Die ‚Bildung’ der Vorstellung: Eine Betrachtung der Imagination in Zusammenhang mit theaterpädagogischer Arbeit
Zusammenfassung
Hier finden Sie eine Einführung in das Thema Imagination - ein weites und reiches Feld, wie uns die Autorin aufzeigt.
Die Arbeit wendet sich zunächst an Theaterpädagogen, jedoch bietet sie interessante Anregungen für alle Bereiche der darstellenden Kunst.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
2.2. ...in der Psychologie
Imagination ist etwas dem Menschen natürlich Gegebenes, die Einbildungskraft „ein Grundvermögen der menschlichen Seele“ (Kant, S.124). Seit jeher reagieren Menschen auf Bilder und Metaphern. Oft werden diese lebendig über Geschichten, die erzählt oder gelesen werden. Dieses Wissen sowie die Erkenntnisse aus der Philosophie macht sich die Psychologie zu nutzen.
Die gezielte Herbeiführung von bildhaften Tagträumen geht auf Freud (1885) zurück. Die Tagtraumtechnik galt damals als eine wissenschaftliche Methode zum Nachweis der symbolischen Darstellungskraft von vorbewussten und unbewussten Vorgängen in der Psyche.
Aus dieser Theorie entwickelte sich das so genannte „katathyme Bilderleben“ oder „Symboldrama“ als erstes imaginatives Verfahren, welches zunächst in die Tiefenpsychologie integriert wurde. Später gewann die Methode als Katathym-Imaginative Psychotherapie (KIP) an Bedeutung. Entwickelt von Hanscar Leuner im Jahr 1948 ist die Methode seit 1955 in der therapeutischen Praxis verankert. Das Wort katathym leitet sich aus dem Griechischen ab und meint sinngemäß „aus dem Gefühl heraus“ bzw. „dem Gefühl gemäß“.
In der praktischen Arbeit werden dem Klienten in einer Entspannungssituation Symbole vorgegeben, die im ständigen Dialog mit dem Therapeuten spezifiziert und verdichtet werden. Es werden Bilder, Szenerien und Geschichten gemeinsam entfaltet und für den Klienten auf allen Sinnesebenen erfahrbar gemacht. Die Symbole werden klientenseitig gespeist von Erinnerung, Phantasie und Gefühl. Im dialogischen Prozess mit dem Therapeuten, können Grenzen überschritten und damit neue Erfahrungen gemacht werden.[1]
Die Grundannahme ist, dass eine auf allen Sinnesebenen erlebte Imagination neue, reale Erfahrungswelten für den Menschen ermöglicht.[2]
Ein Schlüssel in die Welt der Vorstellungskraft des Menschen, in die Welt der Imagination ist in der Therapie die Entspannung bzw. die so genannte Trance in der Hypnotherapie. Ausgehend von einer Reduktion der Kritikfähigkeit des Bewusstseins im entspannten Zustand, wird es genau dann dem Menschen möglich, allein über die ihm innewohnende imaginative Kraft, Bilder zu entwickeln, sie über alle Sinneskanäle zu erleben. Diese Erfahrung ermöglicht eine Bahnung neuer Verhaltensweisen. Die Rolle des Unterbewussten kann man sich hier vorstellen wie eine große Lagerhalle, die alles je Erlebte, Gelesene, Gesehene, Gewusste in sich birgt und aus der man schöpfen kann. Gleichzeitig wird angenommen, dass nur in einer Haltung des ‚Nicht-Wissens’, also einer neugierigen, bereit zu empfangenden Haltung, Neues entstehen kann.
Innere Vorstellungsbilder werden in der psychotherapeutischen Praxis als ein zentraler Baustein angesehen, die das jeweilige methodisch spezifische Repertoire der unterschiedlichen therapeutischen Richtungen wirksam erweitern.
Ein bekannter Vertreter aus der Psychologie, der sich intensiv mit der menschlichen Vorstellungskraft auseinandergesetzt hat und dessen Überlegungen und Erkenntnisse sich auch außerhalb der Psychologie bzw. Psychotherapie häufig wieder finden, ist C.G. Jung (1875-1961).
