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Die Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils in Lateinamerika

©2011 Bachelorarbeit 44 Seiten

Zusammenfassung

Das Zweite Vatikanische Konzil ist mittlerweile ein halbes Jahrhundert her - und trotzdem noch hochaktuell. Das Konzil hat eine unbeschreibliche Öffnung der Kirche gebracht, eine allgemeine Stimmung des Aufbruchs. Besonders intensiv waren dabei die Auswirkungen in Lateinamerika. Mit der Theologie der Befreiung kam es zu einer Begeisterung eines ganzen Kontinents. Wie der Name schon sagt, geht es um Befreiung - von Gewalt, Ausbeutung, Unrecht. Dabei spielt sich Vieles auf der wirtschaftlich-politischen Ebene ab. Aus diesem Grund ist es auch unmöglich, die ganzen Entwicklungen ohne den historischen Kontext im weiteren Sinne zu verstehen, was den ersten Teil der Arbeit ausmacht. In einem weiteren Schritt ist kurz auf die Rolle der lateinamerikanischen Bischöfe am Konzil einzugehen, bevor dann der Hauptteil und der eigentliche Titel der Arbeit erläutert werden, der Rezeption des Konzils in Lateinamerika. Dabei orientiert sich die Arbeit vorwiegend an den offiziellen Versammlungen der Bischofskonferenzen Lateinamerikas, insbesondere derjenigen in Medellín 1968, die als direkte Rezeption des Konzils gelten kann, und den größten Einfluss auf den weiteren Verlauf hatte. Die Studie befasst sich in erster Linie mit der frühen Rezeption.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


3
rophen sowie Kriege. Neben dem Grossraum Mexiko gab es noch einen weiteren grossen
kulturellen Entwicklungspol ab 200 v. Chr.: den Andenraum. Im Norden des heutigen Perús
entwickelte sich die Moche- Kultur auf der Basis eines zentralisierten Staatswesens. Ein wich-
tiges religiöses Ritual war, wie auch für viele andere südamerikanische Kulturen, die Opfe-
rung von Gefangenen. Im Süden schloss sich die Lima- Kultur an, noch weiter südlich die
Nazca- Kultur mit den bekannten Erdzeichnungen. Auf dem Altiplano um den Titikakasee
war Tiahuanaco zum kulturellen Zentrum avanciert, das seinen Höhepunkt um 450 n. Chr.
erreichte, sich aber bis 1000 hielt. Der nördliche Nachbar, Huari, wurde um 650 zur grossen
Stadt und tätigte Eroberungszüge in den Norden. Die Amazonasvölker wie Tupi oder Guaraní
entwickelten sich hingegen sehr langsam, und auch im südlichen Patagonien lebte man lange
noch als Jäger und Sammler. So gab es keinen geradlinigen Entwicklungsprozess, sondern
höchst unterschiedliche Lebensweisen auf demselben Kontinent.
Ab 900 n. Chr. verschoben sich die Zentren, Reiche fielen auseinander, viele kleine Staaten
entstanden. Im 13. Jahrhundert bildeten die Azteken einen solchen Kleinstaat. Zunächst
kämpften sie als tributpflichtige Hilfstruppen für andere Herrscher, erlangten dann aber 1431
ihre Unabhängigkeit und waren um 1500 zur Grossmacht geworden. Allerdings bekamen sie
durch mächtige Nachbarn auch ihre Grenzen aufgezeigt. Die Azteken Hauptstadt Tenochtitlán
hatte etwa 250`000 Einwohner und war vielen europäischen Hauptstädten an Grösse und
Pracht überlegen.
Im Andenraum zersplitterten die Reiche im Kampf um die fruchtbarsten Kokaanbaugebiete.
Bedeutung erlangte 1200 das Chimú-Reich mit der Hauptstadt ChanChan an der Nordküste
Perús. Diese übernahmen kulturelle und administrative Elemente der Moche und der Huari.
So gab es Garnisonen und Verwaltungszentren in den eroberten Gebieten und man forderte
Tributzahlungen. Um die Hauptstadt zu versorgen, mussten kunstvolle Bewässerungsanlagen
angelegt werden. Religiös gesehen war die Verehrung des Mondes und des Meeres aus-
schlaggebend. Die bestimmende Hochkultur für den Andenraum in jener Zeit war das Inka-
reich. Die Inkas siedelten sich im 13. Jh. in der Region Cuzco an. Noch bis ins 15.Jh. blieb
deren Einflussgebiet aber ziemlich klein. Erst ihr existenzbedrohender Krieg gegen die rebel-
lierenden Chancas brachte 1438 mit Pachacútec Inca Yupanqui einen starken Heerführer her-
vor. Er und seine Nachfolger eroberten ein Reich, das von Ecuador bis nach Chile reichte. Die
Reichsverwaltung wurde straff gestaltet und es kam zu Vereinheitlichung: die Inkasprache
Quechua wurde zur Amtssprache und der Staatskult der Sonne durchgesetzt. Die Herrscher
verstanden sich als Abkömmlinge der Sonne. Allgemein gab es in den lateinamerikanischen
Kulturen eine starke Einheit von religiöser und zeitlicher Macht.

