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Neuromarketing: Was passiert im Kopf des Konsumenten? Ein Einblick in die Neuroökonomie und deren Nutzen für die Marktforschung

©2012 Bachelorarbeit 64 Seiten

Zusammenfassung

Hauptaufgabe des Marketings ist es, Kunden mit passenden Produkten zu verbinden. Doch genau dieser Aufgabe erfolgreich nachzugehen, fällt immer schwerer in einer Welt voller substituierbarer Produkte und Dienstleistungen. Dazu kommt die Erkenntnis daru¨ber, dass der Konsument sich selbst aus dem „Information Overload“ nicht retten kann, da er nicht imstande ist, seine Präferenzen präzise genug zu verbalisieren. Was den Konsumenten steuert sind Motive, Emotionen und zum größten Teil sein Unbewusstsein. Die klassische Marktforschung stößt somit allmählich an ihre Grenzen und die logische Weiterentwicklung daraus ist die Neuroökonomie. Dies ist eine neue wissenschaftliche Disziplin aus den Gebieten der Kognitions- und Neurowissenschaften, Psychologie und Ökonomie, die versucht anhand moderner, bildgebender Verfahren aus der Hirnforschung Erkenntniszuwächse u¨ber die Entscheidungsfindung des Konsumenten zu erlangen.
Durch Hilfe des Neuromarketing hoffen Wissenschaftler und Marketingexperten, neue Erkenntnisse u¨ber das Verhalten des Konsumenten zu erlangen, die bisher durch konventionelle Marktforschungsinstrumente nicht möglich waren, um damit Konsumenten in Zukunft gezielter adressieren zu können.
Das vorliegende Buch untersucht und hinterfragt bisherige Erkenntnisse der jungen Disziplin, bezieht diese auf konkrete Praxisbeispiele und gibt einen Überblick darüber, wie Marketeers zu der Forschungsrichtung im Bezug auf Praxisrelevanz stehen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


1.1 Bedeutung und Relevanz des Neuromarketing

Jeden Tag wirken mehr als 3.000 Werbebotschaften in Form von Werbespots, Printanzeigen, Mailings, Online-Banner und Events auf den Konsumenten ein, im Supermarkt warten durchschnittlich 10.000 Artikel darauf ausgewählt zu werden und jährlich kommen etwa 26.000 neue Produkte auf den Markt.[1] Diese Zahlen verdeut­lichen, für Unternehmen wird es immer schwieriger durch den Nebel an Botschaften ihre Konsumenten zu erreichen und Produkte erfolgreich am Markt zu platzieren. Es herrscht ein regelrechter „Kampf um die Aufmerksamkeit des Kunden“, denn die werbliche Belastung der Konsumenten nimmt stetig zu, während die Werbewirksamkeit der Botschaften immer mehr sinkt.[2] So kommen 98% der auf den Konsumenten einwirkenden Informationen nicht beim Rezipienten an.[3] Dieser „Information Overload“ und die damit einhergehende begrenzte Informationsaufnahme­kapazität des Konsumenten stellt Marketeers vor neue Herausforderungen und rückt die Bedeutung von Marken und ihrem Image in einen neuen Fokus: wenn immer mehr Produkte, die sich kaum voneinander unterscheiden um eine nahezu gleichbleibende Masse an potentiellen Käufern werben, so kann nur die Marke als Differenzierungsinstrument gegen diese Substituierbarkeit wirken. Sie ist somit der Schlüsselfaktor für den Erfolg von Unternehmen und beeinflusst Kaufentscheidung- und verhalten in erheblichem Maße.[4] Zudem stellen Marken einen bedeutsamen immateriellen Wert im Unternehmen dar. Nicht nur extern, sondern auch intern führen Marken zu höherer Motivation und Loyalität der Mitarbeiter durch stärkere Identifikation.

Denjenigen Marken, die sich von ihren Mitbewerbern mit einer eindeutigen Kommunikation unterscheiden und dem Konsumenten durch ihr Image einen Zusatznutzen bieten, wird es auf lange Sicht gelingen, eine herausragende Position im Wettbewerb mit anderen einzunehmen. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass es die Marke schafft, auf den Konsumenten zu wirken. Ihr muss es gelingen, den Kunden zu erreichen und mit einer Botschaft zu überzeugen, die (wiederholt) zum Kauf führt.

