Grundzüge der Sprachökonomie
©2010
Magisterarbeit
66 Seiten
Zusammenfassung
In der vorliegenden Studie wird die Entwicklung und Notwendigkeit der sprachökonomischen Theorie näher beleuchtet. Dazu werden im Folgenden sprachökonomische Prozesse, deren Entstehung sowie deren Auswirkungen auf verschiedene sprachliche Ebenen erläutert und hinterfragt. Außerdem stellt der Autor einen Zusammenhang zwischen sprachsystematischen und funktionalen Aspekten her, um die Problematik deutlich zu machen.
Zum Einstieg lässt sich Sprachökonomie als ein Prinzip auffassen, dessen Bestrebung es ist, den sprachlichen Kraftaufwand eines Sprechers möglichst gering zu halten. Dies muss jedoch bei gleichbleibender Verständlichkeit für den Hörer geschehen. Denkt man an die lautliche Abschwächung von Vokalen, wird schnell deutlich, worauf das Prinzip der Sprachökonomie ausgerichtet ist. Es soll dabei der soziolinguistische Aspekt der Sprachökonomie betont werden. Danach ist sie immer als ein interdisziplinäres Phänomen zu verstehen. Auf Grund dessen wird in der Arbeit auch der Einfluss von extralinguistischen Elementen eine Rolle spielen.
Forschungsergebnisse auf dem Gebiet der Sprachökonomie werden von vielen Autoren traditionell im Bereich des Sprachwandels angesiedelt. Daher ist sie nicht isoliert zu betrachten, sondern immer als Teil dieses klassischen Forschungsbereichs. Doch obwohl die sprachökonomische Forschung auf eine lange Geschichte zurückblicken kann, ist ihr Wesen im Allgemeinen immer noch eher unbekannt. Aus diesem Grund soll die Arbeit zu einem besseren Verständnis und einer größeren Bekanntheit der Theorie beitragen.
Im Laufe der Argumentation wird einerseits detaillierter erörtert werden, auf welchen Ebenen sich die Sprachökonomie als besonders produktiv erweist, und andererseits der Frage nachgegangen werden, wo ihre Grenzen liegen. Sprachökonomie ist in der linguistischen Forschung eine Randerscheinung und grundlegendes Prinzip zugleich. Dieser Umstand verhindert einerseits ihre genaue Definition und ist andererseits ihre Chance sich zukünftig als eine feste Größe in der Sprachwissenschaft zu etablieren und als solche wahrgenommen zu werden.
Die Studie soll nun einen Überblick über den Ist-Zustand der Forschung vermitteln, um aus der heutigen Sicht festzustellen, wo sie anzusiedeln ist.
Zum Einstieg lässt sich Sprachökonomie als ein Prinzip auffassen, dessen Bestrebung es ist, den sprachlichen Kraftaufwand eines Sprechers möglichst gering zu halten. Dies muss jedoch bei gleichbleibender Verständlichkeit für den Hörer geschehen. Denkt man an die lautliche Abschwächung von Vokalen, wird schnell deutlich, worauf das Prinzip der Sprachökonomie ausgerichtet ist. Es soll dabei der soziolinguistische Aspekt der Sprachökonomie betont werden. Danach ist sie immer als ein interdisziplinäres Phänomen zu verstehen. Auf Grund dessen wird in der Arbeit auch der Einfluss von extralinguistischen Elementen eine Rolle spielen.
Forschungsergebnisse auf dem Gebiet der Sprachökonomie werden von vielen Autoren traditionell im Bereich des Sprachwandels angesiedelt. Daher ist sie nicht isoliert zu betrachten, sondern immer als Teil dieses klassischen Forschungsbereichs. Doch obwohl die sprachökonomische Forschung auf eine lange Geschichte zurückblicken kann, ist ihr Wesen im Allgemeinen immer noch eher unbekannt. Aus diesem Grund soll die Arbeit zu einem besseren Verständnis und einer größeren Bekanntheit der Theorie beitragen.
Im Laufe der Argumentation wird einerseits detaillierter erörtert werden, auf welchen Ebenen sich die Sprachökonomie als besonders produktiv erweist, und andererseits der Frage nachgegangen werden, wo ihre Grenzen liegen. Sprachökonomie ist in der linguistischen Forschung eine Randerscheinung und grundlegendes Prinzip zugleich. Dieser Umstand verhindert einerseits ihre genaue Definition und ist andererseits ihre Chance sich zukünftig als eine feste Größe in der Sprachwissenschaft zu etablieren und als solche wahrgenommen zu werden.
Die Studie soll nun einen Überblick über den Ist-Zustand der Forschung vermitteln, um aus der heutigen Sicht festzustellen, wo sie anzusiedeln ist.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
2.
Welche Zwischenstufen sind zwischen zwei deutlich voneinander unterschiedenen
Zuständen anzunehmen? (transition)
3.
In welche sprachlichen und außersprachlichen Kontexte sind sprachliche
Veränderungen ,,eingebettet"? (embedding)
4.
Wie wird die Auswirkung von Veränderungen hinsichtlich ihres strukturellen Wertes,
ihrer funktionalen Leistung und besonders ihrer sozialen Funktion bewertet?
(evaluation)
5.
Warum treten Veränderungen gerade zu einem bestimmten Zeitpunkt und in einer
bestimmten Situation auf, was löst sie aus? (actuation)
6.
Was sind die Ursachen für die fortwährende Entstehung neuer
Sprachveränderungen?
Laut Cherubim (1975: 48) lassen sich die Fragen teilweise einem der beiden Ansätze der
Sprachwandelforschung zuordnen. So könne man die Fragen, die ,,constraints" und
,,transition" betreffen, den internen strukturellen Bedingungen und die Fragen nach
,,embedding und ,,evaluation" den externen sozialen Bedingungen zuordnen.
