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Die Bedeutung und Funktion des Lexems "erga nomou" in Gal 2,11-21 und Röm 3,21-31

©2011 Diplomarbeit 59 Seiten

Zusammenfassung

Diese Studie befasst sich mit der Bedeutung der 'Werke des Gesetzes' in der Theologie des Paulus und ihrer Rolle in der Diskussion um die Rechtfertigungslehre. Im Zentrum steht der Vergleich einschlägiger Texte im Römer- und Galaterbrief, in denen die 'Werke des Gesetzes' im Rahmen der paulinischen Argumentation zur Rechtfertigung aus Glauben vorkommen. Auch Aspekte und Beiträge der New Perspective on Paul werden in diesem Zusammenhang diskutiert. Zudem werden einige profilierte Positionen der neutestamentlichen Forschungsgeschichte (Bultmann, Dunn, Sanders) knapp erörtert. Einige Überlegungen zum Verständnis der Rechtfertigung bei Paulus bilden den Abschluss der Arbeit.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


4. Rechtfertigung ἐκ πίστεως Χριστοῦ οὐκ ἐξ ἔργων νόμου in Gal 2,15-21

Anhand des ab 2,11 berichteten Konflikts mit Petrus entfaltet Paulus nun ab 2,15 grundlegend sein Verständnis der Rechtfertigung ἐκ πίστεως. Dabei beginnt er seine Argumentation mit einem Satz, der als ein typisches Selbstverständnis damaliger Juden gelten kann: „ Wir – von Natur Juden und nicht Sünder aus den Heiden – […]“.[1] Da Paulus im Folgenden in äußerst geraffter Form den Prozess der Hinwendung von Juden zum Glauben an Jesus Christus beschreibt, wählt er diesen Ausgangspunkt in bewusster Anknüpfung an eben deren (vorchristliches) Selbstverständnis.[2] 2,16 beschreibt nun jedoch entscheidende Veränderungen dieses Verständnisses und der Rechtfertigung aus Werken des Gesetzes im Übergang zum Christusglauben:

Weil wir – von Natur aus Juden und nicht Sünder aus den Heiden – erkannt haben,[3] dass ein Mensch nicht gerecht gemacht wird aus Werken des Gesetzes, außer[4] durch Glauben an Jesus Christus, sind auch wir zum Glauben an Jesus Christus gekommen,[5] damit wir gerecht gemacht werden aus Glauben an Christus und nicht aus Werken des Gesetzes. Denn aus Werken des Gesetzes wird kein Mensch gerecht gemacht werden.

Paulus präsentiert dies eindeutig als eine allen Judenchristen gemeinsame Überzeugung.[6] Ob dies tatsächlich den historischen Gegebenheiten entspricht, ist dabei zweitrangig, denn auf jeden Fall „ sollte nach Paulus in dieser Frage zwischen allen Judenchristen Übereinstimmung herrschen“.[7] Entscheidend für den gesamten Brief ist, dass Paulus hier die Antithese formuliert, um die sich die Auseinandersetzung seiner Ansicht nach dreht und mit der die „Wahrheit des Evangeliums“ (2,5.14) steht und fällt. Dem δικαιοῦσθαι ἐκ πίστεως Χριστοῦ steht das δικαιοῦσθαι ἐξ ἔργων νόμου gegenüber. Von letzterem sagt Paulus klar aus, dass es unmöglich ist,[8] während der Glaube an Christus[9] tatsächlich bewirkt, dass ein Mensch gerecht gemacht wird. Mit δικαιοῦσθαι „Paul used language familiar to anyone who was a Jew by nature“[10] – der Horizont des endzeitlichen Gerichts Gottes ist von der LXX her ebenso vorausgesetzt wie die Bedeutung „für gerecht erklären“.

Mehr wird jedoch aus Gal 2,16 allein nicht klar: Was die „Werke des Gesetzes“ genau sind, wofür sie möglicherweise stehen und warum eine Rechtfertigung aus ihnen unmöglich ist, wird hier ebenso wenig gesagt wie umgekehrt, warum und wie der Glaube an Jesus Christus zu Rechtfertigung und Heil führt. Da Paulus Gal 2,16 jedoch als gemeinsame Überzeugung gegen den Zwang zum „ἰουδαΐζειν“ (2,14) stellt, wie er durch das Verhalten des Petrus und der im Hintergrund mitgedachten Gegner in Galatien ausgeübt wurde,[11] hängen die ἔργα νόμου damit zusammen.[12] Sie umfassen daher sowohl die Beschneidung als auch die Einhaltung der jüdischen Speisegebote. Damit aber ist klar, dass mit νόμος an dieser Stelle nicht irgendein „Gesetz“, sondern eindeutig die Thora bezeichnet ist.

Dass das Syntagma ἔργα νόμου hier jedoch grundsätzlich mehr meint, als „nur […] die konkreten Einzeltaten der Gebotserfüllung“[13] lässt sich in Verbindung mit anderen Stellen in Gal erheben. So werden die ἔργα νόμου bzw. der νόμος in Gal 3,10-13 erneut thematisiert. Zunächst bestätigen die Zitate aus Dtn 27,26 und Lev 18,5, dass mit νόμος die Thora gemeint ist, da sie sich eindeutig auf die Befolgung des mosaischen Gesetzes beziehen. Außerdem wird deutlich, dass Paulus das Sein ἐν νόμῳ in 3,11 synonym zu dem Sein ἐξ ἔργων νόμου (3,10; 2,16) versteht, da er hier den Grundsatz von 2,16 auf das Sein ἐν νόμῳ überträgt und es gegen den Schriftbeweis aus Hab 2,4b in dieselbe Antithese zum Sein „ἐκ πίστεως“ stellt. Durch die klare Parallelisierung von ὁ δὲ νόμος (in 2,12 verkürzt und synonym zu ἐν νόμῳ in 2,11) und ὁ ποιήσας αὐτὰ wird das „Tun“ dem „Glauben“ gegenübergestellt. Damit ist ebenso offensichtlich, dass Paulus die ἔργα νόμου als Ergebnis von Taten im Sinne von „Werk“ versteht und nicht als Vorschriften an sich.[14] Auch in Gal 5,4 wird „ἐν νόμῳ δικαιοῦσθε“ offensichtlich synonym zur Rechtfertigung aus „Werken des Gesetzes“ in 2,16 verwendet. Schließlich wird von Paulus in Gal 5,3 eingeschärft, dass die Beschneidung dazu verpflichtet, die ganze Thora zu halten.[15] Es lässt sich daher festhalten:

