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Zwischen Tugendrigorismus und Emanzipation: Frauenkonstellationen in Lessings Miβ Sara Sampson und Emilia Galotti

©2011 Bachelorarbeit 47 Seiten

Zusammenfassung

Dieses Buch setzt sich mit der Problematik von Tugend und Emanzipation der Frauen in Lessings Werken 'Miss Sara Sampson' und 'Emilia Galotti' auseinander. Zunächst wird ein Einblick in die Hauptaspekte der Aufklärungszeit gegeben, wobei das Menschenbild und die Stellung der Frau zu dieser Zeit besonders im Fokus stehen. Zudem werden die humanistischen Entwürfe im bürgerlichen Trauerspiel des 18. Jahrhunderts dargestellt. Stichwörter dieses Buches sind Tugend, Laster, Verführung und Emanzipation. Dabei rücken folgende Fragen in den Mittelpunkt: Inwiefern gab es einen Bildungsaufschwung des Bürgertums im 18. Jahrhundert? Inwiefern sind die Tugendvermittlungen innerhalb der Familien in der Aufklärung von Bedeutung für Lessings Frauenfiguren? Wie werden die humanistischen Konstellationen insgesamt im bürgerlichen Trauerspiel dargestellt? Warum ist der Tugendbegriff von besonderer Bedeutung zum Verständnis der Epoche des bürgerlichen Trauerspiels und der Handlungsmotive von Sara Sampson und Emilia Galotti? Beim Behandeln von Lessings 'Miss Sara Sampson' wird natürlich das Streben der Protagonistin nach väterlichen Prinzipien genauer betrachtet, so wie die vorprogrammierte Konfliktanlage und die Charaktereigenschaften von Marwood. Was das Werk 'Emilia Galotti' betrifft, setzt sich diese Arbeit mit Claudia Galotti als Vermittlerin von Tugend und Realität sowie mit der Frage, ob Emilia immer tugendhaft handelt oder sich manchmal zwischen den Fronten befindet, auseinander. Dabei stehen die emanzipatorischen Ansätze gegen strenge Idealvorstellungen sowie der Tod als Flucht vor dem Tugendverlust im Vordergrund.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


2.1 Bildung und Aufschwung des bürgerlichen Selbstbewusstseins

Zu dieser Zeit liefern die Philosophen und Schriftsteller, besonders Descartes, Locke, Diderot, Kant, den Individuen ein anderes Bild von der Wirklichkeit und stellen das absolutistische Denken in Frage. Vor Immanuel Kant setzt sich Moses Mendelssohn intensiv mit der Frage ,,Was ist Aufklärung?‘‘ auseinander und kommt 1783 zu folgender Erkenntnis:

Bildung, Kultur und Aufklärung sind Modifikationen des geselligen Lebens […]. Bildung zerfällt in Kultur und Aufklärung. Jene scheint mehr auf das Praktische zu gehen. […] Aufklärung hingegen scheine sich mehr auf das Theoretische zu beziehen. Auf vernünftige Erkenntnis (objekt.) und Fertigkeit (subj.) zum vernünftigen Nachdenken über Dinge des menschlichen Lebens nach Maβgebung ihrer Wichtigkeit und ihres Einflusses in die Bestimmung des Menschen.[1]

Später treibt besonders Immanuel Kant den Aufschwung des Bürgertums voran: ,, Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit . Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. […] Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!‘‘[2] In diesem allgemein bekannten Zitat zeigt sich das revolutionäre Streben der Zeitgenossen. Die Bildungsbewegung, die nun auch den niederen Schichten einen Schulzugang bietet, führt zu einem verstärkten Emanzipationswillen innerhalb der bürgerlichen Reihen. Auf diese allgemeine Tendenz der Hinterfragung der alteingesessenen Denkschemata hat auch Schmidt bereits reagiert und festgestellt, dass der Vernunftglaube zu einer Verdrängung der theologischen Ansichten führt: ,,Vernunft und Moral traten an die Stelle von Glauben und Religion […]. Die Welt und ihr Ordnungsgefüge verloren ihre vorgängige Einheit und Eindeutigkeit‘‘[3].

Durch die gewollte Verdrängung theologischer Prinzipien und exegetischer Welterklärung rückt das Allgemeinmenschliche in den Fokus des bürgerlichen, philosophischen und sozialen Denkens. Der Mensch, von Natur aus ein Vernunft- und Sinneswesen, soll lernen, seine Vernunft einzusetzen, um dadurch neue Leitideen zu gewinnen. ,,Das Vertrauen in die Anlage und unbegrenzte Bildsamkeit findet hier Ausdruck. In diesem Glauben ist die Aufklärung nichts anderes als eine einzige groβe Erziehungsbewegung, die, wie Kant gesagt hat, den Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit heraus zur Selbstbestimmung führen will[4]. Diese ,,unbegrenzte Bildsamkeit‘‘ des Einzelnen wird durch das Aufkommen der Moralischen Wochenzeitschriften in der Frühaufklärung unterstrichen. Bedeutende Schriftsteller verfassen Artikel für diese Moralischen Wochenzeitschriften, um die Bildung der Menschen anzuregen. Es kann demnach festgehalten werden, dass es zu einer verstärkten bürgerlichen Mobilität kommt. Das Bürgertum, durch mehr Bildung angeregt über sich und die eigene Stellung nachzudenken, will sich von den Traditionen lösen[5]. Die intellektuellen Tendenzen der Zeit führen zu einer gesellschaftsdurchdringenden Reformbewegung.