4
Somit gab es zur Zeit der Ankunft
der Europäer in Lateinamerika die
beiden Grossreiche der Azteken und
Inkas. Der grösste Teil der latein-
amerikanischen Bevölkerung lebte
aber nach wie vor als nomadische
Jäger und Sammler. Diese sind für
Eroberungen schwieriger als bereits
bestehende Strukturen, die man
einfach übernehmen kann. Das hat-
ten auch die Azteken und Inkas
schon gemerkt. Lateinamerika hat
also bereits vor der Kolonialisier-
ung beachtliche Entwicklungen
durchlaufen, war aber v.a. auch sehr
vielfältig. So gab es ca. 125 verschiedene indigene Sprachfamilien. Gegen Ende des 15. Jh.
lebten etwa 50 Mio. Menschen auf dem Kontinent Amerika, 90% davon in Lateinamerika.
Eine wichtige Vorbedingung für die Eroberungen der Europäer waren die vielen Konflikte
zwischen den eingeborenen Kulturen.
1.2.
Kolonialisierung
2
Im 15. Jh. war Europa von der muslimischen Expansion bedroht, der wichtige Handelsweg
über die Seidenstrasse nach Indien war von den Arabern besetzt. In der Folge versuchte man
andere Wege dorthin zu finden. Die Portugiesen segelten Afrika entlang und entdeckten die
Seeroute nach Indien. Der Papst sicherte ihnen Exklusivrechte an der Westküste Afrikas. Für
die rivalisierenden Spanier blieb so nur die Möglichkeit, über den Atlantik einen neuen Weg
zu finden. Nach der ,,reconquista", also der Rückeroberung ganz Spaniens aus der Hand der
Mauren, landete 1492 Christoph Kolumbus für die spanische Krone auf dem neuen Kontinent,
in der Erwartung es sei Indien. Deshalb hat er den Eingeborenen auch den Namen ,,Indios"
gegeben. Der erste Kontakt war mit Jäger-Sammler Kulturen wie den Tainos. Kolumbus be-
2
Vgl. R
INKE
, Lateinamerika (2010) 22­37.
Vorkolumbische Kulturen