Bei Kiparsky (1975: 237) findet sich eine genauere Untersuchung über das Zusammenspiel
von internen und externen Faktoren im Gebiet des Lautwandels. In vielen Arbeiten (Kiparsky
1975, Labov 1975) wird vornehmlich der Lautwandel untersucht, worauf auch Gumperz
(1975: 336) hinweist. Die Erforschung des Lautwandels führte zu zuverlässigen Lautgesetzen
und daher lag der Fokus früherer Forschungen auf einer phonologischen Herangehensweise,
um interne Ursachen von Sprachwandel zu untersuchen. Externe Faktoren wurden erst sehr
viel später berücksichtigt, begünstigt durch die zunehmend linguistische Forschung von
Soziologen.
Für diese Arbeit bedeutet der Stand der Forschung, dass nicht nur auf phonologischer Ebene
eine differenzierte Forschung als Grundlage dient, sondern auch die Möglichkeit besteht,
andere linguistische Gebiete, welche mittlerweile auf einer aussagekräftigen Forschung
basieren, untersuchen zu können. Kiparsky definiert Sprachwandel folgerichtig umfassender:
,,Grammatiken unterliegen zweierlei Änderungen, nämlich der Hinzufügung neuer Regeln
und der Vereinfachung" (Kiparsky 1975: 241). Die Systematisierung, wie auch die
Vereinfachung finde
t
sich nach Siebenhaar (2000: 25) eher in den internen Bedingungen,
während die Auswirkungen der externen Ursachen tendenziell eher eine Bereicherung und
Erweiterung des Sprachsystems darstellen.
3
In meiner Arbeit werden beide Aspekte und deren Auswirkungen in Bezug auf die
Verständlichkeit sprachlicher Äußerungen untersucht. Einen nachvollziehbaren Bezug
zwischen Sprachwandel und Sprachökonomie stellt Lüdtke (1980) her. Dabei weist er
verschiedene neue Variablen zu, die sich aus dem ,,Streben des Menschen nach
Optimierung" (Lüdtke 1980: 5) ergeben. Optimierung definiert er als Minimierung des
Arbeitsaufwandes beim Kommunikationsprozess hinsichtlich Produktion und Perzeption des
Schallsignals.
Für die Erklärung des heutigen Sprachbestandes ist nach Stedje (1994: 9) die diachrone, oder
auch historische Sprachforschung mit Hilfe des Sprachwandelkonzepts nötig, denn nur diese
kann Antworten darüber liefern, weshalb zum Beispiel lieb mit ie geschrieben wird (früher
wurde es ,,li-eb" ausgesprochen). Des Weiteren weist Stedje darauf hin, dass es sich bei den
allgemeinen Veränderungen in den germanischen Sprachen um mehr als 2000 Jahre alte
Entwicklungstendenzen handele und somit von zufälligen Erscheinungen nicht die Rede sein
kann. Das Verschwinden der synthetischen Konjunktivformen wie hülfe, fröre, tränke und
deren analytische Umschreibung mit würde (würde helfen), folgen demnach einem langen
sprachlichen Prozess. Die Sprachgeschichte sieht Stedje deswegen als unabdingbar für das
Verständnis über den Hintergrund sprachlicher Veränderungen an.
Darüber hinaus ist Stedje die Beziehung zwischen Sprachwandel und kultureller Entwicklung
sehr wichtig, da sie Sprache als eine ,,soziale Erscheinung" (Stedje 1994: 10) charakterisiert,
die als Mittel zur Verständigung der Menschen miteinander
diene. Für Stedje besteht ein
unmittelbarer Zusammenhang zwischen sprachlichem und gesellschaftlichem Wandel, da
sich geistige Strömungen, Lebensbedingungen und Gebräuche in der Sprache ihrer Zeit
widerspiegeln.
Stedje betrachtet in ihrer Arbeit den gegenwärtigen beziehungsweise neuzeitlichen
Sprachwandel genauer. Sie leitet ihre Überlegungen mit der These vieler Linguisten ein, dass
,,der Sprachwandel noch nie so schnell vor sich gegangen sei wie in unserem Jahrhundert"
(1994: 161). Der Umfang des Wortschatzes sei förmlich explodiert und dies gelte für die
meisten modernen Sprachen. Dazu tragen meiner Ansicht nach unter anderem Kurzwörter
erheblich bei. Den explosionsartigen Schub schreibt Stedje der raschen gesellschaftlichen
Veränderung und den sich stetig beschleunigt variierenden Umwelteinflüssen zu.
Im Wesentlichen definiert sie innerhalb dieses Sprachwandels zwei entgegengesetzte
Tendenzen. Einerseits eine ausgleichende, vereinfachende und andererseits eine
4
differenzierende, intellektualisierende Richtung. Das Argument für eine vereinfachende
Sprachbestrebung liefert für sie der größere Einfluss an Massenmedien, die jeden
Sprachbenutzer heutzutage umfassend erreichen. Dadurch bilde sich, ihrer Auffassung nach,
eine ,,Standardsprache, die fast alle Mitglieder der Gesellschaft beherrschen - zumindest
passiv, ohne Rücksicht auf regionale und soziale Unterschiede" (Stedje 1994: 161). Zwei
Unterklassen innerhalb dieser Vereinfachung kennzeichnen dabei eine zusätzliche
Nuancierung, die ich hier anführen möchte, da sie die Ursachen für eine sprachökonomische
Forschung innerhalb des Sprachwandels beinhalten.
