltern gestellt. In diesen Fällen wurde von freiwilligen Anträgen gesprochen.
Sämtliche Einweisungen waren allerdings auf Gerichtsurteile zurückzuführen. Das
Gericht hatte in der DDR das Recht, Jugendliche/Kinder ab dem 14. Lebensjahr zu
einer Freiheitsstrafe zu verurteilen. Freiheitsstrafe bedeutete in diesem Fall auch,
dass, wenn noch Hoffnung auf Umerziehung bestand, diese Jugendlichen in den ge-
schlossenen Jugendwerkhof Torgau eingewiesen wurden.
18
Gründe für eine Einweisung waren unter anderem kriminelle Delikte, sexuelle Über-
griffe, aber auch politische Widerstände. Aber auch Gründe wie beispielsweise Ver-
stöße an der Arbeitsstelle, Schule und Elternhaus, Herumtreiberei, Passvergehen,
Bandenbildung, Urkundenbetrug oder/und Staatsverleumdung. Im Fokus des Staates
stand im Laufe der 80iger Jahre die politische Einstellung von Jugendlichen. In die-
ser Zeit gab es besonders viele Einweisungen aus Gründen der politischen Provoka-
tion, Ablehnung des Systems oder durch stark soziale Verwahrlosung. Nachgewie-
sen wurden auch Einweisungen, welche weder einen Einweisungsantrag noch einen
richterlichen Beschluss nachweisen konnten. Durch diese gesetzeswidrige Handlung
wurde deutlich, welchen Einfluss der Staat auf die Institutionen hatte und dafür Sor-
gen getragen hat, dass auffällige Jugendliche schnell umerzogen werden sollten.
19
17
Vgl.: Eine Publikation des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg: Einweisung
nach Torgau; § 23 JHVO, S. 98
18
Vgl.: Zimmermann 2004, S. 261 ff.
19
Vgl.: Eine Publikation des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg: Einweisung
nach Torgau, S. 108 ff.

- 10 -
3. Jugendwiderstand in der DDR
Der gegen das kommunistische Regime gerichtete Widerstand kristallisierte sich ver-
stärkt Anfang der 50iger Jahre heraus. Als Feind wurden alle die eingestuft, welche
nicht die Ideologie des Staates vertraten.
20
In der DDR waren die Thematiken und
Widerstand und Oppositionen Tabu-Themen, gerade von Seiten der SED. Dennoch
bildeten sich Gruppen, besonders oppositioneller Jugendlicher. Bekannt ist die
Gruppe, welche den ,,Eisenberger Kreis" bildete. Sie bleibt aber auch die Ausnah-
me.
21
Dazu möchte ich nur einen kurzen Einblick gewähren, da sich das Thema der
Arbeit nicht ausschließlich mit dem ,,Eisenberger Kreis" beschäftigt, aber dennoch
eine Form des Widerstandes ausdrückt. Der Gründer Thomas Ammer gehörte der
FDJ an, aber nicht aus politischer Überzeugung, sondern damit er die Möglichkeit
hatte, sein Abitur zu machen. Die Ammer Gruppe setzte sich im Laufe der Grün-
dungsgeschichte mit einer weiteren Gruppe in Verbindung, welche die gleichen Ab-
sichten und Ziele verfolgte. Die zwei Gruppierungen, welche unabhängig voneinan-
der waren, schlossen sich dann zusammen.
22
Abb. 1: Gründer und Zeitzeuge des ,,Eisenberger Kreis" Thomas Ammer im Septem-
ber 2006 in der Robert-Havemann-Gesellschaft. Foto: Frank Ebert
Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft
20
Vgl.: Von zur Mühlen (1995), S. 241
21
Vgl.: a.a.O., S. 18
22
Vgl.: ebd.

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In Bezug auf die Jugendwerkhöfe geht es primär darum, dass sobald ein Jugendli-
cher nicht die Ideologie des Regimes vertritt, eingewiesen worden ist. Somit eine
Meinungsäußerung nicht möglich war ­ vor allem in der Öffentlichkeit.
23
Wer in der Öffentlichkeit für einen Widerstand aussprach, musste damit rechnen,
dass er von der Staatssicherheit, welche 1950 gegründet wurde, verfolgt wurde. Die
Strafen sollten abschrecken, um sich weiterhin gegen das Regime aufzulehnen. Die
Strafen konnten die Einweisung ins Zuchthaus, in die Psychiatrie oder die Einwei-
sung in den Jugendwerkhof bedeutete, je nach Alter und Straftat hat die Behörde das
Strafmaß ausgesprochen. Auch der Eisenberger Kreis war gegen u. a. gegen die
Scheinwahlen der SED, denn das Ergebnis der Wahlen wurde bereits im Vorfeld be-
schlossen. So ergangen ist es auch dem damals 18-jährigen Joseph Flade, der in
seiner sächsischen Heimatstadt Olbernhaus Flugblätter gegen die undemokratische
Volkswahl verteilte
;
vom Landgericht Dresden wird er dafür zum Tode verurteilt.
24
Er antwortete im Gericht auf das Urteil und auf die Frage, ob es ihm bewusst wäre,
dass er das höchste Strafmaß zu erwarten hatte:
"Auch wenn Sie mich zum Tode verurteilen, ich liebe die Freiheit mehr als mein Le-
ben."
25
Abb. 2: Joseph Flade
Quelle: Heft der KgU, Heft 3, Nov. 1952
3.1 Sozialistische Erziehung
Die Förderung der sozialistischen Erziehung lag in den Schwerpunkten Sport, Kultur
und Schule. Auf diese drei Bereiche bezogen sich die Gesetzgebungen. Auch das
23
Anm. des Verfassers
24
Vgl.:
http://www.jugendopposition.de/index.php?id=2658
25
http://www.munzinger.de/search/portrait/Hermann+Josef+Flade/0/3840.html