5
schrieb diese dann als sehr kooperationsbereit und leicht zu bekehren und konnte so Spanien
davon überzeugen, weitere Expeditionen durchzuführen, wobei die Investitionen meist von
Privaten kamen. Der Papst selbst sprach dem König Spaniens die neuen Länder zu, mit einem
gleichzeitigen Auftrag zur Christianisierung. Doch auch Portugal wollte berücksichtigt wer-
den. So kam es 1494 zum Vertrag von Tordesillas, wo die neuen Länder entlang eines Meri-
dians zwischen Spanien und Portugal aufgeteilt wurden, noch bevor man überhaupt ahnte,
dass es sich um einen ganzen Kontinent handelte, geschweige denn die Bewohner einbezogen
hätte. Mission und Conquista gingen fortan Hand in Hand. Namensgeber für den neuen Kon-
tinent war Amerigo Vespucci, der 1503 einen berühmten Reisebericht schrieb. In der Folge
wurde innert kurzer Zeit der ganze Kontinent erobert. 1521 unterwarf Hernán Cortés das Az-
tekenreich, 1523 folgte Zentralamerika, 1533 eroberte Francisco Pizarro das Inkareich. Bis
Mitte des 16. Jh. waren die Eroberungen weitgehend abgeschlossen. Unter anderem spielten
die überlegenen Waffen als auch religiöse Vorstellungen der indigenen Kulturen (weisse
Männer mit Pferden und Feuerwaffen wurden als Götter gesehen) eine Rolle für den erstaun-
lichen Erfolg der Spanier. Diese Faktoren waren aber nicht so wichtig wie gemeinhin ange-
nommen und müssen relativiert werden, weil es sich dabei bloss um Überraschungseffekte
handelte, die mit der Zeit vergingen. Weit wichtiger war die Tatsache, dass die Spanier von
vielen indigenen Völkern unterstützt wurden (so erhoffte man sich z.B. von der Inka-
/Aztekenherrschaft befreien zu können) und fremde Krankheiten nach Amerika einschleppten,
die für die Einheimischen sehr dezimierend wirkten. Zur Verwaltung der neuen Gebiete wur-
den Vizekönige eingesetzt. Aus der Entdeckung war die Eroberung geworden, welche sich
schliesslich sehr brutal zum grössten Völkermord entwickelte, den die Menschheit je erlebt
hat: um die 75 Mio. Menschen haben den Tod gefunden.
Natürlich stellte sich auch die Frage nach der Legitimierung, zumal es sich nicht um herrenlo-
se Gebiete handelte. Dazu diente das ,,requerimiento", ein offizielles Dokument, das Frieden
anbot und gleichzeitig mit Krieg drohte, sollten die Bekehrung zum christlichen Glauben und
die neue Herrschaft abgelehnt werden. Da die Indios den Inhalt aber nicht verstehen konnten,
diente es faktisch bloss der Beseitigung von Gewissensbissen seitens der Spanier. Nichtsdes-
totrotz gab es glücklicherweise auch Theologen, die als Anwälte für die Indiovölker eintraten
und mit ihrem Denken schon die Entwicklungen des 20. Jh. beeinflusst haben. Einer davon
war ein gewisser Bartolomé de las Casas, dem ein eigenes Kapitel gewidmet ist. Zwar hatte
bereits 1500 die spanische Krone die Versklavung von Indios verboten und sie zu freien Un-
tertanen erklärt. Gemäss päpstlicher Bulle hatte die spanische Krone den Auftrag, die Erober-
ten zu christianisieren. Dies hiess auch Europäisierung. Das bedeutet aber auch, den Indios

6
ihre Identität zu nehmen und eine neue aufzuzwingen. Und wie nimmt man den Indios am
einfachsten die Identität? Indem man ihre Kultur zerstört. So wurden massenhaft indianische
Kunstwerke, Skulpturen, Bilder usw. entfernt, die traditionelle Kleidung und Theaterspiele,
die Erinnerungen an die alte Kultur wach halten konnten, verboten und die spanische Sprache
aufgezwungen. Die indianische Religion und Kultur wurde von den meisten Missionaren ver-
teufelt. Zur Christianisierung entwickelte man das System der ,,encomienda" (Anvertrauung).
Demnach erhielten die Konquistadoren eine bestimmte Anzahl Indios anvertraut, die sie
schützen und christlich erziehen sollten, während jene für sie arbeiteten. In der Realität woll-
ten die Eroberer aber einfach nur schnell reich werden und behandelten ihre Anvertrauten wie
Sklaven und kamen so auch ihrem Erziehungsauftrag nicht nach. Die Missionsbemühungen
waren folglich grösstenteils von den Orden (Franziskaner, Dominikaner u.a.) getragen, aber
eigentlich bloss eine Begleiterscheinung; im Zentrum für die meisten Spanier standen das
Gold und die Habgier, auch wenn die Missionierung als Hauptbegründung für die Conquista
diente.
Die Bettelorden erkannten die faktische Grausamkeit des Encomienda- Systems und began-
nen es in öffentlichen Predigten anzuprangern. Stellvertretend für den Predigerorden hielt
Antonio Montesino 1511 eine epochale Predigt, wo er das Unrecht anklagte:
,,Sagt, mit welchem Recht und mit welcher Gerechtigkeit haltet ihr diese Indios in solch grau-
samer und entsetzlicher Knechtschaft? [...] Sind sie etwa keine Menschen? Haben sie keine
vernunftbegabten Seelen? Seid ihr nicht verpflichtet, sie wie euch selbst zu lieben? Versteht
ihr das nicht? Fühlt ihr das nicht? Wie könnt ihr in einen so tiefen, so bleiernen Schlaf versun-
ken sein? Haltet es für gewiss, dass ihr euch in dem Zustand, in dem ihr euch befindet, nicht
besser retten könnt als die Mauren oder Türken, denen der Glaube an Jesus Christus fehlt und
die ihn nicht haben wollen."
3
1537 erklärte ein päpstliches Machtwort die Indios endgültig zu Menschen. Doch zwischen
Theorie und Praxis bestand, wie so oft, weiterhin ein beträchtlicher Unterschied. Trotz dem
Vertrag von Tordesillas bekundeten bald auch schon andere europäische Nationen (England,
Niederlande, Frankreich) Interesse an Amerika. Frankreich versuchte den Portugiesen Brasi-
lien (wegen dem wertvollen Brasilholz so genannt) streitig zu machen. Darauf begann Portu-
gal eigentlich erst seine Kolonialisierung und vertrieb die Franzosen aus Brasilien. Latein-
amerika war wichtiger Rohstofflieferant für die europäischen Grossmächte, vor allem von
Gold und Silber. Dies zog auch viele Piraten an, die sich einen Teil vom Kuchen abschneiden
wollten. So wurde Lateinamerika immer mehr zu einer freien Zone, wo weiter gekämpft und
geplündert werden konnte, auch wenn in Europa Frieden herrschte. Es galt kein Völkerrecht
3
D
ELGADO
, Bartolomé de las Casas (1995) 226.

