Das Erfolgsgeheimnis des Apple App Stores: Eine diffusionstheoretische Analyse
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
2. Die Diffusion virtueller Güter
2.1 Grundlagen der klassischen Diffusionstheorie
Die Thematik der Diffusion stammt aus der Sozialforschung und wird seit den 1960er Jahren auch im betriebswirtschaftlichen Kontext behandelt. Gegenstand der Diffusionstheorie ist die Beschreibung, Erklärung und Prognose der Ausbreitung von Innovationen.[1]Einer der wichtigsten Vertreter dieser Forschungsrichtung ist Everett M. Rogers, der Diffusion definiert als einen Prozess, in dem eine Innovation über verschiedene Kanäle durch Mitglieder eines sozialen Systems mit der Zeit kommuniziert wird.[2]Aus dieser Definition werden die vier elementaren Bestandteile des Diffusionsprozesses deutlich: die Innovation, der Kommunikationskanal, das soziale System sowie die Zeitkomponente. Innovation kann als Idee, Objekt oder als eine Verfahrens- oder Verhaltensweise verstanden werden, die von einem Individuum als neu empfunden wird.[3]Die Attribute einer Produktinnovation wie relativer Vorteil, Kompatibilität, Komplexität, Erprobbarkeit und Kommunizierbarkeit sind signifikant, um die Verbreitung einer Innovation zu erklären.[4]Diese werden auch die fünf Rogers-Kriterien genannt.[5]Eng verbunden mit der Diffusionstheorie ist die Adoptionstheorie, die den Verlauf der Übernahme einer Innovation und die intrapersonellen Faktoren der persönlichen Adoptionsprozesse in den einzelnen Phasen – von der ersten Kenntnisnahme bis zur Entscheidung - betrachtet. Auf dieser Ebene bezeichnet Adoption die individuelle Entscheidung eines Nachfragers zur Übernahme oder Ablehnung einer Innovation. Aggregiert bilden diese Adoptionsentscheidungen den Diffusionsverlauf der jeweiligen Produktinnovation.[6]Faktoren, die den Adoptionsprozess beeinflussen, können das Produkt, den Konsumenten selbst, das innovierende Unternehmen sowie seine externe Umwelt betreffen.[7]In der Literatur findet man zahlreiche diffusionstheoretische Modelle, die in Form von mathematischen Gleichungen deskriptive, prognostische oder normative Ziele bezüglich des Verlaufs der Diffusionskurve einer Produktinnovation verfolgen.
2.2 Von der klassischen zur erweiterten Diffusionstheorie
2.2.1 Die Diffusion von Netzeffektgütern
Die dargestellten Aussagen der klassischen Adoptions- und Diffusionstheorie wurden für einen bestimmten Gütertypus entwickelt, nämlich für Singulärgüter. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie für den Nutzer einen vorwiegend originären Nutzen stiften, der sich direkt aus der Beschaffenheit und dem unmittelbaren Verwendungszweck des jeweiligen Gutes ergibt. Entsprechend ist allein der Kauf entscheidend für die Adoption und somit den Markterfolg eines Singulärgutes, nicht seine anschließende Nutzung. Auch ist es unerheblich, ob und inwieweit das Produkt bereits unter anderen Konsumenten Verbreitung gefunden hat.[8]Daher ist anzumerken, dass die Diffusionstheorie in ihrer ursprünglichen Form nur beschränkt übertragbar ist auf Güter, die diese Charakteristika nicht aufweisen. Infolgedessen entwickelte sich seit den 1990er Jahren eine ergänzende Forschungsrichtung, die die Diffusion und Adoption von so genannten Netzeffektgütern[9]bzw. Netzprodukten[10]untersucht. Nach Katz und Shapiro (1985) zeichnen sich Netzeffektgüter darin aus, dass ihr Nutzen für den Konsumenten mit der Anzahl an anderen Konsumenten, die dieses Gut kaufen, steigt.[11]Netzeffektgüter unterscheiden sich von Singulärgütern dahingehend, dass sie direkten oder indirekten Netzeffekten unterliegen. Direkte Netzeffekte liegen vor, wenn der Nutzen eines Produktes für den Konsumenten als höher eingestuft wird, sobald es weitere Verwender des selben oder eines kompatiblen Produktes gibt, wie z.B. beim Telefon.[12]Indirekte Netzeffekte resultieren nur mittelbar aus der zunehmenden Nutzerzahl, da sie erst aus der Interdependenz zwischen Angebot und Nachfrage entstehen.[13]Dieser marktvermittelnde Effekt bewirkt, dass sich bei einer Expansion der Nutzerzahl auch das Angebot an Komplementärgütern erweitert (Varietätsargument) und der Preis sinkt (Preisargument).[14]Je größer beispielsweise die Verbreitung einer Spielkonsole als Hardware-Komponente ist, desto umfangreicher wird auch die angebotene Auswahl an komplementärer Spielesoftware. Bei einer anzunehmenden Präferenz für Vielfalt erhöht dies den Nutzen der Spielkonsole für den Konsumenten. Katz und Shapiro (1985) sprechen in diesem Zusammenhang vom „Hardware-Software-Paradigma“.[15]