„’works of the law’ refer to what the law requires, […] whatever the law requires to be done can be described as ‘doing’ the law, as a work of the law. [… T]he phrase ‘works of the law’ is a way of describing the law observance required of all covenant members”.[16]

Am wahrscheinlichsten ist m.E., dass Paulus die ἔργα νόμου im Sinne umfassender Thora­observanz und ‑einhaltung versteht.[17] Für Dunn liegt das eigentliche Problem der ἔργα νόμου allerdings darin, dass sie seiner Ansicht nach Synonym einer „sectarian interpretation“ bestimmter Thorapraktiken waren, die vor allem dazu dienten, „to exclude others“, vor allem „that Jew remain distinct from Gentile“.[18] Diese Auffassung begründet er mit seiner Rekons­truktion eines zersplitterten Judentums zur Zeit des zweiten Tempels, in dem die gruppenspezifische Abgrenzung mithilfe bestimmter, im Sinne der eigenen Gruppe interpretierter Thoragebote sehr wichtig gewesen sei.[19] Da die Beschneidung und Speisegebote – als wichtigste Testfälle jüdischer Bundesidentität[20] – im unmittelbaren Kontext eine Rolle spielten, wäre den damaligen Lesern klar gewesen, dass es in all dem um „Bundesnomismus“, speziell jüdischer Abgrenzung gegenüber Heiden gegangen sei.[21] Problematisch ist hierbei, dass Dunn das Problem vor allem auf die Abgrenzung hin fokussiert und die ἔργα νόμου als Schlagwort derartiger Bestrebungen versteht. Dabei wird verdeckt, dass auch nach seiner (und Sanders) Sicht des damaligen Judentums der Thoragehorsam insgesamt notwendig für die Beibehaltung des Status innerhalb des Bundes und Gottesvolkes war[22] und somit soteriologische Relevanz besaß. Da für Paulus aber – wie Dunn selbst schreibt – „faith is the only and only continuing basis for relationship with God“,[23] wäre schon damit eine unüberbrückbare Differenz gegeben, ohne dass ein spezifisch verengtes Verständnis der ἔργα νόμου postuliert werden muss.[24]

Festzuhalten ist, dass die ἔργα νόμου und die damit bezeichnete Thoraobservanz an sich in Gal 2,16 keineswegs „in abfälligem Sinn verstanden“[25] werden, sondern Paulus lediglich konstatiert, dass das δικαιοῦσθαι, d.h. die Heilsaneignung „aus Werken des Gesetzes“ unmöglich ist. Nur mit dieser Zielrichtung lehnt Paulus das Halten der Thora (= ἔργα νόμου) als dem Glauben diametral entgegen gesetzt und unmöglich ab.

Die hinter Gal 2,16 stehenden Überzeugungen wurden von Paulus bislang nicht erläutert,[26] spielen aber für die Verse 2,17-21 eine wichtige Rolle. Da deren Auslegung durchaus umstritten ist,[27] können nicht alle Einzelheiten ausführlich diskutiert werden.

Für die Deutung von 2,17 sind m.E. zwei Beobachtungen hilfreich: Erstens ist εὑρέθημεν kein Konjunktiv, sondern ein Aorist Indikativ.[28] Zweitens bezieht sich die 1. Pers. Pl. – nimmt man keinen Subjektswechsel an – unmittelbar auf „καὶ ἡμεῖς“ von V. 15f., sodass an dieser Stelle nach wie vor Paulus, Petrus und die Judenchristen gemeint sind. Zusammen mit „καὶ αὐτοί“ ergibt sich daraus, dass Paulus die Erkenntnis aus 2,16 (ἐξ ἔργων νόμου οὐ δικαιωθήσεται πᾶσα σάρξ) nur mit anderen Worten und nach wie vor betont im Hinblick auf die Judenchristen wieder aufnimmt: „Wenn demnach auch wir selbst […] als Sünder vorgefunden wurden …“. Nur der mit ἆρα eingeleitete Teil „… ist dann etwa Christus ein Diener der Sünde?“ wird als falsche Folgerung von Paulus mit „μὴ γένοιτο“ klar zurückgewiesen.[29] Die „äußerst polemische Formulierung“[30] der Folgerung wird dabei häufig als Aufnahme eines Vorwurfs der paulinischen Gegner gesehen.[31] Plausibel ist m.E. jedoch auch, dass Paulus einen zu erwartenden Einwand vorweg nimmt. Inwiefern Christus nun jedoch „Diener der Sünde“ wäre, ist aus dem Kontext nicht ganz eindeutig zu klären.[32] Am wahrscheinlichsten ist, dass sowohl der Aspekt, dass durch Christus Sünder gerechtfertigt werden[33] als auch die Befürchtung, dass als Folge einer Relativierung der Thoraobservanz der „Sünde Tür und Tor geöffnet“[34] wäre, in dem Vorwurf enthalten sind. Die Realität des „als Sünder erfunden wurden“ gilt dabei aber faktisch nur von dem Menschen ‚an sich’, „unter dem Gesetz und gerade nicht […] im Glauben an Christus“.[35] Dies ergibt sich aber erst aus den folgenden Versen.