2.2 Familienideale und Moralvorstellungen

Zum ersten Mal wird auch ,,die Stellung der Frau neu bestimmt. Ihre Beschränkung auf Hauswirtschaft und Kinderpflege soll gelockert, ein behutsamer Anschluβ an die geistigen Bestrebungen gefördert werden‘‘[6]. Die utopische Vorstellung der gelehrten Frau findet man besonders in der Frühaufklärung, die unter dem Einfluss von Johann Christoph Gottsched stand, wieder. Das Scheinbild der dem Mann ebenbürtigen Frau[7] muss mit dem Aufkommen der Empfindsamkeit scheitern. Ebenso wie Gottscheds Forderungen einer gelehrten Frau scheitern auch seine Ansätze einer Tragödientheorie, die er in seinem Werk Versuch einer critischen Dichtkunst vor die Deutschen (1730) festhält. Lessing äuβert sich negativ in seinem 17. Literaturbrief aus seiner Schrift Briefe, die neueste Literatur betreffend über die Theaterreform Gottscheds:

,,Niemand‘‘, sagen die Verfasser der Bibliothek, ,,wird leugnen, daß die deutsche Schaubühne einen großen Teil ihrer ersten Verbesserung dem Herrn Professor Gottsched zu danken habe.‘‘ Ich bin dieser Niemand; ich leugne es gerade zu. Es wäre zu wünschen, daß sich Herr Gottsched niemals mit dem Theater vermengt hätte. Seine vermeinten Verbesserungen betreffen entweder entbehrliche Kleinigkeiten, oder sind wahre Verschlimmerungen.[8]

Hier erkennt man, dass Gottscheds Auffassungen, sei es vom Theater oder von den Gesellschaftskonstellationen, langsam durch andere Tendenzen ersetzt wurden. Die Wende von der gebildeten Frau zur tugendhaften Hausfrau wird vor allem durch Jean-Jacques Rousseau unterstützt. Dadurch wird das frühaufklärerische Frauenbild in Frage gestellt und die Frau wird somit ,,an den heimischen Herd verwiesen und als Hausfrau und Mutter auf den engen Raum der Familie beschränkt‘‘[9]. Sie steht unter dem Regime des Hausvaters, verkörpert die Tugend und die Unschuld des weiblichen Geschöpfs und bildet eine Stütze für den arbeitenden Mann. Obwohl verschiedene Frauen versucht haben, im öffentlichen, literarischen Leben Fuβ zu fassen, ist es nur den wenigsten gelungen. Oftmals stehen Frauen ,,auβerhalb der bürgerlichen Gesellschaft mündiger, gleichberechtigter Bürger, wie sie von der Mehrheit der aufgeklärten Denker konzipiert war‘‘[10]. Der Tugendbegriff der damaligen Zeit, bezogen auf die Frau, ist in der Zeit der Frühaufklärung von vernünftigem Handeln bestimmt. Um die Jahrhundertmitte hingegen wird die Tugend eher mit weiblicher Unschuld und Reinheit gleichgesetzt[11]. Vor allem die bürgerliche Familie vollzieht eine Trennung zwischen privater und öffentlicher Sphäre. Das Haus und die Familie sind Inbegriffe des bürgerlichen Lebens. Hier kann man sich vom auferlegten Laster der Auβenwelt zurückziehen. Insgesamt wird der Mensch nicht mehr als Glied einer Korporation, vielmehr als freier und besonderer einzelner gedacht. Auch wo Adlige diese Ideale tragen, entsprechen sie doch der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft mit ihrer Tendenz zur Verdampfung der ständischen Ordnung und zur Freisetzung des Subjekts, das sich in der Geschäfts- und Ӧffentlichkeitssphäre im freien Wettbewerb der Fähigkeiten in der Privatsphäre in der Hingabe an eine zweck- und herrschaftsfreie ideale Kommunikation der Geister und Herzen entfaltet, nicht ohne daβ die Sphären einander wechselseitig mit Konflikten aufladen und in Frage stellen.[12]

Im bürgerlichen Trauerspiel wird nicht mehr der Adel in den Mittelpunkt gestellt, sondern das Geschehen wird in den bürgerlich-privaten Raum verlegt. Der bürgerlichen Familie, repräsentiert durch den Hausvater, werden mehr Privilegien und Rechte zugesprochen. Der Bürger wird als mündig gewordener Mensch dargestellt. Durch Jean-Jacques Rousseaus Schrift Emile, ou de l‘Education (1762) werden die Kinder als besondere Wesen, die eine besondere Förderung brauchen, gesehen und sollen sich mittels eigener Erfahrungen selbst weiterbilden[13].

3. Humanistische Konstellationen im bürgerlichen Trauerspiel der Aufklärung

Der folgenden Untersuchung soll eine Erklärung des Terminus ,,bürgerliches Trauerspiel‘‘ vorstehen, ist dieses Verständnis doch grundlegend für die Argumentation der Arbeit. Im Laufe der Zeit erfährt dieser Begriff eine Bedeutungsverschiebung. Er bezieht sich nicht mehr nur auf die gesellschaftliche Stellung der Protagonisten oder des Publikums, sondern weitet seinen Bedeutungskontext aus. Bürgerlich ist ein Individuum, das jenseits der Standes­schranken nach den bürgerlichen Prinzipien handelt und sich ,,nicht verstanden sehen will als Glied eines Standes, sondern als Glied der Menschheit in ihrer Gesamtheit, als Weltbürger‘‘[14]. Das bürgerliche Trauerspiel rückt demnach die individuelle Lebensführung in den Mittel­punkt, anstatt sich auf allgemein gültige Standeskonventionen zu stützen.