Insbesondere für die Informationswirtschaft und das Handeln mit virtuellen Gütern sehen Shapiro und Varian (1999) die wachsende Bedeutung von Netzeffekten: „[T]he old industrial economy was driven byeconomies of scale; the new information economy is driven byeconomics of networks.“[16]. Es besteht ein virtuelles Netzwerk, das die Nutzer miteinander verbindet und Netzwerkeffekte begünstigt. So bilden Nutzer, die das gleiche Betriebssystem (z.B. Microsoft Windows) benutzen, ein virtuelles Netzwerk. Je mehr Nutzer es gibt, umso größer wird das Angebot an Software für dieses System sein (indirekte Netzeffekte) und mit umso mehr Leuten können kompatible Dateien (z.B. Microsoft Word) ausgetauscht werden (direkte Netzeffekte). Nach Arthurs Gesetz (1996) unterliegt die Informations- und Internetbranche nicht den sinkenden Grenzerträgen der Industrie oder Landwirtschaft, die z.B. durch Koordinationsprobleme bei zu vielen Mitarbeiten oder durch geografische Faktoren entstehen, sondern es sind durchaus steigende Grenzerträge (increasing returns) möglich. Nach den hohen Entwicklungskosten für virtuelle oder digitale Güter wie Software sind die Kosten der Vervielfältigung sehr gering.[17]Der Wettbewerb dreht sich also nicht mehr darum, wer am günstigsten produziert, sondern wer schnell die kritische Masse an Nutzern erreicht, um die oben genannten Netzeffekte für sich ausnutzen zu können. Ähnlich verhält es sich auch mit elektronischen Marktplätzen oder Internet-Communities, deren Nutzen mit der Anzahl an Teilnehmern steigt.[18]Auch diese können im weiteren Sinne als virtuelle Güter gesehen werden.
Beim Apple App Store[19]ist nicht der Kaufakt, den man als Registrierung auf der Plattform interpretieren kann, sondern die aktive Teilnahme bedeutend für den Nutzen. Dieser wächst mit einer höheren Anzahl an Komplementärprodukten, also den Applikationen, die gehandelt werden, und mit der Intensität der Nutzung. Es wirken marktvermittelnde, also indirekte Netzwerkeffekte. Je mehr Entwickler neue Apps programmieren und anbieten, desto größer ist der Nutzen für die Kunden, deren steigende Nutzung wiederum vorteilhaft für die Anbieter ist.
Die hier dargestellten Eigenschaften sprechen dafür, dass der App Store kein Singulärgut ist und die Aussagen der klassischen Diffusionstheorie nicht ohne Modifikation angewendet werden können. Vielmehr erfüllt der App Store Charakteristika eines virtuellen Netzeffektgutes. Daher gilt es bei der Analyse der Diffusion des App Stores, die Konsequenzen indirekter Netzeffekte und die Besonderheiten der Diffusion von Netzeffektgütern zu berücksichtigen, die zu einer Ausbreitungsdynamik führen können. Von zentraler Bedeutung für die Diffusion von Netzeffektgütern sind dabei die installierte Basis, Kompatibilitätsentscheidungen und die Erwartungshaltung der Konsumenten, sowie die so genannte kritische Masse.[20]Auf die Verbreitung von Netzeffektgütern kann nach Wiese (1990) durch kommunikations-, preis- und produktpolitische Maßnahmen Einfluss genommen werden. Ansätze hierfür sind die Beeinflussung der Erwartungshaltung, Preisdifferenzierung sowie die Förderung der Produktion von Komplementärgütern.[21]Borowicz und Scherm (2001) führen noch den Markteintrittszeitpunkt und die Organisation externer Beziehung auf.[22]Auf konkrete Maßnahmen von Apple zur Förderung der Diffusion des App Stores und Hemmnisse dieses Prozesses soll im Abschnitt 4 näher eingegangen werden.