Zunächst legt Paulus in 2,18 dar, unter welcher Bedingung der Mensch als „Sünder“ erscheint: „Wenn ich[36] wirklich das, was ich niedergerissen habe, wieder aufbaue, erweise ich mich selbst als Übertreter.“ Der Bezugspunkt des Relativpronomens ἃ bzw. demonstrativen ταῦτα wird von vielen Auslegern als das erfolgte „Abbrechen, ungültig machen“ (καταλύω im Aorist) des Gesetzes gesehen. Dies scheint nahe liegend, da Gal 3,19 als einzige Stelle, an der die Verbindung von Übertretung und Gesetz erneut erscheint, davon redet, dass „das Gesetz der Übertretungen wegen hinzugefügt wurde“.

Dies ist m.E. so zu verstehen, dass das Gesetz alle „unter dem Gesetz“ (3,23; 4,5.21 u.ö.) als Sünder bzw. Übertreter entlarvt, weil sie eben nicht alles, was das Gesetz fordert, tun. Dass Paulus nämlich den „Fluch“ über allen, die „aus Werken des Gesetzes sind“, in Gal 3,10 einfach konstatieren kann, setzt voraus, dass sie die Bedingung, an die der Fluch gebunden ist, erfüllen, nämlich „Verflucht sei jeder, der nicht bleibt in allen geschriebenen [Satzungen] in dem Buch des Gesetzes, um sie zu tun “.[37] Der Grund, dass die Sinaithora zwar einerseits dem, „der alle diese getan hat“ das Leben verheißt (3,12), zugleich aber nicht „fähig ist, lebendig zu machen“ (3,21 Irrealis!),[38] liegt in den „παραβάσεων“ der Menschen, die durch die Sinaithora erkennbar werden. In diesem Sinne „hat die Schrift alles unter die Sünde eingeschlossen“ (3,22) bzw. waren die so „Eingeschlossenen unter dem Gesetz bewacht“ (3,23) und standen unter dem „Fluch des Gesetzes“ (3,13).[39] Bemerkenswert ist hierbei, dass Paulus sich bei allen diesen Aussagen selbst mit einschließt, diese also klar und eindeutig auch seine eigene Vergangenheit beschreiben.[40]

Auch wenn durch diese Zusammenhänge die erwähnte Deutung plausibel erscheint, dass sich ἃ/ταῦτα auf das Gesetz selbst bezieht, erscheint mir eine etwas andere Auslegung näher liegend, denn Paulus deutet auch im Folgenden des Galaterbriefes an keiner Stelle an, dass das Gesetz ‚an sich’ nicht mehr existiert oder generell ungültig ist.[41] Vielmehr verneint er entweder für Christusgläubige das „unter dem Gesetz sein“ (3,25; 4,5; 5,18) oder bestreitet das Gesetz als Heilsweg, also in Relation zur Rechtfertigung (2,16; 3,21; 5,4). Daher ist ἃ/ταῦτα m.E. am sinnvollsten auf diese Existenz ὑπὸ νόμον zu beziehen.

In V. 19 bestätigt sich dieser Deutungsansatz, da Paulus mit betontem „ich“ erläutert: „ Ich bin nämlich durch das Gesetz dem Gesetz gestorben, damit ich Gott lebe.“ Der Dativ νόμῳ bzw. θεῷ bezeichnet dabei – stärker als der dativus commodi – „[m]ehr den Besitzer“.[42] Nicht das Gesetz wurde also „abgebrochen“, sondern die Existenz ‚im Verfügungsbereich’ des Gesetzes, „ὑπὸ νόμον“, und zwar durch das des ἀποθνῄσκειν des Christusgläubigen. Dieses Sterben ist durch Χριστῷ συνεσταύρωμαι klar im Kreuzesgeschehen lokalisiert. Was aber heißt in diesem Zusammenhang διὰ νόμου? Hier ist m.E. wiederum die bereits oben beschriebene Funktion des Gesetzes als Indikator der Sünde angesprochen, allerdings von Paulus aufs Äußerste zugespitzt zu der Aussage, dass er „durch das Gesetz“ starb. Dies aber nicht, weil das Gesetz an sich eine lebensfeindliche Macht wäre, sondern weil das „Sterben“ als Gegenteil des „Lebens“[43] die äußerste Konsequenz davon ist, das kein Mensch aufgrund von ἔργα νόμου gerechtfertigt wird. Anders formuliert: Indem die Thora die „Übertretungen“ der Menschen sichtbar macht, ist für letztere das Todesurteil gesprochen.

Wurde schon an Gal 2,19 deutlich, dass Paulus hinsichtlich seiner Existenz offensichtlich eine Diastase zwischen empirischer und geistlicher Wirklichkeit annimmt,[44] so wird dies in V. 20 weitergeführt und vertieft: „ Ich lebe also nicht mehr, sondern Christus lebt in mir. Was ich aber jetzt im Fleisch lebe, lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat.“ Hier wird deutlich, dass Paulus sein eigentliches Leben „ἐν πίστει“ verortet. Für dieses gilt, dass es vollkommen mit dem Leben Christi verbunden ist, ja, dass die neue geistliche Existenz geradezu Christus selbst ist. Dabei ist „geistlich“[45] nicht im Sinne von „noch nicht real“ oder „unwirklich“ zu verstehen. Sie ist nur insofern mit einem ‚eschatologischen Vorbehalt‘ versehen, dass sie empirisch als irdisch vorgefundenes Leben „ἐν σαρκί“ weder voll sichtbar noch uneingeschränkt einzige Lebenswirklichkeit des Christen ist. Denn das irdisch-fleischliche Dasein des Menschen ist nach wie vor von den Signaturen der Sünde, des Todes und der Vergänglichkeit gekennzeichnet, wie Paulus später anhand des Widerstreits zwischen σὰρξ und πνεῦμα ausführen kann (5,17-23). Diese haben aber gegenüber der Existenz „ἐν πίστει“ bzw. „πνεύματι“ den lebensbestimmenden Anspruch verloren. Von hierher wird m.E. auch das in 2,17 gesagte klarer: Empirisch (ἐν σαρκί) und unter Absehung der neuen Existenz „im Glauben“ gesehen, wurden (und werden!) Juden- und Heidenchristen als Sünder erfunden und können aus „Werken des Gesetzes“, d.h. im Zustand ὑπὸ νόμον (3,23), nicht gerecht werden. In der neuen Existenz, nach τοῦ δὲ ἐλθεῖν τὴν πίστιν (3,23) jedoch gilt, dass die entscheidende neue Existenz ihre Grundlage in Christus hat, während die alte Existenz im Kreuzesgeschehen bereits gestorben ist.