Stedje spricht zunächst von einem ,,horizontalen Ausgleich", der sich in dem Rückgang der
Dialekte und der Ausbreitung der Umgangssprache ausdrückt und daraufhin von einem
,,vertikalen Ausgleich", den sie mit einem Abbau der sozialen Sprachbarrieren und ,,in einer
gewissen Normveränderung" erklärt (vgl. Stedje 1994: 161). Der allgemeine Gebrauch würde
schneller zur Norm werden und darüber hinaus liege die Veränderung in einer bewussten
Bestrebung sich ,,kürzer, einfacher und verständlicher auszudrücken". Stedje fügt zur
Erläuterung dieses Sachverhalts an, dass sich die geschriebene Sprache der gesprochenen
,,Umgangssprache" hinsichtlich Wortwahl und einfacherem Satzbau annähere. Wie genau
sich diese Tendenz in den jeweiligen Sprachbereichen auswirkt und ob kürzer tatsächlich
einfacher heißt oder einfacher auch
verständlicher bedeutet, werde ich im Folgenden
versuchen genauer zu betrachten.
Laut Stedje verläuft die differenzierende Entwicklung von Sprache gegensätzlich zu der
obengenannten Vereinfachungstendenz. Gerade in der Sprache von Literatur, Werbung und
individuellen sozialen Gruppen sei eine eigene, unverbrauchte und identitätsbildende
Sprache gefragt. Auch die Wissenschaft und die neuen spezialisierten Berufszweige tragen
mit ihren Fachsprachen dazu bei einen ,,Sonderwortschatz" innerhalb ihrer Kreise zu
etablieren. Stedje interpretiert diesen einerseits als Bestrebung nach Vereinfachung und
andererseits als ,,Verdichtung der Information, mit Hilfe von Nominalstil, [...] und
Abkürzungen" (Stedje 1994: 162), welcher die Verständigung erschweren kann.
Sowohl auf die Fachsprachen als auch auf die Sprecher-Hörer-Beziehung in
sprachökonomischer Hinsicht werde ich noch eingehen.
Die Sprachwandelforschung hat ein grundlegendes Problem, denn nach Lüdtke (1980: 7) ist
Sprachwandel eine ,,gesellschaftlich-historische Gegebenheit und nur durch eine empirische
Betrachtungsweise vieler Einzelphänomene zu erfassen. Er könne nicht experimentell
5
erzeugt oder beliebig oft wiederholt werden und so blieben viele Ursachen einzelner
Veränderung unerklärlich. Die Lösung liege deswegen in der Annahme einer ,,universalen
Gesetzmäßigkeit" (Lüdtke 198: 7) in der Sprache, von der die zu erklärenden Phänomene als
notwendige Folgen abzuleiten seien. Diese Herangehensweise teilen einige Linguisten, denn
nur so können die generell eher behavioristischen und physiologisch begründeten Theorien
für Sprachwandel, auf die ich mich noch in Kapitel 2.2 beziehe, zu verstehen sein.
Bisher habe ich die verschiedenen Ausgangsüberlegungen zum Sprachwandel vorgestellt,
doch es ist noch nicht klar, wie er sich grundsätzlich vollzieht. Siebehaar (2000: 23) geht von
,,verschiedenen Stufen des Wandelprozesses" aus. Demnach stehen einer Norm zuerst als
Fehler qualifizierte Normverstöße gegenüber. Treten diese Normverstöße vermehrt auf,
können sie zunächst als Lizenzen neben der Norm existieren, dann selbst zur Norm werden
und schließlich die alte Norm endgültig verdrängen. Konkret äußere sich dies durch
Sprachvariationen beispielsweise von Nichtmuttersprachlern und der zunehmenden
Anpassung ihrer Variationen an das grammatische Regelsystem der Sprache. Siebehaar
(2000: 24) stellt zudem heraus, dass nicht jede Variation einen Sprachwandelprozess einleite
und mehrere Realisierungen eines Phonems oder einer syntaktischen Struktur anfangs
parallel existieren. Von der erstmaligen Variation bis hin zur konkreten Etablierung in der
Sprache sei es ein langer Weg. Ein weiteres Charakteristikum des Sprachwandels sei auch
seine Ausbreitung nach dem ,,Schneeballprinzip" (Siebehaar 2000: 24). So greife der Wandel
erst bei wenigen Elementen und Sprechern einer Sprachgemeinschaft, doch wenn er ein
gewisses Ausmaß erreicht habe, reiße er schnell andere Elemente mit sich und erfahre durch
die kategorische Einordnung eine Verlangsamung. Siebehaar spielt hier auf das Phänomen
der Analogie an, welches ich in Kapitel 4.1 intensiver betrachten werde.
Das Tempo des ,,Schneeballprinzips" dürfte je nach Sprachwandelerscheinung erheblich
variieren. Denn wie unter anderem Stedje bereits ausführte, sind in der heutigen Zeit neue
Faktoren in den Wandelprozess involviert, welche die Ausbreitungsgeschwindigkeit stark
beschleunigen. Man beachte in diesem Zusammenhang die neuen Kommunikationsformen
im Chat- oder E-Mail-Verkehr.
Ältere, historisch bestens untersuchte Phänomene fanden unter anderen Umständen statt,
die mit der heutigen Sprachgemeinschaft und ihrem Sprachgebrauch nicht vergleichbar sind.
6
2.2 Das ,,Principle of Least Effort"
Im vorherigen Abschnitt habe ich die Grundzüge des Sprachwandels hinsichtlich ihrer
allgemeinen Tendenzen dargestellt und versucht, dabei gewisse Aspekte der Erläuterung auf
einen sprachökonomischen Schwerpunkt zu lenken.