Die traditionellen Instrumente der Marktforschung, mit denen versucht wurde Markenwirkung und Kaufverhalten von Kunden zu messen, sind nur begrenzt hilf­reich für die eben beschriebene Problematik. So scheitern trotz umfangreicher Unter­suchungen und millionenschwerer Werbemaßnahmen ca. 70% aller Produkteinführungen.[5] Doch eigentlich dürfte diese erschreckende Zahl nicht verwundern. Um den Kunden richtig zu verstehen und um sehen zu können, wie unterschiedliche Werbebotschaften auf ihn wirken, reicht die klassische Marktforschung nicht mehr aus. Klassische Marktforschungsinstrumente, wie Fragebögen, Einzelinterviews, Beobachtungen oder Imageanalysen sind nicht ausreichend in der Lage, die „Determinanten des Kaufverhaltens vollständig zu erfassen“[6]. Das liegt daran, dass die für das Kaufverhalten so wichtigen impliziten, also emotionalen Komponenten nur schwer „abgefragt“ werden können, da Konsumenten ihre unbewussten Präferenzen nicht kennen und diese demnach auch nicht in der Lage sind zu verbalisieren. Auch können Beeinflussungen, beispielsweise des Befragenden auf den Befragten, nie gänzlich ausgeschlossen werden. Und dennoch werden heute noch 80 bis 90% aller empirischen Untersuchungen in Bezug auf Konsumenten- und Verhaltensforschung durch Befragungen oder andere verbale Messmethoden durchgeführt.[7] Neuroökonomie ist also gewissermaßen eine Methode aus der misslichen Lage heraus, nicht weiterzuwissen, was den Konsumenten und seine Entscheidungsfindung betrifft. So entstand die Forschungsrichtung, als man sich verstärkt bei wissenschaftlichen Nachbardisziplinen wie den Neuro- und Kognitionswissenschaften bediente.

Mit Hilfe der Forschungsergebnisse der Neurowissenschaften ist es gelungen, in den letzten Jahren ein deutlich höheres Maß an Erkenntnissen über das Verhalten des Kunden zu erlangen um Schlüsse daraus zu ziehen, wie Botschaften gestaltet werden müssen, um im Gehirn zu wirken.

Neuromarketing kann also einen Lösungsweg ebnen, der es Unternehmen endlich ermöglicht, ihre Kunden gezielt und effektiv zu erreichen. Experten hoffen,: „[...] that neuroimaging will soon be able to reveal hidden information about consumer preferences“[8].

1.2 Vorgehensweise und Aufbau der Thesis

Im Rahmen dieser Bachelorthesis wird ein Einblick in die Neuroökonomie, im Speziellen in das Neuromarketing gegeben. Im Wesentlichen werden dabei die Erkenntnisse über das Konsumentenverhalten thematisiert. Ziel der Arbeit ist es, dem Leser einen Überblick darüber zu verschaffen, aus welchen Beweggründen die Disziplin Neuromarketing entwickelt wurde und welche Bedeutung sie in Zukunft bekommen kann. Hierzu werden in Kapitel 2 zunächst die ökonomischen und psychologischen Grundlagen aufgezeigt und dargelegt welche Historie dem Neuromarketing vorausging. In Kapitel 3 folgen die biologischen Grundlagen, die sich mit dem Aufbau des Gehirns befassen und dem Leser wichtige Grundkenntnisse vermitteln. In Kapitel 4 folgen Erläuterungen über die Bedeutung von Emotionen und Motiven innerhalb der Konsumentenforschung. Die von Hans-Georg Häusel entwickelte Limbic Map und deren drei Systeme Balance, Stimulanz und Dominanz werden darin vorgestellt. Außerdem wird auf die Rolle des Unbewussten eingegangen und dabei Unterschiede zwischen den Begriffen rational, emotional, unbewusst und bewusst aufgezeigt. In Kapitel 5 werden konkret Anwendungsmöglichkeiten für das Marketing erläutert und die Relevanz von Marken erläutert. Dabei werden vier sensorische Instrumente für die Markenführung erklärt, anhand derer Marken potentielle Kunden ansprechen können.

Das Kapitel 6 versucht abschließend der Frage nach Umsetzungsmöglichkeiten in die Praxis nachzugehen und aufzuzeigen, inwiefern dies überhaupt möglich ist. Dazu werden Beispiele aus der Praxis genannt und die Ergebnisse einer Expertenbefragung dargestellt. Es folgt eine kritische Auseinandersetzung mit der Disziplin und damit verbundenen Grenzen des Neuromarketing.

