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Phraseologismen mit dem Glied "ręka/Hand, Arm": Ein polnisch-deutscher Sprachvergleich

©2010 Bachelorarbeit 62 Seiten

Zusammenfassung

In der Sprache begegnen uns häufig Ausdrücke wie dac sobie reke uciac za kogos (sich für jemanden die Hand abhacken lassen), miec dwie lewe rece (zwei linke Hände haben), nosic kogos na rekach (jemanden auf Händen tragen) oder bronic sie rekami i nogami (sich mit Händen und Füßen wehren). Im Volksmund werden solche Erscheinungen als Redewendung bezeichnet. In der Sprachwissenschaft haben sich für derartige sprachliche Erscheinungen die Termini Phraseologismen und Idiome konstituiert.
In phraseologischen Benennungen sind oft menschliche Körperteile, wie z.B. Hand, Fuß, Kopf, Herz, Auge und Bein als Komponente vertreten.
Menschlichen Körperteilen werden bestimmte Eigenschaften zugeschrieben, daher ist die Bildung von Phraseologismen mit dieser Komponente in der Sprache sehr produktiv. Die Hand ist eines der am häufigsten genannten Körperteile in der Bibel und in Rechtstexten, sowohl in der wörtlichen als auch in der übertragenen Bedeutung, und somit ist der Begriff Hand schon seit Jahrhunderten ein mehrdeutiger Begriff und Bestandteil vieler phraseologischer Wendungen.
Im ersten Teil der Arbeit wird ein zusammenfassendes Gesamtbild von theoretischen Grundlagen der Phraseologismen dargestellt. Hierzu werden Aussagen zur Terminologie, phraseologischen Merkmalen und Klassifikationen getroffen. Im weiteren Verlauf der Arbeit wendet sich die Autorin der kontrastiven Phraseologie zu, indem zunächst die Dimensionen dieser Disziplin veranschaulicht werden und anschließend auf die interlinguale Äquivalenz eingegangen wird. Im letzten Teil der Arbeit werden polnische und deutsche Phraseologismen kontrastiert und auf ihre Äquivalenz untersucht.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


2.4 Innere Struktur von Phraseologismen (Polylexikalität)

Phraseologismen bestehen aus mindestens zwei Wörtern. Die obere Grenze der Wortmenge ist nicht definiert, da die maximale Ausdehnung einer phraseologischen Wendung nicht lexikalisch sondern syntaktisch festgelegt ist, somit ist der vollständiger Satz als die Maximalstruktur anzusehen (Burger 2007, S. 15).

Je nach Wortartenzugehörigkeit unterscheidet man die Komponenten nach Auto­semantikon und Synsemantikon. Autosemantika (Basiselemente) haben eine eigenständige, lexikalische Bedeutung und bezeichnen Klassen von Gegenständen der objektiven Realität. Dazu gehören Wortarten wie Substantive, Verben, Adjektive und Adverbien.

Synsemantika (Verknüpfungselemente) haben eine grammatische, aber keine eigenständige, lexikalische Bedeutung. Sie nehmen einen verweisenden Charakter an und sind ausschlaggebend für die Aufeinanderfolge der einzelnen Elemente in der Satzstruktur. Hierzu zählen Wortarten wie Artikel, Konjunktionen, Präpositionen und Pronomen.

Die Minimalstruktur eines Phraseologismus setzt sich aus mindestens einem Autosemantikon plus einem Synsemantikon zusammen, wobei man von maximal fünf Autosemantika (mehr als drei Autosemantika sind selten) ausgeht; z.B. auf Anhieb (Palm 1997, S.42;Fleischer1997,S.82). Einige Autoren sehen das Auto­semantikon als keine obligatorische Komponente der Minimalstruktur und gehen davon aus, dass auch zwei Synsematika ein Phraseologismus bilden können. Jedoch stuft die Mehrheit Verkoppelungen ohne Autosemantikon als kein Phraseologismus ein.

Lewicki/Pajdzinska nennen solche Erscheinungen phraseologische Indikatoren (wskaźniki frazeologiczne); Beispiele sind diskontinuierliche Präpositionen ze względu na… ʻim Hinblick auf’, analytische Partikel że hej (wysoki że hej ʻsehr hoch’) (Nagórko 2007, S. 254 nach Lewicki/Pajdzinska 1930, S. 310).