Frage 6 aus Kapitel 2.1 wirft ein zentrales Problem des Sprachwandels auf. Denn hinter allen
Überlegungen zur sprachlichen Entwicklung steht die Frage, weshalb sich Sprachwandel
immer wieder erneut vollzieht. Betrachtet man nicht nur die aktuellen sprachlichen
Entwicklungen in den neuzeitlichen Massenmedien, sondern zum Beispiel auch die
Veränderungen von Ablautreihen bei Verben, wie im Mittelhochdeutschen (im Folgenden
Mhd.) hëlfen-half-hulfen-geholfen gegenüber der des Neuhochdeutschen (im Folgenden
Nhd.) helfen-half-geholfen, wie sie Koenraads (1953: 71) darlegt. Die Suche nach den
Ursachen solch langwieriger Prozesse ist die treibende Kraft der Sprachwandelforschung.
Ein Erklärungsansatz kommt von Lüdtke (1980: 5), der einem universalen und zugleich
trivialen Umstand folgt, denn allein durch Geburt, Wachstum, Altern und Tod verändere sich
die Gesellschaft ständig und mit ihr die Sprache. Jespersen (1941: 15) geht mit seinen
Überlegungen in die gleiche Richtung und macht die fehlerhafte Imitation von Kleinkindern
dafür verantwortlich. Moser (1971: 90) hingegen sieht den Auslöser von Sprachwandel
sowohl in dem inneren schöpferischen Drang des Menschen als auch in dem Wettbewerb
zwischen den Generationen. Auch die Arbeit von Zipf (1965) hat einen behavioristischen
Charakter. In ,,Human Behavior And The Principle Of The Least Effort" (1965: viii) stellt er die
Theorie des geringsten Aufwands auf, welche sowohl das Verhalten als auch die Sprache
eines jeden Menschen und jeglichen Kollektivs beherrsche. Dieses Prinzip bezeichnet er als
,,The Principle of Least Effort". Dabei definiert Zipf (1965: 1) least effort als least work im
Sinne einer Reduzierung der eigenen Bewegungen, so dass diese möglichst effektiv zu einer
Befriedigung des Mitteilungsbedürfnisses beitragen.
Umfassend betrachtet versuche ein Individuum seinen Gesamtarbeitsaufwand hinsichtlich
der unmittelbar und zukünftig zu bewältigen Aufgaben zu minimieren. Auch Martinet (1981:
85) geht von einer ,,natürlichen Trägheit" aus, die ein unveränderliches Element sei. Zipf
(1965: 5) gesteht dem Handelnden zwar einen außergewöhnlich hohen Aufwand für eine
aktuelle Aufgabe zu, jedoch schätzt er diesen nur als eine Methode ein, die dazu diene
zukünftige Aufgaben mit einem geringeren Aufwand bewältigen zu können.
7
Das Ziel einer Person sei es demnach ihren auf die gesamte Lebensdauer gesehen
durchschnittlichen Arbeitsaufwand zu minimieren (vgl. Zipf 1965: 6). Dieses Prinzip umfasst
laut Zipf (1965: 7) das gesamte Verhalten und somit auch die kognitive, sprich mentale,
Aktivität. Sprache sei eine solche kognitive Aktivität und Zipf (1965: 20) sieht in ihr ein
ökonomisches Potential, denn durch die Verwendung von Sprache sei es uns Menschen
möglich, Aufgaben noch leichter zu erfüllen. Darüber hinaus sieht er aber auch die
Möglichkeit einer sprachinternen Ökonomie. Da seiner Ansicht nach Sprache aus Wörtern
mit Bedeutungen besteht, sei es möglich, sowohl aus Sprecher- als auch aus
Hörerperspektive, Wörter auf mehr oder weniger ökonomische Art und Weise miteinander
zu kombinieren. Die sprecherseitige Ökonomie stehe dabei in einem Konflikt mit der
hörerseitigen Ökonomie (vgl. auch Haugen 1971: 61, Job 1983: 8, Martinet 1963: 165, 1981:
85), denn der Sprecher wird nach Zipf (1965: 21) versuchen möglichst wenig Wörter mit
möglichst vielen Bedeutungen während seiner Produktion zu verwenden, wo hingegen der
Hörer versucht jedem Wort genau eine Bedeutung bei der Rezeption zuzuordnen.
Ronneberger-Sibold (1980: 181) arbeitet diesen Umstand mit einer linguistischen
Terminologie auf und spricht davon, dass der Sprecher auf der Artikulationsebene das
Bedürfnis habe, ein kleines Morpheminventar beherrschen zu müssen, während der Hörer
nach einer möglichst einfachen phonologischen Dekodierung strebe. Im phonetischen
Bereich äußere sich der Konflikt nach Siebehaar (2000: 25) dann sprecherseitig in einer
artikulatorischen Lenisierung und hörerseitig in einem Verlangen nach perzeptorischer
Fortisierung. Dieser Konflikt könne nur durch einen beidseitigen Kompromiss gelöst werden
(vgl. Zipf (1965: 22).
Bei der Untersuchung der einzelnen Phänomene in Kapitel 4
wird der angesprochene
Kompromiss immer wieder aufgegriffen, da Zipf hinsichtlich der sprachökonomischen
Elemente nicht weiter differenziert und für seine Beweisführung lediglich eine quantitative
Wortanalyse verwendet. Mittels dieser Analyse legt er dar, dass hochfrequente Wörter
meist auch die kürzesten sind, was in Extremfällen problematisch ist, wie Ernst (2005: 33)
anmerkt. Dennoch stellen auch andere Linguisten, wie Haugen (1971: 61), bezüglich des
Verhältnisses von Wortlänge und Frequenz fest, dass die generelle Kürze von
Funktionswörtern aus dem Basisvokabular durch die leichtere Dekodierbarkeit auf
Rezipientenseite zustande kommt.