2. Ökonomische und Psychologische Grundlagen

Das Thema Neuromarketing ist durch seinen interdisziplinären Charakter eine kom­plexe Forschungsrichtung, die ein fundiertes Basis- und Grundwissen voraussetzt. Im Folgenden soll die definitorische Einbettung des Begriffs in die Ökonomie erfolgen sowie der daraus resultierenden Perspektivenwechsel in Bezug auf die klassische ökonomische Betrachtungsweise dargestellt werden.

2.1 Neuromarketing als Teilbereich der Neuroökonomie

Wie zu Beginn erläutert, ist Neuromarketing als Teilbereich der Neuroökonomie zu verstehen und befasst sich im Speziellen mit der Frage, wie sich Erkenntnisse der Hirnforschung und somit der Neurowissenschaften für die Ökonomie, im Speziellen für Marktforschungszwecke nutzen lassen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Neuromarketing integriert und verknüpft Erkenntnisse verschiedener Disziplinen[9]

Marketingexperten verfolgen seit jeher das Ziel, Konsumenten in ihrer Entscheidungsfindung zu beeinflussen. Strategien für dieses Beeinflussen formulierten sich ausschließlich aus dem Wissen der Konsumentenforschung, welche wie in Abschnitt 1.1 beschrieben, sich auf traditionelle Methoden berufen, die nicht ausführlicher erläutert werden. Diese Methoden werden nun durch die Hirnforschung und mit Hilfe bildgebender Verfahren, wie zum Beispiel dem fMRT erweitert.

2.2 Vom „homo oeconomicus“ zum „homo neurobiologicus“

Noch immer weit verbreitet in der Ökonomie findet sich die Theorie des nach Nutzenmaximierung strebenden und völlig rational handelnden Menschen. Diese dem homo oeconomicus unterstellte Rationalität bedeutet, dass er aus mehreren Alternativen stets die für ihn günstigste im Hinblick auf die angestrebte Nutzenmaximierung wählt.

Auch impliziert dieses Verhalten, der Mensch sei mit vollständiger Information im Hinblick auf Wissen, Zeit und Informationsverarbeitungsmöglichkeiten ausgerüstet.[10] Implizites Verhalten in Form von Emotionen sieht dieses Modell nicht vor. Dies lässt sich möglicherweise darauf zurückführen, dass Emotionen nicht genau definierbar oder gar quantifizierbar sind.[11]

Doch die Vorstellung des homo oeconomicus muss erweitert und korrigiert werden, da Einflüsse wie Vertrauen und Emotionen eine mindestens ebenso große Rolle bei Kaufentscheidungen spielen. Ein Perspektivenwechsel findet statt, aus dem homo oeconomicus wird ein homo neurobiologicus.[12] Im folgenden Abschnitt werden daher einige Grundlagen der Hirnforschung näher erläutert.

3. Biologische Grundlagen – das Hirn des Konsumenten

Sollte es den Händlern gelingen, eine signifikante Aktivierung des ‚Nucleus accumbens’ im basalen Vorderhirn des Konsumenten zu erzeugen und gleichzeitig eine Hemmung der ‚Insula’ im Großhirn sowie synchron dazu die Aufrechterhaltung der Aktivität im ‚Präfrontalen Kortex’, [ ... ] dann muss uns um die Konjunktur nicht bange sein. Denn bei [ ... ] Zusammenwirken aller drei Hirnareale ist die Entscheidung zum Kauf - freier Wille hin oder her - quasi zwangsläufig.[13]

Dieser Ausschnitt eines Artikels aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zeigt – wenn auch ein wenig polemisch – auf welche biologische Ebene die Marktforschung durch den Einzug der Neuroökonomie gehoben wurde. Plötzlich schmeißen Marktforscher mit Gehirnarealen um sich, als wäre dies seit jeher Teil ihrer Arbeit.