3 Klassifikation der Phraseologismen

Die Klassifizierung ist bei Linguisten sehr unterschiedlich, da die Phraseologismen nach verschiedenen Gesichtspunkten systematisiert werden können. Am häufigsten werden die Klassifikationen an Hand semantischen, syntaktischen, grammatisch- morphologischen Kriterien und deren Kombinationen erstellt.

3.1 Semantische Klassifikation

Phraseologismen lassen sich nach einem semantischen Kriterium klassifizieren, wobei der Idiomatizität ein hoher Stellenwert zugeschrieben wird. „Sie ist der Grund, weshalb formal gegliederte Ausdrücke semantisch unvorhersehbar sind“ (Nagórko 2007,-S.-254). Im weiteren Verlauf sollen unterschiedliche semantische Klassifika­tionen dargestellt werden.

3.1.1 Grundzüge unterschiedlicher Klassifikationen

Die Tradition der Phraseologieforschung in Polen basiert auf Skorupka (1952). Er unterscheidet drei Arten von Phrasen: a.) związki stałe (feste Verschmelzungen von Komponenten), b.) związki łączliwe (lose Verschmelzungen) und c.) związki luźne (freie Verbindungen) (Nagórko 2007, S. 249f).

Diese Klassifikation erfolgt nach heterogenen Kriterien der Junktivität der Komponenten („lączliwość wyrazów“) und des Lexikalisierungsgrades.

- feste Wortverbindungen (związki stałe, frazeologizmy idiomatyczne): Hierzu gehören Verbindungen, die semantisch einheitlich und stabilisiert sind und deren Gesamtbedeutung sich nicht additiv aus den Bedeutungen der einzelnen Kom­ponenten erschließen lässt. Sie sind lexikalisiert und werden aus dem Gedächtnis reproduziert.
- losen Wortverbindungen (związki łączliwe): sind solche Wortverbindungen, in denen die Wahl und Folge der Glieder durch den Fachgebrauch festgelegt sind. Die Gesamtbedeutung ist nicht umgedeutet und kann anhand der einzelnen Glieder bestimmt werden.
- freie Wortverbindungen (związki luźne): Die einzelnen Glieder sind trennbar und durch andere Wörter austauschbar (meist durch Synonyme). Die Gesamt­bedeutung ist aus der Summe der einzelnen Komponenten zu erschließen. Dazu gehören auch Wendungen, bei denen die Verknüpfungsmöglichkeiten der Glieder mit anderen stark eingeschränkt sind und dadurch eine häufige gemeinsame Verwendung im Sprachusus verursachen. Freie Wortverbindungen sind keine Phraseologismen, da sie ad hoc gebildete Syntagmen darstellen und zum Bereich der Syntax gehören; Bsp.: Zähne putzen, blauer Himmel

(Laskowski 2003, S. 88 ff; Łabno-Falęcka 1995, S.171f).

In der germanistischen Phraseologieforschung entscheiden sich ebenfalls einige Forscher für die semantische Klassifikation. So bevorzugt Burger (2007) eine semantische Aufgliederung nach dem Grad der Idomatizität, wobei er in Idiom (idiomatische Wortverbindung), Teil-Idiom (teilidiomatische Wort-verbindungen) und Kollokationen (nicht-bzw. schwach-idiomatische Verbindungen) unterteilt (Burger 2007, S. 37).

Pilz (1983) teilt die Phraseologismen in endosemantische, exosemantische und endo-exosemantische Phraseologismen auf (Laskowski 2003, S. 86).

Fleischer (1997) gliedert die Phraseologismen semantisch-formal, d.h. in Bezug auf Form, Sinn und Funktion in Phraseolexeme (Kern des phraseologischen Bestandes) und Phraseoschablonen, Nominationsstereotype und kommunikative Formeln (Periphere der Phraseologie).

3.1.2 Grad der Idiomatizität

Semantisch können phraseologische Wortverbindungen nach ihrem Grad der Idiomatizität klassifiziert werden[1].

