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Von START zu NEW START: Das Dilemma und die Zukunft der Nuklearen Abrüstung

©2011 Bachelorarbeit 51 Seiten

Zusammenfassung

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 endete die Epoche des Kalten Krieges und damit auch eine Epoche, die dadurch geprägt war, dass sich zwei Blöcke gegenüberstanden, deren Arsenale an Nuklearwaffen ausreichen, die Welt mehr als einmal zu vernichten.
Erfolge auf dem Gebiet der Nuklearen Abrüstung schlossen sich an, von der Unterzeichnung des START I, bis hin zu START II. Diese schürten die Hoffnung, dass der daraus gewonnene Schwung zu einer positiven Entwicklung der Nuklearen Abrüstung führe.
Im Scheitern von START II und dem folgenden SORT Vertrag verdeutlicht sich die trügerische Natur dieser Hoffnung. Trotz der unbestreitbaren Erfolge, die Anzahl der Nuklearwaffen zu verringern, ist es dennoch in der Zeit nach dem Ende des Ost-West Konfliktes nicht gelungen, das grundlegende Prinzip der „Mutual Assured Destruction“, kurz MAD, als Basis der Nuklearen Abschreckung zu überwinden. So besteht die Bedrohung eines vernichtenden Atomschlages weiterhin, auch wenn sie weitestgehend aus dem Bewusstsein der Bevölkerung verschwunden ist. Erst der neu gewählte US-Präsident Barack Obama rückte, durch seine Zielvorgabe eines „Global Zero“, die Nukleare Abrüstung zurück in den Fokus der Öffentlichkeit.
Die daraufhin folgende Unterzeichnung des NEW START getauften Vertragswerkes wurde nicht nur in der deutschen Politik mit großer Hoffnung verfolgt und kommentiert.
Das Werk beschäftigt sich nicht lediglich mit den Feinheiten der großen vier Verträge zur Nuklearen Abrüstung, es untersucht insbesondere, ob der NEW START-Vertrag seinem Anspruch eines Neubeginns gerecht wird.
Der zweite Teil des Buches widmet sich der Frage, welche Möglichkeiten es gibt, aus dem „Gleichgewicht des Schreckens“ zu entkommen und welche Chancen Obamas Vision eines „Global Zero“ hat.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


3.1 START I

3.1.1 Geschichte

Der „Strategic Arms Reduction Treaty“ kurz START, später START I genannt, ist das Ergebnis von Verhandlungen, die bereits 1982, also mitten im Ost-West Konflikt, von den USA und der Sowjetunion begonnen wurden. Zum Abschluss kam der Vertrag am 31. Juli 1991. Nach Auflösung der Sowjetunion trat der Vertrag mit dem Zusatz des Lissabon-Protokolls[1], und nach der Ratifizierung des NPT durch die Nuklearwaffen besitzenden Nachfolgestaaten der Sowjetunion (Belarus, Ukraine und Kasachstan) erst am 5. Dezember 1994 in Kraft. Im START I-Vertrag war eine Laufzeit von 15 Jahren vorgesehen, mit einer Option zur Verlängerung des Vertrages um 5 Jahre.[2]

Die Option zur Verlängerung wurde von den USA und von Russland nicht gezogen, und der START I-Vertrag lief mit Ablauf der 15 Jahre im Dezember 2009 aus.

3.1.2 Bestimmungen

Der START I-Vertrag folgt im Prinzip einer einfachen Struktur.

Einer vorher definierten nuklearen Waffengattung werden wirksame Obergrenzen für Waffe und Trägersystem gesetzt. Waffensysteme, die oberhalb dieser Grenze liegen, müssen nach den Regularien des START I-Vertrages abgerüstet werden. Die Abrüstung selbst erfolgt dabei nach den im Zusatzprotokoll festgelegten Bestimmungen[3]und geht mit einer anschließenden Verifikation durch das im Vertrag eingerichtete Verifikationsregime einher. Die Besonderheit des START I-Vertrages ist ein Abrechnungsverfahren, welches sich je nach Waffensystem und Staat unterschiedlich auf die festgelegte Obergrenze auswirkt. Zu diesen Obergrenzen kommt eine Begrenzung für das maximale „Throw Weight“ der Arsenale.