Um Emotionen messbar zu machen und um zu sehen, wo die Entscheidungsfindung stattfindet, erweitern Ökonomen ihren Blickwinkel in die Neurowissenschaften und in das Zentrum menschlichen Denkens, Fühlens und Handels, das Gehirn.[14]

3.1 Neuroökonomisch relevante Bereiche und Prozesse des Körpers

Eine Voraussetzung, um den Konsumenten in seinen Verhaltensweisen zu begreifen und zu beeinflussen, ist die damit verbundenen Funktionen und Prozesse im Gehirn zu verstehen. In diesem Abschnitt werden einige Bereiche und Prozesse des Körpers näher erläutert, die in direktem Zusammenhang mit dem Thema Neuromarketing stehen. Im Wesentlichen sind dies das Nervensystem und das Gehirn des Menschen.

Die Nervenzelle ist die wohl interessanteste Zelle der gesamte Biologie, was auf ihre eigenartigen Merkmale zurückzuführen ist. So ist sie bereits vor der Geburt des Menschen entstanden und bleibt ohne sich jemals zu teilen bis zum Tod bestehen. Die Gesamtanzahl der Nervenzellen wird auf mehrere Milliarden geschätzt.[15] Das Gehirn des Menschen ist aus zwei Haupttypen von Zellen aufgebaut, den Nervenzellen oder Neuronen zum einen und die Gliazellen zum anderen. Die Nervenzellen haben zur Hauptaufgabe die Aufnahme, Verarbeitung und Weiterleitung von Informationen. Gliazellen können unterschiedliche Aufgaben ausführen.[16] Da über die Gliazelle nicht allzu viel bekannt ist, betrachtet man im neuroökonomischen Kontext primär die Nervenzelle. Das Besondere an der Nervenzelle ist ihre Fähigkeit, Informationen an andere Nervenzellen zu übertragen. Alle Nervenzellen verbinden zwei wichtige Funktionen miteinander: Erregung und Hemmung.

Die neuronale Verarbeitung erfolgt in Form eines elektrischen Impulses (Erregung), welcher aufgenommen, verarbeitet und abgegeben wird. Eine Hemmung führt dazu, dass die Nervenzelle kurzfristig für weitere Erregungen gehemmt ist.[17] Neuronen schließen sich mit Millionen anderer Nervenzellen derselben Funktion zusammen um sogenannte Kerne zu bilden. (lat. Nuclei, Singular Nucleus).[18]

Diese Kerne sind anatomisch sichtbar und haben je nach Aufgabe verschiedene Funktionen.[19] Der Nucleus accumbens beispielsweise ist eine Kernstruktur im unteren Vorderhirn, dem limbischen System und wird in der Literatur gerne als „Lust- und Belohnungskern“ bezeichnet.[20] Wird er durch äußere Reize aktiviert, z.B. durch einen Geldgewinn, so lässt sich diese Aktivität im MRT beobachten.

Das Gehirn ist mit seinen etwa 1,3 Kilogramm erstaunlich leicht im Vergleich zu seiner immensen Leistung. So beanspruchen die Nervenzellen des Gehirns bis zu 20% des Sauerstoffs und 60% des Glukosevorrats des gesamten Körpers.[21]

Das Gehirn ist der im Schädel untergebrachte Teil des zentralen Nervensystems und eines unserer leistungsstärksten sowie anspruchsvollsten Organe. Es lässt sich in drei Hauptregionen unterteilen: Großhirn, Mittelhirn und Kleinhirn, wie in Abb. 2 zu sehen ist. Wiederum zum Großhirn zählen die Großhirnrinde, die Basalganglien, der Thalamu, der Hippocampus und die Amygdala bzw. Mandelkern.[22] Auf einige dieser Bereiche des sogenannten limbischen Systems wird noch genauer eingegangen.

Das Gehirn lässt sich in verschiedene Regionen einteilen. So unterscheidet man unter anderem nach Kortex und Subkortex. Die Großhirnrinde sowie das Endhirn ergeben den Kortex, welches die äußeren Bereiche des Gehirns ausmachen und in denen hauptsächlich die kognitive Verarbeitung von Informationen stattfindet.