8
Für das Deutsche macht Ernst (2005: 33) eine interessante Anmerkung bezüglich des von
Linguisten so bezeichneten ,,Zipf´schen Gesetzes". So bilden Einsilber 50% des deutschen
Wortschatzes. Auch Braun (1993: 161) stellt fest, dass die häufigsten Wörter der deutschen
Gegenwartssprache zu der Klasse der Artikel, Pronomen, Präpositionen, Adverbien,
Modalpartikel und Konjunktionen gehören, welche generell einsilbig sind. Das Verhältnis von
Wortfrequenz und Wortlänge führe ich in Kapitel 4.3 detaillierter aus.
Martinet (1981: 85) ist einer der Ersten, welcher den Begriff ,,Ökonomie" für das von Zipf
entworfene Konzept verwendet. Aber auch viele Jahre später ist das Zipf'sche Prinzip noch
anerkannt. Es erfährt an vielen Stellen in der Sprachwandelforschung als Grundhypothese
eine Erwähnung. So ist es laut Job (1983: 8) eine umfassende, universale und deswegen
logische Theorie, die alle Bereiche der Sprache und des menschlichen Verhaltens abdecke.
Alle anderen Sprachwandelkonzepte seien deshalb aus ihm ableitbar. Ob das Zipf'sche
Prinzip wirklich als Wurzel für Phänomene, wie etwa dem Lautwandel, dienen könne, sei
nach Job aber noch durch eine weitere zusätzlich zu erstellende Theorie zu prüfen. Wobei
die Allgemeingültigkeit des Zipf'schen Gesetztes durch die Erwähnung von Martinet (1963:
164) auch bestätigt wird. Er spricht in Bezug auf Sprachökonomie von dem Prinzip des
geringsten Kraftaufwandes und der permanenten ,,Antinomie zwischen den
Kommunikationsbedürfnissen des Menschen und seiner Tendenz, seine geistige und
körperliche Tätigkeit auf ein Minimum zu beschränken". Diese Antinomie werde während
der sprachlichen Entwicklung immer wieder ausgeglichen. Doch generell gelte, dass der
Mensch sich nur so weit verausgabt, wie es dem Zwecke diene. Jespersen (1941: 30) schließt
sich diesem Konzept an und sieht in der Verringerung der Anstrengung grundsätzlich einen
Vorteil für Hörer und Sprecher.
Gerade Martinets Gedanke von der Minimierung der geistigen Tätigkeit widerspricht jedoch
den Auffassungen anderer Linguisten. Moser (1971) stellt in seiner Ökonomiedefinition den
homo novarum rerum cupidus vor, der mit seinem nach neuen Dingen strebenden
schöpferischen Drang genau das Gegenteil darstellt. In Kapitel 3.4 greife ich diesen Ansatz
detaillierter auf.
9
2.3 Konversationsmaximen
Der Kompromiss, den Sprecher und Hörer eingehen müssen, lässt sich mit den von Grice
(1991: 26) definierten Konversationsmaximen näher erläutern. Diese sind eingebettet in das
,,Cooperative Principle", demnach ein Gesprächsteilnehmer
seinen Beitrag
gemäß dem
angemessenen Zweck und der entsprechenden Richtung eines Gesprächs gestalten sollte.
Der allgemeine Charakter des ,,Cooperative Principle" lässt sich nach Grice in vier
Konversationsmaximen einteilen, die Polenz (2000: 28) für den soziopragmatischen
Gesichtspunkt von Sprachökonomie als wichtig einstuft.
Die vier Kategorien beziehungsweise Konversationsmaximen sind die Maxime der Quantität,
der Qualität, der Relevanz und der Modalität (vgl. Grice 1991: 26). Im Folgenden möchte ich
auf diese Maximen, wie sie Grice darlegt, näher eingehen, da ich sie als essentielle
Grundlage für eine sprachökonomische Theorie betrachte.
Grice (1991: 26) bestimmt die Maximen genauer, indem er sie weiter spezifiziert. So bezieht
sich die Maxime der Quantität auf die Menge an Information, die vermittelt wird. Man soll
seinen Gesprächsbeitrag nur so informativ, wie erforderlich gestalten und nicht mehr
Informationen beitragen als nötig (vgl. Grice zitiert nach Polenz 2000: 27), wie in Max
behauptet, dass er einen Bruder hat
,
statt Ich weiß nicht, ob Max einen Bruder hat oder
nicht.
1
Die Maxime der Qualität bezeichnet Grice als Supermaxime, welche besagt, dass der eigene
Gesprächsbeitrag wahr sein soll. Das heißt
,
man sollte nichts sagen, was man selbst für falsch
hält und für das man keinen entsprechenden Beweis hat. Man sollte daher eine Aussage, wie
Max hat zwei Schwestern nur mit dem Hintergrund ich glaube das und habe ausreichend
Beweise dafür tätigen.
Unter der Maxime der Relevanz versteht er, dass der eigene Beitrag etwas Relevantes oder
Wichtiges innerhalb des Gesprächs repräsentieren und einen Nutzen haben sollte. So macht
Aussage B
in dem Beispiel: A: Mir ist das Benzin ausgegangen B: Um die Ecke ist eine
Tankstelle nur Sinn, wenn die Tankstelle auch offen ist.
Grice erkennt in dieser Maxime aber gleich verschiedene Probleme, die bei längeren
Gesprächen auftauchen können. So sei es schwierig, beispielsweise die verschiedenen Arten
1
Alle Beispiele zu den Konversationsmaximen von:
http://fak1-alt.kgw.tu-berlin.de/call/linguistiktutorien/pragmatik/pragmatik%20k3.html
(Stand: 25.07.10)
10
von Schwerpunkten einer Konversation überhaupt zu definieren, da der Fokus innerhalb
eines Gesprächs oft wechselt und deswegen unterschiedliche Aspekte während eines
Gesprächsverlaufs relevant sein können.
