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Die Kunst im Horrorgenre: Gewaltexzesse und Pornografie in Lars von Triers ‚Antichrist’

©2012 Bachelorarbeit 45 Seiten

Zusammenfassung

Die entscheidende Fragestellung für die Betrachtung des Spielfilms ANTICHRIST ist, wie Lars von Trier sein Werk aufbaut und ob er dabei das Genrekino zu einer eigenen Kunstform erhebt. Ferner ergibt diese Studie, ob genreimmanente Stilmittel den Film dominieren, und entscheiden, wie der Film schlussendlich kategorisiert werden kann.
Die Frage, ob er dabei das Genrekino als bloße Legitimation für kontroverse Darstellungen nutzt, muss dabei negiert werden, da Genre selbst als Kunstform artikuliert wird. Denn egal ob ein Lars-von-Trier-Film als Musical (DANCER IN THE DARK) oder Endzeitfilm (MELANCHOLIA) deklariert ist, im Endeffekt reicht sein Name aus, um den Film am Besten zu beschreiben. Genau in dem Punkt erreicht der Regisseur den Status eines Künstlers, der seine eigene Handschrift unabhängig von einer Film-Kategorisierung erkennbar macht und etwas fulminant Eigenes erschafft.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ße Erfolge. Beide werden auf dem Münchener Filmfestival als jeweils bester Film
des Jahres ausgezeichnet.
3
Mit seinem folgenden Spielfilmdebut:
THE ELEMENTS OF CRIME (1984) ist er
bereits auf den Filmfestspielen in Cannes vertreten, und es wird ihm die Ehre des
,,Grand prix technique" zuteil.
4
Neben dem schnellen Erfolg im Filmgeschäft und der damit einhergehenden künstle-
rischen Anerkennung seiner Werke ist vor allem das konzeptionelle und strukturierte
Arbeiten des Regisseurs bemerkenswert. Bereits sein erster Spielfilm stellt den Be-
ginn einer Trilogie dar, eine Methode, die zu einem Markenzeichen seines filmischen
Schaffens wird. Dabei funktionieren die Einzelwerke selbstständig und sind in sich
abgeschlossen, thematisch können sie aber mit ihren jeweiligen Pendants verknüpft
werden.
ELEMENTS OF CRIME ist der Anfang seiner Europa-Trilogie, die von den Werken
EPIDEMIC (1987) und EUROPA (1991) abgeschlossen wird. Danach dreht Trier
MEDEA (1988), welcher neben RIGET (HOSPITAL DER GEISTER) (1994) seine
einzige TV-Produktion ist. Noch im selben Jahr beginnt er mit den Dreharbeiten zu
DIMENSIONS, einem Film, zu dem er jährlich an verschiedenen Orten in Europa
gerade einmal 3 Minuten drehen will und der 2024 fertiggestellt werden soll.
5
Es folgt die Goldherz-Trilogie, in der die Filme
BREAKING THE WAVES (1996),
IDIOTERNE (1998) und DANCER IN THE DARK (2000) zusammengefasst werden
können. Letzterer wird unter anderem mit der ,,Goldenen Palme" in Cannes ausge-
zeichnet.
Dank seines stetig wachsenden Bekanntheitsgrades werden die Budgets für die fol-
genden Spielfilme größer, und bekannte amerikanische Schauspieler können ver-
pflichtet werden. In Zusammenarbeit mit weltbekannten Hollywood-Stars beginnt
sein noch nicht abgeschlossener USA-Mehrteiler, zu welchem neben
DOGVILLE
(2003) der Spielfilm
MANDERLAY (2005) zählt. Nach einem kurzen Intermezzo mit
der dänischen Komödie
THE BOSS OF IT`S ALL (2006) kehrt Trier zurück zu gro-
ßen Spielfilmproduktionen mit international bekannten Hollywood-Größen. Zwar ist
3
Vgl. Jan Lumholdt: Lars von Trier: Interviews, Univ. Press of Mississippi 2003, S.72.
4
Vgl. Volk 2011, S.265.
5
Vgl. Tiziana Maneljuk: Lars von Trier. In: filmzeit online, Juni 2007 (URL:
http://www.film-zeit.de/Person/2954/Lars-von-Trier/Biographie/ [20.01.2012]).
3

