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Büchereien als Ort des interkulturellen Lernens: Eine Untersuchung zum Medienangebot für mehrsprachige Leserinnen und Leser

©2012 Diplomarbeit 87 Seiten

Zusammenfassung

Büchereien und Bibliotheken sind für die Sprachvermittlung wichtig, denn sie nehmen als öffentliche Institutionen eine besondere Rolle als Bildungs- und Freizeiteinrichtung ein. Sie bilden einen Raum, in dem Öffentliches und Privates zusammentreffen, eine Schnittstelle zwischen Unterhaltung und Lehre. Untersuchungsanliegen der Arbeit waren demnach Fragen nach dem Angebot für LeserInnen mit anderen Erstsprachen als Deutsch in den Städtischen Büchereien und der Motivation bzw. dem Konzept, das dahinter steht. Darüber hinaus wurde auf Basis der Ergebnisse der Spracherwerbsforschung hinterfragt, ob das Angebot in der L1 (Erstsprache) auch den Erwerb der L2 (Deutsch) fördert und sich eine solche eventuelle Förderung im Leseverhalten widerspiegelt.
Die Untersuchung beginnt mit einer Zusammenfassung der Erkenntnisse der Spracherwerbsforschung zur Mehrsprachigkeit, zeigt des Weiteren die Konstruktion der mehrsprachigen Identität in einer monolingualen Gesellschaft und anschließend die konkreten Sprachsituationen der Einzelsprachen Türkisch und Kroatisch/Serbisch/Bosnisch in Österreich. Die Dokumentation der aktuellen Situation soll aufzeigen, welche Umstände und Maßnahmen der Mehrsprachigkeit förderlich sind. Die Arbeit schließt mit einem Ausblick auf den weiteren Aufbau eines mehrsprachigen Angebots und einem Plädoyer für eine humanere Sprachenpolitik.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


III.II Gruppenidentität, Sprache und Nationalität

Der Mensch als soziales Wesen kann besonders in Bezug auf die Sprachverwendung nicht isoliert betrachtet werden, sondern seine Identität formt sich vielmehr durch die Zugehörigkeit oder Abgrenzung zu unterschiedlichen Gruppen. Diese Gruppen verschieben, überlappen und ergänzen einander, können aber durchaus auch widersprüchliche identitätsstiftende Eigenschaften besitzen. Es gibt sogar die Prämisse, dass Identität immer an Gruppen gebunden ist und dass sich „[…] unsere soziale Identität über mehrer Gruppenzugehörigkeiten definieren [muss]“ [1] . Generell lässt sich festhalten, dass sich die individuelle Identität neben den personellen Faktoren auch aus Aspekten dieser Gruppenzugehörigkeiten zusammensetzt. Gerade im Rahmen von Gruppenidentität spielt die Sprache oft eine identitätsstiftende Rolle, man kann von Sprachidentität(en) ausgehen, die entweder von Außenstehenden oder von den Gruppenmitgliedern selbst als Merkmal der Sprach-/Gruppenzugehörigkeit attribuiert werden. Dabei kann diese Abgrenzung von dialektalen Varietäten und verschiedenen Soziolekten bis hin zu unterschiedlichen Einzelsprachen reichen. Der Begriff der „Abgrenzung“ ist hier insofern wichtig, als dass er eine Metaebene der Reflexion impliziert, in der die Identität als „eigene“ erkannt wird. Da gerade in Europa monolinguale Nationalstaaten[2] bzw. Nationalstaaten, die den Eindruck der Monolingualität vermitteln wollen, zahlreich vertreten sind, wird die Sprache oft als wesentlicher Faktor der staatlichen Identitätsstiftung angesehen:

„Damit die sprachliche Identitätsbildung auf der Ebene der Gruppe gelingt, muss nach dieser Vorstellung auch das einzelne Gruppenmitglied die identitätsstiftende Funktion der einen Sprache anerkennen - identitätsstiftend sowohl auf der Ebene der Gruppe wie auf der des Individuums.“ [3]

Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Nation impliziert hier die Annahme der (natürlichen) Einsprachigkeit, so wird in vielen Staaten das Ablegen einer Sprachprüfung für Einwanderer als Beweis ihrer Integrationswilligkeit gefordert. Wie beispielsweise in Österreich Deutsch oder in Frankreich Französisch, die „Staatssprache“ wird als wesentliches identitätsstiftendes Merkmal der Staatszugehörigkeit betrachtet. Andere Sprachen sind nur relevant und erwünscht, wenn sie im Rahmen der Ausbildung „kontrolliert“ erlernt werden, wobei hier das schulische Curriculum Sprachen mit hohem Prestige beziehungsweise wirtschaftlicher Relevanz (z.B. Englisch, Spanisch, Französisch, Italienisch, aber auch z.B. Russisch, Chinesisch[4] ) favorisiert. Eine eventuelle natürliche, „wildwüchsige“[5] Mehrsprachigkeit wird hier als Bedrohung der Identität aufgefasst. Als Basis einer „normalen“ Identität wird daher von einer Muttersprache ausgegangen, auf der andere Fremdsprachen aufgebaut werden können. Von der einsprachigen Gruppe wird die Mehrsprachigkeit oft als inkompatibel mit den Vorstellungen der Gruppe gesehen (sprachlicher Nationalismus). Beispielsweise ist hier zu nennen, dass in Österreich immer vehementer „Deutsch zuerst“ eingefordert wird, sodass etwa das Ablegen einer Deutschprüfung für Einwanderer obligatorisch geworden ist.