Dass die Selbsthingabe (παραδόντος ἑαυτὸν) „des Sohnes Gottes“ „für mich“ (2,20) die Sünden einschließt oder genauer „um unserer Sünden willen“ geschah, lässt sich m.E. eindeutig aus Gal 1,4 ersehen. Darüber hinaus handelt es sich bei der Selbsthingabe Jesu am Kreuz um ein Stellvertretungsgeschehen, wie Gal 3,13 und Gal 4,4f. deutlich zeigen, ohne dass Paulus dies an dieser Stelle genauer bestimmt oder erörtert.

Gal 2,21 betont als Abschluss der grundlegenden Erläuterung seit 2,15 noch einmal mit äußerster Schärfe die Tragweite der Auseinandersetzung: Paulus verwirft die Gnade Gottes nicht – doch bei den Galatern ist diese Gefahr offensichtlich gegeben, weil sie an die Stelle der Gerechtigkeit „aus Glauben an Jesus Christus“ die „δικαιοσύνη διὰ νόμου“ setzen wollen. Wäre dieser Weg zum Heil, wäre die Gerechtigkeit „ἐξ ἔργων νόμου“[46] jedoch möglich, dann – so folgert Paulus unter äußerster Zuspitzung – wäre Christus δωρεὰν, „vergeblich“ gestorben. Gerade aber das Kreuz Jesu ist für Paulus das Heilsereignis, auf dem der Glaube und die Rechtfertigung aus Glauben beruhen.[47]

5. Streiflichter der Argumentation ab Gal 3

Die Argumentation im Galaterbrief kann natürlich nicht ausführlich weiter nachvollzogen werden. Es empfiehlt sich aber hinsichtlich der Bedeutung und Funktion der ἔργα νόμου in der paulinischen Argumentation die weiteren Belegstellen zu streifen. Auch sollen einige weitere Aussagen den νόμος betreffend in den Blick genommen werden, insofern dies nicht schon im Zuge der Exegese von 2,15-21 geschehen ist.

Neben den bereits erwähnten Ausführungen zur κατάρα über denen, „die aus Werken des Gesetzes sind“ (3,10), begegnen die ἔργα νόμου nur noch in 3,2 und 3,5, wo sie beide Male der „Verkündigung“ bzw. „Predigt[48] des Glaubens“ entgegengestellt werden. Paulus appelliert an die Erfahrung der Galater. Objekt dieser Erfahrung sind der Geistempfang (3,2.5) und „Machterweise“ (3,5). Dabei ist klar, dass die Antwort gegen die ἔργα νόμου ausfallen muss. Diese werden vielmehr sogar der Sphäre der σάρξ zugeordnet (3,3) und stehen dem Sein „πνεύματι“, „im Geist“ entgegen. Hier wird – verschärft dadurch, dass in 3,5 Gott Subjekt ist – besonders deutlich, dass ἐξ ἔργων νόμου von Paulus als Chiffre eines alternativen Heilsweges verstanden wird, der dem Heil in Christus total entgegensteht.

Bezüglich des Begriffs νόμος wurde bereits erwähnt, dass Paulus ihn synonym zu ἐξ ἔργων νόμου gebrauchen und dem „Glauben“ gegenüberstellen kann (2,21; 3,11). Hinzu tritt ab Gal 3,14 der Begriff der „Verheißung“ (ἐπαγγελία), deren Vorrang vor dem Gesetz von Paulus ausführlich entfaltet wird (v.a. 3,14-3,29). Anhand der Verheißung an Abraham zeigt er, dass die Thora von Anfang an nicht als Rechtfertigungs- bzw. Heilsweg gedacht war. Die Bedeutung des Gesetzes, die damit in Frage steht (3,19), beantwortet er mit der bereits erwähnten Neubestimmung: Das Gesetz ist „um der Übertretungen willen“ (= zur Erkenntnis derselben) später hinzugefügt, als „Zuchtmeister[49] bis zu Christus“ (3,24).

Hinsichtlich der umstrittenen Formulierung am Ende von Gal 3,19 sei nur kurz angemerkt, dass mit Eckstein davon auszugehen ist, dass die Thora für Paulus natürlich von Gott selbst stammt. „Von einer »Inferiorität« der Sinai-Tora kann […] lediglich in Relation [zur …] Verheißung Gottes an Abraham gesprochen werden“,[50] weil erstere mittelbar und später, letztere jedoch zuerst und unmittelbar erfolgte. Eine widergöttliche, dämonische Herkunft der Thora ist für Paulus unvorstellbar.[51] Vielmehr kann er – wie erwähnt – im Rahmen der Ethik sogar ihre Erfüllung behaupten (5,14) und sich positiv auf sie beziehen (5,23). Im weiteren Verlauf des Galaterbriefes wird jedoch das Stichwort der ἐλευθερία zunehmend zum Leitwort des Briefes, der die Knechtschaft unter dem Gesetz gegenüber steht. So wird das Gesetz selbst regelrecht zur Chiffre der Unfreiheit (v.a. 4,21-31) und steht der Freiheit in Christus entgegen (5,1f.). Diese Negativbestimmung ist aber als Reaktion auf den gegnerischen „Beschneidungszwang“ zu sehen (6,12), da die Beschneidung umfassende Thoraobservanz implizierte[52] und so von Paulus als Versuch der Rechtfertigung „aus dem Gesetz“ gedeutet werden konnte. Am Ende des Galaterbriefes (6,15) schärft Paulus selbst dagegen ein, dass in der Gemeinschaft der Christusgläubigen weder Beschneidung noch Unbeschnittenheit eine Rolle spielen, sondern diese vielmehr eine neue καινὴ κτίσις ist.