Der Grad der Idiomatizität wird aus der Diskrepanz zwischen der phraseologischen Bedeutung und der wörtlichen Bedeutung der Komponenten bzw. der ganzen Wortverbindung ermittelt. Je stärker die Diskrepanz zwischen beiden Bedeutungs­ebenen ist, umso stärker ist die Idiomatizität des Phraseologismus. Es lassen sich drei Grade der Idiomatizität konstituieren:

- voll-idiomatisch: der Ausdruck als ganzer ist umgedeutet und lässt sich semantisch nicht aufgliedern, somit hat er eine synthetische Bedeutung (Fleischer 1997, S.33); Bsp. jeść komuś z ręki ʻjmdm. aus der Hand fressen’
- teil-idiomatisch: nur einzelne Komponenten sind umgedeutet, andere bleiben in ihrer wörtlichen bzw. freien Bedeutung und der Phraseologismus lässt sich semantisch aufgliedern, somit hat er eine analytische Bedeutung (Fleischer 1997,-S.33); Bsp. blinder Passagier, wobei blind als ‘illegitim, ohne Berechtigung’ umgedeutet wird und Passagier seine wörtliche Bedeutung beibehält.
- nicht-idiomatisch: „Ausdrücke, die durch keine (oder minimale) semantische Differenzen zwischen phraseologischer und wörtlicher Bedeutung charakte­risiert sind“ (Burger 2007, S. 32). Die Komponenten werden nicht um­gedeutet; Bsp: Zähne putzen

3.2 Strukturelle Klassifikation

Bei dieser Klassifikation werden die Phraseologismen nach ihrem Verhältnis zu den in Wortklassen geordneten Wörtern und ihrer syntaktischen Eigenschaft in Anlehnung an Lewicki und Pjadzińska (1993) gruppiert, demnach werden Satz­wertige Phrasen, Nominalphrasen, Verbalphrasen, Adjektivphrasen, Adverbial­phrasen, Parenthese (phraseologische Partikeln) und verknüpfende Phraseologismen unterschieden[2] (Nagórko 2007, S. 262).

3.2.1 Satzwertige Phrasen

„Satzwertige Phrasen stellen vollständige Äußerungen mit dem prädikativen Zentrum, dem Satzsubjekt sowie sonstigen strukturell notwendigen Ergänzungen dar“ (Nagórko 2007, S. 262). Sie sind beschränkt modifizierbar und der Tempus und Modus des Verbs ist kaum veränderbar; z.B. klamka zapadła[3] (bildhaft) ‘Die Entscheidung ist gefallen. Es gibt kein zurück mehr’; jmdm. geht der Hut hoch[4] (umgangssprachlich) ‘jemand findet etwas unerhört, unverschämt; jemand wird wütend’

3.2.2 Nominalphrasen

Der Kopf der Nominalphrasen ist ein Substantiv oder Substantivpronomen, die attributiv erweitert werden können. Sie nehmen die Stelle des Subjekts oder Objekts im Satz ein und sind deklinierbar.

Es gehören auch nicht-idiomatische Kollokationen, wie z.B. czarna rozpacz (wörtl. schwarze Verzweiflung)[5] dazu (Nagórko 2007, S. 264; Fleischer 1997, S. 142 ff).

3.2.3 Verbalphrasen

Die syntaktische Struktur der Verbalphrasen enthält, wie Verben, den ganzen Satzbauplan. Die obligatorische verbale Komponente kann mit unterschiedlich strukturierten Substantiv-, Adjektiv-/Adverbialgruppen und mit weiteren Verben kombiniert werden. Die Verben sind morphologisch modifizierbar (in Person, Tempus, Modus flektierbar).

Verbalphrasen können meist nur adverbial erweitert werden. Attributive Erweiterung ist nur bei nicht umgedeuteten Komponenten möglich (Nagórko2007,S.262f; Fleischer 1997, S. 154 ff); z.B. prośić kogoś o rękę ʻum jmds. Hand anhalten’

Problematisch sind Phraseologismen, die mit dem Verb być ʻsein’ und mieć ʻhaben’ gebildet werden. Das Verb ist in solchen Fällen nicht immer eine obligatorische Komponente und folglich kann das Verb kein Basiselement sein. Ist der nominale Teil ohne Bedeutungsveränderung in der syntaktischen Rolle eines Substantivs verwendbar (Nominalisierungsformation), dann handelt es sich nicht um eine obligatorische Komponente.

3.2.4 Adjektivphrasen

Adjektivphrasen kommen wie Adjektive in Nominalphrasen vor und sind mit dem Kopf der ganzen Konstruktion kongruent. Sie können wegen der syntaktischen Ambivalenz von Adjektiven, auch an prädikativer Stelle auftreten. Eine syntaktische Konversion zu Substantiven ist ebenfalls möglich; Bsp. pierwszy lepszy ‚der erste Beste’ (Nagórko 2007, S. 265).

3.2.5 Adverbialphrasen

Adverbialphrasen sind im Satz vom Prädikat als seine Angaben abhängig (meist fakultativ). Syntaktischen Strukturen adverbialer Phrasen werden unter Verwendung von Substantiven als Stützwort und Basiselement gebildet.