Für ihn gilt es sogar als Therapieziel, eine schöpferische Haltung zu gewinnen, da sich seiner Ansicht nach „im Schöpferischen [...] das Zusammenwirken von Innen und Außen und dem Entstehen eines qualitativ Neuen [zeigt]“ (aus: Jung „Das Dritte“, in: Kast, S.13)
Den hohen Stellenwert, den er der Imagination des Menschen zuspricht wird noch deutlicher in einer Aussage, die in einem Brief aus dem Jahr 1929 zu finden ist:
„Ich bin tatsächlich überzeugt, dass schöpferische Einbildungskraft das uns einzig zugängliche seelische Urphänomen ist, der eigentliche seelische Wesengrund, die einzige unmittelbare Wirklichkeit...“ (aus „Briefe I“,in: Kast, S.2)
2.3. ...in der Neurobiologie
Die neurobiologische Forschung zu Mechanismen von Vorstellung oder Imagination ist in ihrer Entwicklung beeinflusst von philosophischen und gesellschaftlichen Ansichten zu diesem Thema. Waren anfangs vor allem einzelne ‚mechanische’ Abläufe im menschlichen Gehirn von Interesse, so ist in den letzten Jahren ein gesteigertes Interesse an der Komplexität und Interaktivität der Einzelprozesse zu beobachten.[3] Zudem werden Fragestellungen weiter gefasst; deutlich wird dies z.B. in der Erforschung des menschlichen Bewusstseins.
Ergebnisse, die Rückschlüsse auf Vorgänge und Erleben durch Vorstellungsbilder geben, finden sich u.a. in Untersuchungen zur visuellen Wahrnehmung, zu Träumen, zu Emotionen, zu Bewegungslernen wie auch in der Bewusstseinsforschung.
Alleine wenn wir Dinge aus unserer Umwelt wahrnehmen bzw. sehen, entspricht das nicht einem einfachen Abbild der Außenwelt in unserem Gehirn. Vielmehr handelt es sich bereits beim Sehen um einen konstruktiven Prozess, der dem Gehirn komplexe Aktivitäten abverlangt. Alles was wir neu wahrnehmen oder erfahren, wird direkt bewertet, interpretiert, eingeordnet und für die Zukunft verfügbar. Semir Zeki schreibt über das Sehen in einer Studie, dass sich dieses „vom Verstehen ebenso wenig trennen lässt, wie das Erkennen der visuellen Umwelt vom Bewusstsein“.[4]
Es werden Netzwerke oder ‚Landkarten’ des persönlichen Erlebens im Gehirn erstellt, die nicht nur das tatsächlich Wahrgenommene, sondern gleichzeitig zum Beispiel subjektiv damit verbundene Emotionen oder persönliche Reaktionsmuster zu einem Ereignis beinhalten.
Wenn wir uns ohne visuelle Außenreize – also mit geschlossenen Augen –etwas vorstellen, finden ähnliche Prozesse auch in den visuellen Arealen des Gehirns statt wie mit offenen Augen. Außerdem sind wir in der Lage, in ‚Vorstellungswelten’ mit Realitäten zu experimentieren, indem wir auf Repräsentationen, die über unsere bisherigen Erfahrungen und Erlebnisse bereits angelegt sind, zurückgreifen. Damit können wir allein durch unsere Vorstellungskraft beispielsweise Handlungsalternativen entwerfen oder Zukunft planen.[5]
„Vorstellungen ermöglichen uns, neue Handlungsmuster zu erfinden, die sich auf neuartige Situationen anwenden lassen, und Pläne für künftige Handlungen zu entwerfen. Hier erschließt sich uns ein Quell der Kreativität, dem wir die Fähigkeit verdanken, Vorstellungen von Handlungen und Szenarien endlos abzuwandeln und zu kombinieren.“ (Damasio, S.38)
Antonio Damasio schreibt, dass man sagen könnte, „dass die Vorstellungen, die Währungen unseres Geistes sind“ (Damasio, S.383).