Die Maxime der Modalität bezieht Grice nicht auf das, was gesagt wird, sondern wie etwas
gesagt wird, also auf die Art und Weise. Sie fordert, dass man klar und deutlich sein soll. Man
sollte es vermeiden unverständliche und mehrdeutige Aussagen zu produzieren. Eine
Äußerung sollte sich vornehmlich durch Kürze, die eine gewisse Weitschweifigkeit
vermeidet, und Ordnung kennzeichnen. Ausdruck findet dies beispielsweise in
Max trank
einen Tee und ging ins Bett statt Max trank zuerst seinen Tee und ging danach ins Bett.
Grice stellt klar, dass nicht alle Maximen von gleicher Wichtigkeit sind, so sei es etwa
schlimmer, etwas Falsches zu sagen als sich zu ausgiebig zu einem Thema zu
äußern. Die
Maxime der Qualität stuft er deshalb als die Wichtigste ein, denn nur wenn diese erfüllt sei,
spielten die anderen überhaupt eine Rolle.
Es gibt laut Grice zwar auch andere Maximen, die zum Beispiel ästhetischen, sozialen oder
moralischen Charakter haben, wie etwa eine Maxime, die Höflichkeit
verlangt, aber nur mit
den obengenannten Maximen ist es nach Grice möglich, ein Gespräch so effektiv wie
möglich zu gestalten.
An dieser Stelle lässt sich ein Bogen zu Zipf und dem ,,Principle of Least Effort" schlagen,
welches versucht, das gesamte menschliche Verhalten abzudecken. Denn auch Grice sieht
den Sprechakt als zweckorientiertes und durchaus rationales Verhalten an, welches mit
nonverbalen Aktionen interagiert und so zielgerichtet wie möglich sein sollte (vgl. dazu
Martinet 1963: 166). Evidenz für seine These sieht er darin, dass sich alle Menschen seit dem
Kindesalter vorwiegend zweckorientiert verhalten und es einen Mehraufwand bedeute,
wenn man das Gegenteil praktizieren würde. So sei es nach Grice beispielsweise
aufwändiger eine Lüge zu erfinden
als die Wahrheit zu sagen.
Polenz stellt dar, welche Konsequenzen ein Verstoß gegen die Konversationsmaximen hat.
Verletze man zum Beispiel die Maxime der Relevanz und ,,langweilt seinen Gesprächspartner
mit Unwesentlichem, mit zu viel Redundanz (Informationsüberfluss), muss man damit
rechnen, dass sie aus solcher Prinzipienverletzung ihre ,stillen Folgerungen´ (Grice:
konversationelle Implikaturen) ziehen" (Polenz 2000: 28). Laut Polenz äußern sich diese
Folgerungen in Gedanken, die wie folgt aussehen könnten: Der will mich wohl für dumm
verkaufen, Der will wohl von etwas ablenken oder Der nimmt sich selbst zu wichtig.
11
Die Konversationsmaximen helfen ein besseres Verständnis von den Rahmenbedingungen
des ökonomischen Sprachwandels zu erhalten, dessen Tendenzen ich noch einmal kurz mit
den Überlegungen
von Jespersen (1941: 15) aufgreifen möchte, um diese dabei mit den
Konversationsmaximen zu verknüpfen.
Jespersen beschreibt ebenso
wie Stedje (1994) innerhalb des Sprachwandels zwei
gegensätzliche Tendenzen. Eine geht mit ihrem individuellen Charakter Richtung
Vereinfachung und die andere mit einem sozialen Charakter in Richtung Verdeutlichung. Die
Vereinfachungstendenz zeichnet sich durch den Weg des geringsten Widerstands auf Grund
der menschlichen Faulheit und dem Wunsch nach Zeitersparnis aus, was zu einer
nachlässigen Artikulation führen kann. Diese kann sich
bis hin zum ,,Murmeln" äußern.
Sie
kollidiert nach meiner Ansicht deswegen am stärksten mit der Maxime der Modalität, die
eine klare Ausdrucksfähigkeit verlangt und sich daher direkt in der entgegengesetzten
Tendenz nach Verdeutlichung wieder findet. Jespersen (1941: 15) interpretiert die Tendenz
zur Verdeutlichung als den Versuch eine möglichst gute und präzise Verständlichkeit zu
erzielen und den Hörer durch eine überzeugende und lebendige Performanz zu erreichen.
Das Zwischenspiel von widerstrebenden Tendenzen im Sprachwandel und deren
Konkretisierung in Konversationsmaximen hat auf Grund der gesprächsleitenden Wirkung
direkten Einfluss auf die Wortwahl, die Artikulation und den Aufwand kognitiver Prozesse.
Jespersen fasst die Ziele eines Gesprächs folgendermaßen zusammen: ,,The best is what with
a minimum of effort on the part of the speaker produces a maximum of effect in the hearer"
(Jespersen 1941: 6). Diese Formulierung wird von Ronneberger-Sibold (1980: 240) kritisiert,
da sie das Kommunikationsziel, also den Effekt beim Hörer, zur Disposition zu stelle und den
Anschein erwecke, dass es möglich sei, gleichzeitig zwei voneinander abhängige Variablen zu
verändern, das heißt sowohl den Aufwand als auch den Effekt zu vergrößern oder zu
verkleinern. Man könne nur ,,eine Variable maximieren oder minimieren, während man die
andere auf einen Wert festhält". Linguistisch betrachtet gibt es für Ronneberger-Sibold zwei
mögliche Schlussfolgerungen, welche zu einer Präzisierung in der Aussage von Jespersen
beitragen. Entweder man versucht mit einer ,,gegebenen Menge physisch-psychischer Kraft
möglichst viel Effekt zu verursachen, oder aber den gewünschten Effekt mit möglichst wenig
physisch-psychischer Kraft zu erreichen" (Ronneberger-Sibold 1980: 241). Dabei sei letztere
Alternative ihrer Ansicht nach die sinnvollere, welche Jespersen ihrer Ansicht nach eigentlich
auch intendierte.