7
mehr, sondern nur das Recht des Stärkeren. Neben den indigenen Untertanen wurden Millio-
nen ,,offizielle" Sklaven aus Afrika nach Amerika verschleppt und schnell mischte sich die
Bevölkerung zwischen den drei Rassen, was eine grosse Herausforderung für das Zusammen-
leben und gegenseitiges Lernen und Anpassen werden sollte.
1.3.
Bartolomé de las Casas
Wir sollten uns hier ein wenig eingehender mit Bar-
tolomé de las Casas beschäftigen, weil er oft als
Vorgänger der Befreiungstheologie des 20. Jh. ge-
nannt wird und somit sehr interessant für unser
Thema ist.
Bartolomé de las Casas wurde 1484 in Spanien ge-
boren. Ab 1502 war er zunächst Konquistador und
Encomendero in der neu entdeckten Welt und liess
sich dann überraschend zum Weltpriester weihen.
Als die Dominikanerbrüder in Santo Domingo be-
gannen, das Unrecht anzuklagen, wurde auch er
damit konfrontiert. Die dortigen Dominikaner sahen
das Encomienda- System als Todsünde. Als Las Casas dann die Beichtabsolution verweigert
wurde, begann in ihm ein Prozess der Umkehr. Diese liess ihn dann den ausgebeuteten Indio
als den Unterdrückten, den Armen erkennen, den Nächsten, den es zu lieben galt. Bartolomé
wurde zum grossen Kritiker des Encomienda- Systems und zum Anwalt derjenigen, die keine
Stimme hatten, der Indios. Von nun an arbeitete Las Casas mit den Dominikanern zusammen.
Er reiste mehrere Male nach Europa um dort, v.a. dem König, von der entsetzlichen Realität
in Lateinamerika zu berichten. Er schildert in seinen Schriften all die Gräueltaten, die er mit-
erleben musste, wohl auch etwas übertreibend, doch trifft er den Nagel damit genau auf den
Kopf. Das Problem war nur, dass die spanischen Weltherren überhaupt kein Interesse an einer
Veränderung hatten, ihnen ging es ja gut. Selbst die Kleriker waren gespalten. Las Casas blieb
freilich nicht bei rein theoretischen Anschuldigungen stehen, sondern versuchte mit allen Mit-
teln aktiv etwas zu bewegen, auch politisch, z.B. vom König Land für seine eigene friedliche
Evangelisierung zugesprochen zu bekommen, welches sonst kein Spanier ausser den Domini-
kanermönchen betreten dürfe. Doch selbst nach manchen Teilerfolgen waren seine Bemühun-
Bartolomé de las Casas