noch kein Titel zu seiner bislang letzten Filmreihe gegeben, doch
ANTICHRIST
(2009) und
MELANCHOLIA (2011) lassen sowohl thematisch als auch visuell auf
eine übergeordnete Kategorie schließen.
2. Über seine Filme hinaus
Neben seinen Filmen wird Trier auch für sein Engagement in der Filmwissenschaft
gewürdigt. Als Begründer der Dogma-95-Bewegung, gemeinsam mit Søren Kragh-
Jacobsen, Kristian Levring und Thomas Vinterberg, erhält er 2008 den Preis für die
beste europäische Leistung im Weltkino.
6
Dogma 95 versteht sich als eine ,,Gegenbewegung zum technisch hochgerüsteten,
mit digitalen Effekten aufpolierten und einem immensen finanziellen, personellen
und logistischen Aufwand produzierten Hollywoodkino der 90er Jahre".
7
Das Sche-
ma setzt sich aus 10 festgeschriebenen Grundregeln zusammen, die sowohl das Fil-
men selbst als auch die Bearbeitung des Materials maßgeblich prägen. So wird bei-
spielsweise darauf hingewiesen, dass nur mit Handkamera gefilmt werden sollte,
kein künstliches Licht benutzt werden darf oder dass der Regisseur weder im Vor-
noch im Abspann genannt werden soll.
8
Kaum einem Dogma-Film gelingt es jedoch konsequent alle diese Regeln einzuhal-
ten, was von den jeweiligen Regisseuren sogar selbst im Abspann angemerkt wird.
IDIOTERNE (1998) gilt dabei als Triers strengstes Dogma-Werk und ursprünglichs-
ter Film der Bewegung.
Viele der aufgestellten Regeln hatten zudem nachhaltigen Einfluss auf das internati-
onale Kino, sie wurden zitiert und beeinflussten nicht nur Arbeiten des Autorenkinos,
sondern auch zahlreiche Hollywood-Produktionen.
9
Das Dogma-Konzept kann mit seiner Reglementierung als Katalysator angesehen
werden, um schöpferische Energien freizusetzen.
10
Dabei ist es kein rein statisches
6
Vgl. Volk 2011, S.263.
7
Ebd., S.237.
8
Ebd., S.266.
9
Ebd., S.265.
10
Vgl. Volk 2011, S.265.
4

System, sondern funktioniert ohne ideologischen Ballast als performatives Konstrukt
neben dem Hollywood-Kino.
Trier ist auch in weiteren Bereichen des Films erfolgreich tätig. Als Drehbuchautor
schreibt er die Vorlage zu Thomas Vinterbergs Film
DEAR WENDY (2005) und ist
Regisseur beim Musikvideo des dänischen Duos ,,Laid Back".
11
Zudem soll er 2006
Richard Wagners ,,Ring des Nibelungen" in Bayreuth inszenieren, doch er sagt 2004
überraschend ab, da das Projekt seine Kräfte übersteigen würde.
12
Bereits 1992 gründet Trier, gemeinsam mit Peter Aalbeak Jensen, das Label Zentro-
pe, dass sich zur größten Produktionsfirma Dänemarks entwickelt.
13
Neben Indepen-
dentfilmen produziert das Label auch eine Reihe von Pornofilmen. Diese werden un-
ter dem Namen
INNOCENT PICTURES (früher: PUZZY POWER), veröffentlicht.
14
Die pornographischen Produktionen stellen sich dabei die Aufgabe, frauenfreundlich
zu sein, und sind primär für ein heterosexuelles, weibliches Publikum gedacht.
15
Ähnlich wie das Dogma-Manifest, legt das Puzzy-Power-Manifesto ein Regelschema
in sieben Punkten auf. Dabei sollen eventuelle Gewaltfantasien deutlich als Imagina-
tion der Frau dargestellt werden oder die erotische Handlung in eine Geschichte ein-
gebunden sein.
16
Auf Detailfixierung der Geschlechtsorgane sowie auf als entwürdi-
gend empfundene Handlungen soll verzichtet werden. Die Geschichte wird darüber
hinaus in stimmungsvollem Licht mit attraktiven Darstellern präsentiert.
17
Trier widersetzt sich mit seinem filmischen Gesamtwerk jeglicher Kategorisierung in
ein bestimmtes Genre oder gar in einen Themenbereich. Vielmehr bedient er sich un-
terschiedlicher Genres und deren Elementen, die rigoros seinem persönlichen Stil
angepasst werden. Wiederkehrende Motive und Bildstrategien lassen dabei in jedem
Film Triers individuelle Handschrift erkennen.
11
Vgl. Maneljuk 2007.
12
Ebd.
13
Vgl. Holger True: Das Erfolgsgeheimnis von Zentropa. In: Hamburger Abendblatt September 2005
(URL: http://www.abendblatt.de/kultur-live/article354733/Das-Erfolgsgeheimnis-von-Zentropa.html
[20.01.2012]).
14
Vgl. Maneljuk 2007.
15
Ebd.
16
Ebd.
17
Ebd.
5

