Imaginäre Gefährten im Kindesalter: Positive Funktionen aus entwicklungspsychologischer Sicht
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
4 Ergebnisse
Im Anschluss werden als für die Fragestellung relevant angesehene Forschungsberichte zu den Funktionsbereichen Sprachentwicklungsförderung und Angstbewältigung vorgestellt.
4.1 Förderung der Sprachentwicklung
Zu diesem Thema finden sich Untersuchungen zur Art und Weise, wie Kinder, die imaginäre Gefährten aufweisen, sprechen. Desweiteren, ob sie über eine besondere auditive und visuelle Vorstellungskraft verfügen, das heißt ob sie sich das, was sie hören beispielsweise als Wörter vorstellen und wie sie sich ihren imaginären Gefährten in ihren Gedanken bildhaft vor Augen führen können. Es wurde getestet, inwieweit sich diese Vorstellungskraft der Kinder auf ihre Sprache auswirkt. Letztendlich untersuchten Studien zudem spezielle sprachliche Fähigkeiten bei Kindern mit imaginären Gefährten.
4.1.1 Sprachgebrauch
An investigation of the verbal abilities of children with imaginary companions (Bouldin, Bavin & Pratt, 2002)
In einer eigenen Studie hatten Bouldin und Pratt (2001) den Eindruck, Kinder mit imaginären Gefährten geben sich in ihrer Unterhaltung mit Erwachsenen sicherer als Kinder ohne diesen. Bouldin, Bavin und Pratt (2002) gingen anschließend der Frage nach, um welche weiterentwickelten verbalen Fähigkeiten es sich bei Kindern mit imaginären Gefährten eigentlich handelt: Sie stellten in ihrer Untersuchung die Hypothese auf, dass Kinder mit imaginären Gefährten über eine reifere Sprache verfügen. Als reifere Sprache bezeichneten sie die dem Alter der Kinder vorausgehende Verwendung komplexerer Satzstrukturen, zusammenhängender Satzgefüge und Modalverben.
Stichprobe. 80 Kinder nahmen an der Studie teil, die je zur Hälfte in eine Gruppe mit imaginären Gefährten (IG) und ohne diese (non-IG) eingeteilt wurden. Jede Gruppe bestand aus 24 Mädchen und 16 Jungen. Als Voraussetzung für die Teilnahme in einer der beiden Gruppen galt die Übereinstimmung in den Aussagen der Eltern und ihrer Kinder, ob letztere einen unsichtbaren Freund hatten oder nicht. Die Kinder, alle aus der zum Teil auch gehobeneren Mittelschicht, waren 4;0 bis 7;11 Jahre alt (M = 5;4 Jahre, ohne Angabe einer Standardabweichung), besuchten den Kindergarten oder eine der ersten beiden Grundschulklassen. Um im Laufe der Untersuchung auch Alterseffekte zu erfassen, wurden beide Gruppen nochmals nach dem Alter unterteilt: die Kinder der jüngeren IG- und non-IG-Gruppe waren 4;0 bis 5;11 Jahre alt (M = 4;5 Jahre, ohne Angabe einer Standardabweichung) und bestand aus 14 Mädchen und acht Jungen, beziehungsweise aus 14 Mädchen und sieben Jungen. In der älteren IG- und non-IG-Gruppe waren die Kinder im Alter von 6;0 bis 7;11 Jahren (M = 6;5 Jahre, ohne Angabe einer Standardabweichung) und darin eingeteilt 10 Mädchen und acht Jungen, beziehungsweise 10 Mädchen und neun Jungen.
Untersuchungsdurchführung. Ein Versuchsleiter, dem die Gruppeneinteilung des jeweiligen Kindes nicht bekannt war, forderte die Kinder einzeln auf, ein Monster zu beschreiben und stellte ihnen Fragen, inwieweit es für sie auch in der Wirklichkeit existieren könne. Die Antworten wurden aufgezeichnet und wortgetreu transkribiert, sowie nach folgenden Kategorien kodiert und gezählt: der Verwendung von modalen Hilfsverben, von Adverbial-, Relativ-, Komplementsätzen und von verbundenen Sätzen unter dem Gebrauch der Konjunktionen „und“ und „aber“. Letztere verbinden Ideen und Gedankengänge. Modale Hilfsverben können zum einen eine Vermutung oder Einschätzung widerspiegeln (epistemisch), zum anderen dem Erkennen eines Erfordernisses oder einer Verpflichtung für etwas Ausdruck verleihen (deontisch) (Bybee & Fleischman, 1995). Beispiele hierfür sind: „ Probably the monster“ („ Vielleicht das Monster“, Übers. v. Verf.) oder „It must be the monster“ („Es muss das Monster sein“, Übers. v. Verf.). Adverbialsätze, die zum Beispiel mit „als“ oder „weil“ beginnen, geben Auskunft über Zeit, Ort, Ursache. Relativsätze beziehen sich auf ein zuvor genanntes Objekt aus dem Hauptsatz, liefern mehr Information zu diesem oder grenzen mögliche Erklärungen ein [Beispiel: „The things that were in the tent“ („Die Sachen, die im Zelt waren“, Übers. v. Verf.)]. Komplementsätze unterstützen das Verb der Hauptaussage und fangen häufig mit „dass“ oder „ob“ an [Beispiel: „I wanted to see if the shadows were real“ („Ich wollte nachsehen, ob die Schatten wirklich da waren“, Übers. v. Verf.)]
Nebenbei teilten Bavin und Pratt, die Co-Autorin und der Co-Autor, 30 der transkribierten Gesprächsaufzeichnungen unabhängig voneinander in die ihrer Meinung nach zutreffende Gruppe ein. Ihnen war dabei nicht bekannt, welche der Kinder in welche Gruppe eingeteilt worden waren. Sie orientierten sich rein an der Ausdrucksweise der Kinder.
Ergebnisse. Intuitiv wurden bis auf zwei alle der 30 Kinder korrekt als der IG- oder der non-IG-Gruppe zugehörend eingeschätzt. Sie unterschieden sich demnach auffallend in ihrer Ausdrucksweise. Die Analyse der kodierten Satzbestandteile aller teilnehmenden Kinder per Kovarianzanalyse ergab, dass Kinder mit imaginären Gefährten signifikant häufiger Adverbial- und Relativsätze verwendeten (p = .009, bzw. p = .012; α = .05), was ihrer Aussage mehr Information und Gehalt verleiht. Desweiteren wiesen sie mehr Satzverbindungen auf, dies signifikant (p = .001; α = .05) bezüglich der Verwendung von „und“, grenzwertig signifikant (p = .051; α = .05) bezüglich „aber“. Dies bedeutet ein Verbinden von Ideen und Gedanken. Unter Berücksichtigung des Alters und des Geschlechts der Kinder zeigte sich ein recht heterogenes Bild, signifikant jedoch bezüglich der Verwendung von Adverbialsätzen: Hier lagen die älteren Jungen in der IG-Gruppe im Vergleich zu ihren weiblichen Altersgenossen ohne imaginäre Gefährten deutlich vorn (p = .008; α = .05), sie profitieren demnach am meisten von ihrem unsichtbaren Freund. In der jüngeren Altersgruppe zeigte sich das Ergebnis umgekehrt. Bezüglich der Verwendung von Relativsätzen konnte dem imaginären Gefährten alleine der Haupteffekt zugesprochen werden, denn Alter oder Geschlecht der Kinder spielte bei den Ergebnissen keine Rolle.
Diskussion. Auch wenn die Ergebnisse bezüglich modaler Hilfsverben und Komplementsätze nicht signifikant ausfielen, sehen die Autorinnen und der Autor ihre Hypothese grundsätzlich bestätigt: Kinder mit imaginären Gefährten verfügen über eine reifere Sprache. Denn die ermittelten, von Kindern mit imaginären Gefährten häufiger verwendeten Satzteile finden sich größtenteils erst bei Kindern höheren Alters. Sie werfen zudem die Spekulation auf, wonach dieses Ergebnis dadurch zustande kommt, dass Kinder ihren imaginären Freund als eigenständige Persönlichkeit sehen, mit der sie sich auseinandersetzen.