8
gen zum Scheitern verurteilt, zu gross war der Widerstand der Mächtigen, und auch Bischöfe
und Kardinäle kämpften gegen ihn und intrigierten, wo sie nur konnten. Allzu sehr nur erin-
nert mich dies an viele Befreiungstheologen, die heute noch genau dasselbe traurige Schicksal
erleben. Bartolomé de las Casas zog sich im Folgenden für ein paar Jahre zurück und trat
1522 dem Dominikanerorden bei. Doch sein Herz schlug weiterhin für Friede und Gerechtig-
keit für die Indios. Er lebte ja auch inmitten der Geschehnisse. Knapp zehn Jahre nach seiner
klösterlichen Versenkung tauchte er wieder auf und machte unbeirrt weiter in seinem Wirken.
Und wieder wurde er bekämpft, denunziert und verleumdet, und wieder schaffte er gewisse
Erfolge. Wie schon erwähnt, unterzeichnete Papst Paul III. 1537 die Menschenrechtsbulle
Sublimis Deus. Doch der Papst konnte sich nicht durchsetzen, der spanische König behauptete
seine Oberhoheit. Las Casas konnte König Karl V. dann aber doch noch für seine Ideen ge-
winnen. 1542 verabschiedete dieser die ,,Leyes Nuevas", neue Gesetze, die den Indios Rechte
zusichern sollten. Bartolomé de las Casas wurde nach seinem Erfolg 1544 zum Bischof von
Chiapas geweiht. Doch der Aufschrei der Kolonisten war gross, und deren Druck brachte den
König schliesslich soweit, seine ,,Leyes Nuevas" zu widerrufen. Bartolomé des las Casas war
stets sehr umstritten. Nicht nur Geschäftsleute, Soldaten oder Politiker verteidigten die Skla-
verei, auch intellektuelle Eliten argumentierten gegen eine gleiche Würde der Indios, nicht
zuletzt auch an den theologischen Fakultäten. Bei all diesen Kämpfen um Macht, Besitz und
eigener Selbstbehauptung waren die doppelten Verlierer stets die Armen, die Indios. Resig-
niert verzichtete Las Casas auf sein Bistum und versuchte in Europa mehr erreichen zu kön-
nen.
4
Zurück in Spanien lieferte sich Las Casas eine grosse Diskussionsschlacht mit Juan Ginés de
Sepúlveda, einem äusserst gebildeten Humanisten. Dieser verteidigte die Sklaverei und die
Kolonialisierungspraktik der Spanier mit allen Mitteln. Er versteht das ,,compelle intrare" im
Sinne von Augustinus. Für Las Casas jedoch muss jegliche Gewalt immer ausgeschlossen
werden, Mission geschieht durch argumentative Überzeugung, niemals durch Zwang. Die
beiden konnten sich nicht verstehen, zu verschieden waren ihre jeweiligen Erfahrungshorizon-
te. Sepúlveda selber war ja auch nie in Übersee gewesen. Für Las Casas hingegen waren Pra-
xis und Reflexion über die Praxis untrennbar miteinander verbunden (gute alte Dominikaner-
tradition). Er erreichte schliesslich, dass Sepúlvedas Schrift ,,Democrates alter" verboten wur-
de und es trotz Widerstand auch blieb.
5
4
Vgl. E
GGENSPERGER
/E
NGEL
, Bartolomé de las Casas (1991) 37­88.
5
Vgl. E
GGENSPERGER
/E
NGEL
, Bartolomé de las Casas (1991) 97­102.