Der Subkortex besteht aus Zwischenhirn, Kleinhirn und Stammhirn. Hier vollziehen sich die allgemeinen und spezifischen Aktivierungsprozesse, wie Regulation der Atmung, Temperatur, Körperlage und andere autonome Prozesse.[23]

Um die wesentlichen funktionalen und verhaltenssteuernden Zusammenhänge des Neuromarketing nachvollziehen zu können, muss auf drei Gehirnareale gesondert eingegangen werden. Dazu gehört der in der eben erwähnten Großhirnrinde liegende Neokortex, das limbische System sowie die Amygdala. Der Neokortex nimmt den größten Teil des Gehirns ein und gilt als Speicher von Lebenserfahrung und Konsequenzen. Er kann noch einmal in vier Hautlappen unterteilt werden: Frontallappen, Parietallappen, Occipitallappen und Temporallappen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Querschnitt durch das menschliche Gehirn[24]

Interessant für die Betrachtung aus neuroökonomischer Sicht sind jedoch die vielen verschiedenen Funktionsareale des Neokortex (siehe Abb. 3).

Dabei ist besonders der präfrontale Kortex zu nennen, der als Verbindungsstelle zwischen emotionalem Wollen und der tatsächlichen Umsetzung in eine Handlung gilt. Es ist eine Art Rechenzentrum, welches die verarbeiteten sensorischen Signale empfängt, mit Informationen aus dem Gedächtnis integriert und anhand emotionaler Bewertungen aus dem limbischen System Handlungen formuliert. Dieser ist, vereinfacht ausgedrückt, der Sitz der Vernunft und fungiert als eine Art Berater des limbischen Systems, indem er diesem Informationen über Erfahrungen zur Beurteilung neuer Situationen zur Verfügung stellt.[25]

Auch dieser kann in zwei Bereiche unterteilt werden: einen stark emotionalen Bereich (orbitofrontaler Kortex und ventromedialer präfrontaler Kortex) sowie einem eher funktional-kognitiven Bereich (dorsolateraler, ventrolateraler, frontolateraler Kortex).[26]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: Die funktional-rationalen Funktionseinheiten des Neokortex[27]

Das limbische System spielt im neuroökonomischen Zusammenhang eine essentielle Rolle. Es bezeichnet das Gehirnareal, das zusammen mit dem präfrontalen Kortex für die emotionale Verarbeitung von Informationen zuständig ist und von Experten bezeichnet wird als „[...]the power station of our brain – the place where desires, motivations, emotions and moods that steer our behaviour are awakened“[28].

Das limbische System liegt außerhalb des Bewusstseins und wird teilweise zum Großhirn (Neokortex), teilweise zum Zwischenhirn gezählt.[29] Es ist der Ort, an dem Stimuli und Reize unbewusst bewertet werden. Das limbische System greift dazu auf gespeicherte Informationen über Erfahrungen aus dem Neokortex zurück. Wann immer wir also etwas denken, fühlen und wahrnehmen, bewerten wir automatisch positiv, neutral oder negativ. Dieser Bewertungsprozess läuft unterbewusst innerhalb von Tausendstelsekunden ab. Die Informationen werden weiter an den Hirnstamm gesendet, der wiederum verschiedene Reaktionen im Körper auslöst.

Das limbische System beinhaltet verschiedene funktionale Bestandteile, dazu zählen unter anderem der Hippocampus, Hypothalamus, Gyrus cinguli sowie die Amygdala bzw. Mandelkern. Letzterer spielt insbesondere für die Verarbeitung von Gefühlen eine wichtige Rolle und ist daher ein für das Neuromarketing interessanter Ort im Gehirn. Eine zentrale Funktion des Mandelkerns ist die Beteiligung beim Erlernen bestimmter impliziter Gedächtnisinhalte. Dabei bekommt die Amygdala Informationen aus dem Thalamus und weiteren sensorischen Kortexfeldern eingespeist.[30] Dieser Input an sensorischen Informationen ist entscheidend für das Erlernen emotionaler Zustände wie z.B Angst und Furcht. Sie ist allerdings auch für das Speichern positiver, belohnender Reize zuständig.

Hierbei ist auf das Zusammenspiel zwischen Hippocampus und Amygdala hinzuweisen. Der Hippocampus ist das emotionale Lernzentrum. In ihm werden „Objekt-, Orts- und Situationsmerkmale mit emotionaler Bedeutung verknüpft“[31].

So bilden die Amygdala in Verbindung mit dem Hippocampus ein „anatomisches Bindeglied zwischen kognitiven Lernfunktionen und emotionalem Verhalten“[32].

Im Hinblick auf die Frage, wie Entscheidungen im Gehirn gefällt werden, ist ein kurzer Einblick in die Arbeitsweise unseres Gehirns förderlich: Unser Gehirn ist ein Energiefresser, denn er konsumiert 20% der uns zur Verfügung stehenden Energie.