4.1.2 Auditive Vorstellungskraft und Sprachgefühl
Imaginary companions and young children´s responses to ambiguous auditory stimuli: implications for typical or atypical development (Fernyhough, Bland, Meins & Coltheart, 2007)
Fernyhough, Bland, Meins und Coltheart (2007) behaupteten, dass Kinder, die einen imaginären Gefährten haben und mit diesem in ihrer Vorstellung sprechen, aus mehrdeutigen auditiven Stimuli durchaus Wörter wahrnehmen können. Sie vermuteten, Kinder mit imaginären Gefährten nützen hier ihre Fantasie und Erfahrung in imaginären Unterhaltungen. Zur Klärung ihrer Hypothese zogen sie zwei Stichproben unterschiedlichen Alters, Nationalität und Größe in getrennten Untersuchungen heran.
4.1.2.1 Studie I
Stichprobe. 32 australische Vorschulkinder, 21 Mädchen und 11 Jungen im Alter von 3;7 bis 5;7 Jahren (M = 4;7 Jahre, SD = 0;6 Jahre) nahmen an der Studie teil. 15 Kinder darunter hatten einen imaginären Gefährten, bestätigt sowohl durch eigene, als auch durch sich deckende Aussage und Beschreibung der Eltern. Besagte imaginäre Gefährten stellten sich zu 60% als unsichtbare Freunde heraus, 40% als personifizierte Objekte.
Untersuchungsdurchführung. Die Kinder wurden durch einen Jumbled Speech Task (Feelgood & Rantzen, 1994) geführt. Für diesen Test wurde vorab die von einem zehnjährigen Mädchen vorgelesene Geschichte aufgezeichnet, anschließend zerstückelt und zusammenhangs- und sinnlos wieder zusammengesetzt. Was die Kinder in dieser Aufgabe zu hören bekamen, war nunmehr ein unklarer Wortsalat. Anschließend wurden sie nach erkannten Wörtern befragt. Bezüglich der Hypothese wurden ferner eine mögliche Beeinflussung durch den Bewusstseinsstrom per Stream of Consciousness Task (SoC) nach J. H. Flavell, Green und E. R. Flavell (1993) und durch die rezeptiven verbalen Fähigkeiten per Peabody Picture Vocabulary Test (PPVT-III) nach Dunn und Dunn (1997) gemessen. Der Begriff des Bewusstseinsstromes, des Stream of Consciousness, stammt von William James (1890/1952) und bedeutet statt isoliertem Auftreten einen zusammenhängenden Fluss von im Bewusstsein ablaufenden Wahrnehmungen, Gedanken und Eindrücken. Die rezeptiven verbalen Fähigkeiten eines Individuums zeigen an, inwieweit Wörter von ihm auf- und wahrgenommen werden können.
Ergebnisse. Kinder mit imaginären Gefährten gaben signifikant öfter an, aus diesem Wortsalat eindeutig Wörter herausgehört zu haben als Kinder ohne Fantasiefreund. Die von den Kindern angegebenen Wörter waren auch keine Fantasiegebilde, sondern real existierendes Vokabular. Den Berechnungen nach konnte dem imaginären Gefährten ein mittlerer Effekt (w = .45) zugewiesen werden. SoC und PPVT-III ergaben weder einen Zusammenhang mit dem Vorhandensein eines imaginären Gefährten, noch mit positiven Angaben im Jumbled Speech Task.
4.1.2.2 Studie II
Weil die Kinder in Studie I sehr jung waren und weil die Stichprobe sehr klein ausgefallen war, entschieden sich Fernyhough et al. anschließend zu einer zweiten Studie mit älteren Kindern und größerer Stichprobe.
Stichprobe. Diesmal wurden 48 Kinder, 27 Mädchen und 21 Jungen, aus britischen Grundschulen und im Alter von 4;2 bis 8;8 Jahren (M = 6;2 Jahre, SD = 1;5 Jahre) in die Studie aufgenommen. Unter ihnen konnten 22 Kinder mit imaginären Gefährten identifiziert werden, wovon 90% unsichtbare Freunde und 10% personifizierte Objekte darstellten.
Untersuchungsdurchführung. Wieder wurden als Testverfahren der Jumbled Speech Task und der SoC verwendet, zur Messung der rezeptiven verbalen Fähigkeiten diesmal, der britischen Stichprobe angepasst, die British Picture Vocabulary Scale (BPVS-II) nach L. Dunn, J. Dunn, Whetton und Burley (1997).
Ergebnisse. Wieder zeigte sich ein signifikanter Unterschied: Kinder mit imaginären Gefährten gaben deutlich eher an, real existierende englische Wörter und nicht etwa Fantasiewörter herausgehört zu haben. Die errechnete Effektstärke von w = .26 bedeutet fast einen mittleren Effekt für den imaginären Gefährten. Wie in Studie I konnte kein Zusammenhang mit dem Stream of Consciousness oder der rezeptiven verbalen Fähigkeiten nachgewiesen werden.
Um der Studie insgesamt mehr statistisches Gewicht zu verleihen, fassten die Forscherinnen und Forscher die Daten beider Studien zusammen und werteten sie erneut aus: das signifikante Ergebnis der Kinder mit imaginären Gefährten im Jumbled Speech Task wiederholte sich mit einer mittleren Effektstärke (w = .31) für den imaginären Gefährten. Nebenbei zeigte sich ein signifikanter Altersunterschied: Ältere Kinder konnten leichter Wörter für sich herausfiltern [ t (75) = 2.89, p = .005].
Diskussion. Die Autorinnen und Autoren sehen ihre Hypothese bestätigt und attestieren Kindern mit imaginären Gefährten ein besseres Gefühl für Sprache. Sie sprechen Zweifel bezüglich die Ergebnisse potentiell verzerrende Faktoren an: Der Beeinflussbarkeit des Denkens (Suggestibilität) durch den Versuchsleiter und der Empfänglichkeit (Suszeptibilität) für spontane auditive Eindrücke im Rahmen der Jumbled Speech Task. Gegen die Suggestibilität spricht ihrer Meinung nach der Nebenbefund, nach dem hier die älteren Kinder öfter angaben, Wörter zu identifizieren. Folgt man der Theorie, jüngere Kinder seien leichter zu beeinflussen, hätten diese im Test besser abgeschnitten. Die Suszeptibilität und das positive Abschneiden in der Jumbled Speech Task setzten die Autorinnen und Autoren zunächst mit dem SoC in Verbindung. Sie gingen davon aus, dass Kinder, die mehr Wörter in dieser Aufgabe heraushören, auch im SoC besser abschneiden, was sich allerdings nicht bestätigte, sondern rein dem Vorhandensein eines imaginären Gefährten zugeschrieben werden können.
4.1.3 Visuelle und auditive Vorstellungskraft und sprachliche Fertigkeiten
Visual and auditory imagery associated with children´s imaginary companions (Tahiroglu, Mannering & Taylor, 2011)
Tahiroglu, Mannering und Taylor (2011) analysierten die visuelle und auditive Vorstellungskraft bei Kindern mit imaginären Gefährten und untersuchten, inwiefern sich diese auf sprachliche Fertigkeiten auswirkt. Sie vermuteten, dass Kinder, die eine klare Vorstellung von ihrem imaginären Gefährten haben, verbal wie optisch, auch andere Aufgaben, die einer gewissen Vorstellungskraft bedürfen, besser bewältigen.
Stichprobe. Diese bestand aus 83 Vorschulkindern, 45 Mädchen und 38 Jungen im Alter von 4;11 bis 5;11 Jahren (M = 5;6 Jahre, ohne Angabe einer Standardabweichung). 25% dieser Kinder hatten einen unsichtbaren Freund, 13% ein personifiziertes Objekt. Deren Existenz wurde sowohl seitens der Kinder als auch ihrer Eltern bestätigt, ebenso bei der restlichen Stichprobe die Nichtexistenz eines imaginären Gefährten.