III.II.I Nationalsprache oder sprachlicher Nationalismus

Das Konzept der 1) Nationalsprache mit einer oder mehreren Nationalsprachen und/oder Minderheitensprachen steht dem Konzept des 2) sprachlichen Nationalismus[6] gegenüber. Im ersten Fall konstituiert sich z.B. die Gruppenidentität „ÖsterreicherIn“ eben nicht (nur) durch die Sprache bzw. wird das Konzept mehrerer Nationalsprachen nicht als Bedrohung für die Identität einer Nation angesehen, sondern vielmehr wird die Vielfalt als Ausdruck der Gruppe gesehen. In diesem Fall steht gerade die Mehrsprachigkeit als identitätsstiftend für die Nation. Andererseits kann es auch einfach bedeuten, dass die Sprache(n) nicht als dominanter Faktor in der Identitätskonstruktion der Gruppe gesehen wird. Im sprachlichen Nationalismus wird politische Identität durch eine sprachliche Einheit definiert, in der die Einsprachigkeit als Synonym für die Nationalität steht. Das ist etwa in Frankreich der Fall, wo sogar territoriale, nicht migrationsbedingte Minderheitensprachen durch ihre bloße Existenz als Bedrohung der nationalen Einheit angesehen werden. Ganz anders gestaltet sich die Politik der Mehrfachzugehörigkeit[7], die dem Phänomen der modernen Gesellschaft mit erhöhter Mobilität und daher stärkerer (sprachlicher, kultureller, etc.) Migration gerecht werden soll. Die Anerkennung dieser Verschiedenheit äußert sich auf nationaler Ebene in unterschiedlicher Intensität: In Bezug auf die verschiedenen Aspekte und Aktionsräume der Individuen und als politisches, soziales und personales Subjekt. Für die Situation der SprecherInnen kann das bedeuten, dass ihre Muttersprache einfach toleriert, schulisch unterstützt oder sogar offiziell als Minderheitensprache anerkannt wird.

III.II Zum Mehrsprachigkeitsbegriff

Der Begriff der Mehrsprachigkeit wurde ursprünglich nur für die Bezeichnung von muttersprachlicher Sprachbeherrschung verwendet. Bei diesem Konzept[8] ging man von einer natürlichen, simultanen und im Kleinkindalter (jedenfalls vor dem dritten Lebensjahr) erworbenen Zwei- oder Mehrsprachigkeit aus. Mittlerweile beschreibt Mehrsprachigkeit aber ein größeres Feld, welches auch den Einsatz verschiedener Sprachen auf sehr unterschiedlichem Niveau und in unterschiedlich ausgeprägten Kompetenzen umfasst. Nimmt man die Definition der Mehrsprachigkeit im weitesten Sinne, so kann man davon ausgehen, dass echte Monolingualität nicht existiert, da bereits innerhalb einer Sprache verschiedene Varietäten vorliegen.[9] Mehrsprachigkeit kann neben der individuellen Komponente auch institutionell oder gesellschaftlich vorliegen. Betrachtet man die individuelle Mehrsprachigkeit, so lässt sich diese anhand des Spracherwerbs in verschiedene Kategorien einteilen.[10] Eine erste Unterscheidung wäre die Differenzierung eines simultanen Spracherwerbs (der Muttersprache/n) von dem sukzessiven Erlernen mehrerer Sprachen, wie es etwa in unserem Schulsystem üblich ist. Beim sukzessiven Lernprozess lässt sich wiederum eine Unterscheidung in „natürlich“ und „gesteuert“ treffen. „Natürlich“ wäre dabei das Erwerben von Sprache (meist im Kindesalter) durch die Umgebung[11] und „gesteuert“ wäre der Erwerb der Sprache durch den Unterricht und das gezielte Lernen. Eine letzte Dichotomie bezieht sich auf das Alter, in dem die Sprachen erlernt oder erworben werden, man könnte diese Ausprägungen als „kindlich“ und „erwachsen“ bezeichnen.

III.II.I. Dokumentation von Mehrsprachigkeit

Eine Möglichkeit, die Rolle von Sprachen für die Identität des Individuums nachvollziehbar zu machen, findet sich z.B. im Erfassen von Sprachbiographien und Sprachenporträts. Sprachenbiographien dokumentieren Ereignisse im Leben jener Menschen, die mit bestimmten Sprachen assoziiert sind, bzw. lassen die Biographie der Person rund um die Sprachen erzählen. Das von Hans Jürgen Krumm entwickelte Sprachenporträt ermöglicht die individuelle Illustration der Mehrsprachigkeit, dazu werden in der Silhouette eines menschlichen (schematisch weiblichen oder männlichen) Körpers mit Farbstiften die verschiedenen beherrschten Sprachen eingezeichnet. Interessant ist dabei, dass man den Sprachen auch gleich eine Funktion entnehmen kann, es gibt z.B. eine „Herzenssprache“, eine manuelle Sprache (Hand), eine Sprache der Gedanken (Kopf), usw. Die Dokumentation von Mehrsprachigkeit in dieser Form führt oft zu einem gesteigerten Selbstbewusstsein im Bezug auf die Mehrsprachigkeit, wenn die Illustratoren sehen (aber auch zeigen) können, wie viele Sprachen sie beherrschen, wie vielfältig sie sind.

III.III Mehrsprachigkeit und Identität

Versucht man die Mehrsprachigkeitssituation von Individuen zu erfassen, können verschiedene Kategorien den Umgebungszustand der Mehrsprachigkeit beschreiben[12]: Ob diese territorial (z.B. Kärntner Slowenen in Österreich) oder migrationsbedingt vorliegt, ob es eine funktionelle Mehrsprachigkeit mit bestimmten Wirkungsbereichen gibt und schließlich, ob diese vereinzelt oder im Bezug auf eine Gruppe auftritt. Nimmt man den Zustand in der Migration an, bei dem eine Person in eine ausschließlich monolinguale Umgebung kommt, ist Mehrsprachigkeit nur entweder in der Gruppe oder im Bereich des Privatlebens realisierbar. Das Erlernen der dominanten Sprache wird zu einer Notwendigkeit, um sowohl als privates als auch als soziales und politisches Subjekt agieren zu können.

„Was die Bewertung dieser Situation betrifft, so wird sie meist – von außen wie von innen – eher als problematisch gesehen und dementsprechend tendenziell negativ bewertet. Die nicht-dominante Sprache stört sozusagen die Loyalität gegenüber der dominanten Sprache, die ihrerseits zu den identitätsbildenen Konstanten der umgebenden Großgruppe gehört.“ [13]