Dieses bürgerliche Befinden wird unterstrichen durch ein Denken, das sich nicht nur auf das vernünftige Wesen bezieht, sondern auf alle Mitmenschen um dieses Wesen herum. Durch die­ses literarische Vorgehen im Drama soll eine breite Identifikationsmöglichkeit für das Publikum mit den Hauptprotagonisten geschaffen werden. Wenn man laut Wolfgang Schaer bedenkt, ,,daβ die Kluft zwischen Bühne und Parkett aufgehoben werden soll, daβ das Publikum gleichsam sich vor sich sehen soll, so kann man den Schluβ ziehen, daβ das auf der Bühne dargestellte in Übereinstimmung steht mit der Lebensauffassung, die das Publikum vertritt‘‘[15].

3.1 Tugend und Moral: eine utopische Gesellschaftsgestaltung?

Ein weiteres Hauptthema des Trauerspiels ist die familiäre Geselligkeit. Inmitten der Häuslichkeit und der Wertschätzung der Familie steht der Tugendbegriff an wichtiger Stelle. Der häuslichen Idylle wird als antagonistischer Handlungsraum der Hof entgegengestellt, welcher sich vor allem durch Intrigen und Hinterlist auszeichnet. Dringt er in den Raum der Familie ein, wird das angestrebte Tugendideal in Frage gestellt und läuft Gefahr vernachlässigt zu werden[16]. Durch die Lebensführung eines Menschen rücken Standesgrenzen in den Hintergrund. So definiert Wolfgang Schaer, dass man ,, einer Gesinnung ‘‘ ist, ,,über die Standesgrenzen hinweg […] und daher eine ,Familie‘ ,bilden‘ kann‘‘[17]. Charakteristisch für den bürgerlichen Menschen im Trauerspiel sind vor allem sein familiäres und häusliches Leben und die Zusammengehörigkeit der Familie. Somit ist der bürgerlich lebende Mensch ein helfender Familienmensch, der in der vertrauten Gemeinsamkeit eine unbeschwerte Zeit erlebt. Das Bürgertum, das seinen eigenen Wert anerkennt und würdigt, hat es nicht nötig, sich bei anders lebenden Menschen anzubiedern; jeder,,Stand‘‘ trägt seinen Wert in sich. […] Die ständische Ordnung wird als etwas Geheiligtes angesehen; sie allein garantiert Sicherheit und innerhäusliche und innerpolitische Ruhe; sie gilt als das Fundament jeglichen menschlichen Zusammenlebens. […] Bürger ist er dann, wenn er an der ihm gemäβen sozialen Stelle innerhalb der Gesellschaft steht; im Rahmen der gottgewollten Ordnung hat der Mensch seinen Platz auszufüllen.[18]

Die mittelalterliche Definition des Einzelnen anhand einer Gruppen- oder Standeszugehörig­keit wird zusehends abgelehnt: Der Bürger zeichnet sich durch seinen Charakter und seine Einzigartigkeit aus und soll als Identifikation dienen. Denn dass der Fokus dieser Dramaturgie tatsächlich der isolierte einzelne Bürger ist, bestätigt umgekehrt die Mitleidsethik, die als Antidot die Isolation der bürgerlichen Subjekte, ihre Individualisierung, zu kompensieren trachtet. Bürgerliche Vereinzelung soll durch Mitleid, durch die Fähigkeit zur Empathie, zur Identifikation, aufgefangen werden.[19]

Durch die Vermittlung von Tugend und Moral herrschen in der Gesellschaft gewisse Normen, die eingehalten werden sollen. Im bürgerlichen Trauerspiel so wie in der Aufklärung sind die Grundsätze der Ethik vorherrschend. Die Gesellschaft wird auf eine gewisse Art und Weise durch Moralvorstellungen definiert und die Abweichung von Sittlichkeit wird zu dieser Zeit als Sünde gesehen, die eine gerechte Buβe voraussetzt. Insofern besitzt der Bürger im Trauerspiel nicht alle Rechte, sondern muss sich gewissen Regeln fügen, damit sein Handeln als richtig angesehen wird. Die Tugendvermittlungen sollen die Sinne unterdrücken und Platz für das aufklärerische Denken schaffen. Insofern ist die Gesellschaftsgestaltung im bürgerlichen Trauerspiel nicht immer utopisch, da Moral und Laster eng miteinander verbunden sind. Der Übergang von früh anerzogener Sittlichkeit zu den eigenen Trieben hat Folgen: Die Figur im bürgerlichen Trauerspiel ist orientierungslos, weil das Bewusstsein über das Ausmaβ der Sinnlichkeit fehlt. Die dominierende Wertschätzung der Familie und der Tugend rückt die Triebe in den Hintergrund und appelliert trotzdem unbewusst an das Laster.

3.2 Tugendbegriff und Frauendarstellung bei Lessing

Dieses Kapitel soll bereits einen Einblick in Lessings Dramen Miβ Sara Sampson und Emilia Galotti geben, um die Verknüpfung der Frauenfiguren mit der Tugend und dem Laster aufzuzeigen. Moral und Sittenverfall sind die beiden Antipoden, die in den Lessingschen Dramen oftmals zum Ausdruck gebracht werden. Lessing schafft es, eine Ambiguität zwischen seinen Protagonistinnen aufzubauen, indem er auf der einen Seite die reizvolle Unschuld der Frau für den Mann in den Mittelpunkt setzt, auf der anderen Seite hingegen gerade die Anfälligkeit der Frau für das verhängnisvolle Begehren aufgreift. Diese Diskrepanz von Tugend und Laster begleiten Lessings Frauentypen durch ihr Leben und machen deutlich, dass ,,die Reinheit […] ohne ihr Gegenteil, die Wollust, nicht zu denken‘‘[20] ist.