6. Zusammenfassung: ἔργα νόμου im Galaterbrief

Das Syntagma ἔργα νόμου findet sich im Galaterbrief insgesamt nur sechs Mal, wovon drei Belege innerhalb des „Grundsatzes“ von der Rechtfertigung in Gal 2,16 vorkommen. Es begegnet nur in der präpositionalen Genitivverbindung ἐξ ἔργων νόμου („aus, aufgrund, durch Werke des Gesetzes“) und in 2,16 mit einer passiven Verbform von δικαιόω. Die so bezeichnete Rechtfertigung „aus Werken des Gesetzes“ steht in Fundamentalopposition zu der ἐκ πίστεως Χριστοῦ. Das Lexem ἔργα νόμου wird im Kontext des antiochenischen Konflikts um die Tischgemeinschaft von Juden- mit Heidenchristen eingeführt und steht daher für die konkrete Erfüllung der jüdischen Speisegebote. Es steht aber ebenso für das Beschneidungsgebot und impliziert somit das Halten des ganzen Gesetzes (3,10.12; 5,3), wobei Paulus sie bei den Gegnern als Weg, Mittel oder Grundlage der Rechtfertigung (und damit des Heils) unterstellt und grundsätzlich ablehnt. In dieser Bedeutung gebraucht er synonym die Begriffe διὰ νόμου (2,21), ὑπὸ νόμον (4,21) oder ἐν νόμῳ (3,11), was zeigt, dass nicht einzelne Taten bzw. Gebotserfüllungen zur Debatte stehen, sondern umfassende Thoraobservanz als Heilsweg. Umgekehrt kann Paulus die Wendung ἐξ ἔργων νόμου verkürzt zur Bezeichnung dieses falschen Heilsweges verwenden (3,2.5.10). Eine negative Konnotation haben die ἔργα νόμου bzw. die damit bezeichnete Grundüberzeugung nur, weil und insofern sie als Alternative die Rechtfertigung aus Glauben an Jesus Christus ignorieren bzw. für ungültig erklären (2,21; 5,4). Das Halten des Gesetzes an sich wird nicht negativ eingeschätzt (5,23). Auch eine grundsätzliche Ablehnung der Thora findet sich nicht, wiewohl sie als Mittel der Rechtfertigung bestritten und der Verheißung nachgeordnet wird (3,17.19-24). Sie ist damit heilsgeschichtlich sekundär und zur Kennzeichnung und Verfluchung menschlicher Übertretungen „hinzugefügt“ (3,12.19). Bis auf Gal 6,2 meint νόμος im Galaterbrief immer die Thora, auch dort, wo Paulus mit präpositionalen Wendungen Bereiche beschreibt, die der πίστις Χριστοῦ entgegenstehen oder durch die falsche Hoffnung geprägt sind, „aus Werken des Gesetzes“ oder „durch das Gesetz“ gerechtfertigt zu werden.

III. Rechtfertigung und ἔργα νόμου im Römerbrief

1. Verfasser, Adressaten und Anlass des Römerbriefes

Auch für den Römerbrief ist die paulinische Verfasserschaft unbestritten. Diktiert[53] wurde er von Paulus wahrscheinlich um 56 n.Chr. in Korinth,[54] wofür der Gastgeber Gaius[55] sowie die Briefüberbringerin Phöbe sprechen, deren Dienst in der Hafenstadt Kenchreä von Paulus erwähnt wird (16,1). Paulus überblickt seine Missionsarbeit im Osten des römischen Reiches und plant nun nach deren Abschluss (15,19.23) die Mission in Spanien, für deren Unterstützung er wirbt und vor der er in Rom Station machen will (15,24). Allerdings steht ihm vorher noch die Reise nach Jerusalem bevor, um die in seinen Gemeinden gesammelte Kollekte zu überbringen (15,26). Hierfür bittet er die römischen Christen, mit ihm in der Fürbitte „mitzukämpfen“ (συναγωνίσασθαι), damit er einerseits vor den „Ungläubigen“ in Judäa „gerettet“ wird und anderseits die Kollekte von den Jerusalemer Christen angenommen wird (15,30f.). Paulus, seine Missionstätigkeit sowie die Einheit von Juden- (z.B. Jerusalem) und Heidenchristen (paulinische Gemeinden) sahen in Judäa bzw. Jerusalem offenbar besonderen Widerständen entgegen (vgl. Apg 21,21.27).

Die römische Gemeinde war unabhängig von Paulus entstanden, ihm als Ganze daher unbekannt[56] und bestand sowohl aus Juden- als auch aus Heidenchristen.[57]

Zum Abfassungszweck des Römerbriefes gibt es zahlreiche Thesen und Untersuchungen[58] und schon aus den genannten Beobachtungen und daraus, dass der Römerbrief der längste Brief im NT ist,[59] ergibt sich, dass jede monokausale Erklärung wohl zu kurz greift.