Der chilenische Kognitionsforscher Francesco Varela geht noch einen Schritt weiter und bezeichnet die „Imagination als das eigentliche Leben“. Er bezieht sich in seinen Ausführungen auf die äußerst komplexen Verarbeitungsprozesse, welche nicht nur innerhalb des Gehirns, sondern im gesamten Körper stattfinden. Vorstellungen (wie auch Wahrnehmungen) werden ständig mit sensomotorischen Aktivitäten gekoppelt und von ihnen beeinflusst, jedoch nicht bestimmend, sondern aus einer spontanen Selbsttätgkeit heraus.[6]
Auf Basis neurobiologischer Erkenntnisse spricht er der Imagination eine schöpferische und sinnstiftende Kraft zu, wie es bereits im philosophischen Diskurs erörtert wurde.
2.4. ...in der Schauspielkunst
Bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts wird in den Lehrbüchern zur Kunst der Schauspielerei hauptsächlich beschrieben, wie Gesichtsausdrücke Emotionen zeigen. Der Körper als dramatisches Instrument und in seiner Ganzheit findet kaum Beachtung. Zwar werden verschiedene symbolhafte Haltungen des Körpers beschrieben, die meiste Aufmerksamkeit wird jedoch den Augen und dem Mund gewidmet, da diese im Gesicht unabhängig bewegt werden können.
Nach Schmitt bleibt die „häufigste Ausbildungsform [...] bis ins 20. Jahrhundert die Ausbildung von Schauspielern durch Schauspieler; sei es indirekt: durch Beobachtung und Nachahmung, oder direkt: durch den Unterricht in einer – wie auch immer gearteten – privaten Schauspielschule“ (Schmitt, S. 125). Das individuelle ‚Potenzial’ eines Spielers stand bis dahin also genauso wenig zur Diskussion wie die Betrachtung oder Nutzbarmachung von inneren Erlebnis- und Vorstellungsräumen.
Mit dem von Konstantin Stanislawski (1863-1938) 1931 gegründeten „Group Theatre“ und einem damit einhergehenden Ensemblegedanken, entsteht ein Bedürfnis nach der Ausbildung des Schauspielers. Stanislawski entwickelt seine „Schauspielgrammatik“, die einen wichtigen Grundpfeiler für das systematische Schauspieltraining darstellt. In diesem Zusammenhang gewinnt auch das Training im Umgang mit imaginären Objekten, Situationen und Emotionen an Bedeutung.
Innerhalb Stanislawskis Lehre stellt die Imagination die entscheidende Kraft des Schauspielers dar.[7] Für ihn ist das affektive bzw. emotionale Gedächtnis die elementare Quelle, aus der die Spieler ihr Vorstellungsvermögen für die Figur speisen und ihre Rolle auf der Bühne glaubhaft verkörpern. Erst mit Rückgriff auf seine emotionalen Ressourcen ist er in der Lage, der Figur für den Zuschauer glaubhaftes Leben einzuhauchen.
Zusätzlich zum Wachrufen der inneren Erlebnisinhalte, geht es in seinem Training darum, imaginäre Reize und Objekte in der Außenwelt real erscheinen zu lassen und mit allen Sinnen darauf zu reagieren.
Der Rückgriff auf das affektive Gedächtnis und durch das bewusste Training der Imaginationsfähigkeit ist ihm zufolge wichtig, um die kreative Kraft der Schauspieler zu erhöhen.
Lee Strasberg (1901 – 1982), Begründer des „Method Acting“ baut auf der Lehre Stanislawskis auf. Auch für ihn stellt das Training der Imagination oder Vorstellungskraft einen entscheidenden Baustein in der Ausbildung des zukünftigen Schauspielers dar. In einem Interview von 1964 spricht er davon, dass es für den Schauspieler darum geht, „die sinnliche Wirklichkeit wieder[zu]finden und die Vorstellungskraft richtig aufblühen [zu] lassen“ (Strasberg, S.86). Dies mache seiner Ansicht nach einen wirklich guten Schauspieler aus.