Seine USA-Trilogie besticht beispielsweise durch eine extreme Sichtbarkeit des Ge-
machten, was durch den fast völligen Verzicht auf Kulissen und Ausstattung zurück-
zuführen ist. Eine künstlerische Form, die mit Brechts epischen Theater verglichen
wurde, da bei beiden eine Aufhebung der illusionistischen Erzählung erreicht wird.
18
Auch bei anderen Filmen wird durch den Einsatz verschiedener Stilmittel die ge-
schlossene Erzählform unterbrochen. Beispielhaft ist hierfür die dem Theater ent-
nommene Aufteilung seiner Filme in einzelne Kapitel, die Variation von Erzähltempi
oder die Einführung eines Erzählers.
Triers Hang zum Theatralischen und zu filmischen Tabubrüchen kann ebenfalls als
angeeignetes Stilmittel betrachtet werden. Dabei arbeitet er mit extrem drastischer
Darstellung und Radikalität in sexuellen und gewalttätigen Sequenzen, was in dem
besprochenen Film
ANTICHRIST zu einem neuen Höhepunkt kulminiert. Seine Fil-
me sollen hierdurch bewusst provozieren und über die Grenzen des Filmischen hi-
naus erfahrbar gemacht werden.
3. Trier als Selbstdarsteller
Nicht allein seine Filme sorgen für Aufregung, sondern er selbst ist stets bemüht, ein
Spektakel um seine Person und um seine Filme zu schaffen. Sein fast schon legendär
gewordener Auftritt bei den Filmfestspielen in Cannes 2011 ist dabei als letzter Hö-
hepunkt besonders brisant und fand internationales Medienecho. Dabei führten die
bekennende Sympathie und das Verständnis für Adolf Hitler dazu, dass er als persona
non grata der Festspiele verwiesen wurde.
19
Die Inszenierung seiner Persönlichkeit beginnt bereits in seiner Studienzeit, als er
sich das Adelsprädikat ,,von" zulegt, eine Reminiszenz an den österreichisch-ameri-
kanischen Regisseur Joseph von Sternberg.
20
Trier betont in Interviews immer wieder, dass er unter depressiven Erkrankungen und
zahlreichen Neurosen leidet. Seine Filme werden von ihm selbst als Therapie be-
18
Vgl. Lothar van Laak: Medien und Medialität des Epischen in Literatur und Film des 20. Jahrhun-
derts: Bertolt Brecht ­ Uwe Johnson ­ Lars von Trier, München 2009, S.15.
19
Vgl. Unbekannt: Cannes erklärt Lars von Trier zur Persona non grata. In: Zeit Online Mai 2011
(URL: http://www.zeit.de/kultur/film/2011-05/trier-hitler-cannes [20.01.2012]).
20
Vgl. Maneljuk 2007.
6