Ein primäres Anliegen ist gewiss die schriftliche Darlegung der von Paulus ersehnten Verkündigung des Evangeliums in Rom (1,11-15). Dies ist m.E. der Hauptgrund für die Grundsätzlichkeit und Ausführlichkeit der Entfaltung im ersten Teil des Römerbriefes. Aber auch die in Kap. 14f. durchscheinenden Konflikte um das Zusammenleben von Juden- und Heiden­christen bilden einen wichtigen Themenkomplex und die Darlegung ist wohl auch von daher mitbestimmt. Schließlich spielt auch die Auseinandersetzung mit grundsätzlichen Einwänden gegen die „gesetzesfreie“ Mission des Paulus eine Rolle.[60] Eine konkrete Aus­einan­der­setzung mit judenchristlichen Gegnern wie in Galatien lässt sich jedoch nicht erkennen.[61]

[...]


[1] Vgl. Betz, Galaterbrief, 215f.; Dunn, Galatians, 132.

[2] Vgl. Eckstein, Verheißung, 7-9; Dunn, Galatians, 132f.

[3] Das „Wissen“, das Paulus hier voraussetzt, ist m.E. kein allgemein jüdisches, sondern verdankt sich einem Erkennen im Gefolge der Christusoffenbarung, vgl. Klein, Individualgeschichte, 184. Gerade dieses „erkannt haben“ unterscheidet die hier als „ἡμεῖς Ἰουδαῖοι“ bezeichneten Juden christen von nicht-christusgläubigen Juden. Daher erscheint mir diese Übersetzung am besten. Beim textkritisch unsicheren δέ ist die äußere Bezeugung in etwa gleich gut. Adversativ verstanden lässt es sich als verdeutlichende Hinzufügung erklären. Andererseits könnte die Weglassung durch Paralleleinfluss motiviert sein, da εἰδότες bei Paulus sonst nie von δέ gefolgt wird (Röm 5,3; 6,9; [13,11;] 1Kor 15,58; 2Kor 4,14; 5,6; Phil 1,16). Da P46 zudem ein „freier Text“ (Aland, Text, 109) ist, scheint mir das Festhalten am δέ vertretbar (aber ohne adversative Bedeutung), vgl. Dunn, Galatians, 3.

[4] Zur seltenen Übersetzung „außer“ von ἐὰν μή, vgl. Blass/Debrunner/Rehkopf, Grammatik, §3762 (Im Folgenden mit BDR und Paragraph abgekürzt angegeben, Hochziffern stehen für Anmerkungen dort). Dass es ein ausschließendes „außer“ ist und daher auch mit „sondern nur“ übersetzt werden könnte, ergibt sich durch die folgende Argumentation.

[5] Die ingressive Übersetzung des Aorist ist m.E. an dieser Stelle am sinnvollsten, vgl. BDR §331.

[6] Dunn, Galatians, 137. Dies wohl auch mit dem Ziel, die Berufung der Gegner auf Petrus zu disqualifizieren.

[7] Eckstein, Verheißung, 15. Nach ihm sollte man im Blick auf Gal 2,16cd „vorsichtiger urteilen“. Es ist aber m.E. ebenfalls Vorsicht geboten, für Petrus eine klare Gegenposition anzunehmen, da Paulus dann damit rechnen müsste, dass dies den Gegner bekannt war, vgl. Anm. 33.

[8] Dabei ist die Formulierung in 2,16d paulinische Schriftauslegung, indem Paulus die „Werke des Gesetzes“ mit Ps 142,2LXX ὅτι οὐ δικαιωθήσεται ἐνώπιόν σου πᾶς ζῶν verbindet. Zur Hinzufügung von ἐξ ἔργων νόμου vgl. ausführlich und sehr überzeugend aaO., 27-30.

[9] Bei πίστις Ἰησοῦ Χριστοῦ handelt es sich an allen Stellen in Gal 2,11-21 bzw. Röm 3,21-31 um einen genitivus obiectivus, vgl. BDR §1635. Das wird in Gal 2,16 besonders deutlich an der offensichtlichen Parallelisierung von διὰ πίστεως Ἰησοῦ Χριστοῦ; εἰς Χριστὸν Ἰησοῦν ἐπιστεύσαμεν und ἐκ πίστεως Χριστοῦ. Die Auslegung, dass hier Jesu eigener Glaube gemeint sei, ist dagegen mehr als unwahrscheinlich, vgl. Betz, Galaterbrief, 220f. mit Anm. 40; Eckstein, Verheißung, 18 mit Anm. 102; Dunn, Galatians, 138f.

[10] AaO., 135, sowie zur vorausgesetzten Bedeutung von δικαιοῦσθαι 134f. insgesamt.

[11] Vgl. dazu oben B.II.3, v.a. Anm. 37.

[12] Vgl. Mußner, Galaterbrief, 169; Dunn, New Perspective, 24f.; Bergmeier, Gerechtigkeit, 12.

[13] Eckstein, Verheißung, 23, der es ebenso umfassender versteht, vgl. dazu auch seine Argumentation.

[14] Vgl. zu dieser These von Michael Bachmann den Exkurs 4QMMT und ἔργα νόμου unten unter B.III.2.

[15] Dunn stellt m.E. zurecht fest, dass die Beschneidung als exemplarischer Bekenntnismarker einen Rang hatte, „ to which all the works of the law could be epitomised “, Dunn, Yet, 210. (Hervorhebung im Original).

[16] Dunn, New Perspective, 22f.

[17] Eckstein, Verheißung, 23; Hofius, Werke, 81; Frey, Judentum, 41.

[18] Alle Zitate bei Dunn, Galatians, 137.

[19] AaO., 136.

[20] Ebd.; Ders., Yet, 208.

[21] Ders., Galatians, 137.

[22] Ders., New Perspective, 6; Ders., Galatians, 148; Ders., Yet, 208; Sanders, Judentum, 298.

[23] Dunn, Galatians, 17, mit Abgrenzung gegen Sanders in der dazugehörigen Fußnote!