Als weiteren frühen Vertreter, der zur Weiterentwicklung der Ausbildung von Schauspielern beigetragen hat, ist Michael Tschechow (1891 – 1955) zu erwähnen. Er widmet in seinen ‚Werkgeheimnissen’ ein Kapitel der „Imagination und Verkörperung“, ein weiteres der „schöpferischen Individualität“. Die Arbeit an der persönlichen Vorstellungskraft ist für ihn ebenfalls unerlässlich. Er spricht dabei von einer Möglichkeit, den Körper von innen heraus zu formen, eine „sensitive Membran“ (Tschechow, S.39) zu entwickeln, welche es ermöglicht die ‚schöpferische Individualität’ zu entdecken.
Sie alle sprechen von Entspannung als notwendiger Voraussetzung, um die imaginativen Kräfte freisetzen und sie in der künstlerischen Arbeit nutzen zu können. Imagination schöpft unter anderem aus unterbewusstem Wissen und Erfahrungsschatz der Menschen, welches dann zugänglich wird, wenn Blockierungen in der Form von Spannungen im Körper gelöst werden. An dieser Stelle wird ein Bezug zu den Annahmen aus der Psychologie sichtbar.
2.5. ...im zeitgenössischen Tanz
Die Vorstellungskraft als Element, welches in der und für die Tanzkunst genutzt werden kann, findet erst Anfang bis Mitte des letzten Jahrhunderts an Bedeutung. Davor beherrschen ähnlich wie bis zum 19. Jahrhundert in der Schauspielkunst weitgehend starre technische und tanzsymbolische Regeln v.a. innerhalb des Balletts (‚Handlungsballett’) das Geschehen auf der Bühne wie auch die Ausbildung von Tänzern. Es geht mehr um die Beherrschung des Körpers und nicht um dessen individuelles Ausdrucksvermögen.
Mit den ersten Befreiungsbewegungen des Bühnentanzes und des tanzenden Körpers, findet neben neuen Tanzphilosophien, technischen Ansätzen auch die Imagination als Element zur Bereicherung des tänzerischen Ausdrucks, ihren Weg in Ausbildung von Tänzern und Aufführungspraxis.
Die Improvisation wird als freie Form der Bewegungsfindung etabliert. Durch sie soll der Tänzer nach der Ursprünglichkeit von Bewegung suchen und in sich finden. Der Theorie nach, erfordert diese Arbeit, während der Improvisation einen aktiven Blick des Tänzers in sein Inneres. Bedeutende Vertreter dieser Entwicklung sind u.a. Isadora Duncan, Rudolf von Laban und Mary Wigman. Letztere, eine Schülerin Labans, betrachtet den Tanz als einen ständigen Wandel und Wechsel zwischen verschiedenen seelischen Zuständen. Sie sah die Tänzerin als ein Instrument der eigenen inneren Bilder an und den Tanz als Ausdruck des Inneren verpflichtet (Lampert, S.50ff).
Der Begriff der Imagination fand schließlich mit der Entwicklung tanztherapeutischer Richtungen einen festen Platz. Es wurden in Anlehnung an die Psychologie (Sigmund Freud, Alfred Adler, C.G. Jung) Methoden entwickelt, die sich bewusst dem Inneren zuwenden. Innere Vorstellungsbilder, aktive Imagination und damit eine persönliche Erfahrung von Bewegung und bewegt werden ist hier bedeutsam (und heilsam).
Gleichzeitig mit den Entfesselungsbewegungen des Tanzes aus seinem vormals starren Korsett, öffnet er sich mehr und mehr den anderen Kunstformen und nutzt diese als zusätzliche Inspirationsquelle.
Der zeitgenössische Tanz schließlich, welcher sich in den späten 90er Jahren des 20. Jahrhunderts herausbildet, öffnet sich den anderen Künsten wie auch dem Tanz angrenzenden Disziplinen. Er bedient sich in seiner schöpferischen Gestaltung also verschiedenster Ansätze, Techniken und Ideen. Dabei findet sich die Imagination als eine Grundlage kreativen Arbeitens wieder, die zuvor in der Anwendung hauptsächlich dem tanztherapeutischen Bereich oder dem der Körperarbeit zugesprochen war.