Der START I-Vertrag legt dabei folgende Grenzen fest:

- In Artikel II a wird die Obergrenze an eingesetzten Trägersystemen[4]auf 1.600 für jede Seite festgelegt.
- In Artikel II b wird die Zahl der „deployed warheads“ auf 6.000 je Seite, davon maximal 1100 Gefechtsköpfe auf mobilen ICBMs. Eine Sonderrolle nehmen im Vertrag die sog. „Heavy ICBMs“ ein, deren Zahl auf 154 mit maximal 1.540 Gefechtsköpfen beschränkt wird.[5]
- In Artikel IV sieht der START I-Vertrag ausführliche Beschränkungen für die sog. „non deployed“ ICBMs, SLBMs, Heavy Bombers und deren zugehörige Trägersysteme vor. So darf zum Beispiel die Zahl der „non deployed“ ICBMs für mobile Systeme 250 nicht überschreiten.[6]Eine genaue Beschreibung der dort festgelegten Zahlen ist für die Beantwortung der Fragestellung an dieser Stelle jedoch nicht relevant.

Diese Obergrenzen sollen innerhalb der Laufzeit des Vertrages stufenweise erreicht werden. In Artikel II 2 a heißt es dazu: „Each Party shall implement the reductions pursuant to paragraph 1 of this Article in three phases […].“[7]

Die erste Stufe des Vertrages sieht vor, dass beide Staaten innerhalb von 36 Monaten nach Inkrafttreten des Vertrages eine Grenze von 2.100 eingesetzten ICBMs, SLBMs und schweren Bombern erreicht haben. Weiterhin sollen die eingesetzten Gefechtsköpfe auf 9.150, davon wiederum 8.050 Gefechtsköpfe auf ICBMs und SLBMs, beschränkt werden.[8]

Die zweite Stufe sieht vor, dass beide Mächte innerhalb von 60 Monaten nach Inkrafttreten des Vertrages die eingesetzten ICBMs, SLBMs und Heavy Bombers weiter auf 1.900 reduzieren. Die Zahl der Gefechtsköpfe soll nunmehr maximal 7.950 betragen, davon maximal 6.750 auf eingesetzten ICBMs und SLBMs.[9]

Die letzte Stufe sieht vor, dass 84 Monate nach Inkrafttreten des Vertrages die Obergrenzen nach Artikel II 1 von beiden Seiten erreicht sind. [10]

Die bereits erwähnte Besonderheit des START I-Vertrages besteht darin, dass es sich bei den festgelegten Obergrenzen um solche für anrechenbare Systeme handelt. Dies bedeutet in der Realität, dass bei einer Obergrenze von 6.000 anrechenbaren Gefechtsköpfen es durchaus möglich ist, mehr Gefechtsköpfe einzusetzen und dennoch die Grenze von 6.000 anrechenbaren einzuhalten.

Für die vom Vertrag betroffenen Waffensysteme werden in Artikel III nachfolgende Regeln festgelegt: In Bezug auf die Zählung von ICBMs, SLBMs und deren „Launch Canister“ zählt jedes System als eines. In Bezug auf die Zählung der „deployed warheads“ zählt jedes „reentry vehicle“ als ein Gefechtskopf. Jeder deployed Heavy Bomber, fähig zum Abschuss von „Long range ALCMs“, zählt als ein Trägersystem. Jedoch gilt für die ersten 150 dieser Bomber für die USA die Zahl der Gefechtsköpfe als 10, obwohl die Bomber vom Typ B52 H bis zu 20 Gefechtsköpfe tragen können. Für die Sowjetunion gilt für die ersten 180 dieser Bomber die Zahl der Gefechtsköpfe als 8, obwohl die Bomber 16 Gefechtsköpfe tragen können.