Unter Berücksichtigung dieses Aspektes der Frau, die nicht immer tugendhaft sein kann, da die Sinnlichkeit sich oftmals dominanter als die Tugendnorm herausstellt, wird deutlich, dass Lessings Emilia Galotti und Sara Sampson ,,Opfer einer Fetischisierung der Reinheit, die ursächlich in männlichen Vorstellungen begründet ist und die sie selbst für sich annehmen‘‘[21], sind.

Das Motiv der Verführung, das die reine, vermeintlich unantastbare Seite des weiblichen ,,Engels‘‘ in Frage stellt, ist ein wesentliches Merkmal, das prägnant in Lessings beiden Dramen Emilia Galotti und Miβ Sara Sampson hervorgehoben wird. In beiden Dramen stehen sich weibliche Antagonisten gegenüber. Die einfühlsamen Figuren der Emilia Galotti und Sara Sampson bestreiten ihren Lebensweg, auf dem sie jedoch den intriganten und lasterhaften Figuren Marwood und Orsina begegnen. Genau dieses Verhältnis zwischen Gut und Böse und der damit verbundene Zerfall und Übergang des Guten, des Reinen ins Verhängnisvolle, Lasterhafte deckt das Spiel mit zwei sich anziehenden und sich ergänzenden Antipoden auf. Der Aspekt der überwindbaren Grenze von Tugend und Laster kann man auf die gesamte Menschheit anwenden, da der Mensch lediglich ein bestimmtes Moment braucht, um von einer Seite zur anderen zu gelangen, da sich der Reiz für die Sinne dominant gegenüber der Sittlichkeit zeigt. Insofern greift die Gegenüberstellung der beiden Extrema des menschlichen Handelns die grundlegenden Triebkräfte jeder Existenz auf.

Die Personen muβten zugleich tragisch und doch als Menschen sprechen […]. Lessings Intention bewährte sich, daβ man den bürgerlichen Menschen dieser Zeit sich selbst in seinen tragischen Möglichkeiten zeigen muβte, und nicht die Schicksale der Groβen der Welt in fernen Räumen und Zeiten, die der deutsche Zuschauer nicht als repräsentativ für sich selbst erfahren konnte. Er brachte so den Menschen seiner Zeit in die tragische Erschütterung, damit auch in das Erhellende dieser Erschütterung hinein. Doch beschränkte er sich nicht hierauf. Er gab hier auch die vielfach erhellende tragische Schau. Dies Erhellende liegt schon in der Schau dessen, wie der Mensch in diesem Leben gelegen ist. Letztlich zugrunde liegen moralische Fehler und Abweichungen.[22]

Lessings Frauengestalten sind ambivalente Figuren mit einer immanenten lasterhaften Seite, welche jedoch anfangs durch die Sittlichkeit unterdrückt wird. Wie Otto Mann bereits angedeutet hat, geht es Lessing darum, dass seine Figuren repräsentativ für den Zuschauer stehen, damit die Tragödie den Menschen belehrt und ihn durch Erzeugung von Leidenschaften bessert. ,,Diese Furcht ist das auf uns selbst bezogene Mitleid‘‘[23], so lautet Lessings Aussage, die er einsetzt damit der Zuschauer intuitiv Furcht in Verbindung mit Mitleid setzt. Durch die Furcht und die Sensibilität, die die Menschen ,,von gleichem Schrot und Korne‘‘[24] in Lessings Dramen auslösen, soll sich der Mitleidende mit den Figuren identifizieren und sich somit verändern. Um den Denkprozess im Individuum mit Hilfe der Furcht zu aktivieren muss der Held eines Trauerspiels einen Fehler, eine ,,Hamartia‘‘[25] haben, damit sich der Zuschauer mit ihm verbunden fühlt.

Dies erklärt, warum Lessing als Merkmale seiner Stücke die Vater-Tochter-Beziehungen und familiäre Werte in den Mittelpunkt des Geschehens stellt. Wie bereits oben beschrieben, wird dem Tugendbegriff während der Aufklärung eine deutliche Bedeutung zugeschrieben. Joachim Schmitt-Sasse macht darauf aufmerksam, dass Verführung eine unausweichliche Gewalt für den Tugendbegriff darstellt:

Die verinnerlichte Instanz ist wirkungsmächtiger als die reale, gesellschaftliche. Die Furcht vor dem Wollen ist so groβ, daβ jeder Versuch des Tuns unterbunden bleibt. Deshalb auch wird die Korruption des Willens mittels Verführung mehr gefürchtet als die körperliche Gewalt. Die Verführung beseitigt die inneren Widerstände gegen die Beeinflussung durch das Laster. Verführung verwischt das Bewuβtsein von der Grenze zwischen eigennützigem Laster und dem Innehaben des Wohls der anderen, der Tugend. Sie schafft die Bereitschaft zur Sünde. Ohne Sünde zu sein, verführt sie dazu, sündigen zu wollen. Ist die Bereitschaft zum Laster einmal erreicht, so gibt es keine Rettung mehr.[26]

Dieser versuchten Verführung wird in den beiden behandelten Tragödien eine entscheidende Rolle zugeteilt. Die Dichotomisierung, die unverkennbar bei Sara Sampson und Marwood ebenso wie bei Emilia Galotti und Orsina anzutreffen ist, lässt darauf schlieβen, dass Lessings Frauen das Gute und Böse zugleich verkörpern.