Entstanden aus den Ideen, ursprüngliche Bewegungen zu entdecken und weiterzuentwickeln oder für Tänzer Bewegungsabläufe effizienter und entspannter zu gestalten, werden imaginative Methoden in den kreativen Prozess mit eingebaut, um nun zusätzlich die künstlerische Ausdruckskraft der Tänzer zu erhöhen sowie ihre individuellen Möglichkeiten der Bewegungserzeugung zu erweitern.
So zielt z.B. die Methode der „Imaginativen Bewegungspädagogik“ von Eric Franklin zum einen darauf ab, Bewegungen effizienter und der eigenen Physis entsprechend auszuüben; zum anderen den Tänzer in seiner Ausdrucksstärke zu unterstützen.
Es geht nicht mehr um die bloße Form, dem körperlichen Verständnis von Bewegungsabläufen und dem sensomotorischen Erleben der Tänzer von Bewegung. Vielmehr geht es auch um Interpretationsfähigkeit der Tänzer, darum, den Formen Bedeutungen zu geben oder der Fähigkeit mit dem Körper abstrakt zu arbeiten und nicht zuletzt darum, imaginäre Geschichten zu erzählen. Der Choreograph William Forsythe beispielsweise arbeitet sehr konkret mit dem Erinnerungsvermögen des Körpers und seinem kienästhetischen Gedächtnis.
Frühe Vertreter des ‚postmodern Dance’ wie z.B. Trisha Brown oder David Gordon entnehmen ihre Motive und Abläufe alltäglichen Bezügen. „Sie zeigen Fundstücke des Alltags“ (Huschka, S.145). Aktuell entstehen beispielsweise die Choreographien von Meg Stuart über den Zugang zu Alltagssituationen und der Zusammenarbeit mit Künstlern aus anderen Disziplinen. Die Belgier ‚Les Ballets C. de la B.’ unter Alain Platel verbinden über Tanz- und Theaterelemente bewusst die gesellschaftliche Ebene mit menschlichen Befindlichkeiten.
„Zeitgenössischer Tanz bietet [und nutzt] [...] ein Spielfeld an Sinnesreizen und Denkanstößen, ein Potenzial an Veränderung, das der Momenthaftigkeit und Vergänglichkeit der Kunstform etwas Bleibendes eröffnen kann.“ (Clavadetscher, S.15)
3.Implikationen von Imagination auf verschiedene Aspekte performativer Bühnenkunst
Aus den vorgestellten Fragmenten zu Betrachtungsweisen aus verschiedenen Blickwinkeln, zeigen sich Schnittpunkte des Themas Imagination über die Disziplinen hinweg. Des Weiteren werden Bezüge sichtbar zu Aspekten, die mit der Vorstellungskraft einhergehen, teilweise sogar unmittelbar mit ihr verbunden sind und die in der künstlerischen Arbeit von Bedeutung sind.
Im Folgenden werden die Aspekte Improvisation, Präsenz, Bewegung und Verkörperung herausgegriffen. Die Begrifflichkeiten werden kurz eingeführt, sowie ihre Verknüpfungen mit Imagination und den vorangegangenen Betrachtungen dargestellt.
3.1. Improvisation
„Improvisation provides an experience of body in which it initiates, creates, and probes playfully its own physical and semantic potential. The thinking and creating body engages in action.“ (Foster, S.8)
Susan Leigh Foster spricht dem Körper eine eigene Intelligenz und Aktivität zu, mit der er spielerisch sein ihm eigenes physisches und semantisches Potenzial anregt, kreiert und erforscht.
In der improvisatorischen Arbeit geht darum, aus herkömmlichen Mustern auszubrechen, Grenzen und Strukturen zu überwinden. Weintz beschreibt die „spontane Improvisation als zentrales Element von Training, Rollenarbeit und Aufführung.“ (Weintz, S.197) Das Wörterbuch der Theaterpädagogik spricht von der „Augenblicksarbeit des Theaters“, in der Kreativität dadurch entsteht, dass Spontaneität freigesetzt und gleichzeitig in das Gefüge des Menschen sinnvoll integriert wird (S.137).