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Jugendgesetz wurde geändert und den Bedürfnissen der Jugendförderung ange-
passt. So wurden alleine zwischen 1950 und 1974 drei Gesetze zur Förderung ver-
abschiedet. Diese drei Gesetze waren:
1. Gesetz über die Teilnahme der Jugend am Aufbau der DDR und die Förde-
Rund der Jugend in Schule und Beruf, bei Sport und Erholung (1950)
2. Gesetz über die Teilnahme der Jugend der DDR am Kampf um den umfas-
senden Aufbau des Sozialismus und die allseitige Förderung ihrer Initiati-
ve bei der Leitung der Volkswirtschaft und des Staates, in Beruf und Schu-
le, bei Kultur und Sport (1964)
3. Gesetz über die Teilnahme der Jugend an der Gestaltung der entwickelten
Sozialistischen Gesellschaft und über ihre allseitige Förderung in der
DDR.
26
Durch die Gesetze wird deutlich, dass es dem Regime sehr wichtig war, die Jugend
am Aufbau der DDR und dem Sozialismus zu beteiligen und diesen zu verinnerli-
chen. Durch die Gründung von Jugendgruppen, wie etwa den Jungpioniere, Thäl-
mann-Pioniere und die FDJ, innerhalb der Schulen, sollte ein Zusammenhalt ge-
schaffen werden und ein kollektives Miteinander. Der Staat wollte die sozialistische
Erziehung nicht ausschließlich dem Elternhaus überlassen, sondern übernahm gro-
ßen Einfluss, schon durch Pflichtveranstaltungen in den Schulen. Aus der Verfas-
sung der DDR, im Artikel 31 vom 7.10.1949 hieß es:
,,Die Erziehung der Kinder zu geistig und körperlichen tüchtigen Menschen im Geiste
der Demokratie ist das natürliche Recht der Eltern und deren oberste Pflicht gegen-
über der Gesellschaft."
27
Für den Staat war es außerordentlich wichtig, dass die sozialistische Erziehung in
allen Lebensbereichen wiederzufinden war. Die Kinder sollten sich in das bestehen-
de System einordnen, mit all ihren allseitigen und psychischen Entwicklungsschritten;
durch die menschenbildende Einwirkung in Form der Arbeit sollten weitere sozialisti-
sche Ideologien vermittelt werden. Für das Regime war die Erziehung durch Arbeit
die eigentliche und wichtigste Voraussetzung für das Menschwerden.
28
Aufgabe der
Institutionen, dazu zählten alle Betreuungseinrichtungen sowie Heime und Jugend-
werkhöfe, war es durch Erziehungsmaßnahmen das Gemeinschafts- und Kollektiv-
26
Niermann (1974), S. 114
27
Helwig, Gisela (1984): Jugend und Familie in der DDR, S. 107
28
Vgl.: Niermann (1974), S. 84 ff.

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verhalten zu stärken sowie die Werte der sozialistischen Erziehung weiterzugeben
und somit auch eine Vorbildfunktion inne zu haben. Das höchste Ziel der Einrichtun-
gen, wie z. B. Schule, Hort, Kinderkrippe, Kindergarten, war es, das die zu Erziehen-
den in die bestehende sozialistische Gesellschaft aufgenommen werden und sich
nützlich einbringen. So war auch das oberste pädagogische Ziel in allen Heimen, in
denen es um eine Umerziehung ging. Die Mitarbeiter sollten die Jugendlichen zu
vollwertigen Mitgliedern der sozialistischen Gesellschaft umerziehen und das Be-
wusstsein dieser stärken.
29
3.2 Kollektiverziehung
Durch die Einbeziehung von den o.g. Institutionen wurde nicht nur sozialistisches
Gedankengut sehr früh verankert, sondern auch die Kollektiverziehung in frühen Kin-
derjahren gestärkt und gefördert. Heute und zur Zeit der Bundesrepublik Deutsch-
lands zur Zeit der Teilung verstand man unter dem Begriff Kollektiv jenes, was wir
heute als Team oder Arbeitsgruppe bezeichnen. In der DDR wurde der Begriff Kol-
lektiv in etwas anderer Form abgewandelt und angewandt. Der Begriff der Kollekti-
verziehung steht dem Begriff der Individualisierung gegenüber und hat in vielen west-
lichen Ländern keinen festen Bestandteil in der Erziehung gefunden. Schon der Phi-
losoph Rousseau (1750) befasste sich in der Neuzeit mit den Gegensätzen Kollektiv
und Individualismus/Subjekt sowie zur Zeit der Antike waren es Platon und Aristote-
les, welche sich mit dem Gemeinwohl und Glück des Einzelnen befassten und philo-
sophierten. In der Zeit des Mittelalters war es Thomas von Aquin, der sich mit dem
Gemeinwohl auseinandersetzte. So hatte jede Zeit seine Philosophen, Meinungen
und Ansichten, welche gegensätzlich diskutiert worden sind und sich mit dem ver-
schiedenen Machtwechsel und Wechsel der Epochen änderten.
30
In Frankreich war
die kollektivistische Einstellung innerhalb der Sozialwissenschaften stark vertreten
gewesen. Bekannte Vertreter, wie Durkheim und seine Schüler, setzten durch ihre
Schriften der Individualisierung entgegen. Dennoch kann in der modernen philoso-
phischen Erkenntnistheorie mehrheitlich gesagt werden, dass der Fokus bei der Be-
29
Vgl. a.a.O.
30
Vgl.: Regenbogen/Meyer(2005) : Wörterbuch der philosophischen Begriffe, S. 236