2.2.2 Die Diffusion bei Interproduktbeziehung
Die Notwendigkeit der Erweiterung der klassischen Diffusionstheorie für Netzeffektgüter wurde im vorangegangenen Abschnitt deutlich. Doch nicht nur hinsichtlich des geschaffenen Nutzens, sondern auch bezüglich möglicher Verbundbeziehungen ist die klassische Diffusionstheorie zu erweitern. Die Einführung neuer Produkte verläuft in der Realität nicht in einem “Vakuum”, sondern immer auch im marktlichen Kontext anderer Produkte.[23]Interaktionen zwischen Produkten kann ihre Diffusion maßgeblich beeinflussen, weshalb die Berücksichtigung von Verbundwirkungen nicht nur in der Diffusions- und Marketingliteratur sondern auch bei Produktmanagern an Aufmerksamkeit gewonnen hat. Eine der ersten Arbeiten zu diesem Thema stammt von Peterson und Mahajan (1978), die basierend auf dem Bass-Diffusionsmodell[24]ein Wachstumsmodell für vier Interaktionsmöglichkeiten von Produkten erstellt haben: unabhängige Güter, Substitute, Komplementärgüter und kontingente Güter.[25]Eine Übersicht vielfältiger Beziehungen zwischen einem bereits am Markt existierenden und einem neuen Produkt zeigt auch die 9-Felder-Matrix von Bayus et al. (2000).[26]Im Folgenden sollen zwei Formen der Produktinteraktion näher betrachtet werden: Komplementarität und Kontingenz.
Komplemetäre Güter verbindet eine wechselseitige und symmetrische Beziehung zueinander: Die Verkäufe des einen Produktes wirken sich positiv auf das Absatzwachstum des anderen aus. Peterson und Mahajan (1978) sprechen daher auch von einer “feedback”-Natur.[27]Da sie auch getrennt voneinander konsumierbar sind, verlaufen ihre individuellen Adoptionspfade unabhängig voneinander. Während eine substitutive Produktbeziehung verlangsamend auf die Diffusion des neuen Produktes wirkt, beschleunigt eine komplementäre Produktbeziehung die Diffusion.[28]Für den Konsum eines kontingenten Gutes ist der vorangegangene Kauf des Primärgutes Voraussetzung. Käufer des ersten Gutes bilden somit die Masse an potentiellen Adoptern des zweiten Gutes. Die Beziehungen zwischen beiden ist im Gegensatz zu Komplementären nur einseitig gerichtet: Der Erfolg des kontingenten Produktes ist bedingt durch den Erfolg des Primärproduktes und somit kritisch für den gemeinsamen Diffusionsverlauf.[29]
Das Untersuchungsobjekt dieser Arbeit sind Marktplätze, auf denen Apps gehandelt werden. Diese sind jedoch ohne das entsprechende Endgerät nicht nutzbar. Im speziellen Fall der Firma Apple ist der Besitz eines iPhones obligatorisch für die Nutzung, und damit die Adoption des Apple App Stores.[30]Dies weist zunächst auf eine kontingente Beziehung hin. Dementsprechend spiegeln alle Besitzer der entsprechenden Hardware das Marktpotenzial des App Stores wieder. Ebenso werten Applikationen das entsprechende Smartphone auf. Diese besondere Beziehung wird in der 9-Felder-Matrix von Bayus und Kim (2000) als “facilitating products” bezeichnet.[31]Ein ähnlicher Effekt kann auch bei “enhancing complements” beobachtet werden, die den Verkauf des Produkts, dessen Funktionalität sie erhöhen, fördern.[32]Ein einseitiger Effekt ist somit zunächst unstrittig. Auf der anderen Seite kann jedoch auch das iPhone einen positiven Einfluss auf die Adoption des App Stores ausüben. Eine positive Erwartungshaltung der Konsumenten bezüglich des Erfolgs eines Produktes fördert die Adoption und kann durch kommunikationspolitische Maßnahmen hervorgerufen werden.[33]Diese symmetrische Interaktionsbeziehung ist wiederum eine zentrale Eigenschaft komplementärer Güter. Der Anwendungsfall App Store zeigt sowohl komplementäre als auch kontingente Aspekte auf. Die Erklärung der Diffusionsdeterminanten erfordert demzufolge eine Erweiterung der klassischen Diffusionstheorie für Produktinteraktionen. Ist die Art und Weise der Verbundwirkung von Produktinnovationen identifiziert, können entsprechende strategische Maßnahmen instruiert werden.[34]
3. Die zwei Seiten des Marktes für Smartphone-Applikationen
3.1 Das Grundprinzip zweiseitiger Märkte