[24] So schreibt Dunn selbst aaO., 135f., dass die Wendung ἔργα νόμου an sich „means most naturally ‘deeds or actions which the law requires’” und „most Jews would, again most naturally, understand the phrase to mean ‘the obligations laid upon Israelites by virtue of their membership of Israel’“.

[25] Gegen Rohde, Galater, 110; mit Eckstein, Verheißung, 23, der weitere Vertreter dieser Deutung nennt.

[26] Vgl. ebd.: „Paulus konstatiert in diesen abbreviatorisch formulierten Sätzen lediglich die Unmöglichkeit, durchs Gesetz zum Heil zu kommen, ohne schon die Ursache und die Gründe zu entfalten.“

[27] Vgl. Betz, Galaterbrief, 223; Eckstein, Verheißung, 30.46.55.

[28] Vgl. die ausführlichen und m.E. überzeugenden Ausführungen dazu bei Eckstein, Verheißung, 32-34.

[29] Mit Eckstein, aaO., 32-37; Schlier, Galater, 95; anders Betz, Galaterbrief, 223; Mußner, Galaterbrief, 176f. Den Realis vertritt auch Rohde, Galater, 113f., aber mit Bezug auf die frühere Tischgemeinschaft des Petrus, was m.E. zu kurz greift.

[30] Eckstein, Verheißung, 37.

[31] Ebd.; Betz, Galaterbrief, 225; Rohde, Galater, 110.

[32] Vgl. die Deutungsmöglichkeiten, wie sie Eckstein, Verheißung, 37-41. referiert und selbst anmerkt, dass „letzte Klarheit bei der Einordnung des gegnerischen Einwandes nicht zu erreichen ist“, aaO., 39.

[33] So Schlier, Galater, 95f. mit Hinweis auf Mk 2,15-17parr.

[34] So Eckstein, Verheißung, 37.

[35] AaO., 41.

[36] „Ich“ ist „Vertretung für eine beliebige Person“, BDR §2812. Damit ist aber gerade nicht ausgeschlossen, dass das Verhalten des Petrus mit angesprochen ist. (Keinesfalls ist m.E. nur die banale Einsicht gemeint, Petrus hätte sich durch „abbrechen“ und „wieder aufrichten“ der Speisegebote als „Übertreter“ erwiesen.) Wenn Eckstein, Verheißung, 43 diesen Bezug verneint und „ich“ ausschließlich auf Paulus bezieht, ist dies m.E. eine Engführung, die sich zudem fälschlicherweise auf BDR §281 beruft, da dort in Anm. 2 ausdrücklich vermerkt wird, dass erst V. 19 „wirkliche 1. Ps.“ meint.

[37] Wie Eckstein, aaO., 132f. betont, geht es Paulus nicht nur um einen quantitativen Beweis. Vielmehr deutet er von der Christuserkenntnis her, „wie es um sie ohne Christus […] in Wahrheit bestellt war.“, aaO., 132.

[38] BDR §3601.

[39] So auch Eckstein, Verheißung, 192f.

[40] ἡμᾶς ἐξηγόρασεν ἐκ τῆς κατάρας τοῦ νόμου “ (3,13), „ὑπὸ νόμον ἐφρουρ ούμεθα συγκλειόμενοι “ (3,23). Das spricht auch gegen Dunns Deutung, der meint, dass der „Fluch“ (3,10) nur für die gelte, die das Gesetz im ethnisch-exklusiven Sinne mithilfe der „Werke des Gesetzes“ als (Juden von Heiden) abgrenzende ‚boundary marker‘ missbräuchten. Da sie die bei der Stiftung des Bundes gegebene Verheißung für die Heiden nicht beachteten, wäre ihre Gesetzesobservanz defizitär und daher verflucht, vgl. Dunn, Galatians, 171-173; ders., Theology, 362. Das in 3,10 angesprochene „Tun“ nicht auf die Vorschriften der Thora zu beziehen, sondern als die Missachtung der Völkerverheißung in Gen 12 zu interpretieren, ist vom Inhalt und Kontext des Dtn-Zitates her äußerst unwahrscheinlich. Dunn muss dazu nicht nur erneut voraussetzen, dass die ἔργα νόμου „Paul’s code“ für jüdisches Abgrenzungsstreben sind, Dunn, Galatians, 172, sondern auch, dass νόμος hier allgemeiner als „Schrift“ bzw. ‚Bundesurkunde‘ zu verstehen wäre. Hinzu kommt, dass eine Argumentation, wie er sie rekonstruiert, für die Galater wenig überzeugend wäre, wie er selbst zugibt, ebd. Wenig überzeugend ist auch, wenn er ζήσεται in 3,12 nur als Leben im Bund, nicht aber als ‚Heil‘ und ‚ewiges Leben‘ versteht, aaO., 175, wie es für 3,11 (vgl. Röm 1,16f.) deutlich ist. Vgl. dazu auch Schreiner, Works, 230.

[41] Das wird z.B. auch durch die für viele Ausleger überraschenden Aussagen in 5,14 oder 5,23 bestätigt, wo sich Paulus offensichtlich ohne Probleme im Rahmen der Paränese auf die Thora beziehen kann!

[42] BDR §188, mit Gal 2,19 in Anm. 3.

[43] Die negative Seite der Aussage von 3,12 ist ja, dass wer die Satzungen der Thora nicht tut, eben nicht lebt. Genau das ist aber der „Fluch des Gesetzes“, den Paulus über allen, ὃσοι ἐξ ἔργων νόμου εἰσίν, konstatiert.

[44] Empirisch ist der Apostel ja zweifellos quicklebendig, wenn er schreibt, er sei bereits ἀπέθανον (Aorist!).

[45] Die Wendung ἐν πνεύματι findet sich hier nicht, auch nicht ἐν Χριστῷ o.ä. Meine Formulierung „geistlich“ versucht auszudrücken, was Paulus meint, vgl. zu Gal 2,20 Röm 8,10 (und die Formulierungen im Kontext!).