Untersuchungsdurchführung. Diejenigen Kinder, die einen imaginären Gefährten angegeben hatten, wurden danach befragt, ob sie ihn sehen und hören konnten und ob ihnen dies leicht gelinge. Im Untersuchungsverfahren sollten die Kinder eine am Telefon gespielte Unterhaltung mit einem Freund, den sie sich am anderen Ende der Leitung vorstellten, führen. Gemessen und bewertet wurde die Vorstellungskraft in dieser phone task indirekt: ob die Kinder die Telefontasten drücken, ob sie sich den Telefonhörer ans Ohr halten, ob sie ins Telefon sprechen, ob sie augenscheinlich der Person am anderen Ende der Leitung zuhören und ob sie ein Gespräch führen. Zusätzlich, um mögliche grundlegende Unterschiede in den verbalen Fähigkeiten und dem verbalen Arbeitsgedächtnis zu ermitteln, durchliefen im Vorfeld alle Kinder den Peabody Picture Vocabulary Test (PPVT-III; Dunn & Dunn, 1997) und den Backward Digit Span Task (Carlson, Moses & Breton, 2002).
Ergebnisse. Dass Kinder ihren imaginären Gefährten in Form eines personifizierten Objektes, beispielsweise ein Kuscheltier, sehen können, liegt in der Natur der Sache. Fast alle Kinder mit solch einem imaginären Gefährten konnten ihn auch ohne Schwierigkeiten für sich sprechen hören. Bei den unsichtbaren Freunden zeigte sich ein abweichendes, sehr variierendes Ergebnis: Manche Kinder konnten sich ihre unsichtbaren Freunde in ihrer Vorstellung recht einfach vor Augen führen und auch hören, andere weniger bis überhaupt nicht. Bezüglich genereller sprachlicher Fähigkeiten und Arbeitsgedächtnis konnten unter den Kindern keine Unterschiede festgestellt werden. Verglichen mit Kindern, die keinen imaginären Gefährten haben schnitten die Kinder mit diesem, sowohl als unsichtbarem Freund als auch als personifiziertem Objekt, in der phone task besser ab [ t (81) = 2.29, p < .05], allen voran diejenigen Kinder, die im Gegensatz zu den anderen vorgegeben hatten, ihren imaginären Gefährten auch reden zu hören [ t (80) = 1.96, p = .053]: Sie zeigten einen realistischen Umgang mit dem Telefon, lauschten ihrem fiktiven Gesprächspartner und hörten ihm zu, gingen auf dessen imaginäre Fragen ein und konnten eine in der Vorstellung ablaufende Konversation in ganzen Sätzen statt nur in Bemerkungen führen.
Diskussion. Die Forscherinnen erklären sich diesen Befund durch die Tatsache, dass sich ihren Erfahrungen nach Kinder mit ihren imaginären Freunden mehr unterhalten als spielen. Das Ergebnis der phone task bestätigt die Vermutung der Autorinnen, dass Kinder mit imaginären Gefährten und mit ihrer vor allem auditiven Vorstellungskraft imaginativen Aufgaben besser gewachsen sind. Zudem zeigten sich diese Kinder in der imaginären Konversation, wie oben beschrieben, sprachlich gewandter.
4.1.4 Referentielle Kommunikation
The referential communication skills of children with imaginary companions (Roby & Kidd, 2008)
In ihrer Untersuchung gingen Roby und Kidd (2008) der Annahme nach, dass Kinder mit imaginären Gefährten über ausgeprägtere referentielle Kommunikationsfähigkeiten verfügen. Informationen an den Gesprächspartner weiterzugeben, klare Aussagen zu machen und andererseits auf Äußerungen des anderen Bezug zu nehmen und auf seine Worte einzugehen, dieser Vorgang wird referentielle Kommunikation genannt. Roby und Kidd (2008) benennen zudem die beiden Komponenten der referentiellen Kommunikation: Perspektivenübernahme und kommunikative Kompetenz, welche Information benötigt das Gegenüber, um einen zu verstehen und wie kann man sich ihm verständlich machen.
Stichprobe. 44 Vorschulkinder wurden als Testpersonen rekrutiert und gleichermaßen in zwei Gruppen aufgeteilt: Kinder mit einem imaginären Gefährten (IG) und Kinder ohne diesen (non-IG). Dabei war die Übereinstimmung der Eltern- und Kinderberichte über die Existenz beziehungsweise das Fehlen eines imaginären Gefährten und in der Beschreibung des imaginären Gefährten Teilnahmekriterium. Ebenso wurde die Zeitspanne, in der die Kinder einen imaginären Gefährten aufwiesen, erfasst, da hier ein Zusammenhang mit den Testergebnissen vermutet wurde. Die Kinder der IG-Gruppe waren im Alter von 3;8 bis 6;5 Jahren (M = 4;10 Jahre, ohne Angabe der Standardabweichung), die Kinder der non-IG-Gruppe im Alter von 3;9 bis 6;4 Jahren (M = 4;11 Jahre, ohne Angabe der Standardabweichung). Angaben zur geschlechtlichen Zusammensetzung der Stichprobe finden sich in dieser Studie nicht. Da man womöglich altersabhängige sprachliche Entwicklungsdifferenzen erfassen wollte, wurde jede Gruppe, IG und non-IG wiederum in zwei Altersklassen aufgespalten, in eine jüngere Gruppe mit dem Alter von 3;8 bis 4;9 Jahre (M = 4;3, ohne Angabe der Standardabweichung) und in eine ältere Gruppe von 4;10 bis 6;5 Jahren (M = 5;6 Jahre, ohne Angabe der Standardabweichung). Auch der Bildungsstand der Eltern, beurteilt anhand deren Schul- oder Hochschulabschluss, wurde hinsichtlich einer ausgewogenen Gruppeneinteilung berücksichtigt, da dieser Hintergrund gemäß weiterer Forschungsergebnisse Einfluss auf referentielle Kommunikation und Sprachentwicklung hat (Bowey, 1995; Lloyd, Mann & Peers, 1998), ebenso Anzahl der Geschwister und Geburtenreihenfolge (Bouldin & Pratt, 1999). Alle teilnehmenden Mädchen und Jungen, deren geschlechtliche Verteilung nicht bekannt ist, wurden nunmehr bezüglich ihres Alters und sozioökonomischen Status´ gematched und als Gruppe, entweder mit oder ohne imaginären Gefährten, gegenübergestellt.
Untersuchungsdurchführung. Als Instrument wurde der Test of Referential Communication (ToRC) nach Camaioni, Ercolani und Lloyd (1995) eingesetzt. Dieser Test besteht aus zwei identischen 30-seitigen Bilderbüchern, nach denen die Kinder zum einen ihrem Gegenüber ein bestimmtes Bild derart beschreiben sollen, dass es der Testpartner in seinem Bilderbuch identifizieren kann und vice versa ein ihnen beschriebenes Bild selbst identifizieren sollen. Damit werden sowohl die Sprechkomponente erfasst, je nachdem wie viele wichtige Attribute zur Beschreibung verwendet werden und zum Verständnis des anderen wiederholt verwendet werden müssen, als auch das Hörverstehen, je nachdem ob die Kinder nach weiteren Informationsdetails fragen und wie oft. Letztere Komponente umfasst zusätzlich das Gefühl für Ambiguität, ob eine Mehrdeutigkeit erkannt und somit gezielt weitere Information eingeholt wird.
Ergebnisse: Die Auswertung des ToRC in Abbildung 1 zeigt einen auffälligen Unterschied in der Sprechkomponente, vor allem bezüglich Redundanzen. Die Kinder der IG-Gruppe schnitten insgesamt besser ab, wobei der Punktwert in der jüngeren Altersklasse den deutlicheren Unterschied zur non-IG-Gruppe aufwies. Die varianzanalytische Auswertung brachte einen signifikanten Haupteffekt seitens des imaginären Gefährten hervor [ F (1, 40) = 6.25, p = .016, η² partial = .136], ebenso einen signifikanten Effekt des Alters der Kinder [ F (1, 40) = 21.56, p < .001, η² partial = .35]: Die älteren Kinder erreichten bessere Werte. Bezüglich der Menge an redundanten Beschreibungen erwies sich die Differenz in den beiden älteren Altersgruppen, ohne und mit imaginären Gefährten, am größten: Den Kindern der älteren IG-Gruppe genügten weit weniger Beschreibungen bis ihr Gegenüber das gemeinte Bild identifiziert hatte [ F (1, 40) = 8.52, p = .006, η² partial = .176].
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1. Ergebnisse in der Sprechkomponente und Anzahl der Redundanzen (1: Sprechkomponente, 2: Redundanzen).