Nach einem Überblick über ausgewählte Bereiche der Diffusionsforschung soll das Geschäftsmodell App Store in einen marktlichen Kontext eingeordnet werden. Dies soll anhand der Theorie der zweiseitigen Märkte geschehen. Die Theorie der zweiseitigen Märkte kann als eine Kreuzung zwischen der Netzeffekttheorie und der Multiprodukt-Literatur, die im vorangegangenen Kapitel behandelt wurden, gesehen werden.[35]So unterscheiden neuere Studien zwischen ein- und zweiseitigen indirekten Netzeffekten, wobei letztere daraus resultieren, dass eine Plattform als Intermediär zwischengeschaltet ist.[36]Rochet und Tirole (2006) definieren zweiseitige Märkte als „markets in which one or several platforms enable interactions between end-users and try to get the two (or multiple) sides „on board“ by appropriately charging each side“[37]. Es bestehen interdependente Beziehungen zwischen den Seiten, die im vorangegangenen Kapitel als Netzeffekte definiert wurden: Je größer die Anzahl der Marktteilnehmer auf der einen Seite, desto attraktiver ist dieser zweiseitige Markt für die andere Seite, et vice versa. Ein Intermediär oder ein Plattformbetreiber auf einem solchen Markt kann durch seine Preis- oder Gebührenstruktur diese Externalitäten internalisieren.[38]Die empirischen Untersuchungen von Evans (2003) zeigen die Praxisrelevanz des noch jungen Forschungsgebietes.[39]Er unterscheidet zwischen drei Grundtypen zweiseitiger bzw. mehrseitiger Plattformen: „demand coordinators“, „audience makers“ und „market makers“. Erstere generieren durch ihre Dienstleistung oder ihr Produkt indirekte Netzeffekte zwischen zwei oder mehreren Gruppen (z.B. Videospielkonsolen). „Audience makers“ sind Medien, die Werbetreibende mit dem Publikum zusammenführen (z.B. Internetportale wie web.de). „Market makers“ ermöglichen es Mitgliedern bestimmter Gruppen, miteinander Transaktionen durchzuführen (z.B. eBay). Mit einer steigenden Anzahl der Teilnehmer erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass Angebot und Nachfrage aufeinander treffen. Einen ähnlichen Ansatz wählt auch Kollmann und Stöckmann (2000, 2007), der bei der Untersuchung der Diffusion von elektronischen Marktplätzen und Web 2.0 Plattformen auch auf die bilaterale Kundenorientierung und den damit zusammenhängenden Phänomenen eingeht.[40]Gerade in der Internet- und Informationsbranche sind viele Ausprägungen solcher Geschäftsmodelle zu beobachten.
3.2 Der Apple App Store als zweiseitiger Markt
Der App Store ist eine Distributionsplattform für den Vertrieb von Zusatzsoftware für das iPhone. Über diesen virtuellen Marktplatz können Drittanbieter ihre selbstprogrammierten Applikationen zu einem individuellen Preis zum Download anbieten. Nutzer erreichen den App Store direkt über die vorinstallierte Anwendung auf dem iPhone oder über die Apple iTunes Software vom PC aus. Apple, in seiner Doppelfunktion als Hersteller der Hardware und zugleich Betreiber der Plattform, aggregiert die Angebote, übernimmt die Bereitstellung, das Marketing und die Zahlungsabwicklung. Eine zahlreiche Teilnahme von Entwicklern führt zu einer größeren Auswahl an angebotenen Applikationen und erhöht damit den Nutzen für die Kundenseite. Gleichzeitig vergrößert sich der Nutzen der Entwickler mit der Anzahl an Nutzern, die ihre Apps kaufen. Es bestehen Netzwerkexternalitäten, die der Plattformbetreiber internalisieren muss. Das Geschäftsmodell des App Stores besitzt Aspekte eines elektronischen Marktplatzes, jedoch spielen hier indirekte Netzeffekte eine zentrale Rolle, weswegen er auch als „demand coordinator“ gesehen werden kann. Folgende Eigenschaften charakterisieren die beiden Marktseiten:
(1) Die Nutzer oder auch Anwender von Smartphone-Applikationen sind Besitzer eines iPhones, das die Voraussetzung für die Nutzung von Applikationen ist. Der Preis für ein Apple iPhone liegt je nach Modell zwischen 360 Euro und 630 Euro. Das Interesse der Nutzer besteht in der großen Auswahl an verschiedenen Apps, die zu einem günstigen Preis angeboten werden und ihnen zusätzlich zu den generischen Funktionen des Smartphones einen Mehrwert bieten.