Bomber, die nicht „long range ALCM“ fähig sind, gelten als ein Trägersystem mit einem Gefechtskopf.[11]Diese Anrechnungsregeln belohnen die langsamen Systeme, wie die Heavy Bomber, und bestrafen die besonders destabilisierenden Systeme, wie die MIRV-fähigen ICBMs.

3.1.3 Abrüstung

Die Abrüstung der Waffensysteme im Rahmen des START I-Vertrages erfolgt nach den Regeln, welche im „Protocol on Procedures Governing the Conversion or Elimination of the Items Subject to the Treaty between the United States of America and the Union of Soviet Republics on the Reduction and Limitation of Strategic offensive Arms“ festgelegt wurden. Das Protokoll unterscheidet dabei Aktionen, welche der ausführende Staat vor Ankunft eines Inspektionsteams ausführen darf und soll und Aktionen, welche nur unter der im Verifikationsregime vorgesehenen Kontrolle stattfinden dürfen. Bedeutsam dabei ist, dass bereits im erstgenannten Teil der Aktionen, die Pflicht, die Gefechtsköpfe zu entfernen[12]sowie das Recht, die Rakete aus dem „Launch Canister“ zu entfernen und in die einzelnen Stufen zu zerlegen, enthalten ist.[13]Die im Vertragswerk festgelegte Zerstörung derjenigen Systeme, die über den erlaubten Grenzen liegen, wird in dem Protokoll ebenfalls genau festgelegt. So wird z.B. festgelegt, dass der Treibstoff von Feststoffraketen entfernt werden muss oder die einzelnen Stufen abgebrannt werden oder durch Sprengung zerstört werden müssen.[14]Es wird des Weiteren sichergestellt, dass elementare Teile, wie die Front Sektion, Teile des Antriebs und der Hülle durch mechanische Zerstörung oder durch Sprengung vernichtet werden.[15]. Das Protokoll sieht jedoch die Möglichkeit vor, die „Launch Canister“ für die Benutzung von nach dem Vertrag erlaubten Raketen umzuwandeln.

Diese detaillierte Beschreibung der Maßnahmen, welche erforderlich sind, um die Vertragsbestimmungen einzuhalten, ist bei einem Vertrag vom Umfang des START I-Vertrags dringend geboten.

Die Unterzeichnermächte des START I-Vertrages geben sich gegenseitig alle 6 Monate in einem sog. „Memorandum of Understanding“, kurz „MOU“, Aufschluss über die erfolgten Maßnahmen und erreichten Zahlen. Die „MOU-Data“ der beteiligten Staaten ist daher die erste Quelle, um zu überprüfen, welche Abrüstung tatsächlich stattgefunden hat. Kerndaten sind dabei die als Ziel genannten Zahlen zu den im Vertrag festgelegten Stufen.

Zu Beginn der Laufzeit des START I-Vertrages besitzen die Vereinigten Staaten nach ihrer „MOU-Data“ ein Arsenal von 2.264 Trägersystemen mit 10.563 darauf stationierten Gefechtsköpfen. Die Sowjetunion besitzt dagegen ein Arsenal von 2.500 Trägersystemen mit 10.271 darauf stationierten Gefechtsköpfen. Das bedeutet, beide Staaten müssen im Bereich der Trägersysteme 29 %, bzw. 36 % abrüsten. Bei den Gefechtsköpfen müssen beide Staaten ca. 42% ihrer Arsenale abrüsten.

Hier tritt jedoch eine Besonderheit des START I-Vertrages auf. Das Verfahren des „Downloading“ erlaubt den beiden Staaten, die Anzahl der Gefechtsköpfe einer MIRV- fähigen Raketen zu verringern. Die Menge der nach diesem Verfahren reduzierten Gefechtsköpfe darf nach Artikel III 5 des START I-Vertrages die Zahl von 1.250 nicht überschreiten.