Die meisten adverbialen Phraseologismen haben modale Bedeutung, nur wenige lokale oder temporale; z.B. z pocałowaniem ręki ʻmit Handkuss’

Phraseologische Vergleiche mit dem Marker jak ‘wie’ zählen auch dazu; Bsp. leje jak z cebra ‘es gießt in Strömen’[6] (Nagórko 2007, S. 266; Fleischer 1997, S. 149 ff).

3.2.6 Parenthese (phraseologische Partikeln)

Phraseologische Partikeln sind syntaktisch frei und haben meist metasprachlichen Charakter, somit beinhalten sie das Vorhandensein eines Ko-Textes. Mit phraseo­logischen Partikeln wird die Einstellung des Sprechers und Emotionen zum Ausdruck gebracht; z.B. że tak powiem ‘wenn ich so sagen darf’, na ile to możliwe ‘sofern es möglich ist’ ((Nagórko 2007, S. 267).

3.2.7 Verknüpfende Phraseologismen

Verknüpfende Phraseologismen sind Funktionswörter wie Präpositionen bzw. Konjunktionen mit analytischer Ausprägung. Sie sind meist als buchsprachlich markieret und selten in der Umgangssprache gebräuchlich; z.B. w oparciu o (co – Akk.) ‘in Anlehnung an’, zarówno..., jak i... ‘sowohl... als auch...’ (Nagórko 2007, S. 268).

4 Historische und kulturelle Dimension

Die Phraseologieforschung ist noch eine sehr junge Teildisziplin der Wissenschaft und der besondere Verdienst ihrer Entwicklung ist in der sowjetischen Sprach­wissenschaft in der Fortsetzung russischer Traditionen des 19. Jhs. anzusiedeln. Erst in den letzten Jahrzehnten in der Entwicklung der Sprachwissenschaft ist ein verstärktes Interesse sowohl an verschiedenen theoretischen Problemen der Phraseologie als auch an konkreten Untersuchungen des phraseologischen Bestandes entstanden (Laskowski 2003, S. 33).

Ein großer Teil der Idiome wird als ein Teil der europäischen Bildungstradition angesehen. Sie spiegeln sowohl den Einfluss der griechischen und römischen Antike, der Bibel, des katholischen Mittelalters und der Sprache der Reformationszeit, als auch wichtige Naturerscheinungen, Tiere, Freunde und Feinde, die soziale Umwelt wie Wirtschaft, Handel und Gewerbe, Technik, Gebrauchs- und Kunstgegenstände sowie das Hauswesen wider.

In den idiomatischen Spracheinheiten sind oft Volksmeinungen und Wert­vorstellungen fixiert, die meistens der allgemeinen Welterfahrung oder der Erfahrung des eigenen Körpers (Somatismen) entstammen z.B. dolewać oliwy do ognia ‘Öl ins Feuer gießen’, od stóp do głowy ‘von Kopf bis Fuß’[7] (Palm 1997, S. 37 f; Nagórko 2007, S. 257).

Viele Untersuchungen haben erwiesen, dass menschliche Emotionen der Haupt­gegenstand der phraseologischen Benennungen sind. Es werden vor allem, von der Sprachgemeinschaft als negativ bewertete, Verhaltensweisen und Situationen in Form von Phraseologismen ausgedrückt.

Mit der Veränderung der sozialen Umwelt wird auch der Bestand an Phraseo­logismen ständig erneuert. Veraltete Redewendungen, die heute nicht mehr aktiv sind und ihre Bedeutung für Sprachbenutzer in manchen Fällen nicht mehr nach­vollziehbar ist, nehmen ab. es entstehen aber kontinuierlich neue Phraseologismen aus der Welt der Technik, des Sports und der Politik (Nagórko 2007, S.257).

5 Kontrastive Phraseologie

5.1 Dimensionen der kontrastiven Phraseologie

Unter kontrastiver Phraseologie versteht man einerseits den Vergleich zweier Sprachformen innerhalb einer Nationalsprache, z.B. Standardsprache - Mundart (intralingual), andererseits den Vergleich zweier Nationalsprachen (interlingual) (Burger-1982,-S.-274). Gewöhnlich wird in der Fachliteratur die kontrastive Phraseo­logie meist nur auf die interlingualen Vergleich beschränkt.