- 14 -
trachtungsweise auf dem Subjekt liegt und somit individuelle Verhaltensweisen im
Vordergrund standen
31
Aber zurück zur Kollektiverziehung der DDR, welche auf den sowjetischen Pädago-
gen Anton Semjonowitsch Makarenko zurückzuführen ist. Er lebte von 1888-1939
und galt als Gründer und starker Anhänger der Kollektiverziehung. Für ihn wichtige
Merkmale der Kollektiverziehung waren: Disziplin, Ehrlichkeit, Kritik, Arbeit und ein
hohes Maß an Verantwortung. Seiner Meinung nach sollte ein Kollektiv eng mit ande-
ren Kollektiven verbunden sein und durch eine gemeinsame Zielsetzung und durch
gemeinschaftliche Arbeit dem Wohle aller dienen. Das Ziel der Kollektiverziehung
war es, dass das Kollektiv den Einzelnen erziehen sollte.
32
Der Begriff der Kollekti-
verziehung zu Zeiten der DDR ist heute mit negativen Attributen behaftet, da dies
eng im Zusammenhang mit Appellen, Drill und Züchtigung stand. Das Erziehungs-
system von Makarenkos orientierte sich an Rousseau und Pestalozzi, die beide der
Meinung waren, das der wildgewordene Mensch ohne jegliche Form von Erziehung
der Gesellschaft schadet.
33
Die Einstellung des Pädagogen wurden in der Zeit der
Kollektiverziehung nicht mehr geachtet. Sein Leitspruch ,,Ich fordere dich, weil ich
dich achte" beinhaltete nicht die Fahnenapelle, den Politdrill oder die Prügelstrafe.
Letzteres lehnte er komplett ab und setzte bei seiner Erziehungsmethode auf die Au-
torität der Erzieher und dem respektvollen Umgang mit den Kindern. Aber auch das
Vertrauen und die Aufrichtigkeit dem zu Erziehenden gegenüber nahmen einen gro-
ßen Stellenwert bei der Erziehung nach Makarenko ein. Bei allen seinen Maßnah-
men durfte der gesunde Menschenverstand nie außer Acht gelassen werden, son-
dern war immer ein fester Bestandteil, sich diesem auch zu bedienen.
34
Wann wurde die Umsetzung der Kollektiverziehung nun aber in DDR gestaltet?
Die Prozessabläufe und die festgelegten Strukturen waren in allen Einrichtungen
vorgegeben. Sie unterschieden sich nur in den Heimen und Jugendwerkhöfen, in
allen anderen Gruppen und Brigaden, Schulen, Horteinrichtungen, Kindergärten und
innerhalb der Jugendgruppen wurden gleiche Bedingungen und Voraussetzungen für
eine Umsetzung geschaffen. Die Einführung eines Erziehungs-Stufen-Systems wur-
de in den ersten Jahren nach dem Krieg eingeführt. Setzte sich aber nicht durch, da
31
Vgl.: http://dreiweltentheoriekritik.wordpress.com/tag/rousseau/
32
Vgl.: Brockhaus Enzyklopädie (1990), S. 175
33
Vgl.:http://paedagogik-nksa.blogspot.de/2006/05/vergleich-rousseau-und-pestalozzi.html
34
Vgl.: http://www.morgenpost.de/familie/article1407679/Der-Kollektiverzieher-Anton-Semjonowitsch-
Makarenko.html

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2012
ISBN (PDF)
9783863419059
ISBN (Paperback)
9783863414054
Dateigröße
870 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Justus-Liebig-Universität Gießen
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Schlagworte
Deutsche Demokratischen Republik Erziehungswissenschaft Heim Jugendhilfe Bildungssystem

Autor

Wiebke Knobloch wurde 1980 in Wismar geboren. Das Studium der Erziehungswissenschaft (BA Außerschulische Bildung) schloss die Autorin erfolgreich an der Justus-Liebig Universität in Gießen ab.
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