In Emilia Galotti werden den Frauen wesentliche Erkennungsmerkmale zugeschrieben. Während Emilia als ,,Engel‘‘ wahrgenommen wird, wird Orsina als Frau mit ,,starren, stieren Medusenaugen‘‘ porträtiert[27]. In Miβ Sara Sampson findet sich ein ähnliches Kontrastprinzip: Sara steht hier in Verbindung mit ,,Engel‘‘ (wie Emilia), während ihre Gegenspielerin als ,,Furie‘‘ bezeichnet wird. Somit lässt sich erschlieβen, dass Sara und Marwood sowie Emilia und Orsina zwei Phänomene von Weiblichkeit und Reiz darstellen: den sich ausschlieβenden und den sich ergänzenden Antipod[28].

Inge Stephan projiziert diese negativen Weiblichkeitsfiguren auf die gescheiterte Weltauffassung, mit der die sich bildende Frau im 18. Jahrhundert konfrontiert wird. Sie betont, dass sich in den Dramen auch ,,ein Paradigmenwechsel des Weiblichen von der autonomen, sexuell und gesellschaftlich aktiven Frau hin zur passiven, empfindsamen Frau‘‘[29], finden lässt, verkörpert durch die negative Gestalt der beiden Frauen Marwood und Orsina. Des Weiteren schlieβt Stephan darauf, dass ,,die Marwood und die Orsina nicht nur Verkörperungen einer negativ gefaβten Weiblichkeit, sondern auch verzerrte Nachklänge eben jenes Typus der weltklugen, selbständigen, nach Autonomie strebenden Frau, der als Ideal in der Frühaufklärung ausgebildet wurde‘‘[30], seien.

Unter Berücksichtigung und Betrachtung dieses Aspektes stünden Lessings Frauen stellvertretend für das Schicksal der Frauen im 18. Jahrhundert: Während den Frauen, basierend auf Gottscheds Auffassung in der Frühaufklärung noch eine hohe Bildungsmöglichkeit, Emanzipation und Beteiligung am öffentlichen Leben zugesprochen worden ist, werden die Frauen später hinter den Herd verwiesen, um für den arbeitenden Hausvater zu sorgen. Die Autonomie der Frau verwirklicht sich nicht in der Aufklärung, sie bleibt eine Utopie.

4. Zu Lessings Miβ Sara Sampson

Lessings Miβ Sara Sampson, erschienen und uraufgeführt im Jahre 1755, zeichnet sich in erster Linie durch ein Familiengeschehen aus. Dadurch wird die Trennung von öffentlichem und privatem Lebensbereich hervorgehoben. Der private Bereich, der Sara Sampson und ihren Vater einbindet, wird oftmals vom Laster befallen, obschon die Protagonisten ihrem Tugendrigorismus nachgehen wollen. Somit sind das Menschlich-Lasterhafte auf der einen Seite und das Aufklärerisch-Moralische auf der anderen Seite zwei sich ausschlieβende und sich ergänzende Gegenpole.

Benno von Wiese hat einen guten Ansatz geliefert, unter welchem Aspekt die Tragödie Miβ Sara Sampson verfasst worden ist:

Aus dem Fehler eines zärtlichen Mädchenherzens, der darum immer noch ein liebenswerter Fehler bleibt, entsteht das Unglück. Die allzugroβe Zärtlichkeit, ohne Kenntnis der Welt und daher verführbar, löst sich […] aus einer durch den Vater verkörperten Ordnung, ohne sich jedoch zu eigner sittlicher Freiheit und Verantwortung entschlieβen zu können. Die Sara erscheint als Opfer eines unlösbaren Konfliktes: auf der einen Seite der kindliche Gehorsam, der im Vater den Stellvertreter des göttlichen Richters erblickt […], auf der anderen Seite das zärtliche Herz, das den Verführer liebt und diese Liebe auch noch vor dem Richterstuhl der anderen Welt bejaht.[31]

Diese Feststellung von Benno von Wiese charakterisiert das Wesen Saras: Auf der einen Seite ist sie, wie auch Emilia Galotti, von väterlichen Prinzipien umgeben, auf der anderen Seite hingegen will sie sich ihren Trieben hingeben und stellt ihre Liebe zu Mellefont über die Tugend und Moral des Vaters. Ihre Unkenntnis der Welt macht sie zu einem Opfer des Lasters. Dieses Streben nach väterlichen Prinzipien, die damit verbundene Moral und der tragische Konflikt zwischen Unschuld und Laster werden in den folgenden Kapiteln analysiert. Dabei wird ein Bezug hergestellt zu den bösen, hinterlistigen Absichten Marwoods, die einen besonderen Stellenwert erlangt, was den tragischen und zugleich rührenden Ausgang betrifft. Der Hauptschwerpunkt des Werkes und der Analyse liegt auf dem Verhältnis zwischen Tugend und Laster, wobei beide Eigenschaften in der Natur des Menschen seit jeher verankert sind.