Das ist damit zu begründen, dass jede Gehirnaktivität zu Stoffwechsel führt.[33] Evolutionsbedingt versucht das Gehirn jedoch Energie zu sparen. Daher versucht das Gehirn Handlungen, die bereits mit positiven Assoziationen abgespeichert sind, zu wiederholen und als eine Art „default mode“ einzusetzen. So kann das Gehirn ohne anstrengendes Nachdenken und ohne das Bewusstsein in die Handlung mit einzubeziehen auf diesen Modus zurückgreifen.[34] In Kapitel 4 wird auf diese Arbeitsweise erneut im Zusammenhang mit Kaufentscheidungen eingegangen.

3.2 Neuroökonomische Messmethoden – bildgebende Verfahren

Das Gehirn ist wie ein Orchester, ein virtuoses Zusammenspiel vieler kleiner Einzelteile, die ohne Dirigent funktionieren. Inwieweit die eben grob behandelten Bereiche des Gehirns eine Relevanz aufweisen im Hinblick auf neuroökonomische Verhaltensforschung, wird in diesem Abschnitt deutlich. Zur Erkenntnisgewinnung neuronaler Prozesse werden in der Neuroökonomie eine Reihe an technischer Verfahren angewendet, die aus der Gehirnforschung stammen. Diese sogenannten bildgebenden Verfahren helfen Gehirnaktivität darzustellen und zu lokalisieren. Dabei werden Veränderungen gemessen, die einerseits elektrische und andererseits stoffwechselbedingte Aktivitäten beschreiben.

Im Folgenden werden zwei Methoden näher erläutert, die Stoffwechselprozesse messen, dazu gehören die funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT) sowie die Positronen-Emissions-Tomographie (PET). Eine Mehtode zur Messung von elektrischer Aktivität ist die Elektrozephalographie (EEG).

3.2.1 Funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT)

Die funktionelle Magnetresonanztomografie ist eine Weiterentwicklung der ursprünglichen Magnetresonanztomografie. Die im fMRT erzeugten Bilder ermöglichen die bildliche Darstellung der Gehirnareale und machen Stoffwechselvorgänge sichtbar, die durch Aktivität in bestimmten Bereichen entstehen.[35] Dies ist möglich durch die unterschiedlichen magnetischen Eigenschaften von oxygeneriertem und desoxygeneriertem Blut und wird als BOLD-Effekt bezeichnet.[36] Einfacher ausgedrückt, je nachdem welcher Bereich des Gehirns gerade aktiviert wird und Energie verbraucht, ändert sich an der Stelle der Sauerstoffgehalt im Blut. Das fMRT registriert dies, berechnet den Ort der Aktivität und stellt es dreidimensional dar.

3.2.2 Positronenemissionstomographie (PET)

Ein weiteres bildgebendes Verfahren ist die Positronenemissionstomographie. Hierbei wird ein schwach radioaktiver Stoff in den Blutstrom des Probanden gegeben. Diejenigen Hinbereiche die aktiviert werden, haben automatisch einen höheren Glukoseverbrauch. Der PET-Scanner kann diese Bereiche dann durch nachweisbare Radioaktivität bestimmen, allerdings bei geringerer Ortsauflösung.[37]

3.2.3 Elektroenzephalographie (EEG)

Bei diesem Verfahren werden Informationen über die elektrische Tätigkeit des Gehirns gewonnen. Dem Probanden werden dabei Elektroden an der Kopfhaut angebracht, welche Spannungsschwankungen an der Hirnoberfläche messen können.[38] So kann durch die Schädeldecke hindurch die elektrische Aktivität einer großen Anzahl von Nervenzellen gemessen werden. Ein Vorteil dieser Technik liegt in der zeitlichen Präzision, die sich im Millisekundenbereich bewegt. Die räumliche Darstellung hingegen ist weniger präzise, da über die Elektroden nur oberflächennahe, also kortikale und keine subkortikalen Aktivitäten gemessen werden können.[39]

4. Neurowissenschaftliche Erkenntnisse für die Marktforschung

In diesem Abschnitt soll der Frage nähergekommen werden, was sich im Kopf des Konsumenten abspielt. Welche Motive sind es, die unser Konsumentenverhalten erklären, welche Rolle spielen dabei Emotionen und stimmt es, dass 95% unserer Handlungen unbewusst stattfinden? In den letzten Jahren konnten immer mehr Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften in die Markt- und Konsumforschung integriert werden, wodurch das Neuromarketing weiter an Bedeutung für die Marktforschung gewonnen hat.