9
Bartolomé de las Casas' Antwort auf Sepúlvedas Verständnis des ,,compelle intrare" (Lk,
14,21ff) war folgende:
,,Es wäre schön, wenn Sepúlveda und seine Anhänger diesbezüglich irgendeine Schriftstelle angä-
ben, die besagtes Gleichnis in Sepúlvedas Sinne kommentiert, und zwar derart, dass das Evangeli-
um (das die Gute und Frohe Botschaft ist) und die Vergebung der Sünden mit Waffen und Bom-
barden verkündet werden sollen, indem man das Volk militärisch unterwirft und mit dem Feuer
des Krieges verfolgt. Was hat die Frohe Botschaft mit den Verstümmelungen, Sklavereien, Mas-
sakern, Feuersbrünsten, Städteverwüstungen und bekannten Übeln allen Krieges zu tun? In Wahr-
heit würden sie lieber zur Hölle fahren, als die Vorteile des Evangeliums zu geniessen."
6
In seinen späten Jahren korrigierte er auch seine frühere Befürwortung des afrikanischen
Sklavenhandels, und optierte schliesslich auch für diese Unterdrückten. Seine massiven An-
schuldigungen wurden von den Spaniern als falsche ,,schwarze Legende" abgetan. Bartolomé
de las Casas starb 1566 in Spanien im Alter von 82 Jahren.
1.4.
Nachkoloniale Entwicklungen
7
Durch die Conquista war der amerikanische Kontinent zu einer riesigen Einwanderungsregion
geworden (v.a. in der zweiten Hälfte des 19. Jh. kam es zu einer richtiggehenden Einwande-
rungswelle). In der Folge der Kolonialisierung lebten nun verschiedene Ethnien miteinander:
Indígenas, Europäer und Afrikaner. Europäische Nachkommen, die in Amerika zur Welt ka-
men, nannte man Kreolen, Mischlinge von Europäer und Indios, Mestizen. Es entstand eine
eigene Gesellschaft, die für die spanische und portugiesische Krone trotz aller Bemühungen
immer schwieriger zu kontrollieren wurde. Das Reich war zu gross geworden und zu weit war
Amerika entfernt. Die Weissen bildeten die Oberschicht und so kam es unweigerlich auch zu
Konflikten zwischen den verschiedenen Gruppen, und das Gefälle von Arm und Reich wurde
immer grösser. Die katholische Kirche war eine wichtige Stütze des kolonialen Herrschafts-
systems und entwickelte sich zur wichtigsten Bildungs- und Sozialeinrichtung. Weiterhin
wurde eifrig europäisiert und christianisiert, doch blieb dies zumeist nur oberflächlich. India-
nische Traditionen und Riten wurden beibehalten, und verschmolzen mit christlichen Elemen-
ten zu einem Synkretismus, der noch bis heute Bestand hat.
6
K
OSCHORKE
/L
UDWIG
/D
ELGADO
, Aussereuropäische Christentumsgeschichte (2006) 227.
7
Vgl. R
INKE
, Lateinamerika (2010) 39­98.

10
Die Zeit bis Ende des 18. Jh. war geprägt von einem Ranken zwischen den Kolonien und den
Mutterländern, Kämpfen mit den anderen europäischen Mächten um die Kolonien, Schmug-
gel, Sklavenhandel, Reformen zur Festigung der Machtverhältnisse, Korruption usw. Die spa-
nische Krone verlor durch diese Entwicklungen sein Handelsmonopol und wurde erheblich
geschwächt. Im weiteren Verlauf kam es immer mehr zu Aufständen der unzufriedenen Be-
völkerungsschichten, vor allem aber der Kreolen, die zahlenmässig den Europaspaniern weit
überlegen waren, und daher mehr Mitspracherecht forderten. Das Autonomiestreben wurde
stets grösser und es kam zu immer mehr Revolutionen, was durch die Konflikte in Europa,
insbesondere der Französischen Revolution 1789 und des Einmarsches Napoleons 1808 in
Spanien, nur noch verstärkt wurde. Alle Teile Lateinamerikas konnten so ab 1810 nach und
nach von der Kolonialherrschaft befreit und zur Unabhängigkeit geführt werden. Eine der
grossen Figuren war Simón Bolívar, dem zu Ehre Bolivien seinen Namen erhielt. Die Ereig-
nisse brachten aber gemischte Gefühle; gerade in Perú, das als spanientreue Hochburg gegol-
ten hatte, sahen viele Menschen nach der militärischen Befreiung des Andenraums 1826 in
Bolívar den neuen Unterdrücker. Keine ideale Voraussetzung für die Nationalstaatenbildung.
Jetzt wurden an allen Orten Verfassungen ausgearbeitet, meist in Anlehnung an Vorbilder aus
Frankreich oder den USA. Zentrale Punkte waren Freiheit, Gleichheit und Selbstbestimmung
sowie allgemein die Menschenrechte. Als Staatsform wählte man meist die Republik, man-
cherorts auch die Monarchie. Um 1830 war Lateinamerika ,,neben den USA die erste Weltre-
gion, in der sich das Prinzip der Volkssouveränität grossflächig durchsetzte"
8
. Dabei waren
die Indios aber natürlich praktisch nicht mitberücksichtigt. Man hatte Mühe mit dem Wechsel
von der Loyalität zu einem König jetzt zu einem abstrakten Staat. Autoritäre Regimes wurden
begünstigt, es kam zu Diktaturen (Caudillos: Heerführer die, die Macht an sich rissen) und
Bürgerkriegen, was in vielen Staaten die Verfassung zeitweilig ausser Kraft setzte. Das politi-
sche System war sehr instabil und gewaltfördernd. Die zuerst grossflächigen Staaten verfielen
in die heutigen kleineren Länder (z.B. Grosskolumbien in Ecuador, Kolumbien und Venezue-
la). Es kam zu blutigen Grenzkonflikten zwischen den neuen Staaten, da die Grenzlinien im
nicht wirklich gut erschlossenen Hinterland alles andere als klar waren. Die Anerkennung der
Unabhängigkeit durch die europäischen Nationen war an Freihandelsverträge gebunden; die
waren zwar grundsätzlich auch von den Lateinamerikanern erwünscht, doch boten sie nur für
die Europäer Vorteile. Die lateinamerikanischen Staaten mussten eine enorme Last an Aus-
landsschulden auf sich nehmen und gerieten in erneute Abhängigkeit. Um die wirtschaftliche
und soziale Rückständigkeit aufzuholen, entschied man sich, dem europäischen Vorbild nach-
8
R
INKE
, Lateinamerika (2010) 69.