schrieben, wodurch eine persönliche Verbindung zwischen ihm und seinem Kunst-
werk suggeriert wird. So sagt er auch:,,[...] I`m afraid of everything in life, except
filmmaking."
21
Eine weitere Krankheit, die sein Schaffen beeinflusst, ist seine Flugangst, die es ihm
nicht ermöglicht, außerhalb von Europa zu drehen.
22
Seine Artikulation als Künstler bestärkt er dadurch, dass er nie zeitgenössische Vor-
bilder unter den Regisseuren nennt. Lediglich die Filmlegenden Ingmar Bergmann,
Carl Theodor Dreyer und Andrei Tarkowski gelten ihm als einflussreiche
Leitfiguren.
23
Letzterem ist sogar der Film
ANTICHRIST namentlich gewidmet.
Generell behauptet Trier, dass er keine Filme sieht, das Hollywood-Kino hasst und
selbst dem Autorenkino von Terry Gilliam oder David Lynch abschätzig gegenüber-
steht.
24
Auch dem Werk
ANTICHRIST wurde eine besondere Inszenierung zuteil. Als der
Film am 18. Mai 2009 auf den 62. Filmfestspielen in Cannes Premiere feierte, rühm-
te sich Trier, der ,,beste Regisseur der Welt" zu sein.
25
Seinen vollendeten Film sehe
er als Therapie seiner seelischen Krankheit an und obwohl er auf Grund von Depres-
sionen an vielen Drehtagen nicht vor Ort sein konnte, sei er voll und ganz sein eige-
nes Werk.
26
Für ein Pressefoto zum Film inszeniert er sich dazu passend als Nachfol-
ger Alfred Hitchcocks
(Abb.1 und Abb.2).
Doch statt einen Raben auf dem Arm zu tra-
gen, liegt dieser bei seinem Portrait tot neben seinen Füßen. So zeugt das Zitat aus
THE BIRDS (1963) sowohl von Triers makabrem Humor als auch von seiner Hybris.
Der zitierte Horrorklassiker dient der ironischen Selbstinszenierung und zeigt zu-
gleich, an welches Genre der Film angelehnt ist.
21
Vgl. Jason Burke: "Guardian UK interview 2007". In: The Guardian, März 2007 (URL:
http://www.guardian.co.uk/world/2007/may/13/film.filmnews [20.01.2012]).
22
Vgl. Jan Lumholdt: Lars von Trier: Interviews, Univ. Press of Mississippi 2003, S. 114.
23
Vgl. Stig Börgeman: Trier on von Trier, London 2005, S.31.
24
Ebd.
25
Vgl. Jan Schulz-Ojala: Chaos regiert, sagt der Fuchs. In: Der Tagesspiegel, Mai 2009, (URL:
http://www.tagesspiegel.de/kultur/kino/filmfestival-cannes-chaos-regiert-sagt-der-fuchs/1516972.html
[20.01.2012]).
26
Vgl. Antichrist, Deutschland (u.a), Lars von Trier (Dir.) 2009. Blu-ray Disc, Extras: Geständnisse
des Regisseurs Lars von Trier, TC (00:02:18 ­ 00:04:00).
7