(2) Die Entwickler, die Individuen, kleine Start-Up Unternehmen oder große Softwarehäuser sein können, programmieren diese Applikationen und ziehen Nutzen aus der großen Anzahl an Anwendern, die ihre Apps konsumieren, wodurch ihre Kosten für die Entwicklung amortisiert werden und Gewinne erreicht werden können. Damit sie ihre Applikationen im App Store anbieten können, ist ein Apple-Entwickleraccount notwendig, der jährlich mit 99 US-Dollar zu Buche schlägt. Das Erlösmodell des Apple App Stores sieht eine 70-prozentige Beteiligung der Entwickler an jeder verkauften Einheit vor. Die restlichen 30 Prozent behält Apple als Transaktionsgebühr ein. Dieses Kooperationsmodell ist nach Buxmann et al. (2010) eine typische „Revenue-Share-Beziehung“.[41]
Zudem kann noch ein weiterer Stakeholder identifiziert werden, der hier und im Folgenden als Auftraggeber bezeichnet wird. Der Auftraggeber entwickelt seine Apps nicht selbst, sondern beauftragt einen technischen Dienstleister mit der Programmierung. Beispiele für Auftraggeber finden sich bei bekannten Markenartikelherstellern, Restaurants oder Automobilhändlern, deren Anliegen es ist, das Image oder das Kernprodukt mit einer meist kostenlosen Applikation für Endkunden zu bewerben und attraktiver zu machen. Sie haben daher grundsätzlich ein ähnliches Interesse wie die Entwickler, nämlich möglichst viele Nutzer anzusprechen. Jedoch stehen sie unter einem anderen Einfluss, worauf in Abschnitt 4.2.2.1 näher eingegangen wird.
Abbildung 1 stellt das Beziehungsgeflecht zwischen dem App Store und den beteiligten Parteien dar. Es bestehen marktvermittelnde, also indirekte Netzeffekte zwischen den Marktseiten „Nutzer“ und „Entwickler“, die durch den App Store als zweiseitigen Markt internalisiert werden sollen. Zudem haben die Nutzer auch direkten Einfluss auf die Entscheidung der Auftraggeber einer iPhone-Applikation, da ihr Kundenprofil als attraktive Zielgruppe für Unternehmen wahrgenommen wird. Weiterhin bestehen Ausstrahlungseffekte zwischen dem iPhone und dem App Store als interdependentes Güterpaar. Sowohl Nutzer als auch Entwickler werden vom iPhone beeinflusst. Auf die hier genannten Faktoren wird in Abschnitt 4 näher eingegangen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Das Beziehungsgeflecht des App Stores (eigene Darstellung)
4. Analyse der Diffusionsfaktoren am Beispiel des Apple App Stores
Die vorangegangenen Abschnitte dienten dem Abstecken eines konzeptionellen Rahmens, in den das Untersuchungsobjekt mit seinen Netzeffektbeziehungen eingebettet wurde. Es folgt nun eine Analyse von Diffusionstreibern und –hemmnissen, die nacheinander aus Nutzer- und Entwicklerperspektive untersucht werden.
4.1 Diffusionstreiber
4.1.1 Diffusionstreiber auf Nutzerseite
4.1.1.1 Vertrauen und positive Erwartungshaltung
Im Abschnitt 2.2.2 wurde deutlich, dass eine Interproduktbeziehung zwischen dem iPhone und dem App Store besteht, die sowohl auf eine komplementäre als auch auf eine kontingente Verbindung hinweist. Die Definition von kontingenten Gütern schließt eine symmetrische Beeinflussung aus und beschreibt nicht den Einfluss des App Stores auf den Verkauf des iPhones. Gerade dieser Effekt ist jedoch anzunehmen, da die auf dem App Store gehandelten Apps die Funktionen des iPhones erweitern und es somit attraktiver für Konsumenten macht. Eine komplementäre Beziehung bezieht beideeitig gerichtete Effekte mit ein, allerdings mit der Einschränkung, dass die Güter für gewöhnlich getrennt voneinander konsumiert werden. Eine trennscharfe Einteilung in eine der beiden Kategorien ist nicht möglich. In Anbetracht des Analyseziels erscheint eine Behandlung als komplementäre Güter jedoch realistischer und zielführender.