In den Tabellen[16]wird erkennbar, dass die beiden Staaten die einzelnen Stufengrenzen jeweils erreicht haben, jedoch sind diese Zahlen unter dem Einfluss der speziellen Zählregeln des START I-Vertrages zu sehen. Die Zahl der Gefechtsköpfe, welche auf den „long range ALCM-fähigen Bombern“ stationiert sind, ist höher als in der „MOU- Data“ angegeben.

Kontrovers zu betrachten sind die Maßnahmen, die aus Artikel IV 4 des START I-Vertrages resultieren. Hier ist es sowohl den USA als auch Russland erlaubt, ausgemusterte Raketen als Trägersysteme für den Transport ziviler Satelliten zu benutzen. Zwar ist die Zahl, der auf solche Art genutzten „Launch Systems“, auf 20 beschränkt, dazu noch verteilt auf maximal 5 Basen, wobei die Anzahl der dort gelagerten Raketen die Anzahl der „Launch Systems“ nicht überschreiten darf. Beide Staaten nutzten diese Möglichkeit für die MX Peacekeeper auf amerikanischer Seite und für die SS 18 und SS 25 auf russischer Seite. Die Problematik einer solchen Möglichkeit zeigte sich spätestens dann, als Aleksandr Yakovenko, ein Mitglied des russischen Außenministeriums, den USA am 4. Januar 2001 vorwarf, den Vertrag zu verletzten, indem sie nur die Frontplattform ihrer MX Peacekeeper zerstörten, nicht aber die ganze Rakete.[17]

Der Begriff „Abrüstung“ ist im START I-Vertrag mit umfangreichen Anweisungen versehen, auf welche Art und Weise die Abrüstung erfolgen soll. Darüberhinaus ist der Begriff „Abrüstung“ an die spezielle Zählweise gekoppelt, die dem Vertrag innewohnt. Das hat zur Folge, dass die nach START-Regeln veröffentlichten Zahlen nicht in vollem Umfang den realen Arsenalen der beiden Staaten entsprechen muss.

3.2 START II

3.2.1 Geschichte

Der START I-Vertrag mit seinem komplexen Regelwerk entstand in seit 1982 zwischen den USA und der Sowjetunion geführten, langwierigen Verhandlungen. Schon während der Endphase dieser Verhandlungen zu Beginn der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts zeigte sich, dass die festgelegte Obergrenze von 6.000 Gefechtsköpfen nicht der neu entstandenen weltpolitischen Situation entsprach. Begleitet von weiteren unilateralen Abrüstungen führte dies auf direktem Wege zur Aufnahme von Verhandlungen für einen Nachfolgevertrag des START I-Vertrages.

Am 3. Oktober 1993 unterzeichneten der Präsident der USA George H.W. Bush und der Präsident der Russischen Föderation Boris Jelzin den neuen START II genannten Vertrag, also noch bevor der START I-Vertrag überhaupt in Kraft getreten war. Der Vertrag sollte daher auch alle im START I-Vertrag beschlossenen Bestimmungen nicht beeinträchtigen, es sei denn. dass dies im START II-Vertrag so festgelegt wurde. Der START II-Vertrag wurde vom US-Senat am 26. Januar 1996 ratifiziert. Die russische Duma ratifizierte den Vertrag jedoch erst am 14. April 2000 mit der Kondition, dass die Vereinigten Staaten den ABM-Vertrag von 1972 achten. Die USA kündigten diesen jedoch endgültig im Juni 2002. Der START II-Vertrag ist somit völkerrechtlich nicht in Kraft getreten.

Obwohl der START II-Vertrag niemals in Kraft getreten ist, liefern seine Bestimmungen dennoch nicht nur ein Abbild der veränderten Rolle der Atomwaffen in den 90er Jahren des 20 Jahrhunderts, sondern bilden im gewissen Sinne auch den Hintergrund für eine Anzahl an Maßnahmen von Abrüstungen, welche von beiden Staaten gezwungenermaßen auf Basis des START I-Regimes durchgeführt wurden.

Gleichermaßen zeigt das Scheitern des START II-Vertrages im Zusammenhang mit dem ABM-Vertrag, dass die Suche nach einer neuen „Strategischen Stabilität“ und einer neuen Rolle der Atomwaffen darin nicht erfolgreich war.