12
Die bisher vorgestellten Theorien haben den zweckorientierten Charakter sprachlichen
Handels gemeinsam. Ernst (2005: 36) warnt jedoch davor diesen als universale Ursache für
Sprachwandel und insbesondere für Sprachökonomie zu sehen. So gebe es in der
Sprachgeschichte Phänomene, wie etwa ,,die Veränderungen der ersten Lautverschiebung",
die sich ,,einer kausalen Erklärung widersetzen". Nach Ernst sollte man ,,daher nicht fragen,
warum sich Sprache ändert, sondern wie."
Unterstützt wird diese These von Windisch (1988: 241), der in den Tendenzen und
Bestrebungen, die von verschiedenen Autoren ausgemacht werden, keinen ,,kausalen agens
des Wandels" sieht. Er klassifiziert sie als weitgehend metasprachliche Hilfskonstruktionen,
welche dann helfen können das Wie des Wandels zu erklären, aber nicht den Grund.
2.4 Der darwinistische Ansatz
Um zu zeigen, wie sich die Sprachwandeltendenz und Konversationsmaximen unmittelbar in
der Sprache niederschlagen, eignet sich die Argumentation von Jespersen (1941). Er
verwendet einen
darwinistischen Erklärungsansatz, um diesen Sachverhalt auf eine
linguistische Untersuchung zu lenken. Damit lässt sich die zweckgebundene Ausrichtung
eines Gesprächs, wie ich sie in den vorherigen Kapiteln dargestellt habe, veranschaulichen.
Jespersen versucht
den Slogan ,,Survival of the fittest" (Jespersen 1941: 6) auch auf Sprache
anzuwenden und stellt fest, dass er sich zwar nicht auf das Aussterben oder Überleben
einzelner Sprachen projizieren lasse, da diese Prozesse nicht dem Wesen oder den
Strukturen einer Sprache angerechnet werden können, sondern politische Ereignisse, wie
etwa Kriege, dafür verantwortlich seien. Jedoch träfe er innerhalb einer Sprache zu, da sich
diejenigen Merkmale einer Sprache behaupten, welche sich dem jeweiligen Zweck am
besten anpassen. Auch Paul (1966: 32) geht von dem darwinistischen Prinzip und dessen
zweckmäßigen Charakter aus, welches für die Erhaltung oder den Untergang einer Form
ausschlaggebend sei.
Für die modernen indogermanischen Sprachen sieht Jespersen (1941: 8) in den folgenden
ausgewählten Punkten einen vorteilhaften Wandel im Gegensatz zu ihren früheren
grammatischen Formen:
· die Formen seien generell kürzer, was eine geringere muskuläre Anstrengung
bedeute und weniger Zeit für ihre Artikulation beanspruche
13
· es gebe nicht mehr so viele Formen, die das Gedächtnis belasten
· ihre Bildung sei sehr viel regelmäßiger
· ihr analytischer Charakter lasse mehr Kombinationsmöglichkeiten zu
· ein
klares und eindeutiges Verständnis sei durch die regelmäßige Wortfolge gesichert
Als Beispiele aus dem Englischen seien hier die Vereinheitlichung des definiten Artikels auf
the, die Ausweitung der Pluralmarkierung mit -s und die Vereinfachung des Kasussystems bei
Substantiven und Adjektiven genannt. Jespersen (1941: 10) stellt aber klar, dass er darüber
hinaus nicht jede Veränderung für optimal hält.
3 Sprachökonomie und ihre Auswirkungen
In den vorherigen Abschnitten habe ich die Basis, den Kontext und verschiedene Ansätze
hinsichtlich der Entwicklung einer sprachökonomischen Theorie dargelegt. Im Folgenden
möchte ich konkret das Phänomen Sprachökonomie mit einem kurzen
forschungsgeschichtlichen Hintergrund einleiten. Darauf folgen die eigentliche Definition der
Theorie und eine Typologisierung ihrer Auswirkungen.
3.1 Vorläufer sprachökonomischer Forschungen
Die Beschreibung sprachökonomischer Prozesse ist nicht neu. Schon Hermann Paul und
Georg von der Gabelentz erforschten gegen
Ende des 19. Jahrhunderts dieses Gebiet. In
seinem Buch ,,Prinzipien der Sprachgeschichte" spricht Paul jedoch noch von einem
,,haushälterischen Zug", der durch die ,,Sprechtätigkeit" geht, dessen Ausmaß von dem
,,Bedürfnis", der ,,Situation" und ,,der vorausgehenden Unterhaltung" abhängt. Laut Paul
kann ,,unter bestimmten Voraussetzungen etwas durch ein Wort dem Angeredeten so
deutlich mitgeteilt werden, als es unter anderen Umständen erst durch einen langen Satz
möglich ist" (Paul 1966: 313).
Viele Ideen, die in der heutigen sprachökonomischen Forschung gelten, finden sich hier
bereits. So kann man den ,,haushälterischen Zug" direkt mit ökonomischem Handeln
verbinden, das ,,Bedürfnis" mit zweckorientierten Äußerungen übersetzen und
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,,vorausgehende Unterhaltung" beziehungsweise ,,bestimmte Voraussetzungen" auf den
Kontext und Kompromiss beziehen in
dem
sich Sprecher und Hörer befinden.
Darüber hinaus stellt Paul (1966: 322) eine interessante Hypothese über die Relation von
Kontext und Sprachgebrauch auf, indem er sagt: ,,Je fester der Usus
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geworden ist, umso
weniger ist zum Verständnis die Unterstützung durch die Situation erforderlich."