Bei Netzeffektgütern besteht ein Informations- und ein Vertrauensproblem, da der Nutzen ex ante noch nicht sichtbar ist.[42]Kritisch für den Plattformbetreiber ist es daher, diese Unsicherheiten sowohl auf Angebots- als auch auf Nachfrageseite abzubauen, um die neue Plattform zu etablieren und das Startproblem der Marktschaffung zu lösen. Dieses entsteht dadurch, dass die ersten Marktplatzteilnehmer noch nicht von Netzeffekten profitieren können und daher erst überzeugt werden müssen.[43]Folgende Strategien von Apple können dazu beigetragen haben:
- Vertrauen durch Markenimage
- Positive Erwartungshaltung durch gezielte Kommunikation.
Auf Märkten, in denen Netzeffekte vorliegen, ist der Ruf einer Firma, erfolgreiche Produkte herzustellen, förderlich für die Diffusion und dient quasi als „Geisel“ für den zukünftigen Erfolg.[44]Ebenso hängt die Adoptionsentscheidung des einzelnen Konsumenten von vorherigen Erfahrungen ab. Ein zufriedener Kunde, der in der Vergangenheit eine positive Einstellung zu einer Marke oder eine Technologie gebildet hat, kauft mit höherer Wahrscheinlichkeit auch in einer anderen Produktkategorie ein Produkt des ihm bereits bekannten Herstellers.[45]Apple hat im Laufe seines Bestehens eine äußerst loyale Kundenbasis gewonnen.[46]Von einem Außenseiter im Schatten von IBM und Microsoft ist Apple zu einer mächtigen Lifestyle-Marke avanciert.[47]Der einfachen Bedienung, der fortschrittlichen Technologie und dem modernen Design der Geräte, allen voran das iPhone, ist es zu verdanken, dass die Marke von vielen Konsumenten als innovativ und erfolgreich wahrgenommen wird. Es hat sich eine Gemeinschaft um die Marke Apple gebildet, die sich mit den Produkten identifiziert. Diese emotionale Beziehung wird von der Marketingstrategie noch verstärkt. Dies prägt die Meinung sowohl von bestehenden als auch von potentiellen Kunden, die auf den zukünftigen Erfolg weiterer Apple-Produkte vertrauen.[48]
Für das Bilden der positiven Erwartungshaltung gegenüber dem App Store ist eine besondere Strategie bezüglich des Zeitpunktes der Veröffentlichung und der Marketingaktivitäten zu beobachten. Bereits vier Monate vor der Markteinführung des iPhone 3G und der Eröffnung des App Stores im Juli 2008 veröffentlichte Apple das kostenlose iPhone Software Development Kit (SDK), mit dem Entwickler-Firmen eigene native Applikationen für das iOS-Betriebssystem des iPhones programmieren konnten. Gleichzeitig existierte eine Kooperation zwischen Apple und Kleiner Perkins Caufield & Byers (KPCB), einem kalifornischen Wagniskapitalgeber, der einen Investitionspool in Höhe von 100 Millionen US-Dollar auflegte. Von diesem „iFund“ sollten vor allem Start-Up Firmen profitieren, die innovative Apps für die iOS-Plattform entwickeln.[49]Bereits einen Tag vor der Vorstellung des SDK gab es Gerüchte in der Entwickler-Szene um eine erste native iPhone-App der Firma eBay, die einen vorzeitigen Zugriff auf das noch unveröffentlichte SDK gehabt haben soll.[50]Typisch für die Produktkommunikation von Apple sind die im Vorfeld verbreiteten Gerüchte, die auf einschlägigen Webseiten wieMacrumors.comoderAppleinsider.comkursieren. Dabei ist oft nicht klar, ob diese bewusst von Apple im Rahmen einer viralen Marketingstrategie[51]gestreut werden oder aufgrund von aufmerksamen Beobachtungen von Journalisten und Bloggern entstehen.[52]In einer offiziellen Pressemitteilung kündigte Apple den App Store an als „a breakthrough way for developers to wirelessly deliver their applications to iPhone and iPod touch users.