Triers öffentliche Auftritte funktionieren teilweise wie eine Performance, indem sie
die Aufmerksamkeit völlig auf seine Person zentrieren und als Nebeneffekt die beste
Werbung für seine Filme sind.
4.
ANTICHRIST Inhaltsangabe
Der Spielfilm
ANTICHRIST, der 2009 seine Premiere bei den Filmfestspielen von
Cannes feierte, erzählt die Geschichte eines trauernden Paares, dessen Sohn Nic töd-
lich verunglückt ist. Nach dem Unfalltod begeben sich beide zusammen in eine ein-
same Waldhütte. Hier versucht der Ehemann seine Frau zu therapieren, um sie bei
ihrer Trauerarbeit zu unterstützen. Die Situation zwischen dem Paar eskaliert, was
schlussendlich dazu führt, dass der Ehemann seine Frau tötet.
Das Werk ist 103 Minuten lang und in vier Kapitel unterteilt, sowie einen Prolog und
Epilog, die Ausgangs- und Schlusspunkt der Erzählung bilden. Mann und Frau blei-
ben während der gesamten Geschichte namenlos und sind nach dem Tod des Sohnes
die einzigen menschlichen Darsteller des Films. Sofern weitere Statisten auftauchen,
sind sie durch Unschärfe im Gesicht unkenntlich gemacht worden.
Prologue TC (00:00:18 ­ 00:05:43)
Während das Paar in der Dusche Geschlechtsverkehr hat, befreit sich der Sohn aus
seinem Laufstall. Unbemerkt von den Eltern, die sich ins Schlafzimmer zurückzie-
hen, macht sich der Junge auf den Weg zum Fenster und öffnet es. Beim Versuch,
eine Schneeflocke zu fangen, rutscht er von der Fensterbank, stürzt in die Tiefe und
landet auf der verschneiten Straße. Zeitgleich erreicht der sexuelle Akt des Paares
seinen Höhepunkt.
Chapter One: Grief TC (00:05:43 ­ 00:35:58)
Bei der Beerdigung des Jungen bricht die Frau zusammen und wird anschließend in
ein Krankenhaus gebracht, in dem sie mehrere Tage verweilt.
8

Er, der analytisch rational denkende Psychologe, hat den Tod des Sohnes schneller
verarbeitet als seine Frau und übernimmt im Folgenden ihre Behandlung in Form
einer Konfrontationstherapie, um sie auf diese Weise sukzessive in ihren Trauerpha-
sen zu begleiten.
Das Paar zieht sich zuerst in seine eigene Wohnung, dann in eine einsame Waldhütte
(Eden) zurück, wo die Therapie der Frau fortgesetzt werden soll. Dieser Zufluchtsort
wird vom Mann ausgewählt, um auf die Urängste der Frau zu stoßen. Denn hier ver-
brachte sie gemeinsam mit ihrem Sohn den letzten Sommer und schrieb an ihrer Dis-
sertation.
Die Hütte ist ein verlassener Ort, der nur mühselig zu Fuß erreichbar ist, und schon
auf dem Weg dorthin wird der Mann Zeuge von bizarren Ereignissen, als er sieht,
wie ein Reh eine Todgeburt hat.
Chapter Two: Pain (Chaos Reigns) TC (00:35:58 ­ 00:58:05)
Zu Beginn des Aufenthalts fürchtet sich die Frau vor der natürlichen Umgebung,
doch nach und nach verbessert sich ihr seelischer Zustand. Auf ihren Mann reagiert
sie aber zunehmend aggressiv und abweisend. Zudem wird er von mysteriösen Er-
scheinungen heimgesucht. Zecken heften sich nachts an seine Hand, und er entdeckt
einen Fuchs im Unterholz, der sich selbst zerfleischt. Dieser teilt ihm mit, dass das
Chaos regiert.
Chapter Three: Despair (Gynocide) TC (00:58:05 ­ 01:22:56)
Beim Durchstöbern der Hütte entdeckt der Mann auf dem Dachboden die unvollen-
dete Doktorarbeit über Hexenverfolgung und Frauenmorde, zusammen mit Darstel-
lungen der Folter und Verbrennung von Frauen. Als sie auf die Arbeit angesprochen
wird, behauptet sie, dass alle Frauen von Grund auf böse sind.
Anschließend öffnet er den Autopsiebericht über den Tod des Sohnes, den er in der
Manteltasche seit dem Krankenhausaufenthalt seiner Frau mit sich herumgetragen
hat. Dieser besagt, dass sein Sohn unter einer Fußfehlstellung litt.
9