Es werden Übereinstimmungen und Unterschiede zwischen Sprachen im kon­trastiven Sprachvergleich dargestellt (systematische Konfrontation). Dabei erfolgt die Gegenüberstellung hinsichtlich zweierlei Gesichtspunkten: zum einen wird die Übereinstimmung in der logisch-begrifflichen Bedeutung der Zeichen (Bedeutungs­seite) beider Sprachen verglichen. Dieser semantische Aspekt wird auch die Äqui­valenz der sprachlichen Zeichen genannt. Zum anderen werden die sprachlichen Phänomene im Hinblick auf die Kongruenz, d.h. auf die strukturelle Überein­stimmung der Formseite auf der syntaktischen, morphemischen Ebene und auf der Stilebene gegenübergestellt (vgl. Laskowski 2003, S. 128).

„Semantisch qualitativ und quantitativ gleichwertig sind phraseologische Ver­bindungen wie andere lexikalische Einheiten zweier Sprachen dann, wenn ihre semantische Strukturen identisch sind, d.h. in der Art, Anzahl und Anordnung der Bedeutungselemente sowie der einzelnen Bedeutungsstrukturen (Sememe) übereinstimmen“ (Laskowski 2003, S. 131 nach Karl 1982, S. 34).

Derartige gleichwertige Entsprechungen in Bezug auf den Wortbestand, die stilistischen Werte, die Bedeutung und die grammatische Struktur der sprachlichen Einheiten zweier Sprachen ist sehr selten zu finden, da beim interlingualen Vergleich oft „vielgestaltige kulturelle und national- bzw. landesspezifische Unterschiede in Erscheinung treten“ (Földes 1996, S.86). In Phraseologismen sind Sitten, Bräuche, Traditionen usw. verankert und so kann es für ein Land spezifische Phraseologismen geben, die eine nationalspezifische Kultur reflektieren, die in der anderen Sprache nicht vorhanden ist.

Äquivalente Übereinstimmung, sog. phraseologische Internationalismen sind zum Beispiel solche wie geflügelte Wörter aus der Bibel, mythologische Überlieferungen aus der Antike oder aus bekannten Werken der Weltliteratur.

5.2 Interlinguale Äquivalenz

„Unter Äquivalenz wird im zwischensprachlichen Vergleich ganz allgemein eine (vollständige oder teilweise) Übereinstimmung sprachlicher Bedeutung verstanden (semantsiche Äquivalenz)“ (Worbs1994,S.141). Bei der Kontrastierung von Phraseologismen zweier Sprachen muss die strukturelle Äquivalenz, d.h. die Formseite der Phraseologismen, mit berücksichtigt werden.

Bezüglich der Herausbildung bzw. Entstehung der zwischensprachlichen Äquivalenz phraseologischer Einheiten lassen sich drei Haupttypen unterscheiden:

- internationale Wanderidiome, die in der Mehrheit der Sprachen mit ähnlichem kulturellem Hintergrund vorkommen. Dazu zählen auch Redensarten aus der Bibel, aus bekannten Werken der Weltliteratur und mythologische Über­lieferungen der Antike.
- Phreseologische Redewendungen, die ihren Ursprung in gleichen Beobach­tungen, Erfahrungen und gleicher Lebens- und Denkweise haben.
- Entlehnung oder Kalkierung, die auf den Wechselbeziehungen der Völker beruhen (Laskowski 2003, S. 89 f nach Földes 1986, S. 370-372).

Bei dem interlingualen Vergleich der Phraseologismen zweier Sprachen können bei der Kontrastierung verschiedene Äquivalenzstufen konstatiert werden: vollständige, teilweise oder keine Äquivalenz. Die letztere wird auch Nulläquivalenz genannt. Die Äquivalenztypen sollen nun im Einzelnen besprochen werden.

5.2.1 Vollständige (strukturell-semantische) Äquivalenz

Diese Form der Äquivalenz tritt dann auf, wenn die phraseologischen Wendungen einer Sprache in der denotativen und wörtlichen Bedeutung, der Komponentenkette, den syntaktischen Funktionen und den Konnotationen[8] mit der pharseologischen Einheit einer anderen Sprache übereinstimmt[9] ; z.B. być czyjąś prawą ręką ‘jmds. rechte Hand sein’

Die vollständige Äquivalenz ist, aufgrund des kultursemantischen Differentials zwischen den Bedeutungsträgern beider Sprachen und der sprachtypologischer Unterschiede, eine relativ seltene Erscheinung. Problematisch sind vor allem die unikalen Komponenten, bei denen prinzipiell keine Gleichheit der wörtlichen Bedeutung zu erwarten ist. Was bei der vollständigen Äquivalenz besonders auffällt, ist der hohe Anteil an Somatismen.