Das Hörverstehen betreffend zeigten sich zwar gewisse Unterschiede, zum Beispiel dass die Kinder der IG-Gruppe mehrdeutig beschriebene Bilder leichter identifizierten, sie waren aber nicht signifikant. Generell fiel in dieser Komponente eine hohe Varianz in beiden Gruppen auf. In der IG-Gruppe stellten dabei die jüngeren Kinder öfter redundante Fragen zum Verständnis, in der non-IG-Gruppe dagegen die älteren Kinder (Abbildung 2). Die varianzanalytische Auswertung des Alterseffektes bestätigte älteren Kindern ein besseres Hörverstehen [ F (1, 40) = 10.85, p = .002, η² partial = .213], dem imaginären Gefährten konnte aber in beiden Gruppen, ohne und mit imaginären Gefährten, kein signifikanter Haupteffekt nachgewiesen werden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2. Ergebnisse im Hörverstehen und Anzahl redundanter Nachfragen im Hörverstehen (1: Hörverstehen, 2: redundante Nachfragen).
Roby und Kidd hatten in ihrer Datenerhebung zu imaginären Gefährten auch die Zeitspanne, in der der imaginäre Gefährte für das Kind vorhanden war, erfasst. Sie konnten in ihrer Auswertung diesbezüglich keinen Zusammenhang mit den Testergebnissen feststellen.
Diskussion. Ihre Befunde werten die Autorin und der Autor folgendermaßen: Kinder, die sich mit einem imaginären Gefährten austauschen und sich in ihrer Vorstellung mit ihm unterhalten, können ihre Aussagen besser formulieren, sie konzentrieren sich auf die wesentliche Information. Dies wiederum erleichtert dem Gegenüber das Verständnis. Roby und Kidd vermuten darin weniger eine fortgeschrittenere sprachliche Entwicklung, sondern eine bessere Perspektivenübernahme und höhere metakognitive Entwicklung der Kinder mit imaginären Gefährten, da sie sich Gedanken darüber zu machen scheinen, welche exakte Information ihr Gegenüber zum Verständnis braucht. Demzufolge ist ihre Hypothese „nur“ teilweise bestätigt, und zwar bezogen auf die Sprechkomponente der referentiellen Kommunikation.
4.1.5 Erzählerische Fertigkeiten
A good story: Children with imaginary companions create richer narratives (Trionfi & Reese, 2009)
Trionfi und Reese (2009) nahmen an, dass Kinder, die sich mit einen imaginären Freund beschäftigen, über eine qualitativ bessere und detaillierte Erzählweise verfügen als Kinder ohne diesen Spielkamerad.
Stichprobe. 48 Vorschulkinder in Neuseeland nahmen an der Studie teil, je 24 Mädchen und Jungen. Die Kinder waren zum Zeitpunkt der Studie 5;5 Jahre alt (M = 5;5 Jahre, SD = 13.7 Tage) und waren ursprünglich Teilnehmer einer Langzeitstudie von Reese (2002), die sich mit der Sprach- und soziokognitiven Entwicklung bei Kindern im Alter von 1;6 bis 5;6 Jahren befasst. Fast die Hälfte der Kinder (48%) hatten einen oder gar mehrere imaginäre Gefährten in Form eines unsichtbaren Freundes, wobei nur bei etwa einem Drittel (26%) dieser Kinder deren Angaben mit denen ihrer Mütter übereinstimmten. Teilnahmekriterium für diese Studie war, dass entweder die Mutter für ihr Kind oder das Kind selbst einen imaginären Freund bestätigten. Der Bildungsstand der Mütter reichte von „kein Schulabschluß“ bis „abgeschlossene Berufsausbildung nach der High School“. Auch andere demographische Daten wurden erfasst, wie Anzahl der Geschwister und Geburtenreihenfolge: Unter den Kindern mit imaginärem Gefährten waren 13 (56%) Erstgeborene, dagegen unter den Kindern ohne diesen lediglich fünf (20%) .
Untersuchungsdurchführung. Alle Kinder legten im Vorfeld der Untersuchung einen Vokalbeltest bezüglich ihres rezeptiven und produktiven Wortschatzes ab: den Peabody Picture Vocabulary Test (PPVT-IIIB; Dunn & Dunn, 1997) und den Expressive Vocabulary Test (EVT; Williams, 1997) . Diese Tests prüfen, inwieweit die Kinder Wörter sinngemäß verstehen und welchen Wortschatz sie zum Ausdruck bringen können.
Als nächstes wurde gemessen, wie gut oder weniger gut die Kinder eine ihnen unbekannte vorgelesene Geschichte verstanden hatten. Dabei mussten sie 12 Verständnisfragen zum Inhalt, zu Zusammenhängen innerhalb der Geschichte und zu der Geschichte zugrundeliegendem Allgemeinwissen beantworten. Anschließend sollten sie die gesamte Geschichte einer Puppe erzählen. Die Versuchsleiter erklärten den Kindern, die Puppe hätte die Geschichte nicht gehört. Kam ein Kind während der Erzählung ins Stocken, gaben sie kleine Gedächtnisstützen.
Die Erzählungen der Kinder wurden für die Auswertung aufgezeichnet, transkribiert und kodiert. Die Kodierung bezüglich Erinnerung der Geschichte und Erzählqualität erfolgte nach Aufteilung der Geschichte in Erinnerungseinheiten, sogenannte memory units, und zwar in folgende Kategorien: Evaluation, Orientierung und desweiteren bezüglich der Erzählqualität in Beschreibung, Dialog, Nennung von Namen, zeitlich-örtlich-kausale Erinnerung und in wortgetreue Erinnerung. Die Evaluation (Bewertung) einer Geschichte durch den Leser zeigt sich durch die Verwendung von Adjektiven oder inwiefern Gefühle beschreiben werden. Dadurch unterstreicht er in seiner Erzählung bedeutsame Handlungen. Die Orientierung in der Beschreibung drückt aus, inwieweit sich für den Leser oder Zuhörer der Kontext der Geschichte erschlossen hat.
In einer letzten Aufgabe sollten die Kinder über drei zurückliegende Erlebnisse berichten. Diese Erlebnisse waren von den Müttern vorgeschlagen und den Versuchsleitern im Detail berichtet worden. Der Erlebnisbericht der Kinder wurde wie vorher die Erzählung in memory units aufgeteilt, transkribiert und kodiert. Für die letztendliche Analyse kam der höchstbewertete Bericht zur Verwendung, allerdings ohne die wortgetreue Erinnerung, da es sich hier nicht um eine vorgelesene Geschichte handelte.
Ergebnisse. Hinsichtlich verbaler Fähigkeiten, Vokabular und Geschichtenverständnis zeigte sich kein Unterschied zwischen den beiden Gruppen. Auf den ersten Blick wiederholte sich dieses Ergebnis bei den erzählerischen Fähigkeiten in beiden Aufgaben, der Geschichtenwiedergabe und der Erzählung eines zurückliegenden Ereignisses. In beiden Gruppen beendeten einige Kinder die Aufgabe der Geschichtenwiedergabe sogar mit null Punkten. Im oberen Bereich der Punktwerte zeigte sich allerdings eine überaus signifikante Differenz zwischen Kindern mit und ohne imaginären Gefährten (Abbildung 3): Die Kinder mit imaginären Gefährten schnitten hier weitaus besser ab [ t (46) = 3.10, p < .01, d = .90], was auf einen großen Effekt des imaginären Gefährten hinweist. Ebenso ließ sich ein gewisser Trend bei den Kindern mit imaginären Gefährten verzeichnen, mehr memory units wiederzugeben, dies war aber nicht signifikant [ t (46) = 1.87, p <.10, d = 0.5]. Da ihre Stichprobe auffallend viele erstgeborene Kinder und Einzelkinder enthielt, errechneten Trionfi und Reese zusätzlich den Vorhersagewert des Geburtsstatus´ zu den erzählerischen Fähigkeiten. Es zeigte sich, dass nicht nur das Vorhandensein eines imaginären Freundes einen Zusammenhang mit den erzählerischen Fähigkeiten aufweist, sondern in ähnlichem Maße auch die Tatsache, Einzelkind oder Erstgeborenes zu sein.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten Abbildung 3. Ergebnisse in Geschichtenverständnis, Erzählqualität in Geschichtenwiedergabe und in Beschreibung eines vergangenen Ereignisses (1: Geschichtenverständnis, 2: Geschichtenwiedergabe, 3: Erzählung vergangenes Ereignis).