“[53]. Solche Produktvorankündigungen, auch „Prämarketing“ oder „Vapor-Marketing“ genannt, können bereits vor dem Launch Adoptionsprozesse auslösen. Ermöglicht wird dies durch die Informationsdiffusion, die der eigentlichen Diffusion des Produktes vorausgeht.[54]Bereits nach den ersten Tagen wurde das SDK 100.000 Mal von Entwicklern heruntergeladen.[55]Zur offiziellen Veröffentlichung des iPhone 3G und des App Stores waren bereits 552 Apps verfügbar, darunter Anwendungen von bekannten Unternehmen wie facebook, PayPal und eBay, wie im Vorfeld schon vermutet wurde.[56]
Die nachfolgende Werbekampagne für das iPhone 3G kommunizierte im Gegensatz zu vorangegangenen Kampagnen für andere Produkte des Unternehmens nicht die Technologie der Hardware, sondern den umfangreichen Zusatznutzen durch die zahlreichen Anwendungen auf der angeschlossenen Plattform. Mit dem Werbeslogan „There’s an App for that“ fokussierte die Marketingstrategie weniger das Gerät an sich, sondern die Erfüllung der individuellen Kundenbedürfnisse durch die Zusatzprogramme.[57]Nach drei Tagen wurde das iPhone 3G eine Million Mal verkauft und 10 Millionen Apps aus dem angeschlossenen App Store heruntergeladen.[58]Die Koppelung des iPhone 3G, des App Stores und der Apps war aus produktpolitischer Sicht ein strategischer Schachzug, der durch den Zeitpunkt des gleichzeitigen Markteintritts intensiviert wurde. Dadurch wurden die beschleunigenden Ausstrahlungseffekte, die bei einer komplementären Produktbeziehung wirken, optimal ausgenutzt.[59]Der beschriebene Erfolg der ersten Generation des Apple iPhones schaffte somit zugleich eine positive Grundhaltung der potentiellen Nutzer und Entwickler des App Stores. Markenimage, Zeitpunkt des Markteintritts und die gezielte Kommunikation der komplementären Produkte vertieften die Vertrauensbasis der Endkunden und förderten die Schaffung einer positiven Erwartungshaltung, die dabei half, das Startproblem zu lösen und schnell eine installierte Basis aufzubauen.
[...]
[1] Vgl. Böcker/ Gierl (1988), S. 32.
[2] Vgl. Rogers (1995), S. 5.
[3] Vgl. ebenda, S. 11.
[4] Vgl. ebenda, S. 15f.
[5] Vgl. Krafft/ Litfin (2002), S. 64.
[6] Vgl. Litfin (2000), S. 19ff.
[7] Vgl. Weiber (1992), S. 6ff.
[8] Vgl. Weiber (1992), S.15.
[9] Vgl. Wiese (1990). Vgl. z.B.
[10] Vgl. Köster (1999), Vgl. z.B. Im Folgenden sollen diese beiden Begriffe synonym verwendet werden.
[11] Vgl. Katz/ Shapiro (1985), S. 424. In der Literatur zu Netzeffektgütern wird weiterhin zwischen Systemgütern und Netzeffektgütern i.e.S unterschieden. Systemgüter stiften nur einen Derivativnutzen, der sich durch den Einsatz innerhalb einer Systemtechnologie und der direkten Interaktion mit anderen Anwendern ergibt und unterliegen somit direkten Netzeffekten. Charakteristisch für Netzeffektgüter i.e.S ist, dass sie sowohl über einen singulären als auch über einen derivativen Nutzenanteil verfügen und indirekten Netzeffekten unterliegen. vgl. Schoder (1995), S. 12ff.
[12] Vgl. Farrell/ Saloner (1985), S. 70.
[13] Vgl. Liehr (2005), S.11.
[14] Vgl. Borowicz/ Scherm (2001), S. 393.
[15] Vgl. Katz/ Shapiro (1985), S. 424.
[16] Shapiro/ Varian, S. 173
[17] Vgl. Arthur (1996), S. 102.
[18] Vgl. Kollmann/ Stöckmann (2007), S. 579.
[19] Im Folgenden wird hierfür auch nur der Begriff „App Store“ verwendet, mit dem aber immer der Apple App Store gemeint ist.
[20] Vgl. Schoder (1995), S. 12. Auf den Begriff der installierten Basis und der kritischen Masse wird in Abschnitt 4.2.2.2 näher eingegangen.