Darauf kommt es zum endgültigen Bruch zwischen den beiden, denn er entdeckt alte
Fotos, die beweisen, dass sie dem Sohn jahrelang die Schuhe falsch herum angezo-
gen hat.
Es kommt zum Showdown, in dem die Frau den Mann niederschlägt und anschlie-
ßend seinen Penis masturbiert, bis dieser Blut spritzt.
Danach bohrt sie mit einem Handbohrer ein Loch in sein Bein, montiert einen
Schleifstein aus seinem Gestell heraus und rammt dieses durch die geschaffene Öff-
nung. Der Stein wird daran mit einer Schrauben-Mutter fixiert, der passende Schrau-
benschlüssel wird von der Frau versteckt.
Als der Mann wieder erwacht, muss er sich zunächst vor seiner Frau verstecken, da
sie droht, ihn zu töten. Während er Unterschlupf in einem Fuchsbau findet, wird er
durch das Schreien einer Krähe verraten, die, obwohl er sie totschlägt, wieder zum
Leben erwacht. Dadurch wird er von seiner Frau entdeckt, die mit einem Spaten auf
ihn einschlägt. Stunden später gräbt sie ihren Gatten reumütig wieder aus.
Chapter Four: The Three Beggars TC (01:22:56 ­ 01:35:43)
Sie schleppt ihn anschließend in die Hütte, wo sie auf die Ankunft der ,,Drei Bettler"
warten, welche nach Aussage der Frau zwangsweise mit einem Tod einhergeht.
Die Frau legt sich neben den noch immer schwer benommenen Mann und befriedigt
sich zunächst selbst mit seiner Hand, bevor sie sich ihre Klitoris abschneidet. Im
Laufe der Nacht erscheinen die ,,Drei Bettler". Es sind die Waldtiere, die der Mann
schon im Laufe des Films entdeckt hat, die in gleicher Reihenfolge erscheinen. Zu-
erst nur das Reh samt Todgeburt und der Fuchs. Die Krähe hört der Mann nur durch
den Fußboden, den er anschließend aufbricht und das Tier somit ins Haus lässt.
Gleichzeitig findet er unter der Diele den Schraubenschlüssel, den seine Frau dort
versteckt hat.
Erst jetzt kann sich der Mann von seiner Last, dem Schleifstein, befreien. Doch noch
während er diesen abschrauben will, sticht ihn seine Frau mit einer Schere in den
Rücken.
Ihr Angriff wird allerdings abgewehrt, und der Mann wird nicht weiter verletzt. An-
schließend packt er seine Frau am Hals und drückt so lange zu, bis sie tot ist. Ihren
Leichnam wirft er auf einen Scheiterhaufen und zündet diesen an.
10

Während er auf Krücken die Hütte verlässt, werden zahlreiche nackte Frauenkörper
am Wegrand sichtbar.
Epilogue: TC (01:35:43 ­ 01:44:05)
Auf seinem Rückweg macht er kurz halt, um ein paar Beeren zu essen. Hier trifft er
wieder auf die Waldtiere, die nun friedlich im Gras ruhen. Als er sich von diesen ab-
wendet, strömen von allen Seiten Frauen auf ihn zu.
5.
ANTICHRIST als Genrefilm
Spielfilme werden in der Filmbranche in Genres unterteilt. Nach diesem Konzept
richtet sich die Rezeption der Filme sowie die Erwartungshaltung des Publikums.
27
Nach Francois Truffaut ist der Genrefilm ein Kollektiv aus Mythen und filmischen
Ausdrucksregeln, deren Kombination dem Zuschauer bewusst ist.
28
Es dient somit
als Regulativ für Affekte, die bei einem genrekundigen Zuschauer schneller erkannt
und aufgenommen werden.
29
Genre ist dabei kein statisches Regelschema, sondern befindet sich stets im Wandel
der Zeit.
30
Zwar müssen für jedes Genre Prototypen existieren, doch innovative
Spielfilme können die Grenzen neu definieren und die Variationsbreite neu
ausloten.
31
Dabei gilt, dass nicht nur die Wiederholung ein Merkmal sein kann, son-
dern gerade die Variation von bekannten Erzählmustern ein Genrewerk definieren
kann.
32
Der Film
ANTICHRIST wird sowohl bei den führenden Internet-Datenbanken für
Filme als auch von den Verkaufsmedien selbst dem Genre des Horrorfilms
27
Vgl. Knut Hickethier: Genretheorie und Genreanalyse. In: Jürgen Felix (Hg.): Moderne Film Theo-
rie. Mainz 2003 (2.Aufl.), S. 62-96. Hier: S. 63.
28
Vgl. Hickethier 2003, S.87.
29
Ebd.
30
Ebd., S.70.
31
Ebd., S.72.
32
Vgl. Hickethier 2003, S.72.
11