Eine weitere Analyse der Subkategorien der erzählerischen Qualität in der Geschichtenwiedergabe ergab lediglich im Dialog eine signifikante Differenz zwischen beiden Gruppen zugunsten der Kinder mit imaginären Gefährten und zwar mit einem mittleren Effekt (d = 0.63) des imaginären Freundes. Ansonsten wurde bei der IG-Gruppe ein in allen Subkategorien erhöhter Mittelwert verzeichnet (Abbildung 4).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten Abbildung 4. Ergebnisse der Subkategorien in der Geschichtenwiedergabe (1: Beschreibungen, 2: Dialog, 3: Charaktere, 4: temporal-lokativ-kausal, 5: wortgetreue Wiedergabe).
Wie aus Abbildung 3 ersichtlich, schnitten die Kinder mit imaginären Gefährten auch in der Erzählung eines zurückliegenden Ereignisses in ihren erzählerischen Fähigkeiten signifikant besser ab [ t (46) = 2.02, p < .05]. Dies bedeutet einen mittleren Effekt (d = 0.60) des imaginären Gefährten. In der Feinanalyse der Subkategorien der Erzählung eines vergangenen Geschehens (Abbildung 5) zeigten die Kinder mit imaginären Gefährten eine signifikant bessere Leistung hinsichtlich zeitlich-örtlich-kausaler Ausdrücke mit einer mittleren Effektstärke (d = 0.58).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten Abbildung 5. Ergebnisse der Subkategorien in der Erzählung eines zurückliegenden Ereignisses (1: Beschreibung, 2: Dialog, 3: Charaktere, 4: temporal-lokativ-kausal).
Einen interessanten Nebenbefund brachte die Auswertung des Zusammenhangs zwischen erzählerischer Qualität bei Kindern mit imaginären Gefährten und des Informationsstandes der Mutter: Bei Kindern, deren Mütter nichts von der Existenz des imaginären Freundes wussten, konnte keine bessere Leistung nachgewiesen werden. Bei Kindern dagegen, deren Mutter in das Leben mit dem imaginären Freund eingeweiht war, fiel der Unterschied zur Kontrollgruppe ohne imaginäre Gefährten signifikant aus (Z = -3.74, p < .01).
Diskussion. In den wichtigsten Punkten sehen die Autorin und der Autor ihre Vermutung bestätigt, Kinder mit imaginären Gefährten verfügen über höhergradigere erzählerische Fähigkeiten. Wenn auch die Subkategorien nur teilweise einen Effekt des imaginären Freundes auf die erzählerische Qualität aufwiesen, Dialog und temporal-lokativ-kausale Satzgefüge bedeuten einen Sinn für Evaluation und Orientierung in der Erzählung und somit für fortgeschrittene erzählerische Fertigkeiten. Den Nebenbefund, nach dem der Kenntnisstand der Mutter von Bedeutung ist, interpretieren sie als erforderliche differenziertere Beschreibung des unsichtbaren Freundes, um ihn der Mutter verständlich zu machen. Die Erzählung fällt reichhaltiger aus. Ein weiterer Grund könnte gemäß der Autorin und des Autors der Übungseffekt sein, den die Unterhaltung über den imaginären Freund mit der Mutter bietet.
4.2 Angstbewältigung
Gemäß der Theorie aus 2.1, nach der Kinder bei Ängsten ihren imaginären Gefährten und somit sich selbst trösten und nach der Kinder durch ihn ihre Angst bewältigen können, seien nachfolgend Studien zu Interventionsmöglichkeiten vorgestellt.
4.2.1 Die Huggy-Puppy-Intervention
Young children´s reactions to war-related stress: a survey and assessment of an innovative intervention (Sadeh, Hen-Gal & Tikotzky, 2008)
2006 entbrennt für die Dauer von zwei Monaten der zweite Krieg zwischen Israel und Libanon. Viele Familien mussten aus umkämpften Gebieten in Notunterkünfte fliehen. Dies ist für alle Betroffenen, vor allem aber für Kinder eine bedrohliche, beängstigende und traumatisierende Situation. Sie verlieren womöglich Familienmitglieder und Freunde, hören Sirenen und Bombeneinschläge, sehen ihre Heimat zerstört. Diese damals aktuellen und akuten Einflüsse nahmen Sadeh, Hen-Gal und Tikotzky (2008) von der Universität in Tel Aviv zum Anlass, die Wirksamkeit imaginärer Gefährten in Gestalt eines Kuscheltieres, der Huggy-Puppy (HP), in der direkten Anwendung zur Angstreduktion empirisch zu untersuchen.
4.2.1.1 Studie I
Stichprobe. 74 Kinder, 34 Mädchen und 40 Jungen im Alter von zwei bis sieben Jahren (genauere Altersangaben sind nicht erwähnt) (M = 4;8 Jahre, SD = 1;4 Jahre) nahmen teil. Sie alle waren mit ihren Eltern in einer mit großen Zelten und versorgungstechnisch gut ausgestatteten Notunterkunft untergebracht. Diese befand sich in sicherem Gebiet im Süden Israels und am Meer.
Untersuchungsdurchführung. In diesem klassischen Feldexperiment wurden die Eltern zunächst in eigens für die Untersuchung erstellten und auf Reliabilität geprüften Fragebögen um Auskunft gebeten, inwieweit ihre Kinder das Kriegsgeschehen miterlebt hatten und noch miterlebten. Desweiteren wurde erfasst, welche direkten Stressreaktionen wie Angst, Klammern, Alpträume, Schlafstörungen oder Bettnässen sie in welchem Ausmaß an ihren Kindern seitdem beobachteten (Abbildung 6).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 6. Stressreaktionen der Kinder im Kriegsgeschehen (Sadeh et al., 2008, S. 50).
Anschließend fand die Einteilung der Kinder in Experimental- und Kontrollgruppe statt. Dieses Verfahren unter den Kriegsumständen war im Vorfeld von der Ethikkommission der Universität Tel Aviv abgesegnet worden. Eine vollständige Randomisierung konnte nicht gegeben werden, da Kinder mit ausgeprägteren Reaktionen aus ethischen Gründen bewusst in die Interventionsgruppe eingeteilt wurden. Über die geschlechtliche oder altersbezogene Aufteilung der beiden Gruppen sind keine Angaben bekannt.
Die 35 Kinder der Interventionsgruppe bekamen das Kuscheltier, die Huggy-Puppy, geschenkt. Es wurde ihnen nicht einfach ohne weiteres überlassen, sondern die Forscher stellten die Huggy-Puppy den Kindern als ein im Grunde fröhliches Wesen vor, das nun durch die Geschehnisse verängstigt, einsam und traurig sei. Die Kinder wurden aufgefordert, sich um die Huggy-Puppy zu kümmern, sie zu trösten und in den Arm zu nehmen. Auch die Eltern wurden involviert: Sie hatten die Aufgabe, ihr Kind im Spiel mit dem und in der Fürsorge um das Kuscheltier zu unterstützen und zu ermuntern. Ferner bekamen die Eltern beider Gruppen, Experimental (EG)- wie Kontrollgruppe (KG), Verhaltensempfehlungen als Unterstützung mit auf den Weg, bezogen auf Begegnung der Ängste und der Verhaltensweisen ihrer Kinder sowie auf das Wiedereinleben nach Rückkehr in die versehrte Heimat. In der abschließenden Befragung der Eltern drei Wochen nach Kriegsende wurden nicht nur die Stresssymptome ermittelt, sondern auch die Bindung zur Puppe: ob die Kinder zu ihr eine Bindung aufgebaut hatten, ob sie mit ihr gespielt und sich um sie gekümmert hatten, ob sie sie bei sich hatten, auch nachts, und ob sie die Puppe überhaupt mit nach Hause genommen hatten. Dieser Fragebogen zur Bindung wurde von den Autoren erst im Nachhinein als Doll Attachment Scale benannt.