11
zueifern und sich in die liberale Weltwirtschaft einzugliedern. Eine fatale Entscheidung, ha-
ben sich die Industrienationen doch auch nur hinter Protektionismus entwickeln können.
Im 19. Jh. war der amerikanische Kontinent geprägt von einer Suche nach eigener nationaler
und amerikanischer Identität. Referenzpunkt dafür blieb lange Zeit Europa, und die agierende
Bevölkerungsschicht war die weisse Elite. Man versuchte mit dem kolonialen Erbe fertig zu
werden, doch mit dem indianischen Erbe hatte man fast noch mehr Mühe. Nur langsam ent-
deckte man auch diesen Teil der Geschichte als integraler Identitätsaspekt. Die Zeit war auch
geprägt von Auseinandersetzungen zwischen Konservativen und Liberalen. Oftmals war das
Militär noch die einzige intakte Institution in den ganzen Wirren und spielte daher eine wich-
tige Bedeutung. Bis 1898 war die spanische Kolonialherrschaft in Amerika offiziell beendet.
Doch schon meldeten die USA Machtansprüche an, vor allem in Mittelamerika und im Nor-
den Südamerikas.
1899 versammelten sich die lateinamerikanischen Bischöfe zum Ersten Lateinamerikanischen
Plenarkonzil in Rom. Man diskutierte über den Umgang mit den Nicht-Katholiken, Mission
oder die Gründung katholischer Universitäten.
9
In der Folgezeit kam es wieder zu Umbrüchen. 1910 begann die mexikanische Revolution,
worauf der Bürgerkrieg folgte. Stimmen nach sozialer Veränderung wurden laut. Nach dem 1.
Weltkrieg orientierte man sich in vielen Ländern nicht mehr so sehr an Europa als vielmehr an
den USA. Nach wie vor waren die lateinamerikanischen Gesellschaften von starken sozialen
Ungleichheiten geprägt. In den schnell wachsenden Städten entstand eine neue Mittelschicht,
doch der weitaus grösste Teil der Bevölkerung, meist auf dem Land, gehörte der Unterschicht
an. Die zunehmenden Proteste gegen die herrschenden Zustände äusserten sich in Studenten-
oder Frauenbewegungen. Eine Hauptforderung war die gerechtere Verteilung von Land.
,,Schon vor 1910 waren anarchistische und sozialistische Ideen nach Lateinamerika gekom-
men, die sich im Aufstieg der Arbeiterbewegung niederschlugen."
10
Doch erst nach dem 1.
Weltkrieg nahmen diese stark zu, blieben aber noch in verschiedene Lager gespalten. Ihre
Streiks wurden oftmals mit Massakern beendet. Auf Druck von liberaler und katholischer
Seite kam es auch schon zu den ersten gesetzlichen Massnahmen zum Schutz der Arbeiter.
Nach dem Krieg entstanden antiimperialistische Bewegungen und Parteien. In den 1920er
Jahren kam es zur Sandinistischen Revolution in Nicaragua gegen die US-amerikanischen
Besatzer. Wirtschaftlich war Lateinamerika sehr stark vom Ausland abhängig, von wo Fertig-
produkte importiert wurden, im Gegenzug zu Rohstoffen. Entwicklung wollte über Exporte
9
Vgl. K
OSCHORKE
/L
UDWIG
/D
ELGADO
, Aussereuropäische Christentumsgeschichte (2006) 283.
10
R
INKE
, Lateinamerika (2010) 90.