Er untermauert seine Feststellung mit der substantivierten Verwendung von Alter und
Neuer, die nur in einem Weinhandel korrekt verstanden und generell auch vornehmlich in
der Weinbranche verwendet werden. Durch den permanenten Kontext haben die beiden
Adjektive einen festen Status unter den Substantiven erhalten können. Genauso verhält es
sich meiner Ansicht nach, abgesehen von Adjektiven, auch mit Numeralen, wie dem Wort
Sechser, welches im Umfeld der Sportart Fußball problemlos als eine Spielerposition im
defensiven Mittelfeld sowie als die Bezeichnung oder im Alltag als sechs richtig angekreuzte
Zahlen im Lotto verstanden wird.
Koenraads (1953: 25) schließt sich Pauls Ausführungen an, denn ,,die Demokratisierung der
Gesellschaft und die Technisierung des Alltags führen eine Standardisierung und Nivellierung
der geistigen Disposition herbei in einem Maße, das Paul sich nie hätte träumen lassen".
Sprachlich äußert sich dies vornehmlich in Bequemlichkeits- und Vereinfachungstendenz,
welche sich als Systematisierung und Verkürzung durchsetzen, die ich im Weiteren noch
genauer darstellen werde (vgl. Koenraads 1953: 43).
Darüber hinaus erkennt Koenraads (1953: 22) in Pauls Ansatz, dass die Bequemlichkeit einen
großen Einfluss besitzt, jedoch fügt er seiner Arbeit einen weiteren Punkt aus Pauls
Überlegungen hinzu, den ich an dieser Stelle anführen möchte. Denn er sagt, Paul weise
noch darauf hin, dass die Bequemlichkeit bei der Lautproduktion nur eine untergeordnete
Ursache darstelle, während das eigentlich, dem Sprecher unbewusste, bestimmende
Bewegungsgefühl sich ganz allmählich verschiebe.
Koenraads löst nicht auf welcher Beweggrund nun dominanter sei. Doch was ist eigentlich
bequem? Nach Gabelentz (1972: 182) sei das Gewöhnliche immer auch bequem und durch
Übung empfinde man keine Kraftanstrengung. Obwohl diese Anstrengung immer vorhanden
sei. Daher sei auch immer das Bestreben vorhanden die Anstrengung zu verringern, um
Kräfte zu sparen und es noch bequemer zu machen. Die Folgen einer körperlichen
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Usus = Sprachgebrauch (Anm.: des Autors)
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Kraftersparnis sieht er, wie Jespersen, in einer mangelhaften Artikulation (Murmeln) und
unvollständigen Äußerungen.
Der Sprachproduktion beziehungsweise der Sprache attestiert Gabelentz die Dominanz eines
generell wirtschaftlichen Grundsatzes, welcher darin besteht, dass ,,der Zweck mit möglichst
geringem Aufwande erreicht werden soll" (Gabelentz 1972: 182). Dabei stellt er den durch
Paul ebenfalls beschriebenen Gegensatz von Verständlichkeit und Kraftersparnis und deren
gleichzeitige Wirkung zu jeder Zeit heraus, so dass immer ein Kompromiss von Sprecher und
Hörer eingegangen werden muss.
Interessanterweise nimmt er im Gegensatz zu Paul eine Bewertung des sprachlichen
Wandels vor und sagt, dass etwa durch lautliche Assimilation ,,die Sprache in ihrem Äußeren
ärmlicher" wird. Dies jedoch eher als Gewinn und nicht als Fehler gesehen werden sollte,
denn nach seiner Definition ist Sprache ,,ein Mittel, und unter den verschiedenen Mitteln,
die zum Zwecke führen, ist in der Regel das Einfachste das Beste".
3.2 Optimalitätstheorie
Die aktuellsten sprachwissenschaftlichen Theorien zur Sprachökonomie finden sich in Teilen
der Optimalitätstheorie und beruhen immer noch im Prinzip auf Grundideen, die bereits vor
hundert Jahren entstanden. Der Konflikt von sprecher- und hörerseitiger Sprachökonomie
wird laut Härtl (2008: 35) mit Hilfe der pragmatischen Konversationsmaximen und der
EVAL
-
Funktion in der Optimalitätstheorie spezifiziert. Diese bewerte ein ,,Set möglicher zu
versprachlichender Kandidaten unter Berücksichtigung der Bidirektionalität" (Härtl 2008:
35). Damit werde dann eine Ausgleichung der gegenläufigen Ökonomieprinzipien erreicht.
Woraufhin sich Grade von Markiertheit bestimmen lassen, die die morphosyntaktische
Komplexität, die Spezifität, die Frequenz oder auch die Registerbezogenheit alternativer
Kandidaten aufzeigen.
Blutner (2006: 17) weist darauf hin, dass Ökonomie in der Optimalitätstheorie eine wichtige
Rolle spiele. Die Prinzipien, nach denen sich sprachökonomische Prozesse richten, werden
hier in Form von constraints, also Beschränkungen, repräsentiert. Die constraints greifen
beschränkend hinsichtlich der Struktur von Äußerungen ein und stellen eine Art von
Geboten dar. So sortieren constraints die Kandidaten aus, welche eine Umstrukturierungen
innerhalb von Äußerungen darstellen, sowie diejenigen Kandidaten, die das Bestreben nach
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Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Erstausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2010
- ISBN (PDF)
- 9783955497255
- ISBN (Paperback)
- 9783955492250
- Dateigröße
- 239 KB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
- Erscheinungsdatum
- 2015 (Februar)
- Note
- 1,1
- Schlagworte
- Konversationsmaxime Sprachwandel Optimalitätstheorie Sprachökonomie Typologisierung