Nimmt die Gruppe eine bestimmte Größe an bzw. tritt der Effekt der Gettoisierung auf, werden manche Gebiete aber de facto zweisprachig; wichtig ist dabei auch, inwiefern die Gruppe sich gesellschaftlich manifestieren kann, vom Besuch muttersprachlichen Unterrichts über die Gründung von Bildungseinrichtungen, bis hin zur Religionsausübung, der Herausgabe oder Nutzung eigener Medien, etc. Gerade im Bereich der Migration wird die Mehrsprachigkeit der Individuen aber oft ignoriert bzw. nicht anerkannt und sogar negativ bewertet, da nur standardisierter Spracherwerb in der Schule als „echte Mehrsprachigkeit“ beurteilt wird. Unter diesem Aspekt kann Mehrsprachigkeit für die Individuen sowohl als identitätsbedrohend als auch als identitätsstiftend empfunden werden. Wichtig ist hier die Ausgangssituation: Wird Assimilation von der monolingualen Gesellschaft gefordert oder Integration praktiziert, muss die Muttersprache aufgegeben werden oder wird Mehrsprachigkeit und Multikulturalität als wertvoll beurteilt. Die (persönliche, gesellschaftliche, soziale) Beuteilung der Mehrsprachigkeit kann demnach in Bezug auf die Identität äußerst unterschiedlich ausfallen. Generell wird die Mehrsprachigkeit aber als positiv und bereichernd empfunden, wenn sie freiwillig vorliegt, die Sprachen als prestigereich wahrgenommen werden, und der Spracherwerb mit positiven Faktoren assoziiert ist. Ausschlaggebend für die Beurteilung der (Sprach-) Situation sind nach Salman Akthar[14] aber auch die vorangehenden Umstände der Migration: Ob beispielsweise die Ausreise aus politischen, wirtschaftlichen Gründen oder freiwillig erfolgt. Ob die Abreise spontan oder geplant erfolgt und ob die Migration auf einen bestimmten Zeitraum begrenzt oder definitiv ist. Erfolgt etwa die Migration freiwillig und geplant und ist sie zudem auf einen bestimmten Zeitraum begrenzt (mit der Möglichkeit einer Rückkehr ins Heimatland), ist die Eingewöhnung in das Gastland generell einfacher (1) als etwa bei einer spontanen Flucht (2), die auch die Dauer des Aufenthalts im Gastland unbestimmt lässt. Akthar unterscheidet demnach zwischen Immigrant (1) und Exilant (2) die keinesfalls die gleiche Ausgangsposition für ihre Ankunft in der neuen Sprache (sowie Kultur und Gesellschaft) haben. Das folgende Kapitel widmet sich deshalb besonders der Darstellung der Sprachsituation der SprecherInnen serbischer, kroatischer, bosnischer und türkischer Sprache.

IV Zur Sprachsituation und Sprachenpolitik in Österreich

IV.I Muttersprachlicher Unterricht

Der österreichische Lehrplan spiegelt zumindest teilweise eine Einsicht in die Erkenntnisse der Spracherwerbsforschung wieder, insofern als ein einheitlicher Lehrplan für den muttersprachlichen Unterricht in den Volks- und Sonderschulen angefertigt wurde, der in seiner Formulierung und Zielsetzung die Rolle der Muttersprache für jegliche weitere Entwicklung beschreibt:

„Ziel des muttersprachlichen Unterrichts ist der Erwerb der Muttersprache zur Herstellung von Kontinuität und Stützung der Persönlichkeitsentwicklung, ausgehend von der Zugehörigkeit zum Sprach- und Kulturkreis der Eltern. […]. Zur Wahrung der Bildungschancen ist auf die Herstellung einer altersgemäßen Kommunikationsfähigkeit im schriftlichen wie mündlichen Bereich zu achten, die Kommunikationsbereitschaft und richtiger Sprachgebrauch sind zu fördern und zu festigen. Schließlich sind Grundeinsichten in die Sprachstruktur und in die Literatur der jeweiligen Sprache zu vermitteln.“[15]

Der Erwerb der Erstsprache wird als Notwendigkeit für jeden weiteren Bildungsprozess erkannt, die Primärsprache soll im Unterricht als gleichwertig und der deutschen Sprache ebenbürtig erfahren werden. Die Bedeutung einer sprachlichen Identität für jegliche Ausbildung und das spätere Berufsleben sowie die Rolle des Bikulturalitäts[16] - bzw. Integrationsprozesses werden hervorgehoben. Die angegebenen Bildungsziele - nämlich der Spracherwerb und Ausbau der verschiedenen Fertigkeiten (Hören, Sprechen, Lesen, Schreiben) sowie das Erlangen bestimmter kulturellen Kompetenzen - entsprechen in ihrer Formulierung dem allgemeinen Lehrplan der „einsprachigen“ Kinder. Gleichzeitig wird auf die besondere Situation des muttersprachlichen Unterrichts hingewiesen, in dem die Gruppen sehr heterogen sein können: Etwa verschiedene familiäre oder regionale Dialekte; nicht an Nationalität gebundene Sprachen (z.B. kurdisch sprechender Türke); unterschiedliche Migrationssituation (z.B. Zugewanderte oder Kinder der zweiten & dritten Generation, etc.); unterschiedliche Bildungs- und Sozialschichten, usw. Ziel ist, ähnlich wie im Deutschunterricht, eine Standardvariante der jeweiligen Sprache zu unterrichten, was bei bestimmten Sprachen leichter ist als bei anderen; z.B. unterscheidet sich das im Irak gesprochene Arabisch stark von dem in den Maghrebstaaten, etc. Der Lehrplan erwähnt als einen weiteren Schwerpunkt die Vermittlung der Kenntnisse über das Herkunftsland, wobei die Formulierung hier wieder nahe legt, dass es sich um ein einziges Herkunftsland (und eine einzige gleiche Sprache) handelt. Eine gewisse Dissonanz verursacht folgende Formulierung im Lehrplan:

„Deutsch ist als die primäre Unterrichtssprache zu erwerben, während die Muttersprache die primäre Erlebnis-, Erfahrungs- und Sozialisationssprache der Kinder ist.“[17]