3.2.2 Bestimmungen

Der START II-Vertrag unterscheidet sich im Grundprinzip zunächst einmal nicht vom START I-Vertrag. Vorher definierten Waffensystemen werden wirksame Obergrenzen gesetzt und überzählige Waffen abgerüstet. Bestimmungen des START I-Vertrages bleiben, wenn nicht explizit geändert, auch für den START II-Vertrag in Kraft. Der START II-Vertrag sieht dabei vor, bis zum Ende der ersten Phase, 7 Jahre nach Inkrafttreten des START I-Vertrages, die Grenze von 3.800-4.250 Gefechtsköpfen auf beiden Seiten zu erreichen. Dabei gilt es zu beachten, dass der START II-Vertrag auf realen Zahlen beruht und auf das Anrechnungssystem des START I-Vertrages verzichtet. Die Zahl der erlaubten Trägersysteme bleibt, wie im START I-Vertrag, bei 1.600. Der START II-Vertrag legt einen besonderen Fokus auf die Abrüstung von MIRV-fähigen Waffensystemen. Er beschränkt die Anzahl der Gefechtsköpfe auf diesen Systemen in der ersten Phase auf 1.200. Dazu wird in der ersten Phase die Zahl der Gefechtsköpfe auf SLBMs auf 2.160 und die Zahl der Gefechtsköpfe. die auf den Heavy ICBMs stationiert sind, ist auf 650 beschränkt.[18]

Das Ende der zweiten Phase war zunächst für den 1. Januar 2003 vorgesehen. Im New York Protocol[19]wurde die Zeitspanne bis zum 31. Dezember 2007 verlängert. Es war vorgesehen, bis zum Ende dieser Zeitspanne die Zahl der Gefechtsköpfe auf beiden Seiten bis auf 3.000-3.500 zu reduzieren. Davon sollten nur noch 1.700-1.750 auf SLBMs stationiert sein. Gleichzeitig sollten sowohl die Gefechtsköpfe auf den Heavy ICBMs als auch auf den MIRV-fähigen Raketen vollständig abgebaut sein.

Um dies zu erreichen, sollte die bereits aus dem START I-Vertrag bekannte Methode des „Downloading“ ausgebaut werden. Hierbei sollte es den USA erlaubt sein, die Minuteman III von drei auf einen Gefechtskopf zu reduzieren. Russland darf die SS17 von vier auf einen Gefechtskopf und 105 Einheiten der SS19 von sechs auf einen Gefechtskopf reduzieren. Einzig die restlichen SS19 und die bis zu 10 Gefechtsköpfe tragenden SS18 auf russischer Seite und MX Peacekeeper auf US-amerikanischer Seite müssen nach den im START I-Vertrag festgelegten Prozeduren vollständig abgerüstet werden.[20]

3.2.3 Abrüstung

Der START II-Vertrag sah vor, im Wesentlichen die Maßnahmen, die im START I-Vertrag festgelegt wurden, zu benutzen, um die nötige Abrüstung durchzuführen und zu verifizieren. Eine Besonderheit stellen die Russischen SS18-Raketen dar, deren Launch Canister im START I-Vertrag noch zur Nutzung anderer Raketentypen umgewandelt werden durften. Der START II-Vertrag sah vor, dass sowohl Rakete als auch der Launch Canister zerstört werden muss, damit das Waffensystem aus den START II-Grenzen herausfällt.