4.1 Konsumentenverhalten im Hinblick auf Emotionen und Motive

Damit ein Konsument eine Kaufentscheidung trifft, wägt er in Millisekunden zwischen Befriedigung durch den Erwerb und Schmerz des „Zahlenmüssens“ ab. Hierbei wird deutlich, welch emotionaler Wettstreit sich bei Kaufentscheidungen ständig im Kopf abspielt. Möchte man ergründen warum der Kunde etwas kauft, kommt man an der Frage, welche Motive dies beeinflussen nicht vorbei.

4.1.1 Vom Behaviorismus zum Neobehaviorismus

Erste Forschungen des Konsumentenverhaltens wurden bereits in den 1920er Jahren in den USA vollzogen. Größere Bedeutung bekam das Thema erst nach dem zweiten Weltkrieg durch Publikationen wie „Marketing Contributions from the Behavioral Sciences“ 1965 von Gerald Zaltman oder durch „Consumer Behavior“ im Jahr 1968 von Engel, Kollat und Backwell.[40] Eine Reihe von Verhaltensmodellen hat bisher versucht Kaufverhalten zu erklären.

Die dem Behaviorismus zugeschriebene „Customer-Behavior-Theorie“ beschreibt den Konsumenten zunächst als „Black Box“. Prozesse der Entscheidungsfindung bei einem Einkauf und damit verbundenes Konsumentenverhalten bleiben in diesem Ansatz unerklärt.

Der auch als „Stimulus-Response-Modell“ (S-R-Modell) bezeichnete Ansatz beschränkt sich lediglich auf beobachtbare Größen. Einerseits sind dies Reize, welche auf den Konsumenten einwirken und andererseits Reaktionen, die durch die Reize ausgelöst werden.[41] Die Black Box bekommt Input in Form von Einflüssen (durch Marketinginstrumente, wie z.B. einer Werbekampagne oder durch Umwelteinflüsse) und erzeugt ein daraus resultierendes Verhalten, den Response.

Intrapersonale, kognitive Entscheidungsprozesse, wie Motive und Emotionen, werden in diesem Ansatz nicht sichtbar und müssen hypothetisch rekonstruiert werden.[42]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4: Darstellung des Stimulus-Response-Modells[43]

4.1.2 Das Stimulus-Organism-Response-Modell

Da sich Konsumentenverhalten ohne das Einbeziehen von kognitiven Prozessen nicht näher erklären lässt, baut das in Abbildung 5 dargestellte, neobehavioristische Stimulus-Organism-Response-Modell (S-O-R) auf das S-R-Modell auf und entwickelt es weiter. So werden in diesem Modell auch psychische Prozesse des menschlichen Organismus (=O) betrachtet.[44]

Im Wesentlichen sind dies aktivierende sowie kognitive Zustände und Prozesse. Aktivierend sind diejenigen Vorgänge, die mit innerer Erregung und Spannung verbunden sind und den Menschen mit psychischer, seelischer Energie versorgen und antreiben. Dazu zählen z.B. Emotionen, Motivation und Einstellungen. Emotionen sind subjektiv erlebte, innere Erregungsvorgänge verbunden mit Motivation auf ein Handeln. Die Motivation unterscheidet sich von der Emotion darin, dass zur inneren Spannung ein Trieb in Form einer Zielorientierung hinzukommt. Einstellungen lassen sich als Haltung oder Reaktionsbereitschaft hinsichtlich eines Objektes auffassen.[45]

„Emotionen sind nach innen gerichtet, Motivation auf ein Handeln und Einstellungen auf ein Objekt“[46]. Das Zusammenspiel dieser drei Vorgänge erklärt das menschliche Verhalten, welches im Hinblick auf das Käuferverhalten maßgeblich ist.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 5: Neobehavioristisches S-O-R-Modell[47]

Kenning sagt, Ziel der Kaufverhaltensforschung ist es, einen größtmöglichen Anteil der beobachtbaren Kaufhandlungen theoretisch zu erklären, was jedoch auch mit dem S-O-R-Modell nicht gänzlich möglich ist.[48]

Die im Kopf des Konsumenten ablaufenden Prozesse bleiben nach wie vor offen. Daher, und hier findet sich wieder eine Existenzberechtigung der Neuroökonomie, bedarf es an einer Integration interdisziplinärer Methoden in die Kaufverhaltensforschung.[49]

[...]