Hier wird das Konzept der „Gleichwertigkeit“ der Sprachen insofern revidiert als der Muttersprache - gleichsam als Widerspruch zu vorangegangenen Formulierung - der Platz des Privaten zugewiesen wird, der in der Schule nur als „Anfangsstütze“ wahrgenommen wird. Deutsch ist dadurch immer noch vorrangiges Bildungsziel als „primäre“ Unterrichtssprache und nicht die Mehrsprachigkeit. Eine tatsächliche Gleichwertigkeit der Sprachen würde aber ein anderes Unterrichtskonzept erfordern, in dem die Erstsprache nicht nur „nebenher“ und isoliert vom restlichen Schulbetrieb gelernt wird, sondern Teil des regulären Unterrichtsgeschehens ist und auch als „Hauptfach“ anerkannt wird. Durch das „Monopol“ des Deutschen als Unterrichtssprache entsteht ein Paradox: Den SchülerInnen soll einerseits vermittelt werden, dass Bi- oder Plurikulturalität sowie Mehrsprachigkeit anstrebenswert sind und gefördert werden sollen, andererseits findet der „Austausch“ eingleisig und vor allem als Ausrichtung auf den Deutscherwerb statt. Dadurch wird suggeriert, dass die deutschsprachigen SchülerInnen keinesfalls von den Erstsprachen ihrer MitschülerInnen profitieren, da der Sprachunterricht nicht für die Allgemeinheit angeboten wird und die Sprachkenntnisse der MitschülerInnen im regulären Unterricht nur eine periphere Rolle spielen; ja sogar als defizitär wahrgenommen werden. Eine wirkliche Valorisierung der Erstsprache wäre z.B. dann gegeben, wenn der Besuch des muttersprachlichen Unterrichts verpflichtend wäre, oder als weitere Unterrichtssprache gehandhabt würde, die alle Kinder lernen dürfen (sollen). So könnte ein „echter“ Austausch stattfinden, in dem nicht nur z.B. Kroatisch oder Türkisch sprechende Kinder Deutsch lernen, sondern auch Deutsch sprechende Kinder Türkisch und Kroatisch. Teilweise wurde dieses Konzept schon umgesetzt, da es ab 2011/12 möglich sein soll, etwa in Bosnisch/Serbisch/Kroatisch zu maturieren[18] und diese Sprachen auch als zweite (oder dritte) lebende Fremdsprache anerkannt werden. Die geplanten Veränderungen in diesem Bereich lassen hoffen, dass bald weitere Sprachen und vor allem Türkisch als eine der „sprecherstärksten“ Sprachen in den regulären Lehrplan aufgenommen werden.

IV.II Zur Situation der Sprachen Türkisch und Kroatisch, Serbisch, Bosnisch in Österreich

IV.II.I Kroatisch, Serbisch, Bosnisch

IV.II.I.I Autochthone Minderheiten

Das Burgenland-Kroatische soll in diesem Kapitel von der Situation der Zuwanderersprachen Kroatisch, Serbisch und Bosnisch abgegrenzt werden, da ihm im Rahmen der Charta der Regional- und Minderheitensprachen als territoriale slawische Sprache andere Grundrechte zugesprochen werden. Als Minderheitensprachen gelten in Österreich ausschließlich Sprachen, welche die Kriterien folgender Definition erfüllen:

„ ‚Regional- oder Minderheitensprachen’ Sprachen, [sind solche Sprachen]

i die herkömmlicherweise in einem bestimmten Gebiet eines Staates von Angehörigen dieses Staates gebraucht werden, die eine Gruppe bilden, deren Zahl kleiner ist als die der übrigen Bevölkerung des Staates, und
ii die sich von der (den) Amtssprache(n) dieses Staates unterscheiden;
iii er umfaßt weder Dialekte der Amtssprache(n) des Staates noch die Sprachen von Zuwanderern.“ [19]

In Österreich gibt es neben dem Burgendland-Kroatischen noch Romani, Slowakisch, Slowenisch, Tschechisch und Ungarisch, die gesetzlich geschützte Sprachen autochthoner Minderheiten in Österreich sind und dadurch auch den Status einer Minderheitensprache haben[20]. Die Klassifizierung als Minderheit erfolgt in einem juristischen Raum, der Gesetze rund um den Sprachgebrauch im Bereich der Bildung, Justiz, Verwaltung, Medien und Kultur festlegt. Die slowenischen und kroatischen Minderheitenrechte sind im Staatsvertrag festgehalten und gelten nur innerhalb bestimmter Bundesländer (Burgenland, Kärnten, Steiermark), für die anderen Sprachen gilt das Volksgruppengesetz, welches ebenfalls regional begrenzt ist. Trotz regionaler Eingrenzung sind Minderheitensprachen die einzigen Sprachen mit einem gesetzlichen Anspruch auf umfassende Sprachverwendung und Förderung in den bereits genannten Bereichen (also z.B. Unterricht in der Muttersprache von der Grundstufe bis zur Matura, zweisprachiger Verwaltungsapparat, Beschriftung [Ortstafeln], etc…). Die reale Situation entspricht in vielen Fällen aber keinesfalls dem Gesetzestext, wie etwa der Ortstafelstreit oder die Probleme bei Gründungen bilingualer Schulen deutlich machen. Letztendlich gestalten sich die Rechte der Minderheiten variabel je nach innen- und außenpolitischen Situationen und müssen immer wieder für bereits zugesicherte Rechte eintreten oder „günstige Perioden“[21] für Verbesserungen nutzen.

IV.II.I.II Sprachen der neuen Minderheiten

Diffiziler gestaltet sich die Situation nicht-autochtoner, „neuer“ Minderheitensprachen. Diesen wird der rechtliche Status der Minderheit (noch) nicht attribuiert, dies gilt auch für die Sprachen Serbisch und Bosnisch[22]. In der Sprachentabelle (siehe folgende Seite, Tabelle I), die die angegebene Umgangssprache der österreichischen Wohnbevölkerung bei der Volkszählung 2001 illustriert, lässt sich unschwer erkennen, dass die „weiteren Sprachen“ jedoch eine viel größere Zahl ausmachen als die Summe der anerkannten MinderheitensprecherInnen insgesamt. Dabei ist für die Erfassung nicht relevant, welcher Nationalität die SprecherInnen angehören, sondern vielmehr wie sich die österreichische Sprachlandschaft für die hier ansässige Bevölkerung gestaltet. So bilden Bosnisch, Serbisch, Kroatisch in Summe die größte Sprachgemeinschaft neben den türkisch Sprechenden. Den Sprachen mit höherer SprecherInnenzahl wird auch höhere Aufmerksamkeit gewidmet; dies konnte ich bei der Recherche in den Büchereien Wien unschwer feststellen, da in recht vielen Zweigstellen türkische, kroatische oder serbische Bücher aufliegen und (meiner Recherche nach) nahezu keine auf Albanisch, Rumänisch oder Polnisch.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten[23]

IV.II.I.III Eine Sprache, viele Sprachen. Erklärung zur Dreiheit von Kroatisch, Serbisch und Bosnisch