[46] Auch hier kann Paulus verkürzt „διὰ νόμου“ als Synonym zu „ἐξ ἔργων νόμου“ gebrauchen, was deutlich zeigt, dass die ἔργα νόμου als Inbegriff für grundsätzlichen Gesetzesgehorsam stehen und nicht nur einzelne Gebotserfüllungen bezeichnen, auch wenn letztere ebenso grundsätzlich als pars pro toto fungieren können.

[47] Das wird auch durch Gal 3,1 mehr als deutlich: Christus der Gekreuzigte war den Galatern „vor Augen ‚gemalt‘“. Dass die Auferstehung dabei für Paulus immer mitgedacht ist, wird von 1Kor 15,14 her klar.

[48] ἀκοή kann sowohl „das Hören“ als auch „das Gehörte/Nachricht“ meinen. Von der parallelen Verwendung in Röm 10,14-17 bzw. Jes 52,7; 53,1 wird die Bedeutung „Verkündigung“ klar, vgl. Eckstein, Verheißung, 86f.

[49] Παιδαγωγός ist „in keiner Weise positiv“, aaO., 215f.; anders Dunn, Galatians, 198f.

[50] Eckstein, Verheißung, 200.

[51] Gegen Hübner, Gesetz, 27-32; Klein, Art. Gesetz III, 67. Dagegen spricht nicht nur der unmittelbare Kontext (vgl. μὴ γένοιτο direkt danach auf die Frage, ob das Gesetz gegen Gottes Verheißungen wäre! Sonst wäre ja ein klares Ja zu erwarten!), sondern auch, dass die Übermittlung des Gesetzes durch Engel an „eine altjüdische Tradition anknüpft“, Eckstein, Verheißung, 201f.; vgl. auch Dunn, Galatians, 190f.

[52] Siehe Blaschke, Beschneidung, 322.363. Sie war deshalb wichtige Bedingung für die Konversion zum Judentum. Paulus‘ Forderung in Gal 5,3 war also eine durchaus traditionell übliche Schlussfolgerung!

[53] Tertius, der Schreiber meldet sich in 16,22 selbst zu Wort.

[54] Zu den Einleitungsfragen vgl. Niebuhr, Grundinformation, 207-210; Ebner/Schreiber, Einleitung, 288-300.

[55] Röm 16,23 vgl. 1Kor 1,14 und Apg 20,4.

[56] „Mit seinem Brief nahm er den ersten Kontakt mit ihr auf.“, Wilckens, Römer, 33. Allerdings hatte Paulus viele persönliche Kontakte in Rom, wie die Grußliste in Röm 16 zeigt, darunter Priska und Aquila, die mit Paulus schon in Korinth und Ephesus zusammengearbeitet hatten (Apg 18,2f.18f.26). Sie waren vermutlich Vertreter einer paulinischen Theologie in der römischen Gemeinde, vgl. aaO., 39.

[57] Heidenchristen als Adressaten zeigen z.B. Röm 1,6.13; 11,17-21 an. Dass es in der Gemeinde auch Judenchristen gab, wird an Röm 16,3.7.11 deutlich (τοὺς συγγενεῖς μου), auch 2,17; 7,1 und Röm 14f. Für die Diskussion zur römischen Gemeinde spielt das Claudius-Edikt (49 n.Chr.) eine wichtige Rolle, die zur Ausweisung von Juden und Judenchristen führte (Apg 18,2). Vielleicht hatte sich bis zu deren Rückkehr eine aus Heidenchristen bestehende Gemeinde konsolidiert, sodass es ein breites Feld für Spannungen zwischen Synagoge, Juden- und Heidenchristen gab, vgl. aaO., 33-41; Haacker, Römer, 11f.

[58] Vgl. z.B. die „kleine Auswahl“ bei Ebner/Schreiber, Einleitung, 292f.

[59] Niebuhr, Grundinformation, 203.

[60] Dies ist m.E. unabhängig davon, ob diese in Rom oder Jerusalem, von Judenchristen oder auch nichtchristlichen Juden erhoben wurden, was angesichts der Vorgeschichte der römischen Gemeinde m.E. durchaus denkbar wäre. Wichtig ist auch der Hinweis von Haacker, Römer, 14, dass die Klärung des Verhältnisses von paulinischer Evangeliumsverkündigung und alttestamentlich-jüdischer Tradition immer auch biographisch bedingt als „Gespräch mit der eigenen Herkunft, das dem Apostel durch seinen Lebensweg aufgenötigt ist“ zu verstehen ist.

[61] Vgl. ebd.; Wilckens, Römer, 90.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Erstausgabe
Jahr
2011
ISBN (PDF)
9783955499259
ISBN (Paperback)
9783955494254
Dateigröße
801 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Leipzig
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Note
1,2
Schlagworte
Paulinische Theologie Rechtfertigungslehre New Perspective works of the law 4QMMT

Autor

Friedemann Holmer wurde 1983 in Ludwigslust geboren. Sein Studium der Evangelischen Theologie an der Universität Leipzig schloss er 2011 mit dem Diplom ab. Während seines Studiums beschäftigte er sich vor allem mit dem Neuen Testament und arbeitete als studentische Hilfskraft am Lehrstuhl von Prof. Dr. Jens Schröter, unter anderem als Redaktionsassistent in den Jahren 2009/10 bei der Vorbereitung und Einführung der Fachzeitschrift Early Christianity und ihrer ersten Ausgabe 'New Directions in Pauline Theology' sowie von 2006-2010 bei der Vorbereitung der Neuauflage 'Texte zur Umwelt des Neuen Testaments'. Seit 2011 arbeitet er als Regionalreferent der Hochschul-SMD in der Region Baden, Pfalz, Saarland.
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Titel: Die Bedeutung und Funktion des Lexems "erga nomou" in Gal 2,11-21 und Röm 3,21-31
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