Ergebnisse. Drei Wochen nach Kriegsende konnten 62 Familien der teilnehmenden Kinder erreicht und wiederholt befragt werden. Der Großteil der Kinder, 84%, wiesen zum Zeitpunkt der ersten Datenerhebung im Zeltlager zum Teil schwerere Stresssymptome wie Aggressivität, Alpträume, Einnässen oder Einkoten auf, mehr als die Hälfte, 55%, sogar mehrere Symptome höheren Schweregrades kombiniert. Die varianzanalytische Auswertung der beiden Gruppen ergab eine bereits vor der Intervention bestehende signifikante [ F (1, 61) = 5.57, p < .05] Differenz hinsichtlich der Symptome, was aber auf die unter ethisch notwendigen Aspekten beruhende, nicht vollständige Randomisierung zurückzuführen war. Es zeigte sich nach der zweiten Befragung in der Experimentalgruppe nach der Intervention im Gegensatz zur Kontrollgruppe eine beachtliche Reduktion der Stresssymptome, sowohl hinsichtlich der Anzahl [ F (1, 61) = 12.53, p < .005] als auch des Schweregrades [ F (1, 61) = 9.98, p < .005] (Abbildung 7). Der errechnete Effekt der Huggy-Puppy-Intervention erwies sich somit sowohl bezüglich der Stresssymptome insgesamt (1) als auch bezüglich des Schweregrades (2) ihres Auftretens als groß [ d (1) = .91 und d (2) = .81].
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 7. Effekt der HPI auf Stressreaktionen im Verlauf der Intervention in Studie I (oben: Stressreaktionen gesamt, unten: schwerwiegende Symptome) (aus: Sadeh et al., 2008, S. 50).
Eltern dieser Kinder berichteten beispielsweise, ihr Kind habe sich bei Angst an sein Kuscheltier gehalten und es mit in sein Bett genommen statt die Nacht im Elternbett zu verbringen. Ferner hatten sie weniger Alpträume, weinten weniger, sprachen seltener das Thema Tod an und zeigten sich weniger ängstlich oder aggressiv als die Kontrollgruppe.
Desweiteren bestätigten 85% der Eltern, deren Kind die Huggy-Puppy erhalten hatte, dass ihr Kind eine innige Beziehung zu dieser aufgebaut hatte. Insbesondere bei diesen Kindern der Experimentalgruppe wurden nach der Intervention auch weniger (1) und vor allem mildere (2) Stresssymptome gelistet [ r (1) = -.46, p < .05 und r (2) = -.44, p < .05].
4.2.1.2 Studie II
Weil der Einsatz der Huggy-Puppy großen Erfolg gezeigt hatte, schlossen Sadeh et al. einige Monate nach dem Krieg eine zweite Studie an. Ausgangspunkt waren vermehrte Berichte aus Kindergärten an übergeordnete Behörden über seit dem Krieg persistierende Stresssymptome bei Kindern in Nordisrael. Sadeh et al. gingen der Frage nach, ob sich der beachtliche Effekt der Huggy-Puppy-Intervention in einer größeren, besser randomisierten und kontrollierbaren Stichprobe replizieren ließe und inwieweit sich die Maßnahme als Gruppentherapie eigne.
Stichprobe. Die Stichprobe wurde diesmal aus 16 Kindergartengruppen in den vom Krieg direkt betroffenen Kriegsgebieten Nordisraels gezogen. Die Kinder waren drei bis sechs Jahre alt (genauere Altersangaben sind nicht erwähnt). 11 Gruppen, und damit 191 Kinder, davon 85 Mädchen und 106 Jungen mit einem Durchschnittsalter von M = 4;5 Jahren (SD = 0;11 Jahre), wurden per Zufallsprinzip in die Experimentalgruppe (EG) eingeteilt. Fünf Gruppen mit insgesamt 101 Kindern, darunter 47 Mädchen und 54 Jungen mit einem Durchschnittsalter von M = 4;7 Jahren (SD = 0;10 Jahre), fungierten als Kontrollgruppe (KG). Die Erlaubnis für dieses Procedere erteilte diesmal nicht eine Ethikkommission, sondern das Early Education System, die für Kindergärten in dieser Region zuständige Behörde.
Untersuchungsdurchführung. Jedes Kind einer Interventionsgruppe erhielt ein Kuscheltier, die gleiche Huggy-Puppy wie in Studie I. Die Versuchsleiter erzählten den Kindern einleitend die gleiche Geschichte zur Huggy-Puppy und diskutierten zudem in der Gruppe mit den Kindern, wie man denn die Huggy-Puppy am besten umhegen, umpflegen und ihr helfen könne. Desweiteren gaben die Versuchsleiter Eltern und Lehrern neben einer Beschreibung der Studie die Aufgabe, die Kinder, sofern sich deren Interesse daran reduziere, regelmäßig an die Huggy-Puppy und an die Fürsorge um sie zu erinnern. Zwei Monate später wurden die Eltern nach Stresssymptomen befragt, und zwar welche und in welchem Ausmaß sie diese zur Zeit des Krieges und nach der Huggy-Puppy-Intervention an ihren Kindern beobachtet hatten und zum Zeitpunkt der Befragung noch haben. Die Art der Bindung und des Beziehungsaufbaus zur Huggy-Puppy war nicht mehr Gegenstand dieser Erhebung.
Ergebnisse. Zur Auswertung wurde die gleiche Liste der Stressreaktionen herangezogen wie in Studie I. Die Varianzanalyse mit Messwiederholung ergab eine signifikante Differenz bei beiden Gruppen, also sowohl bei der Experimental- als auch bei der Kontrollgruppe besserten sich die Symptome über die Zeit. Bei den Kindern, welche die Huggy-Puppy erhalten hatten, wurden allerdings nach den zwei Monaten der Intervention weit weniger Symptome (1) berichtet [ F (1, 287) = 17.55, p < .0001], vor allem hinsichtlich des Schweregrades (2) [ F (1, 287) = 34.87, p < .0001] (Abbildung 8), mit einem mittleren Effekt [ d (1) = .56 und d (2) = .62] der Huggy-Puppy. 71% der Kinder in der Experimentalgruppe galten sogar als symptomfrei bezüglich schwerwiegender Symptome, im Gegensatz zu 39% der Kontrollgruppe.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 8. Effekt der HPI auf Stressreaktionen im Verlauf der Intervention in Studie II (oben: Stressreaktionen gesamt, unten: schwerwiegende Symptome) (aus: Sadeh et al., 2008, S. 51).
Diskussion. Sadeh, Hen-Gal und Tikotzky werten ihre Befunde beider Studien als Ergebnis des Kompetenzerlebens der Kinder und der Ablenkung der Kinder von ihren eigenen Ängsten durch die Huggy-Puppy. Desweiteren sahen die Forscher dadurch, dass die Huggy-Puppies an Kinder ganzer Kindergartengruppen übergeben, innerhalb der Gruppe besprochen wurden und auch hier ihre Wirkung zeigten, ebenfalls die Hypothese bestätigt, die Huggy-Puppy-Intervention eigne sich als Gruppentherapie. Um die Validität ihrer Untersuchung zu prüfen und zu untermauern, geben Sadeh, Hen-Hal und Tikotsky die Empfehlung an weitere Forschungsarbeiten, die Huggy-Puppy den Kindern auch mit anderen Coverstories als des ängstlichen und traurigen Kuscheltieres zu übergeben und zudem neben den Symptombeschreibungen der Eltern auch die weiterer Personen, zum Beispiel Lehrer, hinzuzuziehen.