Ein kurzer historischer Abriss[24] soll klären, warum Kroatisch, Serbisch und Bosnisch immer in einem Atemzug und quasi als „eine“ Sprache genannt werden. Nach dem ersten Weltkrieg wurden Kroaten, Slowenen und Serben in einem gemeinsamen Königreich (späteres Jugoslawien) vereint, als dessen „neue“ Sprache das Serbokroatische begründet wurde. Das Serbokroatische jedoch war dabei nur eine bestimmte Normierung des Serbischen. Dementsprechend ablehnend war die Haltung bei den sich benachteiligt fühlenden Kroaten und Slowenen, die das neue Königreich als ausschließlich „Großserbisches Reich“ empfanden. Der entstandene Konflikt gärte besonders im zweiten Weltkrieg weiter, wo es zum Eklat kam. Nach dem Krieg wurden Kroatisch und Serbisch im Abkommen von Novi Sad 1954 praktisch gleichgesetzt in den Varianten des Serbokroatischen und Kroatoserbischen; wobei die kommunistischen Machthaber unter Tito die Sprachpolitik weiterhin als Favorisierung der Serbischen Variante zu Ungunsten der Kroatischen betrieb (obwohl Tito eigentlich Kroate war). Das Slowenische und Mazedonische jedoch wurden als Amtsprachen anerkannt. Trotz unterschiedlicher Varietäten blieb eine Verständigung möglich, da zwischen dem Kroatischen und dem Serbischen eine große syntaktische Ähnlichkeit besteht, selbst wenn jede Sprache über eine eigene Schrift verfügt. Das Bosnische und das Kroatische werden in Latein, Serbisch in kyrillischer und lateinischer Schrift geschrieben. Nach dem Zerfall Jugoslawiens kam es zu einem betonten Differenzierungsprozess in dem (nach der wiederholten Unterscheidung serbischer und kroatischer Sprache) erstmals eine Normierung des Bosnischen entstand.

Allerdings kann man bis heute nicht von einer Auflösung des Sprachkonfliktes ausgehen, für die SprecherInnen in der Migration war und ist die Angabe einer bestimmten Sprache nicht evident, oft wird nicht die tatsächliche Erstsprache sondern die am Prestigeträchtigsten oder der politischen Überzeugung entsprechenden angegeben. Daraus ergibt sich die Dreifachnennung der Sprachen und die Tatsache, dass auch etwa im Fremdsprachen-Unterricht an den Volkshochschulen, in Lehrwerken, oder beim Medienangebot in der Bücherei kaum zwischen den Varianten unterschieden wird. So werden die kroatische und serbische Variante unterrichtet, da das Bosnische als junge Schriftsprache noch wenig entwickelt ist und vor allem an der schriftlichen Ausprägung zur Abgrenzung der drei Sprachen festgehalten wird.

IV.II.II Türkisch

Die Türkische Sprache und Schrift in der uns gegenwärtig bekannten Form sind verbunden mit der Gründung der Türkischen Republik 1923, die Türkisch als Staatssprache erklärte und 1928 die lateinische Schrift an Stelle der Arabischen einführte. Da der Türkische Staat recht junger Natur ist, lässt sich unschwer nachvollziehen, dass der Gebrauch der Türkischen Sprache auch jenseits der Landesgrenzen weit verbreitet ist, da die heutige Türkei nur einen Teil des ehemaligen Osmanischen Reiches umfasst. Die Länder bzw. Gebiete mit den höchsten SprecherInnenzahlen sind Bulgarien (1 Million), Mazedonien (80 000), Australien (40 000), Griechenland (30 000); in Europa leben insgesamt etwa drei Millionen Menschen mit türkischer Herkunft[25]. Der Großteil der heute in deutschsprachigen Ländern lebenden SprecherInnen kam im Zuge der Arbeitsmigration zwischen 1960-1970 nach Deutschland und Österreich. Die Entwicklungen bis in die Gegenwart zeigen, dass rund um die Türkische Sprache (und SprecherInnen) ein wesentlich polemisierender und fremdenfeindlicher Diskurs geführt wird als dies bei anderen Migrationssprachen der Fall wäre. „Übertriebener Wirbel um Türkisch als Maturafach“ titelte die Presse zur Debatte rund um das Einführen des Türkischen als zweite lebende Fremdsprache zur Reifeprüfung. Was für die Sprachen Bosnisch/Serbisch/Kroatisch schon längst abgeschlossener Bildungsprozess im Sinne der Mehrsprachigkeit ist, scheint plötzlich wieder alle Prinzipien der „Gleichwertigkeit“ der Sprachen ins Wanken zu bringen, vor allem wenn die Argumente nicht rationeller Natur sind, da zum gegebenen Zeitpunkt vieles für Türkisch als Maturafach spricht. Wenn also aus sprachwissenschaftlicher (und wirtschaftlicher!) Sicht nichts gegen eine Novellierung zugunsten des Faches Türkisch spricht, erklärt sich der Aufruhr folgendermaßen: „Die Aufregung um Türkisch als Maturafach sei eindeutig auf das niedrige Prestige der Sprache und der türkischstämmigen Bevölkerung zurückzuführen“[26] konstatiert Rudolf de Cilia im Presseinterview. Dieses „niedrige Prestige“ scheint generell als Konstante bei Migrationsprachen aufzutreten, je nachdem welche neue Zuwanderergruppe am stärksten vertreten ist. Da sich die Zahl der SprecherInnen bei Türkisch und Bosnisch/Serbisch/Kroatisch etwa die Waage halten, lässt sich das Ressentiment gegenüber der Türkischen Sprache nicht nur auf diesen Umstand zurückführen. Kein unwesentlicher Faktor ist dabei sicher eine vierhundertjährige Tradition (16.-19.Jh) des Türkischen als Sprache des religiösen und politischen Feindes. Diese Situation änderte sich erst während des ersten Weltkriegs, als das Türkische für kurze Zeit zur „Sprache des Waffenbruders“[27] avancierte, das Sprachprestige stieg dadurch ungemein, sodass man Türkisch an höheren Schulen in Deutschland als Wahlfach belegen konnte und sogar die Einführung des Pflichtgegenstands Türkisch diskutiert wurde. Nach dem (verlorenen) ersten Weltkrieg verschwand das Türkische in den deutschsprachigen Ländern aber wieder vollständig aus den Lehrplänen und blieb bloß an der Universität vorhanden.