zugeordnet.
33
Der Regisseur erklärt, dass diese Einschränkung der richtige Weg sei,
einen Film zu beginnen und dass gerade der Horrorfilm aufgrund seiner Motivdichte
besonders interessant für ihn erscheint.
34
Doch Trier entnimmt dem Genre mehr als einzelne Motive. Ganze Handlungsabläufe
entstammen dem Horrorfilm und werden in
ANTICHRIST eingesetzt und umgeformt.
Aufgrund des fehlenden ,,Horrors" sei das Werk nach seiner Aussage allerdings kein
Horrorfilm, sondern lediglich vom Horror-Genre inspiriert worden.
35
5.1 Horror Setting
Die Handlung des Filmes wird ab Mitte des ersten Kapitels in ein abgeschiedenes
Waldstück verlegt. Das Setting kann hier als ,,fairytale forest"
36
und ,,cabin in the
wood"
37
beschrieben werden und ist ein sehr beliebtes Motiv im Horrorfilm.
38
In dieser Hütte im Wald sind die Protagonisten abgeschieden von der Zivilisation und
dem Horror zumeist hilflos ausgeliefert. Das verwünschte Umfeld ist dabei ähnlich
wie in den Kinder- und Hausmärchen ein abgeschiedener Ort, der dunkel und ge-
heimnisvoll erscheint. Der Weg zu dieser Hütte ist lang und beschwerlich, was zum
einen seine Abgeschiedenheit suggeriert und gleichzeitig auf die Schwierigkeit des
Rückwegs, der oft eine Flucht darstellt, vorausdeutet. Desorientiert wie Hänsel und
Gretel wird der Zuschauer in das Setting eingeführt und bemerkt zumeist schon auf
dem Hinweg, dass die Protagonisten einen unsicheren Ort erreichen werden.
33
Vgl. Antichrist, Deutschland (u.a), Lars von Trier (Dir.) 2009. Blu-ray Disc.
34
Vgl. Scott Macaulay: Civilization and its discontents. In: Filmmaker, April 2009
(URL:http://www.filmmakermagazine.com/issues/fall2009/antichrist.php [20.01.2012]).
35
Vgl. Macaulay 2009.
36
Vgl. Linda Bradlay: Lars von Trier (Contemporary Film Directors), Illinois 2011, S.150.
37
Vgl. Peter Brandt Nielsen: Plot Summary for Antichrist. In: IMDB (online), März 2009 (URL:
http://www.imdb.com/title/tt0870984/plotsummary [20.01.2012]).
38
Archetypisch wird dieses Motiv in dem Kultfilm
THE EVIL DEAD (1981) verwendet. Weitere Bei-
spiele lassen sich in
CABIN FEVER (2002), THE LAST HOUSE LEFT (1972) oder BLAIR WITCH
PROJECT (1999) finden.
12

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Erscheinungsjahr
2012
ISBN (PDF)
9783955495992
ISBN (Paperback)
9783955490997
Dateigröße
628 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität zu Köln
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1,3
Schlagworte
Kunstgeschichte Mediengeschichte Genreanalyse Lars von Trier Genrekino Endzeitfilm
Produktsicherheit
BACHELOR + MASTER Publishing

Autor

Leonard Stühl wurde 1986 in Zülpich geboren. Sein Studium der Kunstgeschichte und der Deutschen Sprache an der Universität zu Köln schloss der Autor im Jahr 2012 erfolgreich ab.
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