Ursachen der vollständigen Äquivalenz können sein:

- Gemeinsamkeiten der historisch-gesellschaftlichen Entwicklung
- gleiche ethisch-moralische Wertvorstellungen, dadurch der gleiche Symbol­wert gewisser sprachlicher Ausdrucksmittel oder Formulierungen
- Gemeinsamkeiten in Sitten, Volksbräuchen
- unmittelbare Übernahme aus der Ausgangssprache in die Zielsprache, ohne einer späteren semantischen und syntaktisch-strukturellen Modifizierung
- eine Drittsprache als gemeinsame Quelle der Übernahme gemeinsames Kulturgut wie etwa die Bibel, die Antike, große Werke der Weltliteratur

(Hessky 1987, S. 95).

5.2.2 Teilweise (partielle) Äquivalenz

„Partielle Äquivalenz bedeutet nicht allein eine gewissen Proportion der Gleichheiten und Unterschiede auf der Systemebene, sondern in ihrer Konsequenz einmal die Möglichkeit der Verwendung in bestimmten Kontexten aufgrund bestehender Gleichheiten, ein anderes Mal die Unmöglichkeit der Verwendung infolge der hervortretenden Unterschiede im gegebenen Kontext“ (Hessky-1987,-S.102). Die teilweise oder partielle Äquivalenz weist somit zwischensprachliche Variabilität auf. Diese äußern sich in einer partielle Entsprechung in der Komponentenkette, die aber die gleiche Bedeutung und dasselbe bzw. ein ähnliches Bild haben. Die Kom­ponentenkette kann lexikalische modifiziert, verkürzt oder ergänzt (meist durch Synonyme) sein. Des Weiteren kann in einer Sprache etwas salopp gesagt werden, in der anderen Sprache ist die genaue Wortfolge dem dichterisch-literarischen Stil zuzuordnen, folglich haben wir es mir unterschiedlichen Stilebenen zu tun.

Ein weiteres Kriterium für partielle Äquivalenz ist, dass in einer Sprache ein Phraseologismus mehrere semantische Bedeutungen enthalten kann und dadurch die Wendung einer Sprache in ihrer Semantik umfassender ist (vgl. Földes 1996, S. 119 f).

Hessky (1987) unterscheidet neun Gruppen der partiellen Äquivalenz, indem sie die Phraseologismen unter mehreren Gesichtspunkten vergleicht: einem lexikalischen, einem struktur-syntaktischen und einem semantischen Aspekt. Der lexikalische Aspekt bezieht sich auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede in dem Komponenten­bestand, der struktur-syntaktische Aspekt auf den strukturellen Bau und die syntaktische Funktion und der semantische Aspekt erfasst die denotative Bedeutung und die Konnotation (Hessky 1987, S. 64).

5.2.3 Nulläquivalenz

Nulläquivalenz „tritt dann auf, wenn aufgrund sprachlicher oder außersprachlicher Faktoren bestimmten Phraseologismen der einen Sprache keine entsprechenden (kodifizierten) phraseologischen oder lexikalischen Sprachzeichen in der anderen Sprache gegenüberstehen“ (Földes1996,S.126). Die denotative Bedeutung wird durch Paraphrasierung (Interpretation) in der anderen Sprache ausgedrückt, wobei die Konnotation gänzlich verloren geht.

6 Phraseologismen mit dem Glied ręka/Hand, Arm

Nachdem nun der theoretische Hintergrund der Phraseologie dargestellt worden ist, möchte ich im weiteren Verlauf dieser Arbeit zum eigentlichen Thema übergehen. Es sollen phraseologische Wortverbindungen mit dem Glied ręka/Hand,-Arm betrachtet und analysiert werden. Im Anhang dieser Arbeit befindet sich ein Korpus von 125 phraseologischer Wendungen mit der Komponente ręka/Hand,-Arm, die ich während meiner Recherche gefunden habe. All diese Phraseologismen zu untersuchen, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Es werden daher, zu den jeweiligen Unter­suchungskriterien, nur einige Phraseologismen, die meiner Meinung nach passend sind, angeführt. Die Liste der Phraseologismen habe ich verschiedenen ein- und zweisprachigen Wörterbüchern sowie phraseologischen Wörterbüchern entnommen. Phraseologismen, deren Entsprechungen in der Zielsprache in Wörterbüchern nicht ausfindig gemacht werden konnten, habe ich mittels einer der folgenden Typen übersetzt:-zunächst habe ich versucht den Phraseologismus anhand einer wörtlichen Übersetzung wiederzugeben. War dies nicht möglich, da der Phraseologismus in der Zielsprache nicht dem Phraseologismus in der Ausgangssprache bedeutungs­äquivalent war, habe ich versucht, mittels Substitution mit einem fest zugeordneten Phraseologismus oder einer sinnentsprechenden Wendung, die sprachliche Einheit der Ausgangssprache wiederzugeben. In einigen Fällen konnte die Bedeutung nur mithilfe von nicht-phraseologischer Umschreibung der ausgangssprachlichen Wendung ausgedrückt werden.