IV.II.II.I Anerkennung der Mehrfachzugehörigkeit

Die Chancen der „Prestigesteigerung“ der türkischen Sprache liegen unter anderem in dem neuen Selbstbewusstsein der SprecherInnen jüngerer Generation, die sich vermehrt zu ihrer Erstsprache bzw. ihrer Mehrsprachigkeit bekennen. Es entsteht aus der ehemaligen Subkultur eine neue, türkische (und kritische) Öffentlichkeit, die sich auch medial präsentiert: Filme (z.B. „Schwarzkopf“), Zeitungen (z.B. „ das Biber “), Musik (Rap) in türkischer Sprache. Gleichzeitig manifestiert sich diese Jugendkultur als Opposition zu der bestehenden Situation der Ablehnung, der sozialen Prekarität, der Fixierung auf „entweder Türke oder Österreicher“. Die Rolle und Anerkennung der Türkischen Sprache ist nicht zu trennen von der Anerkennung der Sprecherinnen und Sprecher; werden diese als gleichwertige MitbürgerInnen wahrgenommen, erhalten diese vermehrt Zugang zu einer besseren (Aus)Bildung und qualifizierten Arbeitsplätzen, wird auch die Sprache aufgewertet[28].

Es gibt demnach eine erkennbare Interdependenz zwischen Sozialstrukturen und Sprache; meine persönlichen Überlegungen wären dahingehend, dass sich das Türkische gegenwärtig zwischen dem Bereich der „Opposition“ und der Neutralität befindet und teilweise noch als „fremd“ wahrgenommen wird. Wenn aber die Sprache weiterhin medial präsent bleibt und rechtspolitisch in den Hintergrund rückt, würde meiner Meinung nach der Effekt der Habitualisierung; also der Gewöhnung, eintreten; in dem das Türkische einfach eine Sprache unter vielen ist. Erreicht die Sprache diesen Zustand, kann die nächste Etappe - die Prestigesteigerung - eintreten, welche sowohl von den SprecherInnen als auch gesellschaftlich getragen werden muss, um erfolgreich zu sein. Paul Mechril beschreibt den Prozess der „ Anerkennung nicht eindeutig zugehöriger Anderer[29] ; wobei die Anerkennung sowohl Selbst- als auch Fremdanerkennung umfasst. Die Anerkennung des Subjekts zeigt sich in direktem Zusammenhang mit ihrer Handlungsfähigkeit und ihrem Aktionsraum; das bedeutet zum Beispiel, ob ihnen alle sozialen Sphären und Realitäten zugänglich sind. So kann man von verschiedenen Bereichen der Anerkennung ausgehen:

- als politisches Subjekt (das vom Staat als gleich anerkannt wird, mit gleichen Rechten und Pflichten und der Möglichkeit der Einflussnahme nach demokratischen Prinzipien),
- als soziales Subjekt (das Sprache, Vorlieben und die Zugehörigkeit zu bestimmten sozialen Gruppen pflegen kann; aber nicht notwendiger Weise so, dass soziale Gruppen mit nationaler Kultur gleichsetzt werden),
- als personales Subjekt (dem Möglichkeiten zur persönlichen Entfaltung geboten werden, ohne auf einen bestimmten Status festgeschrieben zu werden).

Erst wenn die Partizipation in allen genannten Bereichen gegeben ist, kann man von einer tatsächlichen Anerkennung ausgehen.

IV.II Büchereien und ihre sprachenpolitische Bedeutung

Die Büchereien und Bibliotheken haben als öffentliche Institutionen eine besondere Rolle als Bildungs- und Freizeiteinrichtung. Sie bilden einen Raum in dem Öffentliches und Privates verschmelzen, in dem Unterhaltung und Lehre vereint sind. Der Besuch einer Bücherei erfolgt meist gänzlich freiwillig und aus eigenem Antrieb und entspricht dem persönlichen Interesse oder Bedürfnis der Leserinnen und Leser. Dieser Aspekt des Angebots und der Freiwilligkeit (als Gegensatz zur Verpflichtung, wie etwa verpflichtender Sprachkurs, Schulbesuch, etc.) hat für den Sprachenerwerb eine große Bedeutung, weil das persönliche Lesen im Idealfall in einem angst- und urteilsfreien Raum und dadurch auch in jeder gewünschten Sprache erfolgen kann. Wenn die Bücherei sich entschließt, auf ihre mehr- und anderssprachigen LeserInnen einzugehen, ist das auch eine (sprach)politische Entscheidung: Insofern als auf die tatsächliche Bevölkerungsstruktur und Sprachgegebenheiten eingegangen und Heterogenität gefördert werden, oder ob die Bibliothek ein normierendes und einsprachiges[30] Angebot (bis auf die klassischen Unterrichtsfremdsprachen: Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch) beibehält.

Man könnte annehmen, dass die Büchereien gerade durch ihren Status des freiwilligen Angebots wenig politische Relevanz haben, doch gerade dieser Aspekt der privaten Lektüre ist politisch instrumentalisierbar, weil nicht nur die Nachfrage das Angebot prägt, sondern auch umgekehrt. Historisch lässt sich anhand der Entwicklungen des Büchereiangebots auch oft das jeweilige politische Regime ablesen: Faschistoide Regime hatten etwa ihr eigenes ideologisiertes Lektüreangebot, die sozialistischen Bewegungen verhalfen der Populärliteratur (und anderen Medien) zum Einzug in die „klassische“ Bibliothek, usw. Das Angebot der Bücherei spiegelt demnach nicht nur den Zeitgeist wieder, sondern formt auch die Leserschaft. Konkret bedeutet das: Stelle ich nur Bücher und Medien in einer Sprache zur Verfügung, werden entweder die LeserInnen anderer Sprachen gänzlich aus der Bibliothek verdrängt bzw. können dieses Angebot nicht für sich nutzen oder reduziert sich das Leseverhalten auf den Gebrauch einer Sprache.