[1] Vgl. Scheier/Held, 2006, S. 18.

[2] Vgl. ebd., S. 151.

[3] Vgl. Esch, 2008, S. 27.

[4] Vgl. Esch/Geus/Langer, 2002, S. 473.

[5] Vgl. Hoffmann, 2006, S. 62.

[6] Kenning et al., 2002, S. 6.

[7] Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg, 2003, S. 23.

[8] Ariely/Berns , 2010, S. 291.

[9] Scheier/Held, 2006, S. 22.

[10] Vgl. Guckelsberger, 2005, S. 1 ff..

[11] Vgl. Bechera/Damasio, 2004, S. 336-372.

[12] Vgl. Kenning/Hubert, 2009, S. 49.

[13] Müller-Jung, 2007, S. 36.

[14] Vgl. Rasshofer, 2009, S. 40.

[15] Vgl. Thompson, 2001, S. 29.

[16] Vgl. Roth, 2003, S. 12 ff.. und Vgl. Hanser, 2005, o.S.

[17] Vgl. Roth, 2003, S. 12 ff..

[18] Vgl. Hanser, 2005, o.S.

[19] Vgl. Schieber/Korf, 2007, S. 743 ff..

[20] Vgl. Häusel, 2008, S. 67.

[21] Vgl. Hanser, 2005, o.S.

[22] Vgl. Schöner, 2008, S. 12.

[23] Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg, 2003, S. 55.

[24] Vgl. Liss, 2010, o. S.

[25] Vgl. Häusel, 2006, S.79.

[26] Vgl. Häusel, 2008, S. 224.

[27] Vgl. Häusel, 2008a, S. 224.

[28] Franzen und Bouwman, 2001, S. 22.

[29] Vgl. Zimmermann, 2006, S. 18.

[30] Vgl. Unger, Jürgen, 2004, S. 70 ff..

[31] Shepard, 2010, o. S.

[32] Unger, Jürgen, 2004, S. 73.

[33] Vgl. Zimmermann, 2006, S. 21.

[34] Vgl. Häusel, 2006, S. 82-85.

[35] Vgl. Hanser, 2009, S. 28.

[36] Vgl. Korczack/Hecker, 2002, S. 48.

[37] Vgl. Hanser, 2005, o.S.

[38] Vgl. Ballhaus, 2005, S. 32.

[39] Vgl. Kenning et. al., 2007, S. 57.

[40] Vgl. Kroeber-Riel et al., 2009, S. 3.

[41] Vgl. Kroeber-Riel et. al., 2003, S. 29 f..

[42] Vgl. Kenning et. al., 2007, S. 56.

[43] Eigene Darstellung in Anlehnung an Kroeber-Riel/Weinberg, 2003, S. 325.

[44] Vgl. Felix, 2008, S. 22.

[45] Vgl. Kroeber-Riel et. al., 2009, S. 55 ff..

[46] Foscht/Swoboda, 2011, S. 37.

[47] Eigene Darstellung in Anlehnung an Foscht/Swoboda, 2011, S. 30.

[48] Vgl. Kenning et. al., 2002, S. 3.

[49] Vgl. ebd., S.6.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2012
ISBN (PDF)
9783955495657
ISBN (Paperback)
9783955490652
Dateigröße
2.1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung Konstanz
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1,7
Schlagworte
Hirnforschung Markenkommunikation Branding Psychologie Emotion

Autor

Felix Ilse, B.A., wurde 1988 in Göttingen geboren. Nach mehreren Praktika im Bereich Marketing begann er 2009 sein Studium der Betriebswirtschaftslehre in Konstanz. Schon während des Studiums beschäftigte er sich vermehrt mit dem Thema Entscheidungsfindung im Kaufprozess und Markenkommunikation. Durch einen Vortrag des Neuromarketingexperten Prof. Kenning in Konstanz und während eines anschließenden Praktikums bei der Werbeagentur Jung von Matt in Hamburg, beschloss er, sich mit dem Thema Neuromarketing weiter auseinanderzusetzen.
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