4.1 Streben nach väterlichen Prinzipien

Auf den ersten Blick steht Sara Sampson für die bürgerlichen Prinzipien während der Epoche der Aufklärung. Sie verkörpert das vorherrschende Tugendideal dieser Zeit, so scheint es. Miβ Sara Sampson soll Mitleid für das Schicksal der jungen Frau erwecken in einem Werk, das die ,,Dramatisierung einer traurigen, durch menschliche Fehler und unglückliche Zufälle zu Stande gekommenen Begebenheit‘‘[32] darstellt. Gleich zu Beginn der Tragödie wird deutlich, dass Sara einen eigenen Willen besitzt, den sie demonstriert, da sie sich mit Mellefont in einem Wirtshaus, fernab von ihrem Vater, befindet. Zu Lessings Zeiten bedeutet der Tugendbegriff demnach, vernünftig zu handeln und sich maβvoll zu benehmen, sich im Klaren über Fehler und Laster zu sein. Die Tugend setzt demnach einen gewissen Bildungsgrad voraus, damit der Mensch vernünftig handeln kann[33].

In diesem Falle sind Sara Sampsons Sinne für einen Moment stärker als ihre Vernunft, da sie im Wirtshaus auf die erhoffte Hochzeit wartet und ihren Vater zurückgelassen hat. Sara bildet für ihren Vater die ,,Stütze seines Alters‘‘[34]. Somit ist ihre Abwesenheit für William Sampson ein gravierendes Problem, da er ,,das beste, schönste, unschuldigste Kind, das unter der Sonne gelebt hat‘‘ (MSS, S. 5), braucht.

Wenn man diesen Aspekt betrachtet, merkt man, dass Sara Sampson auf eine gewisse Art und Weise frei ist und nicht in Isolation zu Hause lebt. William Sampson sieht den Fehler, den Sara begangen hat, indem sie mit Mellefont geflüchtet ist, als den ,,Fehler eines zärtlichen Mädchens‘‘ (MSS, S. 6) und die Flucht als ,,Wirkung ihrer Reue‘‘ (MSS, S. 6). Im Gegensatz zu Emilia Galotti ist der Vater nicht besessen von der ewigen Tugend der Tochter. Insofern wird dem Leser bereits am Anfang deutlich, dass William Sampson nicht streng nach den Regeln der Tugend handelt, sondern ihm das Wohl seiner Tochter lieber ist als jegliche Strenge und Strafe gegen sie zu erheben. Trotzdem herrscht in dieser Tragödie eine gewisse Moral, die dazu beiträgt, dass Sara immer wieder Gewissensbisse ihrem Vater gegenüber hat und kontinuierlich daran zweifelt, ob ihre Entscheidung richtig gewesen ist. Saras emotionales Verhältnis zu ihrem Vater ist ein wesentlicher Punkt, der das gesamte Trauerspiel prägt. Sir William Sampson würde ,,lieber von einer lasterhaften Tochter als von keiner geliebt sein wollen‘‘ (MSS, S. 6) und steht offen, unbeeinflusst von anderen Meinungen, zu seiner geliebten Tochter. Somit räumt Sir William ,,also gleich eingangs seiner Tochter eine gewisse Freiheit individuellen Empfindens ein und fordert keine absolute Respektierung seiner Entscheidungen als familialer Autoritätsperson‘‘[35].

Das Verhalten des ,,englischen Edelmanns‘‘[36] ist bedingt durch die differenzierte Auffassung der Tugend zur Zeit der Aufklärung: Während in der Frühaufklärung der Tugendbegriff in Verbindung mit Vernunft und Nächstenliebe steht, wird in der Hoch- und Spätaufklärung der Tugendbegriff eher auf die Ebene der weiblichen, sexuellen Unschuld gestellt. William Sampsons Einstellung hebt den dramatischen Diskurs hervor. Er ,,reduziert seine Autorität, seine selbstbezogenen väterlichen Ansprüche und Machtbefugnisse, und gesteht seiner Tochter prinzipiell das Recht auf eigene Lebensführung sowie Partnerwahl zu‘‘[37].

Am Anfang der Tragödie erklärt Waitwell, dass die bösen, lasterhaften Menschen sich dort befänden, wo sich das Dunkle aufhalte und fügt hinzu, dass ,,das Gewissen doch mehr als eine ganze uns verklagende Welt‘‘ (MSS, S. 5) sei. Anhand dieser Szene verweist Peter Weber darauf, dass es zur Tugend gehört, ,,dem nächsten Angehörigen – hier betrifft es die Beziehung zwischen Vater und Kind – in Liebe zugetan zu sein. Damit deutet sich die Verbindung von tugendhaftem und natürlichem Verhalten an‘‘[38]. Sara Sampson strebt nach väterlichen Prinzipien, kann sich jedoch andererseits nicht vor dem Laster schützen, da sie mit Mellefont andere Erfahrungen durchlebt und ihre Triebe nicht kontrollieren kann. Dadurch dass ihr Vater Verständnis für die Situation zeigt, kommen Momente der Rührung auf, in denen die Zuschauer Sympathie für die Menschen empfinden sollen.