Stehen aber verschiedensprachige Medien zu Verfügung, wird der Sprache eine medial und räumlich unterstrichene „Seins–Berechtigung“ zugesprochen und ein größeres Publikum wird angesprochen. Gleichzeitig gewöhnen sich einsprachige LeserInnen an die Koexistenz verschiedener Sprachen und erleben diese sprachliche Pluralität als (institutionelle) Norm. Diese „Gewöhnung“ könnte auch den ersten Schritt zum neuen Sprachenlernen mit sich bringen und im Endeffekt auch dazu führen, dass die LeserInnen mit anderen Erstsprachen als Deutsch außerdem anderssprachiges Angebot nutzen[31]. Es ist also sehr wohl relevant, ob den jeweiligen Muttersprachen ein öffentlicher Raum zugesprochen wird oder eben nicht; denn Bücher sind nach wie vor tragendes Medium der Kulturverbreitung[32]. Eine mehrsprachige Bücherei, die sich nach der Bevölkerungsstruktur richtet, trägt unter anderem auch zur Anerkennung der Sprachenrechte bei bzw. ist ein erster Schritt diese zu erfüllen:

„Nach Einsicht der Internationalen Erklärung der Kollektivrechte der Völker vom Mai 1990 in Barcelona, die besagt, daß jedes Volk das Recht hat, seine Kultur, Sprache und Organisationsweise zum Ausdruck zu bringen und weiterzuentwickeln und sich dazu eigener politischer, erzieherischer, kommunikativer und verwalterischer Strukturen in einem eigenen politischen Rahmen zu bedienen. [33]

Die Bücherei vereint in ihrer Struktur gerade den kommunikativen, kulturellen, politischen und erzieherischen Aspekt, ihre besondere Bedeutung für die Entwicklung und Integration zu einer funktionierenden mehrsprachigen Gesellschaft ist daher nicht zu unterschätzen.

[...]


[1] Fix, Ulla: Identität durch Sprache- eine nachträgliche Konstruktion? – In: Janich, Nina; Thim-Mabrey, Christiane (Hg): Sprachidentität- Identität durch Sprache. – Tübingen: Narr, 2003. (S.107-123.) S. 107.

[2] Also Staaten, die bloß eine Einzelsprache als Amtsprache und Landessprache anerkennen, wie z.B. in Frankreich ausschließlich Französisch.

[3] Wilhelm Oppenrieder, Maria Thurmair : Sprachidentität im Kontext von Mehrsprachigkeit. S. 43. -In: Nina Janich und Christiane Thim-Mabrey [Hrsg.]: Sprachidentität –Identität durch Sprache. – Thübingen: Narr 2003. (S. 39-60.)

[4] An einigen Wiener Schulen wird seit 2003 Jahren Chinesisch und Russisch angeboten.

[5] Hier sind einerseits die Mehrsprachigkeit durch das Aufwachsen mit verschiedenen Muttersprachen, andererseits die Mehrsprachigkeit durch erwerben einer Sprache außerhalb eines institutionalisierten, ‚verschulten’ Prozesses gemeint, also Sprachen die erworben und nicht erlernt wurden.

[6] Vgl. Verwendung der Termini nach Signan: Nationalsprachen und sprachlicher Nationalismus. Siguan, Miguel : Kapitel 2. Nationalsprachen und sprachlicher Nationalismus. – In: Miguel Siguan: Die Sprachen im vereinten Europa. – Thübingen: Stauffenburg 2001, S. 33 -55.

[7] Mehrfachzugehörigkeit: Die Mitgliedschaft in verschiedenen Gruppen, auch solche mit widerstreitenden Interessen, ist in modernen Gesellschaften durchaus vorgesehen – bei der nationalen Zugehörigkeit sind aber die meisten Nationen auch heute noch sehr empfindlich […] Vgl. Paul Mechril: Kap. VII Politik der Mehrfachzugehörigkeit.–In: Mechril, Paul: Prekäre Verhältnisse. Über natio-ethno-kulturelle Mehrfachzugehörigkeit.-Münster: Waxmann, 2003. (S. 388-411.) S.388.

[8] Vgl. Müller, Natascha; Kupisch, Tanja; Schmitz, Katrin; Cantone, Katja: Einführung in die Mehrsprachigkeitsforschung. Deutsch-Französich-Italienisch. –Tübingen: Gunter Narr, 2006. S. 13.

[9] Vgl. Barbara Haider: „Mehrsprachigkeit “ –In: Barkowski, Hans; Krumm, Hans-Jürgen [Hrsg.]: Fachlexikon Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. – Tübingen: A. Francke Verlag 2010. (S. 207-208.)

[10] Vgl. Müller, Natascha; Kupisch, Tanja; Schmitz, Katrin; Cantone, Katja: Einführung in die Mehrsprachigkeitsforschung. Deutsch-Französich-Italienisch. – Tübingen: Gunter Narr, 2006. S. 13-15.

[11] Die „Umgebung“ kann dabei vielfältig ausfallen - z.B. ein anderssprachiger Spielkamerad, ein anderssprachiges Kindermädchen, etc.

[12] Vgl. Kategorien bei Oppenrieder, Wilhelm und Maria Thurmair: Sprachidentität im Kontext von Mehrsprachigkeit. – In: Nina Janich und Christiane Thim-Mabrey [Hrsg.]:Sprachidentität – Identität durch Sprache . – Thübingen: Narr 2003. (S. 39-60) S. 44.

[13] Vgl. Kategorien bei Oppenrieder, Wilhelm und Maria Thurmair: Sprachidentität im Kontext von Mehrsprachigkeit. – In: Nina Janich und Christiane Thim-Mabrey [Hrsg.]: Sprachidentität –Identität durch Sprache. – Thübingen: Narr 2003. (S. 39-60) S.47.

[14] Vgl. Akhtar, Salman: Immigration und Identität. Psychosoziale Aspekte und kulturübergreifende Therapie. -Gießen: Psychosozial-Verlag 2007. S. 29.

[15] Lehrplan muttersprachlicher Unterricht Volksschule: http://www.bmukk.gv.at/medienpool/17882/lehrplanvolkschule.pdf Stand 30.03.2011, 18h01. S.1-2.

[16] Bikulturalität lt. Lehrplan: […]das ist Migrantenkultur, neue Sozialisationsbedingungen, neues kulturelles Umfeld, soziokulturelle und psychosoziale Konfliktfelder usw. […] Lehrplan muttersprachlicher Unterricht Volksschule: http://www.bmukk.gv.at/medienpool/17882/lehrplanvolkschule.pdf Stand 30.03.2011, 18h01. S.1.

[17] Lehrplan muttersprachlicher Unterricht Volksschule: http://www.bmukk.gv.at/medienpool/17882/lehrplanvolkschule.pdf Stand 30.03.2011, 18h01. S.2.