Die Schwierigkeiten, eine erreichbare und erreichte Abrüstung auf Basis des Start II-Vertrages zu untersuchen, liegt darin, dass der Vertrag nicht in Kraft getreten ist. Der Ratifizierungsprozess dauerte auf russischer Seite zu lange und war zudem begleitet von der Veränderung in der weltpolitischen Situation. Auch um Druck auf die russische Duma auszuüben, verbot der Kongress mit der „Section 1302 of the National Defense Authorization Act for Fiscal Year 1998“ dem Präsidenten der Vereinigten Staaten die Reduzierung bzw. Abrüstung des amerikanischen Nukleararsenals unter die Grenzen, die im START I-Vertrag festgelegt worden sind, bis zu dem Zeitpunkt zu dem der START II-Vertrag in Kraft tritt. Diese Verordnung wurde zwar 1999 verändert, um die Abrüstung von Trident-Raketen zu erlauben, gänzlich aufgehoben wurde sie jedoch erst im Juli 2001, nachdem die Duma den Vertrag im April 2000 ratifiziert hatte.

Da der START II-Vertrag jedoch nicht in Kraft trat, ist die erkennbare Abrüstung lediglich zum Ende der Laufzeit des START I-Vertrages, in den Fact Sheet 2009[21]zu betrachten. Hierzu zählen auch die mit dem START II-Vertrag eigentlich obsoleten Anrechnungsregeln für die Obergrenzen von Gefechtsköpfen und Trägersystemen. Dennoch zeigt das Fact Sheet 2009, dass Russland die Anzahl der eingesetzten Trägersysteme auf 814 und die USA die Zahl ihrer Trägersysteme auf 1.198 reduziert haben. Dies ist weit unter dem Level von 1.600 Trägersystemen, den der START I-Vertrag setzte. Zur Erinnerung: Der START II-Vertrag verzichtete auf die Begrenzung der Trägersysteme.

Die Zahl der eingesetzten Gefechtsköpfe beläuft sich laut Fact Sheet 2009 auf 3.909 auf Seiten Russlands und 5.576 auf Seiten der USA. Hier zeigt sich das Scheitern des Vertrages. Beide Arsenale sind unterhalb des Minimums des START I-Vertrages, aber eben nicht unterhalb der im START II-Vertrages gesetzten Grenze von 3.000-3.500 Gefechtsköpfen (Stand 2007). Die Vereinigten Staaten haben im Zeitraum von 2002-2005 ihre MX Peacekeeper-Raketen außer Dienst gestellt, dagegen befanden sich im russischen Arsenal Ende 2005 immer noch 104 SS18-Raketen. Auch hier sind die Bestimmungen des START I-Vertrages erfüllt, jedoch nicht die Ziele von START II-Vertrages.

Es ist deutlich erkennbar, dass das Scheitern des START II-Vertrages im Prozess der nuklearen Abrüstung eine deutliche Lücke hinterlassen hat.

3.3 SORT

3.3.1 Geschichte

Am 24. Mai 2002 unterzeichneten US-Präsident George W. Bush und der Präsident der Russischen Föderation Vladimir Putin den „Strategic Offensive Reductions Treaty“ kurz SORT oder auch „Moscow treaty“ genannt. Der Vertrag trat zum 1. Juni 2003 in Kraft und läuft bis zum 31. Dezember 2012. Der Vertrag sieht die Möglichkeit vor, durch eine Einigung beider Staaten verlängert oder durch einen weiteren Vertrag ersetzt zu werden. Letzteres erfolgte durch die Unterzeichnung des NEW START-Vertrages am 8. April 2010 in Prag.

3.3.2 Bestimmungen

Der SORT-Vertrag fällt bereits in seinem Umfang im Vergleich zu den START I- und START II-Verträgen deutlich ab. Beide Verträge beinhalten im reinen Vertragstext jeweils 19 Artikel, während der SORT-Vertrag lediglich 5 Artikel beinhaltet.

Der SORT-Vertrag sieht vor, dass beide Staaten die Anzahl ihrer „operationaly deployed strategic warheads“ bis zum 31. Dezember 2012 auf 1.700-2.200 reduzieren.[22]Auf welche Art und Weise die Gefechtsköpfe auf den verschiedenen Waffensystemen in den Arsenalen eingesetzt werden, bleibt dabei zur freien Entscheidung jedes Staates.[23]

Der START I-Vertrag und seine Bestimmungen werden in Artikel II des SORT-Vertrages explizit bestätigt. Dies gilt auch für das im START I-Vertrag eingeführte Verifikationsregime, da der SORT-Vertrag kein eigenes System der Verifikation vorsieht, mit Ausnahme der Einführung zweier jährlicher Treffen der Vertragspartner[24].