Der Reiz, den Mellefont auf Sara ausübt, bringt sie dazu, mit ihm ins englische Wirtshaus zu flüchten und macht aus dem Mädchen ein Opfer der Sinnlichkeit. Sara entfernt sich von ihrer Tugend und träumt jede Nacht von ,,strafenden Stimmen‘‘ und ,,schrecklichen Bildern‘‘ (MSS, S. 13). Allein Saras Bewusstsein, dass sie einen Fehler begangen hat, spitzt den Konflikt kontinuierlich zu und lässt darauf schlieβen, dass sie trotz ihrer Entscheidung, sich Mellefont hinzugeben, nicht glücklich in ihrer Situation ist. Sie kann nicht glücklich sein, da in der Zeit stets Aufrichtigkeit seitens der Tochter gefordert wird, diese hier jedoch nicht gegeben ist. Somit kann sie sich innerlich nicht von ihrem Vater loslösen und ist in ihrer Liebe verzweifelt[39]. Von diesem Standpunkt aus gesehen hat Sara zwar einen Fehler begangen, sieht diesen aber ein und denkt an ihren Vater, der seiner Tochter verzeihen will, wenn sie ihn noch liebt. Das schöne Bild einer unzerstörbaren Vater-Tochter-Beziehung regt Mitleid an und versetzt den Zuschauer in eine Lage, in der er seine Lebensweise selbst in Frage stellen kann. Mellefont weiβ von der ungünstigen Lage seiner Sara und stellt seine Lebensführung in Frage:

Ich ward öfter verführt, als ich verführte; und die ich selbst verführte, wollten verführt sein.

– Aber – ich hatte noch keine verwahrloste Tugend auf meiner Seele. Ich hatte noch keine Unschuld in ein unabsehliches Unglück gestürzt. Ich hatte noch keine Sara aus dem Hause eines geliebten Vaters entwendet und sie gezwungen, einem Nichtswürdigen zu folgen, der auf keine Weise mehr sein Eigen war. (MSS, S. 10)

Mellefont ist sich bewusst, dass er Sara aus den tugendhaften Händen ihres Vaters gerissen hat und sie sich nun in einer Situation befindet, mit der sie aufgrund ihrer Erziehung nicht richtig umzugehen weiβ.

Sara macht einen tiefgreifenden, bzw. mehr noch: (sic) einen konfliktlösenden Wandlungsprozess durch. Mit ihrer Flucht hat sie gegen die ihr anerzogene Verhaltensnorm verstoβen, woraufhin sie Gewissensbisse und Zweifel empfindet, […]. Sara gerät in eine Identitätskrise, die sie mittels eines auβerordentlichen Tugendrigorismus zu bezwingen sucht.[40]

Dieser Tugendrigorismus zeigt sich an mehreren Stellen der Tragödie: Durch ihre Fehler hofft Sara, dass ihr Vater sie vergessen hat, damit er nicht länger leiden muss.

Sie stellt das Wohlergehen ihres Vaters über ihr eigenes Schicksal und möchte, dass er nicht mehr über sie nachdenkt. Hinzu kommt, dass Sara sich genau bewusst ist, dass sie sich nicht als etwas sehen kann, was sie durch Mellefonts Verführungskünste in einigen Momenten nicht mehr verkörpert: ,,Meiner Tugend? Nennen Sie mir dieses Wort nicht! – Sonst klang es mir süβe, aber itzt schallt mir ein schrecklicher Donner darin‘‘(MSS, S. 16). Nicht nur Sara Sampson sieht ein, dass sie dem Vater nicht gehorcht hat und somit einen Fehler gemacht hat, sondern auch Sir William Sampson selbst. Der englische Patriarch begreift, dass er Sara nicht gegen ihren Willen festhalten kann und dass er selbst ,,den gröβten Fehler bei diesem Unglücke begangen‘‘ (MSS, S. 42) hat. Sir William kommt zu einem entscheidenden Entschluss, der die Vater-Tochter-Beziehung auf eine höhere Ebene hebt:

Ohne mich würde Sara diesen gefährlichen Mann nicht haben kennen lernen. Ich verstattete ihm, wegen einer Verbindlichkeit, […], einen allzu freien Zutritt in meinem Hause. Es war natürlich, dass ihm die dankbare Aufmerksamkeit, die ich für ihn bezeigte, auch die Achtung meiner Tochter zuziehen musste. […] Er hatte Geschicklichkeit genug, sie in Liebe zu verwandeln, ehe ich noch das Geringste merkte, […]. Das Unglück war geschehen, und ich hätte wohlgetan, wenn ich ihnen nur gleich alles vergeben hätte. Ich wollte unerbittlich gegen ihn sein, und überlegte nicht, dass ich es gegen ihn nicht allein sein könne. Ich muss sie selbst zurückholen, und mich noch glücklich schätzen, wenn ich aus dem Verführer nur meinen Sohn machen kann. (MSS, S. 43)

Anhand dieser Aussage kann man feststellen, dass Lessing den Vater zur Einsicht bringt, indem er ihn respektvoll gegenüber den Entscheidungen seiner Tochter handeln lässt. Es wird dabei unterstrichen, dass Mellefont nach William Sampsons Ansicht ein gefährlicher Mann ist, William jedoch Vergebung für diesen Mann hegt. Dem Vater wird bewusst, dass an dieser Flucht zwei Menschen beteiligt waren: Sara und Mellefont. Dadurch will der Patriarch seine Tochter zurückhaben und Mellefont als seinen Sohn anerkennen. Diese plötzliche Wende Mellefont gegenüber zeugt von einem noblen Charakter und unbegrenzter Herzensgüte.

Das ,,Motiv der verführten Unschuld‘‘[41] wird immer wieder aufgegriffen und die Unschuld an sich stets in Frage und auf die Probe gestellt. Durch die Herzensgüte, durch den liebenden und trotzdem lügenden Mellefont sowie durch die intrigante Marwood eskaliert der Konflikt. Im folgenden Kapitel soll untersucht werden, inwiefern der Zuschauer oder Leser bereits am Anfang der Tragödie merkt, dass ein Konflikt entsteht und zunehmend unlösbar wird. Diese ständig neu auftretenden Konfliktsituationen sind Hauptbestandteil des Dramas und wecken das Mitleid des Zuschauers der Protagonistin und William Sampson gegenüber.