[18] Voraussetzungen, unter denen an der AHS in einer lebenden Fremdsprache maturiert werden kann: http://www.bmukk.gv.at/medienpool/6416/nr1_10.pdf Stand 23.05.2011, 11h54. S. 25.

[19] Europäische Charta der regional- oder Minderheitensprachen: http://conventions.coe.int/treaty/ger/Treaties/Html/148.htm Stand 30.3.2011, 18h00.

[20] Die Österreichische Gebärdensprache hat auch Minderheitenstatus, allerdings wurde dieser für den Unterricht, etwa in Form eines Dolmetschers oder eines „muttersprachlichen Unterrichts“ noch nicht adaptiert.

[21]Die Öffnung der jahrzehntelang "toten" Grenzen führte [1989] zu einem verstärkten Interesse an Minderheitensprachen. Besonders aber die Machtübernahme durch konservative und meist betont national orientierte Regierungen in den mittel- und osteuropäischen Ländern blieb für die österreichische Minderheitenpolitik nicht ohne Folgen.“ Vgl: http://minderheiten.at/stat/Service/volksgruppen.htm Stand 30.03.2011, 14h21. Zitat aus: Gerhard Baumgartner: 6 x Österreich: Geschichte und aktuelle Situation der Volksgruppen. – In: Hemetek, Ursula [Hrsg]: Initiative Minderheiten. - Klagenfurt: Drava-Verlag, 1995

[22] Kroatisch hat durch die Anerkennung des Burgenlandkroatischen als autochthone Minderheitensprache einen anderen Status.

[23] Ausschnittstabelle geordnet nach höchsten Sprecherzahlen angelehnt an Grafik von Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Minderheitensprachen_in_%C3%96sterreich Stand 30.3.2011, 15h19. Gesamtzahlen überprüft und ergänzt aus: http://www.statistik.at/web_de/statistiken/bevoelkerung/volkszaehlungen_registerzaehlungen/bevoelkerung_nach_demographischen_merkmalen/022896.html Stand 30.3.2011, 15h18.

[24] Vgl. Nieuweboer, Rogier und Schroeder, Christoph: Bosnisch, Kroatisch, Serbisch. – In: Bausch, Karl-Richard; Christ, Herbert und Krumm, Hans-Jürgen [Hrsg.]: Handbuch Fremdsprachenunterricht. 4., vollst. neu bearbeitete Aufl. – Tübingen, Basel: Francke, 2003. (S. 510-513.)

[25] Zahlen aus: Vgl. Esin Ileri: Türkisch. – In: Bausch, Karl-Richard; Christ, Herbert und Krumm, Hans-Jürgen [Hrsg.]:Handbuch Fremdsprachenunterricht. 4., vollst. neu bearbeitete Aufl. –Tübingen, Basel: Francke,2003. S. 577.

[26] Julia Neuhauser, Bernadette Bayrhammer: „ Übertriebener Wirbel um Türkisch als Maturafach“. –Die Presse, 07.04.2011 Vgl. auch: http://diepresse.com/home/bildung/schule/hoehereschulen/648196/Uebertriebener-Wirbel-um-Tuerkisch-als-Maturafach Stand 08.04.2011, 16h04.

[27] Vgl. Esin Ileri: Türkisch. – In: Bausch, Karl-Richard; Christ, Herbert und Krumm, Hans-Jürgen [Hrsg.]: Handbuch Fremdsprachenunterricht. 4., vollst. neu bearbeitete Aufl. –Tübingen, Basel: Francke,2003. (S. 577-579.)

[28] Der Aspekt der sozialen Stellung und des Wohlstands bzw. Bildungsgrades spielt eine wesentliche Rolle im Integrationsprozess; so hatten etwa die politischen Flüchtlinge aus dem Iran (nach Sturz des Regimes 1979) die Ärzte, Anwälte, Jusristen und Lehrer waren, keine nennenswerten Integrationsprobleme, obwohl der kulturelle und religiöse Hintergrund ein ähnlicher ist wie bei den türkischen MigrantInnen.

[29] Vgl. Mechril, Paul: Kap. VII Politik der Mehrfachzugehörigkeit.–In: Mechril, Paul: Prekäre Verhältnisse. Über natio-ethno-kulturelle Mehrfachzugehörigkeit. -Münster: Waxmann, 2003. (S. 388-411)

[30] Mit „einsprachig“ ist hier Deutsch gemeint.

[31] Also z.B. Wenn ein Deutschsprachiger sich einen Film auf Türkisch mit deutschen Untertiteln ausborgt, etc. ist das schon eine Entwicklung die über das bloße „Nebeneinander“ der Sprachen in einer Bibliothek hinausgeht.

[32] Gemeint ist hier die Aufwertung und Berechtigung einer Sprache als Solche, sobald sie eine normierte Schriftkultur – und Literaturproduktion aufweist, da mündlich tradierte und „schriftlose“ Sprachen oft nicht oder wenig anerkannt werden.

[33] Quelle: Allgemeine Erklärung der Sprachenrechte. http://www.gfbv.it/3dossier/barcelona96-dt.html Stand 9.3.2011 16h45

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2012
ISBN (PDF)
9783955499648
ISBN (Paperback)
9783955494643
Dateigröße
826 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Wien
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1
Schlagworte
Sprachpolitik Sprachenpolitik Minderheit Österreich Mehrsprachigkeit Medien Sprachenrecht

Autor

Sara Claire Kerschbaumer wurde 1985 in Wien in einer multikulturellen Familie geboren und wuchs in einem zweisprachigen Elternhaus auf. Nach einem kurzen Ausflug in die Naturwissenschaften wurde das Biologiestudium 2005 zu Gunsten eines Germanistik- und Romanistikstudiums aufgegeben. Nach einigen Auslandsaufenthalten und einer Unterrichtstätigkeit in Frankreich schloss die Autorin das Germanistikstudium mit einer Arbeit im Bereich DaF/DaZ 2012 ab. Neben dem Bereich DaF/DaZ interessiert sich die Autorin für sprachpolitische Phänomene im Allgemeinen. Sie beschäftigt sich dabei nicht nur mit den Entwicklungen der Gegenwart, sondern untersucht auch historische Phänomene des Sprachaustausches wie z.B. in der mittelalterlichen Literatur.
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Titel: Büchereien als Ort des interkulturellen Lernens: Eine Untersuchung zum Medienangebot für mehrsprachige Leserinnen und Leser
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