3.3.3 Abrüstung

Die Funktionsweise des SORT-Vertrages folgt erst einmal den selben Prinzipien, denen auch die START-Verträge I und II unterliegen. Das bedeutet, die Einführung einer wirksamen Obergrenze, im SORT-Vertrag für „operationaly deployed strategical warheads.“

Die Problematik des SORT-Vertrages liegt jedoch darin begründet, dass der Vertrag darüber hinaus keinerlei Bestimmungen beinhaltet, die die Anzahl der Gefechtsköpfe in Reserve betrifft, wie dies beispielsweise im START I-Vertrag noch der Fall war.

Darüber hinaus verändert der SORT-Vertrag nichts an den im START I-Vertrag festgelegten Anrechnungsregeln oder der Aufstellung von MIRV-fähigen Raketen, wie es der START II-Vertrag vorgesehen hatte. Der SORT-Vertrag ist also in gewissem Sinne nicht mehr als eine Einführung einer weiteren Obergrenze, zusätzlich zu denen des START I-Vertrages. Die tatsächliche Abrüstung wurde auf amerikanischer Seite in den „anual reports oft he implementation oft he Moscow treaty“[25]jährlich dokumentiert. Da der SORT-Vertrag selbst kein Verifikationssystem vorsieht, kann die erfolgte Ab­rüstung außerdem anhand der Berichte über die Implementierung des START I-Ver­trages untersucht werden. Der „SORT-Bericht“ 2006 benennt die Anzahl der Gefechtsköpfe mit 3.878 auf amerikanischer Seite, während der START-Bericht 2006 die Anzahl der Gefechtsköpfe mit 5.966 angibt. Der Unterschied, der zwischen den beiden o.g. Quellen zu erkennen ist, ergibt sich aus der Besonderheit des SORT- Vertrages, der sich nur auf „operationily deployed strategic warheads“ bezieht.

Waffen in Reserve oder in Wartung fallen nicht unter die Kriterien des SORT-Vertrages. Die folgende Grafik zeigt deutlich, dass die Zahl der unter die SORT-Bestimmungen fallenden Gefechtsköpfe im amerikanischen Arsenal etwa 50 % der strategischen Gefechtsköpfe des Arsenals ausmacht. Äußerst problematisch ist auch, dass Russland nicht gezwungen ist, die amerikanische Definition von operationaly deployed strategic warheads“ zu übernehmen, um seine Abrüstungen zu dokumentieren.

In Bezug auf den SORT-Vertrag entspricht der Begriff „Abrüstung“ also nicht zwingend in seiner Bedeutung einer Abrüstung wie sie in den START I- und II-Verträgen definiert war. Da zur Ermittlung der erfolgten Abrüstung aber die Größe des Nuklear Stockpiles und nicht der „operationily deployed strategical warheads“ entscheidend ist, sind die START-Berichte von größerer Bedeutung als die „SORT-Berichte“.

Die für die tatsächliche Abrüstung zu untersuchende Zeitspanne geht von der Meldung am 5. Dezember 2001, dass die im START I-Vertrag vorgesehen Limits erreicht wur­den, bis zur Meldung vom 9. Februar 2009, dass die im SORT-Vertrag vorgesehen Limits erreicht wurden.

Zu Beginn dieser Zeitspanne umfasste das Arsenal der USA 5.949 Gefechtsköpfe und das Arsenals Russlands 5.520. Die „START“ I-Zahlen vom 1. Januar 2009 geben für die USA 5.576 und für Russland 3.909 Gefechtsköpfe an. Die Zahlen für den 1. Juli 2009 sogar 5916 für die USA und 3897 für Russland. Die wirklich erfolgte Abrüstung auf Seiten der USA ist also wesentlich geringer als es nach den SORT-Zahlen den Anschein hat.