4.2.2 Nachtangst
Assessment of brief interventions for nighttime fears in preschool children (Kushnir & Sadeh, 2011)
Kinder zum Einschlafen zu bringen und sie vor allem nachts, wenn sie angstvoll aufwachen und nicht mehr einschlafen können zu beruhigen, kann für beide Seiten, Eltern wie Kinder, sehr anstrengend und erschöpfend sein: Die Kinder schlafen ohne ihre Eltern nicht mehr ein, geschweigedenn durch und manche Eltern verbringen dadurch ganze Nächte am Bett ihrer Kinder (Sadeh, 2005). Unter dieser Situation leidet nicht nur das Kind selbst, sondern unter Umständen auch die ganze Familie, wenn das Verhalten des Kindes tagsüber aufgrund des Schlafmangels unausgeglichen und strapazierend ist (Minde, Faucon & Falkner, 1994). Kushnir und Sadeh (2011) erforschten, ob und inwieweit die Huggy-Puppy-Intervention auch bei Ängsten in der Nacht anwendbar ist. Aufgrund der Ergebnisse der Studie von Sadeh, Hen-Gal und Tikotsky (2008) stellten Sie zum einen die Hypothese auf, die Huggy-Puppy-Intervention greife auch hier, und zwar gegen Nachtängste und für einen besseren Schlaf der Kinder. Ihrer zweiten Hypothese nach erwarteten sie ein unterschiedliches Ergebnis bei Kindern, denen das Kuscheltier als Beschützer dient im Gegensatz zu Kindern, die sich wie in der Huggy-Puppy-Intervention um es kümmern: In der Beschützerrolle (Kuscheltier beschützt Kind) sollte die Effektivität der Intervention geringer ausfallen. Die dritte Hypothese sprach sowohl der Compliance als auch der Bindung der Kinder an das Kuscheltier einen Vorhersagewert zu.
Stichprobe. 104 Kinder im Alter von vier bis sechs Jahren (genauere Altersangaben sind nicht erwähnt) (M = 4;11 Jahre, SD = 0;8 Jahre), die mit ihren Eltern das Schlaflabor der Universitätsklinik Tel Aviv wegen zum Teil heftiger Nachtängste aufgesucht hatten, nahmen an der Studie teil. Ursprünglich bestand die Stichprobe aus 109 Kindern, 45 Mädchen und 64 Jungen. Von diesen fielen fünf in der ersten Testwoche aus, über die Geschlechterverteilung der letztendlichen Stichprobe von 104 Kindern wurden keine Angaben verzeichnet. 24 Kinder derselben Altersspanne wurden aus einer Warteliste des Schlaflabors in die Kontrollgruppe (KG) eingeteilt. Diese Vorgehen mussten vorab von der Ethikkommission genehmigt werden. Bedingung für die Teilnahme an der Untersuchung war, dass die Kinder die angstbedingten Schlafstörungen seit mindestens zwei Monaten aufwiesen und deren Eltern mindestens zwei Mal pro Nacht gefordert waren. Kinder, die zusätzlich andere gesundheitliche Beeinträchtigungen, Entwicklungsstörungen oder psychische Erkrankungen aufwiesen, wurden nicht in die Studie aufgenommen.
Untersuchungsdurchführung. Die Studie setzt sich aus vier Sitzungen zusammen: In der ersten Sitzung vor der eigentlichen Intervention wurden per Fragebögen, der israelischen Version der Child Behavior Check List (CBCL; Achenbach & Edelbrock, 1983; übers. von Zilber, Auerbach & Lerner, 1994), dem Brief Child Sleep Questionnaire (BCSQ) Verhaltensauffälligkeiten im Tagesverlauf und das Bild der Schlafstörungen erfasst. Das für diese Untersuchung erstellte und verwendete BCSQ war zuvor aus Items des von Sadeh entwickelten Brief Infant Sleep Questionnaires (BISQ; Sadeh, 2004) und dem Sleep Habits Questionnaire (SHQ; Sadeh, Raviv & Gruber, 2000) zusammengestellt worden. Darin richten sich die Fragen gezielt nach Einschlafstörungen, Häufigkeit des Aufwachens und des gänzlichen Wachseins im Nachtverlauf. Ferner machten Eltern wie Kinder in einem separaten Interview, dem Nighttime Fear Interview (Muris, Merckelbach, Ollendick, King & Bogie, 2001) Angaben zu den Nachtängsten, in welcher Art und Häufigkeit sie auftraten und wie sie auf diese reagierten. Zudem bekamen die Eltern für ihre Kinder einen Actigraphen ausgehändigt, den sie zur Nacht am Handgelenk ihrer Kinder anbringen sollten und zwar vor den nachfolgenden Erhebungszeitpunkten jeweils für die Dauer von einer Woche. Dieser einer Armbanduhr ähnliche Actigraph zeichnet Bewegungen während der Nacht auf und gibt somit Auskunft über den Schlafmodus: Haben die Kinder ruhig geschlafen, durchgeschlafen oder waren sie häufig wach. Ferner wurden die Eltern aufgefordert, eine Art Schlaftagebuch ihrer Kinder zu führen, zeitgleich mit der Benutzung des Actigraphen ebenfalls eine Woche lang.
Bei der zweiten Sitzung eine Woche später fand die Auswertung der Basiswerte bezüglich CBCL, Schlaftagebuch und Actigraphen statt. Die Kinder der Experimentalgruppe wurden willkürlich in zwei Gruppen aufgeteilt: HPI und HPI-r. Diesen beiden Experimentalgruppen, HPI und HPI-r, wurden anschließend mit dem Geschenk der Huggy-Puppy auch eine Geschichte dazu erzählt. Diese unterschied folgendermaßen: Die HPI-Gruppe erhielt wie bei Sadeh, Hen-Gal und Tikotzky (2008) die Beschreibung der Huggy-Puppy als ängstlich und hilfebedürftig mit dem Auftrag, sich um sie zu kümmern. Kindern der HPI-r-Gruppe dagegen wurde die Huggy-Puppy als Beschützer vorgestellt. An die Eltern ging wieder die Aufgabe, für die kommende Woche das Schlaftagebuch zu führen und ihren Kindern die Nacht über den Actigraphen anzulegen.
Nach dieser weiteren Woche fand ein drittes Treffen statt, an dem die Forscher wieder Tagebuch- und Actigraphendaten auswerteten. Zudem bot sich die Gelegenheit, mit Kindern und Eltern aufgetretene Probleme zu besprechen. In dieser Sitzung wurden auch potentielle mediierende Faktoren erfragt, mittels der 5-Punkte-Skala aus der unter 4.2.1 beschriebenen Doll Attachment Scale (Sadeh, Hen-Gal & Tikotsky, 2008), ob und welche Bindung die Kinder zur Huggy-Puppy aufgebaut hatten und, mittels einer nicht weiter beschriebenen Checkliste, wie es um Motivation und Compliance seitens der Eltern stand. Zur Doll Attachment Scale sei angemerkt, dass diese in der ursprünglichen Studie von Sadeh et al. (2008) noch nicht als solche benannt worden war.
Vier Wochen nach diesem Treffen wurden in der vierten Sitzung wieder per Nighttime Fear Interview, BCSQ, Schlaftagebuch und Actigraphen, letztere beiden im Verlauf der Woche davor aufgezeichnet, Daten zum Schlafverhalten und per CBCL zum generellen Verhalten tagsüber erhoben.
Mit einem abschließenden Telefoninterview über Ängste und Schlafverhalten der Kinder weitere sechs Monaten nach der Intervention endete die Untersuchung. In letztere Datenerhebung konnten 17 Kinder aus der HPI-Gruppe und 12 Kinder aus der HPI-r-Gruppe nicht einbezogen werden, da diese in der ersten Kontrolluntersuchung nach vier Wochen unveränderte besorgniserregende Schlafprobleme aufwiesen und mit einer weiteren kognitiven Verhaltenstherapie behandelt wurden. Die Datenerhebung der Kontrollgruppe beschränkte sich auf zwei Kontakte: Ein Telefoninterview mit Wiederholung nach vier Wochen bezüglich Erfragen der Nachtängste sowie der Bewältigungsstrategien seitens der Eltern.