Zunächst möchte ich die Phraseologismen nach einer strukturellen Klassifikation gliedern. Weiterhin werden die Phraseologismen aus meinem Korpus nach ihrem Grad der Idiomatizität strukturiert (semantische Klassifikation). Im Rahmen dieser beiden Klassifikationen dient mir ein Korpus von 100 polnischen phraseologischen Wendungen mit der Komponente ręka/ręce ʻHand/Hände’.

Da diese Arbeit einen konfrontativen Charakter hat, denn es sollen Phraseologismen im deutsch-polnischen Sprachvergleich untersucht werden, werde ich im weiteren Verlauf auf die Äquivalenz der jeweiligen deutschen bzw. polnischen Entsprechun­gen eingehen. Einige deutsche Phraseologismen mit dem Glied Hand haben polnische Entsprechungen, die wiederum die Komponente ręka ʻHand’ nicht enthalten. Diese Phraseologismen werden in diesem Teil berücksichtigt und der Korpus auf 125 Phraseologismen erweitert.

6.1 Strukturelle Klassifikation

Dieses Kapitel befasst sich mit der strukturellen Gliederung der Phraseologismen. Es wurden 100 polnische Phraseologismen mit dem Glied ręką/ręce hinsichtlich ihrer Kernkomponente untersucht. Der Korpus enthält satzwertige Phrasen (2%), Nominalphrasen (9%), Verbalphrasen (76%) und Adverbialphrasen (9%). Adjektiv­phrasen, phraseologische Partikeln und verknüpfenden Phraseologismen sind nicht enthalten. Im Folgenden werden einige Beispiele dargestellt

6.1.1 Satzwertige Phrasen

Meinem Korpus konnte ich nur zwei satzwertige Phrasen entnehmen.

- jak (jakby)[10] ręką odjął ‘etwas ist wie weggeblasen; es hat Wunder gewirkt’
- ręce opadają ‘nicht mehr ein und aus wissen’[11]

6.1.2 Nominalphrasen

Folgende Phraseologismen enthalten einen substantivischen Kern als Basiselement.

- Konstruktionen mit adjektivischem Attribut + Substantiv
- macosza ręka ‘jmdm. nichts gönnen’
- ciężka ręka ‘eine schwere Hand’
- silna (mocna) ręką ‘eine starke (feste) Hand’

[Mieć][12] złote ręce ‘Gold in den Fingern (Händen) haben’ zähle ich zu den Nominalphrasen, da eine Nominalisierungsformation möglich ist: Znam jego złote ręce. (wörtl. ‘Ich kenne seinen goldenen Hände.’). Złote ręce fungiert als Objekt des Satzes, daher ist mieć ‘haben’ keine obligatorische Komponente. In den folgenden Phraseologismen ist ebenfalls eine Nominalisierungsformation durchführbar: [mieć] szczęśliwą rękę (rączkę)[do czegoś]: Szczęśliwa ręka jest atutem gier hazardowych. ‘Eine glückliche Hand ist bei Glücksspielen von Vorteil.’

[Mieć] dziurawe (gliniane) ręce ‘tollpatschig sein’: Z moimi dziurawymi rękami zawsze coś popsuję. wörtl. ‘Mit meinen löchrigen Händen mache ich immer alles kaputt.’