Dennoch lässt sich feststellen, dass zumindest die Abrüstung der amerikanischen MX Peacekeeper-Raketen von der US-Regierung direkt mit dem SORT-Vertrag in Verbindung gebracht wird.[26]Die bereits erwähnte Kontroverse, auf welche Art die MX Peacekeeper-Raketen abgerüstet wurden, ob durch Entfernen der Frontsektion oder durch Zerstörung der gesamten Rakete, ist sinnbildlich für die Schwäche des SORT-Vertrages, der auf ein eigenes Verifikationsregime verzichtet hat.a

[...]


[1]Belarus, Ukraine Kazachstan übergeben ihre Nuklearwaffen an Russland.

[2]START Treaty Article XVII 2 Quelle: www.state.gov, 30.08.2011.

[3]Vgl. Protocol on Conversion or Elimination of Items Subject to the Treaty. Quelle http://www.fas.org/nuke/control/start1/text/coretoc.htm#convpro/protocol, 30.08.2011.

[4]ICBM and ICBM Launchers SLBM and SLBM Launchers, Heavy Bombers ICBM and SLBM warheads and Bomber arnaments […].

[5]Vgl. Definitiond Annex 39 Heavy ICBM means an ICBM of a type, any one of which has a launch weight greater than 106,000 kilograms or a throw weight greater than 4350 kilograms.

[6]START Article IV 1a.

[7]START Article II 2.

[8]START Article II 2a I, II, III.

[9]START Article II 2b I, II, III.

[10]START Article II 2c.

[11]Vgl START I Article III 1-4.

[12]Vgl Protocol Article I 2a.

[13]Vgl Protocol Article I 2c.

[14]Vg. Protocoll I 4a.

[15]Vgl Ebd. I 4 ff.

[16]Siehe. Anhang Tabelle 1-3.

[17]Radio Free Europe/Radio Liberty Newsline Vol. 5, No 3 Part I, 5 Januar 2001, Quelle: http://www.fas.org/nuke/control/start1/news/treaty-start1-010105.htm, 30.08.2011.

[18]START II Vertrag Article I 1, 2.

[19]Protocol to the Treaty between the United States of America and the Russian Federation on further reduction and limitation of Strategic offensive Arms of January 3 1993. Quelle: http://www.bits.de/NRANEU/START/documents/start2/97/New_York_Protocol.htm, 30.08.2011.

[20]START II Vertrag Article III 2c.

[21]START AGGREGATE NUMBERS OF STRATEGIC OFFENSIVE ARMS 2009 Quelle: http://www.state.gov/t/avc/rls/130149.htm, 30.08.2011.

[22]SORT Article I.

[23]SORT Article I.

[24]SORT Article III.

[25]Quelle: http://www.state.gov/t/avc/rls/rpt/108870.htm, 30.08.2011.

[26]Vgl. “Anual Report of the implementation of the Moscow treaty” Quelle: http://www.state.gov/t/avc/rls/rpt/108870.htm, 30.08.2011.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Erscheinungsjahr
2011
ISBN (PDF)
9783863419967
ISBN (Paperback)
9783863414962
Dateigröße
419 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1,3
Schlagworte
SORT START II Interkontinentalrakete Nuklearwaffe Mutual Assured Destruction MAD Global Zero

Autor

Lars Plettenberg wurde 1984 in Heidenheim a.d. Brenz geboren. 2011 erfolgte der Abschluss des Bachelorstudiums im Bereich der Politikwissenschaft und Geschichte an der CAU Kiel. Anschließend studierte er in einem Masterstudiengang der CAU Kiel Modernes Regieren und Neuste Geschichte, um auch weiterhin die persönlichen Schwerpunkte auf Friedensforschung und Sicherheitspolitik zu setzen. Die Inspiration zum vorliegenden Werk entsprang der intensiven Beschäftigung mit dem START I im Rahmen des Bachelorstudiums, verbunden mit dem Drang, die vorliegenden Aussagen führender Politiker zur Unterzeichnung des NEW START auf den Prüfstand zu stellen.
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