[21] Vgl. Wiese (1990), S. 47.
[22] Vgl. Borowicz/ Scherm (2001), S. 403ff.
[23] Vgl. Schmalen/ Xander (2000), S.422.
[24] Das “semi-logistische” Diffusionsmodell nach Frank M. Bass (1969) beschreibt die Diffusion neuer Produkte unter Berücksichtigung von externen Kommunikationseinflüssen und interpersoneller Kommunikation und unterscheidet zwei Käufertypen: Innovatoren und Imitatoren. Es ist die am häufigsten zitierte Veröffentlichung in der Diffusionsforschung. Vgl. Bass (1969).
[25] Vgl. Peterson/ Mahajan (1978), S. 202ff.
[26] Vgl. Bayus/ Kim/ Shocker (2000), S. 155.
[27] Vgl. Peterson/ Mahajan (1978), S. 211.
[28] Vgl. Schmalen/ Xander (2000), S. 453.
[29] Vgl. Peterson/ Mahajan (1978), S.211f.
[30] Apps aus dem Apple App Store können mit den Geräten iPhone (Smartphone), iPod Touch (Musikabspielgerät) und iPad (Tablet-PC) benutzt werden. In dieser Arbeit liegt der Fokus auf Smartphones, weshalb die anderen Endgeräte nachfolgend vernachlässigt werden.
[31] Vgl. Bayus/ Kim/ Shocker (2000), S.155.
[32] Vgl. Shocker/ Bayus/ Kim (2004), S.34.
[33] Vgl. Wiese (1990), S. 47ff. ausührlich zu dem Einfluss des iPhones auf den App Store siehe Abschnitt 4.1.1.1.
[34] Vgl. Bayus/ Kim/ Shocker (2000), S. 142f.
[35] Vgl. Rochet/ Tirole (2003), S. 991.
[36] Vgl. Clement/ Schollmeyer (2009), S. 178.
[37] Rochet/ Tirole (2006), S. 645.
[38] Vgl. Armstrong (2006), S. 668. Unter dem Begriff Plattform soll die vermittelnde Instanz zwischen zwei Marktseiten verstanden werden. Nicht gemeint sind daher technische Plattformen, wie z.B. in der Automobilindustrie, die dazu dienen, auf gleiche Komponenten zurückgreifen zu können. Vgl. Baldwin/ Woodard (2009), S. 22.
[39] Vgl. hier und nachfolgend Evans (2003), S. 193f.
[40] Vgl. Kollmann/ Stöckmann (2007), S. 584.; Kollmann/ Stöckmann (2000), S. 39.
[41] Vgl. Buxmann/ Diefenbach/ Hess (2011), S. 72f.
[42] Vgl. Graumann (1993), S. 1337.
[43] Vgl. Wiese (1990), S. 5f.
[44] Vgl. Katz/ Shapiro (1994), S. 104.
[45] Vgl. Shocker/ Bayus/ Kim (2004), S. 31.
[46] Vgl. Brady, et al. (2004), S. 64.
[47] Vgl. o.V. (2011), o.S.
[48] Vgl. Erdmann (2011), S. 365ff.; Kahney (2002), o.S.
[49] Vgl. Byers (2008).
[50] Vgl. Kim (2008).
[51] “Viral Marketing beschreibt das gezielte Auslösen von Mundpropaganda zum Zwecke der Vermarktung von Unternehmen und deren Leistungen.”, Langner (2007), S. 27.
[52] Vgl. Maisch/ Meckel (2009), S. 43f.
[53] Apple (2008a), o.S.
[54] Vgl. Niedbal (2005), S. 44.
[55] Vgl. Apple (2008a), o.S.
[56] Vgl. Schonfeld (2008), o.S.
[57] Vgl. Laugesen/ Yuan (2010), S. 94f.
[58] Vgl. Apple (2008b), o.S.
[59] Vgl. Schmalen/ Xander (2000), S. 453.
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Erstausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2011
- ISBN (PDF)
- 9783863419776
- ISBN (Paperback)
- 9783863414771
- Dateigröße
- 464 KB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Freie Universität Berlin
- Erscheinungsdatum
- 2015 (Februar)
- Note
- 1,3
- Schlagworte
- Smartphone Smartphone-Applikation zweiseitige Märkte Netzeffektgut kritische Masse Diffusionstreiber Application Marketplace