- Konstruktionen mit adjektivischem Attribut + Substantiv + Substantiv im Genitiv
- prawa ręka czyjaś ‘jmds. rechte Hand’

6.1.3 Verbalphrasen

Der Korpus enthält folgende Verbalphrasen:

- Konstruktion mit einfachem Substantiv

- załamywać ręce ‘Hände ringen’
- opuścić, opuszczać ręce ‘die Hände sinken lassen’
- zacierać ręce ‘sich die Hände reiben
- wyciągać rękę ‘die (seine) Hand aufhalten’
- umywać ręce ‘seine Hände in Unschuld waschen’

- Konstruktion mit adjektivisch-attributiv erweitertem Substantiv

- mieć wolną rękę ‘freie Hand haben’
- mieć czyste ręce ‘reine (saubere) Hände haben’
- mieć dwie lewe ręce ‘zwei linke Hände haben’
- mieć długie (lepkie) ręce ‘lange Finger machen (haben)’
- mieć związane ręce ‘jmdm. sind die Hände gebunden’

- Konstruktion mit Substantiv im Instrumentalis

- wydawać pieniądze garściami ‘das Geld mit vollen Händen ausgeben’
- bronić się rękami i nogami [przed kimś (przed czymś)] [13] ‘sich mit Händen und Füßen [gegen etwas] wehren (sträuben)’

- Konstruktion mit Substantiv im Instrumentalis + Präpositionalgruppe

- być [ślepym] narzędziem w czyichś rękach ‘ein Werkzeug in jmds. Händen sein’

- Konstruktion mit Erweiterung des Substantivs durch Präpositionalgruppe

- wziąć (brać) coś w swoje (we własne) ręce ‘etwas in die Hand (in seine Hände) nehmen’
- patrzeć komuś na ręcę ‘jmdm. auf die Finger (Hände) schauen’
- jeść komuś z ręki ‘jmdm. aus der Hand fressen’
- prowadzić kogoś za rękę ‘jmdn. an die (bei der) Hand nehmen’
- nosić kogo na rękach ‘jmdn. auf Händen tragen’

- Konstruktion mit Erweiterung der Verbalkomponente durch substantivisches Wortpaar

- mieć ręce i nogi ‘Hand und Fuß haben’
- iść, pójść ręka w rękę (ramię w ramię) [z kimś] ‘Hand in Hand gehen’
- pracować ręką i głową ‘Körperarbeit und Kopfarbeit’

- Konstruktion mit Präposition + Substantivisches Wortpaar

- coś przechodzi z rąk do rąk ‘von Hand zu Hand gehen’ (der Reihe nach)
- coś przechodzi z ręki do ręki ‘von Hand zu Hand gehen’ (ohne jmds. Vermittlung)

- Konstruktion mit Erweiterung der Verbalkomponente durch Präpositional- gruppe

- być w dobrych rękach ‘in guten Händen sein (liegen)’
- wychodzić, grać z ręki ‘aus der Hand spielen’
- paść (zginąć) z czyjejś ręki (z czyichś rąk) ‘von jmds. Hand sterben’
- splunąć w ręce ‘in die Hände spucken’
- być w czyichś rękach (w czyimś ręku) ‘in jmds. Hand (Händen) liegen (stehen)’

[...]


[1] Nach dem Grad der Idiomatizität werden auch die phraseologischen Wendungen im zweiten Teil dieser Arbeit semantisch klassifiziert.

[2] Fleischer (1997) differenziert in seiner syntaktischen Klassifikation nur zwischen Nominal-, Verbal-, Adjektiv- und Adverbialphrasen.

[3] Beispiel aus Nagórko (2007), S. 262

[4] Beispiel aus Fleischer (1997), S. 124

[5] Beispiel aus Nagórko (2007), S. 264

[6] Beispiel aus Nagórko (2007), S. 266

[7] Beispiele aus Nagórko (2007), S. 257

[8] Unter dem Begriff „Konnotation“ werden stilistische, emotionale, assoziative usw. Bedeutungskomponenten des Phraseologismus zusammengefasst, die die denotative Bedeutung ergänzen.

[9] Hessky, 1987, S. 95; Laskowski 2003, S. 133; Földes 1996, S. 118

[10] runde Klammern bezeichnen lexikalische Variationen

[11] Hand aufs Herz! ‘z ręką na sercu’ wäre eine weitere, im Korpus enthaltene satzwertige Phrase, jedoch nur die deutsche Entsprechung.

[12] eckige Klammern bezeichnen eine optionale Ergänzung

[13] Diese Konstruktion enthält ein Wortpaar und kann somit auch zu den Konstruktionen mit Substantivischem Wortpaar gerechnet werden

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2010
ISBN (PDF)
9783955495541
ISBN (Paperback)
9783955490546
Dateigröße
350 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1,5
Schlagworte
Phraseologismus Polnisch Deutsch Klassifikation Idiomatizität Polylexikalität
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