Ergebnisse. Ein Großteil der Kinder beider Gruppen, sowohl der HPI als auch der HPI-r, zeigten im Laufe der ersten vier Wochen signifikante Änderungen in ihren Nachtängsten im positiven Sinne, ausgenommen der oben genannten hartnäckigen Fälle: Die Interventionseffekte zur Angstreduktion lagen nach Auswertung der Elternberichte bei η² partial = .70 und nach Angaben der Kinder bei η² partial = .53, was einen fast hohen, beziehungsweise mittleren Effekt der Huggy-Puppy bedeutet. Der Auswertung des BCSQ zufolge schliefen die Kinder besser durch und vor allem besser ein (Effekt der Huggy-Puppy auf Einschlafstörung: η² partial = .17, auf Wachzeiten nachts gesamt: η² partial = .15 und auf die Häufigkeit des Aufwachens: η² partial = .22). Die objektive Messung des Schlafmodus durch den Actigraphen bestätigte einen mittleren Interventionseffekt (η² partial = .50) durch die Huggy-Puppy. Demzufolge gaben auch die Eltern an, nachts weniger einschreiten zu müssen. Bei den Kindern, die der Kontrollgruppe zugeteilt worden waren, besserten sich die Ängste zwar auch über die Zeit, aber grenzwertig signifikant [ t (24) = 2.51, p < .05). Der Effekt der Intervention hingegen hielt auch im weiteren Verlauf an: Die Ergebnisse der Nachuntersuchung in beiden Experimentalgruppen nach sechs Monaten zeigten ein recht stabiles Ergebnis (Abbildung 9).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 9. Ausmaß der Nachtangst in beiden Interventionsgruppen im Verlauf der Intervention (aus: Kushnir & Sadeh, 2011, S. 73).
Obwohl das Ergebnis für beide Gruppen ähnlich positiv ausfiel, konnte dennoch ein nicht unbedeutender Effekt der Art der Rolle der Huggy-Puppy nachgewiesen werden: Die Kinder der HPI-Gruppe, deren Huggy-Puppy umsorgt werden wollte zeigten nicht nur eine größere Bindung an sie. Sie profitierten sowohl nach Elternberichten als auch nach eigenen Aussagen mehr von der Intervention als die Kinder der HPI-r-Gruppe, denen ihr imaginärer Freund als Beschützer diente. Demzufolge erwies sich auch das Ausmaß der Bindungsqualität als für den Interventionserfolg von Belang: Die Kinder mit einer hohen Bindung an ihr Kuscheltier berichteten eigenen Aussagen nach über signifikant weniger Ängste.
Diskussion. Alle Hypothesen der Autoren wurden bestätigt. Insgesamt sprechen die Autoren auch von einem Tandemeffekt der Intervention: Die Ängste wurden weniger und die Schlafqualität der Kinder stieg. Sie weisen ferner auf einen nicht unwesentlichen Nebeneffekt hin: Die Intervention brachte auch innerhalb der Familie Erleichterung, indem die Eltern des Nächtens weniger gefordert waren und mehr Ruhe fanden. Die Autoren weisen darauf hin, dass sie in ihrer Untersuchung keine Placebogruppe eingerichtet hatten: Die Übergabe der Huggy-Puppy als suggeriertes Geschenk an sich könnte das Studienergebnis beeinflusst haben, indem durch das Geschenk geweckte positive Erwartungen einen Einfluss auf die Ängste hatten.
4.2.3 Das Teddybärkrankenhaus
Doctor, is my teddy bear ok? The “Teddy Bear Hospital” as a method to reduce children´s fear of hospitalization (Bloch & Toker, 2010)
Die Idee, Kinder samt ihrem Kuscheltier in ein fingiertes Krankenhaus, das Teddybärkrankenhaus, einzuladen, stammt ursprünglich aus Skandinavien. Medizinstudentinnen und Medizinstudenten treten, bestückt mit Stethoskop, weißem Kittel und allerlei medizinischem Equipment als reale Ärztinnen und Ärzte, beziehungsweise als sogenannte Teddydocs auf, welche die Kuscheltiere der Kinder in einer gespielten Klinikatmosphäre untersuchen und behandeln. Auf diese Weise soll Kindern die Angst vor dem Arzt und seiner Behandlung oder vor dem Krankenhaus und medizinischen Geräten genommen werden. Viele medizinischen Fakultäten und insbesondere deren studentische Fachschaft organisieren dieses Event regelmäßig auch um, wie in 2.1 dargestellt, ihrerseits als werdende Ärztinnen und Ärzte die Kommunikation mit den kleinen Patienten und das Einfühlungsvermögen auf sie zu üben (Stadlober, Wasserbauer & Egger, 2010). Zu diesem Thema finden sich in der Literatur überwiegend Projektberichte. Bloch und Toker, zwei israelische Kinderärzte, veröffentlichten 2008 ihre wissenschaftliche Studie, in der sie der Frage nachgehen, inwieweit das Projekt Teddybärkrankenhaus bei Vorschulkindern Einfluss auf ihre Ängste vor einem Krankenhausaufenthalt hat und ob man ihnen dadurch die Angst davor nehmen kann.
Stichprobe. An der Studie nahmen 41 Kinder im Alter von drei bis sechseinhalb Jahren (ohne genauere Altersangaben) (M = 5;1 Jahre, SD = 0;8 Jahre) aus verschiedenen Kindergärten teil, die zum Teddybärkrankenhaus eingeladen wurden. 50 weitere Vorschulkinder stellten die Kontrollgruppe. Die Bedingung, noch keine Krankenhauserfahrung zu haben, war für beide Gruppen Teilnahmekriterium. Über die Geschlechterverteilung sind in dieser Studie keine Angaben beschrieben.
Untersuchungsdurchführung. Im Innenhof einer Universitätsklinik wurde ein fingierter Krankenhausbetrieb aufgebaut. Die Kinder brachten ihre eigenen Teddys oder Kuscheltiere mit, für die sie in die Rolle der Eltern schlüpften. Die Krankheit oder Verletzung, wegen der ihre Kuscheltiere zum Arzt mussten, durften sie sich selbst ausdenken. Das Vorgehen entsprach einem normalen Klinikablauf: Erhebung der Anamnese und Untersuchung, wobei die Kinder auch daran partizipieren durften, zum Beispiel ihren Teddy mit dem Stethoskop abhorchen. Die notwendige Untersuchung und Behandlung des Teddybären wurde mit den Kindern besprochen, sie konnten zudem Fragen stellen. Die Teddydocs legten größten Wert darauf, kindgerecht zu formulieren und sich des Verständnisses seitens der Kinder rückzuversichern.
Per bipolarer, fünfstufiger Gesichterskala (Buchanan & Niven, 2002) wurden die Kinder gebeten, ihre Angst vor dem Krankenhaus zu beschreiben und desweiteren, welche Krankheit ihr Teddy hat. Diese Datenerhebung der Gesichterskala fand einen Tag vor der Intervention und eine Woche danach statt.
Ergebnisse. Viele Kinder (41.5%) hatten sich für ihr Kuscheltier gewöhnliche Krankheiten wie Husten oder Erkältung ausgedacht, mehr als die Hälfte (58.5%) jedoch für Kinder ungewöhnliche, seltene oder gar schwere Erkrankungen wie Krebs. Auch erfundene Krankheiten wie Farb- oder Fruchtsaftkrankheit wurden genannt. Einen Einfluß der Art der ausgedachten Erkrankung auf die Angst vor dem Krankenhaus konnte nicht nachgewiesen werden, ebenso zeigten sich bei Mädchen und Jungen gleiche Ergebnisse. Eine Varianzanalyse mit Messwiederholung ergab einen signifikanten Unterschied in der Krankenhausangst zwischen den Kindern, die am Teddybärkrankenhaus teilgenommen hatten und der Kontrollgruppe [ F (1, 89) = 14.34, p < .0001]: Den Kindern der Experimentalgruppe flößte die Vorstellung, sich im Krankenhaus behandeln lassen zu müssen, weit weniger Angst ein (Abbildung 10).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 10. Angst vor einem Krankenhausaufenthalt vor und nach der Intervention (aus: Bloch & Toker, 2008, S. 599).
Diskussion. Die Datenerhebung nach der Intervention hatte kurz nach dem Teddybärkrankenhaus stattgefunden. Aufgrund des deutlichen Effektes der Intervention empfehlen die Autoren mangels Langzeitergebnissen, den Kindern diese Maßnahme öfters anzubieten. Sie versprechen sich dadurch eine Auffrischung des Effektes für die teilnehmenden Kinder, die somit auf potentielle Krankenhauskontakte vorbereitet werden.
[...]
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Erstausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2012
- ISBN (PDF)
- 9783955499662
- ISBN (Paperback)
- 9783955494667
- Dateigröße
- 930 KB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- FernUniversität Hagen
- Erscheinungsdatum
- 2015 (Februar)
- Note
- 1,5
- Schlagworte
- Kinder Imagination Begleiter Angstbewältigung Huggy-Puppy-Intervention