Im Tanz wird mit dem Beginn des Suchprozesses nach naturnahen Bewegungen Anfang des 20. Jahrhunderts Improvisation als Quelle der Neuentdeckungen gesehen.
In der Improvisationsarbeit treffen Erinnerung, Wahrnehmung und Erneuerung aufeinander. Grundlage für jede Improvisationsarbeit liegt im Erinnerten, bereits Erlebten der jeweiligen Person. Über die Wahrnehmung in der Improvisationssituation, durch das „Los- und Einlassen“ (Entspannung) in die Situation, werden spontane Momente im Spiel erst ermöglicht. Die Person kann sich quasi selbst überraschen und über die so erlebte Erfahrung, entsteht ein Moment der Erneuerung.
In diesem Zusammenhang unterstützt die Imagination über den Rückgriff auf bereits Erlebtes, die Situation zu gestalten und ermöglicht im spontanen Moment der Improvisation eine sinnhafte Eingliederung der neuen Erfahrung in den persönlichen Erfahrungsschatz, wodurch die eigene Vorstellungskraft wiederum bereichert wird.
„So bewegt sich die improvisierende Person wie einem Feedback Loop zwischen Stabilität und Labilität, Ordnung und Chaos“
(ebd., S.131)
Es ist unabdingbar, dass die improvisierende Person eine wachsame Haltung (Bewusstheit) für den Moment mitbringt. Es geht darum, imaginär eine Balance zwischen Innen- und Außenwelt zu halten. Die Person trifft spontan Entscheidungen und „gleichzeitig mit dem was ihm an äußeren sowie inneren Informationen (Gedanken, Erinnerungen) ‚zufällt’ um[zu]gehen“ (ebd, S.131) Spontan zu sein, bedeutet gleichsam im Moment zu sein (Wörterbuch der Theaterpädagogik, S.138). Im Moment zu sein, bedeutet präsent zu sein.
[...]
[1] vgl. hierzu auch: Kottje-Birnbacher, 2000, Katathym-imaginative Psychotherapie.
[2] Detlef Kappert bettet die Technik des Katatymen Bilderlebens in einen künstlerischen Trainingskontext ein. Das Verfahren findet sich bei ihm in leicht abgewandelter Form in der Unterrichtseinheit „Innere Bilder“ wieder. (Kappert, S.151 ff)
[3] vgl. Damasio, 2007, Ich fühle, also bin ich.
[4] vgl. Zeki, 1992, Das geistige Abbild der Welt. In: Gehirn und Bewusstsein.
[5] vgl. Singer, 2006, Vom Gehirn zum Bewusstsein. Interessant an dieser Stelle ist, dass die Verschaltungen der visuellen Areale sowohl in die tiefen Hirnregionen, die u.a. für unsere Emotionen mitverantwortlich sind, als auch in die höheren Areale wie z.B. den präfrontalen Cortex, der als sogenanntes Arbeitsgedächtnis eine bedeutende Schaltzentrale darstellt (vgl. Goldman-Rakic, Das Arbeitsgedächtnis. In: Gehirn und Bewusstsein. 1994)
[6] vgl. hierzu auch: Blakeslee, Sandra / Blakeslee, Matthew (2008): The Body Has a Mind of its Own: how body maps in Your Brain Help You Do (Almost) Everything Better.
[7] Das trifft zumindest für die Frühphase zu. Später legt er seinen Schwerpunkt auf Methoden des physischen Handelns. Diesen Wandel kann man auch so umschreiben, dass er seine Arbeit erst „von innen nach außen und später von außen nach innen“ richtet. (vgl. Leder, S. 23ff)
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Erstausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2010
- ISBN (PDF)
- 9783955497019
- ISBN (Paperback)
- 9783955492014
- Dateigröße
- 198 KB
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2015 (Februar)
- Note
- 1
- Schlagworte
- Rollenarbeit Vorstellungskraft Verkörperung Theaterpädagogik Theater