12
getätigt werden. Als 1929 die Weltwirtschaftskrise ausbrach, wurden die Investitionen nach
Lateinamerika gestoppt, und der Halbkontinent sehr stark getroffen. Inflations- und Arbeitslo-
senrate stiegen sprunghaft an und ein Land nach dem anderen wurde zahlungsunfähig. In der
Folge konzentrierte man sich mehr auf eine binnenmarktorientierte Wirtschaftspolitik. Die
Krise führte zu zahlreichen Umstürzen und stärkte nationalistische Tendenzen. Im 2. Welt-
krieg blieben die lateinamerikanischen Länder zunächst neutral, nach dem japanischen An-
griff auf die USA sahen sie sich dann kollektiv bedroht und schlugen sich auf die Seite der
Alliierten. Ihre Rolle im Krieg betraf vor allem die Lieferung von Rohstoffen und Bereitstel-
lung von Stützpunkten. Das brachte wohl Geld, doch auch weitere Abhängigkeit von den
USA, und die erneute Exportfokussierung einen Rückschritt in den Industrialisierungsbemü-
hungen. Nach Ende des Krieges traten die unterschiedlichen Interessen der USA und Latein-
amerika wieder offen zu Tage. Erstere wollten Freihandel, während letztere eine nationalisti-
sche, staatlich gelenkte Wirtschaftspolitik verfolgten. Die USA unterstützten während des
Kalten Krieges lateinamerikanische Diktaturen, insofern sie antikommunistisch eingestellt
waren. Dies führte zu einem bedeutenden Rechtsrutsch. Insgesamt kann man ,,[...] diesen
Zeitraum als Zeit des Erwachens lateinamerikanischen Selbstbewusstseins interpretieren, an
deren Ende der Optimismus und die Hoffnung auf Entwicklung enorm waren"
11
.
1.5.
Lateinamerika am Vorabend des Konzils
Nach dem 2. Weltkrieg gingen die Exporte sowie Wirtschaftshilfe aus den USA zurück. Je-
doch stiegen die Exportpreise deutlich, was für viele lateinamerikanische Länder die Mög-
lichkeit brachte, Schulden zurückzubezahlen. Die 1948 gegründete UN-Wirtschafts-
kommission für Lateinamerika CEPAL (Comisión Económica para América Latina) propa-
gierte Binnenwachstum für die lateinamerikanischen Länder; eine heimische Industrie solle
Importe ersetzen. Insbesondere Brasilien, Mexiko, dann Argentinien, Chile und Kolumbien
entwickelten sich so zu industriellen Schwellenländern, doch deren Produkte waren nur be-
schränkt konkurrenzfähig, und so wurde das Ziel nicht wirklich erreicht. Kleinere Länder
hielten am exportbasierten Entwicklungsmodell fest, waren dadurch aber sehr stark von der
Weltwirtschaftslage abhängig. Venezuela exportierte sein Erdöl, Bolivien Zinn, Kuba Zucker,
Perú, Ecuador und andere hingegen hatten mehrere Produkte zum Verkauf. Es war ein wirt-
schaftliches Auf und Ab. Die Bevölkerung stieg sprunghaft an, viele Leute versuchten ihr
11
R
INKE
, Lateinamerika (2010) 98.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2011
ISBN (PDF)
9783955496906
ISBN (Paperback)
9783955491901
Dateigröße
525 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Université de Fribourg - Universität Freiburg (Schweiz)
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Schlagworte
Befreiungstheologie Katholische Kirche Medellín Theologie Kirchengeschichte

Autor

Beat Andreas Schweizer, B.A., wurde 1988 in Winterthur in der Schweiz geboren. Im Jahre 2011 schloss er den Bachelor in Theologischen Studien mit Nebenfach Betriebswirtschaftslehre an der Universität Fribourg/CH erfolgreich ab. Durch längere Aufenthalte in Perú konnte er wertvolle Erfahrungen der lateinamerikanischen Realität und Kirche gewinnen. Zurzeit schließt er einen Master in Theologischen Studien mit Spezialisierung im interreligiösen Dialog und einen Master in Betriebswirtschaftslehre ab.
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Titel: Die Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils in Lateinamerika
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