[...]


[1] Mendelssohn, Moses: Über die Frage: was heiβt aufklären? In: Bahr, Erhard (H.g.): Was ist Aufklärung? Kant, Erhard, Hamann, Herder, Lessing, Mendelssohn, Riem, Schiller, Wieland. Stuttgart: Reclam, 2008, S. 4.

[2] Kant, Immanuel: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? In: Bahr, Erhard (H.g.), 2008, S. 9. Ich beziehe mich hier auf den Kantschen Wahlspruch der Aufklärung, der lange Zeit als vorherrschend für die Emanzipationsbewegung galt.

[3] Schmidt, Georg: Wandel durch Vernunft. Deutsche Geschichte im 18. Jahrhundert. München: C.H. Beck, 2009, S. 10.

[4] Vgl. Kaiser, Gerhard: Aufklärung, Empfindsamkeit, Sturm und Drang. Tübingen: Narr Francke Attempto, 2007, S. 26.

[5] Vgl. ebd., S. 43.

[6] Ebd., S. 25. Im Folgenden zitiere ich in alter Rechtschreibung nach Kaiser, die in allen Quellen beibehalten wird.

[7] Vgl. Stephan, Inge: Inszenierte Weiblichkeit. Codierung der Geschlechter in der Literatur des 18. Jahrhunderts. Köln: Böhlau, 2004, S. 21.

[8] Lessing, Gotthold Ephraim: Briefe, die neueste Literatur betreffend. Leipzig: Reclam, 1987, S. 51.

[9] Stephan, S. 22.

[10] Meyer, S. 189.

[11] Vgl. Stephan, S. 22.

[12] Kaiser, S. 42.

[13] Vgl. Meyer, S. 186.

[14] Schaer, Wolfgang: Die Gesellschaft im deutschen bürgerlichen Drama des 18. Jahrhunderts. Bonn: Bouvier, 1963, S. 2.

[15] Ebd., S. 29.

[16] Vgl. D‘ Aprile, Iwan-Michelangelo, Siebers, Winfried: Das 18. Jahrhundert. Zeitalter der Aufklärung. Berlin: Akademie, 2008, S. 148.

[17] Schaer, S. 32.

[18] Ebd., S. 39.

[19] Schöβler, Franziska: Einführung in das bürgerliche Trauerspiel und das soziale Drama. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2008, S. 32.

[20] Stephan, S. 24.

[21] Ebd., S. 25.

[22] Mann, Otto: Lessing, Sein und Leistung. Berlin: Walter de Gruyter, 1961, S. 232.

[23] Lessing, Gotthold Ephraim: Hamburgische Dramaturgie. Stuttgart: Reclam, 2006, S. 383.

[24] Ebd., S. 385.

[25] Ich beziehe mich hier auf die Poetik des Aristoteles, in der Aristoteles darauf verweist, dass jede Figur auf der Bühne einen Fehler aufweisen muss, der zum dramatischen Werdegang führt. Dieser Fehler ist notwendig, damit sich der Zuschauer mit dem dargestellten Protagonisten identifizieren kann und somit den Prozess der Katharsis in Gang setzt.

[26] Schmitt-Sasse, Joachim: Das Opfer der Tugend. Zu Lessings ,,Emilia Galotti‘‘ und einer Literaturgeschichte der ,,Vorstellungskomplexe‘‘ im 18. Jhdt. Bonn: Bouvier, 1983, S. 143.

[27] Vgl. Lessing, Gotthold Ephraim: Emilia Galotti. Stuttgart: Reclam, 2001, S. 8. Ich beziehe mich hier auf Lessings Werk Emilia Galotti, mit EG. abgekürzt.

[28] Vgl. Stephan, S. 18.

[29] Ebd., S. 18.

[30] Ebd., S. 18.

[31] Wiese, Benno von: Die deutsche Tragödie von Lessing bis Hebbel. In: Richel, Veronica (H.g.): Lektüreschlüssel. G.E. Lessing: Miβ Sara Sampson. Stuttgart: Reclam, 2008, S. 75.

[32] Rochow, Christian Erich: Das bürgerliche Trauerspiel. Stuttgart: Reclam, 1999, S. 67.

[33] Vgl. Stephan, S. 19.

[34] Lessing, Gotthold Ephraim: Miβ Sara Sampson. Stuttgart: Reclam, 2008, S. 6. Ich beziehe mich hier auf das Werk Miβ Sara Sampson, mit MSS abgekürzt.

[35] Weber, Peter: Das Menschenbild des bürgerlichen Trauerspiels. Entstehung und Funktion von Lessings ,,Miβ Sara Sampson‘‘. Berlin: Rütten & Loening, 1976, S. 36.

[36] Mann, S. 224.

[37] Albrecht, Wolfgang: Gotthold Ephraim Lessing. Stuttgart: J.B. Metzler, 1997, S. 21.

[38] Weber, S. 37.

[39] Vgl. Schaer, S. 137.

[40] Albrecht, S. 21.

[41] Schöβler, S. 47.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2011
ISBN (PDF)
9783955495862
ISBN (Paperback)
9783955490867
Dateigröße
265 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Université du Luxembourg
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
2
Schlagworte
Aufklärung Tugend Laster Bürgerliches Trauerspiel Frau Literatur
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Titel: Zwischen Tugendrigorismus und Emanzipation: Frauenkonstellationen in Lessings Miβ Sara Sampson und Emilia Galotti
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